Ist die Höhe der als angemessen angesehenen kalten Betriebskosten nicht schlüssig ermittelt, ist die vom Kreis zugrunde gelegte Bruttokaltmiete insgesamt als unschlüssig anzusehen, ohne dass es auf die Überprüfung der Schlüssigkeit der Nettokaltmiete ankommt.
Werden nur die Daten von Wohnungen einfachen Standards berücksichtigt, kann für die Festlegung der angemessenen Nebenkosten nicht auf den Median dieser Werte zurückgegriffen werden (Anschluss an BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R).
Das mit der Konzepterstellung beauftragte Privatunternehmen kann lediglich die Grundlagen für eine mögliche Nachbesserung des Konzepts ermitteln. Die Entscheidung des Kreissozialausschusses über das bisherige schlüssige Konzept kann nur durch den Kreis selbst abgeändert werden.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet der Klägerin auch ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren um die Höhe der bei der Berechnung der Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt zu berücksichtigenden Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 15. Juli 2018.
Die 1963 geborene Klägerin bezog in jenem Zeitraum Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Ab dem 16. Juli 2018 bezog sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), nachdem der Rentenversicherungsträger ihre Erwerbsfähigkeit festgestellt hatte. Sie wohnte in einer 62 qm großen Zwei-Zimmer-Wohnung in Bad Segeberg. Hierfür fielen im streitgegenständlichen Zeitraum Kosten in Höhe von insgesamt monatlich 507,00 EUR an. Diese setzen sich zusammen aus 350,00 EUR Kaltmiete, 115,00 EUR Nebenkosten und 42,00 EUR Heizkosten. Auf die Unangemessenheit der Unterkunftskosten war die Klägerin bei Bezug der Wohnung zum 1. November 2016, während des laufenden Leistungsbezugs, hingewiesen worden.
Die Leistungsbewilligung im streitigen Zeitraum erfolgte durch Bescheide vom 18. Dezember 2017, 21. Dezember 2017 und 26. Januar 2018. Dabei berücksichtigte der Beklagte Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 452,00 EUR (295,00 EUR Kaltmiete, 115,00 EUR Nebenkosten und 42,00 EUR Heizkosten). Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Die Festlegung der Angemessenheitsgrenzen basierte dabei auf einem Konzept der Firma empirica AG (empirica) mit dem Titel „Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII im Kreis Segeberg nach einem schlüssigen Konzept, Erstauswertung 2017“ (empirica Konzept 2017). In diesem Konzept ermittelte empirica die als angemessen angesehenen Nettokaltmieten im Kreisgebiet des Beklagten für sechs Vergleichsräume differenziert nach jeweils als angemessen angesehenen Wohnungsgrößenklassen für Ein- bis Fünfpersonenhaushalte. Die Festlegung der angemessenen Nettokaltmieten nahm empirica auf der Grundlage von Angebotsmieten öffentlich inserierter Wohnungen und anhand von Daten von örtlichen Wohnungsunternehmen vor und sah nach einer Festlegung des Beklagten auf das 33-%-Perzentil – das preislich gesehen untere Drittel der angebotenen Wohnungen – jeweils als angemessen an. Für die Ermittlung der angemessenen Wohnnebenkosten griff empirica demgegenüber auf Daten von vermieteten Wohnungen zurück. Dabei flossen in die Auswertung nur Wohnungen mit ein, die im Kreisgebiet des Beklagten von Bedarfsgemeinschaften bewohnt wurden, die Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter erhielten. Die Basis war ein Datenbestand von 5.850 Wohnungen, die eine Auswertung differenziert nach den sechs Vergleichsräumen und allen Wohnungsgrößenklassen ermöglichte. Auf die für die Nettokaltmiete herangezogenen Wohnungsinserate griff empirica nicht zurück, da in den Inseraten nur zu einem geringen Anteil die Nebenkosten differenziert nach kalten Betriebskosten und Heizkosten ausgewiesen waren, so dass sich dabei ein deutlich geringerer Datenbestand ergeben hätte, der aufgrund des von empirica angesetzten Standards von mindestens 100 auswertbaren Daten keine Differenzierung nach Vergleichsräumen und verschiedenen Wohnungsgrößenklassen mehr zugelassen hätte. Nach der Auswertung der von SGB II-Leistungsbeziehern bewohnten Wohnungen ermittelte empirica in drei Tabellen die Werte der jeweils auffällig niedrigen, mittleren und auffällig hohen kalten Betriebskosten je Vergleichsraum und Wohnungsgrößenklasse. Wegen der Einzelheiten wird auf das empirica Konzept 2017 verwiesen.
Die von der Klägerin bewohnte Wohnung befand sich im Vergleichsraum V – Bad Segeberg – des empirica Konzeptes 2017.
In seiner Sitzung vom 23. November 2017 befasste sich der Kreissozialausschuss des Beklagten mit dem empirica Konzept 2017 und legte die Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 SGB II und § 35 Abs. 1 SGB XII ab dem 1. Dezember 2017 auf der Grundlage dieses Konzepts als Bruttokaltmiete je Vergleichsraum und je Wohnungsgrößenklasse fest. Die als angemessen angesehene Bruttokaltmiete ergab sich jeweils aus der Summe der von empirica ermittelten angemessenen Nettokaltmiete und den ermittelten mittleren kalten Betriebskosten.
Am 12. November 2019 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Überprüfung der Leistungsbescheide und die nachträgliche Gewährung höherer Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten ab Januar 2018.
Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2019 ab. Die Unterkunftskosten seien nach dem geltenden Konzept in zutreffender Höhe berücksichtigt worden. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, dass das vom Beklagten angewendete Konzept der Firma empirica fehlerhaft sei, wies er mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2020 als unbegründet zurück.
Am 10. Februar 2020 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Lübeck erhoben, zu deren Begründung sie geltend gemacht hat, das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht habe in einem Musterverfahren zum Az. L 3 AS 79/19 B ER Bedenken am schlüssigen Konzept der Firma empirica geäußert.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 29. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Abänderung der Bescheide vom 18. Dezember 2017, 21. Dezember 2017 und 26. Januar 2018 für den Zeitraum 1. Januar 2018 bis 15. Juli 2018 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in dem Musterverfahren L 3 AS 79/19 B ER Bedenken hinsichtlich des empirica Konzepts insbesondere aufgrund der angenommenen fehlenden Nachfrageanalyse, der fehlenden Begründung für die Perzentilbildung sowie der fehlenden Berücksichtigung von Bestandsmieten geäußert habe. Diese Bedenken seien jedoch nicht gerechtfertigt. Eine Nachfrageanalyse sei indirekt durchgeführt worden, indem die Angebotsmieten auf dem Markt untersucht worden seien, denn der Marktpreis ergebe sich aus dem Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Auch die Perzentilfestlegung sei nicht zu bemängeln. Laut empirica sei ein Wert zwischen dem 10. und dem 50. Perzentil als vertretbar anzusehen. Teile man den Wohnstandard in den einfachen, mittleren und gehobenen Wohnstandard ein, scheine eine Drittellösung, wie sie empirica gewählt habe, nachvollziehbar und sinnvoll. Auch handele es sich bei den berücksichtigten Angebotsmieten letztlich um aktuellere Werte, die den Marktpreis genauer wiedergeben könnten, als dies bei Bestandsmieten der Fall sei. Würde man Bestandsmieten mit einbeziehen, führe dies voraussichtlich aufgrund der Mietpreissteigerungen bei Neuvermietung sogar zu niedrigeren Angemessenheitsgrenzen.
Das Sozialgericht hat die angegriffenen Bescheide des Beklagten durch Urteil vom 30. Juni 2021 aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten der Klägerin verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die auszugsweise widergegebenen Entscheidungsgründe der 37. Kammer des Sozialgerichts Lübeck im Parallelverfahren zum Az. S 37 SO 71/20 bzw. L 9 SO 33/20 verwiesen.
Gegen dieses dem Beklagten am 9. Juli 2021 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung, die am 30. Juli 2021 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist.
Der Beklagte macht zur Begründung ergänzend geltend, dass der Kreissozialausschuss das 33-%-Perzentil aus dem Konzept der Firma empirica in seiner Sitzung vom 23. November 2017 genehmigt habe. Diese Grenze sei auch in der Rechtsprechung allgemein anerkannt. Es sei sichergestellt, dass genügend Wohnraum vorhanden sei. Der Wohnungsstandard sei von empirica erhoben worden, soweit Ausstattungsmerkmale im Anzeigetext erwähnt worden seien. Die Datengrundlage sei von empirica belegt worden. Da Angebotsmieten zur Grundlage gemacht worden seien, sei eine Nachfrageanalyse obsolet und würde im Übrigen auch kein belastbares Ergebnis liefern. Außerdem werde als zusätzliches Korrektiv in jedem Einzelfall geprüft, ob auch tatsächlich Wohnraum vorhanden sei. Dass im Falle von Wohnungen ab 95 qm auf die Nachbarkommunen zurückgegriffen worden sei, habe lediglich der Plausibilisierung des Werts bei einer zu kleinen Stichprobe gedient. Eine Nachbesserung hinsichtlich der kalten Betriebskosten sei möglich. Allerdings seien im Rahmen der Ermittlung der kalten Betriebskosten lediglich die Wohnungen berücksichtigt worden, in denen Bedarfsgemeinschaften wohnten. Diese Daten seien vom Jobcenter zur Verfügung gestellt worden. Bevor eine Nachbesserung jedoch vorgenommen werde, möge der Senat aus verwaltungsökonomischen Gründen darüber entscheiden, ob das Konzept im Übrigen schlüssig sei. Werde das übrige Konzept als schlüssig angesehen, erfolge die Nachbesserung in Form der Neufestlegung der angemessenen kalten Betriebskosten.
Die Kläger halten das Urteil des Sozialgerichts demgegenüber für zutreffend. Ergänzend machen sie geltend, dass es nicht ausreichend sei, lediglich Angebotsmieten zu berücksichtigen. Die Qualitätsunterschiede der Wohnungen seien laut Seite 17 des empirica Konzepts 2017 gerade nicht erhoben worden. Auf sie sei lediglich aufgrund der Preisunterschiede geschlossen worden. Es werde nicht angegeben, woraus sich die Preisdatenbank konkret speise. Es werde nicht definiert, was als einfacher Standard angesehen werde. Es sei keine Nachfrageanalyse durchgeführt worden. Insbesondere seien in jedem Fall die kalten Betriebskosten nicht rechtmäßig ermittelt worden. Das BSG habe am 17. September 2020 (B 4 AS 22/20 R) entschieden, dass entweder alle Wohnungen eines Vergleichsraums in die Ermittlung der kalten Betriebskosten einzubeziehen seien oder aber bei einer Einbeziehung nur des einfachen Standards der obere Spannenwert heranzuziehen sei. Im vorliegenden Fall seien jedoch lediglich die Wohnungen einfachen Standards eingeflossen und es seien die mittleren kalten Betriebskosten zur Grundlage der Angemessenheitsgrenze gemacht worden. Allein deshalb sei das Konzept nicht schlüssig.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2024, in der das Verfahren mit dem Parallelverfahren L 9 SO 33/20 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden war, hat der Senat folgenden Auflagenbeschluss erlassen:
1. Dem Beklagten wird aufgegeben, das schlüssige Konzept zur Angemessenheitsgrenze für die Kosten der Unterkunft im jeweils streitigen Zeitraum im Hinblick auf die im Konzept zugrunde gelegten kalten Betriebskosten vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R – Rn. 41 nachzubessern.
2. Hierfür wird eine Frist gesetzt bis zum 31. Dezember 2024.
Im Parallelverfahren L 9 SO 33/20 hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2024 eine Ergänzung zum empirica Konzept 2017 der Firma empirica (Ergänzungsauswertung) eingereicht.
Hierin legt empirica dar, dass Daten zu in öffentlichen Inseraten ersichtlichen kalten Betriebskosten aus der Ersterhebung vorlägen. Allerdings würden nicht in allen Mietwohnungsinseraten Angaben zur Höhe der Nebenkostenabschläge insbesondere differenziert nach kalten und warmen Nebenkosten gemacht. Daher seien die Fallzahlen bei der Auswertung von inserierten Nebenkosten deutlich niedriger als bei der Auswertung der inserierten Nettokaltmieten. Aus diesem Grund würden die Einzeldaten zu Nebenkosten in der Ergänzungsauswertung nicht auch noch nach verschiedenen Wohnungsgrößen ausgewertet, sondern ein einheitlicher Quadratmeterpreis ermittelt, der erst anschließend mit der angemessenen Wohnfläche multipliziert werde. Es hätten für das Kreisgebiet des Beklagten für ca. 2.800 Mietwohnungen Angaben zu den monatlichen kalten Nebenkosten vorgelegen. Davon seien 143 Wohnungen auf den Vergleichsraum V – Bad Segeberg – entfallen. Aus einer Auswertung dieser Daten ermittelte empirica wie schon in der Erstauswertung drei Tabellen, in denen jeweils die auffallend niedrigen, mittleren und auffallend hohen kalten Nebenkosten je Vergleichsraum und nunmehr hochgerechnet auf die unterschiedlichen als angemessen angesehenen Wohnungsgrößen ausgewiesen werden. Eine Entscheidung dafür, auf welche dieser Tabellen für die Festlegung der angemessenen kalten Betriebskosten zurückgegriffen werden solle, trifft empirica nicht. Vielmehr führt sie aus, dass die eigentliche Beurteilung der Angemessenheit keine statistische, sondern eine sozialpolitische Frage und daher von der reinen Datenanalyse zu trennen sei. Ob nur mittlere oder auch höhere Nebenkosten staatlicherseits übernommen werden sollten, müsse der Sozialstaat (Gesetzgeber, Leistungsträger, Sozialgerichte) festlegen. Empirica stellt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Prüfschemata dar und gibt wie bereits im Konzept 2017 eine Empfehlung für eine 3-Komponentenprüfung (getrennte Angemessenheitsgrenzen für Nettokaltmieten, kalte Betriebskosten und Heizkosten), dergemäß die kalten Nebenkosten der Höhe nach nur überprüft werden sollten, sofern sie auffallend hoch seien, also den oberen Schwellenwert überstiegen.
Der Beklagte hat ebenfalls im Verfahren L 9 SO 33/20 mit Schriftsatz vom 21. Februar 2025 dazu ausgeführt: Da für eine Auswertung für jeden Vergleichsraum und getrennt nach den verschiedenen Wohnungsgrößen die Fallzahlen zu gering gewesen seien, seien in der Ergänzungsauswertung die Nebenkosten je Quadratmeter über alle Wohnungsgrößen gemeinsam ausgewertet und anhand der angemessenen Wohnungsgröße multipliziert worden. Da die Ergebnisse der Höhe nach ähnlich seien wie in der Berechnung in der Erstauswertung (Abb. 51), in der die Daten nach Wohnungsgrößen getrennt ausgewiesen seien, werde dadurch die Richtigkeit beider Auswertungen bestätigt. Die Daten seien allerdings seinerzeit nicht in die Auswertung eingeflossen, weil die Fallzahlen unterhalb des Richtwertes von 100 gelegen hätten und daher ausgeklammert worden seien. Die für die Ergänzungsauswertung herangezogenen 143 Wohnungsinserate bildeten den Wohnungsmarkt hinreichend ab und seien für eine valide Datenerhebung mehr als ausreichend. Eine Hochrechnung von quadratmeterbezogenen kalten Betriebskosten werde beispielsweise auch im Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes vorgenommen, was von Sozialgerichten akzeptiert werde. Es gebe auch Konzepte zur Herleitung von Angemessenheitsgrenzen, die grundsätzlich auch für die Nettokaltmiete angemessene Quadratmeter-Höchstwerte ermittelten und diesen Wert dann mit der Wohnfläche multiplizierten. Dieses Vorgehen werde vom Bundessozialgericht hinsichtlich der Nettokaltmiete akzeptiert. Im Gegensatz zu den durchdachten Konzepten zu den Unterkunftskosten in den jeweiligen Kommunen seien die Werte der Wohngeldtabelle bundesweit einheitlich und in keiner Weise statistisch auf ihre Angemessenheit und die tatsächliche Verfügbarkeit von Wohnraum zu diesen Beträgen überprüft. Damit sei eine Nachbesserung erfolgt.
Auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2025 hat der Vertreter des Beklagten erklärt, dass die Nachbesserung durch die Firma empirica erfolgt sei. Auf welchen Wert der drei Tabellen, die im Ergänzungskonzept dargestellt seien, nunmehr abgestellt werden solle, könne er nicht ad hoc sagen. Einen Beschluss etwa des Kreissozialausschusses oder eines anderen Organs des Beklagten habe es im Rahmen der Nachbesserung nicht gegeben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 30. Juni 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führen zur Ergänzungsauswertung aus, dass die Datengrundlage, auf die die Firma empirica für die Ergänzungsauswertung zurückgegriffen habe, nicht ausreichend sei, um den Wohnungsmarkt tatsächlich abzubilden. Für den hier relevanten Vergleichsraum lägen Daten für lediglich 143 Wohnungen vor. Dass empirica aufgrund der dünnen Datenbasis die kalten Betriebskosten nunmehr lediglich noch pro Quadratmeter ermittele und auf die jeweils angemessenen Wohnflächen hochrechne, stelle keine sachgerechte Ermittlung, sondern allenfalls eine Schätzung dar. Es würden außerdem lediglich Daten von inserierten Wohnungen berücksichtigt, nicht jedoch solche von Wohnungsunternehmen. Gerade diese vermieteten aber erfahrungsgemäß Wohnungen an Leistungsbezieher und gerade bei diesen Wohnungen seien die kalten Nebenkosten im Vergleich zu privaten Vermietern überdurchschnittlich hoch. Ob in die Auswertung neben Online-Inseraten auch regionale Zeitungsanzeigen eingeflossen seien, könne dem Konzept nicht zuverlässig entnommen werden. Gerade Wohnungsunternehmen inserierten ihre Wohnungen jedoch oft nicht bundesweit online. Schließlich habe der Beklagte nach wie vor nicht die erhobenen Rohdaten offengelegt. Dies sei zwingend erforderlich, um das Konzept zu überprüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.
Sie ist jedoch nicht begründet, da das angegriffene Urteil des Sozialgerichts rechtmäßig ist und den Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin im streitigen Zeitraum die ihr tatsächlich entstandenen Kosten der Unterkunft zu gewähren.
Wegen der Anspruchsvoraussetzungen und der rechtlichen Grundlagen für die Ermittlung der als angemessen anzusehenden Höhe der Kosten der Unterkunft nimmt der Senat nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es im streitigen Zeitraum an einem schlüssigen Konzept des Beklagten, das die Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft zutreffend festlegte, fehlte. Offenbleiben kann dabei vorliegend, ob dem Sozialgericht in seiner Einschätzung zu folgen ist, dass das emprica Konzept 2017 auch hinsichtlich der Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete insgesamt unschlüssig sei. Denn jedenfalls ist die vom Beklagten auf der Grundlage des empirica Konzeptes 2017 zugrundegelegte Gesamtsumme aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten nicht schlüssig ermittelt.
Mit Beschluss des Kreissozialausschusses vom 23. November 2017 hat sich der Beklagte bei der Festlegung der Höhe der Angemessenheitsgrenzen für eine Beurteilung anhand einer Bruttokaltmiete entschieden. Das bedeutet, dass er einen einheitlichen Angemessenheitswert aus der Summe der als angemessen angenommenen Nettokaltmiete und den als angemessen angenommenen kalten Nebenkosten gebildet hat. Die festgelegte Bruttokaltmiete basiert jedoch nicht auf einem schlüssigen Konzept, da die zugrundegelegten kalten Betriebskosten nicht in rechtmäßiger Höhe festgesetzt wurden.
Bei der Ermittlung der als angemessen angesehenen kalten Betriebskosten hat empirica die vom Jobcenter Kreis Segeberg übermittelten Daten zu 5.850 Wohnungen, in denen Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II wohnten, hinsichtlich der Höhe der Nebenkosten ausgewertet. Die ebenfalls an empirica vom Beklagten übermittelten Daten der SGB-XII-Empfänger wurden zwar ausgewertet, da es aber dort unplausible Daten gegeben habe und sich unter Ausschluss dieser unplausiblen Daten die gleichen Nebenkostenhöhen wie aus den SGB-II-Daten ergeben hätten, seien diese Daten ignoriert worden (vgl. Rn. 29, S. 33 des empirica Konzepts 2017). Die Ergebnisse dieser Auswertung wurden von empirica in drei Tabellen dargestellt, aus denen sich je Vergleichsraum und Wohnungsgrößenklassen die Werte ablesen lassen für auffallend hohe und auffallend niedrige sowie die mittleren kalten Nebenkosten (Abb. 26 (b) bis (d), S. 40 des empirica Konzepts 2017). Der Beklagte hat sich dafür entschieden, die mittleren kalten Betriebskosten als Angemessenheitsgrenze festzulegen. Dass der sich aus dem Median ergebene Wert jedoch nicht die angemessenen Kosten abbilden kann, liegt statistisch auf der Hand. Denn da in die Auswertung ausschließlich Wohnungen, die von SGB-II-Beziehern bewohnt wurden, also nur Wohnungen des unteren Standards, eingeflossen sind, bildet die Gesamtzahl aller Daten die Realität im unteren Standard des Wohnungsmarktes ab. Legt man nun den Median hinsichtlich dieser Werte als Angemessenheitsgrenze fest, definiert man die Hälfte aller real im unteren Preissegment anfallenden Nebenkosten als zu hoch. Dies sieht auch das BSG so und führt in seiner Entscheidung vom 17. September 2020 aus:
„Es ist nicht zu beanstanden, für die Ermittlung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten auf Durchschnittswerte von – möglichst lokalen oder regionalen – Erhebungen zu den tatsächlichen Betriebskosten abzustellen (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 34; BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - juris RdNr 29). Auch gegen die Zugrundelegung des Medians ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zur Vermeidung von Zirkelschlüssen setzt die Zugrundelegung von Durchschnittswerten oder des Medians aber voraus, dass sich die Datenerhebung auf den gesamten Wohnungsmarkt des Vergleichsraums und nicht nur auf Wohnungen einfachen Standards mit möglicherweise geringeren kalten Betriebskosten oder gar nur auf Wohnungen von Beziehern von Grundsicherungsleistungen bezieht. Werden nur solche Wohnungen als Datengrundlage herangezogen und wird von den so erhaltenen Werten nochmals der Durchschnitt gebildet, so errechnet sich ein Angemessenheitswert, der unter dem Wert liegt, der für einen erheblichen Teil der Leistungsempfänger als angemessen akzeptiert wird. Erfassen die zugrunde gelegten Daten nur Wohnungen einfachen Standards ist daher auf die obere Kostengrenze dieses Segments (oberer Spannenwert) abzustellen (so bereits zur Nettokaltmiete BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 21; BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 91/10 R - juris RdNr 24; BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr 51, RdNr 33), wobei sicherzustellen ist, dass Ausreißerwerte außer Betracht bleiben.“
(BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R –, juris Rn. 41).
Dieser Mangel am Konzept zur Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten ist auch nicht durch eine vom Senat mit Beschluss vom 11. September 2024 aufgegebene Nachbesserung im vorliegenden Verfahren geheilt worden.
Zwar hat der Beklagte bei empirica eine Ergänzungsauswertung in Auftrag gegeben und deren Ergebnis im Verfahren übersandt. Allerdings beinhaltet diese Ergänzungsauswertung keine Entscheidung von empirica, auf welche der aufgrund der neuerlichen Datenauswertung erstellten Tabellen zu den kalten Betriebskosten (auffallend niedrige, mittlere und auffallend hohe) im Rahmen der Nachbesserung abgestellt werden solle. Vielmehr führt empirica in der Ergänzungsauswertung zu Recht aus, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine politische handele, die von den hierfür zuständigen Stellen zu treffen sei. Auch im Ursprungskonzept 2017 war diese Entscheidung nicht von empirica, sondern vom Kreissozialausschuss in seiner Sitzung vom 23. November 2017 getroffen worden.
Die Entscheidung des Kreissozialausschusses könnte jedoch auch nicht durch eine Datenauswertung einer privaten Firma ersetzt oder korrigiert werden. Um eine demokratisch legitimierte Entscheidung des Beklagten zu ändern, bedürfte es einer entsprechenden Entscheidung eines hierfür legitimierten Organs des Beklagten. Eine solche liegt nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2025 nicht vor. Er konnte auf Nachfrage auch nicht mitteilen, auf welche der Tabellen zu den kalten Betriebskosten sich der Beklagte im Rahmen der geforderten Nachbesserung stützen wolle. Aufgrund der bereits verstrichenen zur Nachbesserung gesetzten Frist zum 31. Dezember 2024 war für den Senat diesbezüglich auch kein weiteres Zuwarten oder eine Nachfristsetzung erforderlich.
Soweit sich aus den Ausführungen des Beklagten in seinem im Verfahren L 9 SO 33/20 übersandten Schriftsatz vom 21. Februar 2025 möglicherweise implizit die Aussage ablesen lassen könnte, dass der Beklagte auch im Rahmen der Nachbesserung am Konzept der Festlegung einer Bruttokaltmiete festhalten und weiterhin auf die nunmehr anhand der neu erfolgten Datenauswertung ermittelten mittleren kalten Betriebskosten abstellen wolle, kann hierin aus den dargestellten verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Gründen keine wirksame Nachbesserung gesehen werden.
Der Senat hätte jedoch auch erhebliche Bedenken, dass das empirica Ergänzungskonzept einer inhaltlichen Prüfung hätte standhalten können. Denn die Datengrundlage von lediglich 143 Inseraten über einen 2-Jahreszeitraum für den maßgeblichen Vergleichsraum V – Bad Segeberg – ist zur Festlegung der angemessenen kalten Betriebskosten wenig aussagekräftig. Es ist zweifelhaft, ob sich angesichts der sehr wenigen eingeflossenen Inserate daraus verlässliche Beträge ableiten lassen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für die ursprüngliche Auswertung demgegenüber deutlich mehr, nämlich 726 Wohnungen aller Grundsicherungsempfänger im Vergleichsraum V-Bad Segeberg (s. Seite 34 des empirica Konzeptes 2017) ausgewertet wurden.
Wie sich aus Abb. 51 des empirica Konzepts 2017(Seite 70) ergibt und worauf empirica auch nochmals in ihrer Ergänzungsauswertung hinweist, reichten die Daten aus den öffentlich inserierten Wohnungsanzeigen nicht aus, um alle Wohnungsgrößenklassen bei einer statistisch angenommenen Mindestanzahl von 100 Datensätzen abzudecken. Daher hat empirica in der Ergänzungsauswertung, in der sie auf eben diese in der Ursprungsauswertung nicht berücksichtigten Daten zurückgegriffen hat, lediglich einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis ermittelt und diesen auf die jeweils angemessenen Wohnungsgrößen hochgerechnet. Hieraus ergeben sich naturgemäß Verzerrungen, weil die Nebenkosten nicht gleichmäßig pro Quadratmeter, sondern teilweise auch wohnungsbezogen anfallen.
Eine solche Verzerrung lässt sich beispielhaft konkret belegen, indem man die untere Tabelle der Abb. 51 auf Seite 70 des empirica Konzepts 2017 mit der Abb. 11b auf Seite 19 der Ergänzungsauswertung vergleicht:
Für die Wohnungsgrößenklasse „um 60 qm“ für den Vergleichsraum IV – Ost werden im empirica Konzept 2017 aufgrund der Auswertung von 119 öffentlich inserierten Wohnungsangeboten 110,00 EUR durchschnittliche kalte Nebenkosten (Median) angegeben. Aufgrund der Auswertung derselben Daten aus der empirica Preisdatenbank, allerdings unter Hochrechnung des gemittelten Quadratmeterpreises von 1,30 EUR, ergeben sich ausweislich der Abb. 11b der Ergänzungsauswertung für 60 qm große Wohnungen mittlere kalte Nebenkosten von lediglich 78,00 EUR, gerundet 80,00 EUR. Auch einige andere Werte der beiden Tabellen, soweit die geringe Datenlage eine Auswertung in der unteren Tabelle zu Abb. 51 überhaupt ermöglichte, weichen teilweise deutlich von den hochgerechneten Werten der Tabelle 11b der Ergänzungsauswertung ab. Es ist daher davon auszugehen, dass die eingeschränkte Datengrundlage aus der empirica Preisdatenbank, aufgrund derer sich empirica im Konzept 2017 nachvollziehbar gegen eine Auswertung dieser Daten entschieden und daher stattdessen für die kalten Betriebskosten auf die vom Jobcenter zur Verfügung gestellten Bestandsdaten der SGB-II-Bedarfsgemeinschaften abgestellt hatte, die geforderte Nachbesserung des Konzeptes tatsächlich nicht zulässt. Die Hilfsberechnung von empirica über die Hochrechnung des gemittelten Quadratmeterpreises liefert keine der Realität entsprechenden Beträge.
Mangels eines schlüssigen Konzepts des Beklagten sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der der Senat ebenfalls in ständiger Rechtsprechung folgt, die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen, allerdings nur bis zu einer Grenze, die sich aus den Werten der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) ergibt. Dabei ist – wie das Sozialgericht zu Recht angenommen hat – auf den Höchstbetrag zurückzugreifen und ein Sicherheitszuschlag zum jeweiligen Tabellenwert von 10 % hinzuzurechnen (vgl. BSG, Urteile vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris Rn. 25; vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R, juris Rn. 25 und vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R, juris Rn. 27 jeweils m.w.N.). Daraus ergibt sich für den streitigen Zeitraum bei einem Einpersonenhaushalt und der Mietenstufe IV (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung (WoGV) in der ab dem 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) ein maximal angemessener Betrag für die Bruttokaltmiete in Höhe von 434,00 EUR zuzüglich des Sicherheitszuschlages in Höhe von 43,40 EUR, mithin insgesamt von477,40 EUR monatlich. Dieser Betrag liegt höher als die tatsächliche Bruttokaltmiete der Klägerin in Höhe von monatlich 465,00 EUR. Dementsprechend hat der Beklagte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft der Klägerin im streitigen Zeitraum im vollen Umfang zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.