L 20 AL 127/23

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AL 218/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AL 127/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.07.2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld nach dem SGB III (Alg) über den Zeitpunkt hinaus, an dem er die Regelaltersgrenze nach dem SGB VI erreicht hat.

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war seit dem Jahr 1989 als Arzt abhängig beschäftigt. Zum 01.07.1989 ließ er sich aufgrund seiner Pflichtmitgliedschaft bei der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe auf Antrag von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreien (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 09.11.1989). Seine letzte Vollzeitbeschäftigung als Arzt im F. X., die der Kläger am 01.09.2010 aufgenommen hatte, endete zum 30.06.2021.

 

Am 25.02.2021 beantragte der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.07.2021 Alg.

 

Durch zwei Bescheide vom 26.07.2021, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2021 und in der Fassung eines Änderungsbescheides vom 18.08.2021, bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 01.07.2021 (bei einer Anspruchsdauer von 720 Tagen) bis zum 30.11.2021 vorläufig Alg zu einem täglichen Leistungsbetrag von 88,07 €. Der Anspruch entfalle gemäß § 136 Abs. 2 SGB III mit Ablauf des Monats, in dem der Kläger das für die Regelaltersrente im Sinne des SGB VI erforderliche Lebensjahr vollendet habe, hier also zum 01.12.2021; denn er habe die Regelaltersgrenze nach § 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am 19.11.2021 erreicht.

 

Mit seiner am 25.08.2021 vor dem Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat der Kläger Alg über den 30.11.2021 hinaus bis zum 31.05.2022 begehrt. § 136 Abs. 2 SGB III sei – soweit die Vorschrift überhaupt anwendbar sei – teleologisch in der Weise zu reduzieren, dass Personen, die (wie er) als Mitglied eines Versorgungswerks von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit seien, Alg bis zum Ende des Monats beanspruchen könnten, in dem sie die Regelaltersgrenze nach den Regelungen des jeweiligen Versorgungswerks erreicht hätten. Dies sei bei ihm erst im Mai 2022 der Fall (vgl. § 9 der Satzung der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe). Aus der Gesetzesbegründung zu § 117 Abs. 2 SGB III i.d.F. bis März 2012, der Vorgängerregelung des § 136 Abs. 2 SGB III, gehe hervor, dass Regelaltersrente und Alg nicht parallel bezogen werden dürften (vgl. BT-Drs. 2/07 S. 114). Im Umkehrschluss folge hieraus, dass Alg zu erbringen sei, solange keine Altersrente bezogen werde. Die von der Beklagten vorgenommene – wortlautgetreue – Auslegung des § 136 Abs. 2 SGB III gefährde erworbene Anwartschaften auf Alg. Obwohl die sozialen Leistungssysteme derart gestaltet seien, dass jeweils ein gesetzlicher Leistungsträger bei Hilfebedürftigkeit leistungspflichtig sei, seien sein Lebensunterhalt und die Sicherung seiner Existenz bis zur Auszahlung der Altersrente durch das berufsständische Versorgungswerk nicht sichergestellt. Er habe von Dezember 2021 bis Mai 2022 kein Einkommen und müsse auf Erspartes zurückgreifen. Auch sein Kranken- und Pflegeversicherungsschutz seien gefährdet. Er werde daher gegenüber Empfängern von Alg, die in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert seien und nahtlos in den Altersrentenbezug wechseln könnten, benachteiligt. Das von der Beklagten in Bezug genommene Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.01.1977 (7 RAr 47/75) rechtfertige keine andere Bewertung. Danach möge es für das Entfallen des Alg-Anspruchs nach § 136 Abs. 2 SGB III zwar unerheblich sein, ob eine Regelaltersrente tatsächlich bezogen werde. Jene Entscheidung betreffe jedoch Fälle, in denen die Voraussetzungen für den Bezug einer Regelaltersrente nach dem SGB VI (etwa die Anwartschaftszeit) nicht erfüllt gewesen seien. Er gehöre jedoch von vornherein nicht zum Leistungssystem des SGB VI.

 

Durch im Verlauf des Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 24.11.2021 hat die Beklagte die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung von Alg, gestützt auf § 136 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III, zum 01.12.2021 aufgehoben. Der Kläger habe die Altersgrenze für die Regelaltersrente im November 2021 erreicht und daher ab Dezember 2021 keinen Anspruch mehr. Den gegen jenen Bescheid eingelegten Widerspruch des Klägers hat die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 01.12.2021 als unzulässig verworfen.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.07.2021 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 18.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2021 zu verurteilen, ihm auch für den Zeitraum 01.12.2021 bis 31.05.2022 Alg zu bewilligen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet. Der Anspruch auf Alg ende nach § 136 Abs. 2 SGB III mit Ablauf des Monats, in dem die maßgebliche Regelaltersgrenze nach dem SGB VI erreicht sei, unabhängig davon, ob ein Rentenanspruch bestehe oder nicht (BSG, Urteil vom 27.01.1977 – 7 RAr 47/75). Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig und keiner Auslegung zugänglich. Dem Gesetzgeber müsse bei Abfassung des Gesetzestextes bewusst gewesen sein, dass auch andere Versorgungsvarianten wie die Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung bestünden. Eine unbeabsichtigte Regelungslücke, die eine teleologische Auslegung erst ermögliche, liege daher nicht vor.

 

Mit Urteil vom 28.07.2023 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.

 

Gegen das am 06.09.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.09.2023 Berufung eingelegt. Er bleibt bei seiner Auffassung, dass § 136 Abs. 2 SGB III auslegungsfähig sei. Der Gesetzgeber habe Versorgungswerke als eigenständiges System der Altersabsicherung zugelassen, hieraus folgende Diskrepanzen zur Gesetzlichen Rentenversicherung jedoch nicht aufgelöst. Offensichtlich habe der Gesetzgeber spätestens bei schrittweiser Anhebung der Altersgrenzen im SGB VI übersehen, dass die Altersgrenzen in den verschiedenen Satzungen der berufsständischen Versorgungswerke unterschiedlich geregelt seien. Diese Regelungslücke sei nach Sinn und Zweck des § 136 Abs. 2 SGB III zu schließen. In einer jüngeren Entscheidung vom 13.12.2023 (B 7 AS 16/22 R) habe das Bundessozialgericht festgestellt, dass auch Beiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk in entsprechender Anwendung des § 11b SGB II vom Einkommen absetzbar seien, und auf diese Weise dem Nebeneinander unterschiedlicher Sicherungssysteme – Gesetzliche Rentenversicherung bzw. Versorgungswerke u.a. – im SGB II Rechnung getragen. Das Sozialgericht Frankfurt (Urteil vom 25.05.2023 – S 15 AL 135/22) sei der Intention des Gesetzgebers, einen nahtlosen Übergang der Sicherungssysteme zu gewährleisten, bei Auslegung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ebenfalls gefolgt. Richtig sei zwar, dass Personen, die sich dazu entschieden hätten, aus dem Sozialversicherungssystem auszuscheiden, mit den Konsequenzen leben müssten. Dies gelte jedoch nur innerhalb der einzelnen Sozialversicherungszweige und nicht übergreifend. § 136 Abs. 2 SGB III müsse zumindest verfassungskonform ausgelegt werden. Die vom Sozialgericht und der Beklagten bevorzugte Leseart verletze den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG), Art. 14 GG sowie Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG.

 

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte dem Kläger vom 01.07.2021 bis zum 30.11.2021 abschließend Alg zu einem täglichen Leistungsbetrag von 88,07 € bewilligt.

 

Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung ohne seinen Prozessbevollmächtigten erschienen ist, beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.07.2023 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2021 in Fassung des Änderungsbescheides vom 18.08.2021 und des Aufhebungsbescheides vom 24.11.2021, letzterer in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2021, zu verurteilen, ihm Alg auch vom 01.12.2021 bis zum 31.05.2022 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 136 Abs. 2 SGB III bestünden nicht.

 

Am Tag der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, den Termin zu verlegen, weil die alleinige Sachbearbeiterin erkrankt sei. Der Vorsitzende hat dem Bevollmächtigten daraufhin telefonisch mitgeteilt, dass dem Antrag nicht entsprochen werde. Auf den Inhalt des Telefonvermerks vom 27.01.2025 wird im Übrigen verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Der Senat war befugt, in Abwesenheit des Bevollmächtigten des Klägers über die Berufung zu verhandeln und zu entscheiden, obwohl dieser am Tag der mündlichen Verhandlung die Verlegung des Termins beantragt hat. Ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung im Sinne des § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO lag nicht vor. Es war dem Bevollmächtigten des Klägers, der ausweislich der zur Gerichtsakte gereichten Prozessvollmacht allein zu dessen Vertretung bevollmächtigt war, zumutbar, anstelle der erkrankten Sachbearbeiterin bei Gericht zu erscheinen und an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Da der Bevollmächtigte sämtliche Schriftsätze im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren selbst signiert hat, hatte er auch umfassende Kenntnis über den Sach- und Streitstand. Abgesehen davon hat sich der im Termin anwesende Kläger mit einer Verhandlung ohne Beistand seines Bevollmächtigten einverstanden erklärt.

 

B) Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts lediglich noch der Bescheid vom 27.01.2025, mit dem die Vertreterin der Beklagten dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abschließend Alg (lediglich) bis zum 30.11.2021 bewilligt hat. Allein gegen die endgültige Festsetzung des Leistungsendes in dem Bescheid vom 27.01.2025, der gemäß § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes in das Berufungsverfahren einbezogen ist, wendet sich der im Verhandlungstermin anwaltlich nicht vertretene Kläger bei der gebotenen Auslegung seines Begehrens noch. Denn die abschließende Entscheidung ersetzte und erledigte mit ihrem Erlass i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X die vorläufige Entscheidung über den Leistungsanspruch (durch Bescheide vom 26.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2021, jeweils in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.08.2021 (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 – B 4 AS 54/15 R Rn. 14 m.w.F.). Entsprechendes gilt für den Bescheid vom 24.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.12.2021, mit dem die Beklagte die vorläufige Alg-Bewilligung ab dem 01.12.2021 aufgehoben hatte. Unbeschadet der Frage, ob es sich dabei ohnehin nur um eine wiederholende Verfügung (ohne Verwaltungsaktqualität i.S.v. § 31 SGB X) oder einen Zweitbescheid handelte, der den Rechtsweg neu eröffnete, entfaltet jener Bescheid jedenfalls mit endgültiger Festsetzung des Alg bis zum 30.11.2021 ebenfalls keine Regelungswirkung mehr.

 

II. Der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu Protokoll des Gerichts erteilte Bescheid der Beklagten vom 27.01.2025, gegen den der Kläger sich zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und 4 SGG) wendet, soweit dieser Alg abschließend lediglich bis zum 30.11.2021 festsetzt, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Dem Kläger steht Alg ab dem 01.12.2021 nicht mehr zu.

 

1. Zwar sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg (§§ 137 ff. SGB III) dem Grunde nach über den 30.11.2021 hinaus erfüllt. Der Kläger war (weiterhin) arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB III), arbeitslos (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) und hatte die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

 

2. Sein Anspruch auf Alg ist jedoch gemäß § 136 Abs. 2 SGB III (i.d.F. ab 01.04.2012) zum 01.12.2021 entfallen. Nach dieser Vorschrift haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen i.S.v. Abs. 1 jener Vorschrift, die das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet haben, vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Alg.

 

a) Der Kläger war seit September 2010 im F. X. mehr als geringfügig abhängig beschäftigt und daher Arbeitnehmer im Sinne jener Vorschrift (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Als im Jahr 00.00.0000 Geborener hat er das für die Regelaltersrente im Sinne des SGB VI erforderliche Lebensjahr am 19.11.2021 vollendet (vgl. § 235 Abs. 1 Satz 2 SGB VI i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB VI: 65 Jahre 10 Monate). Ab Beginn des Folgemonats, also ab dem 01.12.2021, bestand daher kein Anspruch mehr auf Alg.

 

b) Unerheblich ist insofern, dass der Kläger als Mitglied der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe von der Verpflichtungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war und die Regelaltersgrenze für den Erhalt einer Altersrente aus dem Versorgungswerk erst mit 66 Jahren und vier Monaten, also erst am 19.05.2022, erreichte (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 und 3 der Satzung der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe vom 29.09.2001, abrufbar unter https://aevwl.de). Denn das Ende des Alg-Anspruchs bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, in dem die Regelaltersgrenze nach dem SGB VI erreicht wird.

 

aa) Dies ergibt sich bereits aus dem unmissverständlichen Wortlaut des § 136 Abs. 2 SGB III, der ausdrücklich auf das Erreichen des Lebensjahres abstellt, das für die Regelaltersrente „im Sinne des Sechsten Buches“ erforderlich ist. Der – hier eindeutige – Gesetzeswortlaut ist in der Regel Grenze jeder Auslegung (BSG, Urteil vom 07.12.1989 – 12 RK 26/88 Rn. 16).

 

bb) Eine analoge Anwendung oder teleologische Reduktion des § 136 Abs. 2 SGB III in dem vom Kläger befürworteten Sinn kommt auch unabhängig von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht in Betracht. Insofern muss der Senat nicht entscheiden, ob eine unbeabsichtigte – planwidrige – Regelungslücke vorliegt, der Gesetzgeber also bei Einführung des § 136 Abs. 2 SGB III bzw. seiner Vorgängerregelungen oder zumindest bei Anhebung der Regelaltersgrenze in § 235 Abs. 2 SGB VI für Versicherte mit den Geburtsjahren zwischen 1947 und 1963 zum 01.01.2008 versehentlich nicht berücksichtigt hat, dass Mitglieder von Versorgungswerken, die von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreit sind, die Regelaltersgrenze je nach Ausgestaltung der satzungsrechtlichen Bestimmungen u.U. erst zu einem späteren Zeitpunkt vollenden. Denn jedenfalls rechtfertigen Sinn und Zweck des § 136 Abs. 2 SGB III sowie die Gesetzesbegründung es nicht, § 136 Abs. 2 SGB III in der Weise auszulegen, dass der Kläger Anspruch auf Alg über den 30.11.2021 hinaus bis zum 31.05.2022 (= Ende des Monats, in dem er die Regelaltersgrenze nach § 9 Abs. 1 Satz 3 der genannten Satzung vollendet) hat.

 

(1) (a) § 136 Abs. 2 SGB III soll den Schutzbereich des SGB III gegenüber dem gesetzlichen Sicherungssystem des SGB VI als Zweig der Sozialversicherung (§ 4 SGB I) abgrenzen, dem ein Versicherter „grundsätzlich“ – also bei typischem Verlauf des Arbeitslebens (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.1977 – 7 RAr 47/75 Rn. 21) – mit Erreichen der Regelaltersgrenze unterfällt (vgl. hierzu auch Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 136 SGB III <Stand: 04.04.2024> Rn. 19 und 32; vgl. ferner Valgolio in Hauck/Noftz SGB III, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 136 SGB III Rn. 8).

 

(b) Dies kommt auch in der Gesetzesbegründung zu der Vorgängervorschrift des § 117 SGB III i.d.F. vom 01.01.2005 bis 31.03.2012 zum Ausdruck, in dessen Abs. 2 die Zahl „65“ gestrichen und die neue Regelaltersgrenze des SGB VI eingefügt wurde. Danach dient jene Regelung (zusammen mit § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i.d.F. ab 29.06.2011) der Abgrenzung des Schutzbereichs der Arbeitslosenversicherung gegenüber dem Schutzbereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind Personen, die das Lebensalter erreicht haben, das zum Bezug der Regelaltersrente berechtigt, nicht mehr in den Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung einbezogen. Ihre soziale Sicherung erfolgt vielmehr grundsätzlich durch die gesetzliche Rentenversicherung. Für diesen Personenkreis entfallen die Versicherungspflicht und die Leistungsberechtigung in der Arbeitslosenversicherung (vgl. BT-Drs. 16/3794 S. 45).

 

(c) Ein nahtloser Übergang von den Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung in jedem Einzelfall war hingegen – anders als der Kläger zumindest ursprünglich meinte – bereits vor stufenweiser Anhebung der Regelaltersgrenze im SGB VI gerade nicht beabsichtigt (vgl. im Einzelnen BSG, a.a.O. Rn. 20 f., zu der Vorgängerregelung in § 100 Abs. 2 AFG i.d.F. bis 31.12.2004). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten vielmehr auch arbeitslos gewordene Arbeitnehmer, die – abweichend vom typischen Verlauf des Arbeitslebens – bei Erreichen der Regelaltersgrenze Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (etwa wegen Nichterfüllung der erforderlichen Wartezeit) nicht in Anspruch nehmen können, vom Leistungsbezug ausgeschlossen werden (vgl. im Einzelnen BSG, a.a.O., unter Hinweis auf das Kurzprotokoll der 90. Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 06.02.1969 – 90/16 ff. – S. 18).

 

(2) (a) Wenn der Gesetzgeber aber schon bei der Abgrenzung des SGB III zum SGB VI als Zweig der Sozialversicherung zugunsten einer typisierenden Regelung nicht ausnahmslos einen nahtlosen Übergang vom Alg-Bezug in die Regelaltersrente sicherstellen wollte, gilt dies erst Recht für Personen, die sich aufgrund eigener Entscheidung des Schutzes der gesetzlichen Rentenversicherung begeben und stattdessen ein anderes Sicherungssystem gewählt haben. Dies gilt auch für den Kläger, der als gegen Arbeitsentgelt abhängig beschäftigter Arzt grundsätzlich versicherungspflichtig war (vgl. § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), sich als Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung aber aufgrund eigenen Willensentschlusses von der Versicherungspflicht hat befreien lassen (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und den Bescheid der BfA vom 09.11.1989).

 

(b) Dass die satzungsrechtlichen Bestimmungen der berufsständischen Versorgungswerke zum Renteneintrittsalter und zum Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente – wie im Falle des Klägers – nicht mit den Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung zum Renteneintrittsalter identisch sein mögen und je nach Versorgungswerk teilweise erheblich voneinander abweichen (vgl. im Einzelnen Harald Clade, Altersversorgung: Die „Rente mit 67“ ist auch für Ärzte verfassungskonform, Dtsch Ärztebl 2012, 109 <19>, abrufbar im Internet unter www.aerzteblatt.de), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Zuzugeben ist dem Kläger zwar, dass er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt Zwangsmitglied im Versorgungswerk der Ärzte ist. Es wäre ihm jedoch ohne Weiteres möglich gewesen, von seinem Recht, sich von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien zu lassen, keinen Gebrauch zu machen und (neben seiner Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk) in der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbleiben, auch wenn dies die Zahlung doppelter Beiträge – zum Versorgungswerk und zur gesetzlichen Rentenversicherung – nach sich gezogen hätte. Ggf. hätte er ebenso wie grundsätzlich jeder gesetzlich Rentenversicherte mit Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem SGB VI Anspruch auf Regelaltersrente gehabt.

 

(c) Abgesehen davon ist auch nicht feststellbar, zu welchem Zeitpunkt Mitglieder verkammerter Berufe (wie der Kläger) bei „typischem Verlauf des Arbeitslebens“, wie er der Regelung in § 136 Abs. 2 SGB III zugrunde liegt (s.o.), die für sie maßgebliche Regelaltersgrenze erreicht haben. Denn während die Regelaltersgrenze im SGB VI für die verschiedenen Geburtenjahrgänge bundeseinheitlich festgelegt ist, fällt die berufsständische Versorgung nach Art. 70 GG unter Landesrecht. Folglich ist für jede Berufsgruppe je nach Bundesland ein eigenes Versorgungswerk zuständig. Laut der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e.V. gab es 2022 insgesamt 91 verschiedene Versorgungswerke (www.allianz.de; Stichwort: „Berufsständische Versorgungswerke“). Diese treffen – wie bereits ausgeführt – teilweise sehr unterschiedliche Regelungen zum Renteneintrittsalter. Selbst zwischen den einzelnen Versorgungswerken ein und desselben Berufsstandes (Ärzte; Zahnärzte) und auch innerhalb eines Bundeslandes gibt es abweichende Regelungen zur Erhöhung des Renteneintrittsalters (vgl. im Einzelnen www.aerzteblatt.de, a.a.O.). Erst recht gilt dies unter ergänzender Berücksichtigung der Regelungen sonstiger verkammerter freier Berufe (wie Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ingenieure und Psychotherapeuten). Legen diese in ihren Satzungen jeweils eigene Regelungen für den Beginn der Regelaltersrente fest, so würde eine erweiternde Auslegung des § 136 Abs. 2 SGB III zugunsten des Klägers eine künftige – typisierende – Grenzziehung nahezu unmöglich machen und im Übrigen auch zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führen.

 

(d) Überdies steht der vom Kläger geforderten analogen Anwendung bzw. teleologischen Reduktion des § 136 Abs. 2 SGB III entgegen, dass es sich bei einer berufsständischen Versorgungseinrichtung um ein gänzlich anderes Alterssicherungssystem als das SGB VI handelt. Abgesehen von der landesrechtlichen Zuständigkeit (s.o.) finanziert ein berufsständisches Versorgungswerk als Versorgungseinrichtung seine Leistungen (ohne staatliche Zuschüsse) ausschließlich über die Beiträge seiner Mitglieder. Je nach Versorgungswerk ist die Beitragshöhe unterschiedlich. Einige setzen einen Prozentsatz des erzielten Einkommens an, andere einen Anteil des Höchstbeitrags der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. www.allianz.de; Stichwort: „Berufsständische Versorgungswerke“). Die Mindest- und Höchstbeiträge weichen durch die verschiedenen Regelungen voneinander ab, je nachdem welchem Versorgungswerk jemand angehört. Oft lassen die Versorgungswerke auch freiwillige Mehrzahlungen zu, um die Rente zu erhöhen. Die zugesagten Renten sind häufig höher als in der gesetzlichen Rentenversicherung; 2016 betrugen sie durchschnittlich 2.092 € pro Monat (vgl. www.finanztip.de/versorgungswerkrentenversicherung). Vor allem aber haben die Beitragszahler der berufsständischen Versorgungswerke keine den gesetzlich Rentenversicherten vergleichbaren Belastungen zu tragen. Denn die gesetzliche Rentenversicherung ist maßgebend durch den Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt, dessentwegen Leistungen zu erbringen sind, denen weder gleichwertige Beiträge noch entsprechende Bundeszuschüsse gegenüberstehen, und die daher die Ergiebigkeit für den einzelnen Versicherten mindern. Wenn der Kläger sich aber bewusst gegen den (möglichen) Verbleib in der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden hat, dann kommt er zwar einerseits in den Genuss von Vorteilen, die er durch die Mitgliedschaft im Versorgungswerk erhält. Er muss aber – auch im SGB III – konsequenterweise etwaige Nachteile gegenüber Personen in Kauf nehmen, die gesetzlich rentenversichert sind und denen grundsätzlich ein nahtloser Übergang vom Alg-Bezug in den Regelaltersrentenbezug möglich ist.

 

(3) Die Weiterzahlung des Alg bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 9 Abs. 1 der für den Kläger maßgeblichen Satzung hätte im Übrigen nicht nur eine Gleichstellung, sondern letztlich sogar eine Bevorteilung des Klägers zur Folge; denn er würde Alg noch für weitere sechs Monate (vom 01.12.2021 bis zum 31.05.2022) erhalten; dies, obwohl er mit Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem SGB VI keine Beiträge mehr zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten hat (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i.d.F. ab 29.06.2011, der mit dem Ausschluss von Alg an Personen nach § 136 Abs. 2 SGB III korrespondiert). Selbst auf der beitragsrechtlichen Seite wollte der Gesetzgeber Personen, die nicht Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern eines anderen Alterssicherungssystems außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung sind, gegenüber gesetzlich Rentenversicherten im SGB III lediglich gleichstellen, nicht hingegen bevorteilen. Zwar kennt das Gesetz im Bereich der Arbeitsförderung Beitragsverpflichtungen der Beklagten gegenüber berufsständischen Versorgungseinrichtungen. Denn § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB III sieht vor, dass Empfänger von Alg, die von der Versicherungspflicht befreit sind, Anspruch auf Übernahme der Beiträge haben, die für die Dauer des Leistungsbezugs an eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe zu zahlen sind. Allerdings ist der Anspruch der Höhe nach auf die Beiträge begrenzt, welche die Bundesagentur ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Dauer des Leistungsbezugs zu trägen hätte (§ 173 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

 

(4) Auf das vom Kläger in Bezug genommene Urteil des Bundessozialgerichts vom 13.12.2023 – B 7 AS 16/22 R lässt sich die von ihm bevorzugte Leseart des § 136 Abs. 2 SGB III ebenfalls nicht zu stützen. Danach sind Beiträge zum Versorgungswerk in entsprechender Anwendung des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II wie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung vom Einkommen abzusetzen; dies allerdings der Höhe nach begrenzt auf den Mindestbeitrag beitragspflichtiger Einnahmen selbständig Tätiger in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Die vom Bundessozialgericht befürwortete Analogie des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist für die hier in Rede stehende Auslegung des § 136 Abs. 2 SGB III indes bedeutungslos; denn die Auslegung von Gesetzen richtet sich naturgemäß nach dem Regelungszusammenhang der jeweiligen Vorschrift. Die Absetzung von Beiträgen zum Versorgungswerk, deren Zahlung Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nicht ausweichen können und deren Lage daher mit derjenigen von erwerbstätigen Leistungsberechtigten nach dem SGB II vergleichbar ist, auf deren Einkommen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung entrichtet werden (vgl. BSG, a.a.O., insbesondere Rn. 31), mag daher nach der Gesetzesentwicklung bzw. dem Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II geboten sein. Die telelogische Auslegung des § 136 Abs. 2 SGB III bestimmt sich jedoch allein nach dessen Sinn und Zweck (s.o.).

 

Im Übrigen betont auch das Bundessozialgericht (a.a.O., Rn. 35), dass erwerbstätige Leistungsberechtigte nach dem SGB II, die wegen der Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich einer berufsständischen Kammer von der Versicherungspflicht befreit sind (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI), bezogen auf die Altersvorsorgebeiträge grundsätzlich nicht besser zu stellen sind als anderweitig erwerbstätige Leistungsberechtigte. Entsprechend begrenzt das Gericht die Höhe der Absetzung auf den Mindestbetrag beitragspflichtiger Einnahmen selbständig Tätiger in der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG, a.a.O., Rn. 33 ff.). Das Hinausschieben der Altersgrenze in § 136 Abs. 2 SGB III auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze i.S.v. § 9 Abs. 1 der für den Kläger maßgeblichen Satzung führte jedoch zu einer Besserstellung von Mitgliedern verkammerter Berufe (s.o.), die auch im SGB II nicht gewollt ist.

 

(5) Inwiefern die vom Kläger ferner herangezogene Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt vom 27.03.2023 – S 15 AL 135/22 (Rn. 34 ff.) seine Rechtsauffassung stützen soll, ist dem Senat nicht nachvollziehbar. Denn das Sozialgericht legt den Begriff des „Lebensjahres“ in § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III – korrespondierend mit § 136 Abs. 2 SGB III – dahingehend aus, dass das Versicherungsverhältnis mit Erreichen der „Regelaltersgrenze“ nach dem SGB VI für den Anspruch auf Regelaltersrente endet.

 

cc) Einer verfassungskonformen Auslegung des § 136 Abs. 2 SGB III in dem vom Kläger befürworteten Sinn dürfte ebenfalls bereits der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegenstehen (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.1989 – 12 RK 26/88 Rn. 16); eine solche ist aber auch unabhängig hiervon nicht geboten.

 

(1) Gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verstößt § 136 Abs. 2 SGB III nicht. Zwar sind eine Anwartschaft und ein Anspruch auf Alg im Sinne eines Stammrechts grundsätzlich durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 12.02.1986 – 1 BvL 39/83 Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 21.07.2009 – B 7 AL 23/08 R Rn. 23 m.w.F.). Die eigentumsrechtlich geschützte Aussicht, einen Anspruch auf Alg erwerben zu können, unterliegt im Rahmen der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch den in §§ 136 ff. SGB III formulierten Voraussetzungen (vgl. BSG, Urteil vom 13.03.2018 – B 11 AL 23/16 R Rn. 18, sowie Urteil vom 21.06.2018 – B 11 AL 8/17 R Rn. 26). Der Kläger hat seinen Alg-Anspruch daher von vornherein (nur) nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 SGB III erworben.

 

(2) Den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt die Regelung in § 136 Abs. 2 SGB III ebenfalls nicht.

 

(a) Ein Verstoß gegen dieses Grundrecht liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Ob und in welchem Ausmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen erlaubt, hängt dabei wesentlich von der Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs ab (BVerfG, Beschluss vom 08.03.1983 – 1 BvL 21/80 Rn. 23 m.w.F.). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers ist, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft (BVerfGE 53, 313, 329). Willkürlich handelt der Gesetzgeber somit nicht bereits dann, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählt, es sei denn, es würde ein sachlicher Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlen (BSG, Urteil vom 13.10.1992 – 4 RA 19/91 Rn. 27 m.w.F.). Da Art. 3 Abs. 1 GG in erster Linie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Personen verhinderten soll, setzt der Gleichheitssatz dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann; außerhalb dieses Bereichs lässt er dem Gesetzgeber hingegen weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 18.02.1998 – 1 BvR 1318/86 Rn. 82 ff., und BSG, Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 25/99 R Rn. 20).

 

(b) Grundrechtlich geschützte Freiheiten (Art. 2 Abs. 1 GG) sind vorliegend lediglich insoweit betroffen, als der Kläger – zusätzlich oder an Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung – der Ärzteversorgung als Pflichtversicherung unterworfen wird. Diese (durch das BVerfG, Beschluss vom 25.09.1990 – 1 BvR 907/87 Rn. 6 ff. m.w.F., verfassungsrechtlich ohnehin bereits geklärte) Frage ist indes nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Denn der Kläger möchte nicht von der Ärzteversorgung befreit werden, sondern innerhalb der Ärzteversorgung dieselben Vorteile beim Übergang vom Alg-Bezug in die Altersrente genießen, die bei einem Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen.

 

(c) Mit Rücksicht auf den somit weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers besteht eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung des Klägers im Vergleich zu Beziehern von Alg, die gesetzlich rentenversichert sind, nicht. Trotz der Leistungslücke zwischen dem Ende seines Alg-Bezugs aus Altersgründen und dem Beginn seiner Altersversorgung durch das Versorgungswerk hatte der Kläger Anspruch auf Alg bis zum gleichen Lebensalter wie ein gesetzlich Versicherter; das Nichtausschöpfen des vollen Anspruchs beruhte insofern auf dem entsprechend späten Zeitpunkt des Eintritts seiner Arbeitslosigkeit. Für die fehlende Nahtlosigkeit zwischen Alg und Altersversorgung existiert im Übrigen ein sachlicher Grund.

 

(aa) Zum einen kann sich der Betroffene den (grundsätzlich) nahtlosen Übergang vom Alg-Bezug in die Regelaltersrente nach dem SGB VI sichern, wenn er von seinem Recht zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung keinen Gebrauch macht (vgl. zu dieser Argumentation BSG, Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 25/99 R Rn. 22). Der Kläger hat sich jedoch im Wege der Befreiung von der Versicherungspflicht, also durch eigenen Willensentschluss von der gesetzlichen Rentenversicherung distanziert.

 

(bb) Zum anderen lässt sich eine generelle Benachteiligung der wegen berufsständischer Versorgung von der Rentenversicherungspflicht Befreiten allein mit dem Entfallen des Alg-Anspruchs bei Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem SGB VI nicht begründen. Denn die Entscheidung für oder gegen die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellt sich als komplexe Weichenstellung dar, die sich je nach dem konkreten Versichertenschicksal als günstig oder ungünstig auswirken kann. Eine Gesamtabwägung aller Vor- und Nachteile des nur berufsständisch Versicherten gegenüber dem nur gesetzlich Rentenversicherten oder gegenüber einer Person, die sowohl dem gesetzlichen als auch dem berufsständischen System angehört, ist im Rahmen des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebots jedoch nicht veranlasst, weil ihr Ergebnis von der subjektiven Gewichtung der einzelnen beitrags- oder leistungsrechtlichen Aspekte abhängt und somit den Vorwurf der generell-objektiven verfassungswidrigen Benachteiligung keinesfalls stützen könnte.

 

(aaa) So ist insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung – wie bereits ausgeführt – maßgebend durch den Gedanken des sozialen Ausgleichs geprägt, dessentwegen Leistungen zu erbringen sind, denen weder gleichwertige Beiträge noch entsprechende Bundeszuschüsse gegenüberstehen, und die daher die Ergiebigkeit für den einzelnen Versicherten mindern, was seinerseits verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.1998 – B 12 KR 35/95 R Rn. 12 ff. m.w.F.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29.12.1999 – 1 BvR 679/98). Vergleichbare Belastungen haben die Beitragszahler der berufsständischen Versorgungswerke hingegen nicht zu tragen, so dass die dortigen Versicherungsleistungen nicht nur wegen höherer Verdienste und darauf beruhender höherer Beiträge, sondern auch wegen des tendenziell besseren Ertragswerts der Beiträge günstiger ausfallen (zum Rentenniveau in der berufsständischen Versorgung und in der Rentenversicherung vgl. Alterssicherung in Deutschland 1995, hg. vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, München 1998, S. 47 bzw. S. 60; vgl. auch Gebhardt/Thiede, DAngVers 1995, 384). Dass dies möglicherweise nicht auf alle berufsständischen Versorgungseinrichtungen gleichermaßen zutrifft, ist unerheblich. Es genügt zu zeigen, dass trotz der vom Gesetz in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Befreiung von der Versicherungspflicht vorausgesetzten Gleichwertigkeit der Sicherungssysteme in ihren Grundzügen erhebliche Unterschiede bestehen, die den Gesetzgeber berechtigen, Einzelheiten des Beitrags- oder Leistungsrechts für die gesetzlich Rentenversicherten anders zu regeln als für die berufsständisch Versicherten, und es den Betroffenen zu überlassen, sich in Kenntnis der Vor- und Nachteile für die Befreiung oder gegen sie zu entscheiden (vgl. BSG, a.a.O. Rn. 24).

 

(bbb) Die grundsätzlich verschiedene Rechtsposition eines von der gesetzlichen Rentenversicherung befreiten Angehörigen eines verkammerten Berufs gegenüber einer Person, die in der durch das Prinzip des Solidarausgleichs geprägten gesetzlichen Rentenversicherung versichert ist, hat das Bundessozialgericht auch in seinem Urteil vom 13.06.1989 – 2 RU 50/88 (Rn. 22) betont, und die mangelnde Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers, während des Bezugs von Übergangsgeld Beiträge an berufsständische Versorgungseinrichtungen zu tragen, mit Art. 3 Abs. 1 GG für vereinbar gehalten.

 

(cc) Im Übrigen durfte der Gesetzgeber auch typisierend davon ausgehen, dass Arbeitnehmer überwiegend mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Berufsleben ausscheiden. Soweit dies in Einzelfällen nicht geschieht, ist es nicht zu beanstanden, dass er solche als Randerscheinungen bei der Regelung des Gesamtkomplexes vernachlässigt hat (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.1977 – 7 RAr 47/75 Rn. 24 zu der Vorgängerregelung des § 100 Abs. 2 AFG). Erst recht gilt dies für Personen, die sich (wie der Kläger) von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht haben befreien lassen und daher – anders als typischerweise sonstige abhängige Beschäftigte – nicht (mehr) dem Leistungssystem des SGB VI unterfallen. Ohnehin ist Hauptzweck des im SGB III verankerten Systems zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit nicht die Gewährung der Versicherungsleistung, sondern vorrangig die Vermittlung in Arbeit (vgl. § 1 Abs. 1 SGB III). Dieser Schutzzweck blieb dem Kläger auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze i.S.d. SGB VI erhalten (BSG, a.a.O, Rn. 24).

 

(3) Das Entfallen des Alg-Anspruchs mit Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem SGB VI ist schließlich auch mit Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar.

 

(a) Durch das Sozialstaatsprinzip wird der Gesetzgeber ermächtigt, unter Beachtung des Gleichheitssatzes sozialpolitische Entscheidungen zu treffen. Seine Entscheidungsfreiheit ist lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muss (BSG, Urteil vom 27.01.1977, a.a.O., Rn. 27 m.w.F.). Die Regelung des § 136 Abs. 2 SGB III entspricht diesen Anforderungen.

 

(b) Aus dem Nachrang der Sozialhilfe folgt nicht, dass dem erwerbslos gewordenen Arbeitnehmer nach Erreichen der Regelaltersgrenze des SGB VI entweder Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder aber Leistungen der Rentenversicherung – bzw. hier aus dem Versorgungswerk – zu gewähren sind. Selbst wenn aus dem Sozialstaatsprinzip ein subjektives Recht in dem Sinne bestünde, dass der Schutz aller Staatsbürger gegen die Wechselfälle des Lebens unmittelbare Aufgaben des Staates ist, könnte sich dieses Recht allenfalls auf allgemeine staatliche Fürsorge richten. Dabei wäre jedenfalls der so verstandenen Verfassungsnorm mit der Sicherung der Existenz gegebenenfalls durch Sozialhilfe Genüge getan, die auch der Kläger bei wirtschaftlicher Hilfebedürftigkeit in den hier streitgegenständlichen Monaten hätte beanspruchen können. Wenn es auch der Grundgedanke des § 136 Abs. 2 SGB III gewesen ist, einen Doppelbezug von Alg und Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu vermeiden, so ist daraus jedenfalls nicht der Schluss zu ziehen, dass eine fehlende soziale Alterssicherung zur Vermeidung einer Verletzung des Sozialstaatsprinzips funktionell durch Leistungen der Arbeitslosenversicherung ersetzt werden müsste (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 27.01.1977, a.a.O., Rn. 28 zu der Vorgängerregelung des § 100 Abs. 2 AFG).

 

C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

D) Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 SGG) zu.

Rechtskraft
Aus
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