L 8 R 2860/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 634/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 2860/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22.08.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 01.07.2022.

Die 1969 geborene Klägerin war nach ihren Angaben bis 2002 als landwirtschaftliche Gehilfin versicherungspflichtig beschäftigt. Aufgrund des Gutachtens des M1 vom 09.08.2004 (Residualsyndrom bei paranoider Schizophrenie) wurde ihr mit Bescheid der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung Baden-Württemberg vom 17.11.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer seit dem 01.11.2004 gewährt. Mit Schreiben vom 16.10.2006 teilte die Landwirtschaftliche Alterskasse Baden-Württemberg der Klägerin mit, dass diese weiterhin erwerbsgemindert sei. Im Zeitraum vom 01.01.2017 bis 07.04.2021 legte die Klägerin Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen für die Pflegetätigkeit ihres Mannes zurück. Seit dem 01.05.2021 bezieht die Klägerin von der Beklagten eine Witwenrente aus der Versicherung ihres 2021 gestorbenen Ehemanns. Mit Bescheid des Landratsamts R1-Kreis vom 24.08.2021 wurde bei ihr ein GdB von 50 seit dem 20.05.2021 wegen einer seelischen Krankheit, degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderungen des rechten Hüftgelenks und des Kniegelenks, einer Fingerpolyarthrose und einer Atembehinderung bei Verengung des Nasengangs festgestellt.

Am 22.07.2022 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie an, sie könne bei zu großer Belastung nachts schlecht schlafen und habe arthrosebedingt Schmerzen. Die Beklagte zog u.a. den Entlassungsbericht des S1 (L1klinik) vom 04.08.2022 (Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion, paranoide Schizophrenie, nicht näher bezeichnete atherosklerotische Herzkrankheit, nicht näher bezeichnete Coxarthrose, beidseitige Gonarthrose) und des N1 (R2 Kliniken) vom 14.12.2022 (Implantation einer zementierten Knie-TEP links am 15.11.2022 bei Varusgonarthrose) bei. Nach Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen führte der K1 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 04.11.2022 aus, dass bei der Klägerin eine seit Jahren stabil remittierte Schizophrenie bestehe, die zu einer Einschränkung der Selbstbehauptungsfähigkeit führe. Gleichwohl sei die Klägerin noch in der Lage, ihre Tiere und den Haushalt zu versorgen. Die Hüftgelenks- und beidseitige Kniegelenksarthrose führten zu keinen relevanten Funktionseinschränkungen. Die koronare Herzerkrankung sei ohne höhergradige Stenosen stabil. Die Klägerin könne leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten zeitweise im Stehen, überwiegend im Gehen und überwiegend im Sitzen in Tagesschicht verrichten. Aufgrund der eingeschränkten psycho-mentalen Belastbarkeit nicht mehr zumutbar seien Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Anpassungs- und Umstellungsvermögen oder mit besonderer Verantwortung für Personen und Maschinen. Zu vermeiden seien deshalb häufiger Publikumskontakt, Einbindung in komplexe Arbeitsvorgänge, Akkord und taktgebundene Arbeit, besonderer Zeitdruck und fachliche Diskussionen. Aufgrund der eingeschränkten neuro-muskulo-skeletalen Belastbarkeit seien Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten ausgeschlossen. Zu vermeiden seien häufiges Hocken und Knien, Klettern und Steigen, Rumpfzwangshaltungen und Überkopftätigkeiten. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen könne die Klägerin täglich 6 Stunden und mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein.

Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.11.2022 den Rentenantrag der Klägerin ab, weil diese die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle.

Hiergegen erhob die Klägerin am 28.11.2022 Widerspruch. Aufgrund der Arthrose im rechten Knie und in der rechten Hüfte habe sie starke Schmerzen. Sie könne nicht mehr weit gehen und müsse sich oft hinsetzen. Sie könne gerade so den Haushalt und Einkäufe erledigen. Sie benötige einen gleichen und geregelten Tagesablauf, könne oft nicht schlafen, sei schnell erschöpft und fühle sich überfordert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2023 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens 6 Stunden verrichten könne. Dies ergebe sich schlüssig aus der sozialmedizinischen Stellungnahme des K1.

Am 31.03.2023 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Sozialgericht Mannheim Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 07.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Die Klägerin leide nicht nur an einer Coxarthrose und einer beidseitigen Gonarthrose, sondern auch an einer Fingergelenkspolyarthrose. Ferner bestehe eine Arterienverkalkung, die Ursache für koronare Herzkrankheiten sein könne. Mit Blick auf die paranoide Schizophrenie könne nicht nachvollzogen werden, dass die psychotische Symptomatik seit Jahren stabil sei. Von den degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule gingen erhebliche Einschränkungen aus, wie die Berücksichtigung dieser Funktionseinschränkungen bei der Bildung des GdB zeige. Schließlich bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom im Stadium II nach Gerbershagen. Zur weiteren Klagebegründung hat die Klägerin die Arztbriefe des S2 vom 03.07.2024 („HNO ohne Befund“) und des W1 vom 08.05.2024 (keine floride entzündlich-rheumatische Erkrankung) vorgelegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch sachverständige Zeugen angeordnet. Der B1 hat in seiner schriftlichen Antwort vom 21.06.2023 mitgeteilt, dass bei der Klägerin eine koronare Herzerkrankung ohne höhergradige Stenosen und ohne Notwendigkeit der Einbringung von Stents bestehe. Seit Dezember 2017 seien bei der Klägerin keine kardialen Beschwerden mehr vorhanden. Aus kardiologischer Sicht könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Arbeiten mindestens 6 Stunden täglich verrichten.

Die B2 hat in ihrer schriftlichen Antwort vom 26.06.2023 ausgeführt, dass die Klägerin seit Februar 2023 ohne Hilfsmittel mobil sei. Sie habe der Klägerin seit Februar 2023 geraten, die von anderen Ärzten verordnete Einnahme des Schmerzmittels Novaminsulfon zu reduzieren. Eine rheumatische Erkrankung sei durch eine Blut-Laboranalyse ausgeschlossen worden. Bei der Klägerin zeigten sich keine motorischen oder neurologischen Defizite. Das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin vermöge sie nicht einzuschätzen.

Der H1 hat in seiner schriftlichen Antwort vom 04.07.2023 mitgeteilt, dass die Implantation einer Knie-TEP links am 15.11.2022 mit einer Beweglichkeit von 0-5-100 Grad ein nur mäßig befriedigendes funktionelles Ergebnis erbracht habe. Es sei ein Gelenkersatz an der rechten Hüfte und am rechten Knie indiziert. Seit Mai 2023 seien in beiden Schultern der Klägerin ein Kalkherd und eine deutliche Impingement-Situation festgestellt worden. Ferner bestehe ein degeneratives Lumbalsyndrom. Für die Klägerin könne er derzeit kein positives Leistungsbild erstellen.

Der H2 hat in seiner schriftlichen Antwort vom 04.07.2023 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Maßgeblich dafür seien die durchgehend erlebte eingeschränkte psychische Belastbarkeit der Klägerin sowie die seit dem Tod des Ehemannes 2021 zugenommene Symptomschwere.

Die M2 hat in ihrer schriftlichen Antwort vom 29.06.2023 ausgeführt, dass die letzte gynäkologische Vorsorgeuntersuchung im Januar 2023 unauffällig gewesen sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die sozialmedizinische Stellungnahme des H3 vom 13.09.2023 vorgelegt. Demnach sollten zusätzlich zu den in der Stellungnahme des K1 vom 04.11.2022 genannten qualitativen Einschränkungen Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit und Tätigkeiten in längerer Armvorhalte vermieden werden. Bezüglich der Arbeitshaltung sollten die Tätigkeiten ständig sitzend, zeitweise gehend, zeitweise stehend erfolgen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG den R3 und den P1 zu Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige R3 hat die Klägerin am 14.12.2023 untersucht und in seinem Gutachten vom 10.04.2024 ausgeführt, dass bei der Klägerin mindestens seit dem Jahr 2022 eine Dysthymie und eine remittierte, d.h. symptomfreie Schizophrenie bestünden. Es sei der Klägerin noch möglich, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten in ständigem Sitzen, überwiegendem Gehen oder Stehen sowie ohne Akkord- oder Fließbandtätigkeiten, ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule und ohne Nachtschicht vollschichtig zu verrichten. Die Klägerin habe eine Gehstrecke von 500 Metern in 11 Minuten bewältigt. Außerdem verfüge sie über einen Führerschein und ein Auto.

Der Sachverständige P1 hat die Klägerin am 08.05.2024 untersucht und in seinem Gutachten vom 22.05.2024 dargelegt, dass bei der Klägerin ein myogenes Reizsyndrom der Halswirbelsäule ohne wesentliche Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle, ein myogenes Reizsyndrom der Lendenwirbelsäule ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle bei leichter Fehlstatik und leichten degenerativen Veränderungen, eine Coxarthrose Grad IV rechts, Grad II-III links mit erheblicher Funktionseinschränkung rechts, eine mediale Gonarthrose und Retropatellararthrose im rechten Knie ohne Funktionseinschränkung, ein Zustand nach endoprothetischer Versorgung des linken Kniegelenks ohne Funktionseinschränkung, eine Tendinosis calcarea in beiden Schultern bei radiologischem Verdacht auf eine Impingement-Situation ohne Funktionseinschränkung und eine leichte Fingerpolyarthrose ohne Beeinträchtigung der Feingeschicklichkeit der Hände bestehe. Leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, in Spitzen (maximal fünfmal pro Tag) bis 8 kg sowie Tätigkeiten, die einen weitgehend selbstbestimmten Wechsel der Arbeitshaltungen ermöglichen, könne die Klägerin täglich mindestens 6 Stunden verrichten. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht eingeschränkt.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 22.08.2024 die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie ohne unmittelbare Gefährdung ihrer Gesundheit noch in der Lage sei, mindestens 6 Stunden täglich eine leichte Arbeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Dies ergebe sich aus den Gutachten der Sachverständigen R3 und P1. Daraus folge auch, dass die Klägerin 4-mal täglich 500 Meter in jeweils 20 Minuten zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen könne. Die abweichende Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens durch den H2 überzeuge nicht, da dieser keine Beschwerdevalidierung durchgeführt habe und die Klägerin im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen R3 weder Wahnvorstellungen noch Halluzinationen angegeben habe. Die der Klägerin möglichen Alltagsaktivitäten sprächen für lediglich leichte psychische Funktionseinschränkungen. Auch die Leistungseinschätzung des behandelnden H1 überzeuge nicht, da dieser seine Auffassung nicht näher begründet habe und die vom Sachverständigen P1 erhobenen Befunde – freie Beweglichkeit aller Gelenke der oberen Extremitäten, geringfügig das altersentsprechende Ausmaß überschreitende degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule, erhebliche Funktionseinschränkung der rechten Hüfte bei minderschwer ausgeprägten degenerativen Veränderungen der linken Hüfte und im rechten Kniegelenk – keine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens begründeten. Der Gerichtsbescheid des SG ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 26.08.2024 zugestellt worden.

Am 25.09.2024 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Das Gutachten des Sachverständigen P1 sei widersprüchlich. Trotz des Befundes einer erheblichen Funktionseinschränkung der rechten Hüfte und erheblichen Druckschmerzes über der rechten Leiste gehe er von relativ geringfügigen Schmerzen aus, die das Leistungsvermögen der Klägerin nicht dauerhaft beeinträchtigten. Außerdem habe er Röntgenbilder und von den behandelnden Ärzten der Klägerin gestellte Diagnosen nicht berücksichtigt. Zudem könne nicht nachvollzogen werden, warum er die Wegefähigkeit der Klägerin bejaht habe. Dem Gutachten des P1 könne kein orthopädisches Leistungsbild der Klägerin entnommen werden. Auch das Gutachten des Sachverständigen R3 sei widersprüchlich, weil aufgrund einer einmaligen Untersuchung der Klägerin keine zutreffende Beurteilung ihrer Belastbarkeit möglich sei. Es könne nicht nachvollzogen werden, warum R3 davon ausgehe, dass die Klägerin weder unter Wahnphänomenen noch Halluzinationen leide, und warum die vom behandelnden H2 gestellten Diagnosen nicht berücksichtigt worden seien. Das Krankheitsbild der Klägerin sei nicht vollständig erfasst. Es lägen weitere Beeinträchtigungen auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet, eine Fingergelenkspolyarthrose, eine Varusgonarthrose und eine atherosklerotische Herzkrankheit vor. Zur weiteren Berufungsbegründung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den vorläufigen Entlassbericht des U1 (V1-Klinik R4) vom 10.10.2024 vorgelegt (Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts am 04.09.2024).

Die Klägerin beantragt, teilweise sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22.08.2024 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Die Beklagte (Schriftsatz vom 05.02.2025) und der Prozessbevollmächtigte der Klägerin (Schriftsatz vom 25.02.2025) haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Mit Schreiben vom 27.03.2025 hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, dass eine Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung am 04.04.2025 beabsichtigt sei. Am 04.04.2025 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den am 25.03.2025 erstellten Auszug aus der Patientenkarte der gastroenterologischen Gemeinschaftspraxis S3 und W2 (Entfernung von 4 Colonpolypen am 25.03.2025, leichte Divertikulose des Colon ascendens und Sigmas) und die Rechnung des K2 vom 06.03.2025 über eine Laserbehandlung wegen Hirsutismus [d.h. vermehrter Behaarung] dem Senat um 17:40 Uhr vorgelegt und um Berücksichtigung bei der gerichtlichen Entscheidung gebeten.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig.

Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin nach Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung „in gesetzlicher Höhe nach den Vorschriften des SGB VI“. Mit Blick darauf, dass die Klägerin den Rentenantrag am 22.07.2022 gestellt hat, wird unter Berücksichtigung der Wertung des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ein prozessualer Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung dem Grunde nach für die Zeit seit dem 01.07.2022 geltend gemacht. Streitbefangen sind der den Rentenantrag der Klägerin ablehnende Bescheid der Beklagten vom 07.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2023 (§ 95 SGG) sowie der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG vom 22.08.2024.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, Abs. 4, §§ 56, 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 07.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.03.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 01.07.2022.

Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung folgt nicht aus dem Bescheid der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung Baden-Württemberg vom 17.11.2004. Dieser Bescheid der landwirtschaftlichen Alterskasse über die dauerhafte Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 01.11.2004 entfaltet keine Bindungswirkung für die Beklagte (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14.03.2018 – L 2 LW 8/17 – juris Rn. 30). Gemäß § 77 SGG ist ein bestandskräftiger Verwaltungsakt nur für die Beteiligten, d.h. für die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, und für denjenigen, an den die Behörde den Verwaltungsakt gerichtet hat (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) oder den sie zu dem Verfahren hinzugezogen hat (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB I), bindend. Die Beklagte ist jedoch als in der allgemeinen Rentenversicherung zuständiger Regionalträger eine andere Behörde als die in der Alterssicherung der Landwirte zuständige landwirtschaftliche Alterskasse (vgl. § 23 Abs. 2 Nr. 1 und 3 SGB VI). Sie ist von der landwirtschaftlichen Alterskasse auch nicht zu dem Verwaltungsverfahren, in dem der Rentenbescheid vom 17.11.2004 erlassen worden ist, hinzugezogen worden. Die Akten des SVLFG wurden beigezogen; der letzte Vorgang hierin datiert vom 13.10.2006, wonach eine Nachuntersuchung der Klägerin nicht erfolgversprechend sei.

Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist § 43 SGB VI in der bis 31.12.2023 geltenden Normfassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007 (BGBl. I S. 554, 555) und der ab 01.01.2024 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Anpassung des Zwölften und des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Gesetze vom 22.12.2023 (BGBl. I, Nr. 408, S. 8). Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI hinaus ist voll erwerbsgemindert, wer zwar noch 3 bis unter 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein kann, aber nicht über einen entsprechenden leidensgerechten Arbeitsplatz verfügt (zur sog. Arbeitsmarktrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 10.12.1976 – GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 – juris Rn. 72 f., 79; BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 22). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten erstreckt (zu § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO vgl. BSG, Urteil vom 23.03.1977 – 4 RJ 49/76 – juris Rn. 16 a.E.).

Der Eintritt der Erwerbsminderung unterliegt dem Vollbeweis. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG, Urteil vom 15.12.2016 – B 9 V 3/15 R – juris Rn. 26, dazu auch im Folgenden). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Dies bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Erwerbsminderung eingetreten ist, hat derjenige, der daraus Ansprüche ableitet, das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsache im Sinne einer objektiven Beweislast zu tragen.

Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer Hinsicht, schränken ihr Restleistungsvermögen aber nicht auch quantitativ auf weniger als 6 Stunden täglich ein.
Die für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin maßgeblichen Leiden liegen auf neurologisch-psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet.


Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehen bei der Klägerin jedenfalls seit dem 01.01.2022 eine Dysthymie, d.h. eine chronisch-depressive Verstimmung, die nach Schweregrad und Dauer nicht die Kriterien für eine rezidivierende depressive Störung erfüllt, sowie eine remittierte, d.h. symptomfreie Schizophrenie. Dies stellt der Senat aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024 fest. Daraus folgt auch, dass das in den Gutachten des M1 vom 09.08.2004 und 27.09.2006 festgestellte schizophrene Residuum, dessen Auswirkungen die landwirtschaftliche Alterskasse W3 zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer veranlasst haben, nicht mehr vorliegt. Der Entlassungsbericht des S1 (L1klinik) vom 04.08.2022 über die stationäre Behandlung der Klägerin vom 02.06.2022 bis 28.07.2022 belegt eine längere depressive Reaktion der Klägerin auf den Tod ihres Ehemanns 2021 und Schizophrenie ohne psychotisches Erleben und ohne Störung der Wahrnehmung. Zudem besteht bei der Klägerin ein chronisches Schmerzsyndrom im Chronifizierungsstadium II nach Gerbershagen. Dies entnimmt der Senat den Arztbriefen der K3 vom 05.10.2021 und 05.05.2022 sowie dem vorläufigen Entlassbericht des U1 vom 10.10.2024.

Die vom Sachverständigen R3 diagnostizierten Gesundheitsstörungen sind für den Senat aufgrund der erhobenen ärztlichen Befunde schlüssig und nachvollziehbar. Im Rahmen der stationären Behandlung in der L1klinik vom 02.06.2022 bis 28.07.2022 sind bei der Klägerin lediglich eine gedrückt wirkende Stimmungslage und eine formalgedankliche Einengung auf private Belastungen aufgefallen, während alle übrigen Parameter des psychischen Befundes völlig unauffällig gewesen sind. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht des S1 vom 04.08.2022. Die schriftliche Antwort des sachverständigen Zeugen H2 vom 04.07.2023 bestätigt das Vorliegen von lediglich leichtgradigen psychopathologischen Befunden, da die bei der Untersuchung am 24.04.2023 erhaltene Konzentration und Aufmerksamkeit bei der Folgeuntersuchung am 23.06.2023 nur dezent vermindert gewesen sind, die bei der Untersuchung im April 2023 leicht verlangsamte Psychomotorik bei der Folgeuntersuchung im Juni 2023 wieder unauffällig gewesen ist, die im April 2023 als vermindert aufgefallenen Parameter des Antriebs und des Interesses im Juni 2023 wieder ausreichend erhalten gewesen sind und die Grundstimmung der Klägerin stets nur leicht bedrückt gewirkt hat. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die schriftliche Antwort des sachverständigen Zeugen H2 vom 04.07.2023. Bei der Untersuchung der Klägerin am 14.12.2023 durch den Sachverständigen R3 sind lediglich ein gedankeninhaltliches Kreisen um die eigenen Beschwerden und eine streckenweise subdepressiv wirkende Stimmungslage der Klägerin aufgefallen, wobei es beim Besprechen angenehmer Themen rasch zu einer Stimmungsaufhellung gekommen ist und die affektive Modulationsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen ist. Alle übrigen Parameter des psychischen Befundes sind dagegen durchgehend völlig unauffällig. Die Klägerin wirkt wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert und im Kontakt freundlich. Der Rapport, d.h. die Herstellung eines vertrauensvollen Kontakts zwischen Gesprächspartnern, erfolgt flüssig, strukturiert und geordnet. Ihre Auffassungsgabe, Aufmerksamkeitsdauer, Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie ihr Kurz- und Langzeitgedächtnis sind ungestört. Das unauffällige Alpha-Elektroenzephalogramm zeigt keine Hinweise auf eine vermehrte Tagesmüdigkeit. Die Antriebslage der Klägerin wirkt unauffällig. Ihre Psychomotorik in Mimik und Gestik zeigt sich adäquat. Ihre emotionale Schwingungsfähigkeit ist erhalten. Diese Feststellungen trifft der Senat aufgrund des Entlassungsberichts des S1 vom 04.08.2022 und des Gutachtens des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024. Schließlich entspricht die Feststellung einer Dysthymie auch der Selbsteinschätzung der Klägerin, da sich im Beck-Depressions-Inventar, einem Standardfragebogen zur Ermittlung der subjektiven Schwere von Depressionen, Hinweise für eine nur minimale Depression finden. Auch dies folgt aus dem Gutachten des R3.

Der zur Berufungsbegründung erhobene Einwand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die vom behandelnden H2 gestellten Diagnosen seien nicht berücksichtigt worden, geht ins Leere, da H2 in seiner schriftlichen Antwort vom 04.07.2023 keine Diagnosen mitgeteilt hat. Unabhängig davon kommt es bei der Prüfung der Erwerbsminderung nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung an, sondern allein auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (vgl. BSG, Beschluss vom 28.02.2017 – B 13 R 37/16 BH – juris Rn. 15), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2024 – L 10 R 606/23 – juris Rn. 38). Ebenfalls ins Leere geht der Einwand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, es könne nicht nachvollzogen werden, warum R3 davon ausgehe, dass die Klägerin weder unter Wahnphänomenen noch Halluzinationen leide. Der Sachverständige R3 hat aufgrund der anamnestischen Angaben der Klägerin, die zum Untersuchungszeitpunkt weder Wahnphänomene noch Halluzinationen angegeben hat, explizit keine Hinweise auf paranoide Ideen, Halluzinationen, Ich-Störungen, Zwangsideen oder Zwangsgedanken festgestellt. Der Nachweis des Antipsychotikums Risperidon lediglich im untersten therapeutischen Bereich im Blutserum bestätigt die Symptomfreiheit der Schizophrenie, da für die Klägerin die Möglichkeit besteht, durch eine konsequente Einnahme bzw. Höherdosierung des Risperidons eine Linderung etwaiger Beschwerden zu erreichen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem befundgestützt schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024.

Das chronische Schmerzsyndrom im Chronifizierungsstadium II nach Gerbershagen wird lediglich mit Ibuprofen (vgl. Arztbriefe der K3 vom 05.10.2021 und 05.05.2022) oder Novaminsulfon (vgl. Gutachten des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024) behandelt, wobei die Klägerin, wie die Klassifikation in Stadium II zeigt, über vorhandene Bewältigungsstrategien verfügt (vgl. Pschyrembel-Online, Stichwort: chronisches Schmerzsyndrom, Stand Mai 2017). Gegen eine wesentliche Schmerzbelastung der Klägerin spricht, dass Ibuprofen und Novaminsulfon nichtopioide Schmerzmittel sind, die nach Stufe 1 des Stufenschemas der Weltgesundheitsorganisation zur Linderung leichter bis mäßiger Schmerzen angewandt werden (vgl. Pschyrembel-Online, Stichwort: WHO-Stufenschema, Stand Mai 2017).

Die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet schränken ihre Alltagskompetenzen, ihre Tagesstruktur und ihre soziale Teilhabe lediglich leichtgradig ein. Diese Überzeugung stützt der Senat darauf, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben imstande ist, sich selbst und 3- bis 4-mal pro Woche auch einen Nachbarn zu versorgen, ihren Haushalt zu besorgen, Kontakt zu Nachbarn, Geschwistern und Freundinnen zu halten, in ihrer Freizeit Gartenarbeit zu verrichten und sich um 2 Ziegen, deren Stall sie selbständig ausmistet, und 8 bzw. 10 Hühner, die sie füttert und deren Eier sie einsammelt, zu kümmern, sich in einem Kleintierzuchtverein zu engagieren und einmal pro Woche eine Therme zu besuchen Dies stellt der Senat aufgrund des Entlassungsberichts des S1 vom 04.08.2022 und des Gutachtens des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024 fest.

Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen bei der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule ein myogenes Reizsyndrom der Halswirbelsäule ohne wesentliche Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle, ein myogenes Reizsyndrom der Lendenwirbelsäule ohne Funktionseinschränkung und ohne radikuläre Ausfälle bei leichter Fehlstatik und leichten degenerativen Veränderungen, leichte polysegmentale Osteochondrosen, eine initiale Spondylosis deformans und eine lumbosakrale Spondylarthrose ohne Hinweis auf eine Einengung des Spinalkanals. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024. Im Abschnitt der Halswirbelsäule ist die paravertebrale Muskulatur etwas vermehrt tonisiert, Myogelosen im eigentlichen Sinne sind nicht zu tasten. Die Rotation des Kopfes gelingt der Klägerin ebenso wie Seitneigung des Kopfes im Normalbereich der Bewegungsmaße von Erwachsenen mit durchschnittlicher HWS-Beweglichkeit. Die Vor- und Rückneigung des Kopfes ist mit einem Kinnspitzen-Jugulum-Abstand von mindestens 1 cm und höchstens 16 cm nicht erheblich eingeschränkt. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024. Bereits der Entlassungsbericht des S1 vom 04.08.2022 zeigt, dass die gesamte Wirbelsäule der Klägerin gut beweglich und nicht klopfschmerzhaft ist. Die Lendenwirbelsäule der Klägerin ermöglicht trotz vorhandener Muskelverspannungen eine Vorneigung des Rumpfes mit durchgestreckten Knien bis zu einem Finger-Boden-Abstand von 10 cm im August 2022 und 22 cm im Mai 2024. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Entlassungsbericht des S1 und dem Gutachten des Sachverständigen P1. Aus letzterem folgt zugleich befundgestützt, dass Dreh- und Neigebewegungen der Lendenwirbelsäule in sitzender Körperhaltung mäßig eingeschränkt sind.

In den oberen Extremitäten der Klägerin bestehen eine Tendinosis calcarea (Kalkeinlagerungen) in beiden Schultern bei radiologischem Verdacht auf eine Impingement-Situation ohne Funktionseinschränkung und eine leichte Fingerpolyarthrose ohne Beeinträchtigung der Feingeschicklichkeit der Hände. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024. Daraus folgt aber auch, dass die Kalkeinlagerungen in den Sehnen der Rotatorenmanschette keine dauerhafte Gesundheitsstörung darstellen, da im Bereich der Schultergelenke in Zukunft möglicherweise auftretende Funktionseinschränkungen einer adäquaten ambulanten Behandlung gut zugänglich sind und nicht von mehr als 6-monatiger Dauer sind. Sämtliche großen und kleinen Gelenke an den oberen Extremitäten sind in allen Achsen frei beweglich. Dies stellt der Senat aufgrund des Entlassungsberichts des S1 vom 04.08.2022 und des Gutachtens des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 fest. Daraus folgt auch, dass die Kraft der oberen Extremitäten voll erhalten ist (Kraftgrad 5/5) und die Klägerin bei Durchführung der typischen Schulterfunktions-/Rotatorenmanschettentests durchweg keine Schmerzen angegeben hat. Auch die Fingerpolyarthrose mindert weder die Beweglichkeit noch die Belastbarkeit der Finger. Vielmehr gelingt der Klägerin die uneingeschränkt kraftvolle Opposition aller Langfingerkuppen zur jeweiligen Daumenkuppe. Die typischen Griffformen sind seitengleich ohne begleitende Schmerzäußerungen demonstrierbar. Der gekreuzte Händedruck gelingt seitengleich kräftig. Diese Feststellungen trifft der Senat aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024.

In den unteren Extremitäten bestand bei der Klägerin bis zum 04.09.2024 eine Coxarthrose Grad IV rechts mit erheblicher Funktionseinschränkung und besteht seit dem 04.09.2024 ein Zustand nach Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts. An weiteren Gesundheitsstörungen vorhanden sind bei der Klägerin eine Coxarthrose Grad II-III links, eine mediale Gonarthrose und Retropatellararthrose im rechten Knie ohne Funktionseinschränkung und ein Zustand nach endoprothetischer Versorgung des linken Kniegelenks ohne Funktionseinschränkung. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 und den vorläufigen Entlassbericht des U1 (V1-Klinik R4) vom 10.10.2024. Daraus folgt auch, dass die erhebliche Funktionseinschränkung der rechten Hüfte seit Implantation der Hüft-TEP am 04.09.2024 nicht mehr fortbesteht. Die Beweglichkeit der linken Hüfte ist mit einer Beugung bis 120 Grad und einer Streckung bis in die Nullstellung, einer Abspreizung bis 20 Grad nach außen, einer Anführung bis 30 Grad nach innen sowie einer Rotationsfähigkeit bis 15 Grad nach innen und bis 30 Grad nach außen insgesamt geringfügig eingeschränkt. Dies stellt der Senat aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 fest. Beide Kniegelenke der Klägerin zeigen eine im Wesentlichen normale Funktion bei stabilem Bandapparat. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem befundgestützt schlüssigen Gutachten des Sachverständigen P1. Sowohl der Entlassungsbericht des S1 vom 04.08.2022 als auch das Gutachten des P1 bestätigen, dass die Klägerin den Zehenspitzen- und Hackengang und -stand seitengleich demonstrieren kann und auch der Einbeinstand beidseits ohne Abstützen möglich ist. Aufgrund der Gutachten der Sachverständigen R3 vom 10.04.2024 und P1 vom 22.05.2024 stellt der Senat ein kleinschrittiges, etwas rechtshinkendes Gangbild der Klägerin bei im Wesentlichen seitengleicher Beschwielung der Fußsohlen fest. Für eine geringgradige Funktionseinschränkung spricht auch, dass die Klägerin noch in der Lage ist, innerhalb von 47 Sekunden mit Halt am Geländer langsam 19 Treppenstufen hinauf und wieder hinunter zu gehen und ihre im ersten Stock gelegene Wohnung über eine Außentreppe mit 11 Stufen zu erreichen und zu verlassen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Sachverständigen R3.

Die im Berufungsverfahren erhobenen Einwendungen des Prozessbevollmächtigten gegen das Gutachten des Sachverständigen P1 überzeugen nicht. Grundlage der Prüfung einer Erwerbsminderung sind nicht Diagnosen, sondern die durch Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen (s.o.). Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten zwingt der Umstand, dass über der rechten Leiste erheblicher Druckschmerz ausgelöst werden kann, nicht zur Annahme einer insgesamt mehr als leichten bis mäßigen Schmerzbelastung, da bereits die bloße Vermeidung von Druck über der rechten Leiste zum Fortfall erheblicher Schmerzen führt. Bewegungsschmerzen im Bereich der Hüftgelenke sind bei der Klägerin ärztlich nicht festgestellt worden. Der Einwand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der Sachverständige P1 habe Röntgenbilder nicht berücksichtigt, trifft nicht zu, da sich P1 an mehreren Stellen seines Gutachtens mit den Ergebnissen vergangener und aktueller Röntgenuntersuchungen auseinandergesetzt hat.

Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf deren atherosklerotische Herzkrankheit hinweist, zeitigt diese bereits seit Dezember 2017 keine kardialen Beschwerden und keine Funktionseinschränkungen. Dies entnimmt der Senat der schriftlichen Antwort des sachverständigen Zeugen B1 vom 21.06.2023. Auch der Entlassungsbericht des S1 (L1klinik) vom 04.08.2022 bestätigt, dass die Klägerin anamnestisch keine Herz- oder Brustschmerzen angegeben hat. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin „weitere Beeinträchtigungen auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet“ behauptet, liegen diese nicht vor. Der von der Klägerin vorgelegte Arztbrief des S2 vom 03.07.2024 zeigt vielmehr, dass die hals-nasen-ohrenärztliche Untersuchung der Klägerin „ohne Befund“ geblieben ist.

Die aus den festgestellten Gesundheitsstörungen folgenden Funktionseinschränkungen mindern das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht. Die neurologisch-psychiatrischen Gesundheitsstörungen der Klägerin mindern ihre psycho-mentale Belastbarkeit. Nicht mehr leidensgerecht sind deshalb Akkord- oder Fließbandtätigkeiten und Tätigkeiten in Nachtschicht. Hiervon ist der Senat aufgrund des befundgestützt schlüssigen Gutachtens des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024 überzeugt. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen mindern die muskulo-skeletale Belastbarkeit der Klägerin. Nicht mehr zumutbar sind der Klägerin körperlich schwere oder durchgehend mittelschwere Arbeiten mit regelmäßigem Heben und Tragen von mehr als 5 kg und Tätigkeiten, die ein längeres Verharren über mehr als 2 Stunden in konstanten Körperhaltungen erfordern. Zwangshaltungen der Wirbelsäule, insbesondere in gebückter, hockender oder kniender Körperhaltung, sind ebenfalls nicht mehr möglich. Ausgeschlossen sind auch Tätigkeiten, die mit einem häufigen Treppensteigen verbunden sind, sowie Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten und Arbeiten unter vermehrter Nässe- und/oder Kältebelastung. Weitere qualitative Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin bestehen nicht. Diese Überzeugung stützt der Senat auf die Gutachten der Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 und R3 vom 10.04.2024, deren Einschätzung auf Grundlage der erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar ist. Die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 04.04.2025 vorgelegten Unterlagen über eine Laserbehandlung wegen Hirsutismus [d.h. vermehrte Behaarung] und über die Entfernung von 4 Colonpolypen im März 2025 zeigen keine Funktionseinschränkungen, die eine qualitative Einschränkung des beruflichn Leistungsvermögens der Klägerin begründen.

Noch möglich sind der Klägerin leichte körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg, in Spitzen (maximal fünfmal pro Tag) bis 8 kg, sowie Tätigkeiten, die einen weitgehend selbstbestimmten Wechsel der Arbeitshaltungen ermöglichen, in Früh-, Tag- oder Spätschicht. Bei im Wesentlichen unbeeinträchtigter Funktion beider oberer Extremitäten, insbesondere beider Hände, sind der Klägerin insbesondere Tätigkeiten wie Sortieren, Verpacken, Montieren, Kleben, Anreichen ebenso möglich wie leichte organisatorische oder verwaltende Tätigkeiten, etwa in der Poststelle oder Registratur eines Betriebes oder an der Pforte von Altenpflege- oder Kinderheimen. Eine durchschnittliche Beanspruchung des Gehörs und des Sehvermögens ist noch leidensgerecht. Publikumsverkehr ist ebenfalls noch zumutbar. Dieses Leistungsbild entnimmt der Senat den befundgestützt nachvollziehbaren und deshalb überzeugenden Gutachten der Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 und R3 vom 10.04.2024. Der Einwand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dem Gutachten des P1 könne kein orthopädisches Leistungsbild der Klägerin entnommen werden, trifft schlicht nicht zu.
Die funktionellen Einschränkungen hindern die Klägerin nicht, körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich mindestens 6 Stunden lang zu verrichten. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024, das Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024, die schriftliche Antwort des sachverständigen Zeugen B1 vom 21.06.2023 und die sozialmedizinische Stellungnahme des K1 vom 04.11.2022. Deren übereinstimmende Einschätzung eines täglich mindestens 6-stündigen Leistungsvermögens der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überzeugt den Senat, weil diese Bewertung auf Grundlage der erhobenen Befunde und daraus folgenden Funktionseinschränkungen (s.o.) schlüssig und nachvollziehbar ist. Die Funktionseinschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sind allenfalls leicht ausgeprägt und bedingen keine Einschränkung der quantitativen beruflichen Belastbarkeit. Die von der Klägerin angegebene Tagesstruktur und soziale Teilhabe (s.o.)
verdeutlicht, dass sie ihre Tagesstruktur und ihr Verhalten erfolgreich an Vorgaben Dritter anpassen kann.

Soweit der H2 in seiner schriftlichen Antwort als sachverständiger Zeuge vom 04.07.2023 mitgeteilt hat, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten, überzeugt diese Einschätzung nicht. Die von H2 im hier interessierenden Zeitraum erhobenen psychopathologischen Befunde begründen lediglich leichtgradige Funktionseinschränkungen (s.o.). Schon zuvor hat H2 in einer Untersuchung der Klägerin wenige Tage nach dem Tod des Ehemanns im April 2021 eine „Besserung der leichten depressiven Symptomatik“ festgestellt. Die von der Klägerin am 09.05.2022 angegebenen akustischen Halluzinationen und das Gefühl, von anderen Menschen beobachtet zu werden, haben sich nach geringfügiger Erhöhung des Antipsychotikums Risperidon von 4 mg auf 5 mg gebessert, ohne dass eine weitere Steigerung der Medikation bis zur Tageshöchstdosis von 16 mg (vgl. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Risperidon_20541) medizinisch erforderlich geworden ist. Auch das am 24.04.2023 gegenüber H2 angegebene wieder zunehmende Beobachtungserleben der Klägerin ist durch eine geringfügige Erhöhung der vorübergehend wieder reduzierten Risperidondosis von 4 mg auf 5 mg gelindert worden. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus der schriftlichen Antwort des sachverständigen Zeugen H2 vom 04.07.2023. Bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen R3 im Dezember 2023 ist Risperidon im Blutserum der Klägerin nur noch im untersten therapeutischen Bereich nachgewiesen worden, was für eine symptomfreie Schizophrenie spricht (s.o.). Schließlich ist die von H2 vertretene Einschätzung ohne hinreichende Auseinandersetzung mit den Alltagsaktivitäten der Klägerin nicht schlüssig, worauf das Gutachten des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024 zutreffend hinweist.

Soweit der H1 in seiner schriftlichen Antwort als sachverständiger Zeuge vom 04.07.2023 „derzeit kein positives Leistungsbild“ der Klägerin gesehen hat, legt dies bereits deshalb keine Erwerbsminderung nahe, weil diese eine quantitative Leistungsminderung nicht nur punktuell zu einem bestimmten Zeitpunkt („derzeit“), sondern auf nicht absehbare Zeit, d.h. über mindestens 6 Monate hinweg voraussetzt (s.o.). Unabhängig davon überzeugt die Einschätzung des H1 nicht, weil ausweislich der schriftlichen Antwort der sachverständigen Zeugin B2 vom 26.06.2023 die Klägerin jedenfalls seit Februar 2023 wieder ohne Hilfsmittel mobil gewesen ist und ihr wiederholt die Reduktion der (nichtopioiden) Schmerzmittel hausärztlich empfohlen worden ist. Hierauf weist die sozialmedizinische Stellungnahme des H3 vom 13.09.2023 zutreffend hin.

Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage ist gemäß § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI nicht zu berücksichtigen. Das Bundessozialgericht geht weiterhin vom Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes aus (BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 26). Es hält daran fest, dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – wenigstens 6 Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein (vgl. BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 13 R 78/09 R – juris Rn. 31). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin, wie vorstehend dargelegt, mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen trotz qualitativer Einschränkungen in der Lage, körperlich und geistig leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens 6 Stunden zu verrichten.

Der Arbeitsmarkt gilt der Klägerin auch nicht trotz ihres vorhandenen 6-stündigen Leistungsvermögens ausnahmsweise als verschlossen.

Die Einsatzfähigkeit der Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist ausnahmsweise nicht gegeben, wenn der Versicherte die Vollzeittätigkeit nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen ausüben kann (sog. Katalogfall 1), wenn das Vermögen des Versicherten, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (Wegefähigkeit), relevant eingeschränkt ist (sog. Katalogfall 2) oder wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 29 m.w.N.). Keiner dieser Ausnahmefälle ist hier erfüllt.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen bei der Klägerin nicht vor. Ihre qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungstätigkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rn. 28 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 34). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden. Die bei ihr vorliegenden Funktionseinschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind nur leicht ausgeprägt und auf orthopädischem Fachgebiet besteht insbesondere nach Implantation einer Totalendoprothese im rechten Hüftgelenk keine größere Bewegungseinschränkung mehr.

Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Das Bundessozialgericht hat das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m innerhalb angemessener Zeit zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2006 – B 5 RJ 51/04 R – juris Rn. 15 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris Rn. 29). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 m in weniger als 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Gutachten des Sachverständigen R3 vom 10.04.2024. Demnach bewältigt die Klägerin eine Gehstrecke von 500 m in 11 Minuten. Nach ihren eigenen Angaben geht die Klägerin zu Fuß zu einem 800 m entfernten Metzger und läuft mehrmals pro Woche in 10 Minuten zu einem 300 m entfernten Friedhof. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten des R3. Das Gutachten des Sachverständigen P1 vom 22.05.2024 bestätigt befundgestützt schlüssig die Fähigkeit der Klägerin, durchschnittliche Fußwegstrecken von mehr als 500 m Länge viermal täglich in etwa jeweils 20 Minuten zurückzulegen. Unabhängig davon hat die Klägerin einen Führerschein und verfügt über ein Kraftfahrzeug, mit dem sie selbst fährt, ohne dass dem aus medizinischer Sicht etwas entgegensteht. Dies folgt ebenfalls aus den überzeugenden Gutachten der Sachverständigen R3 und P1.

Aus dem Umstand, dass bei der Klägerin seit Mai 2021 die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 festgestellt worden ist, folgt ebenfalls nicht, dass die Klägerin erwerbsgemindert wäre. Der Behinderungsgrad besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.1987 – 5b BJ 156/87 – juris Rn. 3). Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B – juris Rn. 5). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI ist die Erwerbsfähigkeit bzw. das berufliche Leistungsvermögen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2019 – L 4 R 3620/18 – juris Rn. 44 m.w.N.).

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht veranlasst, da der Sachverhalt hinreichend geklärt ist. Der Inhalt der verfahrensgegenständlichen Akten und insbesondere die Gutachten der Sachverständigen R3 und P1 haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI, da sie nicht vor dem 02.01.1961, sondern im Jahr 1969 geboren ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG)   nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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