L 4 KR 240/25 B ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 46 KR 106/25 ER
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 4 KR 240/25 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1) Die sog. Sperrwirkung einer arzneimittelrechtlichen Entscheidung von EMA/GBA bzgl. § 2 Abs. 1a SGB V tritt ein, wenn die Behörde eine ablehnende Entscheidung betreffend des begehrten Arzneimittels und der beim Patienten vorliegenden Indikation getroffen hat (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2023, B 1 KR 35/21 R). 2) Die Sperrwirkung tritt nicht ein, wenn EMA/GBA keine ablehnende Entscheidung zur Zulassung getroffen haben, sondern lediglich die Studienlage mangels ausreichender Probandenzahl nicht weiter betrieben werden kann. 3) Betreffend Mirvetuximab Soravtansine (Elahere®) bei Ovarial-Karzinom mit 4 erfolglosen Vor-Therapien (Chemo-Therapien): EMA/GBA mit Zulassung nach 1-3 erfolglosen Vor-Therapien (Phase III-Studie mit bis zu 3000 Probanden, keine Studie zu >3 Vor-Therapien bei nur 11 Probanden.)

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 13.6.2025 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Antragstellerin mit Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) zu versorgen.

Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Instanzen zu erstatten.

Gründe

I.

Die onkologisch zu versorgende Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Mirvetuximab Soravtansine (Elahere).

Die im Jahr H. geborene Antragstellerin (AStin) ist bei der Antragsgegnerin (AGin) gesetzlich krankenversichert. Bei der AStin wurde erstmals im Jahr 2018 ein Ovarialkarzinom diagnostiziert, inzwischen leidet sie u.a. an einer fortgeschrittenen, bösartigen Neubildung des Ovars (C56) in Form eines fünften Rezidivs.

Die AStin beantragte unter dem 23.12.2024 bei der AGin die Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Mirvetuximab Soravtansine und fügte zur Glaubhaftmachung den Bericht der behandelnden Onkologin Dr. I. vom 23.12.2024 bei (Kliniken J., Zentrum für Pathologie, Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie), wonach Mirvetuximab Soravtansine eine erfolgsversprechende Option darstelle. Das Arzneimittel (AM) sei im Dezember 2024 von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) unter folgenden Voraussetzungen zugelassen worden als Monotherapie bei Patientinnen mit Folatrezeptoralpha (FRα) –positiven, platinresistentem, high-grade serösem epithelialem Ovarial-, Tuben- oder primärem Peritonealkarzinom, die zuvor ein bis drei systemische Behandlungslinien erhalten haben.

In dem Bericht der Dr. I. hieß es dazu weiter, dass bei der AStin bedauerlicherweise bereits vier Therapielinien absolviert worden seien. Aufgrund der hohen Expressivität von Folatrezeptor alpha und besserer Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Therapieoptionen, die eine ernüchternd geringe Ansprechrate aufwiesen, empfehle die Klink eine Therapie mit Mirvetuximab Soravtansine.

Die AGin veranlasste die Gutachten des Medizinischen Dienstes (MD) vom 18.11.2024 und 16.1.2025, nach denen zugelassene Therapiealternativen für die Antragstellerin verfügbar seien.

Der MD führte unter dem 16.1.2025 u.a. aus:

„Bei einem Einsatz bei über drei statt gehabten Therapielinien handelt es sich um einen Off Label Use.

…..

Es handelt sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung.

Mit dem sozialmedizinischen Gutachten des MD vom 18.11.2024 wurde dargelegt, dass zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Es wurde dargelegt, dass noch zugelassene Therapiealternativen, zum Beispiel mit Topotecan, verfügbar seien. Antragstellerseitig könnte geprüft werden, ob die Versicherte zwischenzeitlich eine, der noch zugelassen Therapieoptionen erhalten hat oder noch nicht.“

Aufgrund dessen könne vom MD nicht bestätigt werden, dass die Voraussetzungen für die beantragte Therapie erfüllt seien.

Die AGin lehnte den Antrag der AStin mit Bescheid vom 17.1.2025 ab und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16.4.2025 zurück.

Hiergegen erhob die AStin am 8.5.2025 Klage in der Hauptsache, die unter dem Aktenzeichen S 46 KR 103/25 bei dem Sozialgericht (SG) Osnabrück anhängig ist.

Im Zeitraum vom 5.5.2025 bis 15.5.2025 wurde die AStin wiederum in der Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte behandelt. Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht vom 16.5.2025 wurde erneut eine Therapie mit Mirvetuximab Soravtansin befürwortet.

Die AStin hat am 10.5.2025 einstweiligen Rechtsschutz beim SG Osnabrück beantragt. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass keine alternativen Therapien mehr bestünden. Die EMA habe Mirvetuximab Soravtansine für die Monotherapie bei Ovarialkarzinom zugelassen bei bis zu drei Vortherapien. Der Umstand, dass die Antragstellerin vier Vortherapien durchlaufen habe, sei unschädlich, da es sich um die einzig verbliebene, aussichtsreiche Behandlungsmöglichkeit handele. Die Datenlage (insbesondere die Phase-III-Studie MIRASOL sowie die SORAYA-Studie) belege eine signifikante klinische Wirksamkeit, so sei das progressionsfreie Überleben unter Mirvetuximab signifikant verlängert und die Nebenwirkungsrate seien im Vergleich zur Standardchemotherapie niedriger gewesen. Es bestehe somit ein Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V. Zudem liege ein Anordnungsgrund vor, da die konkrete Gefahr bestehe, dass sich der Gesundheitszustand irreversibel verschlechtere.

Die AGin hat im Wesentlichen Bezug genommen auf die Gutachten des MD vom 18.11.2024 und 16.1.2025, nach denen noch zugelassene Therapiealternativen verfügbar seien. Die Zulassung der EMA beziehe sich auf Patientinnen, die zuvor ein bis drei systemische Behandlungslinien erhalten hätten. Die Antragstellerin hätte jedoch bereits vier Therapien erhalten. Es liege zudem kein Anordnungsgrund vor.

Das SG hat zum medizinischen Sachverhalt ermittelt und eine Stellungnahme von Prof. Dr. K., Leitender Arzt im behandelnden Zentrum für Pathologie, Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie in den L., vom 4.6.2025 eingeholt zu der Frage, ob eine Therapie mit Mirvetuximab-Soravtansin die einzig erfolgversprechende Therapie darstelle oder andere zugelassene Behandlungsalternativen, wie z. B. eine chemotherapeutische Behandlung mit Topotecan oder Paclitaxel bestehen würden. Prof. Dr. K. hat im Einzelnen ausgeführt, welche Arzneimittel/Chemotherapien bisher zur Anwendung gebracht worden seien, wegen deren Erfolglosigkeit (Rezidive) die Tumorkonferenz nun Mirvetuximab-Soravtansin empfehle.

Das SG hat den Antrag der AStin mit hier angefochtenem Beschluss vom 13.6.2025 abgelehnt und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt:

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) seien einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheine. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs sowie des Anordnungsgrunds seien glaubhaft zu machen, § 86 Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). Stehe dem oder der Antragstellenden ein von ihm oder ihr geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und sei es nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, bestehe ein Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege vorläufigen Rechtsschutzes. Sei dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so sei anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei seien die grundrechtlichen Belange umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG, 12.05.2005, 1 BvR 569/05).

Vorliegend sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, aber unbegründet, da die AStin keinen Anordnungsanspruch auf Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Mirvetuximab Soravtansine glaubhaft gemacht habe.

Ein normierter Anspruch auf die begehrte Krankenbehandlung in Form einer Versorgung mit dem apothekenpflichtigen Arzneimittel nach § 27 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V liege unstreitig nicht vor, da der Anspruch auf das Arzneimittel Mirvetuximab Soravtansine zur Behandlung der Erkrankung der AStin nicht zugelassen und somit nicht verordnungsfähig sei (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 19.3.2002, B 1 KR 37/90; BSG und Urteil vom 24.1.2023, B 1 KR 7/22 Rn. 9 mwN). Nach dem Assessment Report der EMA vom 19.9.2024 bestehe eine EMA-Zulassung für das Medikament als Monotherapie bei Patientinnen mit Folatrezeptoralpha (FRα) –positiven, platinresistentem, high-grade serösem epithelialem Ovarial-, Tuben- oder primärem Peritonealkarzinom, die zuvor ein bis drei systemische Behandlungslinien erhalten haben. Demgegenüber habe jedoch die AStin bereits vier Behandlungslinien erhalten.

Die AStin habe auch keinen Anspruch auf Mirvetuximab Soravtansine aus § 2 Abs. 1a SGB V glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1a SGB V könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. In § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei geregelt, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen hätten.

Im vorliegenden Fall sei nicht ersichtlich, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung hinsichtlich der unstreitig lebensbedrohlichen Erkrankung der AStin nicht zur Verfügung stehe.

Allgemein anerkannte Standardtherapien versprächen einen Erfolg anhand nachprüfbarer Aussagen, und zwar in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen. Gemeint seien therapeutische Angebote, die den Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB V und dem Facharztstandard gem. § 630a BGB entsprächen (Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 2 SGB V (Stand: 15.6.2020), Rn. 58).

Solche Therapiemöglichkeiten bestünden für die AStin.

Dies ergebe sich aus der von der Kammer eingeholten Stellungnahme von Prof. Dr. K. vom 4.6.2025, nach der eine Chemotherapie mit Paclitaxel, PLD, Gemcitabine oder Topotecan möglich sei, auch wenn diese nicht zu empfehlen seien und der Einsatz von Mirvetuximab Soravtansine favorisiert werde.

Dieses werde bestätigt durch die Gutachten des MD vom 18.11.2024 und 16.1.2025, nach denen chemotherapeutische Optionen z. B. mit Topotecan möglich oder eine Wiederaufnahme der Therapie mit Paclitaxel und somit noch zugelassene Therapiealternativen verfügbar seien.

Für dieses Ergebnis spreche ebenfalls, dass das allgemein geltende, dem Gesundheitsschutz dienende innerstaatliche arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis durch die Auslegung des § 2 Abs. 1a SGB V nicht faktisch unterlaufen werden dürfe und eine solche Rechtsanwendung mit einem inakzeptablen unkalkulierbaren Risiko etwaiger Gesundheitsschäden für den betroffenen Versicherten behaftet wäre (siehe BSG, 11.9.2018, B 1 KR 36/17 R, Juris Rn. 17). Die Kammer weise darauf hin, dass das nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 29.62023, B 1 KR 23/21 R) auch im Bereich der regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen ein Vorrang der Arzneimittelsicherheit bestätigt und diesem ein hoher Stellenwert zuzumessen sei. Durch § 2 Abs. 1a SGB V sollten keine über die bisher vom BSG entwickelten Grundsätze (BSG, Urteil vom 4.4.2006-B 1 KR 7/05 R) hinausgehenden Leistungen eingeführt werden. Das Arzneimittelrecht trage dem sich aus Art 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden staatlichen Schutzauftrag Rechnung, in dem es Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel gewährleiste. Das Unterlaufen arzneimittelrechtlicher Vorschriften gerade auch bei schwerwiegenden Erkrankungen könne zu Gefahren von Leib und körperlicher Unversehrtheit führen. Dagegen böten die Institutionalisierung des Zulassungsverfahrens und die hohe fachliche Expertise der Arzneimittelbehörden eine besonders hohe Gewähr für die Wirtschaftlichkeit und die Unabhängigkeit der Prüfung.

Es bestehe auch kein Anspruch nach den engen Grundsätzen des sog. „Off Label Use“. Ein Anspruch nach den Grundsätzen des „Off Label Use“ komme nur in Betracht, wenn es sich um eine schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende) Erkrankung handele, bei der keine andere Therapie verfügbar sei und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen sei (vgl. BSG, Urteil vom 11.9.2018, B 1 KR 36/17 R sowie Urteil vom 19.3.2002, B 1 KR 37/00 R).

Im vorliegenden Fall sei jedoch, wie oben bereits ausgeführt, davon auszugehen, dass eine andere Therapie zur Verfügung stehe.

Schließlich sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass ein Seltenheitsfall vorliege. Ein solcher könne nur vorliegen, wenn das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sei, wobei allein geringe Patientenzahlen dem nicht entgegenstünden (BSG, Urteil vom 20.3.2018, B 1 KR 4/27 R). Diese sei vorliegend bei einem Ovarialkarzinom nicht der Fall.

Am Ende des SG-Beschlusses heißt es:

„Die Kammer verkennt dabei nicht, dass trotz der fehlenden Zulassung für das von der Antragstellerin begehrte Arzneimittel eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht und weist darauf hin, dass die Antragstellerin nachdem sie die noch möglichen und zugelassenen Behandlungswege beschritten hat, ggf. bei einem Misserfolg dessen einen Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V oder im Wege des sog. OffLabel-Use bestehen könnte.“

Mit ihrer hiergegen am 16.6.2025 erhobenen Beschwerde macht die AStin ergänzend geltend:

Die AStin befindee sich in einem akut lebensbedrohlichen Gesundheitszustand. Eine weitere Verzögerung gefährde nicht nur ihre Lebensqualität, sondern ihren Lebensschutz insgesamt. Die Verweigerung des einstweiligen Rechtsschutzes in einer derartigen Lage verletze das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).

Der Versorgungsanspruch der AStin mit Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) folge aus § 2 Abs. 1a SGB V. Die Norm sei nicht ausgeschlossen, denn die EMA beschränke die Zulassung zwar formal auf Patientinnen mit „1 bis 3 Vortherapien“, dies beruhe aber ausschließlich auf den in den Studien erhobenen Kohorten – nicht auf einer Kontraindikation für weitere Linien. Es handele sich also nicht um eine medizinische Ausschlussregel, sondern um eine regulatorische Begrenzung der Datengrundlage.

Im Rahmen des § 2 Abs. 1a SGB V stehe entgegen der Beurteilung des SG im vorliegenden Fall der AStin keine weitere Standard-Therapie mehr zur Verfügung. Das SG ignoriere dabei, dass es nicht auf die theoretische Zulassungsfähigkeit, sondern auf die konkrete medizinische Eignung im Einzelfall ankomme (BSG, Urteil vom 20.3.2018 – B 1 KR 4/17 R). Nach den medizinischen Ausführungen der die AStin konkret behandelnden Klinik seien jedoch alle bisherigen Therapielinien, insbesondere PLD, Gemcitabin, Paclitaxel und Carboplatin, entweder erfolglos gewesen, nicht vertragen worden oder bereits ausgeschöpft gewesen.

Die begehrte Versorgung sei eilbedürftig. Der AStin verbleibe kein therapeutisches Zeitfenster mehr für ein Abwarten auf die Hauptsache. Das fortschreitende Krankheitsbild und die eindeutige Empfehlung der behandelnden Ärzte belegten die medizinische Notwendigkeit einer unverzüglichen Intervention.

Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich,

  1. den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 13.6.2025 aufzuheben,
  1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten der Behandlung mit Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) vorläufig zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die AGin verteidigt ihre Entscheidungen als rechtmäßig, beruft sich zur Begründung auf den angefochtenen Beschluss des SG und macht ergänzend geltend:

Der Wirkstoff Mirvetuximab-Soravtansin (Elahere) sei zur Behandlung eines rezidivierten Ovarialkarzinoms im Fall der AStin nicht zugelassen, weil bei der AStin nicht 1 bis 3 (so die EMA-Zulassung), sondern bereits 4 erfolglose Vor-Therapien stattgefunden hätten. Auch § 2 Abs. 1a SGB V führe deshalb zu keinem Anspruch, weil nach BSG (Urteil vom 29.6.2023 – B 1 KR 35/21 R) arzneimittelrechtliche Zulassungsbeschränkungen zum Schutz der Patientensicherheit nicht durch § 2 Abs. 1a SGB V ausgehebelt werden dürften. Im Übrigen ergebe sich aus den Stellungnahmen des MD vom 18.11.2024 und 16.1.2025 sowie von Prof. Dr. K. vom 4.6.2025, dass Standard-Therapien verfügbar seien. – Im Übrigen fehle es an der glaubhaften Darlegung, dass die Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der AGin Bezug genommen. Sie haben der Entscheidung zugrunde gelegen.

II.

Die Beschwerde des AStin ist gem. §§ 172 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die AStin hat Anspruch darauf, die AGin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten der Behandlung mit Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) vorläufig zu übernehmen. Der entgegenstehende Beschluss des SG ist deshalb aufzuheben.

Zu den Voraussetzungen der vorliegend allein maßgeblichen verfahrensrechtlichen Norm des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (sog. Regelungsanordnung) wird auf die zutreffende Darstellung im angefochtenen Beschluss des SG verwiesen und von einer weiteren Darstellung abgesehen, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.

Abweichend zu der Entscheidung des SG ergibt sich ein nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderlicher Anordnungsanspruch für die AStin aus § 2 Abs. 1a SGB V:

Zutreffend hat das SG im angefochtenen Beschluss entschieden, dass ein Anspruch der AStin nicht aufgrund der auf voller Evidenzbasierung beruhenden Anspruchsgrundlagen der §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 i. V. m. 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht, der den Anspruch auf Krankenbehandlung in Form einer Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln nur dann vorsieht, wenn das jeweilige Arzneimittel auf der Grundlage evidenzbasierter Medizin uneingeschränkt für die jeweilige Indikation zugelassen ist. Vorliegend ist das begehrte Arzneimittel Mirvetuximab Soravtansine nicht zur Behandlung der Erkrankung der AStin uneingeschränkt zugelassen und deshalb nicht verordnungsfähig. Dies ist unter den Beteiligten zu Recht unstreitig.

Auch ein Anspruch aus den nicht eine volle Evidenzbasierung und Zulassung voraussetzenden Regelungen des sog. Seltenheitsfalles, des sog. Systemversagen und der sog. orphan drugs scheidet aus:

Ein Seltenheitsfall im Sinne der Rechtsprechung (RSpg.) des Bundessozialgerichts (BSG) ist bereits deshalb nicht gegeben, weil dieser u.a. voraussetzen würde, dass die Anzahl der unter der identischen Erkrankung wie die AStin leidenden Patient/innen so gering ist (weltweit), dass eine medizin-wissenschaftliche Untersuchung studientechnisch ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 8.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSG, Urteil vom 20. März 2018, B 1 KR 4/17 R, jeweils mwN). Vorliegend ist die bei der AStin (exakt) gestellte Erkrankungsdiagnose (bedauerlicherweise) nicht selten und konnte in Studien untersucht werden, wie sich u.a. aus dem vom SG zutreffend zitierten Assessment report der EMA vom 19.9.2024 ergibt (Phase III-Studie, bis zu ca. 3.000 erwachsene Probandinnen mit einem Folatrezeptor – alpha positivem, Platin-resistenten epithelalen Ovarialkarzinom, Tuben – oder primären Peritonialkarzinom unabhängig von der Anzahl der vorherigen Therapielinien).

Ein Systemversagen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nach der Entscheidung der EMA im September 2024 auf nationalstaatlicher deutscher Ebene im unmittelbaren Anschluss Untersuchungen des IQWiG stattfanden (Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen) und im Anschluss daran eine Zulassungsentscheidung des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) am 5.6.2025 erfolgte (vom SG nicht erwähnt), der die inhaltsgleiche Zulassung von Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) regelte (IQWiG Projekt: G24-36 Version: 1.0 Stand: 11.03.2025 IQWiG-Berichte – Nr. 1951, DOI: 10.60584/G24-36; G-BA-Beschluss vom: 5.6.2025, in Kraft getreten am: 5.6.2025, Vorgangsnummer: 2024-12-15-D-1131, Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V)).

Ein Anspruch als orphan drug scheidet deshalb aus, weil zwar nach EMA und G-BA die Zulassung von Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) gerade als orphan drug erfolgte (Quellen: siehe soeben), die Zulassung als orphan drug jedoch sowohl durch die EMA als auch durch den G-BA erfolgt ist auf „Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäres Peritonealkarzinom, FRα-positiv, platinresistent, nach 1 bis 3 Vortherapien“ (Fettdruck, Unterstreichung durch den Senat) und die AStin vorliegend 4 Vortherapien (erfolglos) durchlaufen hat.

Als Anspruchsgrundlage bleibt deshalb im Fall der AStin die allein auf individualbasierter Medizin beruhende Norm des § 2 Abs. 1 a SGB V.

Ein Ausschluss dieser Anspruchsgrundlage aufgrund der von der RSpg. des BSG (1. Senat) entwickelten sog. Sperrwirkung ist nicht gegeben. Nach dieser RSpg. ist die individualbasierte Norm nicht heranzuziehen, wenn bereits evidenzbasierte Prüfungen stattgefunden und diese zu einem negativen Ergebnis geführt haben, insbesondere wenn das die Zulassung beantragende Pharma-Unternehmen eine uneingeschränkte Zulassung für ein bestimmtes Indikationsgebiet beantragt, jedoch EMA bzw. G-BA die Zulassung für einen Teil des Indikationsgebietes abgelehnt hat. Für den abgelehnten Teil kann dann – so der 1. Senat des BSG – ein individualbasierter Anspruch aus § 2 Abs. 1a SGB V nicht erwachsen, weil eine sog. Mindest-Evidenz per se ausgeschlossen sei. Etwas anderes könne im zeitlichen Verlauf nur dann gelten, wenn nach der ablehnenden Zulassungsentscheidung neue medizinwissenschaftliche Erkenntnisse auftreten, die bei der Ablehnungsentscheidung noch nicht verfügbar waren (siehe etwa: BSG, Urteil vom 29.6.2023, B 1 KR 35/21 R; BSG, Beschluss vom 28.9.2021 – B 1 KR 7/21 B; BSG, Urteil vom 11.9.2018 – B 1 KR 36/17 R; ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.2.2022, L 16 KR 71/22 B ER; kritisch zur Sperrwirkung als solcher: Plagemann, Schlegel-Voelzke, jurisPK SGB V § 2 Rn 59; auch SG München, Urteil vom 19.11. 2020 – S 15 KR 293/18 unter Hinweis auf BVerfG vom 11.4.2017 – 1 BvR 452/17; zweifelnd an der BSG-RSpr.: LSG NRW, Beschluss vom 4.8.2021, L 5 P 556/21 B ER; kritisch zuletzt wieder: Sperrwirkung negativer arzneimittelrechtlicher Entscheidungen in "Nikolaus-Fällen", Nusser, NZS 2025, 429).

Im vorl. Fall haben weder EMA noch G-BA (IQWiG) eine irgendwie geartete ablehnende Entscheidung betreffend Mirvetuximab Soravtansine (Elahere) getroffen. Die AM-Prüfungsbehörden haben vielmehr die Zulassung nur deshalb auf „Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäres Peritonealkarzinom, FRα-positiv, platinresistent, nach 1 bis 3 Vortherapien“ (Fettdruck, Unterstreichung durch den Senat) ausgesprochen, weil eine weiterführende Studienuntersuchung bei Patientinnen mit 4 und mehr Vortherapien mangels ausreichender Probandenzahl (zum Zeitpunkt der Entscheidung: 11) nicht möglich war (siehe den Assessment report der EMA vom 19.9.2024, Nachweise im Gutachten des MD vom 16.1.2025). Dem hingegen lagen der Sperrwirkungs-RSpr. des BSG Fall-Konstellationen zugrunde, in denen etwa ein Off-Label-Use durch eine – in einem am Ende eines AM-Antragsverfahrens ergangene – ausdrückliche Negativ-Bewertung der EMA ausgeschlossen war (siehe etwa: BSG, Urteil vom 29.6.2023, B 1 KR 35/21 R: Translarna für gehunfähige Patienten).

Ist damit § 2 Abs. 1a SGB V vorl. nicht mangels sog. Sperrwirkung ausgeschlossen, ergibt seine deshalb vorzunehmende Prüfung das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale und damit den Versorgungsanspruch der AStin.

Die Lebensbedrohlichkeit bzw. der regelmäßig tödliche Verlauf der Erkrankung muss dabei (bedauerlicherweise) nicht mehr erörtert werden.

Entgegen der Entscheidung des SG sind vorl. die in Betracht kommenden (zugelassenen) Standard-Therapien ausgeschöpft:

Dabei ist es nicht ausreichend, wenn Standard-Therapien allein bei abstrakter Betrachtung zur Verfügung stehen könnten, also allein bezogen auf die in Rede stehende Diagnose und ohne Ansehen der weiteren Fall- und Patientenumstände. Nach stdg. RSpg. (auch) des BSG ist vielmehr erforderlich, dass die in Betracht gezogenen Standard-Therapien konkret angewendet werden können, also bezogen auf den konkreten Patienten mit seinen individuellen Krankheitsausprägungen, Begleiterkrankungen, Unverträglichkeiten etc. Dies folgt aus dem Charakter des § 2 Abs. 1a SGB V als Rechtsnorm der individualbasierten Medizin (so schon: BSG, Urteil vom 7.3.2013, B 1 KR 26/12 R, BSG, Urteil vom 7.11. 2006, B 1 KR 24/06 R) (Unterstreichungen durch den Senat).

Aufgrund dieses Erfordernisses der konkreten Fall-Betrachtung ist es unzureichend, wenn der MD – wie vorliegend – lediglich bezogen auf die in Rede stehende Diagnose bestimmte Chemotherapien als in Betracht kommend benennt, ohne im Näheren zu begründen, warum diese im konkreten Fall, also bei dieser Patientin (AStin) (noch) zur Anwendung gebracht werden können (Nachweise etwa bei: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24.1 2022, L 4 KR 558/21 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.12 2021, L 16 KR 516/21 B ER, juris).

Vorl. führte der MD in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 16.1.2025 lediglich aus:

„In der Vergangenheit war 2024 einen Kostenübernahmeantrag für Trastuzumab-Deruxtecan gestellt worden. Mit dem sozialmedizinischen Gutachten des MD vom 18.11.2024 wurde dargelegt, dass zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Es wurde dargelegt, dass noch zugelassene Therapiealternativen, zum Beispiel mit Topotecan, verfügbar seien. Welche Therapien die Versicherte zwischenzeitlich bekommen hat, ist nicht ersichtlich, die aktuell aufgeführten Therapien waren damals bereits ersichtlich.

….

Mit dem sozialmedizinischen Gutachten des MD vom 18.11.2024 wurde dargelegt, dass zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Es wurde dargelegt, dass noch zugelassene Therapiealternativen, zum Beispiel mit Topotecan, verfügbar seien. Antragsteller seitig könnte geprüft werden, ob die Versicherte zwischenzeitlich eine, der noch zugelassen Therapieoptionen erhalten hat oder noch nicht.“

Demgegenüber setzt sich die behandelnde Klinik mehrfach und substantiiert mit den vom MD (schlicht) benannten Therapien auseinander und hält sie im konkreten Fall der AStin für nicht (mehr) erfolgversprechend, weil sie bislang bereits angewendet wurden und ein (weiteres) Rezidiv nicht vermeiden konnten. Dies ergibt sich aus dem vorläufigen Entlassungsbericht der Gynäkologische Onkologie der M. vom 16.5.2025 sowie aus der von Prof. Dr. K. in der vom SG eingeholten Stellungnahme vom 4.6.2025. Hierin heißt es u.a.:

„Bei der o.g. Patientin liegt aktuell das 5. Rezidiv des erstmalig 2018 diagnostizierten high-grade seriösen Ovarialkarzinoms vor. Zuletzt erfolgte die Therapie mit PLD mono, worunter die Patientin einen symptomatischen Progress in Form eines Subileus entwickelte.

…..

Den erneuten Einsatz von Paclitaxel bei bereits zweimal erfolgter Therapie (2018 und 2023) würden wir nicht empfehlen. Weitere in der aktuellen S3–Leitlinie empfohlene Therapiemöglichkeiten bei platinresistentem high-grade seriösem Ovarialkarzinom sind Gemcitabine und PLD. Die Therapie mit PLD erfolgte bis zuletzt.

Hierunter hat die Patientin einen symptomatischen Progress in Form eines Subileus entwickelt, so dass die Therapie nicht weiter fortgesetzt wurde. Gemcitabine erhielt die Patientin bereits in Kombination mit Carboplatin 2022. Auch hierunter zeigte sich die Tumorerkrankung progredient.Zusammenfassend unterstützen wir den Einsatz von Mirvetuximab Soravtansine“.

Damit ist bei konkreter (und substantiierter) Betrachtung des Falles der AStin diejenige ultima ratio-Situation eingetreten, in der wegen Ausschöpfung der Standard-Therapien die begehrte Therapie anwendbar ist, sofern die sog. Mindest-Evidenz zu bejahen ist.

Die Mindest-Evidenz ist gegeben:

Die Zulässigkeit der Anwendung sog. außervertraglicher Therapien nach § 2 Abs. 1a SGB V ist nur dann gegeben, wenn die konkrete Behandlungsmethode ein Mindestmaß an medizinwissenschaftlicher Akzeptanz betreffend das konkret in Rede stehende Erkrankungsbild aufweist. Nach der RSpr. des BVerfG und des BSG ist dies nur dann der Fall, wenn der Gesundheitszustand des betroffenen Versicherten im Vergleich mit Unbehandelten, mit der Behandlung anderer Erkrankter oder unter der wissenschaftlichen Diskussion betrachtet wird (BVerfG NZS 2006, 84, 88) oder durch Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte und ähnliche, nicht durch Studien belegte Meinungen anerkannter Experten sowie Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen bewertet wird (BSG, Urteil vom 2.9.2014, B 1 KR 4/13 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 9; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.12.2014, L 1 KR 21/13; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 20.4.2016, L 4 KR 357/15 B ER und 30.6.2020, L 4 KR 298/18).

Diesen Maßstab der Mindest-Evidenz konkretisierend gilt nach der weiter gesicherten RSpr. des BSG, dass die Anforderungen an die „ernsthaften Hinweise“ umso niedriger zu veranschlagen sind, je schwerwiegender die Erkrankung und je hoffnungsloser die Situation des Erkrankten ist (siehe etwa: BSG, Urteil vom 2.9.2014, B 1 KR 4/ 13 R; LSG Nds-HB, Urteil vom 18.12.2014, L 1 KR 21/13; LSG Celle-Bremen, Beschluss vom 23.12.2021, L 16 KR 516/21 B ER).

Danach ist vorliegend diese Mindest-Evidenz ohne weiteres gegeben:

Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass die der EMA- und der G-BA-Entscheidung zugrunde liegenden Faktenlage bereits auf einer Studienlage beruhte (Phase-III-Studie MIRASOL) und die Verifizierung der Studienergebnisse bei der hier vorliegenden Fall-Konstellation von 4 (nicht 1-3) Vor-Therapien allein mangels ausreichender Probanden-Zahl nicht fortgeführt werden konnte.

Es folgt zum zweiten aus dem Umstand, dass die begehrte Versorgung mit Mirvetuximab Soravtansine (unter konkreter Betrachtung der vorgenannten Studienergebnisse) in Kenntnis des jahrelangen Behandlungsverlaufs der AStin von der zuständigen Tumor-Konferenz der behandelnden Klinik empfohlen wurde (L., Zentrum für Pathologie, Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie). Tumorkonferenzen/Tumorboards weisen in der Regel wegen der abwägenden Prüfung aller verfügbaren Behandlungsinformationen und des wissenschaftlichen Kenntnisstandes eine hohe Sachkompetenz auf (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.12 2021, L 16 KR 516/21 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 24.1.2022, L 4 KR 558/21 B ER, und vom 21.4. 2023, L 4 KR 59/23 B ER).

Neben dem damit gegebenen Anordnungsanspruch ist vorliegend auch ohne weiteres ein Anordnungsgrund gegeben, weil nach den Berichten der behandelnden Klinik im Fall der Nicht-Versorgung mit Mirvetuximab Soravtansine eine deutliche Verschlechterung drohe.

Die AStin kann daher aufgrund Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes den Erlass einer Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verlangen.

Nur ergänzend ist darauf aufmerksam zu machen, dass die vorl. zusprechende Entscheidung im Wege einstweiligen Rechtsschutzes auch auf eine Folgenabwägung zu stützen wäre, die immer dann in Betracht kommt, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen drohten, die durch das Hauptsache-Verfahren nicht mehr zu beseitigen wären (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 4.6.2020, 1 BvR 2846/16, Rn. 10, zitiert nach juris; Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage, SGG § 86b Rdnr. 2a; jeweils m.w.N.). – Vorliegend sieht die Tumorkonferenz keine andere als die hier zugesprochene Versorgung bei Ovarialkarzinom im 5. Rezidiv als erfolgversprechend an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG in entsprechender Anwendung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.

E.                                                                     Dr. F.                                                              Dr. G.

 

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