Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.08.2024 wird zurückgewiesen.
Die Klage gegen den Bescheid vom 20.08.2024 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Verletztenrente der Klägerin nach einem höheren Jahresarbeitsverdienst (JAV) zu berechnen ist.
Die 1999 geborene Klägerin erlitt am 28.06.2005 als Kindergartenkind einen bei der Beklagten versicherten Wegeunfall mit Schädelhirnverletzung mit Bruch der Schädelbasis und der Schädelkalotte, Bruch der knöchernen Augenhöhle links, Milchzahnverlust im linken Oberkiefer, Zahnfleischverletzung linker Oberkiefer, Einriss der Nasenschleimhaut links, Teilverlust der linken Ohrmuschel, Quetschung des Brustkorbes, Verlust des rechten Oberschenkels im mittleren Drittel, Bruch des Fersenbeines links mit Hautabscherung an der linken Ferse.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 19.04.2006 eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 und legte der Rentenzahlung den damals geltenden Mindest-Jahresarbeitsverdienst (JAV) von € 7.245 zugrunde. Die Rente betrug 536,67 € monatlich.
Die Klägerin besuchte nach dem Unfall zunächst die Grundschule in U1 und anschließend die E1schule in K1, das T1Gymnasium in S1 und die S2 Schule in N1, welche sie mit der Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife am 10.07.2018 beendete. Zunächst studierte die Klägerin ab dem Wintersemester 2018/2019 Sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule H1. Sie wurde dann im Dezember 2018 krankheitsbedingt beurlaubt. Von Oktober 2019 bis Juni 2024 absolvierte sie den Studiengang Soziale Arbeit an der F1 Hochschule, welchen sie mit dem Bachelor of Arts (B.A.) erfolgreich abschloss. Seit dem Wintersemester 2024/2025 studiert sie in K2 den Masterstudiengang Sozialrecht und Sozialwirtschaft.
Mit Email vom 26.03.2014 übersandte der Sachbearbeiter B1 den Eltern der Klägerin auf deren Bitte anlässlich eines vorangegangenen Beratungsgesprächs vom 10.03.2014 folgende Informationen zur Berechnung des JAV:
Berechnungsgrundlage für die Verletztenrente bilde die MdE (zur Zeit 100 v.H.) und der Jahresarbeitsverdienst (JAV). Eine MdE von 100 v.H. sei der Vollrente gleichzusetzen und betrage gem. § 56 Abs. 3 SGB VII 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes. Der Jahresarbeitsverdienst betrage bei der Klägerin gem. § 86 Nr. 1 SGB VII 25 v.H. der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles maßgebenden Bezugsgröße (zum Unfallzeitpunkt 7.245,00 €). Mit Vollendung des 6. Lebensjahres sei dieser Jahresarbeitsverdienst auf 33 1/3 v.H. der maßgebenden Bezugsgröße entsprechend § 90 Abs. 5 SGB VII i.V.m. § 86 Abs. 2 SGB VII angepasst worden (9.660 €). Dieser Jahresarbeitsverdienst sei - ungeachtet der ohnehin nach § 95 SGB VII durchzuführenden Anpassungen (in Anlehnung an die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung) - mit der Vollendung des 15. auf 40 v.H. der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles maßgebenden Bezugsgröße und mit Vollendung des 18. Lebensjahres auf 60 v.H. neu festzusetzen (siehe hierzu § 90 Abs. 5 i.V.m. § 85 Abs. 1 SGB VII). Die maßgebliche Bezugsgröße zum Unfallzeitpunkt habe 28.980 € betragen. In der Folge betrage der JAV mit Vollendung des 15. Lebensjahres somit 11.592 € und mit Vollendung des 18. Lebensjahres 17.388 € (unberücksichtigt blieben hierbei die Anpassungen nach § 95 SGB VII). Bei gleichbleibender MdE würden demnach die Zahlbeträge monatlich 644 € und 966 € betragen. § 90 SGB VII regele die Neufestsetzung des Jahresarbeitsverdienstes (der der Rente zugrunde liegt) nach voraussichtlicher Schul- und Berufsausbildung oder Altersstufen. Entsprechend Abs. 1 werde der JAV von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre. Der Neufestsetzung werde das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen sei; bestehe keine tarifliche Regelung, sei das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort der Versicherten gilt. Nur wenn - unfallbedingt - keine Möglichkeit bestehe, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder sich auch unter Berücksichtigung der weiteren Schul- oder Berufsausbildung nicht feststellen lasse, welches Ausbildungsziel die Versicherte ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätte, werde der JAV mit Vollendung des 21. und 25. Lebensjahres auf 75 und 100 v.H. der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt (siehe § 90 Abs. 4 und 5 SGB VII).
Der Vater der Klägerin (nachfolgend Klägerbevollmächtigter) bat mit Email vom 27.03.2014 um Übersendung einer fiktiven Beispielberechnung des JAV und Rentenhöhe „bzgl. Studium/Rechtswissenschaften inkl. Abschluss (erste und zweite juristische Prüfung/Abschlussnote Prädikatsexamen / 9 Punkte = vollbefriedigend)“.
Der Sachbearbeiter B1 teilte mit Email vom 28.03.2014 mit, dass eine fiktive Beispielberechnung der Beklagten bedauerlicherweise ohne erheblichen Ermittlungsaufwand nicht möglich sei. Zum einen müsse eruiert werden, welcher Weg eingeschlagen werde (mit diesem Abschluss kämen unendliche Möglichkeiten in Betracht: von der angestellten Juristin bei einer Firma über selbständige Rechtsanwältin, Staatsanwältin, Angestellte im Verwaltungsdienst oder Beamtin - um nur einige zu nennen), zum anderen müssten dann entsprechende Tarifverträge angefordert, die in diesem Bereich eher selten und die Ausnahme seien, oder ein ortsüblicher Lohn/Gehalt ermittelt werden. Wie die Rentenleistung anhand des Jahresbruttoverdienstes errechnet werde, habe er in seiner ersten Email ordentlich veranschaulicht. Eindeutig bleibe festzustellen, dass je besser der Abschluss und je höher die Qualifikation, desto höher der JAV und somit auch der monatliche Rentenbetrag sei.
Der Klägerbevollmächtigte teilte daraufhin per Email am 28.03.2014 mit, dass auch diese Antwort nicht weiterhelfe, da die Klägerin nach dem zweiten juristischen Staatsexamen, höchstwahrscheinlich eine längere Businesssprachreise (3 bis 4 Jahre Auslandsaufenthalt) antreten werde. Aus diesem Grund werde eine verbindliche Rechtsberatung und -auskunft benötigt. Welchen Anspruch auf Unfall-Rente erwerbe die Klägerin mit einem juristischen Prädikatsexamen/vollbefriedigend? Die Klägerin strebe die Mitarbeit bei den Vereinten Nationen (Hauptorgan/Bereich Menschenrechte) an. Er bitte um eine adäquate Beratung und rechtsverbindliche Auskunft gemäß den §§ 14,15 SGB I.
Mit Email vom 01.04.2014 erklärte der Sachbearbeiter B1, dass es der Beklagten bedauerlicherweise nicht möglich sei, die Anfrage in der vom Klägerbevollmächtigten gewünschten Art und Weise zu beantworten. Auch sei eine derartige fiktive Annahme und Berechnung sicherlich nicht Gegenstand und Zweck der §§ 14 und 15 SGB I. Die Beklagte sei durch die bereits gelieferten Erläuterungen und Beispiele ihrer Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflicht vollumfänglich nachgekommen. Nachdem die Berechnungsgrundlagen aufgrund der vorausgegangenen Erläuterungen hinreichend bekannt sein dürften, stehe es dem Klägerbevollmächtigten selbstverständlich frei, bei den Vereinten Nationen das Jahresbruttogehalt einer juristischen Mitarbeiterin im Hauptorgan / Bereich Menschenrechte zu erfragen.
Mit Bescheid vom 13.10.2014 setzte die Beklagte den JAV mit Vollendung des 15. Lebensjahres der Klägerin mit 40% der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße fest. Die monatliche Rentenzahlung betrug 737,33 €.
Mit Bescheid vom 13.09.2017 setzte die Beklagte den JAV wegen der Vollendung des 18. Lebensjahres ab dem 01.10.2017 mit 60% der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu fest. Der Monatsbetrag betrug 1.190,00 Euro.
Mit E-Mail vom 15.11.2017 wandte sich der Klägerbevollmächtigte an die Beklagte und beantragte, die Rente der Klägerin nach billigem Ermessen neu festzusetzen. Ihr Ausbildungs-/Berufsziel stehe fest. Sie wolle Juristin/Rechtsanwältin oder Richterin werden, da sie bereits die Fachhochschulreife erfolgreich mit Abschluss der Klasse 11/Gymnasium absolviert habe und 2018 auch höchstwahrscheinlich das Abitur erfolgreich abschließen werde. Eine Verletztenrente nach § 90 Abs. 4 SGB VII sei nicht mehr angemessen, da sich die Zukunft anhand der bisherigen Leistung abschätzen lasse. Nach § 91 SGB VII seien Neufestsetzungen des JAV nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung oder Altersstufen die Vorschriften über den Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst und über den JAV nach billigem Ermessen entsprechend anzuwenden.
Mit Schreiben vom 23.11.2017 erklärte die Beklagte, die Anpassung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 SGB VII erfolge von Amts wegen nach tatsächlicher Beendigung der Berufsausbildung. Für die Prüfung von § 90 SGB VII würden daher zum gegebenen Zeitpunkt die entsprechenden Unterlagen wie Schulzeugnisse, Studienbescheinigungen- und Abschlüsse, sowie ein Lebenslauf in dem ggf. die unfallbedingten Verzögerungen unter Angabe von Gründen enthalten seien, benötigt. Der von dem Klägerbevollmächtigten angemerkte Absatz 4 beziehe sich auf Ausnahmefälle, in denen der Versicherte nach Eintritt des Versicherungsfalls und vor Beginn einer Berufsausbildung nicht mehr in der Lage sei, seinen Ausbildungswillen zu äußern. In diesen Fällen werde angenommen, welches Ausbildungsziel die Versicherten ohne den Versicherungsfall voraussichtlich erreicht hätten. Dies sei bei der Klägerin jedoch nicht der Fall, da diese in der Lage sei, ihren Ausbildungswillen trotz der Unfallfolgen zu äußern. Eine Prüfung nach § 91 SGB VII erfolge gleichzeitig im Zuge der Prüfung nach § 90 SGB VII. Bei der Neufeststellung des JAV seien die Vorschriften über den Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst und über den JAV nach billigem Ermessen entsprechend anzuwenden.
Der Klägerbevollmächtigte wandte sich am 27.11.2023 erneut per E-Mail an die Beklagte und wies u.a. darauf hin, dass er bereits im November 2017 um eine Neufestsetzung der Verletztenrente gebeten habe. Nach dem damals geltenden Recht hätte die Beklagte nach billigem Ermessen eine Neueinstufung der Rente vornehmen müssen. Dies sei nicht erfolgt. Die seitens der Beklagten nachweislich versäumte Neueinstufung der Rente nach billigem Ermessen gemäß Antrag vom 15.11.2017, sowie bisher alle monatlich gezahlten Rentenzahlungen nach dem 15.11.2017, stelle er daher unter Abänderung auf den alten Rechtsstand aus dem Jahr 06/2005 und dem 11/2017 in vollem Umfang zur Überprüfung.
Mit Bescheid vom 05.12.2023 lehnte es die Beklagte ab, den JAV neu festzusetzen. Die Anpassung erfolge in Altersstufen von Amts wegen. Die Klägerin erreiche das maßgebliche 25. Lebensjahr am 03.09.2024. Zu diesem Zeitpunkt werde der JAV mit 75 % der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Bezugsgröße neu festgesetzt. Mit Vollendung des 30. Lebensjahres (hier: 03.09.2029) erfolge dann eine weitere Neufestsetzung mit 120 % der maßgeblichen Bezugsgröße. Vor diesen Zeitpunkten sei eine Neufestsetzung nicht möglich.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 11.12.2023 Widerspruch. Er verwies darauf, dass die Vorschriften zur Neufeststellung des JAV in der alten Fassung anzuwenden seien. Unstreitig liege eine unfallbedingte Ausbildungsverzögerung vor.
Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 14.02.2024 zurück. Gemäß §§ 90, 91 SGB VII der neuen Fassung erfolge die Anpassung des JAV nach Erreichen von Altersstufen von Amts wegen. Die Neuregelung sei zum 01.01.2021 in Kraft getreten und gelte nach § 214 Abs. 2 SGB VII auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten seien, wenn der JAV nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt werde. Nach der bisherigen Rechtsprechung komme es hierbei nicht auf die tatsächliche Neufeststellung an, sondern darauf, wann diese habe erfolgen können. Nach § 90 Abs. 1 SGB VII a.F. sei der JAV von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre oder bei einem regelmäßigen Verlauf der Ausbildung tatsächlich beendet worden sei. Nach nochmaliger Prüfung habe eine Neufeststellung gemäß den §§ 90, 91 SGB VII der neuen Fassung zu erfolgen und damit erst mit Erreichen des 25. Lebensjahres. Vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung habe eine Neufeststellung nicht erfolgen können, auch wenn Gesichtspunkte für eine unfallbedingte Verzögerung vorlägen. Denn erst mit Erreichen des faktischen Endes des Studiums könne die unfallbedingte Verzögerung tatsächlich festgestellt werden. Auch nach altem Recht habe das tatsächliche Ende des Studiums abgewartet werden müssen, um rechtssicher das Arbeitsentgelt im Rahmen des erlangten Abschlusses feststellen zu können. Da eine Neufeststellung vor dem 01.01.2021 aufgrund des noch andauernden Studiums nicht habe erfolgen können und die neu In Kraft getretenen Vorschriften auch für Versicherungsfälle gölten, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten seien, könne eine Neufeststellung des JAV nach altem Recht nicht erfolgen.
Dagegen hat der Klägerbevollmächtigte am 11.03.2024 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Einer fehlerhaften Einstufung und Annahme (bspw. Gesetzesanwendung ab 01.01.2021) stehe das Prinzip der Rechtssicherheit, das Gebot der Rechtsklarheit, das Gebot der Normenklarheit und des Bestimmtheitsgrundsatzes sowie das Prinzip des Vertrauensschutzes entgegen. Unfallbedingte mehrjährige Ausbildungsverzögerungen seien durch die Beklagte absichtlich missachtet und somit unberücksichtigt gelassen worden. Die unstreitig nachweislichen Ausbildungsverzögerungen seien aber für die Neueinstufung des JAV nach a.F. von erheblicher Auswirkung und Reichweite. Die Rechtsverletzung und ihre Erheblichkeit begründe auch den Tatbestand der Rechtsbeugung durch die Beklagte zum Nachteil der Klägerin. Aufgrund der vorliegenden Widerspruchsbescheide vom 14.02.2024 und der damit verbundenen Rechtsverletzungen durch die Beklagte werde die Klägerin wiederholt und erneut gezwungen, ihr angestrebtes Erstausbildungs- und Berufsziel (hier Master of Law und anschließendes Jura-Studium) abzubrechen. Nach billigem Ermessen bzw. nach willkürlicher Auffassung der Beklagten solle sich die schwerstbehinderte Klägerin zu Unzeit (noch vor Abschluss ihres graduierten Hochschulabschlusses) einen leidensgerechten Job suchen, damit sie wirtschaftlich nicht auf die Mindestrente der Beklagten sowie auf Sozialhilfe angewiesen sei. Die „Erst-/Hochschulausbildung" der Klägerin ende nachweislich nicht mit dem Bachelor (undergarduate), sondern nur mit dem Master of Laws (graduate). Die Klägerin strebe nachweislich die Befähigung zum Richteramt an und sei somit an die Ausbildungsvoraussetzungen der Bundesverwaltung gebunden. Ein Bachelorabschluss (undergraduate) entspreche keiner abgeschlossenen Hochschulausbildung wie dem Master of Law (graduate). Ohne das Unfallereignis am 28.06.2005 hätte die Klägerin voraussichtlich und bei einem regelmäßigen Verlauf ihren ersten Hochschulabschluss (Bachelor B.A oder LL.B) im September 2020 abgeschlossen (Regelstudienzeit 36 Monate). Ihren zweiten konsekutiven Hochschulabschluss (Master LL.M) hätte sie somit graduiert (erfolgreiche beendete Hochschulausbildung gemäß § 7 TV EntgO Bund) voraussichtlich und bei einem regelmäßigen weiteren (konsekutiven) Verlauf im September 2022 abgeschlossen. Durch den Unfall habe sich ihre Ausbildung erheblich verzögert. 2024 habe sie ihren Bachelorabschluss (Soziale Arbeit) gemacht, 2026 werde sie voraussichtlich den Masterabschluss (Gesundheits- und Sozialrecht) machen. Zu keinem Zeitpunkt habe sich die Klägerin gegenüber der Beklagten dahingehend geäußert, dass sie nur einen Hochschulabschluss für den mittleren bzw. gehobenen Dienst anstrebe. Auch gegenüber dem SG nicht. Weder sei der Bachelor-Abschluss dem graduierten Juristentitel (Diplom-Jurist oder LL.M.) noch einer Befähigung zum Richteramt (erstes und zweites Staatsexamen) im Sinne des § 7 TV EntgO Bund gleichgestellt, noch sei er gleichartig. Die Befähigung zum Richteramt setze ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität oder Hochschule und einen anschließenden Vorbereitungsdienst voraus. Die Zulassung zum ersten Juristischen Staatsexamen sei mit einem Masterabschluss LL.M. sowie weiteren juristischen Qualifikations- und Praktikumsnachweisen möglich. Die Klägerin strebe nach wie vor die Befähigung zum Richteramt über den Master of Law sowie das erste und zweite Staatsexamen und einen anschließenden Vorbereitungsdienst an.
Die Beklagte hat zur Klageerwiderung vorgetragen, dass selbst nach altem Recht das tatsächliche Ende des Studiums habe abgewartet werden müssen, um rechtssicher das Arbeitsentgelt im Rahmen des erlangten Abschlusses feststellen zu können.
Die mündliche Verhandlung am 28.05.2024 wurde vertragt und die Beklagte schriftlich um Stellungnahme gebeten, ob der JAV unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin zwischenzeitlich einen Bachelorstudiengang abgeschlossen habe, neu berechnet werden könne.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 06.06.2024 erklärt, dass auch nach altem Recht das tatsächliche Ende des Studiums hätte abgewartet werden müssen, um rechtssicher das Arbeitsentgelt im Rahmen des erlangten Abschlusses feststellen zu können. Bei dem Bachelorstudium handele es sich nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht um das Ende des angestrebten Studiums.
Der Klägerbevollmächtigte hat hierzu mit Schreiben vom 15.06.2024 sowie vom 31.07.2024 Stellung genommen. Er hat auf das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot und auf Vertrauensschutz sowie auf das Prinzip der Rechtssicherheit hingewiesen. Die Klägerin habe als Unfallopfer berechtigterweise darauf vertraut, dass die zum Unfallzeitpunkt geltenden Regelungen weiterhin Anwendung finden. Das BSG habe entschieden, dass Sozialleistungsempfänger darauf vertrauen dürften, dass die für sie geltenden Regelungen nicht rückwirkend zu ihrem Nachteil geändert werden. Der JAV hätte zudem nach § 90 Abs. 1 SGB VII a.F. festgesetzt werden müssen, und nicht - wie von der Beklagten vorgenommen - nach § 90 Abs. 5 SGB VII a.F., da diese Regelung speziell für Versicherungsfälle während der Schul- oder Berufsausbildung gilt. Die Anwendung der falschen Regelung und die nachträgliche Änderung der gesetzlichen Grundlagen zu Lasten der Klägerin verstoße gegen die Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. In einer E-Mail vom 28.03.2014 (hier Unfallakte Seite 4508) habe der Rehabilitationsberater der Beklagten erklärt, je besser der Abschluss und je höher die Qualifikation, desto höher sei auch der JAV und damit einhergehend die Verletztenrente. Hierauf habe man vertrauen dürfen. Die Klägerin hätte den Bachelorabschluss ohne das Unfallereignis bereits im Jahr 2020 beendet gehabt und das Masterstudium im Jahr 2022 (mit Unfall 2024 und 2026).
Das von dem Klägerbevollmächtigten am 28.05.2024 erhobene Eilverfahren war unter dem Aktenzeichen S 11 U 1360/24 ER anhängig und wurde mit Beschluss vom 03.06.2024 abgelehnt. Die hiergegen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Beschwerde (L 6 U 1862/24 ER-B) wurde mit Beschluss vom 22.07.2024 zurückgewiesen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 05.08.2024 abgewiesen. Es sei keine Änderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen seit Erlass des Bescheides vom 13.09.2017 eingetreten. Der JAV sei seitdem nicht neu festzusetzen. Bis 31.12.2020 sei bei der Neuberechnung des JAV nach § 90 SGB VII i.d.R. das individuelle tarifliche Entgelt zugrunde zu legen, das für die berufliche Tätigkeit der Berechtigten nach dem tatsächlichen oder fiktiven Abschluss ihrer Ausbildung sowie bis zum 30. Lebensjahr zusätzlich bei Erreichen weiterer Berufs- oder Lebensjahre vorgesehen gewesen sei. Eine pauschale stufenweise Anhebung auf einen Vomhundertsatz der Bezugsgröße habe lediglich dann angestanden, wenn im Einzelfall keinerlei Anhaltspunkte für einen konkreten Ausbildungsverlauf vorgelegen hätten. Nunmehr sei für die Neuberechnung unabhängig von den individuellen Verdienstverhältnissen ausschließlich ein bestimmter Prozentsatz der Bezugsgröße maßgebend, sofern sich dadurch ein günstigerer JAV als der zuvor festgesetzte ergebe. Das Übergangsrecht nach § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sei auch für die Frage heranzuziehen, für welche Versicherungsfälle die in § 90 Abs. 1 und 2 SGB VII enthaltenen Begünstigungen gelten. Zwar fehle im Übergangsrecht eine ausdrückliche Regelung zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus der Zeit vom 01.01.1997 bis 31.12.2020, jedoch habe der Gesetzgeber mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (7. SGBIVÄndG) vom 12.06.2020 (BGBl. I S. 1248) § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII an die Änderungen der §§ 90 und 91 SGB VII angepasst und damit hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das neue JAV-Recht auch für zuvor eingetretene Versicherungsfälle gelten solle. Die Voraussetzungen des § 214 Abs. 2 SGB VII lägen hier vor: Der Versicherungsfall sei vor dem 01.01.2021 eingetreten und der JAV werde erst nach dem 31.12.2020 neu festgesetzt. Nach § 90 Abs. 2 i.V.m. § 85 Abs. 1a Nr. 4 SGB VII in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung werde der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung des 25. Lebensjahres entsprechend dem Prozentsatz der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Die Klägerin habe das 25. Lebensjahr auch erst nach dem 31.12.2020 beendet. Für den vorliegenden Sachverhalt seien somit die §§ 90 ff. SGB VII in der seit dem 1.1.2021 geltenden Fassung anwendbar. Nachdem die Klägerin bisher weder das 30. noch das 25. Lebensjahr vollendet habe, sei der JAV nicht gem. § 90 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 85 SGB VII zu erhöhen. Ein Tatbestand des § 91 SGB VII n.F. sei nicht einschlägig.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden vorliegend nicht. Insbesondere bestehe hier kein Verstoß gegen das von dem Klägerbevollmächtigten angeführte Rückwirkungsverbot. Durch die Neuregelung der §§ 90 ff. SGB VII werde auch nicht in eine erworbene Rechtsposition der Klägerin eingegriffen. Denn selbst bei Anwendung des alten Rechts bestünde vorliegend kein Anspruch auf Neufeststellung des JAV seit November 2017. Eine Neufestsetzung des JVA nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung komme vorliegend nicht in Betracht, da eine Neufestsetzung demnach erst von dem Zeitpunkt an erfolge, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden wäre oder bei einem regelmäßigen Verlauf der Ausbildung tatsächlich beendet worden sei. Die Ausbildung sei erst dann beendet, wenn der Versicherte das endgültige Ausbildungsziel erreicht habe. Habe der Versicherte das endgültige Ausbildungsziel noch nicht erreicht, könne eine Neufestsetzung des JAV nicht erfolgen, da weder klar sei, wie lange er für den angestrebten Abschluss des Ausbildungsziels tatsächlich benötigen werde, noch, ob es hierbei ggf. zu unfallbedingten Verzögerungen gekommen sei. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sei ihre Ausbildung mit Abschluss des Bachelor noch nicht beendet, sondern es solle noch ein Masterstudium und ein Jurastudium angeschlossen werden. Die Berufsausbildung ende damit mit dem Abschluss der zweiten juristischen Staatsprüfung und nicht bereits mit Abschluss des Bachelorstudiums. Die hilfsweise gestellten Anträge seien abzulehnen. Gemäß § 103 SGG erforsche das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen und sei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Der Sachverständigenbeweis werde wie der Zeugenbeweis durch die Benennung des Sachverständigen bzw. Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung stattfinden soll, angetreten. Mangels dessen erfülle der Antrag bereits nicht die Voraussetzung für einen wirksamen Beweisantrag; insbesondere erfüllt das Beweisthema nicht die prozessualen Voraussetzungen des § 118 SGG i.V.m. §§ 402, 373 Zivilprozessordnung (ZPO). Im Übrigen seien Beweisausforschungsanträge abzulehnen.
Der Klägerbevollmächtigte hat gegen das ihm am 09.08.2024 zugestellte Urteil am 07.09.2024 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat zur Berufungsbegründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte habe die Klägerin von Anfang an falsch und somit rechtswidrig nach § 90 Abs. 5 SGB XII a.F. ab 28.06.2005 eingestuft. Unter Berücksichtigung des § 73 des Schulgesetzes Baden-Württemberg, „Beginn der Schulpflicht in Verbindung mit der VwV Kooperation Kindertageseinrichtungen Grundschulen", hätte die Beklagte die Klägerin von Anfang an nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII a.F. ab 28.06.2005 korrekt einstufen müssen. Die Anfechtungsklage der Klägerin richte sich gegen die Aufhebung des Bescheides vom 05.12.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2024. Alle Verletztenrentenbescheide, einschließlich des Bescheids vom 13.09.2017 sowie die Neuberechnung der Verletztenrente nach einem höheren JAV seit dem 13.09.2017 seien schwerwiegend fehlerhaft und somit rechtswidrig, § 40 Abs. 1 und 2 SGB X, weil nicht § 90 Abs. 5 SGB VII alte Fassung ab dem 28.05.2005, sondern § 90 Abs. 1 SGB VII alte Fassung ab dem 28.05.2005 zu Gunsten der Klägerin anzuwenden sei. Eine Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen seit Erlass des Bescheids vom 13.09.2017 habe, entgegen der rechtsirrigen Untersuchung und Feststellung des SSG gemäß § 103 SGG, ebenfalls vorgelegen. Die Erlangung einer Fachhochschulreife oder eines Abiturs, stelle unstreitig eine rechtliche oder tatsächliche Änderung der Verhältnisse dar. Es komme also maßgeblich auf das materielle Recht sowie die Sach- und Rechtslage, zum Zeitpunkt des Erlasses eines falschen und somit rechtswidrigen Verwaltungsaktes bzw. Bescheides an. Die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, müssten daher auf den Zeitpunkt des Bescheides vom 13.09.2017 rückwirkend neu beurteilt werden, §§ 40 Abs. 1 und 2, 44 Abs. 1 SGB VII. Die alte Fassung der §§ 90, 91 und 214 SGB VII vor dem 01.01.2021 habe eine flexiblere und gerechtere Berechnung der Rentenansprüche vorgesehen, die den individuellen Umständen der Klägerin besser Rechnung getragen habe. Die neuen Regelungen ab dem 01.01.2021 führten zu einer erheblichen Schlechterstellung der Klägerin. Das vom SG angeführte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.09.2023 (L 10 U 2719/20 –, juris) zum Fall eines im Jahre 1971 geborenen Klägers, für den § 90 Abs. 2 SGB VII in der ab 01.01.1997 geltenden Fassung anwendbar war, könne auf den Fall der Klägerin keine Anwendung finden.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht nur hinsichtlich des Rückwirkungsverbotes, sondern auch hinsichtlich des Vertrauensprinzips und der Rechtssicherheit. Mit der E-Mail und rechtsverbindlichen Auskunft vom 28.03.2014 habe der B1 unmissverständlich und eindeutig gegenüber der Klägerin und ihren Eltern klargestellt, dass eine Neufestsetzung des JAV nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung, hier im Fall der Klägerin, zum Tragen komme (Rechtssicherheits- und Vertrauensprinzip). Dieser habe nicht geschrieben, dass die Klägerin erst das 30. Lebensjahr erreichen muss, um einen adäquaten Rentenbetrag aus dem Mindest- und Höchstjahresverdienst erhalten zu können (hier nach Ausbildungs- und Qualifikationsfortschritt). Die Klägerin und ihre Eltern hätten also darauf vertrauen müssen und dürfen, dass die o.g. zitierte rechtsverbindliche „Auskunft" und „Eindeutigkeit' des B1, nicht zur „Zweideutigkeit" werde - je höher die Qualifikation, desto höher der JAV und somit auch der monatliche Rentenbetrag.
Die Bewilligungsbescheide der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente seien zwar gem. § 77 SGG bestandskräftig, aber gleichzeitig auch rechtswidrig und litten nachweislich an schwerwiegenden Fehlern, die bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich seien. Das SG habe nicht nur die genannten Zeugen im Rahmen einer Sach- und Rechtsaufklärung abgelehnt, sondern auch den von der Klägerin beantragten Sachverständigenbeweis. Ein Hinweis gegenüber der Klägerin im Sinne des § 106 SGG sei seitens der Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe nicht erfolgt. Ebenso habe die Vorsitzende der 11. Kammer auch nicht daran mitgewirkt, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben wurden. Stattdessen habe sie die Klägerin nur verwirrt, indem sie das materielle und formelle Recht zu den §§ 90 Abs. 1 Satz 1, 91 und 214 a.F. vor dem 01.01.2021 weder adäquat positionieren noch objektiv im Rahmen des materiellen Rechts erläutern wollte. Auch die hilfsweise von der Klägerin gestellten Anträge seien ohne Begründung durch die Vorsitzende abgelehnt worden. Wann eine Ausbildung begonnen und wann eine Ausbildung im Sinne des § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII a.F. vor dem 01.01.2021 geendet habe, habe die Vorsitzende der 11. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe in der mündlichen Verhandlung auch nicht erläutern wollen. In dem vorliegenden Urteil vorn 05.08.2024 habe die Vorsitzende der 11. Kammer jedoch ausgeführt, dass die Ausbildung der Klägerin mit der zweiten juristischen Staatsprüfung ende und nicht bereits mit dem Abschluss des Bachelorstudiums. Diese Ausführungen und Feststellungen der Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts seien nicht nur widersprüchlich, siehe hierzu auch Urteil im Parallelverfahren beim SG Karlsruhe, Az.: S 11 U 716/24 vom 02.08.2024, sondern auch falsch, denn die Feststellung sei mit dem geltenden materiellen Recht n.F. nicht zu begründen. Denn nach neuster Rechtsprechung gemäß Mindest-JAV (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ab 01.01.2021) stehe Versicherten, die das 30. Lebensjahr vollendet hätten, wenn der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten sei und eine Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben worden sei, eine Vollrente (2/3) in Höhe von 33.936,00 € (Stand 2024) zu. Egal welchen Berufs- und/oder Hochschulabschluss die Klägerin nach ihrem Abitur nun auch anstrebe, dieser hätte nach neuster Rechtsprechung keinerlei Auswirkung auf die Höhe ihrer laufenden Verletztenrente. Im Fall der Klägerin handele es sich um eine belastende (unechte) Rückwirkung in einen noch laufenden Lebenssachverhalt, bei dem das schutzwürdige Vertrauen überwiege.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 05.08.2024 aufzuheben und die Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.12.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2024 sowie des Bescheides vom 20.08.2024 zu verurteilen, der Klägerin eine Verletztenrente unter Zugrundelegung und Berechnung eines höheren Jahresarbeitsverdienstes nach § 90 Abs. 1 SGB VII a.F. nach billigem Ermessen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung ausgeführt, dass das Urteil des SG weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden sei. Die Beklagte vertrete auch weiterhin die Auffassung, dass eine Neufeststellung gemäß den §§ 90, 91 SGB VII n.F. und damit erst mit Erreichen des 25. Lebensjahres zu erfolgen habe. Dies werde durch die Ausführungen im Urteil des SG bestätigt. Insoweit hätte eine Neufeststellung vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung nicht erfolgen können, selbst wenn Gesichtspunkte für eine unfallbedingte Verzögerung vorlägen, da erst mit Erreichen des faktischen Endes des Studiums die unfallbedingte Verzögerung tatsächlich festgestellt werden könne. Ebenso spreche für eine Anwendung der neuen Fassung, dass nach der neuen Fassung auch Versicherungsfälle erfasst seien, die vor Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten seien und der JAV nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erstmals festgesetzt werde. Im Übrigen hätte nach altem Recht das tatsächliche Ende des Studiums abgewartet werden müssen, um rechtssicher das Arbeitsentgelt im Rahmen des erlangten Abschlusses feststellen zu können. Verfahrensvereinfachend nach der neuen Fassung hätten sich die Unfallversicherungsträger nunmehr lediglich bei der Neufestsetzung des JAV an der Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV zu orientieren. Die Bezugsgröße i.S.d. Vorschrift sei, soweit in den besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes bestimmt werde, das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorangegangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächst höheren, durch 420 teilbaren Betrag. Ferner unterscheide hierbei der Gesetzgeber vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht zwischen der Ausbildung an einer Hochschule oder Fachhochschule und der Berufsausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz hinsichtlich der Höhe des neu festzusetzenden JAV (75 %).
Mit Bescheid vom 20.08.2024 hat die Beklagte den JAV wegen Vollendung des 25. Lebensjahres auf einen Betrag von 31.815 € (75 % der maßgebenden Bezugsgröße von 42.420 €) neu festgestellt und die Verletztenrente ab dem 01.10.2024 auf monatlich 1.767,50 € erhöht.
Der Klägerbevollmächtigte hat hiergegen mit Schreiben vom 09.09.2024 Widerspruch eingelegt und hat unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens beantragt, die Verletztenrente ab dem Unfallereignis am 28.06.2005, mit dem der Klägerin zustehenden tarifrechtlich (hier: Soziale Arbeit) korrekten Jahresarbeitsverdienst gemäß den §§ 90 Abs. 1 Satz 1, 91 SGB VII (a.F. ab dem 28.06.2005 bis 31.12.2020) über den Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst und über den Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen zu gewähren.
Der Senat hat mit Schreiben vom 19.03.2025 darauf hingewiesen, dass der Bescheid vom 20.08.2024 gemäß § 96 Abs. 1 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens S 11 U 1360/24 ER sowie des Beschwerdeverfahrens L 6 U 1862/24 ER-B und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist zunächst der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2023 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2024, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin eine höhere Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren JAV zu gewähren.
Nach § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG ist auch der Bescheid vom 20.08.2024 Gegenstand des Rechtsstreits im Berufungsverfahren geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klagerhebung dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. § 96 SGG gilt nach § 153 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren. Eine Änderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch die Neuregelung ersetzt wird, eine Ersetzung, wenn der neue Verwaltungsakt ganz an die Stelle des alten tritt (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 96 Rn. 4 ff. m.w.N.). Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der Verfügungssätze in den betreffenden Verwaltungsakten festgestellt werden. Diese Voraussetzungen sind bei dem Bescheid vom 20.08.2024 erfüllt, denn er hat gegenüber dem angefochtenen Bescheid vom 05.12.2023 die Verletztenrente ab dem 01.10.2024 auf 1.767,50 € monatlich erhöht und daher den Bescheid vom 05.12.2023 zugunsten der Klägerin abgeändert. Wird ein Bescheid nach §§ 96, 153 SGG zum Gegenstand eines Verfahrens in zweiter Instanz, ist hierüber auf Klage zu entscheiden (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.09.2023 – L 10 U 2719/20 –, juris Rn. 31). Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 24.03.2025 auf die Einbeziehung hingewiesen worden.
Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid vom 05.12.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2024 sowie der Bescheid vom 20.08.2024 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente aufgrund eines höheren JAV ab dem 01.11.2017.
Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG. Bei kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen ist grundsätzlich maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, a.a.O., § 54 Rn. 34 m.w.N.). Es ist zu beachten, dass sich das anzuwendende Recht nach der materiellen Rechtslage richtet. Bei laufenden Leistungen kommt es auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum an, für den die Leistungen begehrt werden (vgl. Keller a.a.O., § 54 Rn. 34). Grundsätzlich beurteilen sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse nach dem Recht, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (Versicherungs- bzw. Leistungsfallprinzip), es sei denn, später in Kraft gesetztes Recht bestimmt ausdrücklich oder sinngemäß anderes.
Die Klägerin hat gemäß dem Bescheid vom 19.04.2006 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE i.H.v. 100 v.H. Gemäß § 56 Abs. 3 SGB VII wird bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung zugunsten des Betroffenen ergibt.
Rechtsgrundlage für die Festsetzung des JAV sind zunächst die §§ 81 ff. SGB VII. Gemäß § 81 SGB VII gelten die Vorschriften des Dritten Abschnitts für Leistungen in Geld, die nach dem JAV bemessen werden, mithin auch für die dem Kläger bewilligte Verletztenrente. Dabei ist der JAV gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB IV -) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Zum Arbeitsentgelt nach Satz 1 gehört auch das Arbeitsentgelt, auf das ein nach den zwölf Kalendermonaten abgeschlossener Tarifvertrag dem Versicherten rückwirkend einen Anspruch einräumt (§ 82 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).
Abweichend hiervon hat die Beklagte mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 19.04.2006 gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 09.12.2004 (gültig bis zum 31.12.2020 - nachfolgend a.F.) und § 95 SGB VII in der seit dem 01.08.2004 geltenden Neufassung des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 21.07.2004 die Verletztenrente unter Heranziehung des Mindest-JAV gewährt, da dies für die Klägerin die günstigere Regelung darstellte. Auch in der Folgezeit wurde der JAV durch die bestandskräftigen Bescheide vom 13.10.2014 sowie vom 13.09.2017 auf 40 % bzw. 60 % der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße entsprechend der damaligen Rechtslage nach den § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VII a.F. und § 95 SGB VII festgesetzt.
Grundsätzlich ist für den JAV allein der Zeitraum vor dem Versicherungsfall maßgebend. §§ 90, 91 SGB VII bestimmen im Rahmen der Neufestsetzung Ausnahmen hiervon. Beide Vorschriften dienen der Vermeidung von Härten, die entstünden, wenn die nach dem JAV bemessenen Leistungen auf Dauer an ausbildungs- oder altersbedingt geringe Bezüge oder einen verhältnismäßig geringen Prozentsatz der Bezugsgröße anknüpfen würden. Ob im Einzelfall durch den Versicherungsfall ein konkreter wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, der mit der Leistung auszugleichen wäre, ist unerheblich. §§ 90, 91 SGB VII wahren deshalb den Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung (vgl. Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2023, § 90 Rn.1 sowie LSG Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 37).
Die Beklagte hat zu Recht, eine Neuberechnung der Verletztenrente und Zugrundelegung eines höheren JAV abgelehnt. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Berechnung der Verletztenrente nach den §§ 90 ff. SGB VII a.F., noch unter Zugrundelegung eines höheren JAV nach den §§ 90 ff. SGB VII n.F..
Auf den geltend gemachten Anspruch auf Neuberechnung des JAV sind die Vorschriften der §§ 90 ff. SGB VII in der ab dem 01.01.2021 geltenden Normfassung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020 (nachfolgend n.F.) anzuwenden.
Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII wird in dem Fall, in dem der Versicherungsfall vor Vollendung des 30. Lebensjahres eingetreten ist, der Jahresarbeitsverdienst, wenn es für den Versicherten günstiger ist, auf 100 Prozent der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt. Wurde die Hochschul- oder Fachhochschulreife erworben, tritt an die Stelle des Wertes 100 Prozent der Wert 120 Prozent der Bezugsgröße (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Nach § 90 Abs. 2 SGB VII wird der Jahresarbeitsverdienst mit Vollendung der in § 85 genannten weiteren Lebensjahre entsprechend dem Prozentsatz der zu diesen Zeitpunkten maßgebenden Bezugsgröße neu festgesetzt.
Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 05.08.2024 zutreffend ausgeführt, dass sich die Neufestsetzung des JAV allein nach den §§ 90 ff. SGB VII n.F. richtet und die Neufestsetzung des JAV ab dem 01.01.2021 deutlich anders geregelt wurde als nach der bisherigen Rechtslage. Bis 31.12.2020 war der Neuberechnung des JAV i.d.R. das individuelle tarifliche Entgelt zugrunde zu legen, das für die berufliche Tätigkeit der Berechtigten nach dem tatsächlichen oder fiktiven Abschluss ihrer Ausbildung sowie bis zum 30. Lebensjahr zusätzlich bei Erreichen weiterer Berufs- oder Lebensjahre vorgesehen war. Eine pauschale stufenweise Anhebung auf einen Vomhundertsatz der Bezugsgröße stand lediglich dann an, wenn im Einzelfall keinerlei Anhaltspunkte für einen konkreten Ausbildungsverlauf vorlagen. Nunmehr ist für die Neuberechnung unabhängig von den individuellen Verdienstverhältnissen ausschließlich ein bestimmter Prozentsatz der Bezugsgröße maßgebend, sofern sich dadurch ein günstigerer JAV als der zuvor festgesetzte ergibt (vgl. Schudmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 90 SGB VII (Stand: 15.01.2022) Rn. 2). Zu der Neuregelung heißt es in der Gesetzesbegründung des 7. SGB IV-ÄndG (BT-Drucks. 19/17586 S. 106): „Bei der Ermittlung eines fiktiven, aber möglichst konkreten Ausbildungs- und Berufsverlaufs ergeben sich … erhebliche praktische Probleme. Dies zeigt sich vor allem bei Versicherungsfällen zu Zeitpunkten, in denen eine Berufswahl noch in weiter Zukunft liegt, bei den wesentlich verschiedenen Verdienstmöglichkeiten insbesondere nach Abschluss eines Studiums oder bei der Ermittlung des maßgeblichen fiktiven JAV aus einer Vielzahl unterschiedlich strukturierter Tarifverträge. Insgesamt bestehen bei Neufeststellungsbescheiden nach der geltenden Regelung daher trotz hohem Verwaltungsaufwand bei Trägern und Arbeitgebern erhebliche Defizite hinsichtlich der Zielgenauigkeit der bestehenden Regelung“. Deshalb bestimmt die Neufassung der §§ 90, 91 in allen Fällen eine pauschale Erhöhung des JAV ausgehend von einem Vomhundertsatz der Bezugsgröße. Während in § 90 a.F. die Neufestsetzung nach voraussichtlicher Schul- oder Berufsausbildung und nach Altersstufen enthalten war, beinhaltet § 90 n.F. nur noch die Neufestsetzung nach Altersstufen; die Neufestsetzung nach Schul- oder Berufsausbildung ist jetzt in § 91 geregelt (vgl. Wolfgang Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 90 SGB VII Rn. 2).
Nach § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gelten die Vorschriften über den JAV auch für Versicherungsfälle, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes eingetreten sind, wenn der Jahresarbeitsverdienst nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals oder aufgrund der §§ 90 und 91 neu festgesetzt wird. Hierzu hat das SG bereits zutreffend unter Verweis auf die Kommentarliteratur (vgl. Schudmann in jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 90 Rn. 16, Stand 15.01.2022; Römer/Keller, SGb 2020, S. 651, 658) ausgeführt, dass zwar im Übergangsrecht eine ausdrückliche Regelung zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus der Zeit vom 01.01.1997 bis 31.12.2020 fehlt, jedoch der Gesetzgeber mit dem Siebten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (7. SGBIVÄndG) vom 12.06.2020 (BGBl. I S. 1248) § 214 Abs. 2 Satz 1 SGB VII an die Änderungen der §§ 90 und 91 SGB VII angepasst und damit hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das neue JAV-Recht auch für zuvor eingetretene Versicherungsfälle gelten soll (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.09.2023 – L 10 U 2719/20 –, juris Rn. 34). Vorliegend hatte die Klägerin im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rechtsänderung am 01.01.2021 noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet, so dass die seit dem 01.01.2021 gültige Rechtslage zur Anwendung kommt.
Die Norm des § 214 SGB VII begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere liegt keine unzulässige Rückwirkung vor. § 214 Abs. 2 SGB VII entfaltet nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.2016 – B 2 U 14/14 R –, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 9/03 R –, juris Rn. 16 sowie BSG, Urteil vom 19.12.2013 – B 2 U 5/13 R –, juris sowie Schudmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 90 SGB VII (Stand: 15.01.2022) Rn. 16) keine materiell-rechtliche Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und dabei Rechtspositionen nachträglich entwertet werden. Dies unterscheidet sich von der echten Rückwirkung, die in abgeschlossene Sachverhalte eingreift (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2005 – B 6 KA 63/04 R –, juris Rn. 46; BSG, Urteil vom 11.12.2003 – B 10 LW 6/01 R –, juris Rn 19). Die unechte Rückwirkung ist nicht absolut verboten. Ihre Zulässigkeit hängt von einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Regelung und dem Vertrauensschutz der Betroffenen ab. Entscheidend ist, ob der Eingriff verhältnismäßig ist, also geeignet, erforderlich und zumutbar (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.1997 – 11 RAr 83/96 –, juris Rn. 20). Das BSG hat betont, dass der Gesetzgeber bei der Neuordnung eines Rechtsgebiets alte Rechtspositionen verändern darf, wenn dies durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2003 – B 10 LW 6/01 R –, juris a.a.O.). Der Vertrauensschutz der Betroffenen wird berücksichtigt, insbesondere dann, wenn sie auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage vertraut haben. Allerdings ist das Vertrauen nicht uneingeschränkt geschützt, dies gilt insbesondere dann nicht, wenn die Rechtslage unklar war oder Änderungen absehbar waren (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.1997 – 11 RAr 83/96 –, juris Rn. 20). Insoweit können auch unechte Rückwirkungen durch Übergangsvorschriften oder ausdrückliche gesetzliche Regelungen gestützt werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.10.1992 – 9b RAr 7/92 –, juris Rn. 31). Auch ist die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.02.2002 – 2 BvR 305/93 – 2 BvR 348/93 – BVerfGE 105, 17). Die Gewährung vollständigen Schutzes durch ein Fortbestehen der jeweiligen bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.09.1987 – 2 BvR 933/82 – BVerfGE 76, 256 <348>). Daher ist gerade in der Sozialversicherung die Möglichkeit zur Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt. Im Einzelfall bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 – 1 BvL 5/80 u.a. – BVerfGE 69, 272). Der Gesetzgeber war bei Zugrundelegung des Maßstabs des Art. 14 GG iVm dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Vertrauensschutzprinzip verfassungsrechtlich nicht gehalten, von der Anwendung des § 214 SGB VII diejenigen Rentenbezieher von der Neuregelung auszunehmen, deren Verletztenrente bereits vor der Rechtsänderung erstmals festgestellt wurde. Der Anwendungszeitpunkt der Norm beruht auf einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Abwägung zwischen den öffentlichen Belangen und den schutzwürdigen Interessen des betroffenen Personenkreises und ist nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.1983 – 1 BvR 820/79 – BVerfGE 64, 87; BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 – 1 BvL 5/80 u.a. – BVerfGE 69, 272).
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass in eine schützenswerte Rechtsposition der Klägerin eingegriffen wurde. Die Anwartschaft der Klägerin auf eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung berührt bereits nicht den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, weil sie nicht auf ihren Eigenleistungen beruht. Voraussetzung ist, dass der sozialversicherungsrechtlichen Position eine nicht unerhebliche Eigenleistung zugrunde liegt, wobei als eigene Leistungen des Versicherten nicht nur die von ihm selbst bezahlten Beiträge zu berücksichtigen sind, sondern in aller Regel auch solche Beiträge, die von Dritten zu seinen Gunsten dem Träger der Sozialversicherung zugeflossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2018 – B 2 U 11/17 R –, juris Rn. 23 zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung). Die Versicherung der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 a) SGB VII wurde nicht durch ihre Beiträge, sondern durch die Beiträge des Trägers des Kindergartens als Unternehmer nach § 150 Abs. 1 SGB VII finanziert. Zu beachten ist auch, dass mit der Neuregelung der §§ 90 ff. sowie § 85 SGB VII ab dem 01.01.2021 der Zweck verfolgt wurde, durch die Festlegung von Unter- und Obergrenzen unangemessen niedrige oder hohe Geldleistungen für die Altersgruppe der unter 30-Jährigen zu vermeiden. Mit dem Mindestjahresarbeitsverdienst sollte eine Grundversorgung vor allem durch Renten für Versicherte sichergestellt werden, die im Jahr vor dem Versicherungsfall nur geringe oder gar keine Entgelte/Arbeitseinkommen bezogen haben (vgl. Schudmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 85 SGB VII (Stand: 15.01.2022) Rn. 16). Pauschalierungen sind im Zusammenhang mit der Berechnung von Rentenleistungen grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2020 – B 2 U 10/18 R –, juris Rn. 31 ff.). Teilweise wird in der pauschalierten JAV-Berechnung sogar eine verfassungsrechtliche bedenkliche Besserstellung der Altersgruppe der unter 30-Jährigen gegenüber der Altersgruppe über 30 Jahren gesehen (vgl. Schudmann, a.a.O., Rn. 21 m.w.N.). Eine unzulässige Rückwirkung liegt somit nicht vor.
Das SG weist überdies zu Recht darauf hin, dass selbst bei Anwendung der bis zum 31.12.2020 gültigen Rechtslage kein Anspruch auf Neufeststellung des JAV besteht. Die Bescheide vom 19.04.2006, vom 13.10.2014 sowie vom 13.09.2017 sind bestandskräftig geworden. Die Bestandskraft tritt insoweit auch unabhängig davon ein, ob eine Rechtswidrigkeit vorliegt (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 39 SGB X (Stand: 13.03.2024) Rn. 35). Eine Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist bislang nicht erfolgt und wäre zunächst Aufgabe der Beklagten. Überdies hat die Beklagten den JAV entsprechend der Regelung des § 90 Abs. 5 SGB VII a.F. nach damaliger Rechtslage berechnet. Eine Beendigung der Ausbildung der Klägerin ist derzeit nach dem von ihr angestrebten Ausbildungsweg noch nicht absehbar, so dass die Anwendung des § 90 Abs. 1 Satz 1 SGB VII a.F. bereits aus diesem Grund ausscheidet. Die Klägerin begehrt im Übrigen nicht nur die Anwendung des alten Rechts, sondern eine Berechnung ausschließlich nach den ihr individuell günstigsten Umständen. Ein Anspruch, welcher ihr auch nach der alten Rechtslage nicht zustand. Maßgeblich sind immer die konkreten objektiv feststellbaren Umstände und nicht die subjektiv erhofften Ausbildungs- und Berufswege, solange diese nicht tatsächlich erfolgreich durchlaufen werden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.02.2021 – L 3 U 182/18 –, juris Rn. 34). Der Senat schließt sich daher den Ausführungen des SG nach eigener Überprüfung an und weist diesbezüglich die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.
Die Beklagte hat den JAV zuletzt im Bescheid vom 20.08.2024 entsprechend der Vorgaben des § 90 Abs. 2 i.V.m. § 85 Abs. 1a Nr. 4 SGB VII n.F. zugrunde gelegt und die Verletztenrente der Klägerin zutreffend berechnet.
Die Festsetzung des JAV ist auch nicht unbillig. Ein Anspruch auf eine Festsetzung nach billigem Ermessen besteht nicht. Die Vorschrift des § 87 SGB VII ist nur bei einer erstmaligen JAV-Festsetzung anwendbar und scheidet daher bei einer Neufestsetzung aus (vgl. Schudmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 87 SGB VII (Stand: 15.01.2022) Rn. 3). Zudem sind lediglich zukünftige Erwerbschancen, durch die sich noch kein wirtschaftlicher Vorteil realisiert hat, nicht geeignet, zur Unbilligkeit des festgesetzten Jahresarbeitsverdienstes im Sinne des § 87 SGB VII zu führen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.02.2021 – L 3 U 182/18 –, juris Rn. 34 zu § 87 SGB VII a.F.). Auch die Gewährung einer höheren Verletztenrente infolge einer Neufestsetzung nach § 90 Abs. 1 SGB VII n.F. kommt nach dem derzeitigen Lebensalter der Kläger nicht in Betracht. Auch der Tatbestand des § 91 SGB VII ist nicht erfüllt, da der Versicherungsfall nicht während einer Berufsausbildung eingetreten ist.
Ein Anspruch auf Neuberechnung der Verletztenrente nach einem höheren JAV besteht somit nach der maßgeblichen Rechtslage der § 90 i.V.m § 85 SGB VII n.F. nicht.
Die Klägerin hat auch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches keinen Anspruch auf Neuberechnung der Verletztenrente unter Zugrundelegung eines höheren JAV. Denn es liegt bereits keine Verletzung einer behördlichen Auskunfts-, Beratungs- oder Betreuungspflicht vor, was aber Voraussetzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches wäre (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2001 – B 3 KR 27/01 R –, juris Rn. 27). Der Senat kann vorliegend keine Fehlberatung der Beklagten feststellen. Soweit der Klägerbevollmächtigte hierzu auf die Ausführungen des Sachbearbeiters B1 in dessen Emails vom 26.03.2014 sowie vom 28.03.2014 verweist, entsprachen diese der damaligen Rechtslage. Ein Beratungsfehler ist nicht erkennbar. Zudem wird durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nur ein sozialrechtlicher Zustand durch Vornahme einer Amtshandlung hergestellt. Er verschafft kein neues Recht. Er ermöglicht lediglich die Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger vornehmlich seiner Beratungspflicht in vollem Umfang nachgekommen wäre (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.02.2019 – L 22 R 371/14 –, juris Rn. 292 ff.). Der Herstellungsanspruch kann einen Versicherungsträger nur zu einem solchen Tun oder Unterlassen verpflichten, das rechtlich zulässig ist. In Fällen, in denen der durch pflichtwidriges Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann, bleibt für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum (BSG, Urteil vom 11.03.2004 – B 13 RJ 16/03 R –, juris Rn. 24 ff.). Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann insbesondere keine Rechtsposition nach bisherigem Recht vermitteln, wenn dieses auf den maßgeblichen Sachverhalt keine Anwendung mehr findet.
Die Auskünfte des Sachbearbeiters B1 beinhalten auch keine Zusicherung der Berechnung der Verletztenrente nach einem höheren JAV. Eine einfache Email erfüllt nicht die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bestehende formale Wirksamkeitsvoraussetzung der Schriftform (vgl. Senatsurteil vom 25.11.2022 – L 8 AL 1596/22 –, juris Rn. 44). Denn die elektronische Form ersetzt die Schriftform nur unter der Voraussetzung, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen ist (§ 33 Abs. 3 Satz 2 SGB X i.V.m. § 36 a Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch <SGB I>). Im Übrigen ist eine Zusicherung auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet. In den Emails vom 26.03.2014 sowie vom 28.03.2014 wurden jedoch keine konkreten Entscheidungen der Beklagten zugesichert, sondern lediglich allgemein nach der damals gültigen Rechtslage beraten. Rechtsverbindliche Zusagen der Beklagten über die Höhe des JAV wurden somit nicht erteilt.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 11 U 653/24
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2698/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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