L 4 KR 196/23 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 196/23 KL
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Auch der Schiedsstelle nach § 134 Abs. 2 SGB V ist ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt, der nur eingeschränkter gerichtlicher Prüfung unterliegt.

2. Die Wahl eines andeutungsweise erläuterten und nachvollziehbaren Modells zur Ermittlung des Vergütungsbetrags für eine digitale Gesundheitsanwendung ist vom Entscheidungsspielraum der Schiedsstelle gedeckt. Dass andere Modelle u.U. mehr Überzeugungskraft und Plausibilität aufweisen, ist nicht entscheidungserheblich.

3. Da die Schiedsstelle keinen konkreten Rechenweg für die Herleitung des von ihr festgesetzten Vergütungsbetrags offenlegen muss, sind ihr ggf. unterlaufene Rechenfehler hinzunehmen.

4. Der weite Entscheidungsspielraum der Schiedsstelle hat im Hinblick auf eine geltend gemachte Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zur Folge, dass gerichtlich nur eine Willkürprüfung stattfindet. 

5. Die Höhe des tatsächlichen Vergütungsbetrags bei Abgabe an Selbstzahler (§ 139 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 SGB V) – der sog. Selbstzahlerpreis – kann, muss aber nicht in die Ermittlung des Vergütungsbetrags einfließen.

6. Mit der Aufnahme einer digitalen Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis nach § 139e SGB V entscheidet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für alle Beteiligten des GKV-Systems verbindlich (nur) über das Vorliegen positiver Versorgungseffekte. Das Ausmaß festgestellter positiver Versorgungseffekte beurteilen demgegenüber (nur) die Partner der Vergütungsbetragsvereinbarung nach § 134 Abs. 1 SGB V bzw. die Schiedsstelle nach § 134 Abs. 2 SGB V.

7. Die Regelung zu Ausgleichsansprüchen der Krankenkassen gegenüber Herstellern digitaler Gesundheitsanwendungen für den Fall, dass  die endgültige Aufnahme in das Verzeichnis nach § 139e SGB V abgelehnt und die zur Erprobung vorläufig aufgenommene digitale Gesundheitsanwendung aus dem Verzeichnis gestrichen wird (§ 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 der Rahmenvereinbarung nach § 134 Abs. 4 SGB V), ist rechtmäßig. Diese Regelung ist entsprechend anzuwenden, wenn die endgültige Aufnahme in das Verzeichnis mit einem engeren Anwendungsbereich als bei der Aufnahme zur Erprobung erfolgt.

8. Die eine Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen auslösenden Akteure der gesetzlichen Krankenversicherung – die verordnenden vertragsärztlichen Leistungserbringer bzw. die genehmigenden Krankenkassen (vgl. § 33a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V) – können die in Betracht kommenden Indikationen nicht den Bescheiden des BfArM über die (vorläufige oder endgültige) Aufnahme in das Verzeichnis entnehmen, da diese nicht ihnen, sondern nur dem jeweiligen Hersteller bekannt gegeben werden. Für Informationen über die jeweiligen Indikationen sind diese Akteure einerseits auf die Angaben des BfArM im (nur elektronisch zugänglichen) Verzeichnis angewiesen und andererseits an sie gebunden.

9. Eine Teilanfechtung bzw. -aufhebung eines Schiedsspruchs ist zulässig, wenn zwischen dem angefochtenen bzw. aufgehobenen Teil und den verbleibenden Regelungen kein Zusammenhang besteht, der eine isolierte Aufhebung ausschließt.

10. Beteiligte eines Schiedsverfahrens sind mit der Rüge von präkludiert, wenn die Rüge nicht bereits im Schiedsverfahren erhoben wurde, obwohl ihnen die hierfür maßgeblichen Umstände damals schon bekannt waren.

11. Es bleibt offen, ob die Frage, wer zu den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von DiGA zählt, inzident im Rahmen eines Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit eines von der Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbetrags geklärt werden kann.

12. Im Streit um die Rechtmäßigkeit eines durch die Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbetrags für eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) entfällt das Rechtschutzbedürfnis nicht, wenn aus dem Schiedsspruch resultierende Forderungen von Krankenkassen Teil eines den DiGA-Hersteller betreffenden, gerichtlich bestätigten Insolvenzplans sind, aber unbekannt ist, ob alle Krankenkassen ihre diesbezüglichen Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben.

13. Im Streit um die Rechtmäßigkeit eines durch die Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbetrags lässt die Möglichkeit zur Kündigung einer Vergütungsvereinbarung das Rechtsschutzbedürfnis des DiGA-Herstellers für die Zukunft nicht entfallen, wenn der Spitzenverband Bund der Krankenkassen keine Zusage für einen höheren Vergütungsbetrag gegeben hat.
 

1. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2023 wird hinsichtlich seiner Ziffer 4 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, insoweit unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 80 % und die Beklagte 20 %. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

 

3. Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der beklagten Schiedsstelle nach § 134 Abs. 3 SGB V, mit dem der Vergütungsbetrag für eine von der Klägerin hergestellte, für den Einsatz bei Adipositas vorgesehene digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) – „“ (im Folgenden: Y) – festgesetzt wurde.

 

Durch das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) führte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 19. Dezember 2019 einen in § 33a Abs. 1 Satz 1 SGB V (hier und im Folgenden in der bis zum 25. März 2024 geltenden Fassung) geregelten Anspruch für Versicherte auf Versorgung mit DiGA ein. Dies sind nach der Legaldefinition in § 33a Abs. 1 SGB V Medizinprodukte niedriger Risikoklasse, deren Hauptfunktion wesentlich auf digitalen Technologien beruht und die dazu bestimmt sind, bei den Versicherten oder in der Versorgung durch Leistungserbringer die Erkennung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder die Erkennung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen zu unterstützen. Der Anspruch umfasst gemäß § 33a Abs. 1 Satz 2 SGB V nur solche DiGA, die

1. vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in das Verzeichnis für DiGA nach § 139e SGB V aufgenommen wurden und

2. entweder nach Verordnung des behandelnden Arztes oder des behandelnden Psychotherapeuten oder mit Genehmigung der Krankenkasse angewendet werden.

Näheres zur Versorgung mit DiGA ergibt sich aus § 33a Abs. 3 und 4 SGB V.

 

Die Aufnahme in das vom BfArM geführte und im Internet zu veröffentlichende (§ 139e Abs. 1 SGB V) Verzeichnis erstattungsfähiger DiGA nach § 33a SGB V (im Folgenden vereinfachend: Verzeichnis; vgl. https://diga.bfarm.de) erfolgt gemäß § 139e Abs. 2 Satz 1 SGB V (hier und im Folgenden in der bis zum 25. März 2024 geltenden Fassung) auf elektronischen Antrag des Herstellers bei dieser Behörde. Der Hersteller hat dem Antrag Nachweise darüber beizufügen, dass die DiGA

1.  den Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität einschließlich der Interoperabilität des Medizinproduktes entspricht,

2.  den Anforderungen an den Datenschutz entspricht und die Datensicherheit nach dem Stand der Technik gewährleistet und

3.  positive Versorgungseffekte aufweist (§ 139e Abs. 2 Satz 2 SGB V).

Ein positiver Versorgungseffekt in diesem Sinne ist entweder ein medizinischer Nutzen oder eine patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung in der Versorgung. Der Hersteller hat die nach Absatz 8 Satz 1 veröffentlichten Antragsformulare für seinen Antrag zu verwenden (§ 139e Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB V).

Das BfArM entscheidet über den Antrag des Herstellers innerhalb von drei Monaten nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen durch Bescheid. Die Entscheidung umfasst auch die Bestimmung der ärztlichen Leistungen, der Leistungen der Heilmittelerbringer oder der Leistungen der Hebammenhilfe, die jeweils zur Versorgung mit der jeweiligen DiGA erforderlich sind, sowie die Bestimmung der Daten aus Hilfsmitteln und Implantaten, die nach § 374a SGB V von der DiGA verarbeitet werden (§ 139e Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V).

Ist dem Hersteller der Nachweis positiver Versorgungseffekte nach § 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB V noch nicht möglich, kann er nach § 139e Abs. 4 Satz 1 SGB V auch beantragen, dass die DiGA für bis zu zwölf Monate in das Verzeichnis zur Erprobung aufgenommen wird. In diesem Fall hat das BfArM im Bescheid nach § 139e Abs. 3 Satz 1 SGB V den Hersteller zum Nachweis der positiven Versorgungseffekte zu verpflichten und das Nähere zu den entsprechenden erforderlichen Nachweisen, einschließlich der zur Erprobung erforderlichen ärztlichen Leistungen oder der Leistungen der Heilmittelerbringer oder der Hebammen, zu bestimmen. Nach § 139e Abs. 4 Sätze 5 bis 7 SGB V hat der Hersteller dem BfArM spätestens nach Ablauf des Erprobungszeitraums die Nachweise für positive Versorgungseffekte der erprobten DiGA vorzulegen. Das BfArM entscheidet über die endgültige Aufnahme der erprobten DiGA innerhalb von drei Monaten nach Eingang der vollständigen Nachweise durch Bescheid. Sind positive Versorgungseffekte nicht hinreichend belegt, besteht aber aufgrund der vorgelegten Erprobungsergebnisse eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer späteren Nachweisführung, kann das BfArM den Zeitraum der vorläufigen Aufnahme in das Verzeichnis zur Erprobung um bis zu zwölf Monate verlängern.

§ 139e Abs. 9 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 und 7, Satz 2 SGB V ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit, durch Rechtsverordnung u.a. das Nähere zu regeln zu den Inhalten des Verzeichnisses, den – unter Berücksichtigung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin – nach § 139e Abs. 2 Satz 2 SGB V nachzuweisenden Anforderungen und den nach § 139e Abs. 4 Satz 2 SGB V zu begründenden Versorgungsverbesserungen. Hiervon wurde durch Erlass der Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung - DiGAV) Gebrauch gemacht.

 

Bezüglich der Vergütung von DiGA trifft § 134 SGB V (hier und im Folgenden in der bis zum 25. März 2024 geltenden Fassung) u.a. folgende Regelungen:

 

(1) 1Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbart mit den Herstellern digitaler Gesundheitsanwendungen mit Wirkung für alle Krankenkassen Vergütungsbeträge für digitale Gesundheitsanwendungen. 2Die Vergütungsbeträge gelten nach dem ersten Jahr nach Aufnahme der jeweiligen digitalen Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e unabhängig davon, ob die Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e Absatz 3 dauerhaft oder nach § 139e Absatz 4 zur Erprobung erfolgt. 3Gegenstand der Vereinbarungen sollen auch erfolgsabhängige Preisbestandteile sein. 4Die Hersteller übermitteln dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen

1.  die Nachweise nach § 139e Absatz 2 und die Ergebnisse einer Erprobung nach § 139e Absatz 4 sowie

2. die Angaben zur Höhe des tatsächlichen Vergütungsbetrags bei Abgabe an Selbstzahler und in anderen europäischen Ländern.

5Die Verhandlungen und deren Vorbereitung einschließlich der Beratungsunterlagen und Niederschriften zur Vereinbarung des Vergütungsbetrags sind vertraulich. 6Eine Vereinbarung nach diesem Absatz kann von einer Vertragspartei frühestens nach einem Jahr gekündigt werden. 7Die bisherige Vereinbarung gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

 

(2) 1Kommt eine Vereinbarung nach Absatz 1 nicht innerhalb von neun Monaten nach Aufnahme der jeweiligen digitalen Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen nach § 139e zustande, setzt die Schiedsstelle nach Absatz 3 innerhalb von drei Monaten die Vergütungsbeträge fest. 2Wenn durch eine Verzögerung des Schiedsverfahrens die Festlegung der Vergütungsbeträge durch die Schiedsstelle nicht innerhalb von drei Monaten erfolgt, ist von der Schiedsstelle ein Ausgleich der Differenz zwischen dem Abgabepreis nach Absatz 5 und dem festgesetzten Vergütungsbetrag für den Zeitraum nach Ablauf der drei Monate nach Satz 1 bis zur Festsetzung des Vergütungsbetrags vorzusehen. 3Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Anwendungsgebietes. 4Die Schiedsstelle gibt dem Verband der Privaten Krankenversicherung vor ihrer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme. 5Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend. 6Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstelle haben keine aufschiebende Wirkung. 7Ein Vorverfahren findet nicht statt. 8Frühestens ein Jahr nach Festsetzung der Vergütungsbeträge durch die Schiedsstelle können die Vertragsparteien eine neue Vereinbarung über die Vergütungsbeträge nach Absatz 1 schließen. 9Der Schiedsspruch gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

 

(2a) Wird eine digitale Gesundheitsanwendung nach Abschluss der Erprobung gemäß § 139e Absatz 4 Satz 6 in das Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen aufgenommen, erfolgt die Festsetzung des Vergütungsbetrags für die aufgenommene digitale Gesundheitsanwendung durch die Schiedsstelle abweichend von Absatz 2 Satz 1 innerhalb von drei Monaten nach Ablauf des dritten auf die Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 139e Absatz 4 Satz 6 folgenden Monats, wenn eine Vereinbarung nach Absatz 1 in dieser Zeit nicht zustande gekommen ist.

 

(3) 1Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen auf Bundesebene bilden eine gemeinsame Schiedsstelle. 2Sie besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern sowie aus jeweils zwei Vertretern der Krankenkassen und der Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen. 3Für die unparteiischen Mitglieder sind Stellvertreter zu benennen. 4Über den Vorsitzenden und die zwei weiteren unparteiischen Mitglieder sowie deren Stellvertreter sollen sich die Verbände nach Satz 1 einigen. 5Kommt eine Einigung nicht zustande, erfolgt eine Bestellung des unparteiischen Vorsitzenden, der weiteren unparteiischen Mitglieder und deren Stellvertreter durch das Bundesministerium für Gesundheit, nachdem es den Vertragsparteien eine Frist zur Einigung gesetzt hat und diese Frist abgelaufen ist. 6Die Mitglieder der Schiedsstelle führen ihr Amt als Ehrenamt. 7Sie sind an Weisungen nicht gebunden. 8Jedes Mitglied hat eine Stimme. 9Die Entscheidungen werden mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder getroffen. 1Ergibt sich keine Mehrheit, gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. 11Das Bundesministerium für Gesundheit kann an der Beratung und Beschlussfassung der Schiedsstelle teilnehmen. 12Die Patientenorganisationen nach § 140f können beratend an den Sitzungen der Schiedsstelle teilnehmen. 13Die Schiedsstelle gibt sich eine Geschäftsordnung. 14Über die Geschäftsordnung entscheiden die unparteiischen Mitglieder im Benehmen mit den Verbänden nach Satz 1. 15Die Geschäftsordnung bedarf der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit. 16Die Aufsicht über die Geschäftsführung der Schiedsstelle führt das Bundesministerium für Gesundheit. 17Das Nähere regelt die Rechtsverordnung nach § 139e Absatz 9 Nummer 7.

 

(4) 1Die Verbände nach Absatz 3 Satz 1 treffen eine Rahmenvereinbarung über die Maßstäbe für die Vereinbarungen der Vergütungsbeträge. 2Bei der Rahmenvereinbarung über die Maßstäbe ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit der Nachweis positiver Versorgungseffekte nach § 139e Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 erbracht ist. […]

 

(5) 1Bis zur Festlegung der Vergütungsbeträge nach Absatz 1 gelten die tatsächlichen Preise der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen. 2In der Rahmenvereinbarung nach Absatz 4 ist das Nähere zu der Ermittlung der tatsächlichen Preise der Hersteller zu regeln. […]

 

Nach der klägerischen Darstellung reduzieren Adipositaspatienten mithilfe der DiGA Y durch eine Veränderung ihrer Gewohnheiten in den Bereichen Bewegung, Ernährung sowie Verhalten (z.B. Stressmanagement) kontinuierlich und langfristig ihr Gewicht. Y hat eine empfohlene Mindestnutzungsdauer von sechs Monaten (180 Tage), wobei die Inhalte – entsprechend der empfohlenen Dauer für analoge, multimodale konservative Therapien – auf eine regelmäßige Anwendung über zwölf Monate ausgelegt sind. Die Klägerin vertrieb Y bis zum Erlass des hier angefochtenen Schiedsspruchs für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen – auch für Selbstzahler – zu einem Preis von 499,80 € (einschließlich Umsatzsteuer; ohne diese 420.- €).

 

Auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin nahm das BfArM mit Bescheid vom 19. Oktober 2020 ab dessen Bekanntgabe für 12 Monate – in der Folgezeit durch weitere Bescheide verlängert bis einschließlich 21. August 2022 – Y zur Erprobung in das DiGA-Verzeichnis auf und bestimmte zugleich die zur Erprobung erforderlichen ärztlichen Leistungen anhand von im einzelnen benannten Gebührenordnungspositionen (GOP) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) nach § 87 Abs. 2 SGB V. Außerdem verpflichtete es die Klägerin, innerhalb von 12 Monaten den Nachweis positiver Versorgungseffekte zu erbringen und machte Vorgaben bezüglich der hierzu erforderlichen Studiendokumente. Eine Einschränkung bei der Anwendung von Y auf bestimmte Indikationen oder Diagnosen findet sich im Wortlaut dieses Bescheids nicht.

 

Auf seiner Internetseite veröffentlichte das BfArM daraufhin zur DiGA Y zahlreiche, dem Antrag der Klägerin entsprechende Informationen. In den Rubriken „Medizinische Zweckbestimmung entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. den Werbe- oder Verkaufsangaben“ und „Kurzfassung zum vorliegenden oder geplanten Nachweis des positiven Versorgungseffektes nach PICO-Schema“ findet sich jeweils folgende Beschreibung: „Ziel der Verhaltensänderung ist eine Reduktion der täglichen Kalorienzufuhr durch die Ernährung auf der einen Seite sowie gleichzeitiger Erhöhung des Kalorienbedarfs durch Stärkung des Bewegungsverhaltens, welche im Ergebnis zu einer anhaltenden negativen Kalorienbilanz und somit einem Verlust von Körperfett und einer Gewichtsreduktion führt.“ Ferner finden sich folgen Angaben:

 

Patientengruppe

E66: Adipositas […]

Angaben zur qualitätsgesicherten Anwendung

Ansicht Verzeichnisseite und Ansicht Fachkreise

 

Ausschlusskriterien und Kontraindikationen stellen ein BMI (Body-Mass-Index) von über 40 kg/m2 oder fortgeschrittene körperliche Begleiterkrankungen (entsprechend einer EOSS (Edmonton Obesity Staging System) Stufe 3) (z.B. akute unbehandelte oder instabile psychische Störungen) dar. Weitere Kontraindikationen stellen das Vorliegen sekundärer Adipositasformen (Cushing-Syndrom, Hypothyreose, Prader-Willi-Syndrom, Hypogonadismus u.a.) dar. […]

 

Weitere nicht durch Kontraindikationen abgedeckte Ausschlusskriterien

 

Ansicht Verzeichnisseite und Ansicht Fachkreise

 

• Weitere Kontraindikation bzw. Ausschlusskriterien:

  alle sekundäre Adipositasformen (Cushing-Syndrom, Prader-Willi Syndrom, Hypogonadismus u.a.)

• Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) sofern nicht im Vorfeld medikamentös behandelt.

• Schwangerschaft

• Body-mass-index über 40kg/m2

• Fortgeschrittene Begleiterkrankung der Adipositas (Edmonton Obesity Staging System Stadium 3)

• Zustand nach einer adipositaschirurgischen Operation (Magenbypass, -verkleinerung, -band o.ä.)

• fehlenden Veränderungsressourcen (Bereitschaft und Möglichkeit ihren/seinen Lebensstil anzupassen)

• Körperliche Einschränkungen, die eine mäßige eigenständige, physische Aktivität nicht ermöglichen. […]

 

Angaben zu den vom Hersteller für erforderlich gehaltenen vertragsärztlichen Tätigkeiten für die Nutzung der digitalen Gesundheitsanwendung, sofern zutreffend

Ansicht Verzeichnisseite

Im Rahmen der Verordnung ist ein Ausschluss von Kontraindikationen im Rahmen der Differentialdiagnostik erforderlich, dies beinhaltet auch eine BMI Berechnung. Darüber hinaus ist auch eine Feststellung des Bauchumfangs und Hüftumfang (mit Berechnung der Waist-to-Hip ratio), eine Definition der Behandlungsziele, eine Überprüfung der Veränderungsmotivation sowie die Analyse eines ggf. vorliegenden Medikationsplans erforderlich.

Bei der Erstverordnung erforderlich:

GOP 03000 - Pauschale für (Indikationsstellung (BMI, WHR, Ausschluss Kontraindikation (Check Medikationsplan) ggf. RR-Messung)

GOP 35100 - Motivationsscreening

GOP 03230 - Therapeutisches Gespräch zur Definition der Therapieziele […]

 

 

Ansicht Fachkreise

Bei der Erstverordnung erforderlich:

GOP 03000 - Pauschale für (Indikationsstellung (BMI, WHR, Ausschluss Kontraindikation (Check Medikationsplan) ggf. RR-Messung)

GOP 35100 - Motivationsscreening

GOP 03230 - Therapeutisches Gespräch zur Definition der Therapieziele

Im Rahmen der Verordnung ist ein Ausschluss von Kon-traindikationen im Rahmen der Differentialdiagnostik erforderlich, dies beinhaltet auch eine BMI Berechnung. Darüber hinaus ist auch eine Feststellung des Bauchumfangs und Hüftumfang (mit Berechnung der Waist-to-Hip ratio), eine Definition der Behandlungsziele, eine Überprüfung der Veränderungsmotivation sowie die Analyse eines ggf. vorliegenden Medikationsplans erforderlich. […]

 

 

Mit Bescheid vom 12. August 2022 nahm das BfArM Y für „weibliche Patienten mit den Indikationen gemäß ICD-10-GM E66.00 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad I (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter sowie E66.01 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad II (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter“ in das DiGA-Verzeichnis auf. Als einzige erforderliche vertragsärztliche Leistung im Zusammenhang mit der Nutzung dieser DiGA bestimmte es die Leistung „Verlaufskontrolle, in denen der Behandlungsfortschritt mit Hilfe des von der digitalen Gesundheitsanwendung generierten Reports alle 6 Monate begutachtet wird“, während die „weiteren initial zur Erprobung bestimmten vertragsärztlichen Tätigkeiten“ mit der endgültigen Aufnahme entfielen. Zur Begründung führte das BfArM u.a. aus: „Die Studie mit dem Titel ,Die wissenschaftliche Evaluierung von [Y] - einem ganzheitlichen, digitalen Behandlungsprogramm für Menschen mit Adipositas‘ (DRKS00024415) wird aufgrund der überzeugenden Ergebnisse als ausreichend plausibler Nachweis der positiven Versorgungseffekte ,Verbesserung des Gesundheitszustands‘ und ,Verbesserung der Lebensqualität‘ für weibliche Patienten anerkannt.“

Zugleich lehnte das BfArM den klägerischen Antrag auf endgültige Aufnahme von Y „für männliche Patienten mit den Indikationen gemäß ICD-10-GM E66.00 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad I (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter sowie E66.01 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad II (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter“ ab.

 

Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin ließ das BfArM Y auch für männliche Patienten mit den o.g. Indikationen zu (Widerspruchsbescheid vom 17. März 2023) und begründete dies u.a. mit folgenden Überlegungen:

„Auf Basis der RWD [Real-World-Daten, Anm. des Senats] aus dem Versorgungsalltag zeigten sich statistisch signifikante und klinisch relevante Vorteile für Frauen und Männer unter Anwendung der DiGA [Y] hinsichtlich einer Gewichtsreduzierung. Es zeigten sich vergleichbare Effekte für Frauen und Männer, so dass nicht von einem allein vom Geschlecht der Anwendenden abhängigen Effekt ausgegangen werden kann. Auch der Vorteil der Intervention gegenüber dem theoretischen Wert μ = -5 (= 5 % Gewichtsreduktion) konnte für Frauen und Männer demonstriert werden.

Unabhängig von den methodischen und qualitätsbezogenen Limitationen der RWD kann damit eine endgültige Aufnahme der DiGA [Y] für männliche Patienten begründet werden. Zentrale Begründung der Teilversagung vom 12.08.2022 war die geringe absolute Anzahl männlicher Patienten in den Nachweisunterlagen und die unklare Übertragbarkeit der Ergebnisse für Frauen auf Männer. Da sich in den RWD nunmehr vergleichbare Effekte für Frauen und Männer gezeigt hatten, kann davon ausgegangen werden, dass mit einer größeren absoluten Anzahl an Männern in der Erprobungsstudie ebenfalls ein ausreichender Effekt hätte gezeigt werden können.

In den RWD konnte der positive Versorgungseffekt ,Verbesserung der Lebensqualität‘ nicht untersucht werden. Im Rahmen der Erprobungsstudie konnte gezeigt werden, dass die Nutzung der DiGA [Y] nicht nur zu einer Gewichtsreduzierung führt, sondern auch eine Verbesserung der Lebensqualität herbeiführen kann. Insofern kann aus der Literatur abgeleitet werden, dass eine Gewichtsreduzierung bei Patientinnen und Patienten mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergeht. So hat beispielsweise eine große retrospektive Datenauswertung gezeigt, dass ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) mit einer niedrigen Lebensqualität assoziiert ist. In einer Individual-Participant-Data-Meta-Analyse (IPD-Meta-Analyse) randomisierter Studien konnte dies nicht nur bestätigt werden, sondern ebenfalls gezeigt werden, dass eine Reduzierung des BMI mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergeht, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit stark erhöhtem BMI.“

 

Auf seiner Internetseite veröffentlichte das BfArM zahlreiche Informationen zur DiGA Y (https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/00294), u.a. die folgenden Hinweise:

„Die Studie befindet sich aktuell im wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozess, der Veröffentlichungsort wird zeitnah nachgereicht. Ebenfalls ist eine Veröffentlichung auf der Website des Herstellers geplant.“

 

Nach den Angaben des Beigeladenen (Spitzenverband Bund der Krankenkassen) wurde die englischsprachige Publikation der o.g. Studie mit dem Titel "A randomized-controlled trial to evaluate the app-based multimodal weight loss programm [Y] for patients with obesity" im Wissenschaftsjournal "Obesity" erst nach den Preisverhandlungen und während des Schiedsverfahrens am 26. April 2023 veröffentlicht und ist mit dem deutschsprachigen Studienbericht und die englischsprachige Publikation nicht identisch.

 

Nachdem die im August 2022 aufgenommenen Verhandlungen zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen in drei Terminen erfolglos verlaufen waren, beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Durchführung eines Schiedsverfahrens. Den von ihr beantragten Vergütungsbetrag leitete die Klägerin wie folgt her:

Analoge Versorgungskosten (Patientenschulungsprogramme)

  675,00 EUR

Abzug Selbstbehalt (-20%)

 -135,00 EUR

Abzug [Y]-induzierter Arztkosten

  - 43,10 EUR

Aufschlag positive Versorgungseffekte (+35%)

+173,92 EUR

Zwischenergebnis „nutzenadjustierte Versorgungskosten“

  670,82 EUR

Gewichtung Selbstzahlerpreise von 499,80 EUR zu 10%

  653,71 EUR

Abzug Rabatt (-25%)

 -163,42 EUR

Beantragter Vergütungsbetrag (inkl. USt.)

  490,28 EUR

 

Die Klägerin beantragte u.a. die lineare Fortschreibung des Vergütungsbetrags, falls weitere Verordnungseinheiten (z.B. Anwendungsdauer von 180 Tagen) in das Verzeichnis aufgenommen werden. Zum Beleg ihres Vorbringens reichte sie u.a. den „Report“ zu einer Studie mit dem Titel „Die wissenschaftliche Evaluierung von [Y] - einem ganzheitlichen, digitalen Behandlungsprogramm für Menschen mit Adipositas“ ein. Die Studie selbst in der englischen Originalfassung wurde im Schiedsverfahren nicht vorgelegt. Sie sah als primären Endpunkt die prozentuale Gewichtsveränderung in Relation zum Ausgangsgewicht und als sekundäre Endpunkte eine Veränderung der Körperfettverteilung bezüglich des Taille-Hüfte-Verhältnisses („explorativ“ zusätzlich auch des Taille-Größe-Verhältnisses), eine Verbesserung des Wohlbefindens sowie eine Verbesserung der Lebensqualität vor.

 

Der Beigeladene brachte im Schiedsverfahren (Schriftsatz vom 6. April 2023) u.a. vor, die Klägerin biete auf ihrer Website als Zusatzleistungen zu Y „Bewegungs-Coaching“ (für 29,99 €, vgl. https://.de/produkt/bewegungs-coaching/) und „Ernährungsberatung“ (für 39,99 €, vgl. https://.de/produkt/ernaehrungsberatung/) an. Außerdem führte er ein vom Medizinischen Dienst Bund erstelltes Gutachten vom 14. Dezember 2022 („Einschätzung der Evidenz zur digitalen Gesundheitsanwendung [Y]“) ein.

 

Wegen der weiteren Inhalte der in diesem Rahmen ausgetauschten Schriftsätze und der jeweils gestellten Anträge sowie wegen des Inhalts der vor der Beklagten geführten mündlichen Verhandlungen wird auf die Anlagen 10 bis 13 des Schriftsatzes der Klägerin vom 21. Juli 2023 im Rechtsstreit L 4 KR 212/23 KL ER – in der elektronischen Gerichtsakte dieses Verfahrens geführt als Dokumente 35 bis 38, in der entsprechenden Papierakte als Beiakte – verwiesen.

 

Am 16. Mai 2023 erließ die Beklagte den hier angefochtenen Schiedsspruch (1 D 2-‍23) und setzte den „Vertrag nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V“ für Y „gemäß der Anlage GKV 1 des Schriftsatzes des [Beigeladenen] vom 27.02.2023“ mit inhaltlichen Maßgaben fest. Die für Y geltende Vergütungsvereinbarung nach § 134 Abs. 1 SGB V enthielt hierdurch folgenden Wortlaut (die durch die Beklagte festgesetzten Vertragsinhalte – die o.g. „Maßgaben“ – sind unterstrichen):

 

Vorbemerkung

 

Nach § 134 Abs. 1 SGB V vereinbaren der GKV-Spitzenverband und die Hersteller digitaler Gesundheitsanwendungen Vergütungsbeträge. Der Vergütungsbetrag gilt mit Wirkung für alle Krankenkassen ab dem ersten Jahr nach Aufnahme einer digitalen Gesundheitsanwendung in das Verzeichnis der erstattungsfähigen digitalen Gesundheitsanwendungen nach § 139e SGB V (DiGA-Verzeichnis). Die Vereinbarung des Vergütungsbetrages erfolgt auf der Grundlage der anwendbaren gesetzlichen Vorschriften, insbesondere denen des SGB V und der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Vorgaben der Rahmenvereinbarung nach § 134 Abs. 4 SGB V (im Folgenden „RahmenV“).

 

Die [Klägerin] ist Hersteller der digitalen Gesundheitsanwendung [Y]. [Y] ist durch Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 19.10.2020 mit Wirkung zum 22.10.2020 für die Indikation E66 Adipositas vorläufig in das DiGA Verzeichnis aufgenommen worden.

 

Nach Verlängerungen des Erprobungszeitraums bis zum 15.08.2022 wurde [Y] mit Bescheid des BfArM vom 12.08.2022 mit Wirkung zum 15.08.2022 für weibliche Patienten mit den Indikationen E66.00 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad I (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter sowie E66.01 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad II (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Dem gegen diesen Bescheid des BfArM gerichteten Widerspruch von [Klägerin] vom 15.08.2022 wurde vom BfArM mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2023 stattgegeben, der Bescheid vom 15.08.2022 wurde entsprechend geändert und [Y] wurde auch für männliche Patienten in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen. (Ziffer 1 des Schiedsspruchs)

 

Für die ICD-I0 Codes E66.09, E66.10, E66.11, E66.19, E66.20, E66.21, E66.29, E66.80, E66.81, E66.89, E66.90, E66.91, E66.99 erfolgte keine dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis. (Ziffer 2 des Schiedsspruchs)

 

Mit diesem Verständnis und vor diesem Hintergrund vereinbaren die Parteien Folgendes:

 

§ 1 Gegenstand der Vereinbarung

 

Diese Vereinbarung regelt den Vergütungsbetrag nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V und sonstige Rechte und Pflichten bezüglich der digitalen Gesundheitsanwendung

[Y].

 

§ 2 Vergütungsbetrag nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V

 

(1) Der Vergütungsbetrag für [Y] für den Zeitraum ab dem 15.08.2022 beträgt 218,00 Euro (inkl. USt) für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen. (Ziffer 3 des Schiedsspruchs) (2) Für den Zeitraum vom 22.10.2021 bis zum 14.08.2022 gilt ein Vergütungsbetrag in Höhe von 185,30 Euro (inkl. USt.) für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen. Damit werden die auf diesen Zeitraum entfallenden Ausgleichsbeträge für Spezifizierung des ICD-10 Codes auf E66.00 und E66.01 berücksichtigt. (Ziffer 4 des Schiedsspruchs)

 

§ 3 Meldepflichten

 

1Die [Klägerin] teilt dem BfArM die Vergütungsbeträge gemäß § 2 Abs. 1 und 2 zur Veröffentlichung im DiGA-Verzeichnis unverzüglich, spätestens aber fünf Tage nach ihrer Vereinbarung gemäß § 134 Abs. 1 SGB V oder seiner Festlegung gem. § 134 Abs. 3 SGB V mit. 2Die [Klägerin] informiert den GKV-Spitzenverband unverzüglich über die Meldung nach Satz 1 und lässt ihm eine Kopie der Mitteilung zukommen.

 

§ 4 Abrechnung

 

1Für die Abrechnung von digitalen Gesundheitsanwendungen gelten die Bestimmungen des § 302 SGB V, der Richtlinie des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen nach § 302 Abs. 2 SGB V über Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens von Digitalen Gesundheitsanwendungen nach § 33a SGB V (DiGA-Abrechnungsrichtlinie) sowie des § 15 RahmenV in der jeweils geltenden Fassung. 2Für Ausgleichsansprüche der Krankenkassen findet die jeweils geltende Fassung von § 3 RahmenV Anwendung.

 

§ 5 Vertraulichkeit

 

Für die Geheimhaltungspflichten der Parteien gilt § 12 RahmenV in der jeweils geltenden Fassung.

 

§ 6 Kündigung

 

(1) 1Die Vereinbarung kann frühestens zum 30.09.2024 mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. (Ziffer 5 des Schiedsspruchs) 2Danach kann die Vereinbarung jederzeit mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden.

 

(2) 1Nach einer Kündigung verhandeln die Vertragsparteien über die Vereinbarung eines neuen Vergütungsbetrages. 2Kommt eine neue Vereinbarung nicht innerhalb von fünf Monaten nach Wirksamwerden der Kündigung zustande, kann jede Partei die Schiedsstelle anrufen. 3Die Schiedsstelle setzt den neuen Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten fest.

 

(3) Die gekündigte Vereinbarung gilt bis zum Wirksamwerden einer neuen Vereinbarung fort.

 

§ 7 Schlussbestimmungen

 

(1) 1Diese Vereinbarung gibt die Vereinbarungen zwischen den Parteien hinsichtlich des Vereinbarungsgegenstands vollständig wieder. 2Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen.

 

(2) 1Änderungen, Ergänzungen oder Kündigungen dieser Vereinbarung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. 2Gleiches gilt für die Aufhebung dieses Schriftformerfordernisses.

 

(3) 1Sollten einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung ungültig sein oder werden, so berührt dies im Zweifel die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht. 2Anstelle der unwirksamen Vorschrift oder zur Ausfüllung eventueller Lücken dieser Vereinbarung ist eine angemessene Regelung zu vereinbaren, die dem am nächsten kommt, was die Parteien nach ihrer wirtschaftlichen Zwecksetzung gewollt haben bzw. die Bestimmung, die dem entspricht, was nach Sinn und Zweck dieser Vereinbarung vereinbart worden wäre, hätte man die Angelegenheit von vorneherein bedacht.

 

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die Beklagte im Wesentlichen aus:

 

Sie habe „im Rahmen des Bemühens um eine sachgerechte Lösung einerseits und um einen fairen Interessenausgleich zwischen beiden Seiten andererseits“ die Anträge beider Vertragspartner zurückweisen müssen. Den Vertragsinhalt habe sie „bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung des Schiedsgremien, auch von der Rechtsprechung eingeräumten, weiten Ermessensspielraumes festgesetzt“.

Sie habe „umfassend erörtert, welche Kriterien für die Festsetzung des Vergütungsbetrages für [die Klägerin] herangezogen werden“ könnten und „die von ihr als relevant angesehenen Einflussfaktoren quantifiziert und miteinander rechenhaft in Beziehung gesetzt.“ Dabei sei ihr „bewusst, dass sie zwar diese Vorgehensweise in mehreren Schiedsverfahren angewendet und zu einem ,Modell‘ verdichtet [habe], jedoch gleichwohl daraus kein Präjudiz für etwaige kommende Verfahren“ resultiere.

§ 134 SGB V enthalte nur wenige materielle Normen für die Preisfindung bei DiGA; nach seinem Abs. 1 Satz 3 SGB V etwa sollten Gegenstand der Vereinbarung „auch erfolgsabhängige Preisbestandteile“ sein. Die „Erkenntnisse über die nachweisbaren positiven Versorgungseffekte“ sollten nach der Gesetzesbegründung eine wesentliche Grundlage bilden. Mit der in § 134 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 SGB V angeordneten Pflicht des Herstellers, „die Angaben zur Höhe des tatsächlichen Vergütungsbetrags bei Abgabe an Selbstzahler und in anderen europäischen Ländern“ an den Beklagten zu übermitteln seien, bringe der Gesetzgeber offenbar zum Ausdruck, dass „diese Materialien aus seiner Sicht preisrelevant“ seien. Weitere Maßstäbe ergäben sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 RahmenV.

Sie habe „sich in Anlehnung an ihre bisherige Spruchpraxis zunächst damit befasst, wie die ,analoge‘ Versorgung aktuell ausgestaltet“ sei. Im vorliegenden Anwendungsgebiet seien Besonderheiten zu berücksichtigen, weil „die Adipositas-Behandlung nicht Bestandteil der Regelversorgung sei“. Soweit Kosten für Adipositasprogramme von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen würden, hätten die Patienten eine Selbstbeteiligung von 20 % zu entrichten. Die Programme enthielten regelhaft Einzeltherapiestunden, die bei der Übertragung auf eine DiGA zu ihrer – der Beklagten – Überzeugung nicht berücksichtigt werden sollten. Zudem finde die hausärztliche Versorgung der Versicherten, in der sie zu ihrer Bewegung, ihrer Ernährung und ihrem Verhalten im Zusammenhang mit Adipositas beraten und behandelt würden, weiterhin statt und sei daher ebenfalls in Abzug zu bringen. Konkret führe dies zu folgendem Rechenergebnis:

Die durchschnittlichen Programmkosten in 2023 hätten rd. 2.700 € betragen, also im Quartal rd. 675 €. Davon seien wegen des Selbstbehaltes der Patienten 80 % zu berücksichtigen, also rd. 540 €, und hiervon rd. 280 € für Einzeltherapiestunden in Abzug zu bringen (rd. vier Stunden im Quartal à 70 €). Die hausärztliche Versorgung sei mit rd. 89 € in Ansatz zu bringen. Somit seien „analoge Versorgungskosten“ in Höhe von rd. 171 € zu berücksichtigen.

Das von ihr – der Beklagten – in ihrer bisherigen Spruchpraxis entwickelte Konzept wende im nächsten Schritt auf die analogen Versorgungskosten einen prozentualen Zuschlagsfaktor an, der das Ausmaß des Nutzens der DiGA repräsentieren solle. Mit diesem Ansatz eines Zuschlagsfaktors auf die Versorgungskosten setze sie insbesondere § 8 Abs. 2 Satz 2 RV um. Danach sei bei der Preisfindung zuvörderst das Ausmaß des nachgewiesenen medizinischen Nutzens bzw. der nachgewiesenen patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserung zu berücksichtigen.

Die Feststellungen des BfArM zu den Nachweisen nach § 139e Abs. 2 SGB V seien für die Partner der Vergütungsvereinbarung und sie – die Beklagte – bindend. Zugleich aber entbänden sie die Beteiligten nicht von der Verpflichtung, eine eigenständige Bewertung des Ausmaßes des Nutzens mit Blick auf die Preisfindung vorzunehmen. Nach ihrer Auffassung sei es sinnvoll, hier nach Ausmaß des Nutzens und der die Aussagensicherheit beeinflussenden Qualität der zugrundeliegenden Studie zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung entlang der Kriterien der evidenzbasierten Medizin habe für die Entscheidungen über Vergütungen in der GKV zunehmend Relevanz und erscheine auch im vorliegenden Kontext sachgerecht. Hinsichtlich beider Dimensionen (Ausmaß des Effektes, Qualität des Nachweises) werde vielfach eine Graduierung nach „erheblich“, „mittel“ und „gering“ vorgenommen.

Sie – die Beklagte – habe „sich daher intensiv mit dem Ausmaß des Effektes von [Y] und der Aussagensicherheit/Studienqualität dazu befasst.“ Das BfArM habe die Zulassung aufgrund einer randomisierten klinischen Studie erteilt, in der eine Gruppe Y angewendet, die andere keine aktive Therapie erhalten habe. Es sei grundsätzlich positiv hervorzuheben, dass Y in einer prospektiven RCT getestet worden sei, somit ein Mehr gegenüber auch zulässigen retrospektiven Designs. Gleichzeitig aber sei festzuhalten, dass eine Reihe von relevanten Mängeln in der Studienkonzeption und Durchführung bestünden, etwa keine ausreichenden Informationen zu den Datenrückläufen für die sekundären und die explorativen Endpunkte oder Unsicherheiten hinsichtlich der Reliabilität der Messung des primären Endpunktes. Ein ex ante vorliegendes Studienprotokoll stehe zur Beurteilung nicht zur Verfügung, so dass nicht beurteilt werden könne, welche a-priori-Analysen geplant gewesen seien; selektives Berichten könne insoweit nicht ausgeschlossen werden. Die Wirkung auch bei Männern sei unter Zuhilfenahme auch anderer Datenquellen erbracht worden, weil die Teilnahmequote von Männern in der Studie zu gering für eine belastbare Effektmessung gewesen sei. Insgesamt werde die Studienqualität als „mittel“ eingestuft. Die Effektstärke beim primären Endpunkt sei groß; für die sekundären und weiteren Endpunkte erweise sie sich als gering bis nicht vorhanden.

Vor diesem Hintergrund habe sie – die Beklagte – sich entschlossen, einen Zuschlag von 27,5 % auf die ermittelten Versorgungskosten anzusetzen. Dies entspreche etwa auch den Zuschlägen bei den ebenfalls durch sie festgesetzten Vergütungsbeträgen für die DiGA v und Vi. Angewendet auf die zu berücksichtigenden analogen Versorgungskosten von rd. 171 € ergebe sich ein angepasster Betrag von rd. 218 €.

Sie habe sehr ausführlich erörtert, inwieweit vorliegend die Selbstzahlerpreise berücksichtigt werden sollten. Nach Auskunft der Klägerin liege der Anteil der Downloads durch Selbstzahler bei unter 1 % und sei damit nur von ganz untergeordneter Bedeutung. Im Ausland werde Y nicht angeboten. Vor diesem Hintergrund habe sie – die Beklagte – sich entschlossen, die Selbstzahlerpreise – wie im insoweit vergleichbaren Schiedsverfahren zu Vi – nicht zu berücksichtigen.

Der Vergütungsbetrag von Y von 218 € (inkl. USt) gelte für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen. Der Vergütungsbetrag gelte – unstrittig – ab dem 15. August 2022 und liege im mittleren Bereich der bisher von der Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbeträge.

Dem Begehren des Beigeladenen, für die Zeitspanne zwischen dem 22. Oktober 2021 und dem 14. August 2022 den Vergütungsbetrag entsprechend abzusenken, weil Y „in dieser Zeit für männliche Patienten vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen“ worden sei, sei sie nicht gefolgt.

Für Patienten mit den ICD-10 Codes E66.09, E66.10, E66.11, E66.19, E66.20, E66.21, E66.29, E66.80, E66.81, E66.89, E66.90, E66.91, E66.99 habe Y auch im Zeitraum vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 verordnet werden können. Insoweit sei allerdings keine dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis erfolgt. Der bisherigen Spruchpraxis folgend sei insoweit eine Vergütung für diese Verordnungen im fraglichen Zeitraum nicht sachgerecht. Ein entsprechender Ausgleichsbetrag habe daher angesetzt werden müssen. Da den Daten nicht entnommen werden könne, zu welchem Anteil Verordnungen auf diese ICD-Codes entfielen, sei insbesondere auch die Frage einer Quantifizierung erörtert worden. Nach Auswertungen des WIdO zu den ICD-10-Diagnosen entfielen nahezu zwei Drittel aller Adipositas-Diagnosen auf die ausgeschlossenen ICD-Codes. Allerdings bestünden erhebliche Zweifel an dieser Datenbasis. Denn nach dem Vortrag der Klägerin lägen hier vielfach Fehlkodierungen durch die Ärzteschaft vor, die dem Hersteller nicht angelastet werden dürften. Insgesamt sei – bei einem vergleichbaren Sachverhalt (Vi) – von den vom Beigeladenen vorgelegten Daten ein erheblicher „Sicherheitsabstand“ vorgenommen und den Anteil der auf nicht in das DIGA-Verzeichnis übernommene ICD-10 Codes entfallenden Verordnungen auf 15 % festgelegt. Damit sei in § 2 Abs. 2 der Vergütungsvereinbarung für den fraglichen Zeitraum ein Vergütungsbetrag i.H.v. 85 % des festgesetzten Vergütungsbetrages festzusetzen.

Von einem klägerseitig beantragten erfolgsabhängigen Preismodell mit einem Vergütungsbetrag in Abhängigkeit von der Zahl der Nutzungen (Logins) der Nutzer habe sie – die Beklagte – Abstand genommen. Zwar könnten erfolgsabhängige Modelle sinnvoll sein. Im konkreten Fall sei die Zahl der Nutzungen zum einen durch die Klägerin durch entsprechende Kommunikationsaktivitäten gestaltbar, zum anderen nicht hinreichend erfolgsabhängig.

Auch eine klägerseitig beantragte Regelung zu einer regelmäßigen Anpassung des Vergütungsbetrags um die Inflationsrate sei nicht in die Vereinbarung aufgenommen worden. Denn die Vertragspartner hätten regelmäßig die Gelegenheit, die Vergütungsvereinbarung zu kündigen und neu zu verhandeln. Darin unterscheide sich die vorliegende Konstellation zu der von nicht dem AMNOG-Verhandlungsregime unterfallenden Arzneimitteln, die nach § 130a Abs. 3a SGB V seit 2010 dem Preismoratorium unterlägen und für die der Gesetzgeber ab 2018 einen Inflationsausgleich vorgesehen habe. Diese Spruchpraxis sei etwa auch bei der digitalen Gesundheitsanwendung s vertreten worden.

 

Gegen den Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 richtet sich die am 5. Juni 2023 erhobene Klage.

 

Am 23. Juni 2023 beantragte die Klägerin außerdem einstweiligen Rechtsschutz (L 4 KR 212/23 KL ER) durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage  und behauptete: Der Schiedsspruch führe zu „Ausgleichsansprüchen“ der Krankenkassen für den Zeitraum vom 22. Oktober 2021 bis 14. August 2022 i.H.v. ca. 5.598.100 € (ca. 17.800 Einheiten multipliziert mit 314,50 € – dem Differenzbetrag zwischen 499,80 € [Herstellerabgabepreis] und 185,30 € [von der Beklagten festgesetzter Vergütungsbetrag für diesen Zeitraum]) und für den Zeitraum vom August 2022 bis zum 25. Mai 2023 i.H.v. 5.889.620 € (auf der Basis von ca. 20.900 Einheiten und einem Differenzbetrag von 281,80 €). Bis zum Ende der festgelegten Vertragslaufzeit am 30. September 2024 werde von weiteren Mindereinnahmen i.H.v. 11.497.440 € (auf der Basis von prognostizierten 40.800 Einheiten) ausgegangen. Allein diese Zahlungsverpflichtungen seien geeignet, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu überfordern und bedrohten sie unmittelbar in ihrer Existenz.

 

Am 1. August 2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet und Rechtsanwalt  W zum Insolvenzverwalter ernannt. Aufgrund dessen wurde in den beiden von der Klägerin betriebenen gerichtlichen Verfahren vor dem Senat zunächst der Insolvenzverwalter als Kläger bzw. Antragsteller geführt. Der Senat teilte den Beteiligten mit, er gehe davon aus, dass die Verfahren nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 240 ZPO wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen seien. Der vom Insolvenzverwalter vorgelegte Insolvenzplan vom 4. September 2023 wurde durch – seit dem 6. Oktober 2023 rechtskräftigen – Beschluss des Amtsgerichts Hamburg (67a IN 163/23) bestätigt. Im Insolvenzplan finden sich im darstellenden Teil u.a. folgende Ausführungen:

„Gleichwohl ist derzeit vorgesehen, die Rückforderungsansprüche der gesetzlichen Krankenkassen zur Insolvenztabelle festzustellen. Hintergrund ist, dass zwar – wie oben dargestellt – auch relativ geringfügige Erhöhungen der Vergütung im Vergleich zum status quo signifikante Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Schuldnerin haben. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass bei der finalen Vergütungsfestsetzung im Anschluss an den [hiesigen, Anm. des Senats] Rechtsstreit Vergütungsfestsetzung die Vergütung durch die Schiedsstelle wieder auf EUR 499,80 für eine 90-tägige Verordnungsdauer der DiGA festgesetzt wird. Würden nun die Rückforderungsansprüche der gesetzlichen Krankenkassen bestritten, müssten diese Feststellungklagen erheben, um an einer Quotenausschüttung nach diesem Insolvenzplan teilzunehmen. Aus heutiger Sichtg (sic!) würden die gesetzlichen Krankenkassen diese Feststellungklagen vollständig gewinnen, da die Klage gegen die Vergütungsfestsetzung der Schiedsstelle keine aufschiebende Wirkung hat und der Antrag auf Anordnung derselben bislang nicht beschieden ist und nicht weiterverfolgt wird. Es gilt damit aktuell der Vergütungssatz in Höhe von EUR 218,00. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um über 90 gesetzlichen Krankenkassen mit Rückforderungsansprüchen in Höhe von rund EUR 9,2 Mio. handelt, würde die Insolvenzmasse mit erheblichen Masseverbindlichkeiten, in Form der Prozesskosten belastet. Es ist zu erwarten, dass die aus den Feststellungsprozessen resultierenden Masseverbindlichkeiten eine etwaige Reduzierung der Rückforderungsansprüche, welche sich bei einer abschließenden Festsetzung der Vergütung über EUR 218 ergeben könnte, überwiegen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich im Rahmen der finalen Vergütungsfestsetzung ergeben kann, dass die Vergütung auch unterhalb von EUR 218,00 festgesetzt wird. Wird infolge des Rechtsstreits Vergütungsfestsetzung eine Vergütung über EUR 218,00 festgesetzt, mindern sich aufgrund der zuvor erfolgten Feststellung zur Insolvenztabelle die Rückforderungsansprüche der gesetzlichen Krankenkassen nachträglich nicht und damit ändern sich auch die Quotenaussichten für die übrigen Gläubiger der Gruppen 1 und 2 nachträglich nicht mehr.“

 

Die diesbezüglichen rechtlichen Schlussfolgerungen im gestaltenden Teil des Insolvenzplans lauten:

 

„Bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens anhängige Rechtsstreitigkeiten werden von der Schuldnerin auf deren Rechnung weitergeführt.

 

Die betrifft insbesondere […] den Rechtsstreit Vergütungsfestsetzung, da die Vergütungsfestsetzung die künftigen Gewinnaussichten des Unternehmens in erheblichem Maße beeinflusst und somit von hohem (wirtschaftlichem) Interesse für die Schuldnerin ist. Die finale Vergütungsfestsetzung hat – da aus den unter C.III.3. genannten Erwägungen vorgesehen ist, die Rückforderungsansprüche der gesetzlichen Krankenkassen anzuerkennen – keine Auswirkung auf die nach diesem Insolvenzplan zu berücksichtigenden Forderungen der gesetzlichen Krankenkassen und damit auch nicht auf die Quotenaussichten der übrigen Gläubiger der Gruppen 1 und 2.“

 

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin wurde mit Wirkung zum 31. Dezember 2023 aufgehoben. Im Januar 2024 änderte die Klägerin ihre bisherige Bezeichnung – anstelle der bisherigen Firma „a GmbH“ führt sie seither die aus dem Rubrum ersichtliche Bezeichnung – und nahm den Antrag auf einstweilige Rechtsschutz zurück.

 

Nachdem die Klägerin am 16. Mai 2023, gestützt auf § 139e Abs. 6 Satz 1 SGB V i.V.m. §§ 18 f. DiGAV, als wesentliche Veränderung eine Anpassung der Verordnungsdauer von 90 auf 180 Tage angezeigt hatte – gleichzeitig sollte der festgelegte Vergütungsbetrag für 90 Tage (218,00 €) auf 180 Tage (436,00 €) angepasst werden –, lehnte das BfArM die „Anpassung der Angaben und Informationen zu der digitalen Gesundheitsanwendung [Y] nach § 33a SGB V im Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen […] bezüglich der Änderung der Verordnungsdauer und des Vergütungsbetrags“ ab (Bescheid vom 16. August 2023). Zur Begründung führte das BfArM aus: Es halte – wie auch der Beigeladene – weder eine Anpassung des Vergütungsbetrags noch eine alleinige Anpassung der Verordnungsdauer bei bereits verhandeltem oder festgelegtem Vergütungsbetrag für rechtmäßig. Der Beigeladene habe explizit darauf hingewiesen, dass eine DiGA gegenüber den Krankenkassen als nicht mehr abrechnungsfähig gelte, wenn nur die Verordnungsdauer, nicht aber der Vergütungsbetrag angepasst werde. Auch die Klägerin halte eine Anpassung der Verordnungsdauer ohne Anpassung des Vergütungsbetrags für fehlerhaft.

Auf einen entsprechenden Antrag der Klägerin vom 17. August 2023 erließ das BfArM am 23. Februar 2024 einenbestandskräftig gewordenen) „Vorbescheid“ mit folgendem Inhalt:

„Die Änderung der Anwendungsdauer der o.g. digitalen Gesundheitsanwendung von 90 Tagen zu 180 Tagen ist grundsätzlich zulässig. Für die rechtmäßige Änderung der Anwendungsdauer und des zugehörigen Vergütungsbetrags ist bei bereits bestehendem verhandeltem oder festgesetztem Vergütungsbetrag die Vorlage einer Bestätigung der Änderungen durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen oder die Schiedsstelle nach § 134 Absatz 3 SGB V erforderlich. Der Bescheid vom 16.08.2023 wird bei Vorlage dieser Bestätigung aufgehoben und ein entsprechender neuer Bescheid zugestellt.“

 

Zur Begründung führte das BfArM aus:

„Für die Änderung der Anwendungsdauer einer digitalen Gesundheitsanwendung sind die folgenden Aspekte wesentlich:

1) die neue Anwendungsdauer wird durch die zugrundliegende generierte Evidenz gestützt

2) die neue Anwendungsdauer widerspricht nicht weiteren Angaben zur digitalen Gesundheitsanwendung (z. B. Höchstdauer der Nutzung)

3) bei bestehenden vereinbarten oder festgesetzten Vergütungsbeträgen wird die neue Anwendungsdauer und der neue dazugehörige Vergütungsbetrag vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) oder durch die Schiedsstelle nach § 134 Abs. 3 SGB V bestätigt

Im Zusammenhang mit der o. g. digitalen Gesundheitsanwendung stützt die generierte Evidenz die Anwendungsdauer von 180 Tagen. Die neue Anwendungsdauer widerspricht auch nicht weiteren Angaben zur digitalen Gesundheitsanwendung. Eine Bestätigung des zur neuen Anwendungsdauer zugehörigen Vergütungsbetrags steht noch aus. Ohne eine derartige Bestätigung kann die Anwendungsdauer nicht geändert werden, da sich ansonsten eine Diskrepanz zwischen Vereinbarung mit dem GKV-SV bzw. Bescheid der Schiedsstelle ergibt und die o. g. digitale Gesundheitsanwendung für Patientinnen und Patienten somit nicht mehr erstattungsfähig ist. Dies ergibt sich auch daraus, dass sich die Vereinbarung mit dem GKV-SV bzw. der Bescheid der Schiedsstelle auf eine konkrete Anwendungsdauer bezieht.“

 

Bereits mit Schriftsatz vom 30. September 2023 hatte die Klägerseite das Klageverfahren wieder aufgenommen.

 

Die Klägerin hält den Schiedsspruch aus folgenden Gründen für rechtswidrig:

• keine ordnungsgemäße Besetzung der Schiedsstelle,

• Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik durch Abzug ambulanter Regelversorgungskosten trotz nichtexistenter Regelversorgung,

• falsche Berechnung der in Abzug gebrachten Kosten der hausärztlichen Versorgung,

• offensichtlich unplausibler Abzug der Kosten der hausärztlichen Versorgung in vollem Umfang,

• keine ansatzweise Nachvollziehbarkeit des Abzugs von vermeintlichen Einzeltherapiestunden,

• Nichtbeachtung der Bindungswirkung des § 6 Abs. 3 RV,

• Nichtberücksichtigung des Selbstzahlerpreises,

• keine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung eines Ausgleichsbetrags für die verlängerte Erprobungsphase.

 

Ihre Prozessbevollmächtigten tragen hierzu im Einzelnen vor:

 

Adipositas verursache eine direkte physische und psychische Krankheitslast und führe zu erheblichen Einschränkungen im Alltag und einem hohen Leidensdruck. Die S3-Leitlinie der Fachgesellschaften (Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) e.V., Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) e.V., Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V) zu „Prävention und Therapie der Adipositas, Version 2.0 (April 2014, abrufbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/050-001“ führe mehr als 60 Adipositas-assoziierte, darunter viele chronische Erkrankungen auf. Sowohl die genannte S3-Leitlinie als auch der Abschlussbericht zur Leitlinienrecherche des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – Leitliniensynopse Adipositas – Erwachsene (IQWiG-Berichte – Nr. 1408, Version 1.0, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter: https://www.iqwig.de/download/v21-05_leitliniensynopse-adipositas-erwachsene_abschlussbericht_v1-0.pdf) führten als Bestandteile einer Basistherapie die Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie auf. Je nach individueller Situation sollten diese Komponenten in der Regel in Kombination und nur im Ausnahmefall isoliert angewendet werden. Darüber hinaus liste der Abschlussbericht zur Leitlinienrecherche des IQWiGmultimodale Programme (Gewichtsreduktionsprogramme, die die Elemente der Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie enthalten) mit individualisierten Adipositas-Management-Strategien als additive Inhalte eines Disease-Management-Programms (DMP) zur Adipositas auf. Jenseits von DiGA stünden multimodale, leitliniengerechte Programme zur Basistherapie der Adipositas aktuell in der Regelversorgung nicht zur Verfügung. Die Regelversorgung der Adipositas bestehe in der ärztlichen Diagnostik und Verlaufskontrolle der Krankheitsprogression. Die notwendige Basisversorgung der Adipositas durch die gesetzlichen Krankenkassen finde lediglich im Rahmen von Patientenschulungen nach § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sowie in Einzelfällen auf Basis der Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V oder im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 SGB V statt.

Selbst die einzelnen Elemente multimodaler Basisprogramme der Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie seien in der Selektiv- und Regelversorgung nur dann verordnungsfähig, wenn indikative Komorbiditäten vorlägen. So könne kognitive Verhaltenstherapie (KVT) nur bei den Adipositaspatienten verordnet werden, die zusätzlich an einer psychischen Erkrankung litten. Die KVT bezwecke in dieser Konstellation die Behandlung der vorliegenden psychischenErkrankung und nicht der Adipositas an sich. Die Verordnung von Rehabilitationssport zur Therapie der Adipositas sei in Abhängigkeit von der regionalen Verfügbarkeit möglich. Jedoch enthalte der Heilmittelkatalog nach § 92 Abs. 1 Satz 2. Nr. 6 i.V.m. § 138 SGB V zurzeit keine adipositasspezifische Physiotherapie. Der Heilmittelkatalog sehe für die Adipositas keine Ernährungstherapie vor. Vereinzelt werde im Rahmen von Präventionsangeboten Ernährungsberatung angeboten. Eine multimodale Basisbehandlung der Adipositas anhand isolierter Verordnungen der einzelnen Elemente der Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie stelle sowohl in der kollektiven als auch in der selektiven Versorgung keine regelhaft verfügbare Behandlungsoption dar.

 

Die Beklagte sei rechtswidrig besetzt, weil bei der Besetzung ihrer unparteiischen Mitglieder gemäß § 134 Abs. 3 Satz 4 SGB V nicht zu beteiligende Verbände mitgewirkt hätten. Nach Kenntnis der Klägerin seien die unparteiischen Schiedsstellenmitglieder (einschließlich des Vorsitzenden sowie der Stellvertreter) im August 2020 benannt worden. Die Benennung basiere offenbar auf einer Einigung zwischen dem Beigeladenen sowie den weiteren Partnern der RV. Hinsichtlich der beteiligten Herstellerverbände sei die Maßgeblichkeit im Sinne des § 134 Abs. 3 Satz 1 SGB V offenbar nie geprüft und festgestellt worden. Allerdings bestünden erhebliche Zweifel, ob alle Herstellerverbände maßgeblich seien.

Zunächst sei bekannt, dass etwa im Verband Bundesverband Internetmedizin (BiM) e.V. mit der Barmer GEK jedenfalls eine Krankenkasse, mit der AXA Krankenversicherung AG jedenfalls ein Kostenträger im Sinne eines privaten Krankenversicherers und mit der BITMARCK Holding GmbH ein Unternehmen, dessen Gesellschafter neben dem BKK Dachverband e.V. die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die DAK-Gesundheit und weitere Ersatzkassen sind, repräsentiert seien (vgl. https://bundesverbandinternetmedizin.de/home/mitglieder/). Das führe zu einem unausweichlichen Interessenkonflikt.

Ähnliche Konstellationen ergäben sich für den Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., Bundesverband Gesundheits-IT e.V., den Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. und Digital Health Germany e.V. Die gleichzeitige Vertretung der Interessen der Krankenkassen unterminiere die erforderliche Legitimation der Herstellerverbände, die DiGA-Hersteller in ihrer Funktion als Gegengewicht zum GKV-SV angemessen zu repräsentieren.

Darüber hinaus fänden sich unter den Mitgliedern einiger Verbände keine DiGA-Hersteller, zum Beispiel bei dem Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., dem Digital Health Germany e.V. und dem Verband der Diagnostica-Industrie e.V. Ohne entsprechende Mitglieder könnten aber auch deren Interessen nicht wahrgenommen werden.

Zwischenzeitlich habe sich die Zahl der Verbände, die sich bisher als „für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen auf Bundesebene“ bezeichnet hätten, um zwei reduziert. Der Bundesverband Internetmedizin (BIM) sei einem anderen Verband – dem Bundesverband Managed Care e.V. (BMC) – beigetreten, der sich offenbar nicht als maßgeblicher Verband der DiGA-Hersteller begreife. Das wecke Zweifel daran, dass der BIM bisher DiGA-Verband gewesen sei.

Weiterhin habe der Verband „Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.“ sich gegenüber der Beklagten aus einer Beteiligung an DiGA-Verfahren zurückgezogen, weil er aufgrund seiner Zusammensetzung keine Hersteller von DiGA vertrete.

Da bei der Besetzung der Schiedsstelle folglich Verbände mit internem Interessenskonflikt und solche, die qua Mitgliederstruktur nicht zur Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen von DiGA-Herstellern berufen seien, mitgewirkt hätten, bestünden ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Besetzung der Schiedsstelle.

Ein von einer nicht ordnungsgemäß besetzten Schiedsstelle gefasster Schiedsspruch sei bereits formal offensichtlich rechtswidrig und könne keinen Bestand haben.

 

Die Schiedsstelle verstoße bei der Herleitung des Sockelbetrags in Form von analogen Versorgungskosten gegen die Denkgesetze der Logik. Denn sie lege einerseits dar, dass in der Regelversorgung keine Adipositas-Versorgung stattfinde, und bringe gleichzeitig die Kosten der Adipositasversorgung in der Regelversorgung bei den analogen Kosten in Abzug.

Dennoch berücksichtige die Beklagte beide Aussagen, was dazu führe, dass die Kosten doppelt zulasten der Klägerin berücksichtigt bzw. abgezogen würden: Zunächst würden die Kosten der hausärztlichen Versorgung / Regelversorgung nicht bei der Ermittlung der Ausgangskosten berücksichtigt, sodass von niedrigeren GKV-Kosten ausgegangen werde. Dann würden sie aber zusätzlich nochmal in Abzug gebracht.

 

Die Beklagte setze einen falschen Betrag für die in Abzug gebrachten Kosten der hausärztlichen Versorgung an. Dieser Umstand erfülle potenziell gleich mehrere gerichtlich überprüfbare Fehler: Zum einen könne es sich hierbei schlicht um eine falsche Sachverhaltsermittlung handeln. Zum anderen könne es sich um einen offensichtlichen Rechen- oder Rundungsfehler handeln. Der Umstand, dass sich dies auf Grundlage der Begründung des Schiedsspruchs nicht ergebe, zeige zudem, dass der Schiedsspruch die Gründe für das Entscheidungsergebnis nicht ausreichend erkennen lasse. Die Beklagte gehe mit „rd. 89 Euro“ von einem rechnerisch falsch ermittelten Kostenbetrag aus und lasse überdies seine Ermittlung offen. Die Kosten der vertragsärztlichen Versorgung betrügen – wie auch vom Beigeladenen wiederholt vorgetragen – 83,15 €. Alternativ komme lediglich ein Rechenfehler und mithin ein weiterer Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik in Betracht.

 

Es sei offensichtlich unplausibel, die Kosten der hausärztlichen Versorgung in vollem Umfang abzuziehen. Die hierfür notwendige Annahme, dass die hausärztliche Versorgung sich vollständig in der Adipositasversorgung erschöpfe, liege jenseits jeglicher Lebenserfahrung. Die angesetzten Kosten der hausärztlichen Versorgung seien nicht spezifisch auf die Behandlung von Adipositas beschränkt, sondern würden auf Basis allgemeiner EBM-Ziffern errechnet. Der vollständige Abzug der errechneten Summe der in Betracht kommenden Gebührenpositionen unterstelle indes, dass sämtliche Positionen ausschließlich in der Adipositasbehandlung begründet seien. Weder eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung, noch die allgemeine Versichertenpauschale noch die Chroniker-Leistungen seien adipositasspezifische Leistungen. Sie fielen bei diversen Indikationen – bei der Gesundheitsuntersuchung sogar ggf. vollständig ohne eine bestimmte Indikation – an. Die Beklagte müsse also gleichzeitig unterstellen, dass die Patienten nicht auch aus anderen Gründen hausärztlich versorgt würden und deshalb Teile der Kosten nicht auf ohnehin anfallende Behandlungen zu beziehen seien. Eine solche Annahme wäre schon bei einfachsten Erkrankungen (z.B. Infektionen, Verletzungen) nicht haltbar. Insbesondere gelte dies aber für die spezielle Situation von Adipositaspatienten: Gerade Adipositas sei eine typischerweise von Komorbiditäten geprägte Erkrankung. Es sei geradezu die Regel, nicht die Ausnahme, dass Adipositaspatienten gleichzeitig unter Diabetes, Schlafstörungen, Gelenkbeschwerden oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen litten.

Der Gestaltungsspielraum der Beklagten finde in der rechtlichen Vorgabe, die Besonderheiten des Anwendungsgebiets zu berücksichtigen, ihre auch nach der BSG-Rechtsprechung beachtlichen Grenzen.

 

Für den Abzug von Einzeltherapiestunden lasse sich der Begründung keine Rationale entnehmen. Insbesondere ergäben sich aus dem Schiedsspruch keinerlei Anhaltspunkte, wieso Einzeltherapieleistungen der analogen Versorgung nicht berücksichtigt werden könnten, wo doch der Einsatz der DiGA gerade personenindividuell als Einzeltherapie und nicht als Gruppentherapie erfolge. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, ob bei den in Abzug gebrachten Kosten einer Einzeltherapie durch Ärzte, Ernährungsberater, Psychiater oder andere Personen zugrunde lägen. Aus den vom Beigeladenen vorgelegten Unterlagen ergebe sich zwar, dass auch Einzelgespräche oder -betreuung Teil der Jahresprogramme der Patientenschulungen seien. Ob sich diese Termine aber auf vier volle Stunden aufsummieren ließen, könne dieser Unterlage nicht entnommen werden. Insbesondere sei aber zu beachten, dass sich die vorgelegten Informationen auf einen Jahreskurs, nicht auf ein Quartal bezögen. Die Berechnung der 280 € als Produkt von 4 x 70 € sei somit höchstwahrscheinlich schlicht falsch berechnet. Anstelle der 280 € wären – würde man der Logik der Schiedsstelle folgen – bei einem Preis pro 90 Tage nur einmalig 70 € abzuziehen gewesen.

 

Der Schiedsspruch beachte die zwingenden rechtlichen Vorgaben des § 6 Abs. 3 Satz 2 RV nicht und missachte bei der Bewertung des Ausmaßes des positiven Versorgungseffekts die Bindungswirkung des Bescheids des BfArM vom 12. August 2022 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2023).

Der Bescheid des BfArM zur dauerhaften Aufnahme der DiGA Y in das DiGA-Verzeichnis habe insbesondere zum Inhalt, dass zwei positive Versorgungseffekte, nämlich die „Verbesserung des Gesundheitszustands“ und die „Verbesserung der Lebensqualität“ für Y aufgrund der überzeugenden Studienergebnisse anerkannt würden. Die Beklagte habe einen Zuschlag für das von ihr festgestellte Ausmaß des positiven Versorgungseffektes von 27,5% berücksichtigt. Ein niedrigerer Aufschlag sei von ihr bisher nicht angesetzt worden. Dieser Wert beruhe u.a. darauf, dass die Beklagte die Effektstärke in Endpunkten der Studie, die vom BfArM als Nachweis des positiven Versorgungseffekts „Verbesserung der Lebensqualität“ (engl. Quality of Life – QoL), gemessen als „Wohlbefinden“, anerkannt worden seien, nunmehr nicht anerkenne und als „nicht vorhanden“ beschreibe. Diese Wertung sei mit den verbindlichen Feststellungen des BfArM nicht vereinbar. Der positive Versorgungseffekt in Form einer Verbesserung der Lebensqualität könne nicht einerseits durch eine Studie positiv als statistisch signifikant und klinisch relevant nachgewiesen und gleichzeitig „nicht vorhanden“ sein. Auch wenn die Vertragspartner (sowie die Beklagte anstelle der Vertragspartner) bei der Vereinbarung oder Festlegung eines Vergütungsbetrags das Ausmaß des Effekts bewerten könnten, könne dies nicht so weit gehen, dass das Vorhandensein eines Effekts in Abrede gestellt werde. Das „Ob“ sei insoweit vom BfArM verbindlich festgestellt worden. Wenn die Beklagte diese Tatsache im Rahmen der Bewertung des „Wie“ untergrabe, verstoße sie inhaltlich gegen zwingende rechtliche Vorgaben, erkenne den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum nicht und beachte die maßgeblichen Rechtsmaßstäbe nicht.

Da der niedrige Aufschlag von 27,5 % auf der Annahme eines teilweisen fehlenden Effekts beruhe, müsste sich eine – wenn auch geringfügige Berücksichtigung – jedenfalls erhöhend auf den Aufschlag auswirken. Daraus würde sich zwingend ein höherer Vergütungsbetrag ergeben.

 

Ohne besonderen Grund habe der Schiedsspruch den Selbstzahlerpreis unberücksichtigt gelassen. Dieses Vorgehen stehe im klaren Widerspruch zur gesetzgeberischen Intention, wie sie die Beklagte u.a. im streitgegenständlichen Schiedsspruch als maßgeblichen Rechtsmaßstab anerkenne. Bei den Selbstzahlerpreisen handele es sich deshalb um eine preisrelevante Information, weil sie eine Zahlungsbereitschaft dokumentiere. Diese Zahlungsbereitschaft indiziere, dass der bei Selbstzahlern aufgerufene Preis in einem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung stehe. Die Berücksichtigung des Selbstzahlerpreises diene also als Rückkoppelung an das Kosten-Nutzen-Verhältnis und damit an den “wahren Preis” der DiGA im Umfeld der freien Preisbildung. Es sei ein wichtiges Korrektiv, um einer übermäßigen Preissenkung und damit einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit von DiGA-Herstellern entgegenzuwirken.

Die Beklagte habe vor dem angegriffenen Schiedsspruch in ständiger Spruchpraxis die von den Herstellern gemeldeten Selbstzahlerpreise und Zahlungsbereitschaften der privaten Krankenversicherer mit mindestens 10% und höchstens 15% berücksichtigt, sofern keine besonderen Ausschlussgründe vorgelegen hätten. Dabei sei nie auf das exakte Verhältnis der Abgaben zum Selbstzahlerpreis zu Abgaben zulasten der GKV abgestellt worden. Dies sei vor dem Hintergrund der Funktion der Selbstzahlerpreise als Korrektiv auch nachvollziehbar. Die Reliabilität der Selbstzahlerkosten in dieser Funktion könne freilich im Einzelfall zweifelhaft sein, wenn durch kurzfristige Preisanpassungen der Verdacht einer strategisch-missbräuchlichen Preisfestsetzung naheliege oder ein unsubstantiierter und widersprüchlicher Vortrag hinsichtlich der Selbstzahlerkosten zu konstatieren sei. Beides treffe bei Y nicht zu.

 

Die Voraussetzungen für einen Ausgleichsbetrag seien schon deshalb nicht erfüllt, weil nach § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV Ausgleichsansprüche nur dann zu verhandeln seien, wenn die endgültige Aufnahme einer DiGA (durch das BfArM) abgelehnt und die DiGA aus dem Verzeichnis nach § 139e SGB V gestrichen werde. Beide kumulativen Voraussetzungen lägen nicht vor. Selbst wenn man annehme, dass die Regelung zur Vereinbarung von Ausgleichsansprüchen auch auf teilweise Ablehnungen mit der Folge teilweiser Streichungen anzuwenden sei, lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Beide o.g. Bescheide enthielten keine (auch nur teilweise) Ablehnungsverfügung. Ausdrücklich formuliere das BfArM hinsichtlich der geänderten Darstellung des Anwendungsgebietes in Form einer Angabe von ICD-10-Codes, dass es sich lediglich um eine „Spezifizierung“ handele. Hintergrund sei nach dem Verständnis der Klägerin lediglich eine geänderte Verwaltungspraxis hinsichtlich der Darstellung einer geeigneten Patientengruppe. Anstelle einer grundsätzlich weit gefassten Indikationsgebietsangabe nach ICD-10-GM dreistellig („E66“) gemäß § 9 Abs. 3 DiGAV, die durch entsprechende zusätzliche Angaben im DiGA-Verzeichnis auf die gewünschte Patientengruppe wieder eingegrenzt werde, habe das BfArM auf eine initial enge Indikationsgebietsangabe „E66.00 und E66.01“ nach ICD-10-GM fünfstellig umgestellt. Effektiv sei damit aber keine Beschränkung der Patientenpopulation einhergegangen. Die veränderte Darstellung im DiGA-Verzeichnis stelle daher auch eine Spezifizierung und keine Ablehnung und Streichung dar. Im Zuge der Spezifizierung sei das bei initialer Listung mittels der erforderlichen vertragsärztlichen Leistungen gewählte Vorgehen für eine hinreichende Eingrenzung der Patientenpopulation der geänderten Handhabung des BfArM – im Ergebnis unterschiedslos – angepasst worden. Die Darstellung im Schiedsspruch, es könnte nach dem Vortrag der Klägerin bei Ärzten zu Fehlkodierungen gekommen sein, treffe nicht zu. Sie habe nie behauptet, dass alle nicht mehr aufgenommenen ICD-10-Codes fehlerhaft kodiert gewesen seien. Allerdings sei umfassend vorgetragen worden, dass – unterstellt, die verordnenden Ärzte hätten die vorgeschriebene Anamnese und Befundung ordnungsgemäß durchgeführt – kein Raum für die Annahme verbleibe, dass die (wenigen) Y verordnenden Ärzte unspezifische ICD-10-Codes (z.B. E66.09, E66.8x, E66.9x) kodiert hätten. Dies wäre nach den Kodiervorgaben des BfArM unzulässig. Mittels der erforderlichen vertragsärztlichen Leistungen sei also immer dafür Sorge getragen worden, dass Ärzte die notwendigen Informationen für das spezifische Kodieren hätten. Die große Zahl der unspezifisch kodierten Patienten dürfte demnach keine mit Y versorgten Patienten beinhalten. Nur wenn man annehme, dass Ärzte dennoch in relevantem Umfang unspezifisch kodiert hätten, komme man zu den Überlegungen der Beklagten und des Beigeladenen.

Die Idee, möglicherweise fehlkodierte ICD-Codes bei der Preisfindung zu berücksichtigen, stelle allerdings eine sachfremde Erwägung dar. Weder Kodierfehler noch eine Abgabe der DiGA außerhalb des Anwendungsbereichs ließen eine Aussage über den Wert von Y zu, noch seien sie von der Klägerin zu vertreten. Für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung im Einzelfall stünden den Krankenkassen gesonderte Mechanismen zur Verfügung. Die zusätzliche Berücksichtigung auf Preisbildungsebene könne zu einer doppelten Rückforderung der Krankenkassen führen, wenn zusätzlich zur Preisminderung Regresse gegen die Leistungserbringer auch hinsichtlich des verbleibenden Vergütungsbetrags geltend gemacht werden sollten.

Im Übrigen sei zu beachten, dass es keine unspezifische Adipositas „nicht näher bezeichnet“ als eigenständige Indikation gebe. Es handele sich lediglich um eine Auffangkategorie, falls eine genauere Kodierung in Ermangelung erforderlicher Informationen für eine spezifischere Kodierung nicht möglich sei. Jede unspezifisch kodierte Adipositas wäre also einem spezifischen ICD-10-Code zuzuordnen, sobald die fehlenden Informationen vorlägen. Es sei anzunehmen, dass sich die zunächst unspezifisch kodierten Fälle entsprechend des bekannten Verhältnisses der spezifischen Kodierungen verteilen würden. Wolle man also diejenigen Fälle preismindernd in Abzug bringen, die nach einer Verteilung unspezifisch kodierter Fälle auf spezifische Fälle noch außerhalb des Indikationsgebiets lägen, ergebe sich ein Bruchteil des von der Beklagten angesetzten Anteils. Statt 15% wären nur ca. 1,5% abzuziehen gewesen. Die Überlegungen der Beklagte gingen mithin von einem falschen Sachverhalt aus und seien zudem methodisch verfehlt.

Unabhängig von den o.g. Aspekten sei zudem davon auszugehen, dass die Patienten immer wirksam behandelt würden, denn die Ansätze zur Behandlung einer Adipositas seien zwischen E66.00 / E66.01 und E66.09 identisch. Die Überlegungen der Beklagten, dass in 15% der Fälle eine Leistung außerhalb der endgültigen Indikationen erfolgt sei, für die ein Ausgleichsbetrag in voller Höhe zu zahlen sei, entbehre damit jeder Grundlage – sowohl einer notwendigen Rechtsgrundlage als auch einer hinreichenden Datengrundlage.

 

Nach Auskunft des Insolvenzverwalters seien die Feststellungen zur Tabelle zwischenzeitlich abgeschlossen und die Verjährungsfrist des § 259b InsO abgelaufen. Der durch die rechtswidrige Festsetzung von Ausgleichsbeträgen herbeigeführte Schaden habe sich mithin manifestiert. Falls das Gericht insoweit von einer Erledigung des Rechtsstreits ausgehe, werde ein Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Ein rechtliches Interesse hieran bestehe, weil zu befürchten sei, dass sich die Praxis der Beklagten wiederhole. Außerdem bestehe ein Rehabilitationsinteresse, weil mit dem Schiedsspruch, insbesondere mit dem zusätzlichen rückwirkenden Abschlag für vermeintliche Unwirtschaftlichkeit in der Patientengruppe nach ICD-10-GM "E66.09", eine ungerechtfertigte Rufschädigung hinsichtlich des Werts des Produkts sowie eine Rufschädigung des Unternehmens und seiner kaufmännischen Eignung sowie seiner wissenschaftlichen Qualitäten begründet worden sei.

 

Die von der Klägerin im Schiedsverfahren beantragte Regelung einer Fortschreibung des Vergütungsbetrags im Verhältnis des Vergütungsbetrags zur Anwendungsdauer habe die Beklagte gänzlich ohne Begründung abgelehnt.

Da Y insgesamt ein Jahr angewendet werden solle, seien bei einer Einteilung in 90 Tage vier Verordnungen erforderlich. Jede Verordnung (ob Erst- oder Folgeverordnung) werde nach dem Schiedsspruch einheitlich mit demselben Preis vergütet. Bei zwei Verordnungen bis zum Erreichen der Mindestanwendungsdauer (2 x 90 Tage = 180 Tage) ergebe sich also der doppelte Vergütungsbetrag in Höhe von 436,00 €.

Mit dem Antrag der Klägerin beim BfArM, die Anwendungsdauer von 90 auf 180 Tage zu erhöhen und den Vergütungsbetrag im selben Verhältnis angepasst einzutragen, solle die allein den technisch begrenzten Auswahlmöglichkeiten im Antragsportal des BfArM (90 Tage oder Einmallizenz) geschuldete 90-Tage-Logik mit der Mindest- und Regelanwendungsdauer von Y sowie mit den vorgesehenen erforderlichen vertragsärztlichen Leistungen bei Y nach 180 Tagen in Deckung gebracht werden, um unnötige Aufwände bei Verordnern und vermeidbare Hürden bei der Therapietreue abzubauen. Wenn der Schiedsspruch aber lediglich auf 90 Tage anzuwenden sei und sich aus der Formulierung „für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen“ kein Verhältnis von Dauer zu Preis ergebe, das vergleichbar der Bezugsgröße im Arzneimittelbereich wirke und die Freiheit der Hersteller auf Anpassung ihrer Produkte nicht wahre, so sei die Ablehnung des Antrags der Klägerin begründungspflichtig, da sie das wirtschaftliche Handeln der Klägerin über die bloße Festlegung des Vergütungsbetrags hinaus beeinträchtige.

Die Klägerin habe insoweit ein qualifiziertes Feststellungsinteresse, da das BfArM eine Eintragung einer entsprechenden wesentlichen Änderung im DiGA-Verzeichnis abgelehnt habe und die Klägerin ohne entsprechende Feststellung an der Ausübung ihrer Berufsfreiheit gehindert sei.

Im Schiedsspruch zur DiGA M, bei dem der DiGA-Hersteller ebenfalls die (lineare) Fortschreibung des Vergütungsbetrags beantragt habe, habe die Beklagte diesen Antrag – anders als im streitgegenständlichen Verfahren – mit einer entsprechenden Begründung abgelehnt:

„(…) Der Schiedsstelle erschien dies nicht zweckmäßig. Sofern weitere Verordnungseinheiten mit abweichenden Anwendungsdauern in das Verzeichnis eingetragen werden sollten, wird hierfür der Vergütungsbetrag zwischen den Vertragspartnern gesondert zu vereinbaren und ggfs. von der Schiedsstelle festzusetzen sein. Diese Festlegung eines Vergütungsbetrags ausschließlich für die aktuell gelistete Anwendungsdauer ist vom Ermessensspielraum der Schiedsstelle gedeckt.“

 

Die Rechtsansichten des BfArM und der Beklagten seien nicht miteinander vereinbar.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Schiedsspruch der Beklagten vom 16. Mai 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,

 

hilfsweise

festzustellen, dass die Regelung unter Ziffer 4 des Schiedsspruchs vom 16. Mai 2023 rechtswidrig ist,

 

hilfsweise

festzustellen, dass der Vergütungsbetrag für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen bei einer Änderung der Anwendungsdauer im Verzeichnis nach § 139e SGB V im selben Verhältnis (Anwendungsdauer zur Vergütung) fortzuschreiben ist.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Der Vorsitzende der Beklagten trägt vor:

 

Die Schiedsstelle sei ordnungsgemäß besetzt und vom Beigeladenen und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von DiGA auf Bundesebene (im Folgenden: maßgebliche Verbände) im August 2020 gebildet worden. Vorausgegangen sei zunächst eine Bekanntmachung des Beigeladenen im Bundesanzeiger mit dem Inhalt, dass sich maßgebliche Verbände bei ihm melden mögen. Hierfür mögen Verbände, die sich infolge der Bekanntmachung gemeldet hätten, anhand einer aus der Rechtsprechung abgeleiteten Kriterienliste selber prüfen, ob sie im Lichte dieser Kriterien als maßgeblich anzusehen seien. Die so in das Verfahren einbezogenen Verbände hätten mit dem Beigeladenen über die RV verhandelt und seien in diesem Zusammenhang im Rubrum der RV als Vereinbarungspartner benannt. Dass das Kriterium der Maßgeblichkeit nicht erfüllt sei, sei in den Verhandlungen wie auch in dem Schiedsverfahren zur Rahmenvereinbarung von keinem der in das Verfahren einbezogenen Verbände behauptet worden. Auch habe niemand vorgetragen, dass weitere bzw. andere Verbände maßgeblich seien. Dies könne als starkes Indiz dafür gewertet werden, dass die in das Verfahren einbezogenen Verbände das Kriterium der Maßgeblichkeit erfüllten.

Ein förmliches Prüfungsverfahren der Maßgeblichkeit bei Einleitung eines neuen Schiedsverfahrens habe der Gesetzgeber weder hier noch in ähnlich gelagerten Fällen vorgesehen; auch habe er keine gegebenenfalls zuständige Stelle benannt. Angesichts dieses beredten Schweigens des Gesetzgebers sei davon auszugehen, dass die Beklagte für die Dauer der Amtszeit ordnungsgemäß besetzt sei. Schließlich habe auch die Klägerin selbst die vermeintlich fehlerhafte Besetzung im Rahmen des Schiedsverfahrens nicht gerügt.

 

Es sei unstrittig, dass die Patientenschulungsprogramme nach § 43 SGB V Ermessensleistungen der Krankenkassen darstellten, was sich in dem vorgenommenen Abschlag von 20 % von den Programmkosten niederschlage. Dass die hausärztliche Versorgung als Regelversorgung parallel weiterhin stattfinde, sei ebenfalls unstrittig. Es sei kein logischer Widerspruch, sondern folgerichtig und vom Ermessensspielraum der Beklagten gedeckt, die Kosten der hausärztlichen Versorgung in Abzug zu bringen. Der Begriff „Regelversorgung“ unter Ziffer 6 der begründenden Erwägungen des Schiedsspruchs sei im Zusammenhang mit den nachfolgenden Erläuterungen zu sehen.

 

Bei ihrer Berechnung zur Höhe der hausärztlichen Vergütung habe die Klägerin die Versichertenpauschale (GOP 03000) mit 12,84 € in Ansatz gebracht, womit sich 83,15 € ergäben. Die GOP 03000 sei allerdings nach Altersgruppen differenziert und der Betrag von 12,84 € der niedrigste Betrag. Die Schiedsstelle habe den Durchschnitt der Pauschalen bei den Erwachsenen angesetzt. Zudem habe sie auch die GOP 03222, die regelhaft zusätzlich bei den Chroniker-Leistungen in Ansatz gebracht werde, berücksichtigt.

 

Dass die Schiedsstelle den vollen Betrag der ermittelten hausärztlichen Vergütung in Abzug gebracht habe, stelle sicherlich nicht die einzig mögliche Vorgehensweise dar. Sie sei allerdings von ihrem Ermessensspielraum gedeckt und könne schon von daher nicht die Rechtswidrigkeit des Schiedsspruchs bewirken.

 

Die Schiedsverhandlungen hätten zur Überzeugung der Mehrheit ihrer Mitglieder gezeigt, dass solche Einzeltherapiestunden Bestandteile multimodaler Adipositasprogramme seien, jedoch weit über das hinausgingen, was eine DiGA leiste. Daher sei der Abzug gut begründet, zumindest aber vertretbar.

 

Der Schiedsspruch setze sich nicht in Gegensatz zur Bindungswirkung der RV und des BfArM-Bescheides. Die Klägerin stütze sich primär auf Ausführungen der Schiedsstelle, wonach sich die Effektstärke „für die sekundären und weiteren Endpunkte … als gering bis nicht vorhanden“ erweise. Die Schiedsstelle habe lediglich die Stärke des Effektes „Verbesserung der Lebensqualität“ als gering und die Stärke weiterer sekundärer Endpunkte als nicht vorhanden eingeschätzt. Der positive Versorgungseffekt „Verbesserung der Lebensqualität“ sei somit berücksichtigt worden. Die Einschätzung der Stärke dieses Effektes als gering sei vom Ermessensspielraum der Schiedsstelle gedeckt. Dass die Schiedsstelle weitere Endpunkte nicht sehe, widerspreche den Feststellungen des BfArM nicht.

 

Rund 99 % der Abgaben von Y erfolgten nach dem klägerischen Vortrag im Schiedsverfahren nicht an Selbstzahler. Deshalb habe die Schiedsstelle im vorliegenden Fall von einer Berücksichtigung des Selbstzahlerpreises Abstand genommen. Dies sei ggf. nicht die einzig mögliche Bewertung der Selbstzahlerpreise von Z, sei aber jedenfalls von der gesetzlich gebotenen freien Würdigung aller Umstände des Einzelfalles und dem der Schiedsstelle eingeräumten weiten Ermessensspielraum gedeckt.

 

Die von der Klägerin als rechtswidrig eingeschätzte Berücksichtigung eines Ausgleichsbetrags für die verlängerte Erprobungsphase berühre sehr grundsätzlich die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Preisgestaltung der DiGA durch den Gesetzgeber: Während des ersten Jahres sei der Hersteller (allenfalls indirekt begrenzt durch das Höchstbetrags-Regime nach § 134 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 SGB V) in seiner Preisgestaltung frei. Ab dem 13. Monat sei hingegen zu berücksichtigen, dass Verordnungen für Bereiche erfolgten, für die das BfArM abschließend eine Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis abgelehnt habe. Für solche Verordnungen könne es zur Überzeugung der Schiedsstelle in der Regel keine Vergütung geben. Dies sei aus Sicht der Schiedsstelle analog zu dem in der RV geregelten Fall der vollständigen Streichung einer DiGA aus dem Verzeichnis durch das BfArM zu sehen: Die Nicht-Aufnahme bestimmter ICD-Codes in das DiGA-Verzeichnis gegenüber dem Umfang der vorläufigen Aufnahme in der Erprobungsphase stelle sich als ein teilweiser Ausschluss dar. Die Schiedsstelle teile ausdrücklich nicht die Auffassung der Klägerin, dass auch bei Verordnungen auf entsprechende, nicht aufgenommene ICD-Codes hin „die Patienten immer wirksam behandelt wurden“. Denn durch die Nicht-Aufnahme bestimmter ICD-Codes habe das BfArM gerade ausdrücklich festgestellt, dass es für diese ICD-Codes den Nachweis des positiven Versorgungseffekts als nicht erbracht ansehe. Ein Nutzennachweis fehle daher insoweit.

Wie im Schiedsspruch ausgeführt, habe die Schiedsstelle sich intensiv mit den von beiden Seiten vorgelegten empirischen Herangehensweisen für die Ermittlung eines Ausgleichsbetrags beschäftigt, sodann im Lichte der vorgebrachten Argumente die vom Beigeladenen vorgelegte Datenbasis als Ausgangsbasis gewählt und davon zugunsten der Klägerin einen erheblichen Sicherheitsabschlag vorgenommen.

 

In der Schiedsverhandlung habe kein Anlass bestanden, sich auch mit möglichen anderen Verordnungsdauern im Schiedsspruch auseinanderzusetzen, weil ein Vergütungsbetrag für z. B. eine Verordnungsdauer von 180 oder 270 Tagen nicht beantragt worden sei. Die Vertragspartner bzw. die Schiedsstelle hätten in den jeweiligen Verfahren DiGA-spezifisch festzulegen, welche Kriterien bei der Festlegung eines Vergütungsbetrages für eine geänderte Anwendungsdauer zu berücksichtigen seien. Mögliche Kriterien hierfür seien zum Beispiel: Stärke des Effektes und Qualität der Studie für die geänderte Anwendungsdauer, administrative Ersparnisse und/oder Mehrkosten für die Beteiligten, Anteil von Folgeverordnungen an den Gesamtverordnungen einer DiGA. Eine Verdoppelung des Preises bei einer Verdoppelung der Anwendungsdauer sei daher nur ein möglicher, nicht in jedem Falle besonders naheliegender Ansatz.

 

Der Beigeladene stellt keinen Antrag und bringt vor:

 

Nachdem die Klägerin die Möglichkeit, den durch den angefochtenen Schiedsspruch festgesetzten Vergütungsvertrag zum 30. September 2024 zu kündigen, nicht genutzt habe, fehle es ihr an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Zeit danach.

 

Für die zunächst zu klärende Frage, welche Organisationen maßgebliche Hersteller-verbände im Sinne des Gesetzes seien, habe die Besonderheit bestanden (und bestehe nach wie vor), dass es sich bei den DiGA um einen neuen Leistungsbereich handele, für den es noch keine gewachsene Verbändestruktur gebe. Vor diesem Hintergrund habe er am 14. Februar 2020 im Bundesanzeiger eine Bekanntmachung veröffentlicht, in der diejenigen Organisationen, die sich für eine maßgebliche Spitzenorganisation im Sinne des § 134 Absatz 3 Satz 1 SGB V hielten, gebeten worden seien, sich zu melden.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 46/13 R –, Rn. 29) seien im Rahmen einer Inzidentkontrolle alle Rechtsfragen, die die Durchführung und Ausgestaltung des Schiedsverfahrens beträfen – die Auslegung von Anträgen im Schiedsverfahren, die Besetzung des Schiedsamtes, die Beschlussfassung selbst und die Begründung der Entscheidung –, nicht von Belang.

Unabhängig hiervon habe die Klägerin es jedenfalls versäumt, die vermeintlich fehlerhafte Besetzung bereits im Schiedsverfahren zu rügen, obwohl ihr dies möglich gewesen sei. Insbesondere sei die Verhandlungsführerin und Parteivertreterin der Klägerin im Schiedsverfahren ( I) als Vertreterin des Spitzenverbandes digitale Gesundheitsversorgung e.V. (SVDGV) an den Verhandlungen zur RV, in deren Verlauf auch über die Besetzung der Schiedsstelle beraten worden sei, unmittelbar beteiligt gewesen. Dieses Wissen müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. Ferner sei die Klägerin auch während des Schiedsverfahrens anwaltlich vertreten gewesen.

 

Bezüglich des Abzugs von „analogen“ Versorgungskosten sei die Beklagte zur Ermittlung der analogen Versorgungskosten dem Modell der Klägerin gefolgt. Anders als von ihm – dem Beigeladenen – beantragt, habe die Beklagte in ihrem Schiedsspruch zur Herleitung der Versorgungskosten nicht auf die Kosten einer hausärztlichen Versorgung, sondern – entsprechend dem Ansatz der Klägerin – auf die Kosten von Patientenschulungsprogrammen nach § 43 SGB V abgestellt. In ihren konkretisierenden Anträgen vom 27. Februar 2023 habe die Klägerin die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten von Patientenschulungen zur Adipositas mit 2.700 € beziffert. Unter Berücksichtigung von durch die Patienten zu tragenden Eigenanteilen habe sie hieraus Therapiekosten pro 90 Tage von durchschnittlich 540 € abgeleitet. Diesen Betrag habe die Beklagte der Ermittlung der „analogen Versorgungskosten“ zugrunde gelegt. Von dem Betrag von 540 € auch Kosten für eine vertragsärztliche Versorgung von Adipositas-Patienten abzuziehen, sei konsequent. Denn eine hausärztliche Regelversorgung finde auch bei einer Versorgung mit Y weiterhin statt. Insoweit sei die Beklagte mit ihrem Vorgehen dem Ansatz der Klägerin gefolgt. Diese habe im Verfahren selbst die Auffassung vertreten, dass nicht alle Kosten von multimodalen Adipositas-Programmen berücksichtigt werden könnten, um den Preis für Y zu ermitteln. So habe die Klägerin in ihren konkretisierenden Anträgen vom 27. Februar 2023 selbst Kosten für ärztliche Leistungen in Höhe von 43,10 € in Abzug gebracht. Diesem Betrag lägen im wesentlichen Laborleistungen, z.B. Blutbild / Cholesterinbestimmung etc. zugrunde, die unstreitig Bestandteil der hausärztlichen Versorgung seien. Allerdings habe die Klägerin insoweit verkannt, dass Patienten mit Adipositas, die für Y in Betracht kämen, über Laborleistungen hinausgehend in der hausärztlichen Versorgung auch zu den Bereichen Bewegung, Ernährung und Verhalten durch Leistungen der sprechenden Medizin beraten und behandelt würden. Diese Leistungen seien über die Versichertenpauschale und die Gesundheitsuntersuchung und insbesondere in den Chroniker-Leistungen im EBM abgebildet. Insofern habe die Beklagte im Schiedsspruch den Ansatz der Klägerin aufgegriffen und weitergeführt. Im Übrigen seien in Patientenschulungsprogrammen zum Teil auch Einzelinterventionen, z.B. durch Ärzte, vorgesehen.

In diesem Zusammenhang sei schließlich auch zu berücksichtigen, dass die Leistungen der „sprechenden Medizin“ im Rahmen der hausärztlichen Versorgung in einem Einzelsetting stattfänden, das nicht mit der DiGA Y als digitalem Selbsthilfeinstrument vergleichbar sei<.

 

Die Klägerin übersehe, dass die Beklagte in dem Schiedsspruch diejenigen Kosten der hausärztlichen Versorgung in Abzug gebracht habe, die typischerweise im Rahmen einer Adipositas-Behandlung anfielen. Dass möglicherweise andere, weitere Erkrankungen, wie z.B. eine saisonale Grippe, ebenfalls die Inanspruchnahme eines Hausarztes erforderlich machen könnten, treffe zu. Dies ändere aber nichts daran, dass unabhängig von weiteren, mit einer Adipositas nicht im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Erkrankungen die von der Schiedsstelle angesetzten Kosten im Rahmen der Adipositas-Behandlung regelmäßig anfielen.

 

Auch dem Einwand, die Beklagte habe Kosten für Einzeltherapiestunden zu Unrecht in Abzug gebracht, könne nicht gefolgt werden. Unstreitig beinhalteten multimodale Adipositas-Programme, an deren Kosten sich die Beklagte orientiert habe, auch ärztliche Leistungen, individuelle medizinische Betreuung, Einzelberatung und Gespräche in den Bereichen Ernährung, Bewegung, Verhalten. Diese Gespräche, die oft in einem 1:1-Setting stattfänden, könnten durch eine DiGA wie Y nicht ersetzt werden. Dies sehe offenbar auch die Klägerin so. Sie mache auf ihrer Website den Nutzern von Y sogenannte Zusatzangebote, außerhalb der DiGA Einzelberatungen zur Bewegung (29,99 € pro 30 Minuten) sowie zur Ernährung (39,99 € pro 30 Minuten) zu buchen. Die Zusatzangebote der Klägerin verdeutlichten zum einen, dass Y selbst eine entsprechende individuelle Beratung nicht leiste. Denn sonst wäre nicht verständlich, warum diese Leistungen den Versicherten als kostenpflichtige Zusatzangebote außerhalb der DiGA angeboten würden. Zum anderen lasse sich der Website der Klägerin auch entnehmen, dass sie selbst für beide Zusatzangebote zusammengenommen einen Preis von ca. 60 € pro Stunde (Bewegungscoaching) und ca. 80 € pro Stunde (Ernährungsberatung) ansetze. Die Zusatzangebote würden von der Klägerin also mit einem durchschnittlichen Preis von 70 € pro Stunde bewertet. Die von ihr geäußerten Zweifel an dem von der Beklagten angesetzten Betrag von 70 € seien daher nicht nachvollziehbar.

 

Die Verpflichtung der Hersteller von DiGA nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V bzw. § 6 Abs. 2 RV zur Übermittlung der Selbstzahlerpreise habe nicht zur Folge, dass diese stets bei der Ermittlung und Festsetzung eines Vergütungsbetrages zu berücksichtigen seien. Aus der gemäß § 134 Abs. 2 Satz 3 SGB V bzw. § 8 Abs. 2 Satz 1 RV vorgesehenen freien Würdigung der preisrelevanten Informationen ergebe sich, dass nicht jede potentiell preisrelevante Information zwingend in den festgelegten Vergütungsbetrag einfließen müsse. Die Klägerin übersehe auch, dass in dem von ihr angeführten Schiedsspruch zur DiGA M die Beklagte vorweg klargestellt habe, dass diesem Schiedsspruch kein Präjudiz für etwaige kommende Verfahren zukomme. Die gelte naturgemäß erst recht für bereits abgeschlossene Schiedsverfahren. Im Übrigen habe die Beklagte auch bei einigen Schiedssprüchen die Selbstzahlerpreise unberücksichtigt gelassen.

Die Ausgleichsansprüche der Krankenkassen für den Zeitraum ab Beginn des 13. Monats nach Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis seien – soweit bekannt – vom Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellt worden. Vor diesem Hintergrund sei ein Rechtschutzbedürfnis der Klägerin in diesem Punkt zweifelhaft.

 

Die Klägerin verkenne, dass die Notwendigkeit eines Ausgleichsbetrages in Form eines abgesenkten Vergütungsbetrages bereits in der Regelungssystematik von § 134 SGB V angelegt sei. Aus der gesetzlichen Systematik (§ 134 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 SGB V) folge, dass immer dann ein Ausgleich erfolgen müsse, wenn sich der festgelegte Vergütungsbetrag von dem ab dem 13. Monat vorläufig weiter gezahlten tatsächlichen Herstellerpreisen unterscheide. Sei der festgesetzte Vergütungsbetrag niedriger als der tatsächliche Preis, stünden den Krankenkassen Rückzahlungsansprüche in Höhe der Differenz zu. Sei er höher, habe der Hersteller entsprechende Nachzahlungsansprüche gegen die Krankenkassen. In der RV nach § 134 Abs. 4 und 5 SGB V würden diese Ansprüche zusammenfassend als Ausgleichsansprüche bezeichnet (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 RV).

§ 4 Abs. 4 Satz 3 RV regele Ausgleichsansprüche nicht abschließend, sondern betreffe die besondere Fallgestaltung, dass eine DiGA im Ergebnis der Erprobung aus dem DiGA-Verzeichnis gestrichen werde. In diesem Fall müsse mit Wirkung für die Zukunft kein Vergütungsbetrag mehr festgelegt werden, weil die DiGA ohnehin nicht mehr verordnungsfähig sei. Daher sei nach § 4 Abs. 4 Satz 3 RV in einem solchen Fall (nur noch) über Ausgleichsansprüche nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 2 RV zu verhandeln. Besonderheiten ergäben sich, wenn eine DiGA z.B. nicht für alle Indikationen oder Patientengruppen, für die sie zur Erprobung gelistet gewesen sei, endgültig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen werde. In diesem Fall habe die DiGA in der verlängerten Erprobungszeit auch für Patientengruppen und Indikationen verordnet werden können, für die der Nachweis des positiven Versorgungseffektes nicht geführt worden sei. In diesem Fall müsse – wie in dem streitgegenständlichen Schiedsspruch geschehen – zwischen dem Zeitraum der verlängerten Erprobung und dem Zeitraum ab der endgültigen Aufnahme differenziert werden.

Y sei nicht in dem Umfang dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen worden, in dem diese DiGA während der Erprobungszeit dort gelistet gewesen sei. Im Ergebnis des von der Klägerin durchgeführten Widerspruchsverfahrens sei Y mit den Indikationen E66.00 (Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr bei Patienten von 18 Jahren und älter) und E66.01 (Adipositas Grad 2) für weibliche und männliche Patienten endgültig in das DiGA-Verzeichnis eingetragen worden. Hierauf beziehe sich der von der Beklagten für die Zeit ab dem 15. August 2022 festgelegte Vergütungsbetrag von 218 €.

Während der verlängerten Erprobungszeit sei Y aber darüber hinaus auch für weitere ICD-Codes (E66.09, E66.10, E66.11, E66.19, E66.20, E66.21, E66.29, E66.80, E66.81, E66.89, E66.90, E66.91, E.66.99) im DiGA-Verzeichnis gelistet und damit verordnungsfähig gewesen. Für diese Diagnosen sei keine endgültige Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis erfolgt, weil in die Zulassungsstudie ausschließlich Patientinnen und Patienten mit den Indikationen E66.00 und E66.01 eingeschlossen gewesen seien. Für die nicht dauerhaft aufgenommenen Diagnosen sei somit keine Anerkennung eines positiven Versorgungseffektes durch das BfArM erfolgt. Y sei also in der Zeit vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 für Indikationen im DiGA-Verzeichnis gelistet und damit auch verordnungsfähig, für die der Nachweis des positiven Versorgungseffektes nicht erbracht worden sei. Für diese Indikationen sei die zentrale gesetzliche Voraussetzung für eine Vergütung der DiGA in der GKV über den 13. Monat hinaus nicht erfüllt. Wäre die Entscheidung des BfArM über die endgültige Aufnahme von Y bereits zum Ende des 12. Monats gefallen, wären die o.g. Indikationen bereits mit Wirkung zum 22. Oktober 2021 aus dem DiGA-Verzeichnis zu streichen gewesen mit der Folge, dass die Krankenkassen die auf diese Indikationen entfallenden Kosten nicht hätten tragen müssen. Für die nicht dauerhaft aufgenommenen Indikationen könne daher der von der Beklagte festgelegte Vergütungsbetrag von 218 € nicht gelten.

Hierfür spreche auch, dass sowohl das Gesetz als auch die RV als entscheidendes Preiskriterium den nachgewiesenen positiven Versorgungseffekt benennten. So folge aus § 134 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 SGB V, dass die Erkenntnisse über den nachweisbaren positiven Versorgungseffekt preisrelevant seien. Weiter konkretisiert werde dies durch § 8 Abs. 2 Satz 2 RV, wonach als Preisbemessungskriterium im Besonderen das Ausmaß des positiven Versorgungseffektes zu berücksichtigen sei. An einem solchen nachgewiesenen positiven Versorgungseffekt fehle es aber mit Blick auf die weggefallenen Indikationen. Das Ausmaß des nachgewiesenen positiven Versorgungseffektes sei insoweit Null. Damit sei für Indikationen ein Vergütungsbetrag in Höhe von Null Euro festzulegen.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang einwende, das BfArM habe lediglich eine „Spezifizierung“ der Diagnosen vorgenommen, könne dem nicht gefolgt werden. Denn die vom BfArM gewählte Bezeichnung der „Nichtaufnahme“ als „Spezifizierung“ ändere nichts daran, dass Y bis zum 14. August 2022 für die nicht dauerhaft aufgenommenen Diagnosen verordnungsfähig gewesen sei, aber nicht mehr seit dem 15. August 2022.

Nicht haltbar sei schließlich auch die Behauptung der Klägerin, die Patienten seien immer wirksam behandelt worden, weil die Ansätze zur Behandlung einer Adipositas identisch seien. Ausschlaggebend sei nicht, ob eine DiGA (irgendwie) wirke, sondern ob dem Hersteller der Nachweis des positiven Versorgungseffekts nach Maßgabe von § 139e SGB V und der DiGAV gegenüber dem BfArM gelungen sei.

Zur Berücksichtigung der nicht dauerhaft berücksichtigten Diagnosen habe die Beklagte für die Zeit vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 zutreffend eine Mischpreisbildung vorgenommen. Die Datengrundlage des Beklagten hierfür beruhe auf einer Auswertung von ambulanten AOK-Fällen im Kalenderjahr 2019, bei denen mindestens eine gesicherte Diagnose – entweder von den aufgenommenen Diagnosen (ICD-Codes: E66.00, E66.01) oder den gestrichenen dreizehn Diagnosen – vorgelegen habe. Dabei seien 36 % der Fälle mit dauerhaft zugelassenen Diagnosen und 64 % mit den weggefallenen Diagnosen verbunden gewesen. Anhaltspunkte für eine wesentlich abweichende Verteilung im Zeitraum vom 22. Dezember 2021 bis zum 14. August 2022 seien weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Im Sinne einer Plausibilisierung des für Y festgesetzten Vergütungsbetrages sei ergänzend darauf hinzuweisen, dass der für den Zeitraum ab dem 15. August 2022 festgelegte Vergütungsbetrag für Y von 218 € dem aktuellen Preisniveau für die DiGA mit vereinbarten oder von der Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbeträgen entspreche. Insoweit werde zur Glaubhaftmachung auf die nachstehende Übersicht zu den DiGA-Vergütungsbeträgen verwiesen:

 

DiGA

Indikations-

gebiet

Zustande-kommen

Herstellerpreis

(Jahr 1)

Vergütungs-betrag (ab Jahr 2)

Inkrafttreten Vergütungsbetrag

Abschlag auf

Herstellerpreis

1

s

Insomnie

Schiedsspruch (17.12.2021)

464,00 €

224,99 €

22.10.2021

-52 %

2

v

Angst-/

Panikstörungen

Schiedsspruch (30.03.2022)

476,00 €

230,00 €

01.10.2021

-52 %

3

e

Multiple

Sklerose +

Fatigue

Schiedsspruch (05.04.2022)

743,75 €

243,00 €

15.12.2021

-67 %

4

d

Depressionen

Schiedsspruch (08.04.2022)

297,50 €

210,00 €

20.02.2022

-29 %

5

K

Tinnitus

Einigung

203,97 €

189,00 €

25.09.2021

-7 %

6

H

Stress und Burnout

Einigung

599,00 €

235,00 €

18.10.2022

-61 %

7

He

Diabetes und Depression

Einigung

599,00 €

222,99 €

11.12.2022

-63 %

8

vo

Alkoholstörungen

Schiedsspruch (19.09.2022)

476,00 €

192,01 €

06.05.2022

-60 %

9

Se

Depressionen

Einigung

540,00 €

217,18 €

16.12.2021

-60%

10

Hel

Nichtorganischer

Vaginismus

Einigung

599,00 €

235,00 €

04.02.2023

-61 %

11

Hell

Panik

-störungen

Einigung

599,00 €

230,00 €

03.04.2023

-62 %

12

Vi

Rückenschmerzen

Schiedsspruch (10.01.2023)

239,96 €

206,79 €

17.02.2022

-14 %

13

Sel

Angststörungen

Einigung

540,00 €

228,50 €

19.06.2022

-58 %

14

Z

Adipositas

Schiedsspruch (16.05.2023)

499,80 €

218,00 €

22.10.2021

-56 %

15

I

Angst-/Panik-störungen

Schiedsspruch (10.07.2023)

620,00 €

220,00 €

03.12.2021

-65 %

16

Kr

Impotenz

Einigung

656,88 €

235,00 €

 

-64 %

17

H r

Schmerzstörung, Fibromyalgie

Einigung

599,00 €

235,00 €

 

-61 %

18

S O

Esstörungen

Einigung

540,00 €

232,00 €

 

-57 %

19

SB

Esstörungen

Einigung

540,00 €

232,00 €

 

-57 %

20

O

Adipositas

Einigung

445,00 €

220,90 €

 

-50 %

21

N

Depression

Einigung

249,00 €

199,00 €

 

-20 %

22

C

Knieschmerz

Einigung

345,10 €

223,49 €

 

-35 %

23

Ni

Psychische Störungen bei Tabakkonsum

Schiedsspruch

(11.01.2024)

329,00 €

211,00 €

 

-36 %

                     

 

 

Für die Klägerin replizieren ihre Prozessbevollmächtigten:

 

Das Kriterium der Maßgeblichkeit stehe nicht zur Disposition der Verbände.

Es sei nicht ersichtlich, wieso die Klägerin die möglicherweise nicht erfolgte Rüge der verschiedenen Verbände gegen sich gelten lassen müsse. Sie sei im Verfahren zur Besetzung der Schiedsstelle selbst nicht Beteiligte gewesen.

Auf die Frage, wann erstmals eine DiGA in das Verzeichnis nach § 139e SGB V aufgenommen worden sei, könne es nicht ankommen, da eine Aufnahme in dieses Verzeichnis für die DiGA-Eigenschaft nicht konstitutiv sei. Ein Verband, der keinen Hersteller einer DiGA vertrete, sei bereits begrifflich keine Organisation der Hersteller von DiGA, geschweige denn eine „Spitzenorganisation“ und erst Recht keine „maßgebliche“.

Die vom Beigeladenen angenommene Präklusion durch rügeloses Einlassen im Schiedsverfahren finde im Gesetz keinen Widerhall. Es sei nicht ersichtlich, welchen Sinn eine solche Rüge in einem Schiedsverfahren haben solle, bei dem keine adäquate Abhilfe ersichtlich sei. Die Klägerin sei mit dem Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 erstmals einem Verwaltungsakt der Beklagten ausgesetzt gewesen und habe die Besetzung der Schiedsstelle im ersten sich ihr bietenden Rechtsbehelf unverzüglich gerügt. Es fehle damit bereits am erforderlichen Zeitmoment für eine Verwirkung. Eine anwaltliche Vertretung habe im Schiedsverfahren nicht stattgefunden. Der jetzige Prozessbevollmächtigte sei lediglich als Schiedsstellenmitglied im Schiedsverfahren benannt worden.

 

Wenn – wie die Beklagte nunmehr einräume – die hausärztliche Versorgung als Regelversorgung parallel zu den Patientenschulungsprogrammen stattfinde, hätten diese Kosten zwingend bei der Ermittlung der analogen Versorgungskosten berücksichtigt (und somit um 89 € erhöht) werden müssen oder aber nicht zusätzlich in Abzug gebracht werden dürfen. Auf eine Berücksichtigung hätte folglich sogar vollständig verzichtet werden können.

Im Übrigen fielen die vertragsärztlichen Leistungen in Begleitung zur DiGA nur alle sechs Monate, nicht jedes Quartal an. Sie wären tatsächlich nur mit dem Faktor 0,5 zu berücksichtigen gewesen.

 

Aus den Einlassungen der Beklagten ergebe sich nun erstmals, welche Positionen sie bei den in Abzug gebrachten Kosten der hausärztlichen Versorgung berücksichtigt habe. Sie nehme hierzu indirekt Bezug auf die Kostenaufstellung der Beigeladenen im Schiedsverfahren. Weiterhin aber berechne die Beklagte den Abzugsbetrag falsch. Die von ihr angesetzte Gesundheitsuntersuchung (GOP 01732) dürfe nicht einmal pro Quartal, sondern ab dem 18. bis zum 35. Lebensjahr lediglich einmalig und ab dem 35. Lebensjahr alle drei Jahre abgerechnet werden (vgl. Teil B. Ziff. I § 2 der Gesundheitsuntersuchungsrichtlinie des GBA). Selbst wenn man die Patienten bis 35 unberücksichtigt ließe und allein auf die Patienten über 35 abstelle, müsste der Betrag anteilig auf ein Quartal innerhalb von drei Jahren heruntergerechnet und nur zu 1/12 berücksichtigt werden. Dies führe zu folgender Berechnung:

 

 

Leistung

EBM

Betrag

Betrag pro Quartal

 

 

 

 

 

 

Gesundheitsuntersuchung

01732

37,46 €

3,12 €

 

Versichertenpauschale 19. - 54. LJ

03003

13,10 €

 

 

Versichertenpauschale 55. - 75. LJ

03004

17,01 €

 

 

Versichertenpauschale > 76 LJ

03005

22,98 €

Ø 17,70 €

 

Chronikerpauschale I

03220

14,94 €

14,94 €

 

Chronikerpauschale II

03221

4,60 €

4,60 €

 

Chronikerpauschale I Zuschlag

03222

1,15 €

1,15 €

 

Problemorientiertes ärztliches Gespräch

03230

14,71 €

14,71 €

 

 

GESAMT

 

 

56,22 €

 

 

 

                       

 

Wenn die Beklagte die Kosten einer menschlichen Leistung (Einzeltherapiestunden) abziehe, weil die menschliche Leistung über das Leistungsspektrum einer DiGA hinausgehe, repliziere sie nur ein Wesensmerkmal jeder DiGA: Eine DiGA sei ein Medizinprodukt, keine menschliche Handlung. Gleichwohl habe die Beklagte im Bereich der kognitiven Verhaltenstherapie oder der Physiotherapie die analogen Versorgungskosten am Vergleich mit den Kosten menschlicher Leistungen bepreist. Die Entscheidungen der Beklagten müssten sich – weil sie als Behörde handele und trotz des eingeräumten Ermessens – an Art. 3 GG und dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung messen lassen.

Der Mangel der Nachvollziehbarkeit des Schiedsspruchs werde nicht dadurch behoben, dass der Beigeladene eine eigene Logik zur Herleitung der Vergütungshöhe entwickele, die die Beklagte selbst gar nicht vortrage.

Von der Klägerin angebotene, außerhalb der DiGA liegende Zusatzleistungen seien ohne Bedeutung. Die DiGA habe ihre Wirksamkeit in ihrer konkreten Gestalt, d.h. ohne diese Zusatzangebote, nachgewiesen und dabei Ergebnisse vorzuweisen, die denen einer leitliniengerechten Therapie entsprächen (5 % - 10 % kontinuierlicher Gewichtsverlust über ein Jahr). Der Umstand, dass einige Patienten nach individuellen Vorlieben möglicherweise auch ein persönliches Einzelgespräch führen wollten und die Klägerin für diese Bedürfnisse Angebote außerhalb der DiGA schaffe, solle ihr nun nach Ansicht des Beigeladenen zusätzlich zum Nachteil gereichen. Andere Leistungen als die DiGA zum Gegenstand der Preisfindung machen zu wollen, stelle eine sachfremde Erwägung dar.

Es sei ein gedanklicher Fehler, nicht den medizinischen Nutzen zu bepreisen, sondern struktur- und konzeptbedingte (Personal-)Kosten einseitig zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen. Dass Y die Inhalte zu den Themen Bewegung und Ernährung aufwändig gestalte und interaktiv digital umsetze und damit weit über das Leistungsspektrum eines Patientenschulungsprogramms hinausgehe (und dabei immer und überall verfügbar sei) und damit besser in den Alltag der Patienten und Patientinnen integriert werden und so ihre Wirkung entfalten könne, werde hingegen nicht berücksichtigt.

Selbst wenn man dem Vortrag des Beigeladenen folgte, dürften die Zusatzangebote der Klägerin nur mit 29,99 € bzw. 39,99 € angesetzt werden. Ein Vielfaches davon, insbesondere ein entsprechender Ansatz pro Quartal, lasse sich nicht ableiten.

 

Die von der Beklagten nunmehr behauptete Bewertung für den Effekt der Verbesserung der Lebensqualität als „gering“ stehe im Widerspruch zum Schiedsspruch („gering bis nicht vorhanden“). Damit würden die Grenze des „geringen“ eindeutig und bewusst unterschritten, die Feststellungen des BfArM zumindest teilweise in Abrede gestellt und gegen § 6 Abs. 3 RV verstoßen. Wenn ein Aufschlag von 27,5% das Ergebnis der Berücksichtigung des Effekts als gering einschließlich der Wertung „bis nicht vorhanden“ sei, bleibe nur die logische Konsequenz, dass ein weniger geminderter Wert und damit ein jedenfalls über 27,5% liegender Aufschlag von der Schiedsstelle anzunehmen gewesen wäre.

 

Die Beklagte habe in ihrem zwischenzeitlich ergangenen Schiedsspruch zur DiGA „M: Panikstörung und Agoraphobie“ vom 16. Februar 2024 als einziges Kriterium für die Berücksichtigung von Selbstzahlerpreisen angesehen, dass „Abgaben an Selbstzahler auch tatsächlich stattfinden“ und eine Berücksichtigung „nicht aus spezifischen Gründen unangemessen erscheint“. Danach hätte eine Berücksichtigung auch bei Y erfolgen müssen. Im Schiedsspruch zur DiGA M habe die Beklagte die Überzeugung geäußert, „dass der Prozentsatz, zudem die Selbstzahlerpreise berücksichtigt würden, nicht etwa dem Marktanteil der Abgaben an Selbstzahler im Vergleich zu Abgaben an GKV-Versicherte entsprechen solle, sondern die Größenordnung der Berücksichtigung der Selbstzahlerpreise normativ geleitet ist. Es wäre schon konzeptionell unangemessen, die Marktanteile einer GKV-Regelleistung für 90 Prozent der Bevölkerung mit einem Geschehen auf dem freien Markt für 10 Prozent der Bevölkerung zu vergleichen und daraus einen Gewichtungsanteil zu ermitteln.“ Folgerichtig führe die Schiedsstelle in diesem Schiedsspruch aus, dass eine geringe Anzahl an Verordnungen für Selbstzahler kein Hinderungsgrund für eine Berücksichtigung sei.

 

Die Voraussetzungen für die vom Beklagten (für die Begründung von Ausgleichszahlungen) angenommene Analogie zu § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV lägen nicht vor. Es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Auch könne über eine Analogie kein Grundrechtseingriff legitimiert werden. Zudem liege im vorliegenden Fall der Spezifizierung keine vergleichbare Interessenlage vor.

Gegen eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV spreche ferner, dass es für diesen Fall regelhaft – so auch hier – an einer Datengrundlage mangele. Es sei im Verordnungsprozess gerade nicht dokumentiert, in welcher Indikation eine Verordnung erfolgt sei. Belastbare Daten lägen mithin nur vor, wenn eine DiGA vollständig gestrichen werde. § 4 RV trage diesem Umstand bewusst Rechnung und sei beschränkt auf den Fall formuliert, der auch eine Rückabwicklung ermögliche. Bei einer bloßen Indikationsspezifizierung ergebe sich somit keine planwidrige Regelungslücke, die mittels Analogie geschlossen werden müsste, sondern um eine planmäßige Regelungsbeschränkung, die den tatsächlichen Gegebenheiten der Datengrundlage Rechnung trage.

Der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27652,105) lasse sich entnehmen, dass nur bei einer durch Verzögerungen der Schiedsstelle bedingten Über- oder Unterzahlung ein rückwirkender Ausgleich erfolgen solle, nicht aber bei sonstigen Verzögerungen. Denn die Norm bezwecke, sowohl DiGA-Hersteller als auch Kostenträger vor etwaigen Nachforderungen oder Rückzahlungen zu schützen. Die Regelung des § 134 Abs. 2 SGB V sei zudem auf Fälle der unmittelbar dauerhaften Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis beschränkt. Für Konstellationen nach erfolgter Erprobung gelte hingegen § 134 Abs. 2a SGB V, der schon dem Grunde nach keine vergleichbare Regelung zum rückwirkenden Ausgleich vorsehe.

 

ICD-10-Codes könnten ausschließlich dreistellig oder – in Ausnahmefällen – vierstellig zur Eintragung im DiGA-Verzeichnis angegeben werden. Dieser Regelung entsprechend habe die Klägerin das Anwendungsgebiet über Kontraindikationen und weitere Ausschlussgründe eingegrenzt, und letztlich unterschiedslos im Vergleich zur vom BfArM nun angewendeten Vorgehensweise, die die Systematik des § 9 Abs. 3 DiGAV nicht berücksichtige. Die Beklagte ignoriere, dass eine Studie für eine von einem drei- oder vierstellig gefassten ICD-10-Code nach § 9 Abs. 3 DiGAV umschriebene Krankheit immer auch die unspezifischen Formen „nicht näher bezeichnet“ (fünfstellig kodiert) umfasse und diese Unschärfe vom Verordnungsgeber bewusst eingepreist worden sei. Es wäre indes methodisch schlicht unvertretbar, einen isolierten Wirksamkeitsnachweis für eine Indikation wie E66.09 führen zu wollen. Denn solche Patienten, bei denen man die Erkrankung lediglich wegen nicht vorliegender Angaben nicht hinreichend beschreiben könne, könnten gar nicht sinnvoll in eine Studie eingeschlossen werden. Es könne aber nicht unterstellt werden, dass der Verordnungsgeber der DiGAV sowie die Partner der RV in diesen regelhaften und gleichsam unvermeidbaren Fällen eine methodisch waghalsige und finanziell existenzbedrohende Rückabwicklungsmechanik ohne Datengrundlage erreichen wollten. Im Gegenteil sei anzunehmen, dass die Beschränkung der Beschreibung der Patientenpopulation auf ICD-10-Codes dreistellig (oder vierstellig) nach § 9 Abs. 3 DiGAV in Kenntnis der Existenz der unspezifischen Unterkategorien der ICD-10-Systematik geschaffen worden sei und gegebenenfalls zu erwartende Unschärfen im eingepreisten Risiko lägen.

Selbst wenn man aber von einer planwidrigen Regelungslücke ausginge, käme eine Analogie nicht in Betracht, weil es sich hierbei um eine verfassungswidrige Analogie zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundrechte der Klägerin handele und mithin ein Analogieverbot bestehe. Solle durch Verwaltungsakt einer Behörde in die Grundrechte einer Person eingegriffen werden, gelte ein allgemeines Verbot analoger Rechtsanwendung. Ein solcher Fall liege hier vor.

Die Klägerin habe infolge der statusbegründenden Aufnahmen in das Verzeichnis nach § 139e SGB V Leistungen erbracht, die entsprechend der geltenden Gesetze vergütet worden seien. Die erlangten Rechtspositionen seien grundrechtlich von der Berufsfreiheit, dem Eigentumsrecht und dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt (Art. 12, 14, 19 Abs. 3 GG).

Die Beklagte habe im Schiedsspruch wie auch im Schriftsatz vom 9. August 2023 klargestellt, dass sie die offensichtlich mangelhafte Datengrundlage des Beigeladenen zugrunde gelegt habe. Sie bestätige damit, dass sie eine nach ihrer eigenen Darstellung mit erheblichen Zweifeln an der Übertragbarkeit behaftete Datenbasis ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe und den Sachverhalt somit nicht hinreichend habe ermitteln können. Es sei unvertretbar, offensichtlich ungeeignete Daten aus einem völlig falschen Zeitraum (1. Januar bis 31. Dezember 2019) heranzuziehen – noch bevor die erste DiGA überhaupt gelistet worden sei. Daran ändere sich auch durch einen frei gegriffenen „Sicherheitsabschlag“ nichts. Der Beigeladene habe gerade keine Daten zu Y oder auch nur der Prävalenz von Adipositas im maßgeblichen Zeitraum der verlängerten Erbprobung vorgelegt. Es lägen nicht einmal ein Beleg für nur eine einzige Verordnung von Y außerhalb der final aufgenommenen Indikationen E66.00 und E66.01 vor.

Die Feststellung des BfArM, dass ein positiver Versorgungseffekt für E66.00 und E66.01 vorliege, sei keine negative Feststellung dahingehend, dass Y in der Indikation E66.09 nicht wirksam sei. Hierzu hätten lediglich keine Daten vorgelegen, was dem BfArM mit Genehmigung der Erprobung auch bekannt gewesen sei. In diesem Wissen sei die Erprobung bewilligt und verlängert worden. Aus dem entsprechenden Schiedsspruch zu einer anderen DiGA („M-S“) ergebe sich, dass die Beklagte die Verlängerung der Erprobung als Hinweis darauf gesehen habe, dass das BfArM die Verlängerung hinsichtlich aller Indikationen als erfolgsversprechend angesehen habe. Das gelte auch hier.

Das BfArM habe lediglich die Herangehensweise bei der Beschreibung der Patientenpopulation geändert: Statt die entsprechende Menge so zu beschreiben, dass in einem ersten Schritt der weit gefasste Kreis aller E66-Diagnosen eröffnet und dann über weitere Ausschlüsse wieder eingeschränkt werde, gehe es nunmehr so vor, dass es die gewünschte Beschränkung schon dadurch beschreibe, dass es nur bestimmte, kleinere Populationen in Form von fünfstelligen ICD-Codes angebe und auf weitere Einschränkungen verzichte. Inhaltlich gebe es keinen Unterschied.

Die Annahme des Beigeladenen, im Fall einer Teilstreichung vor dem 13. Monat wären keine Kosten angefallen, verkenne, dass der Status der Erstattungsfähigkeit während der verlängerten Erprobung weiterhin gegeben gewesen und auch durch den Bescheid des BfArM nicht rückwirkend korrigiert worden sei. Mit jeder genutzten DiGA habe die Klägerin auch eine nach statusbegründender Aufnahme im DiGA-Verzeichnis erstattungsfähige Leistung erbracht. Ein Nachweis oder auch nur ein Hinweis dafür, dass Y außerhalb der Indikationen E66.00 und E66.01 nicht wirksam wäre, gebe es nicht. Nach den von der Klägerin vorgelegten Stellungnahmen von medizinischen Fachexperten gebe es keinen Unterschied im Behandlungsansatz und damit auch keine plausible Begründung für eine auch nur möglicherweise unterschiedliche Wirksamkeit in anderen gelisteten Indikationsgebieten.

Eine tatsächlich erbrachte und zum Zeitpunkt der Leistung unzweifelhaft erstattungsfähige, leitliniengerechte Behandlung im Nachgang ohne entsprechende Datenbasis rückabwickeln zu wollen – dies auch noch ohne Rechtsgrundlage – sei nicht begründbar.

Die gesetzgeberische Risikoverteilung sei in dieser Sonderkonstellation nicht so zu lesen, dass erbrachte Leistungen mit 0,00 € zu bewerten seien. Denn dann wäre kein Vergütungsbetrag in einem aufwändigen Verfahren zu vereinbaren. Der Gesetzgeber hätte insofern schlicht die vollständige Rückzahlung anordnen können, habe darauf jedoch verzichtet. Im Fall der Erprobung von DiGA ist § 12 SGB V durch § 134 SGB V und § 139e SGB V insoweit bewusst spezialgesetzlich modifiziert worden. Im Übrigen gehe die Interpretation des Beigeladenen, wonach § 12 SGB V eine Kostentragung in der vorliegenden Konstellation ausschließe, am Wortlaut der Norm vorbei. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V besage lediglich, dass Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, von Versicherten nicht beansprucht, von Leistungserbringern nicht bewirkt und von Krankenkassen nicht bewilligt werden dürften. Ändere sich nach Beanspruchung, Bewirkung oder Bewilligung der Leistungskatalog, indem eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit einer DiGA für die Zukunft erfolge, so ordne § 12 SGB V keine Rückabwicklung einer bereits erfolgten Kostentragung an.

 

Die vom Beigeladenen beabsichtigte Plausibilisierung von Vergütungsbeträgen zeige, wie die Beklagte das vermeintlich objektivierende Modell zur rechnerischen Herleitung als Feigenblatt für eine vom Ergebnis her gedachte Gleichmachung aller DiGA einsetzt. Unabhängig vom Indikationsgebiet, der vorgelegten Studie, dem Behandlungsansatz, der Multimodalität des Produkts, der Rolle der jeweiligen DiGA als Schluss einer Versorgungslücke oder als weitere Option in einem überversorgten Bereich, unabhängig von der Anwendungsdauer, dem Innovationscharakter und dem Selbstzahleranteil, würden alle DiGA einem einheitlichen Preiskorridor mit einer Normalverteilung um ca. 218 € zugeführt. Das Gleichmachen von wesentlich Ungleichem bezeichne der Beigeladene nun euphemistisch als „stimmige Einordnung in das Preisgefüge“.

Ein Schiedsspruch, der einen Hersteller zu einem Rabatt um mehr als die Hälfte des ohnehin schon günstigsten verfügbaren Preises für eine leitliniengerechte Therapie zwinge und damit bewusst die sofortige Insolvenz begründe, weise keinen Kompromisscharakter mehr auf, der für das BSG aber der zentrale Aspekt zur Rechtfertigung eines großen Gestaltungsspielraums der Beklagten und der ihr eingeräumten abgesenkten Begründungserfordernisse gewesen sei.

Mittlerweile sei zu erkennen, dass die Beklagte ihrem eigenen „Modell“ nicht vertraue, sondern beliebige Korrekturen vornehme, um alle DiGA in einen einheitlichen, engen Preiskorridor zu drängen. Das faktische Zusammenwirken von Beigeladenem und Schiedsstelle schließe eine Rückkoppelung der Preisfindung an marktwirtschaftliche Mechanismen aus.

 

Auf den Antrag der Klägerin, „den Vergütungsbetrag für die DiGA [Y] anzupassen und somit eine neue Einigung über den Inhalt des Vertrags nach § 134 Absatz 1 SGB V herbeizuführen, eröffnete die Beklagte mit ihrer Verfügung vom 27. Mai 2024 ein neues Schiedsverfahren. Entsprechend einem weiteren Antrag der Klägerin stellte sie fest, dass der Antrag der Klägerin auf Anpassung des Vergütungsbetrags zulässig sei und das Schiedsverfahren entsprechend fortgesetzt werde (Schiedsspruch vom 17. Juli 2024 – 5 D 16-24). Hiergegen richtet sich die Klage des Beigeladenen vom 16. August 2024 (L 1 KR 267/24 KL). Anfang Oktober 2024 nahm die Klägerin ihren Schiedsantrag zurück. Das Schiedsverfahren wurde eingestellt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

A. Streitgegenstand ist der Schiedsspruch der Beklagten vom 16. Mai 2023 und ein Anspruch der Klägerin auf dessen Aufhebung sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Dieses Ziel verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

I. Die Klägerin verfügt für den gesamten Umfang ihrer Klage über das notwendige Rechtsschutzbedürfnis (hierzu 1.), auch soweit sich gegen die Festsetzung eines (reduzierten) Vergütungsbetrags i.H.v. 185,30 € für den Zeitraum vom 22. Oktober 2021 bis 14. August 2022 (Ziffer 4 des Schiedsspruchs, hierzu 2.) und gegen die Festsetzung des Vergütungsbetrags für die Zeit nach dem 30. September 2024 (hierzu 3.) wendet.

 

1. Die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Diese treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat. Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Es ist ein allgemein anerkanntes Rechtsprinzip, dass jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt (Senat, Urteil vom 29. Juni 2023 – L 4 KR 166/22 KL –, Rn. 87f., juris, m.w.N.). Am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn eine Klage selbst im Falle ihres Erfolgs für den Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann, also wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers verbessern würde (BSG, Urteil vom 7. April 2022 – B 3 KR 4/20 R –, Rn. 20, juris, m.w.N.).

 

2. Der für die Zeit vom 22. Oktober 2021 bis 14. August 2022 festgesetzte Vergütungsbetrag hat für die Klägerin zur Folge, dass sie an die Krankenkassen für in diesem Zeitraum erfolgte Versorgungen mit Y Ausgleichsbeträge – in Höhe der Differenz zwischen dem im Zeitpunkt der Versorgung maßgeblichen (Hersteller-)Preis i.H.v. 499,80 € und dem festgesetzten Vergütungsbetrag i.H.v. 185,30 €, somit 314,50 € für jede (auf 90 Tage begrenzte) Versorgung gesetzlich Versicherter – zu zahlen hat. Diese Ausgleichsforderungen der Krankenkassen sind Gegenstand des gestaltenden Teils des Insolvenzplans (vgl. § 217 Abs. 1 Satz 1, § 219 Satz 1, § 221 Satz 1 InsO). Da dieser Insolvenzplan durch den o.g. Beschluss des Amtsgerichts Hamburg rechtskräftig bestätigt wurde, die Forderungen zur Insolvenztabelle (§ 178 InsO) angemeldet wurden sowie die Verjährungsfrist von einem Jahr – beginnend mit der Rechtskraft des o.g. Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg – verstrichen ist (vgl. § 259 Abs. 1 und 2 InsO), können die Krankenkassen aus diesen Forderungen wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben (§ 257 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dies allein lässt indes das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht entfallen.

 

Der streitgegenständliche Schiedsspruch vom 16. Mai 2023, der im Verhältnis zu den am Schiedsverfahren Beteiligten als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, Rn. 13; Urteil vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 2/13 R –, Rn. 11; Senat, Urteil vom 23. Oktober 2024 – L 4 KR 289/22 KL –, Rn. 49; im Übrigen wirkt er, soweit er – wie hier – einen Vertrag ersetzt, normativ: BSG, Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 46/13 R –, Rn. 25; Urteil vom 4. März 2014 – B 1 KR 16/13 R –, Rn. 21; jeweils m.w.N.), hat sich nicht allein wegen des Insolvenzverfahrens auf sonstige Weise (§ 39 Abs. 2 SGB X) erledigt. Nach § 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Von einer Erledigung "auf andere Weise" ist auszugehen, wenn der Verwaltungsakt nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu entfalten oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BSG, Urteil vom 13. Mai 2015 – B 6 KA 14/14 R –, Rn. 38; Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 5/11 R –‍, Rn. 20; jeweils m.w.N.).

 

Dass der Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 bezüglich des Zeitraums vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 keine rechtlichen Wirkungen mehr entfaltet, lässt sich nicht feststellen. Zwar ist nach dem o.G. denjenigen Krankenkassen, die ihre diesen Zeitraum betreffenden Ausgleichsansprüche gegen die Klägerin zur Insolvenztabelle angemeldet haben, grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, hieraus die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Weder dem Vorbringen der Beteiligten zu entnehmen noch anderweitig ersichtlich ist indes, ob alle Krankenkassen ihre diesbezüglichen Ausgleichsansprüche zur Insolvenztabelle angemeldet haben. Soweit Krankenkassen diesen Weg nicht gegangen sind, steht ihnen gemäß § 201 Abs. 1 InsO nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Geltendmachung ihrer Ausgleichsforderungen gegenüber der Klägerin (wieder) offen. Eine Restschuldbefreiung (§ 201 Abs. 3 i.V.m. §§ 286 ff. InsO) kommt für die Klägerin als juristische Person nicht in Betracht (§ 286 InsO). Jedenfalls auf die Ausgleichsansprüche dieser Krankenkassen wirkt sich der Schiedsspruch auch bezüglich des Zeitraums vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 noch rechtlich aus.

 

Darüber hinaus ist eine Erledigung des Schiedsspruchs für diesen Zeitraum auch deshalb nicht eingetreten, weil er für die Klägerin einen Behaltensgrund bezüglich der Vergütung für währenddessen innerhalb der GKV abgegebener Einheiten der DiGA Y darstellt (zum Behaltensgrund als gegen eine Erledigung auf sonstige Weise nach § 39 Abs. 2 SGB X sprechender Aspekt vgl. BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 56/03 R –, Rn. 13).

 

3. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist auch für die Zeit nach dem 30. September 2024 zu bejahen. Dass die Klägerin die Vergütungsvereinbarung gemäß deren § 6 Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung zu diesem Zeitpunkt erstmals hätte kündigen können, lässt ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die Möglichkeit zur Kündigung der Vergütungsvereinbarung stellt keine (ggf. vorrangig wahrzunehmende) andere gleichwertige Option zur Erlangung einer höheren Vergütung dar. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Beigeladene vor der erstmaligen Kündigungsmöglichkeit zugesagt hätte, mit der Klägerin eine höhere Vergütung zu vereinbaren. Ohne (verbindliche) Zusage hätte für die Klägerin nur eine vage Aussicht bestanden, nach einer Kündigung eine höhere Vergütung mit dem Beigeladenen zu vereinbaren. Hierauf kann sie nicht verwiesen werden (vgl. zum fehlenden Rechtsschutzbedürfnis bei anderen gleichwertigen Rechtsschutzmöglichkeiten: BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 KR 11/19 R –‍, Rn. 50f., juris, m.w.N.).

 

B. Die Klage ist nur teilweise begründet.

 

Schiedssprüche sind im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle grundsätzlich nur daraufhin zu überprüfen, ob sie die zwingenden rechtlichen Vorgaben (hierzu I.) einerseits in verfahrensrechtlicher Hinsicht einschließlich der grundlegenden Anforderungen an die Begründung (hierzu II.) und andererseits in inhaltlicher Hinsicht (hierzu III.) eingehalten haben. Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs (BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R –, Rn. 28; Senat, Urteil vom 22. Oktober 2024 – L 4 KR 254/22 KL –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2024 – L 1 KR 9/23 KL –, Rn. 154). § 33a, § 134 und § 139e SGB V sowie die DiGAV sind daher jeweils in der (spätestens) vom 22. Dezember 2022 bis 25. März 2024 geltenden Fassung, die RV in der Fassung vom 16. Dezember 2021 anzuwenden.

 

I. Ein Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der fachkundigen und teils paritätischen, teils unparteiischen Zusammensetzung der Schiedsstelle will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interessen nutzen (vgl. die Gesetzesbegründung zur Schaffung der – der Schiedsstelle nach § 129 Abs. 8 SGB V nachgebildeten – Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V, BT-Drucks 17/2413, 32). Zugleich trifft er durch die Zusammensetzung des Gremiums eine organisatorische Vorkehrung gegen einseitig parteiisches oder gar willkürliches Handeln. Die erhebliche Fachkompetenz der Schiedsstelle befähigt sie, gesundheitsökonomische Fragestellungen nicht nur sachgerecht, sondern auch interessengerecht zu lösen. Der durch die Mehrheit der Mitglieder zustande gekommene Schiedsspruch ist durch seinen Kompromisscharakter geprägt und nicht immer die einzig sachlich vertretbare Entscheidung.

 

Aufgrund dessen ist der Schiedsstelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der grundsätzlich nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Die Vertragsgestaltungsfreiheit, die der gerichtlichen Überprüfung Grenzen setzt, ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung. Entscheidungen der Schiedsstelle unterliegen deshalb nur einer gerichtlichen Überprüfung, ob die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht beachtet, den bestehenden Beurteilungsspielraum eingehalten und den zugrunde gelegten Sachverhalt in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs hinreichend ermittelt hat (BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, Rn. 22; Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R –, Rn. 32, 39 ff; jeweils m.w.N.).

 

Nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind Vergütungsbeträge für DiGA zunächst im Wege vertraglicher Vereinbarungen zwischen dem Hersteller und dem Beigeladenen auszuhandeln. Bezüglich der Vergütungshöhe fehlt es an ausdrücklichen parlamentsgesetzlichen Vorgaben. Allerdings sollen gemäß § 134 Abs. 1 Satz 3 SGB V Gegenstand der Vereinbarungen auch erfolgsabhängige Preisbestandteile sein. Ferner ist den Vorgaben für die RV nach § 134 Abs. 4 Satz 2 SGB V zu entnehmen, dass das Ausmaß der nachgewiesenen positiven Versorgungseffekte nach § 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB V ein Kriterium zur Bemessung der Vergütungsbeträge darstellen soll; dies und die Regelung des § 134 Abs. 2 Satz 3 SGB V, wonach die Schiedsstelle unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls entscheidet und dabei die Besonderheiten des jeweiligen Anwendungsgebietes berücksichtigt, wurde durch § 8 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 lit. a) RV umgesetzt:

 

„1Der Vergütungsbetrag nach § 134 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird unter freier Würdigung aller sich aus den Unterlagen nach Absatz 1 ergebenden preisrelevanten Informationen und unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben im Einzelfall vereinbart. 2Dabei sind im Besonderen folgende Preisbemessungskriterien zu berücksichtigen:

 

a) Das Ausmaß des nachgewiesenen medizinischen Nutzens gem. § 8 Abs. 2 DiGAV der digitalen Gesundheitsanwendung, mit dem/den patientenrelevante/n Effekt/en hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität; […]“

 

Diese Bestimmungen belassen der Schiedsstelle nach § 134 Abs. 3 SGB V mangels sonstiger konkreter gesetzlicher Vorgaben einen besonders weiten Entscheidungsspielraum zur Festsetzung der Vergütungsbeträge für DiGA. Zur Umsetzung der mit der Einführung von DiGA verfolgten Ziele – angesichts einer in Zukunft noch stärker datengetriebenen Gesundheitsversorgung innovative digitale Lösungen schneller Eingang in die Versorgung finden zu lassen, um eine qualitativ hochwertige und zugleich wirtschaftli­che medizinische und pflegerische Versorgung jetzt und in Zukunft zu gewähr­leisten; vielfältige Möglichkeiten zu eröffnen, um Menschen bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten sowie auf dem Weg zu einer selbstbestimmten gesundheitsförderlichen Lebensführung zu unterstützen (BT-Drs. 19/13438, 1 ff., 35) – vertraut der Gesetzgeber deshalb nicht allein auf die wenigen konkreten materiell-rechtlichen Kriterien, sondern misst daneben auch der Struktur des Einigungs- und Aushandlungsprozesses besondere Bedeutung bei. Dieser Prozess soll in erster Linie zu einer Einigung zwischen den Beteiligten führen. Kommt eine Einigung nicht zustande, führt die paritätisch und sachkundig besetzte Schiedsstelle zunächst als Vermittlerin den Verhandlungsprozess fort, um noch auf diesem Weg eine einvernehmliche Lösung zu erwirken. Erst wenn auch dieses Vorgehen gescheitert ist, ersetzt die Schiedsstelle durch eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder die offen gebliebenen Regelungen. Dieses austarierte Verhandlungssystem bietet vor allem durch seine an vertraglichen Vereinbarungen orientierten strukturellen Vorgaben sowie die sachkundig und teils paritätisch, teils unparteiisch besetzte Schiedsstelle eine hinreichende Gewähr dafür, zu akzeptablen Inhalten der Schiedssprüche zu gelangen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, Rn. 21 ff., 42 m.w.N.).

 

Unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen gesetzlichen Vorgaben bildet diese Verfahrensweise ein gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle hinreichend abgesichertes Gesamtsystem. Das Recht der Vertragsparteien, die gemäß § 134 Abs. 1 SGB V zu treffende Vereinbarung bereits nach einem Jahr (§ 134 Abs. 1 Satz 6 SGB V) mit einer Frist von drei Monaten zum Quartalsende (§ 14 Satz 2 RV), spätestens aber zum 30. September 2024 mit einer Frist von drei Monaten (Ziffer 5 des angefochtenen Schiedsspruchs, § 6 Abs. 1 Satz 1 der Vergütungsvereinbarung) ganz oder teilweise kündigen zu können, gewährleistet außerdem zeitnahe Anpassungsmöglichkeiten an eine verbesserte Datenlage oder sonstige neue Erkenntnisse. Da mit diesem Gesamtsystem den Versicherten DiGA möglichst zeitnah nach ihrer Implementierung durch das DVG zur Verfügung stehen sollen, sind gewisse Unwägbarkeiten bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages in einem Anfangsstadium hinzunehmen (vgl. BSG a.a.O. Rn. 43). Außerdem kommt bei derartigen Neuregelungen komplexer Materien dem Normgeber unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelung ein erweiterter Gestaltungsspielraum zu, weil sich häufig bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften deren Auswirkungen nicht in allen Einzelheiten überblicken lassen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 13. Dezember 2023 – B 6 KA 1/22 R –, Rn. 34 m.w.N.). Inwieweit bei einer – stets nur im Konfliktfall tätig werdenden – Schiedsstelle mit dieser relativ weiten Gestaltungsfreiheit eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht des Normgebers korrespondiert, wenn sich im Vollzug von ursprünglich gerechtfertigten Regelungen herausstellt, dass sich die für die Erstregelung maßgeblichen Prämissen nicht aufrechterhalten lassen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2001 – B 6 KA 20/00 R ‍–‍,‍ Rn. 39), kann im Rahmen der hier vorzunehmenden gerichtlichen Prüfung der Erstregelung offenbleiben.

 

II. Der Schiedsspruch ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

 

1. Der formellen Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs steht nicht entgegen, dass an der Einigung über die unparteiischen Mitglieder der Beklagten möglicherweise auch Verbände mitgewirkt haben, die aus objektiver Sicht nicht zu den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von DiGA (im Folgenden: Spitzenorganisationen) zählen.

 

a. Durch wen und nach welchen Kriterien die Eigenschaft als Spitzenorganisation festzustellen ist, kann hier dahinstehen.

 

b. Offen lässt der Senat auch, ob die Frage, wer zu den Spitzenorganisationen zählt, inzident im Rahmen eines Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit eines Vergütungsbetrags geklärt werden kann.

 

aa. Betont man den Charakter der Schiedsstelle als Normgeberin, kann die Frage nach der Rechtmäßigkeit ihrer Zusammensetzung nicht inzident in einem Rechtsstreit wie dem hiesigen geklärt werden. Nach der einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 – 1 C 7/98 –, Rn. 33 ff; VG Potsdam, Urteil vom 25. Januar 2011 – 3 K 2948/05 –, Rn. 31 ff; jeweils m.w.N.) kann die Frage, ob das normsetzende Organ dieser Selbstverwaltungskörperschaft rechtmäßig gebildet wurde, im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen einen von einer Selbstverwaltungskörperschaft erlassenen Verwaltungsakt nicht entschieden werden, weil hierzu spezielle Wahlprüfungsverfahren vorhanden sind. Ein solches Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Schiedsstellenbildung isoliert und eigenständig Gegenstand gerichtlicher Prüfung wäre, gibt es zwar (bislang) auf parlamentsgesetzlicher Grundlage nicht. Dies schließt aber nicht aus, eine zu diesem Zweck erhobene Feststellungsklage – ggf. nach vorheriger Befassung der Schiedsstelle – als Möglichkeit für die Klärung dieser Frage anzusehen und Beteiligte, die die Rechtmäßigkeit der Schiedsstellenbesetzung bezweifeln, hierauf zu verweisen (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juni 2023 – L 4 KR 166/22 KL –, Rn. 77, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 8. August 2019 – B 3 KR 16/18 R –, Rn. 24, m.w.N.).

 

bb. Betont man den Charakter der Schiedsstelle als – zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber den Beteiligten des Schiedsverfahrens befugte – Behörde, kann nach der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Frage, ob die Behörde rechtmäßig errichtet wurde, inzident im Rahmen eines Streits um die Rechtmäßigkeit z.B. eines von dieser Behörde erlassenen Verwaltungsakts geklärt werden (U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10.A., § 35 Rn. 64; Knauff, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2024, § 35 Rn. 66; jeweils m.w.N.).

 

c. Jedenfalls sind die Verfahrensbeteiligten mit der Rüge von Besetzungsfehlern gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 295 ZPO präkludiert, wenn die Rüge nicht bereits im Schiedsverfahren erhoben wurde, obwohl die hierfür maßgeblichen Umstände den Verfahrensbeteiligten damals schon bekannt waren und sie generell auf die Einhaltung der Verfahrensvorschrift verzichten können (Schnapp/Düring, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2.A., Rn. 221). So liegt der Fall hier. Die Klägerin erhob – wie sie selbst einräumt – den Einwand der fehlerhaften Besetzung der Schiedsstelle während des Schiedsverfahrens nicht. Die von ihr in diesem Zusammenhang angeführten, aus ihrer Sicht maßgeblichen Umstände waren ihr damals schon bekannt. Auf die Einhaltung der in § 134 Abs. 3 SGB V genannten Vorgaben zur Besetzung der Schiedsstelle können die Beteiligten eines Schiedsverfahrens verzichten. Während die Frage der zutreffenden Besetzung der Richterbank auf der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 97 SGG) beruht, basiert die Besetzung von Schiedsstellen allein auf einfachem Recht.

 

Dem kann die Klägerin nicht entgegenhalten, es habe innerhalb des Schiedsverfahrens keine Möglichkeit zur Fehlerkorrektur bestanden. Denn wenn sie die Besetzung der Schiedsstelle gerügt hätte, hätte diese Gelegenheit gehabt, im Rahmen des Schiedsspruchs eine entsprechende Feststellung zu treffen, die dann (auch) Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung hätte werden können (vgl. insoweit die Sachverhalte, die den folgenden Entscheidungen zugrunde lagen: BSG, Urteil vom 8. August 2019 – B 3 KR 16/18 R –; Senat, Urteil vom 29. Juni 2023 – L 4 KR 166/22 KL –). Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu Rechtsprechung des BSG. Nach Auffassung des 6. Senats des BSG sind Fragen der Rechtmäßigkeit des eigenen Handelns in verfahrensrechtlicher Hinsicht einer hoheitlichen Regelung durch das Landesschiedsamt von vornherein nicht zugänglich, sodass diese nicht zum Gegenstand eines Verwaltungsakts gemacht werden können (BSG, Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 6/14 R –, Rn. 26). Diese Auffassung überzeugt für Konstellationen, in denen Gewissheit über die Frage besteht, durch welche Organisationen ein Schiedsamt oder eine Schiedsstelle zu besetzen ist. Besteht hingegen Unsicherheit, wer zu diesen Organisationen zählt – hier: wer als Spitzenverband zu qualifizieren ist –‍, und hat der Gesetzgeber – wie hier – kein eigenes Verfahren zur Klärung dieser Frage installiert, darf und muss die Schiedsstelle aufgrund ihrer als Annex unmittelbar aus der Ermächtigung in § 134 Abs. 4 Satz 3 SGB V resultierenden Entscheidungsbefugnis hierüber – ausdrücklich oder inzident – entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2019 – B 3 KR 16/18 R –, Rn. 26 ff. m.w.N., zur parallelen Problematik der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V).

 

2. Der Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 genügt den an einen Verwaltungsakt zu stellenden Begründungsanforderungen.

 

a. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind an die Begründung der Abwägungsentscheidung eines Schiedsspruchs keine hohen Anforderungen zu stellen; es genügt, dass der Schiedsspruch die Gründe für das Entscheidungsergebnis wenigstens andeutungsweise erkennen lässt. Die sich grundsätzlich aus § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergebenden Anforderungen an die Begründung eines Schiedsspruchs orientieren sich wesentlich an den für den Schiedsspruch geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften. Bei Entscheidungen mit Kompromisscharakter, die durch die Mehrheit von Mitgliedern eines hierzu berufenen pluralistischen Gremiums getroffen werden, dürfen die Begründungsanforderungen innerhalb des eröffneten Beurteilungsspielraums nicht überspannt werden (BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, Rn. 54 ff.; Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R –, Rn. 41; jeweils m.w.N.).

 

Diesen Anforderungen wird der Schiedsspruch auch im Hinblick auf die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten (Art. 19 Abs. 4 GG) hinreichend gerecht. Denn die Beklagte hat die für ihre Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunkte unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten in nicht zu beanstandender Weise dargelegt. Soweit sich Begründungselemente erst aus den Schriftsätzen der Beklagten (und ggf. ihren Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat) ergeben, ist dies nicht zu beanstanden. Da der Schiedsspruch im Verhältnis zu den Beteiligten des Schiedsverfahrens einen Verwaltungsakt darstellt, gelten die formellen Voraussetzungen des SGB X. Die nach § 35 Abs. 1 SGB X erforderliche Begründung kann nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz des sozialrechtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R –, Rn. 43 m. w. N.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. April 2024 – L 1 KR 9/23 KL –, Rn. 178; Schnapp/Dü­ring, a.a.O., Rn. 219 m.w.N.).

 

Allenfalls dann, wenn sich zu erst im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Gesichtspunkten der Schiedsstelle keine Ausführungen im angefochtenen Schiedsspruch finden, ist nicht erkennbar, dass sie tatsächlich in die Beurteilung durch die Schiedsstelle eingeflossen sind (BSG, Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 6/14 R –, Rn. 61; Schnapp/Düring a.a.O.). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor, da schon der Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 zu allen aus Sicht der Beklagten für die Ermittlung der Vergütungshöhe relevanten Preisbestandteilen – einschließlich der erwogenen, aber letztlich nicht werterhöhend berücksichtigten – zumindest andeutungsweise Stellung bezieht.

 

b. Der angefochtene Schiedsspruch enthält den zugrunde gelegten Sachverhalt, den Verfahrensablauf, die Anträge mit den unterschiedlichen Rechtspositionen und – wie bereits dargelegt – die Erwägungen der Schiedsstelle. Seine Begründung lässt erkennen, an welchen maßgeblichen gesetzlichen Kriterien sich die Beklagte für die Festsetzung der Vergütungsbeträge orientiert hat.

 

Weitergehende Begründungspflichten lassen sich aus dem gesetzlichen Normprogramm nicht herleiten. Aus dem Normenprogramm von § 134 SGB V i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X ergibt sich insbesondere keine Pflicht der Beklagten, die erwogenen Teilrechenoperationen zahlenmäßig im Einzelnen in der Begründung des Schiedsspruchs auszuweisen. Das – überobligatorische – Offenlegen der einzelnen Rechenschritte mag zwar für Betroffene hilfreich sein, um den Abwägungsprozess möglichst detailliert nachzuvollziehen, gesetzlich erforderlich ist dies aber auch aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht (BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 –, Rn. 44; Senat, Urteil vom 22. Oktober 2024 – L 4 KR 254/22 KL –, Rn. 255).

 

III. In materiell-rechtlicher Hinsicht erweist sich der Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 als überwiegend rechtmäßig. Im Rahmen seiner nur beschränkten inhaltlichen Kontrolle darauf, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutrifft und ob die Schiedsstelle den ihr zustehenden Gestaltungsspielraum beachtet hat (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2018 – B 6 KA 44/16 R –, Rn. 47 m.w.N.), gelangt der Senat zum Ergebnis, dass Ziffer 3 des Schiedsspruchs nicht zu beanstanden ist (hierzu 1.), während sich dessen Ziffer 4 als rechtswidrig erweist (hierzu 2.). Den Antrag auf (lineare) Fortschreibung des Vergütungsbetrags durfte die Beklagte ohne Begründung ablehnen (hierzu 3.).

 

1. Soweit der Kläger den festgesetzten Vergütungsbetrag i.H.v. 218 € angreift, folgt ihm der Senat nicht. Dessen Ermittlung ist frei von Rechtsfehlern.

 

a. Sämtliches Vorbringen der Klägerin zu möglichen Rechenfehlern oder ggf. fehlerhaftem Ansatz einzelner Berechnungsfaktoren beachtet nicht hinreichend, dass die Beklagte nach dem o.G. mangels entsprechender gesetzlicher Vorgaben zur Mitteilung eines wie auch immer gearteten Rechenwegs nicht verpflichtet war. Daher kann es nicht zu ihren Lasten gehen, wenn sie – wie hier – (zahlreiche) Berechnungsschritte in die Begründung ihrer Schiedsentscheidung aufnimmt, ihr hierbei aber im Detail ggf. Rechenfehler unterlaufen oder sie versehentlich geringfügig variierende Werte zugrunde legt. Die Rechtsauffassung der Klägerin hätte zur Folge, dass ein Schiedsspruch umso eher der Gefahr der Aufhebung unterliegt, je detaillierter er die sachliche und rechnerische Ermittlung eines Vergütungsbetrags darstellt. Angesichts dessen könnten sich Schiedsstellen künftig veranlasst sehen, von über das rechtliche Mindestmaß einer nur „andeutungsweisen“ Begründung hinausgehenden Ausführungen abzusehen, um einer Anfechtung des Schiedsspruchs aus dem Wege zu gehen. Dies liegt nicht im Interesse der Beteiligten eines Schiedsverfahrens an (möglichst) transparenten Entscheidungen.

 

Sämtliche Einwände der Klägerin, die sich auf diesbezügliche Begründungsmängel oder geringfügige Variationen der zugrunde gelegten Werte beziehen, gehen daher fehl. Dies betrifft insbesondere die Berechnung der in Abzug gebrachten Kosten der hausärztlichen Versorgung bzw. der Einzeltherapiestunden. Angesichts fehlender gesetzlicher Vorgaben zur Höhe der Vergütungen hätte sich die Beklagte ggf. auch mit auf bloßen Schätzungen beruhenden Herleitungen der einzelnen Zwischenbeträge begnügen dürfen.

 

b. Das von der Beklagten zugrunde gelegte und im Schiedsspruch wiedergegebene Modell zur Ermittlung des Vergütungsbetrags lässt ihr Vorgehen bei dessen Ermittlung hinreichend erkennen. Dass andere Modelle u.U. mehr Überzeugungskraft und Plausibilität aufweisen, ist nicht entscheidungserheblich. Die Wahl eines andeutungsweise erläuterten und nachvollziehbaren Modells ist vom Entscheidungsspielraum der Schiedsstelle gedeckt.

 

aa. Daher ist auch die Frage, ob die Beklagte (und ggf. alle Beteiligten des Schiedsverfahrens) zutreffend davon ausgegangen ist, die Behandlung der Adipositas sei von der „Regelversorgung“ nicht umfasst, nicht entscheidungsrelevant. Der Auffassung der Beklagten liegt offensichtlich ein Verständnis des Begriffs „Regelversorgung“ zugrunde, das mit der Verwendung dieses Rechtsbegriffs im SGB V – vgl. §§ 55 ff., § 87 Abs. 1a einerseits und § 64d Abs. 3 Satz 2, § 64e Abs. 7 Satz 1 Nr. 3, Abs. 13, § 92a f. andererseits – nicht übereinstimmt. Die Fehleinschätzung der Beklagten ist allerdings für die Festsetzung des Vergütungsbetrags nicht kausal geworden, da sie auch bei zutreffender Einschätzung – Adipositasbehandlung als Teil der Regelversorgung nach dem SGB V – ihr dem Schiedsspruch zugrunde gelegtes Modell hätte anwenden können. Für die logische Abfolge der Berechnungsschritte ist die Einordnung, ob die Adipositasbehandlung zur Regelversorgung des SGB V zählt, ohne Bedeutung.

 

bb. Entsprechendes gilt für den Vorwurf der Klägerin, auf der Grundlage ihrer im gerichtlichen Verfahren geäußerten, von der Begründung des Schiedsspruchs abweichenden Rechtsauffassung zum Ausmaß der positiven Versorgungseffekte hätte die Beklagte zu einem höheren Vergütungsbetrag gelangen müssen. Diesen Vorwurf hält der Senat für unberechtigt. Aus seiner Sicht hat die Beklagte ihre in der Begründung des Schiedsspruchs vorgenommene Einschätzung, die Effektstärke „für die sekundären und weiteren Endpunkte erweise sich als gering bis nicht vorhanden“, im gerichtlichen Verfahren präzisiert, indem sie die Stärke des Effektes bzw. sekundären Endpunktes „Verbesserung der Lebensqualität“ als gering und die Stärke weiterer sekundärer Endpunkte als nicht vorhanden einstufte. Soweit man hierin eine Änderung gegenüber der Begründung des Schiedsspruchs erkennen wollte, wäre sie allenfalls geringfügig und jedenfalls nicht rechtlich erheblich. Denn das Ausmaß der nachgewiesenen positiven Versorgungseffekte hat die Beklagte mit einem Zuschlagsfaktor von 27,5 % bewertet, ohne dessen Ermittlung rechnerisch näher zu untersetzen. Da sie zu Letzterem nicht verpflichtet war, lässt sich nicht positiv feststellen, dass eine geringfügig abweichende Einschätzung der sekundären Endpunkte zwingend einen höheren Zugangsfaktor zur Folge gehabt hätte. Dies mag für die Klägerin unbefriedigend sein, ist allerdings Ausdruck des weiten Entscheidungsspielraums der Beklagten.

 

c. Zu Unrecht hält die Klägerin der Beklagten vor, sie habe die Bindungswirkung der Bescheide des BfArM vom 12. August 2022 und 17. März 2023 missachtet und aufgrund dessen den prozentualen Zuschlagsfaktor, der das Ausmaß des Nutzens von Y repräsentiere, fehlerhaft ermittelt. § 6 Abs. 3 RV ist nicht verletzt.

 

aa. Ob und in welchem Umfang die Vertragsparteien bzw. die Schiedsstelle an den – einen Verwaltungsakt i.S.v. § 31 SGB X darstellenden – Bescheid des BfArM über die endgültige Aufnahme einer DiGA (§ 139e Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 6 SGB V) gebunden sind, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht. Die Antwort auf diese Frage erschließt sich indes aus der Gesetzessystematik. Danach obliegt allein dem BfArM die Entscheidung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer DiGA in das Verzeichnis nach § 139e SGB vorliegen. Die Vertragsparteien und die Schiedsstelle sind aufgrund dessen nicht befugt, bei Abschluss bzw. Festsetzung der Vergütungsvereinbarung einen vom BfArM bejahten positiven Versorgungseffekt i.S.v. § 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB V in Abrede zu stellen oder einen anderen positiven Versorgungseffekt als vom BfArM angenommen zugrunde zu legen. Ebenso ist ihnen verwehrt, von der Entscheidung des BfArM abweichende ärztliche Leistungen oder Leistungen der Heilmittelerbringer bzw. der Hebammenhilfe oder nach § 374a SGB V von der DiGA verarbeitete Daten aus Hilfsmitteln und Implantaten i.S.v. § 139e Abs. 3 Satz 2 SGB V zu bestimmen. Über diese Umstände befindet für alle am GKV-System Beteiligten einzig und abschließend das BfArM; seinen Bescheiden kommt insoweit Bindungswirkung zu (Altmiks, in: BeckOGK-SGB V, Stand: Mai 2024, § 139e Rn. 16; Kircher, MedR 2022, 284; Krasney, FS Plagemann, 454; missverständlich: Hornung, in: Hänlein/Schuler, SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, 6.A. § 139e Rn. 15).

 

Zu darüber hinausgehenden Festlegungen ist das BfArM indes nicht ermächtigt, insbesondere nicht zum Ausmaß festgestellter positiver Versorgungseffekte. Sollten der Begründung der Entscheidungen des BfArM nach § 139e Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 6 SGB V gleichwohl Ausführungen hierzu zu entnehmen sein, binden sie – mangels entsprechender parlamentsgesetzlichen Anordnung – weder die Vertragsparteien noch die Schiedsstelle.

 

bb. Soweit § 139e Abs. 4 Satz 1 SGB V die Verbände nach § Abs. 3 Satz 1, d.h. der Beigeladene und die Spitzenorganisationen, mit dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung „über die Maßstäbe für die Vereinbarungen der Vergütungsbeträge“ beauftragt sind und sie hierbei zu berücksichtigen haben, „ob und inwieweit der Nachweis positiver Versorgungseffekte nach § 139e Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 erbracht ist“ (§ 139e Abs. 4 Satz 2 SGB V), ist ihnen ein Abweichen von der o.g. gesetzlichen Konzeption, insbesondere eine weitergehende Bindung an die Feststellungen des BfArM, verwehrt. Allerdings ist der Wortlaut von § 139e Abs. 4 Satz 2 SGB V insoweit verunglückt: Denn „ob […] der Nachweis positiver Versorgungseffekte […] erbracht“ ist, wurde nach der o.g. gesetzlichen Konzeption bereits durch das BfArM für alle Akteure des GKV-Systems verbindlich geklärt; eine andere oder neue Bewertung durch die Vertragsparteien oder die Schiedsstelle würde dem zuwiderlaufen (vgl. Krasney, SGb 2022, 521). § 6 Abs. 3 Satz 2 RV („Die Inhalte und Festlegungen im Bescheid sind für die Verhandlungspartner verbindlich.“) ist demnach dahin auszulegen, dass eine Verbindlichkeit nur hinsichtlich der unter aa. genannten, sich aus § 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 SGB V ergebenden Umstände besteht.

 

cc. Hieran gemessen weicht der angefochtene Schiedsspruch nicht von den bindenden Feststellungen des BfArM ab.

 

(1) Sollte sich dessen Bescheiden vom 12. August 2022 und 17. März 2023 Feststellungen entnehmen lassen, die nicht nur das „Ob“ eines positiven Versorgungseffekts betreffen, sondern ggf. auch dessen Ausmaß, hätte nach dem o.G. das BfArM seine Befugnisse überschritten mit der Folge, dass weder die Vertragsparteien noch die Schiedsstelle insoweit an seine Feststellungen gebunden wären. Dasselbe gilt, soweit sich das BfArM in seinen Bescheiden zur Qualität der von ihm zugrunde gelegten Studien äußern würde.

 

(2) Das BfArM hat der o.g. Studie einen (ausreichend plausiblen) Nachweis für die positiven Versorgungseffekte „Verbesserung des Gesundheitszustands“ und „Verbesserung der Lebensqualität“ für Patientinnen entnommen (Bescheid vom 12. August 2022). Im Widerspruchsbescheid vom 17. März 2023 hat es näher dargelegt, warum aufgrund nachgereichter Daten der positive Versorgungseffekt „Verbesserung der Lebensqualität“ nunmehr auch für (männliche) Patienten zu bejahen sei. Ausführungen des BfArM zum Ausmaß dieser positiven Versorgungseffekte finden sich in beiden Bescheiden nicht.

 

Von diesen Feststellungen des BfArM zum Vorliegen der beiden o.g. positiven Versorgungseffekte weicht der Schiedsspruch nicht ab. Er befasst sich vielmehr ausschließlich „mit dem Ausmaß des Effekts“ bei den Endpunkten der o.g. Studie und gewichtet diese als „groß“ bezüglich des primären Endpunkts (prozentuale Gewichtsveränderung in Relation zum Ausgangsgewicht) bzw. „gering bis nicht vorhanden“ bezüglich der „sekundären und weiteren Endpunkte“.

 

d. Die Beklagte war auch nicht gehalten, den sog. Selbstzahlerpreis – d.h. den in § 134 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 SGB V erwähnten tatsächlichen Vergütungsbetrag bei Abgabe an Selbstzahler – werterhöhend in die Ermittlung des Vergütungsbetrags einzustellen.

 

Zutreffend geht sie insoweit davon aus, dass der Selbstzahlerpreis vom Gesetzgeber als für die Preisfindung potentiell bedeutsamer Faktor angesehen wurde und er deshalb vom Hersteller an den Beigeladenen (§ 134 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V) bzw. die Schiedsstelle (§ 134 Abs. 2 Satz 5 SGB V) zu übermitteln ist. Der Selbstzahlerpreis muss indes nicht zwingend in jeden von den Vertragsparteien vereinbarten oder von der Schiedsstelle festgesetzten Vergütungsbetrag einfließen. Hierfür fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorgabe. Eine solche wäre indes für jeden zwingend zu beachtenden Preisbildungsfaktor erforderlich. Denn zum einen wäre jede verbindliche Vorgabe von Preisbildungsfaktoren eine Begrenzung des der Schiedsstelle durch § 134 Abs. 2 Satz 3 SGB V vom Gesetzgeber eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums. Zum anderen hat der Gesetzgeber Vorgaben zur Preisbildung ausdrücklich geregelt. So sah § 134 Abs. 1 Satz 3 SGB V (in der bis zum 25. März 2024 geltenden, hier maßgeblichen Fassung) vor, dass Gegenstand der Vereinbarungen auch erfolgsabhängige Preisbestandteile sein sollen (und sieht dieselbe Vorschrift in der ab dem 26. März 2024 geltenden Fassung vor, dass „ab dem 1. Januar 2026 […] der Anteil erfolgsabhängiger Preisbestandteile mindestens 20 Prozent des Vergütungsbetrags betragen muss“). Die RV muss gemäß § 134 Abs. 4 Satz 2 SGB V im Hinblick auf die Maßstäbe für die Vereinbarungen der Vergütungsbeträge berücksichtigen, inwieweit der Nachweis positiver Versorgungseffekte erbracht ist. Durch die hierbei gewählten Formulierungen „sollen“ bzw. „berücksichtigen“ bringt der Gesetzgeber typischerweise zum Ausdruck, dass die Behörde sich mit den entsprechenden Umständen befassen und die Tatsache der Befassung aus der Begründung der Behördenentscheidung hervorgehen muss. An einer vergleichbaren Wortwahl fehlt es bezüglich der Selbstzahlerpreise als Preisbildungsbestandteil.

 

e. Die Beklagte muss sich nicht entgegenhalten lassen, sie habe den Vergütungsbetrag für die Zeit ab dem 15. August 2022 unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ermittelt. Die Klägerin sieht diesen dadurch verletzt, dass die Beklagte im (später ergangenen) Schiedsspruch zur DiGA M den Selbstzahlerpreis bei der Ermittlung des Vergütungsbetrags werterhöhend berücksichtigt hat, im vorliegenden Fall hingegen nicht.

 

aa. Nach dem Vorbringen der Klägerin und des Beigeladenen, das der Senat ohne weitere Prüfung zugrunde legt, hat die Beklagte den Selbstzahlerpreis im Rahmen ihres Schiedsspruchs zur DiGA M trotz einer geringen Zahl an Abgaben außerhalb der GKV berücksichtigt und bei einigen anderen Schiedssprüchen unberücksichtigt gelassen. Dem Senat ist nicht bekannt, ob im Falle der DiGA M der Selbstzahleranteil ebenso wie hiesigen Fall unter 1 % lag und welche Überlegungen die Beklagte veranlasst haben, den Selbstzahlerpreis im Rahmen anderer Schiedssprüche unberücksichtigt zu lassen.

 

bb. Auf dieser Grundlage ist es dem Senat nicht möglich, einen Gleichheitsverstoß festzustellen. Dass ohne sachlichen Grund wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wurde (zu diesem verfassungsrechtlichen Maßstab zuletzt: BVerfG, Urteil vom 14. Januar 2025 – 1 BvR 548/22 –, Rn. 117, m.w.N.), ließe sich nur bejahen, wenn dem Senat sämtliche Umstände der anderen Schiedsverfahren bekannt wären, auf die die Klägerin bzw. der Beigeladene sich beziehen. Ob ein Gleichheitsverstoß vorliegt, kann aus Sicht des Senats aber dahinstehen.

 

cc. Denn auch im Hinblick auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erfolgt die gerichtliche Prüfung eines Schiedsspruchs nur eingeschränkt. Dies resultiert aus dem bereits dargestellten weiten Entscheidungsspielraum der Schiedsstelle. Dieser wäre weitgehend entwertet, wäre die Schiedsstelle gehalten, jeden einzelnen Aspekt ihrer typischerweise aus einer Vielzahl von Argumenten bestehenden Begründung eines Schiedsspruchs im Hinblick auf mögliche Gleichheitsverstöße an allen früheren Schiedssprüchen zu messen und das Ergebnis darzulegen. Die gerichtliche Prüfung ist daher bei Schiedssprüchen nach § 134 Abs. 2 SGB V auf eine Willkürprüfung beschränkt. Hierfür legt der Senat diejenigen Maßstäbe an, die das BVerfG bei seiner Prüfung gerichtlicher Entscheidung auf eine willkürliche Verletzung von Art. 3 GG entwickelt hat. Willkürlich ist ein Schiedsspruch somit nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Willkür liegt erst vor, wenn die Auffassung der Schiedsstelle jeden sachlichen Grundes entbehrt. Es ist also nicht zu prüfen, ob der Schiedsspruch zutreffend begründet worden ist, sondern ob er begründbar, d.h. vertretbar ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Mai 2024 – 1 BvR 1021/24 –, Rn. 8 m.w.N.).

 

Im vorliegenden Fall ist Willkür nicht gegeben. Die Beklagte hat nach eigenem Bekunden die Selbstzahlerpreise wegen des geringen Marktanteils von Y bei den Selbstzahlern unberücksichtigt gelassen und dies bei einer anderen DiGA ebenso gehandhabt. Diese Begründung ist plausibel und vertretbar. Ein Gleichheitsverstoß liegt in dieser Herangehensweise nicht.

 

2. Ziffer 4 des Schiedsspruchs ist hingegen rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren subjektiven Rechten. Die Beklagte hätte für den Zeitraum vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 keinen reduzierten Vergütungsbetrag i.H.v. 185,30 € festsetzen dürfen. Zwar ist die Schiedsstelle berechtigt, für die Dauer der vorläufigen Aufnahme einer DiGA in das Verzeichnis einen reduzierten Vergütungsbetrag festzusetzen, wenn sich der Anwendungsbereich der DiGA nach ihrer endgültigen Aufnahme in das Verzeichnis enger darstellt als während der vorläufigen Aufnahme (hierzu a. bis c.). Hier hat die Beklagte allerdings einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, was zur Rechtswidrigkeit des reduzierten Vergütungsbetrags führt (hierzu d.). Der Senat war auch befugt, den angefochtenen Schiedsspruch insoweit nur teilweise aufzuheben (hierzu e.).

 

a. Nach der gesetzlichen Konzeption gelten die nach § 134 Abs. 1 SGB V vereinbarten Vergütungsbeträge nach dem ersten Jahr nach Aufnahme der jeweiligen DiGA in das Verzeichnis nach § 139e SGB V (§ 134 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Für die Vertragsverhandlungen und den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung räumte der Gesetzgeber den Vertragsparteien ursprünglich ein Jahr (§ 134 Abs. 2 Satz 1 in der bis zum 8. Juni 2021 geltenden alten Fassung – aF), aufgrund einer Gesetzesänderung zum 8. Juni 2021 (durch Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz – DVPMG – vom 3. Juni 2021, BGBl. 2021, 1309) nur noch neun Monate ein (§ 134 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der ab dem 9. Juni 2021 geltenden, hier maßgeblichen Fassung). Bis zur Festlegung der Vergütungsbeträge gelten die tatsächlichen Preise der DiGA-Hersteller (§ 139e Abs. 5 Satz 1 SGB V). Entsprechend der bis zum 8. Juni 2021 geltenden Rechtslage sah § 134 Abs. 2 Satz 2 SGB V aF zunächst vor, dass durch die Schiedsstelle auch „ein Ausgleich der Differenz zum Abgabepreis nach Absatz 5 für die Zeit nach Ablauf der Jahresfrist nach Satz 1 festzusetzen“ ist. Nach der Verkürzung der Frist in § 134 Abs. 2 Satz 1 SGB V sah der Gesetzgeber die „Notwendigkeit einer Verrechnung von Differenzbeträgen aufgrund der Fortgeltung des tatsächlichen Herstellerpreises nach Ablauf des zwölften Erstattungsmonats“ nur noch dann als erforderlich an, wenn sich das Schiedsverfahren entgegen den gesetzlichen Fristen verzögere. Diese Regelung diene dem Interessenausgleich von Herstellern und Kostenträgern. Falle ein Vergütungsbetrag höher aus als der tatsächliche Herstellerpreis, würden die Kostenträger vor etwaigen Nachforderungen geschützt. Falle der Vergütungsbetrag demgegenüber geringer aus als der tatsächliche Herstellerpreis, würden die Hersteller vor Rückforderungen der Kostenträger geschützt. Zugleich würden etwaige Ausfallrisiken minimiert (BT-Drs. 27652, 105).

 

b. Von einer entsprechenden Regelung für Differenz-/Ausgleichsbeträge für den Fall einer nur zur Erprobung, aber nicht endgültig in das Verzeichnis nach § 139e SGB V aufgenommenen DiGA sah der Gesetzgeber ab. Dies mag seinen Grund darin finden, dass er § 139e Abs. 2 Satz 2 SGB V aF mit der Übernahme ähnlicher Regelungen bei der Vereinbarung von Erstattungsbeträgen für Arzneimittel nach § 130b SGB V begründete und dabei außer Acht ließ, dass für Arzneimittel ein für die Leistungspflicht der Krankenkassen maßgebliches, § 139e SGB V vergleichbares Verzeichnis nicht existiert und sie weder nach den Vorgaben des AMG noch nach den Bestimmungen der frühen Nutzenbewertung (§ 35a, § 130b SGB V) nur zur Erprobung in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden können.

 

Offensichtlich in der Annahme einer vergleichbaren Sach- und Interessenlage nahmen indes die Partner der RV – zusätzlich zu den § 134 Abs. 2 Satz 2 SGB V umsetzenden allgemeinen Bestimmungen über „Ausgleichsansprüche“ in § 3 Abs. 1 und 2 RV – folgende Regelung in § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV auf:

 

Wurde die endgültige Aufnahme der digitalen Gesundheitsanwendung in das DiGA-Verzeichnis abgelehnt und die zur Erprobung vorläufig aufgenommene digitale Gesundheitsanwendung aus dem Verzeichnis gestrichen, verhandelt der Hersteller für die Zeit ab dem 13. Monat nach der Aufnahme der digitalen Gesundheitsanwendung in das DiGA-Verzeichnis die Ausgleichsansprüche nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 2.

 

Zu einer solchen Regelung durften die RV-Parteien sich durch die die gesamte GKV prägenden Gebote von Qualität (§ 2 Abs. 1 Satz 3, § 70 SGB V) und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 4, § 12, § 70 SGB V) ermächtigt sehen. Diese Gebote wären verletzt, wären Krankenkassen gezwungen, auch für DiGA, die den Qualitätsnachweis eines positiven Versorgungseffekts nicht erbringen konnten und folglich nur zur Erprobung, nicht aber endgültig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen wurden, eine Vergütung zu zahlen. Entgegen der klägerischen Auffassung sind die Gebote von Qualität und Wirtschaftlichkeit insoweit nicht eingeschränkt.

 

Der Gesetzgeber hat in den die Versorgung mit DiGA betreffenden Gesetzesmaterialien wiederholt und mit Nachdruck die Bedeutung des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebots betont (BT-Drs. 19/13483, 2, 34, 43, 60; 19/14867, 78, 92; 19/27652, 106, 107). An keiner Stelle findet sich ein Hinweis, dass eines dieser beiden Gebote eingeschränkt wird. Insofern wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber – vergleichbar der Einschränkung des Qualitätsgebots durch im Krankenhaus erbrachte Potentialleistungen (§ 137c SGB V) in § 39 Abs. 1 Satz 1, Hs. 2 SGB V – eine Relativierung dieser Strukturprinzipien des SGB V ausdrücklich in den Wortlaut des Gesetzes aufnimmt. Daran fehlt es indes. Festzustellen ist zwar, dass die vom Gesetzgeber für DiGA statuierten Qualitätsanforderungen erheblich hinter dem in anderen Leistungsbereichen maßgeblichen Evidenzniveau zurückbleiben (Seeliger, GuP 2022, 95; Axer, MedR 2022, 271; Krasney, SGb 2022, 518). Diese vom Gesetzgeber offenkundig in Kauf genommene, in § 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 SGB V zum Ausdruck gebrachte Qualitätseinbuße rechtfertigt jedoch nicht den Schluss auf einen weitergehenden, nicht einmal in den Gesetzesmaterialien nachvollzogenen Verzicht auf die Einhaltung der Gebote von Qualität und Wirtschaftlichkeit. Die Interessen der Hersteller von DiGA sind angesichts dessen durch die Freiheit, innerhalb des ersten Jahres nach der endgültigen Aufnahme ihrer DiGA in das Verzeichnis die Preise hierfür nach freiem Belieben festlegen zu dürfen (§ 134 Abs. 5 Satz 1 SGB V), hinreichend gewahrt.

 

c. § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV ist entsprechend anzuwenden, wenn die endgültige Aufnahme einer DiGA in das Verzeichnis mit einem engeren Anwendungsbereich als bei der Aufnahme zur Erprobung erfolgte.

 

Die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens beruht auf einem Erst-Recht-Schluss (argumentum a maiore ad minus): Wenn schon die vollständige Streichung einer zur Erprobung in das Verzeichnis aufgenommenen DiGA (§ 139e Abs. 4 Satz 8 SGB V) die Vereinbarung eines Differenz-/Ausgleichsbetrags nach § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV zur Folge hat, dann muss dies erst recht gelten, wenn eine zur Erprobung in das Verzeichnis aufgenommene DiGA später zwar endgültig, aber nur mit einem engeren Anwendungsbereich in das Verzeichnis aufgenommen wird. Ein die Grundrechte der Klägerin verletzende Analogie liegt hierin nicht, da ein möglicher Grundrechtseingriff weniger intensiv ausfällt als bei einer unmittelbaren Anwendung der mit höherrangigem Recht vereinbaren Regelung in § 4 Abs. 4 lit. b) Satz 3 RV.

 

d. Der Anwendungsbereich von Y bleibt im Rahmen der endgültigen Aufnahme in das Verzeichnis nicht hinter dem der vorläufigen Aufnahme zurück. Insoweit liegt dem Schiedsspruch eine unvollständige Erfassung des maßgeblichen Sachverhalts zugrunde.

 

aa. Ausgangspunkt für die Prüfung ggf. unterschiedlicher Anwendungsbereiche einer DiGA ist hier die Untergruppe E66 der ICD-10-GM. Sie umfasste in den hier maßgeblichen Versionen 2020 und 2022 folgende Diagnose-Kodes:

 

E66.0-                        Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr

E66.1-            Arzneimittelinduzierte Adipositas            
Soll die Substanz angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (Kapitel XX) zu benutzen.

E66.2-            Übermäßige Adipositas mit alveolärer Hypoventilation         
Obesitas-Hypoventilationssyndrom [OHS]        
Pickwick-Syndrom

E66.8-            Sonstige Adipositas
Krankhafte Adipositas

E66.9-            Adipositas, nicht näher bezeichnet        
Einfache Adipositas o.n.A.

 

Um das Ausmaß der Adipositas anzugeben, sind fünfte Stellen zu benutzen. Während die fünften Stellen

0

Adipositas Grad I (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter

Body-Mass-Index [BMI] von 30 bis unter 35

1

Adipositas Grad II (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter

Body-Mass-Index [BMI] von 35 bis unter 40

9

Grad oder Ausmaß der Adipositas nicht näher bezeichnet

in beiden ICD-10-Versionen (2020, 2022) einheitlich zu verwenden waren, wurden die fünften Stellen für Patienten von 18 Jahr und älter mit einem BMI von 40 und mehr sowie für Kinder und Jugendliche in der Version 2022 gegenüber den vorherigen Versionen (in hier nicht entscheidungserheblichem Umfang) modifiziert.

 

bb. Die Beklagte ging zunächst zutreffend davon aus, dass das BfArM ausweislich seines Bescheids vom 12. August 2022 Y endgültig nur „mit den Indikationen gemäß ICD-10-GM E66.00 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad I (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter sowie E66.01 Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr: Adipositas Grad II (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter“ in das Verzeichnis aufnahm. Der Tenor des Bescheids vom 12. August 2022 (und ebenso des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2023) ist insoweit eindeutig und keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Der die vorläufige Aufnahme in das Verzeichnis regelnde Bescheid vom 19. Oktober 2020 enthält demgegenüber keine Begrenzung der Anwendung auf bestimmte Indikationen oder Diagnosen. Auf den Inhalt der Bescheide des BfArM kommt es an dieser Stelle jedoch nicht entscheidend an. Die Beklagte hätte sich daher nicht auf einen Vergleich der Bescheidinhalte beschränken dürfen.

 

cc. Nach dem o.G. ist ein reduzierter Vergütungsbetrag für DiGA-Versorgungen in der Erprobungsphase gerechtfertigt, wenn sie sich im Nachhinein als nicht qualitätsgesichert und daher unwirtschaftlich erwiesen haben, weil sie Indikationen betrafen, für die der DiGA-Hersteller den ihm mit der vorläufigen Aufnahme in das Verzeichnis aufgetragenen Nachweis positiver Versorgungseffekte (§ 139e Abs. 4 Satz 3 SGB V) nicht führen kann. Die eine DiGA-Versorgung auslösenden GKV-Akteure – die eine DiGA verordnenden vertragsärztlichen Leistungserbringer bzw. die genehmigenden Krankenkassen (vgl. § 33a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V) – können allerdings die für eine DiGA in Betracht kommenden Indikationen nicht den Bescheiden des BfArM über die (vorläufige oder endgültige) Aufnahme in das Verzeichnis entnehmen, da diese nicht ihnen, sondern gemäß § 139e SGB V nur dem jeweiligen DiGA-Hersteller bekannt gegeben werden. Für Informationen über die jeweiligen Indikationen sind diese GKV-Akteure einerseits auf die Angaben des BfArM im (nur elektronisch zugänglichen) Verzeichnis angewiesen und andererseits an sie gebunden. Insofern besteht eine Parallelität zur Arzneimittelversorgung: Für den Umfang der Arzneimittelzulassung ist der Zulassungsbescheid maßgeblich, dessen Inhalt sich zusammengefasst aus der Fachinformation gemäß § 11a AMG ergibt (BSG, Beschluss vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 53/05 B –, Rn. 6; Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 10/10 R –, Rn. 39). Entsprechend ergibt sich der Inhalt der DiGA-bezogenen Bescheide des BfArM aus dessen Verzeichnis. Die dortigen Angaben haben vertragsärztliche Leistungserbringer und Krankenkassen ihren Versorgungsentscheidungen bezüglich DiGA zugrunde zu legen.

 

dd. Auf dieser Grundlage stellt der Senat fest, dass bereits nach den Angaben, die das BfArM im Verzeichnis nach der vorläufigen Aufnahme von Y veröffentlichte, diese DiGA nur bei (volljährigen) Adipositaspatienten mit einem BMI zwischen 30 und 40 zum Einsatz gebracht werden durfte.

 

Bereits das in den nach der vorläufigen Aufnahme von Y in das Verzeichnis veröffentlichten o.g. BfArM-Informationen mehrfach wiederholte, auf Angaben der Klägerin beruhende Ziel einer Reduktion der täglichen Kalorienzufuhr bei gleichzeitiger Erhöhung des Kalorienbedarfs weist darauf hin, dass Y allein die mit E66.0 kodierte Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr im Blick hat, nicht jedoch die mit E66.1 bis E66.9 kodierten sonstigen Formern der Adipositas. Unterstrichen wird diese Ausrichtung der DiGA durch die – in den o.g. Kategorien „Angaben zur qualitätsgesicherten Anwendung“, „Weitere nicht durch Kontraindikationen abgedeckte Ausschlusskriterien“ und „Angaben zu den vom Hersteller für erforderlich gehaltenen vertragsärztlichen Tätigkeiten für die Nutzung der digitalen Gesundheitsanwendung, sofern zutreffend“ – ebenfalls wiederholt erwähnten Ausschlusskriterien und Kontraindikationen, insbesondere die mit E66.02 (Version 2020) bzw. E66.06 ff. (Version 2022) zu kodierende Adipositas mit einem BMI ab 40 sowie die mit E66.2 zu kodierende übermäßige Adipositas mit alveolärer Hypoventilation, einer körperlichen Begleiterkrankung / Komorbidität, die ausweislich der von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft e.V. herausgegebenen S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ den pulmonalen Komplikationen zuzurechnen ist.

 

e. Der Senat durfte den insgesamt zur rechtlichen Überprüfung gestellten Schiedsspruch vom 16. Mai 2023 nur teilweise aufheben.

 

aa. Für das Krankenhausrecht hat das Bundesverwaltungsgericht zwar entschieden, dass eine Teilbarkeit des Pflegesatzes nicht in Betracht kommt. Da es sich bei der Pflegesatzvereinbarung gewissermaßen um eine "Paketlösung" handele, könnten nicht einzelne Teile des Paketinhalts ohne Zustimmung der allein verhandlungsbefugten Pflegesatzparteien herausgenommen werden. Dies stehe einer Teilaufhebung bzw. Teilgenehmigung diesbezüglicher Schiedssprüche entgegen (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 – 3 C 66/90 –, Rn. 35). Dem hat sich ein Teil der Rechtsprechung angeschlossen (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 L 174/04 –, Rn. 53 für eine Schiedsstellenentscheidung nach § 93b Abs. 1 BSHG; VG München, Urteil vom 21. Juni 2023 – M 18 K 22.3408 –, Rn. 57, für eine Schiedsstellenentscheidung nach § 78g SGB VIII).

 

bb. Anerkannt ist allerdings auch, dass Schiedssprüche zum einen sich nur auf Teilregelungen beziehen können (weil die Schiedsstelle nur bezüglich einer Teilregelung angerufen wurde) und zum anderen nur teilweise angefochten und aufgehoben werden können (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 8 SO 8/20 R – Rn. 11, m.w.N.; Urteil vom 4. März 2014 – B 1 KR 16/13 R –, Rn. 22; Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, Rn. 14). Eine Teilanfechtung bzw. -aufhebung eines Schiedsspruchs ist danach zulässig, wenn zwischen dem angefochtenen bzw. aufgehobenen Teil und den verbleibenden Regelungen kein Zusammenhang besteht, der eine isolierte Aufhebung ausschließt (BVerwG, Beschluss vom 29. März 2022 – 4 C 4/20 – für die Teilbarkeit eines Verwaltungsakts mit Nebenbestimmung). Mit anderen Worten: können die verbleibenden Regelungen des Schiedsspruchs sinnvoll Bestand haben und existieren keine Hinweise, dass nach dem erkennbaren Willen der Schiedsstelle die aufgehobenen und die verbleibenden Regelungen eines Schiedsspruchs Bestandteile eines übergreifenden Kompromisses bilden, die verbleibenden Regelungen mithin ohne die aufgehobenen Regelungen anders getroffen worden wären (Rechtsgedanke des § 139 BGB), bestehen gegen eine Teilaufhebung keine Einwände.

 

cc. Hieran gemessen durfte der Senat die Regelung zu Ziffer 4 des Schiedsspruchs isoliert aufheben. Die Vergütungsbeträge für die Zeit ab dem 15. August 2022 (Ziffer 3 des Schiedsspruchs) und für die Zeit vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 (Ziffer 4 des Schiedsspruchs) bestehen nach der Formulierung des Schiedsspruchs unabhängig voneinander, weil sie nominell durch abstrakte Beträge – und nicht etwa durch eine mit einem prozentualen Anteil verbundene Bezugnahme – festgesetzt wurden. Bezüglich der Herleitung des jeweiligen Vergütungsbetrags besteht nur eine einseitige Abhängigkeit: die Beklagte hat die Höhe des (aus ihrer Sicht zu reduzierenden) Vergütungsbetrags für die Zeit vom 22. Oktober 2021 bis zum 14. August 2022 mangels anderer geeigneter Anknüpfungspunkte nach einem bestimmten Anteil (85 %) des für die Zeit ab dem 15. August 2022 geltenden Vergütungsbetrags bemessen. Dies macht den Vergütungsbetrag für den früheren Zeitraum in seiner Begründung abhängig vom Vergütungsbetrag für den späteren Zeitraum. Letzterer kann indes unabhängig vom Schicksal des anderen Vergütungsbetrags bestehen.

 

3. Die Beklagte durfte eine Entscheidung über die lineare Fortschreibung des Vergütungsbetrags für den Fall weitergehender Aufnahmen von Y in das Verzeichnis, etwa mit einer Anwendungsdauer von 180 Tagen, ablehnen. Da zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung – diese Sachlage ist maßgeblich (s.o.) – keine weitergehende Aufnahme von Y erfolgt, offensichtlich noch nicht einmal beantragt war, war es von ihrem Gestaltungsspielraum gedeckt, sich mit einem diesbezüglichen Antrag der Klägerin nicht näher zu befassen, sondern ihn ohne Begründung abzuweisen.

 

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da er keinen Antrag gestellt und daher auch kein Kostenrisiko übernommen hat.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Rechtskraft
Aus
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