L 10 KR 1119/23 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 45 KR 788/22 KH
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 1119/23 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.11.2023 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.596,84 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung, hier insbesondere die Kodierung eines Zusatzentgelts (ZE).

 

Die Klägerin ist Trägerin eines gemäß § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses (im Folgenden: Krankenhaus), in dem sich die bei der beklagten Krankenkasse versicherte H. L. (nachfolgend: Versicherte) in der Zeit vom 21.04.2020 bis 23.04.2020, vom 02.06.2020 bis 04.06.2020, vom 03.08.2020 bis 05.08.2020 und vom 17.08.2020 bis 19.08.2020 wegen einer bösartigen Neubildung der Bronchien-Oberlappen in vollstationärer Behandlung befand. Das Krankenhaus war nicht zur ambulanten Versorgung ermächtigt.

 

Bei der Versicherten wurde in den Behandlungszeiträumen jeweils eine Immuntherapie mittels parenteraler Applikation von Nivolumab durchgeführt. Das Krankenhaus stellte für die Behandlungen unter Zugrundelegung der Fallpauschale (Diagnosis Related Group -DRG) E71D (Neubildungen der Atmungsorgane, ein Belegungstag oder ohne äußerst schwere CC, ohne Bronchoskopie, ohne bestimmte Lungenbiopsie, ohne endoskopische Biopsie am Respirationstrakt) unter dem 28.04.2020 5.230,24 €, unter dem 08.06.2020 5.356,90 € und unter dem 29.09.2020 zweimal 5.409,63 € in Rechnung. Hierbei kodierte es jeweils das ZE 2020-161 (Gabe von Nivolumab, parenteral) mit einem Betrag in Höhe von je 2.899,20 €. Die Beklagte beglich die Rechnungen zunächst vollständig und leitete dann ein Prüfverfahren ein.

 

Mit Prüfanzeigen vom 19.06.2020 forderte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom Krankenhaus für die Behandlungen vom 21.04.2020 bis zum 23.04.2020 und vom 02.06.2020 bis zum 04.06.2020 Unterlagen an. Weitere Prüfanzeigen vom 28.01.2021 betrafen die Behandlungen vom 03.08.2020 bis zum 05.08.2020 und vom 17.08.2020 bis zum 19.08.2020. Der MDK kam nach Prüfung zu dem Ergebnis, es sei jeweils eine fünfundvierzigminütige Infusionsbehandlung erfolgt. Die Versicherte sei laut Pflegedokumentation fit und orientiert gewesen, trotz Sauerstoffgabe seien keine pflegerischen Maßnahmen dokumentiert. Die Applikation sei daher auch ambulant oder teilstationär möglich gewesen.

 

Mit zwei am 18.02.2021 und am 19.02.2021 eingegangenen Schreiben vom 16.02.2021 und zwei am 17.09.2021 eingegangenen Schreiben vom 14.09.2021 teilte die Beklagte dem Krankenhaus das Ergebnis der Prüfungen und ihre hierauf beruhenden Entscheidungen, wonach der ursprüngliche Rechnungsbetrag in voller Höhe zu kürzen sei, mit und kündigte an, von ihrem „Recht der Verrechnung Gebrauch“ zu machen. Als „zur Verrechnung genommene“ Fälle benannte sie die stationären Behandlungen der bei ihr versicherten C. M., Behandlung vom 29.01.2021 bis 04.02.2021, Rechnungsnummer N01, W. K., Behandlung vom 26.08.2021 bis zum 06.09.2021, Rechnungsnummer N02 und Q. F., Behandlung vom 24.08.2021 bis 09.09.2021, Rechnungsnummer N03.

 

Nachdem das Krankenhaus sich im Mai 2022 unter zeitgleicher Korrektur der Abrechnung auf vorstationär entsprechend der mit anderen Kostenträgern in vergleichbarer Konstellation vereinbarten Verfahrensweise vergeblich mit der Bitte, die Abrechnung der ZE bestehen zu lassen, an die Beklagte gewandt hatte, hat die Klägerin am 27.12.2022 Zahlungsklage zum Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Sie hat ihre Forderungen aus den unstreitigen Behandlungsfällen, mit welchen die Beklagte aufgerechnet hatte, anteilig geltend gemacht und ausgeführt, die Aufrechnungen der Beklagten seien nach § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V unzulässig gewesen. Letzterer habe zudem kein Erstattungsanspruch in der von ihr geltend gemachten Höhe zugestanden. Die Beklagte sei jedenfalls nach den für die vorstationäre Behandlung nach § 115a SGB V getroffenen Vereinbarungen verpflichtet gewesen, für die Behandlungen der Versicherten die vorstationäre Pauschale in Höhe von jeweils 219,34 € sowie das ZE 2020-161 in Höhe von jeweils 2.899,20 €, d.h. insgesamt 12.474,20 € zu zahlen, was sich aus § 8 Abs. 3 KHEntgG ergebe. Die Kosten für das Präparat wären der Beklagten zudem ohnehin entstanden, sodass sie diese in jedem Fall zu tragen gehabt hätte (fiktives wirtschaftliches Alternativverhalten).

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.474,20 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 3.118,55 € seit dem 19.02.2021, einem Betrag i.H.v. 3.118,55 € seit dem 20.02.2021 sowie aus einem Betrag i.H.v. 6.237,10 € seit dem 18.09.2021 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat geltend gemacht, ihr habe für die vier Behandlungsfälle jeweils ein Erstattungsanspruch zugestanden, mit dem sie in zulässiger Weise aufgerechnet habe. Wenn die Klägerin nicht mehr an der Vergütung nach DRG E71D festhalte, räume sie selbst ein, dass keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit bestanden habe. Die von ihr stattdessen geforderte Abrechnung des ZE sowie kumulativ einer vorstationären Pauschale sei nicht abrechnungskonform, denn die Klägerin besitze keine Ermächtigung für die ambulante Abrechnung der erbrachten Leistungen.

 

Mit Urteil vom 06.11.2023 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 877,36 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezogen auf einen Betrag von 438,68 € ab dem 19.02.2021, bezogen auf einen Betrag von 219,34 € ab dem 18.09.2021 und bezogen auf einen Betrag in Höhe von 219,34 € ab dem 20.09.2021 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die erfolgten Aufrechnungen seien zulässig gewesen. Eine stationäre Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit habe nicht bestanden. Damit scheide auch ein Anspruch auf Zahlung eines Zusatzentgelts aus. Ein Anspruch auf Erstattung der mit der Verabreichung von Nivolumab verbundenen Sachkosten könne auch nicht aus den Grundsätzen fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens hergeleitet werden, weil das Krankenhaus zur ambulanten Leistungserbringung nicht berechtigt gewesen sei. Hingegen stehe der Klägerin die jeweilige vorstationäre Pauschale in Höhe von 219,34 € zu (insgesamt 877,36 €).

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 09.11.2023 zugestellte Urteil am 11.12.2023, einem Montag, Berufung eingelegt: Die Aufrechnung verstoße gegen § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V. Die Klägerin habe Anspruch auf die abgerechneten ZE. Es gehe um die Sachkosten eines Medikaments, das unstreitig von der Versicherten habe beansprucht werden können und dessen Kosten die Krankenkasse immer tragen müsse. Das unwirtschaftliche Verhalten des Krankenhauses sei schon „bestraft“ worden, indem es nur die vorstationäre Pauschale für die vollstationäre Behandlungsleistung erhalten habe. Zudem erfolge die Vergütung des Medikaments hier nicht über die Kassenärztliche Vereinigung, sondern üblicherweise durch die Krankenkasse im Wege der Abrechnung mit der Apotheke, so dass kein anderes Vergütungsverhältnis vorliege; die Krankenkasse sei direkter Kostenträger.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.11.2023 teilweise aufzuheben und die Beklagte über den erstinstanzlichen zuerkannten Betrag hinaus zu verurteilen an die Klägerin weitere 11.596,84 € nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über den Basiszinssatz aus einem Betrag von 2.899,20 € seit dem 19.02.2021, aus einem Betrag von 2.899,20 € seit dem 20.02.2021 und aus einem weiteren Betrag in Hohe von 5.798,40 € seit dem 18.09.2021 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und hat auf Anforderung die Kosten für das Arzneimittel Opdivo ® mit dem Wirkstoff Nivolumab mit 2.507,20 € je Gabe beziffert.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Patientenakte der Versicherten L. Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen 06.11.2023 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht insoweit abgewiesen, als mit ihr die Zahlung von 11.596,84 € nebst Zinsen begehrt wird. Hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Zahlung weiterer 877,36 € nebst Zinsen ist das Urteil des Sozialgerichts mangels Berufung der Beklagten rechtskräftig geworden (§ 202 S. 1 Hs. 1 SGG i.V.m. § 705 ZPO).

 

I. Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Bei einer auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhauses bzw. eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse handelt es sich um einen sog. Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.06.2000 – B 3 KR 33/99 R, juris Rn. 14; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R, juris Rn. 13), sodass es eines Vorverfahrens nicht bedurfte und eine Klagefrist nicht einzuhalten war.

 

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet, soweit die Klägerin mit ihr eine weitere Vergütung in Höhe von 11.596,84 € aus den Behandlungsfällen M., K. und F. begehrt.

 

1. Zwar stand der Klägerin ein Vergütungsanspruch aufgrund der stationären Behandlung dieser Versicherten zunächst zu, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist; eine nähere Prüfung des erkennenden Senats erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B.: BSG, Urteil vom 26.05.2020 – B 1 KR 28/18 R –, Rn. 11 m.w.N.).

 

2. Dieser Vergütungsanspruch ist jedoch in Höhe von 11.596,84 € durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 389, 387 BGB). Ihr stand die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung (vgl. zur Aufrechnung z.B.: BSG, Urteil vom 28.09.2010 – B 1 KR 4/10 R, juris Rn. 15) zu (hierzu a). Diese war ihrem Gegenstand nach gleichartig mit dem erfüllbaren (vgl. zu Letzterem bereits 1) Vergütungsanspruch der Klägerin und auch fällig (hierzu b) – § 387 BGB –. Die Beklagte erklärte die Aufrechnung entsprechend den Vorgaben der Prüfverfahrensvereinbarung (hier in der Fassung der Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 und der Ergänzungsvereinbarung zur Übergangsvereinbarung vom 02.04.2020 <PrüfvV 2016>) wirksam (hierzu c). Der Aufrechnung stand auch kein Verbot entgegen (hierzu d).

 

a) Der Beklagten stand gegen die Klägerin die in der Aufrechnungserklärung bezeichnete Forderung aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu. Zahlungen ohne Rechtsgrund begründen einen solchen Erstattungsanspruch des Zahlenden gegenüber dem Zahlungsempfänger, sei es nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches oder nach § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 812 ff BGB (BSG, Urteil vom 07.03.2023 – B 1 KR 3/22 R, Rn. 13 m.w.N. <st.Rspr.>).

 

Eine derartige Zahlung ohne Rechtsgrund lag hier vor. Die Klägerin war nicht berechtigt, das streitige ZE 2020-161 abzurechnen. Ein entsprechender Zahlungsanspruch stand ihr weder aufgrund der durchgeführten Behandlungen der Versicherten in der Zeit vom 21.04.2020 bis zum 23.04.2020, vom 02.06.2020 bis zum 04.06.2020, vom 03.08.2020 bis zum 05.08.2020 und vom 17.08.2020 bis zum 19.08.2020 (hierzu aa) noch aufgrund fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens (hierzu bb), als bereicherungsrechtlicher Anspruch (hierzu cc) oder aufgrund § 8 Abs. 3 KHEntgG i.V.m. der „Gemeinsamen Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den Bundesverbänden der Krankenkassen sowie im Benehmen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung“, Stand: 30.10.1996 (Gemeinsame Empfehlung), (hierzu dd) zu.

 

aa) Die Klägerin hatte gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Vergütung der durchgeführten vollstationären Behandlungen der Versicherten und war aus diesem Grund weder berechtigt, die zugrundegelegte DRG abzurechnen noch das streitige ZE zu kodieren.

 

Als Rechtsgrundlage für einen solchen Vergütungsanspruch kommt allein § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG in Betracht (vgl. zur Abrechenbarkeit vollstationärer und teilstationärer Leistungen der DRG-Krankenhäuser nach dem KHEntgG sowie dem KHG § 1 Abs. 1 KHEntgG).Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht insofern unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags durchgeführt wird, sie i.S. von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs. 1 SGB V) erbracht werden (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2022 – B 1 KR 19/21 R, Rn.10 m.w.N.). Grundsätzlich als allgemeine Krankenhausleistungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 KHEntgG abrechenbar sind insbesondere Zusatzentgelte nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 9 KHEntgG; Nr. 2), gesonderte Zusatzentgelte nach § 6 Abs. 2a KHEntgG (Nr. 3) bzw. ggf. Entgelte für besondere Einrichtungen und für Leistungen, die noch nicht von den auf Bundesebene vereinbarten Fallpauschalen und Zusatzentgelten erfasst werden (§ 6 Abs. 1 KHEntgG).

 

Vorliegend waren stationäre Behandlungen der Versicherten schon nicht erforderlich i.S. von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V; auch teilstationärer Behandlungen bedurfte es nicht. Vielmehr hätten die Behandlungen ambulant durchgeführt werden können. Dies ergibt sich aus den unangefochtenen Feststellungen des MDK und wird von der Klägerin nicht bestritten.

 

bb) Auch die Voraussetzungen für eine Abrechnung im Rahmen des sog. fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens liegen nicht vor. Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung einen Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines solchen zum einen für den Fall angenommen, dass das Krankenhaus von zwei gleichermaßen zweckmäßigen und notwendigen Behandlungsalternativen die unwirtschaftliche gewählt hat. Diese Fallgestaltung ist nicht einschlägig, weil die gewählte vollstationäre Behandlung überhaupt nicht notwendig war.

 

Ein Vergütungsanspruch nach diesem Rechtsinstitut wird aber zum anderen auch dann angenommen, wenn das Krankenhaus anstelle einer zweckmäßigen, erforderlichen und ausreichenden teilstationären Behandlung eine ebenfalls zweckmäßige, aber nicht erforderliche vollstationäre Behandlung durchführt (BSG, Urteil vom 26.04.2022 – B 1 KR 5/21 R, Rn. 20). Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze auch auf die vorliegende Fallgestaltung einer erforderlichen und ausreichenden ambulanten Behandlung übertragbar sind. Jedenfalls sind die weiteren Voraussetzungen für eine Abrechnung auf der Grundlage eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens nicht gegeben.

 

Eine solche ist nur dann möglich, wenn das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die fiktive wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der Beklagten abzurechnen, denn der Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens darf nicht dazu führen, dass das Krankenhaus außerhalb seines Versorgungsauftrages tätig wird (BSG, Urteil vom 26.04.2022, a.a.O. Rn. 24). Das Krankenhaus der Klägerin hatte vorliegend aber keine Berechtigung zur Verabreichung von Nivolumab im Rahmen einer ambulanten Behandlung unmittelbar gegen die Krankenkasse, weil es zur ambulanten Versorgung insoweit nicht ermächtigt war, was die Klägerin auch nicht bestreitet.

 

cc) Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch der Klägerin bestand ebenfalls nicht. Einem Leistungserbringer steht für Leistungen, die unter Verstoß gegen das Leistungserbringerrecht bewirkt wurden, grundsätzlich kein Vergütungsanspruch auf bereicherungsrechtlicher Grundlage zu. Dies gilt unabhängig davon, ob die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden sind und ob sie für die Versicherten geeignet und nützlich waren (BSG, Urteil vom 17.11.2015 – B 1 KR 12/15 R, Rn. 23). Mit der stationären Verabreichung des durch das ZE abgerechnete Medikament hat das Krankenhaus als Leistungserbringer aber gegen das Gebot, ambulant mögliche Behandlungen nicht stationär zu erbringen, verstoßen.

 

dd) Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf § 8 Abs. 3 KHEntgG i.V.m. der Gemeinsamen Empfehlung stützen.

 

Nach § 8 Abs. 3 KHEntgG (i.d.F. des MDK-Reformgesetzes vom 20.12.2019, BGBl. I 2789) sind die vom Krankenhaus erbrachten Leistungen nach den für vorstationäre Behandlungen nach § 115a SGB V getroffenen Vereinbarungen zu vergüten, soweit keine andere Möglichkeit zur Abrechnung der erbrachten Leistung besteht, wenn nach dem Ergebnis einer Prüfung nach § 275c Abs. 1 SGB V eine vollstationäre Behandlungsbedürftigkeit, wie vorliegend, nicht vorgelegen hat.

 

Die aufgrund dieser Regelung getroffene Gemeinsame Empfehlung sieht neben der Vergütung für die vor- und nachstationäre Behandlung als gesonderte Vergütungsmöglichkeit allein solche für Leistungen mit medizinisch-technischen Großgeräten (§ 3 der Gemeinsamen Empfehlung) vor. Hingegen sind Leistungen für die Vergütung von im Krankenhaus verabreichten Arzneimitteln nicht vorgesehen.

 

Zwar konnte die seit 1996 unveränderte Gemeinsame Vereinbarung naturgemäß die Neuregelung der vorstationären Vergütung mit Inkrafttreten von § 8 Abs. 3 KHEntgG zum 01.01.2020 nicht berücksichtigen. Die Vereinbarungspartner haben bislang aber keine Notwendigkeit gesehen, die Vergütungslücke für im Krankenhaus verabreichte Arzneimittel bei vorstationären Abrechnungen durch Aufnahme etwa einer der für Leistungen mit medizinisch-technischen Großgeräten nach § 3 entsprechenden Regelung zu schließen. Im Hinblick auf die unterbliebene Anpassung sowie auf die eindeutigen und abschließenden gesetzlichen Regelungen i.V.m. der Gemeinsamen Empfehlung vermag der Senat eine Rechtsgrundlage für die Abrechnung von Arzneimitteln weder zu erkennen noch eine solche gleichsam rechtsfortbildend zu begründen. Es obliegt allein den in § 115a SGB V angesprochenen Vertragsparteien, insoweit ggf. eine Neuregelung zu treffen.

 

b) Der Vergütungsanspruch der Klägerin und der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten erfüllten auch die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten war zudem fällig und der Vergütungsanspruch der Klägerin erfüllbar (vgl. zu Letzterem bereits 1).

 

c) Die Beklagte erklärte die Aufrechnung unter Berücksichtigung der Anforderungen der Normen der PrüfvV 2016 auch wirksam.

 

Der Anwendungsbereich der PrüfvV 2016 ist eröffnet. Nach deren § 13 Abs. 1 gilt die Vereinbarung für die Überprüfung bei Patienten, die ab 01.01.2017 in ein Krankenhaus aufgenommen wurden. Der Anwendungsbereich wurde durch Art. 5 der Ergänzungsvereinbarung zur Übergangsvereinbarung auf Abrechnungsprüfungen erweitert, die – wie vorliegend – bis zum 31.12.2020 eingeleitet wurden.

 

Nach § 10 PrüfvV 2016 durfte die Krankenkasse einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 PrüfvV 2016 mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen. Die Beklagte teilte ihren Erstattungsanspruch nach § 8 PrüfvV 2016 ordnungsgemäß mit. Hiernach hat die Krankenkasse dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen (S. 1). Wenn die Leistung nicht in vollem Umfange wirtschaftlich oder die Abrechnung nicht korrekt war, waren dem Krankenhaus die wesentlichen Gründe darzulegen (S. 2). Die Mitteilungen nach Satz 1 und 2 hatten innerhalb von 11 Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige nach § 6 Abs. 3 zu erfolgen (S. 3).

 

Die Frist des Satzes 3 ist im Hinblick auf die beim Krankenhaus am 18.02.2021 und 19.02.2021 zu den am 19.06.2020 übermittelten Prüfanzeigen und die am 17.09.2021 zu den am 28.01.2021 übermittelten Prüfanzeigen eingegangenen Mitteilungen eingehalten. Die Mitteilungen der Beklagten waren auch ausreichend i.S. von Satz 1 und 2 und legten insbesondere die wesentlichen Gründe, worauf bereits das Sozialgericht zu Recht hingewiesen hat und was auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wird, dar.

 

d) Schließlich stand der Aufrechnung entgegen der Auffassung der Klägerin auch kein gesetzliches (oder anderweitiges) Verbot, insbesondere nicht § 109 Abs. 6 S. 1 SGB V, entgegen. Die durch die Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V vom 10.12.2019 geregelte Weitergeltung der Aufrechnungsmöglichkeit nach § 10 PrüfvV 2016 über den 01.01.2020 hinaus ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von der Ermächtigungsvorschrift des § 109 Abs. 6 S. 3 SGB V i.V.m. § 17c Abs. 2 S. 1 KHG umfasst (BSG, Urteil vom 28.08.2024 – B 1 KR 18/23 R, Rn. 17).

 

III. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung folgen aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO bzw. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 GKG.

 

IV. Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.

Rechtskraft
Aus
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