S 17 KR 1145/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 KR 1145/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 1.774,80 Euro festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Im vorliegenden Klageverfahren begehrte die klagende GmbH zunächst die Verbescheidung ihres Widerspruchs vom 02.11.2018 gegen das Schreiben der beklagten Krankenkasse vom 29.10.2018. Nach Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge zur Abwehr der Zwangsvollstreckung wurde die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 29.10.2018 und 24.10.2019 umgestellt (Forstsetzungsfeststellungsklage).

Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 27.03.2019 Anfechtungs- und Untätigkeitsklagen gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und gegen insgesamt dreizehn Einzugsstellen. Die Untätigkeitsklagen gegen die Einzugsstellen wurden von der 31. Kammer des Sozialgerichts München mit Beschluss vom 15.04.2019 abgetrennt (Az. S 31 BA 96/19).
Streitgegenstand der Anfechtungsklage gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund ist deren Bescheid vom 23.10.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.02.2019, mit dem von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für den Prüfzeitraum 01.10.2013 bis 02.01.2017 nachgefordert werden mit der Begründung, dass die bei der Beklagten krankenversicherte Personen nicht als selbständige Unternehmer, sondern im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses für die Klägerin tätig geworden seien.

Die Klägerin betreibt einen landwirtschaftlichen Betrieb und verkauft seine Erzeugnisse auf Wochenmärkten und in einem Hofladen. Auch ein Partyservice und Catering werden von ihr angeboten. Im Betrieb der Klägerin waren im Prüfzeitraum vom 01.10.2013 bis 02.01.2017 diverse Köche, Küchenhilfen, Servicekräfte, Logistikmitarbeiter etc. auf Honorarbasis tätig.

Aufgrund der Feststellung der Versicherungspflicht durch die DRV Bund forderte die Beklagte, die für mehrere bei der Beklagen Versicherte Einzugsstelle ist, mit Schreiben vom 29.10.2018 insgesamt 11.832,03 € an Sozialversicherungsbeiträgen nach. Wörtlich wurde darin ausgeführt: "Wie Sie vermutlich bereits vom Rentenversicherungsträger erfahren haben, führte dessen Prüfung ihres Betriebes zu einer Nachberechnung von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 11.832,03 €. Diesen Betrag werden wir fristgerecht von Ihrem Konto .... abbuchen. Ein eventuell gegen die Betriebsprüfung eingelegter Widerspruchs hat für die Zahlungspflicht keine aufschiebende Wirkung."
Gegen dieses Schreiben der Beklagten ließ die Klägerin am 02.11.2018 Widerspruch erheben. Die Forderung in Höhe von 11.832,03 € sei unbekannt. Unter Bestreiten der Forderung werde die Aussetzung der Vollziehung beantragt, hilfsweise die zinslose Stundung bzw. hilfshilfsweise Vollstreckungsaufschub.

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die DRV Bund mit Schreiben vom 20.12.2018 mit, dass die Klägerin aufgrund des Bescheids aus der Betriebsprüfung einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht gestellt habe. Es wurde gebeten, von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen, bis rechtskräftig über das Rechtsschutzverfahren entschieden wurde.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der DRV Bund vom 23.10.2018 hat das SG München abgelehnt (S 30 BA 373/18 ER). Die beim Bayer. LSG erhobene Beschwerde (L 7 BA 42/19 B ER) wurde zurückgenommen. Auch der beim Bayer. LSG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung (L 7 BA 49/19 ER) wurde zurückgenommen.

Die Beklagte mahnte die Zahlung des oben genannten Betrags zuzüglich Säumniszuschlägen und gesetzlicher Mahngebühren in Höhe von insgesamt 12.128,53 € mit Schreiben vom 20.02.2019 bei der Klägerin an. Eine zinslose Stundung der Beitragsforderung käme nicht in Betracht. Gegen den "Bescheid" vom 20.02.2019 ließ die Klägerin am 25.02.2019 erneut Widerspruch erheben.
Mit Schreiben vom 03.09.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach Rücknahme der Beschwerde und des Antrags auf Aussetzung der Vollstreckung die Forderung aus dem Betriebsprüfungsbescheid fällig sei. Am 07.10.2019 und 05.11.2019 wurde die Klägerin erneut gemahnt.

Das Klageverfahren S 31 BA 96/19 ist noch nicht entschieden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin verwies darauf, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin als Inhaberin einer Beitragsforderung auftrete, die Zahlung an sich selbst (nicht an Dritte) verlange und im Nichtzahlungsfall die Zwangsvollstreckung über das Zollamt R-Stadt betreiben könne. Das sei die Reinform eines Verwaltungsakts. Der Bescheid der Beklagten solle die Basis für die zwangsweise Durchsetzung des Bescheids darstellen, was ohne Verwaltungseigenschaft im Sinne des § 31 SGB X gar nicht möglich wäre.
Das hiesige Klageverfahren wurde mit Beschluss vom 29.07.2019 ruhend gestellt.
Mit Schreiben vom 11.02.2020 wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass das Verfahren nach der Aktenordnung als erledigt betrachtet werde, aber auf Antrag der Parteien jederzeit fortgesetzt werden könne.

Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 17.02.2020 das Verfahren wieder aufzunehmen.

Die Beklagte teilte mit, dass die Klägerin den rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeitrag inklusive Säumniszuschläge am 11.11.2019 in Höhe von 12.830,53 € unter Vorbehalt bezahlt habe.

Mit Schriftsatz vom 17.04.2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Klageerweiterung und die Umstellung der Untätigkeitsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage.
Die Klägerin habe zur Abwehr der Zwangsvollstreckung unter Protest und Vorbehalt der Rückforderung die rechtswidrig erzwungenen 12.830,53 € bezahlt. Es wurde ein Schreiben der Beklagten vom 24.10.2019 an den kasseninternen Vollziehungsbeamten R. vorgelegt, mit dem dieser angewiesen wurde, einen Rückstand in Höhe von 12.830,53 € durch Zwangsvollstreckung bei der Klägerin einzuziehen (Vollstreckungsauftrag). Dieser Vollstreckungsauftrag wurde der Klägerin in Kopie zur Kenntnis gebracht.

Die Klägerin ist der Ansicht, eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage sei geboten, da die Klägerin andernfalls Gefahr liefe, dass die gegen den Bescheid erhobene Untätigkeitsklage wegen der erzwungenen Zahlung wegen rechtswidriger Zwangsvollstreckung als unzulässig abgewiesen werde. Der angefochtene Bescheid habe sich mit der erzwungenen Zahlung erledigt. Der Leistungsbefehle beider Bescheide seien durch Erfüllung erloschen.

Im Übrigen verweist die Klägerin auf den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25.09.2019 (Az. S 39 KR 2320/19), aus dem sich ergebe, dass die Zahlungsaufforderung der Einzugsstelle einen Haftungsbescheid nach § 28 h Abs. 2 S. 1 SGB IV darstelle.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
festzustellen, dass die Bescheide der Beklagten vom 29.10.2018 und vom 24.10.2019 rechtswidrig sind.
Die Beklagte beantragt,
                        die Klage abzuweisen.
Das Schreiben vom 29.10.2018 sei eine bloße Zahlungsaufforderung der Beklagten. Aufgrund der gegenüber der DRV Bund gestellten Anträge im einstweiligen Rechtsschutzverfahren habe die Beklagte zunächst Abstand vom Einzug der Forderungen genommen und die Entscheidungen abgewartet.

Die Beklagte hält ein weiteres Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Rechtstreits S 30 BA 96/19 für zielführend. Zur Klageänderung äußerte sie sich trotz Aufforderung des Gerichts nicht. Die Klägerin lehnt ein weiteres Ruhen des Verfahrens ab.

Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten hingewiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Über den Rechtsstreit konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist unzulässig, da die Schreiben vom 29.10.2018 und vom 24.10.2019 keine Verwaltungsakte sind.

Die Klägerin hat zunächst eine Untätigkeitsklage erhoben, da die die Ansicht vertrat, bei dem Schreiben der Beklagten vom 29.10.2018 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Nach Zahlung der geforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträge aufgrund der drohenden Zwangsvollstreckung hat die Klägerin ihre Untätigkeitsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt und den Klageantrag auf den Vollstreckungsauftrag vom 24.10.2019 erweitert.

Die Umstellung des Klageantrags in eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG ist gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG keine Klageänderung und damit zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl., § 131, Rn. 8a). Auch eine Untätigkeitsklage kann unter den Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 S. 3 SGG auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt werden (Niesel/Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, Rn. 113 unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-1500 § 88 Nr. 1).

Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist allerdings nach dem Wortlaut des § 131 Absatz 1 Satz 3 SGG nur statthaft, wenn sich ein Verwaltungsakt während eines laufenden Klageverfahrens durch Zurücknahme oder anders erledigt hat. In diesem Falle wäre die Klage an und für sich als unzulässig abzuweisen, da das Rechtsschutzbedürfnis weggefallen ist. Sinn und Zweck der Fortsetzungsfeststellungsklage ist es, dass der Kläger nicht durch die Erledigung der Hauptsache um die Früchte des bisherigen Verfahrens gebracht wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller /Leitherer/Schmidt, 13. Auflage, § 131, Rn. 7).
In unmittelbarer Anwendung ist die Vorschrift auf Verwaltungsakte anwendbar, die sich während des Gerichtsverfahrens erledigt haben. Der Begriff der Erledigung entspricht demjenigen in § 39 Abs. 2 SGB X. Demnach kommen als erledigendes Ereignis die Rücknahme, der Widerruf, eine anderweitige Aufhebung, Zeitablauf oder sonstige Gründe in Betracht (Keller, a.a.O., § 131 Rn. 7a).

Das Gericht stimmt mit der Ansicht des Prozessbevollmächtigten überein, dass sich das Schreiben der Beklagten vom 29.10.2020 mit der Zahlung durch die Klägerin erledigt hat. Die Zahlungsaufforderung bzw. Abbuchungsvorankündigung ist durch die Erfüllung gegenstandslos geworden und hat sich damit auf sonstige Weise erledigt.

Allerdings ist ein Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage bei Klagen, deren primäres Rechtsschutzbegehren sich nicht auf einen Verwaltungsakt bezog, nicht entsprechend anwendbar (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl. § 131 Rn. 7c).
Zudem war die ursprüngliche Klage, also die Untätigkeitsklage nicht zulässig (Niesel/Herold-Tews, a.a.O., Rn. 113).

Die Zahlungsaufforderung bzw. Abbuchungsvorankündigung der Beklagten vom 29.10.2018 ist kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Die Beklagte wurde hier als Gläubigerin des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als Einzugsstelle tätig, § 28 h Abs. 1 SGB IV. Das Schreiben vom 29.10.2018 ist eine Zahlungsaufforderung, die sich ausdrücklich auf die bei der DRV Bund durchgeführte Betriebsprüfung bezieht und keinen eigenen Regelungsgehalt hat. Die Beklagte übernimmt darin lediglich die Feststellungen der DRV Bund. Sie hat in ihrem Schreiben vom 29.10.2018 unmissverständlich darauf hingewiesen, dass allein die Prüfung durch den Rentenversicherungsträger zu der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen führte.
Im Schreiben vom 29.10.2018 hat sie die Klägerin auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Widerspruch gegen die Betriebsprüfung keine aufschiebende Wirkung habe. Auf die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen die Zahlungsaufforderung selbst hat die Beklagte zu Recht nicht hingewiesen. Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der in Kenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge den wirklichen Willen der Behörde erkennen kann (BSG vom 12.12.2001, B 6 KA 3/01 R). Für einen verständigen Beteiligten war daher erkennbar, dass es sich hier nicht um eine Regelung mit Außerwirkung handelt, sondern um eine reine Zahlungsaufforderung bzw. Abbuchungsvorankündigung ohne Verwaltungsaktqualität (so auch SG München vom 12.08.2019, S 15 KR 1143/19; bestätigt durch das Berufungsurteil des Bayer. LSG; Entscheidung vom 30.07.2020, L 4 KR 526/19).

Der Vollstreckungsauftrag vom 24.10.2019, der der Klägerin in Abdruck übermittelt wurde, ist ebenso wenig ein Verwaltungsakt. Es handelt sich hierbei um eine Vollstreckungsankündigung, der keine Verwaltungsaktqualität zukommt (vgl. BSG vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14, Rn. 15 in juris unter Bezugnahme auf die BFH-Rechtsprechung, vgl. etwa BFH vom 21.08.2000, Az. VII B 46/00).
Auch diesbezüglich ist die Fortsetzungsfeststellungsklage folglich unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Bei einer Untätigkeitsklage ist die wirtschaftliche Bedeutung nicht gleichzusetzen mit der vollstreckbaren Forderung, so dass 10 bis 20 % der vollen Forderung heranzuziehen sind (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 197 Rn. 7h Untätigkeitsklage).
Nichts anderes kann hier für die Untätigkeitsklage gelten, die aufgrund Erledigung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt wurde.
Da Gericht sieht einen Betrag von 15 % der ursprünglich geltend gemachten Forderung vorliegend als angemessen an.

Die Berufungssumme nach §§ 105 Abs. 2 S. 1, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG wird erreicht. Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin den Erlass eines Widerspruchsbescheids, der eine Nachforderung von über 750 € betrifft.

 

Rechtskraft
Aus
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