L 9 SO 33/20

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 37 SO 71/20
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 33/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ist die Höhe der als angemessen angesehenen kalten Betriebskosten nicht schlüssig ermittelt, ist die vom Kreis zugrunde gelegte Bruttokaltmiete insgesamt als unschlüssig anzusehen, ohne dass es auf die Überprüfung der Schlüssigkeit der Nettokaltmiete ankommt.

Werden nur die Daten von Wohnungen einfachen Standards berücksichtigt, kann für die Festlegung der angemessenen Nebenkosten nicht auf den Median dieser Werte zurückgegriffen werden (Anschluss an BSG, Urteil vom 17. September 2020 B 4 AS 22/20 R).

Das mit der Konzepterstellung beauftragte Privatunternehmen kann lediglich die Grundlagen für eine mögliche Nachbesserung des Konzepts ermitteln. Die Entscheidung des Kreissozialausschusses über das bisherige schlüssige Konzept kann nur durch den Kreis selbst abgeändert werden.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte erstattet den Klägern auch ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten der Anspruch der Kläger gegen den Beklagten auf weitere Kosten der Unterkunft im Rahmen ihres Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) im Zeitraum Januar 2018 bis November 2019.

Der 1938 geborene Kläger zu 1) und die 1949 geborene Klägerin zu 2) sind verheiratet und beziehen bei dem Beklagten seit mehreren Jahren aufstockend zu ihrer Altersrente Leistungen der Grundsicherung im Alter nach Vierten Kapitel des SGB XII. Zum 15. Mai 2014 zogen die Kläger ohne Zustimmung des damals für die Leistungserbringung zuständigen Jobcenters in eine Doppelhaushälfte im Amt B zu einer Bruttokaltmiete i.H.v. monatlich 450,00 EUR (350,00 EUR Nettokaltmiete zzgl. 100,00 EUR Nebenkosten) bis zum 31. Mai 2018 und seit dem 1. Juni 2018 i.H.v. monatlich 485,00 EUR (385,00 EUR Nettokaltmiete zzgl. weiterhin 100,00 EUR Nebenkosten).

Mit Bescheid vom 28. August 2019 bewilligte der Beklagte auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger Leistungen für den Zeitraum von September 2019 bis August 2020 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe einer Bruttokaltmiete von 430,00 EUR monatlich zzgl. Heizkosten.

Die Festlegung der Angemessenheitsgrenzen basierte dabei auf einem Konzept der Firma empirica AG (empirica) mit dem Titel „Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII im Kreis Segeberg nach einem schlüssigen Konzept, Erstauswertung 2017“ (empirica Konzept 2017). In diesem Konzept ermittelte empirica die als angemessen angesehenen Nettokaltmieten im Kreisgebiet des Beklagten für sechs Vergleichsräume differenziert nach jeweils als angemessen angesehenen Wohnungsgrößenklassen für Ein- bis Fünfpersonenhaushalte. Die Festlegung der angemessenen Nettokalt­mieten nahm empirica auf der Grundlage von Angebotsmieten öffentlich inserierter Wohnungen und anhand von Daten von örtlichen Wohnungsunternehmen vor und sah nach einer Festlegung des Beklagten das 33-%-Perzentil – das preislich gesehen untere Drittel der angebotenen Wohnungen – jeweils als angemessen an. Für die Ermittlung der angemessenen Wohnnebenkosten griff empirica demgegenüber auf Daten von vermieteten Wohnungen zurück. Dabei flossen in die Auswertung nur Wohnungen mit ein, die im Kreisgebiet des Beklagten von Bedarfsgemeinschaften bewohnt wurden, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Jobcenter erhielten. Die Basis war ein Datenbestand von 5.850 Wohnungen, die eine Auswertung differenziert nach den sechs Vergleichsräumen und allen Wohnungsgrößenklassen ermöglichte. Auf die für die Nettokaltmiete herangezogenen Wohnungsinserate griff empirica nicht zurück, da in den Inseraten nur zu einem geringen Anteil die Nebenkosten differenziert nach kalten Betriebskosten und Heizkosten ausgewiesen waren, so dass sich dabei ein deutlich geringerer Datenbestand ergeben hätte, der aufgrund des von empirica angesetzten Standards von mindestens 100 auswertbaren Daten keine Differenzierung nach Vergleichsräumen und verschiedenen Wohnungsgrößenklassen mehr zugelassen hätte. Nach der Auswertung der von SGB II-Leistungs­beziehern bewohnten Wohnungen ermittelte empirica in drei Tabellen die Werte der jeweils auffällig niedrigen, mittleren und auffällig hohen kalten Betriebskosten je Vergleichsraum und Wohnungsgrößenklasse. Wegen der Einzelheiten wird auf das empirica Konzept 2017 verwiesen.

Die von den Klägern bewohnte Doppelhaushälfte befand sich im Vergleichsraum IV – Ost – des empirica Konzeptes 2017.

In seiner Sitzung vom 23. November 2017 befasste sich der Kreissozialausschuss des Beklagten mit dem empirica Konzept 2017 und legte die Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 SGB II und § 35 Abs. 1 SGB XII ab dem 1. Dezember 2017 auf der Grundlage dieses Konzepts als Bruttokaltmiete je Vergleichsraum und je Wohnungsgrößenklasse fest. Die als angemessen angesehene Bruttokaltmiete ergab sich jeweils aus der Summe der von empirica ermittelten angemessenen Nettokaltmiete und den ermittelten mittleren kalten Betriebskosten.

Gegen den Bescheid vom 28. August 2019 legten die Kläger am 24. September 2019 Widerspruch mit der Begründung ein, der Beklagte habe bei dem Leistungsanspruch fälschlich die Unterkunftskosten nicht in ihrer tatsächlichen Höhe zugrunde gelegt.

Ergänzend beantragten sie die Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide ab Januar 2018 im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft.

Ab dem Monat Dezember 2019 gewährte der Beklagte den Klägern ihre tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft, da er ab diesem Zeitpunkt im gesamten Kreisgebiet Leistungen für Unterkunftskosten auf der Grundlage der Tabelle nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. eines Zuschlags von 10 % gewährte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2020 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. August 2019 als unzulässig zurück und führte hierzu aus, der angefochtene Bescheid enthalte bzgl. der Kosten der Unterkunft keine Regelung. Ihre Kürzung sei vielmehr bestandskräftig bereits seit dem Umzug in die derzeitige Wohnung während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II erfolgt. Die Kürzung der Kosten der Unterkunft sei seither in diversen Weitergewährungs- und Änderungsbescheiden berücksichtigt worden. Der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids beschränke sich auf die Weitergewährung der Leistungen ab dem 1. September 2019. Die Leistungshöhe der Unterkunftskosten habe sich dabei nicht verändert.

Den Überprüfungsantrag der Kläger lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 2019 ebenfalls ab. Nach dem aktuellen Stand habe noch kein Gericht entschieden, dass die anhand des schlüssigen Konzepts der Firma empirica ermittelten Angemessenheitsgrenzen bedenklich seien. Es habe lediglich eine Entscheidung in einem Eilverfahren gegeben, in dem eine summarische Prüfung vorgenommen worden sei. Das zugehörige Hauptsacheverfahren sei noch nicht abgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 3. Januar 2022 ebenfalls Widerspruch ein und führten zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Mietobergrenzen unzutreffend ermittelt worden seien. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gegenüber einem Jobcenter Zweifel an der Schlüssigkeit der empirica Konzepte geäußert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 2020 wies der Beklagte auch diesen Widerspruch unter Bezugnahme auf die Gründe des Ausgangsbescheids als unbegründet zurück. Überdies sei der Überprüfungsantrag schon zu unbestimmt. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse jeder einzelne Bescheid, dessen Überprüfung begehrt werde, benannt werden.

Gegen die Bescheide vom 28. August 2019 und 23. Dezember 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 31. März 2020 haben die Kläger jeweils am 8. April 2020 Klage erhoben. Die beiden Klagen hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 9. Oktober 2020 verbunden.

Zur Begründung ihrer Klagen haben die Kläger vorgetragen, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. So handele es sich bei dem Bescheid vom 28. August 2019 zunächst nicht um einen Änderungs- und auch nicht um einen bloßen Weiterbewilligungsbescheid. Es sei ein neuer Antrag gestellt und hierüber auch vollständig entschieden worden. Selbstverständlich sei in diesem Zusammenhang auch ein Widerspruch zulässig. Der Fall, dass während eines Bewilligungszeitraums ein Änderungsbescheid ergehe, der bzgl. eines Streitgegenstands keine neue Entscheidung treffe, liege nicht vor. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass eine einmal getroffene Entscheidung nicht abgeändert werden könne. Dies gelte umso mehr, als im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seit Dezember 2019 neue Mietobergrenzen gelten würden. Zudem werde darauf hingewiesen, dass das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) bereits im Zuge einer Eilentscheidung erhebliche Zweifel an dem für diesen Zeitraum geltenden schlüssigen Konzept des Beklagten geäußert habe. Auch das BSG habe, wie schon im Widerspruch ausgeführt, Bedenken an der Schlüssigkeit der empirica Konzepte, so dass auch der Überprüfungsantrag berechtigt gewesen sei.

Die Kläger haben beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 28. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. März 2020 sowie der Änderungsbescheide vom 19. Dezember 2019 und 28. April 2020 und aller weiteren für den streiterheblichen Zeitraum ergangenen Änderungsbescheide und unter Aufhebung des Bescheids vom 23. Dezember 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 31. März 2020 sowie unter Abänderung aller Leistungsbescheide für die Zeit ab Januar 2018 zu verurteilen, den Klägern auch in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 30. November 2019 Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er Bezug auf die Ausführungen in seinen Widerspruchsbescheiden genommen und im Hinblick auf die Schlüssigkeit des streiterheblichen empirica Konzepts 2017 ergänzend ausgeführt, zwischen dem 10. und 50. Perzentil könne eine sinnvolle Abgrenzung des Wohnungsstandards diskutiert und argumentiert werden. Wichtig sei, vor Ort zu prüfen, zu welcher Wohnqualität bei welchem Perzentil konkret Wohnungen angemietet werden könnten. Eine entsprechende Plausibilitätsprüfung sei im Konzept durchgeführt worden. Auch in der Rechtsprechung sei das 33-%-Perzentil zur Festlegung einfachen Wohnstandards bereits bestätigt worden. Sodann sei für die Ermittlung der angemessenen Mietobergrenze die Mietverteilung aller Wohnungsangebote einer Wohnungsgrößenklasse von einfach bis luxuriös berücksichtigt und insbesondere in Abb. 10 auf Seite 18 des Konzepts ausgewiesen worden, welchen Wohnstandard ein Mieter zu welchem Mietpreis erhalte. Dass keine Nachfrageanalyse durchgeführt worden sei, sei unerheblich. In der Regel erfolge dies durch Erhebung und Gegenüberstellung der vorhandenen Wohnungsangebote mit den vorhandenen Haushalten. Dies sei jedoch nicht aussagekräftig, weil sich daraus keine Schlüsse ziehen ließen, wie viele Haushalte tatsächlich umziehen wollten und welche Wohnungen dann nachgefragt würden. Ungeachtet dessen habe sie implizit stattgefunden. Da im streiterheblichen Konzept die aktuelle Marktmiete für jede Wohnungsgröße in jedem Vergleichsraum zugrunde gelegt werde, sei die Information, wie viele Haushalte in welchem Wohnungsmarkt derzeit eine Wohnung suchten und wie dies im Vergleich zum aktuellen Angebot zu bewerten sei, bereits enthalten. Ferner widerspreche die Ermittlung der Mietobergrenzen von Wohnungen ab 95 m² nicht den Vorgaben des BSG. Lediglich als Hilfsmittel zur Plausibilisierung des sich aus der kleinen Stichprobe ergebenden Werts seien dabei auch die Werte größerer Wohnungen bzw. aus den Umkreisgemeinden herangezogen worden. Schließlich sei es nicht zu beanstanden, dass das Konzept zur Ermittlung der Mietobergrenze ausschließlich Angebotsmieten berücksichtige. Bei Bestands­mieten handele es sich in der Regel um veraltete Werte. Bei ihrer Einbeziehung würden die Angemessenheitsgrenzen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sinken, was nicht den Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt und der angespannten Wohnungsmarktlage entspreche.

Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 12. Oktober 2020 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide dazu verurteilt, den Klägern auch in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 30. November 2019 Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel SGB XII unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:

„Die vom Beklagten in den angefochtenen Bescheiden angenommene Angemessenheitsgrenze von EUR 430,00 zzgl. – unstreitiger – Heizkosten ist unzutreffend bestimmt.

 

Der Begriff der „Angemessenheit“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle. Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft sind zunächst die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln. Angemessen ist eine Wohnung nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (BSG, Urteil vom 11.12.2012 – Az. B 4 AS 44/12, juris, Rn 13 mwN). Dabei bestimmt nicht ein einzelner Faktor die Angemessenheit oder Unangemessenheit einer Wohnung; es sind vielmehr im Rahmen der sogenannten Produkttheorie alle maßgeblichen Faktoren insoweit zu berücksichtigen, dass ihr Produkt als angemessen angesehen werden kann. Dabei kann somit eine zu große Wohnung dennoch angemessen sein, wenn ihr Quadratmeterpreis entsprechend niedriger ist. Genauso ist eine Wohnung mit einem – isoliert betrachtet – zu hohen Quadratmetermietzins dann angemessen, wenn sie entsprechend kleiner ist. Einzelne Ausstattungs- oder Qualitätsmerkmale wie z.B. das Baujahr stellen im Hinblick auf die Produkttheorie des BSG kein zulässiges Unterscheidungskriterium dar (BSG, Urteil vom 19.02.2009 – Az. B 4 AS 30/08 R, juris). Aus der Produkttheorie folgt, dass das im Ergebnis einzig entscheidende Kriterium der Angemessenheit einer Wohnung der Mietzins im Hinblick auf die Bruttokaltmiete ist. Insofern stellt das BSG entscheidend darauf ab, dass die einzelnen wertbildenden Faktoren wie Lage, Ausstattung, Größe aber auch Alter der Wohnung frei variabel bleiben sollen, solange im Ergebnis dasselbe Produkt, die angemessene Miete, herauskommt. Maßgeblich ist nach der Produkttheorie des BSG lediglich, dass sich im Ergebnis die finanzielle Belastung des Leistungsträgers im Rahmen der Angemessenheit bewegt. Diese Grenze errechnet sich nach der o.g. Rechtsprechung des BSG aus dem Produkt von angemessenem Mietzins je Quadratmeter und angemessener Wohnungsgröße.

 

Hinsichtlich der Wohnungsgröße ist auf die für Wohnungsberechtigte im sozialen Wohnungsbau anerkannte Wohnungsgröße abzustellen (§ 5 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz in Verbindung mit den jeweiligen landesrechtlichen Durchführungsbestimmungen). Für Schleswig-Holstein ergibt dies für einen Zwei-Personen-Haushalt nach der Verwaltungsvorschrift zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung eine angemessene Wohnfläche von maximal 60 m² (Verwaltungsbestimmungen zum Schleswig-Holsteinischen Wohnraumförderungsgesetz -VB-SHWoFG- vom 22.08.2012, Ziffer 3.2.2. Absatz 1, Amtsbl. SH 2012, 790). Dieser Wert ist nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dabei nicht als Höchstwert, sondern vielmehr als Richtwert für die Ermittlung der abstrakten Mietobergrenze anzusetzen (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – Az. B 7b AS 10/06 R, juris, Rn 24 sowie Az. B 7b AS 18/06 R, juris, Rn 19 mwN; BSG, Urteil vom 19.02.2009, juris, Rn 15 mwN). Nach dieser Rechtsprechung soll es nämlich dem Leistungsberechtigten freistehen, eine größere Wohnung unter Verzicht auf Qualität genauso anzumieten, wie eine kleinere mit einem Zugewinn an Ausstattungsqualität.

 

Insofern ist hinsichtlich der Bestimmung des ausschlaggebenden Referenzwertes zu berücksichtigen, dass dem Leistungsberechtigten grundsätzlich nur ein einfacher und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Das bedeutet zwar nicht, dass der Hilfesuchende auf die allerniedrigste Stufe des Wohnraums zu verweisen ist, eine Bemessung der Angemessenheitsgrenze nach unter dem Durchschnitt liegenden Wohnraum ist aber in jedem Fall zulässig. Dabei ist nämlich auch zu beachten, dass Bezieher von staatlichen Sozialleistungen nicht bessergestellt werden können und sollen als Erwerbstätige mit geringem Einkommen, das nur knapp oberhalb der Grenze der Hilfebedürftigkeit liegt. Dieser Personenkreis unternimmt regelmäßig erhebliche Anstrengungen zur Senkung der Unterkunftskosten, um den für den sonstigen Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einkommensanteil zu erhöhen. Das BSG hält insoweit eine Verweisung auf das untere, aber nicht das unterste Segment des Wohnungsmarktes für angebracht.

 

In Bezug auf die Ermittlung des angemessenen Quadratmeterpreises ist auf eine eigene, nach einem schlüssigen Konzept vorgenommene und auf mathematisch-statistischen Kriterien beruhende und ausgewertete Beobachtung des lokalen Wohnungsmarktes zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – Az. B 4 AS 18/09 R, juris, Ls. 1 und Rn 19; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – Az. B 4 AS 50/09 R, juris, Rn 21, 23; BSG, Urteil vom 10.09.2013 – Az. B 4 AS 77/12, juris, Rn 28 mwN).

 

Ein Konzept ist nach dieser Rechtsprechung ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall.

 

Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – Az. B 4 AS 18/09 R, juris, Ls. 1 und Rn 19; BSG, Urteil vom 10.09.2013 – Az. B 4 AS 77/12, juris, Rn 28 mwN):

 

  • die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung);
  • es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen – Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete <Vergleichbarkeit>, Differenzierung nach Wohnungsgröße;
  • Angaben über den Beobachtungszeitraum;
  • Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel);
  • Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten;
  • Validität der Datenerhebung;
  • Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung sowie
  • Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

 

Diesen Kriterien genügt die vom Beklagten nach der „Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II und § 35 SGB XII im Kreis Segeberg nach einem schlüssigen Konzept, Erstauswertung 2017“ der Firma empirica angesetzte Mietobergrenze von 430,00 Euro in mehrfacher Hinsicht nicht.

 

Dabei lässt die erkennende Kammer dahinstehen, ob das Konzept insbesondere in Ansehung der Vorgaben des § 22c Abs. 1 S. 3 SGB II auch vor dem Hintergrund, dass es ausschließlich Angebotsmieten in die Analyse einschließt, unschlüssig ist.

 

Vor allem genügt das sogenannte 33%-Perzentil, das Wohnraum aus dem unteren Standard definieren und das eigentliche „Konzept“ darstellen soll (so wörtlich im Anhang Ziff. 1.1, S. 46 des Empirica-Konzepts), nicht den oben dargestellten Anforderungen für die Ermittlung einer angemessenen Mietobergrenze.

Zum Hintergrund der Entscheidung für dieses Perzentil heißt es lediglich, dass der Sozialausschuss des Kreises Segeberg als unteres Wohnmarktsegment das untere Drittel der verfügbaren Wohnungen definiert habe (Ziff. 3.1.3 des Empirica-Konzepts).

 

Vollkommen zutreffend sind im vorliegenden Fall jedoch zunächst schon die eigenen Ausführungen von Empirica, dass es bei der Festlegung des Wohnungsmarktsegments, zu dem Bedarfsgemeinschaften Zugang haben sollen, kein Richtig oder Falsch gebe, sondern dass es sich hierbei um die Beantwortung der sozialpolitischen Frage danach handle, welchen Wohnstandard der Sozialstaat Hilfebedürftigen finanzieren wolle und könne (Ziff. 3.1.3 des Empirica-Konzepts, S. 12). In der Praxis werde als unteres Wohnungsmarktsegment häufig das sogenannte untere Drittel angesetzt. Aber auch Abgrenzungen z. B. beim unteren Fünftel oder unteren Viertel seien denkbar (Ziff. 3.1.3 des Empirica-Konzepts, S. 12). Entsprechend führt auch der Beklagte aus, zwischen dem 10 und 50. Perzentil könne eine sinnvolle Abgrenzung des Wohnungsstandards diskutiert und argumentiert werden, was im Empirica-Konzept im Übrigen gerade nicht erfolgt.

 

Eine statistische Ableitung für die Festlegung des einfachen Wohnungsstandards gibt es folglich nicht.

 

Auch genügt für eine nachvollziehbare Definition nicht allein die Tatsache, dass „häufig“ (Ziff. 3.1.3 des Empirica-Konzepts, S. 12) das 33%-Quantil für eine sachgerechte Abbildung des einfachen Standards gewählt werde (Sozialgericht -SG- Hannover, Urteil vom 22.01.2015 – Az. S 70 AS 5581/14, juris, Rn 58 mwN) bzw. es „naheliegend“ sein soll, dass innerhalb des unteren Drittels hinreichend Wohnungen vorhanden sind (so die von dem Beklagten zitierte Entscheidung des Sozialgerichts -SG- Osnabrück). Die von dem Beklagten zitierte Rechtsprechung u.a. des LSG Nordrhein-Westfalen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.12.2019 – Az. L 7 AS 1764/18, juris) führt zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet dessen, dass jedenfalls in der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (aaO, Rn 37) Überlegungen zur Rechtfertigung des 33%-Perzentils anhand der Bevölkerungsstruktur angestellt werden, die im Empirica-Konzept und auch in der Entscheidung des SG Osnabrück vollständig fehlen, vermag die erkennende Kammer dem hieraus gezogenen Schluss nicht zu folgen. Regionale Besonderheiten und Eigenarten verschiedener Wohnungsgrößenklassen – beispielsweise eine auch aus anderen Konzepten bekannte besonders große Nachfrage im Bereich kleiner Wohnungen (dazu auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.06.2018 – Az. L 4 AS 9/14, juris, Ls. 3 und Rn 100) – finden keine Berücksichtigung. Statistisch oder anderweitg abgesichert ist das Perzentil damit ebenfalls nicht.

 

Sodann können im vorliegenden Fall auch nicht die Tatsachen des lokalen Wohnungsmarkts die angewendete Kappungsgrenze belastbar machen. Durch einen Mietspiegel, wie er beispielsweise für die Stadt Norderstedt vorliegt, ist die Grenze von 33% nicht belegt. Ferner ist auch anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht feststellbar, zu welchen Anteilen jeweils Wohnungen des einfachen und gehobenen (sowie ggf. weiterer) Wohnstandards (z. B. „Luxuswohnungen“, dazu Ziff. 1.1. des Empirica-Konzepts, S. 46) in die Datengrundlage eingeflossen sind, woher diese Daten für den vorliegend maßgeblichen Wohnungsmarkt stammen (z. B. welche regionalen Zeitungen ausgewertet wurden) und mithin ob sie den gesamten relevanten Wohnungsmarkt – nicht nur den gesamten bei Empirica vorliegenden Datenbestand – erfassen.

 

In tatsächlicher Hinsicht fehlt es dem Konzept außerdem vollständig an einer Auseinandersetzung mit der Wohnqualität im Hinblick auf eine Definition des einfachen Standards. Stattdessen wird festgestellt, dass eine Auflistung aller Wohnwertmerkmale in allen denkbaren Kombinationen nicht möglich sei und zudem zu regional unterschiedlichen Ergebnissen führe (Ziff. 3.1.3, S. 12 des Empirica-Konzepts). Eine Anknüpfung an Mietspiegel z. B. der Stadt Norderstedt, die sich hiermit auseinandersetzen, wird nicht erwogen. Abb. 10 auf Seite 18 lassen sich lediglich vier Beispielangebote für Wohnungen entnehmen, ohne dass hieraus, namentlich aus ihrer Lage und Ausstattung, weitere Schlüsse für die Definition des einfachen Standards gezogen werden. Die erkennende Kammer schließt sich in diesem Zusammenhang insbesondere den Ausführungen des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 03.04.2014 – Az. L 7 AS 786/11, juris) und dort vor allem den folgenden Erwägungen (Rn 61 f.) an:

 

Die zugrundeliegende Annahme, dass Wohnungen einfachen Standards tatsächlich zutreffend abgebildet werden, setzt voraus, dass tatsächlich der gesamte Wohnungsmarkt erfasst wurde, was – wie oben dargelegt – der Senat nicht nachvollziehen kann. Es setzt weiter voraus, dass eine gleichmäßige Durchmischung der Datensätze mit Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards vorliegt. Hierauf können keine Rückschlüsse gezogen werden, weil eine Definition des einfachen Standards gerade unterblieben ist. In Abhängigkeit der jeweiligen – nicht zu identifizierenden – Anteile verschiebt sich dann nämlich der so ermittelte Quadratmeterpreis. Dass die hier gezogene Kappungsgrenze bei 33% der pro Wohnungsgrößenklasse aus den Angebotsmieten ermittelten Werte liegt, setzt voraus, dass eine Verteilung der Wohnungen einfachen, mittleren und gehobenen Standards vorliegt, die genau diese Grenze rechtfertigt.

 

Sodann kommt vorliegend erschwerend hinzu, dass es an der für eine Plausibilisierung der Kappungsgrenze notwendigen Nachfrageanalyse fehlt. Eine Nachfrageanalyse ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch weder mangels Aussagekraft entbehrlich, noch hinreichend bereits in dem Umstand enthalten, dass das empirica-Konzept ausschließlich Angebotsmieten in die Analyse einbezieht. Auch aus letzteren folgt ein Ist-Wert, der keine Informationen über zukünftige Entwicklungen enthält und aus dem sich auch nicht ableiten lässt, wie sich die Nachfragesituation in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten (einfach, mittel, gehoben, luxuriös) verhält, mithin welcher Faktor entscheidend für eine bestimmte Entwicklung ist. Demgegenüber erlaubt eine sorgfältig durchgeführte Nachfrageanalyse eine empirische Untersuchung der Kausalbeziehungen zwischen einer manifesten Nachfrage und den sie bestimmenden Fakto­ren mit dem Ziel insbesondere der Ableitung von Prognosen über künftige Entwicklungen der Nachfrage. Zumindest näherungsweise lässt sich damit auch ohne Kenntnis der (in der Tat kaum zu erhebenden) Umzugsbereitschaft bestimmen, wie sich die Nachfragesituation darstellt und voraussichtlich entwickeln wird, und ob mithin in Fällen wie dem vorliegenden der Verweis einer bestimmten Bevölkerungsgruppe auf einen Wohnungsmarktanteil in Höhe eines bestimmten Perzentils mutmaßlich ausreichend ist.

 

Für Wohnungen von ca. 95 m² im Vergleichsraum Segeberg wird ferner nicht einmal dem 33%-Perzentil gefolgt, sondern aufgrund einer relativ geringen Anzahl an verfügbaren Wohnungen dieser Größe im „Erhebungszeitraum“ lediglich ein Näherungswert ermittelt. im Hierzu bestimmt Empirica zunächst das 33%-Perzentil der zu kleinen Stichprobe und ermittelt ergänzend einen ersten Näherungswert durch Einbeziehung etwas größerer Wohnungen und einen zweiten durch Analyse des Mietniveaus in Nachbarkommunen. Weil das 33%-Perzentil der zu kleinen Stichprobe in der Mitte dieser beiden Näherungswerte liegt, bestimmt Empirica als Richtwert für ca. 95 m² große Wohnungen das arithmetische Mittel der beiden Vergleichswerte. Im Ergebnis entspricht der so ermittelte Näherungswert nach Rundung vorliegend zwar (zufällig) dem aus der zu kleinen Stichgruppe folgenden Wert. Gleichwohl begegnet dieses Vorgehen Bedenken. Mit der Errechnung des arithmetischen Mittels aus Werten außerhalb des Vergleichsraums widerspricht es den Vorgaben des BSG, wonach die Analyse strikt auf den jeweiligen Vergleichsraum zu beschränken ist. Darüber hinaus dürften die Daten zu den Wohnungen nicht zufällig fehlen, sondern in Abhängigkeit von der Variable „Wohnungsgröße“ selbst (data missing not at random). Auch statistisch dürfte deshalb die von Empirica vorgenommene Imputation von Werten zumindest rechtfertigungsbedürftig sein.

 

Nicht zuletzt angesichts des Umstands, dass es sich laut Empirica bei der Festlegung des einfachen Wohnstandards, vorliegend also des 33%-Perzentils, letztlich um das eigentliche Konzept handele (dazu schon oben), ist eine mathematisch-statistisch saubere Herleitung zwingend, vorliegend jedoch nicht erfüllt.

 

Schließlich ist anhand des Datenmaterials sodann auch die im Hinblick auf das Ziel der Vermeidung einer Ghettobildung wichtige Verteilung der Wohnungen im jeweiligen Vergleichsraum nicht nachvollziehbar. 

 

Inwieweit tatsächlich Wohnraum zu der vom Beklagten angesetzten Mietobergrenze verfügbar ist – so die von dem Beklagten in Bezug genommene Plausibilitätsprüfung von Empirica insbesondere unter Ziff. 3.4 des Konzepts –, ist unerheblich. Nach der Rechtsprechung des BSG kann das erforderliche schlüssige Konzept nämlich nicht durch eine solche „Gegenprobe“ ersetzt werden. Dies stellt eine unzulässige Vermischung der Bestimmung der abstrakten Referenzmiete, also der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, mit der Feststellung der Voraussetzungen der Durchführung von Kostensenkungsmaßnahmen im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, dar (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – Az. B 4 AS 50/09 R, juris, Rn 22). Vielmehr muss auf Grundlage von (selbst) erhobenen Daten – ein schlüssiges Konzept bei der Erhebung vorausgesetzt – auf mathematisch-statistischem Weg eine abstrakt angemessene Bruttokaltmiete errechnet werden.

 

Die Kammer sieht sich vorliegend nicht veranlasst, eigene Ermittlungen zu einem schlüssigen Konzept anzustellen und eine eigene Mietobergrenze zu ermitteln.

 

Insoweit ist es zunächst Angelegenheit des Grundsicherungsträgers, für seinen Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten sind. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit von ihm vorzulegen. Entscheidet der Leistungsträger ohne eine hinreichende bzw. aufgrund einer fehlerhaft ausgewerteten Datengrundlage, führt dies zwar nicht ohne Weiteres dazu, dass automatisch die Leistungen für Unterkunftskosten in tatsächlich entstehender Höhe zu übernehmen wären. Vielmehr wäre die Verwaltung im Rahmen ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und auf Verlangen des Gerichts eine ggf. unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind, nur dann im Rahmen der Amtsermittlungspflicht auf das Gericht über, wenn das notwendige Datenmaterial zur Bestimmung einer Mietobergrenze vorliegt (BSG, Urteil vom 10.09.2013 – Az. B 4 AS 77/ 12 R, juris, Rn 25).

 

Danach war das Gericht hier nicht gehalten, von Amts wegen eine eigene Mietobergrenze für den streitgegenständlichen Zeitraum zu ermitteln. Nachdem der Beklagte eine Nachbesserung des für den streiterheblichen Zeitraum maßgeblichen Konzepts schon im Zuge eines Parallelverfahrens abgelehnt und auch keine weiteren Unterlagen vorgelegt hat bzw. Daten zur konkreten Nachfragesituation überhaupt nicht erhoben worden und angesichts des Zeitablaufs auch nicht nachholbar sind, liegen dem Gericht keine ausreichenden Daten vor, anhand derer eine solche Ermittlung möglich gewesen wäre.

 

Die Kammer geht deshalb von der Anwendbarkeit der Tabellenwerte zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) aus. Dabei ist auf die rechte Spalte zurückzugreifen, wobei ein „Sicherheitszuschlag“ zum jeweiligen Tabellenwert als erforderlich angesehen wird (BSG, Urteil vom 12.12.2013 – Az. B 4 AS 87/12 R, juris, Rn 25-28; BSG, Urteil vom 17.12.2009 – Az. B 4 AS 50/09 R, juris, Rn 27 mwN). Daraus ergibt sich hier bei einem 2-Personen-Haushalt und der Mietenstufe III ein maximal angemessener Betrag für die Bruttokaltmiete in Höhe von EUR 473,00 zuzüglich des Sicherheitszuschlages in Höhe von EUR 47,30, mithin insgesamt von EUR 520,30 monatlich, der von der tatsächlichen Bruttokaltmiete der Kläger in Höhe von monatlich EUR 450,00 bis zum 31.05.2018 bzw. EUR 485,00 monatlich ab dem 01.06.2018 unterschritten wird.

 

Vor diesem Hintergrund ist auch der Überprüfungsantrag der Kläger unzutreffend mit Bescheid vom 23.12.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2020 abgelehnt worden.

 

Rechtsgrundlage ist insoweit § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. So liegt der Fall unter Bezugnahme auf die obenstehenden Ausführungen auch hier.

 

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Überprüfungsantrag auch nicht zu unbestimmt. Nur aufgrund fehlender Bezeichnung der im Einzelnen im Wege des zu korrigierenden Bewilligungsbescheide mangelt es nicht schon an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Überprüfungsantrag, ohne den eine inhaltliche Prüfverpflichtung des Grundsicherungsträgers von vornherein entfallen würde, wenn der Umfang des Prüfauftrages für den Grundsicherungsträger aufgrund des Vortrages des Antragstellers erkennbar ist (BSG, Urteil vom 12.10.2016 – Az. B 4 AS 37/15 R, juris, Rn 14). Hiervon ausgehend ist durch die Angabe des Überprüfungszeitraums und des zweifelsfrei erkennbaren Überprüfungsbegehrens (Kosten der Unterkunft) vorliegend noch mit ausreichender Sicherheit der Umfang des Prüfauftrags erkennbar.“

 

Gegen dieses dem Beklagten am 11. November 2020 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung, die am 20. November 2020 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist.

Der Beklagte macht zur Begründung ergänzend geltend, dass der Kreissozialausschuss das 33 %-Perzentil aus dem Konzept der Firma empirica in seiner Sitzung vom 23. November 2017 genehmigt habe. Diese Grenze sei auch in der Rechtsprechung allgemein anerkannt. Es sei sichergestellt, dass genügend Wohnraum vorhanden sei. Der Wohnungsstandard sei von empirica erhoben worden, soweit Ausstattungsmerkmale im Anzeigetext erwähnt worden seien. Die Datengrundlage sei von empirica belegt worden. Da Angebotsmieten zur Grundlage gemacht worden seien, sei eine Nachfrageanalyse obsolet und würde im Übrigen auch kein belastbares Ergebnis liefern. Außerdem werde als zusätzliches Korrektiv in jedem Einzelfall geprüft, ob auch tatsächlich Wohnraum vorhanden sei. Dass im Falle von Wohnungen ab 95 qm auf die Nachbarkommunen zurückgegriffen worden sei, habe lediglich der Plausibilisierung des Werts bei einer zu kleinen Stichprobe gedient. Eine Nachbesserung hinsichtlich der kalten Betriebskosten sei möglich. Allerdings seien im Rahmen der Ermittlung der kalten Betriebskosten lediglich die Wohnungen berücksichtigt worden, in denen Bedarfsgemeinschaften wohnten. Diese Daten seien vom Jobcenter zur Verfügung gestellt worden. Bevor eine Nachbesserung jedoch vorgenommen werde, möge der Senat aus verwaltungsökonomischen Gründen darüber entscheiden, ob das Konzept im Übrigen schlüssig sei. Werde das übrige Konzept als schlüssig angesehen, erfolge die Nachbesserung in Form der Neufestlegung der angemessenen kalten Betriebskosten.

Die Kläger halten das Urteil des Sozialgerichts demgegenüber für zutreffend. Ergänzend machen sie geltend, dass es nicht ausreichend sei, lediglich Angebotsmieten zu berücksichtigen. Die Qualitätsunterschiede der Wohnungen seien laut Seite 17 des empirica Konzepts 2017 gerade nicht erhoben worden. Auf sie sei lediglich aufgrund der Preisunterschiede geschlossen worden. Es werde nicht angegeben, woraus sich die Preisdatenbank konkret speise. Es werde nicht definiert, was als einfacher Standard angesehen werde. Es sei keine Nachfrageanalyse durchgeführt worden. Insbesondere seien in jedem Fall die kalten Betriebskosten nicht rechtmäßig ermittelt worden. Das BSG habe am 17. September 2020 (B 4 AS 22/20 R) entschieden, dass entweder alle Wohnungen eines Vergleichsraums in die Ermittlung der kalten Betriebskosten einzubeziehen seien oder aber bei einer Einbeziehung nur des einfachen Standards der obere Spannenwert heranzuziehen sei. Im vorliegenden Fall seien jedoch lediglich die Wohnungen einfachen Standards eingeflossen und es seien die mittleren kalten Betriebskosten zur Grundlage der Angemessenheitsgrenze gemacht worden. Allein deshalb sei das Konzept nicht schlüssig.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2024, in der das Verfahren mit dem Parallelverfahren L 9 SO 38/21 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden worden war, hat der Senat folgenden Auflagenbeschluss erlassen:

1. Dem Beklagten wird aufgegeben, das schlüssige Konzept zur Angemessenheitsgrenze für die Kosten der Unterkunft im jeweils streitigen Zeitraum im Hinblick auf die im Konzept zugrunde gelegten kalten Betriebskosten vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R – Rn. 41 nachzubessern.

2. Hierfür wird eine Frist gesetzt bis zum 31. Dezember 2024.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2024 hat der Beklagte eine Ergänzung zum empirica Konzept 2017 der Firma empirica (Ergänzungsauswertung) eingereicht.

Hierin legt empirica dar, dass Daten zu in öffentlichen Inseraten ersichtlichen kalten Betriebskosten aus der Ersterhebung vorlägen. Allerdings würden nicht in allen Mietwohnungsinseraten Angaben zur Höhe der Nebenkostenabschläge insbesondere differenziert nach kalten und warmen Nebenkosten gemacht. Daher seien die Fallzahlen bei der Auswertung von inserierten Nebenkosten deutlich niedriger als bei der Auswertung der inserierten Nettokaltmieten. Aus diesem Grund würden die Einzeldaten zu Nebenkosten in der Ergänzungsauswertung nicht auch noch nach verschiedenen Wohnungsgrößen ausgewertet, sondern ein einheitlicher Quadratmeterpreis ermittelt, der erst anschließend mit der angemessenen Wohnfläche multipliziert werde. Es hätten für das Kreisgebiet des Beklagten für ca. 2.800 Mietwohnungen Angaben zu den monatlichen kalten Nebenkosten vorgelegen. Davon seien 202 Wohnungen auf den Vergleichsraum IV – Ost – entfallen. Aus einer Auswertung dieser Daten ermittelte empirica wie schon in der Erstauswertung drei Tabellen, in denen jeweils die auffallend niedrigen, mittleren und auffallend hohen kalten Nebenkosten je Vergleichsraum und nunmehr hochgerechnet auf die unterschiedlichen als angemessen angesehenen Wohnungsgrößen ausgewiesen werden. Eine Entscheidung dafür, auf welche dieser Tabellen für die Festlegung der angemessenen kalten Betriebskosten zurückgegriffen werden solle, trifft empirica nicht. Vielmehr führt sie aus, dass die eigentliche Beurteilung der Angemessenheit keine statistische, sondern eine sozialpolitische Frage und daher von der reinen Datenanalyse zu trennen sei. Ob nur mittlere oder auch höhere Nebenkosten staatlicherseits übernommen werden sollten, müsse der Sozialstaat (Gesetzgeber, Leistungsträger, Sozialgerichte) festlegen. Empirica stellt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Prüfschemata dar und gibt wie bereits im Konzept 2017 eine Empfehlung für eine 3-Komponentenprüfung (getrennte Angemessenheitsgrenzen für Nettokaltmieten, kalte Betriebskosten und Heizkosten), dergemäß die kalten Nebenkosten der Höhe nach nur überprüft werden sollten, sofern sie auffallend hoch seien, also den oberen Schwellenwert überstiegen.

 

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 21. Februar 2025 dazu ausgeführt: Da für eine Auswertung für jeden Vergleichsraum und getrennt nach den verschiedenen Wohnungsgrößen die Fallzahlen zu gering gewesen seien, seien in der Ergänzungsauswertung die Nebenkosten je Quadratmeter über alle Wohnungsgrößen gemeinsam ausgewertet und anhand der angemessenen Wohnungsgröße multipliziert worden. Da die Ergebnisse der Höhe nach ähnlich seien wie in der Berechnung in der Erstauswertung (Abb. 51), in der die Daten nach Wohnungsgrößen getrennt ausgewiesen seien, werde dadurch die Richtigkeit beider Auswertungen bestätigt. Die Daten seien allerdings seinerzeit nicht in die Auswertung eingeflossen, weil die Fallzahlen unterhalb des Richtwertes von 100 gelegen hätten und daher ausgeklammert worden seien. Die für die Ergänzungsauswertung herangezogenen 202 Wohnungsinserate bildeten den Wohnungsmarkt hinreichend ab und seien für eine valide Datenerhebung mehr als ausreichend. Eine Hochrechnung von quadratmeterbezogenen kalten Betriebskosten werde beispielsweise auch im Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes vorgenommen, was von Sozialgerichten akzeptiert werde. Es gebe auch Konzepte zur Herleitung von Angemessenheitsgrenzen, die grundsätzlich auch für die Nettokaltmiete angemessene Quadratmeter-Höchstwerte ermittelten und diesen Wert dann mit der Wohnfläche multiplizierten. Dieses Vorgehen werde vom Bundessozialgericht hinsichtlich der Nettokaltmiete akzeptiert. Im Gegensatz zu den durchdachten Konzepten zu den Unterkunftskosten in den jeweiligen Kommunen seien die Werte der Wohngeldtabelle bundesweit einheitlich und in keiner Weise statistisch auf ihre Angemessenheit und die tatsächliche Verfügbarkeit von Wohnraum zu diesen Beträgen überprüft. Damit sei eine Nachbesserung erfolgt.

Auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2025 hat der Vertreter des Beklagten erklärt, dass die Nachbesserung durch die Firma empirica erfolgt sei. Auf welchen Wert der drei Tabellen, die im Ergänzungskonzept dargestellt seien, nunmehr abgestellt werden solle, könne er nicht ad hoc sagen. Einen Beschluss etwa des Kreissozialausschusses oder eines anderen Organs des Beklagten habe es im Rahmen der Nachbesserung nicht gegeben.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2020 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führen zur Ergänzungsauswertung aus, dass die Datengrundlage, auf die die Firma empirica für die Ergänzungsauswertung zurückgegriffen habe, nicht ausreichend sei, um den Wohnungsmarkt tatsächlich abzubilden. Für den hier relevanten Vergleichsraum lägen Daten für lediglich 202 Wohnungen vor. Dass empirica aufgrund der dünnen Datenbasis die kalten Betriebskosten nunmehr lediglich noch pro Quadratmeter ermittele und auf die jeweils angemessenen Wohnflächen hochrechne, stelle keine sachgerechte Ermittlung, sondern allenfalls eine Schätzung dar. Es würden außerdem lediglich Daten von inserierten Wohnungen berücksichtigt, nicht jedoch solche von Wohnungsunternehmen. Gerade diese vermieteten aber erfahrungsgemäß Wohnungen an Leistungsbezieher und gerade bei diesen Wohnungen seien die kalten Nebenkosten im Vergleich zu privaten Vermietern überdurchschnittlich hoch. Ob in die Auswertung neben Online-Inseraten auch regionale Zeitungsanzeigen eingeflossen seien, könne dem Konzept nicht zuverlässig entnommen werden. Gerade Wohnungsunternehmen inserierten ihre Wohnungen jedoch oft nicht bundesweit online. Schließlich habe der Beklagte nach wie vor nicht die erhobenen Rohdaten offengelegt. Dies sei zwingend erforderlich, um das Konzept zu überprüfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden.

Sie ist jedoch nicht begründet, da das angegriffene Urteil des Sozialgerichts rechtmäßig ist und den Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den Klägern im streitigen Zeitraum die ihnen tatsächlich entstandenen Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Wegen der Anspruchsvoraussetzungen und der rechtlichen Grundlagen für die Ermittlung der als angemessen anzusehenden Höhe der Kosten der Unterkunft nimmt der Senat nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug.

Zu Recht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es im streitigen Zeitraum an einem schlüssigen Konzept des Beklagten, das die Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft zutreffend festlegte, fehlte. Offenbleiben kann dabei vorliegend, ob dem Sozialgericht in seiner Einschätzung zu folgen ist, dass das emprica Konzept 2017 auch hinsichtlich der Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete insgesamt unschlüssig sei. Denn jedenfalls ist die vom Beklagten auf der Grundlage des empirica Konzeptes 2017 zugrundegelegte Gesamtsumme aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten nicht schlüssig ermittelt.

Mit Beschluss des Kreissozialausschusses vom 23. November 2017 hat sich der Beklagte bei der Festlegung der Höhe der Angemessenheitsgrenzen für eine Beurteilung anhand einer Bruttokaltmiete entschieden. Das bedeutet, dass er einen einheitlichen Angemessenheitswert aus der Summe der als angemessen angenommenen Nettokaltmiete und den als angemessen angenommenen kalten Nebenkosten gebildet hat. Die festgelegte Bruttokaltmiete basiert jedoch nicht auf einem schlüssigen Konzept, da die zugrundegelegten kalten Betriebskosten nicht in rechtmäßiger Höhe festgesetzt wurden.

Bei der Ermittlung der als angemessen angesehenen kalten Betriebskosten hat empirica die vom Jobcenter Kreis Segeberg übermittelten Daten zu 5.850 Wohnungen, in denen Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II wohnten, hinsichtlich der Höhe der Nebenkosten ausgewertet. Die ebenfalls an empirica vom Beklagten übermittelten Daten der SGB-XII-Empfänger wurden zwar ausgewertet, da es aber dort unplausible Daten gegeben habe und sich unter Ausschluss dieser unplausiblen Daten die gleichen Nebenkostenhöhen wie aus den SGB-II-Daten ergeben hätten, seien diese Daten ignoriert worden (vgl. Rn. 29, S. 33 des empirica Konzepts 2017). Die Ergebnisse dieser Auswertung wurden von empirica in drei Tabellen dargestellt, aus denen sich je Vergleichsraum und Wohnungsgrößenklassen die Werte ablesen lassen für auffallend hohe und auffallend niedrige sowie die mittleren kalten Nebenkosten (Abb. 26 (b) bis (d), S. 40 des empirica Konzepts 2017). Der Beklagte hat sich dafür entschieden, die mittleren kalten Betriebskosten als Angemessenheitsgrenze festzulegen. Dass der sich aus dem Median ergebene Wert jedoch nicht die angemessenen Kosten abbilden kann, liegt statistisch auf der Hand. Denn da in die Auswertung ausschließlich Wohnungen, die von SGB-II-Beziehern bewohnt wurden, also nur Wohnungen des unteren Standards, eingeflossen sind, bildet die Gesamtzahl aller Daten die Realität im unteren Standard des Wohnungsmarktes ab. Legt man nun den Median hinsichtlich dieser Werte als Angemessenheitsgrenze fest, definiert man die Hälfte aller real im unteren Preissegment anfallenden Nebenkosten als zu hoch. Dies sieht auch das BSG so und führt in seiner Entscheidung vom 17. September 2020 aus:

„Es ist nicht zu beanstanden, für die Ermittlung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten auf Durchschnittswerte von – möglichst lokalen oder regionalen – Erhebungen zu den tatsächlichen Betriebskosten abzustellen (BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 34; BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - juris RdNr 29). Auch gegen die Zugrundelegung des Medians ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zur Vermeidung von Zirkelschlüssen setzt die Zugrundelegung von Durchschnittswerten oder des Medians aber voraus, dass sich die Datenerhebung auf den gesamten Wohnungsmarkt des Vergleichsraums und nicht nur auf Wohnungen einfachen Standards mit möglicherweise geringeren kalten Betriebskosten oder gar nur auf Wohnungen von Beziehern von Grundsicherungsleistungen bezieht. Werden nur solche Wohnungen als Datengrundlage herangezogen und wird von den so erhaltenen Werten nochmals der Durchschnitt gebildet, so errechnet sich ein Angemessenheitswert, der unter dem Wert liegt, der für einen erheblichen Teil der Leistungsempfänger als angemessen akzeptiert wird. Erfassen die zugrunde gelegten Daten nur Wohnungen einfachen Standards ist daher auf die obere Kostengrenze dieses Segments (oberer Spannenwert) abzustellen (so bereits zur Nettokaltmiete BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 21; BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 91/10 R - juris RdNr 24; BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - BSGE 110, 52 = SozR 4-4200 § 22 Nr 51, RdNr 33), wobei sicherzustellen ist, dass Ausreißerwerte außer Betracht bleiben.“

(BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R –, juris Rn. 41).

Dieser Mangel am Konzept zur Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten ist auch nicht durch eine vom Senat mit Beschluss vom 11. September 2024 aufgegebene Nachbesserung im vorliegenden Verfahren geheilt worden.

Zwar hat der Beklagte bei empirica eine Ergänzungsauswertung in Auftrag gegeben und deren Ergebnis im Verfahren übersandt. Allerdings beinhaltet diese Ergänzungsauswertung keine Entscheidung von empirica, auf welche der aufgrund der neuerlichen Datenauswertung erstellten Tabellen zu den kalten Betriebskosten (auffallend niedrige, mittlere und auffallend hohe) im Rahmen der Nachbesserung abgestellt werden solle. Vielmehr führt empirica in der Ergänzungsauswertung zu Recht aus, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine politische handele, die von den hierfür zuständigen Stellen zu treffen sei. Auch im Ursprungskonzept 2017 war diese Entscheidung nicht von empirica, sondern vom Kreissozialausschuss in seiner Sitzung vom 23. November 2017 getroffen worden.

Die Entscheidung des Kreissozialausschusses könnte jedoch auch nicht durch eine Datenauswertung einer privaten Firma ersetzt oder korrigiert werden. Um eine demokratisch legitimierte Entscheidung des Beklagten zu ändern, bedürfte es einer entsprechenden Entscheidung eines hierfür legitimierten Organs des Beklagten. Eine solche liegt nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2025 nicht vor. Er konnte auf Nachfrage auch nicht mitteilen, auf welche der Tabellen zu den kalten Betriebskosten sich der Beklagte im Rahmen der geforderten Nachbesserung stützen wolle. Aufgrund der bereits verstrichenen zur Nachbesserung gesetzten Frist zum 31. Dezember 2024 war für den Senat diesbezüglich auch kein weiteres Zuwarten oder eine Nachfristsetzung erforderlich.

Soweit sich aus den Ausführungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 21. Februar 2025 möglicherweise implizit die Aussage ablesen lassen könnte, dass der Beklagte auch im Rahmen der Nachbesserung am Konzept der Festlegung einer Bruttokaltmiete festhalten wolle und weiterhin auf die nunmehr anhand der neu erfolgten Datenauswertung ermittelten mittleren kalten Betriebskosten abstellen wolle, kann hierin aus den dargestellten verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Gründen keine wirksame Nachbesserung gesehen werden.

Der Senat hätte jedoch auch erhebliche Bedenken, dass das empirica Ergänzungskonzept einer inhaltlichen Prüfung hätte standhalten können. Denn die Datengrundlage von lediglich 202 Inseraten über einen 2-Jahreszeitraum für den maßgeblichen Vergleichsraum IV – Ost – ist zur Festlegung der angemessenen kalten Betriebskosten wenig aussagekräftig. Es ist zweifelhaft, ob sich angesichts der sehr wenigen eingeflossenen Inserate daraus verlässliche Beträge ableiten lassen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass für die ursprüngliche Auswertung demgegenüber deutlich mehr, nämlich 1.302 Wohnungen aller Grundsicherungsempfänger im Vergleichsraum IV-Ost (s. Seite 34 des empirica Konzeptes 2017) ausgewertet wurden.

Wie sich aus Abb. 51 des empirica Konzepts 2017 (Seite 70) ergibt und worauf empirica auch nochmals in ihrer Ergänzungsauswertung hinweist, reichten die Daten aus den öffentlich inserierten Wohnungsanzeigen nicht aus, um alle Wohnungsgrößenklassen bei einer statistisch angenommenen Mindestanzahl von 100 Datensätzen abzudecken. Daher hat empirica in der Ergänzungsauswertung, in der sie auf eben diese in der Ursprungsauswertung nicht berücksichtigten Daten zurückgegriffen hat, lediglich einen durchschnittlichen Quadratmeterpreis ermittelt und diesen auf die jeweils angemessenen Wohnungsgrößen hochgerechnet. Hieraus ergeben sich naturgemäß Verzerrungen, weil die Nebenkosten nicht gleichmäßig pro Quadratmeter, sondern teilweise auch wohnungsbezogen anfallen.

Eine solche Verzerrung lässt sich beispielhaft konkret belegen, indem man die untere Tabelle der Abb. 51 auf Seite 70 des empirica Konzepts 2017 mit der Abb.
11b auf Seite 19 der Ergänzungsauswertung vergleicht:

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Für die Wohnungsgrößenklasse „um 60 qm“ für den Vergleichsraum IV – Ost – werden im empirica Konzept 2017 aufgrund der Auswertung von 119 öffentlich inserierten Wohnungsangeboten 110,00 EUR durchschnittliche kalte Nebenkosten (Median) angegeben. Aufgrund der Auswertung derselben Daten aus der empirica Preisdatenbank, allerdings unter Hochrechnung des gemittelten Quadratmeterpreises von 1,30 EUR, ergeben sich ausweislich der Abb. 11b der Ergänzungsauswertung für 60 qm große Wohnungen mittlere kalte Nebenkosten von lediglich 78,00 EUR, gerundet 80,00 EUR. Auch einige andere Werte der beiden Tabellen, soweit die geringe Datenlage eine Auswertung in der unteren Tabelle zu Abb. 51 überhaupt ermöglichte, weichen teilweise deutlich von den hochgerechneten Werten der Tabelle 11b der Ergänzungsauswertung ab. Es ist daher davon auszugehen, dass die eingeschränkte Datengrundlage aus der empirica Preisdatenbank, aufgrund derer sich empirica im Konzept 2017 nachvollziehbar gegen eine Auswertung dieser Daten entschieden und daher stattdessen für die kalten Betriebskosten auf die vom Jobcenter zur Verfügung gestellten Bestandsdaten der SGB-II-Bedarfsgemeinschaften abgestellt hatte, die geforderte Nachbesserung des Konzeptes tatsächlich nicht zulässt. Die Hilfsberechnung von empirica über die Hochrechnung des gemittelten Quadratmeterpreises liefert keine der Realität entsprechenden Beträge.

Mangels eines schlüssigen Konzepts des Beklagten sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der der Senat ebenfalls in ständiger Rechtsprechung folgt, die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen, allerdings nur bis zu einer Grenze, die sich aus den Werten der Tabelle zu § 12 WoGG ergibt. Dabei ist – wie das Sozialgericht zu Recht angenommen hat – auf den Höchstbetrag zurückzugreifen und ein Sicherheitszuschlag zum jeweiligen Tabellenwert von 10 % hinzuzurechnen (vgl. BSG, Urteile vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris Rn. 25; vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R, juris Rn. 25 und vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 50/09 R, juris Rn. 27 jeweils m.w.N.). Daraus ergibt sich für den streitigen Zeitraum bei einem Zweipersonenhaushalt und der Mietenstufe III (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung (WoGV) in der ab dem 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) ein maximal angemessener Betrag für die Bruttokaltmiete in Höhe von 473,00 EUR zuzüglich des Sicherheitszuschlages in Höhe von 47,30 EUR, mithin insgesamt von 520,30 EUR monatlich. Dieser Betrag liegt höher als die tatsächliche Bruttokaltmiete der Kläger in Höhe von monatlich 450,00 EUR bis zum 31. Mai 2018 bzw. 485,00 EUR ab dem 1. Juni 2018. Dementsprechend hat der Beklagte die tatsächlichen Kosten der Unterkunft der Kläger im streitigen Zeitraum im vollen Umfang zu übernehmen.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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