L 7 AS 810/23 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 33 A 273/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 810/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.05.2023 geändert. Den Klägern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Y., B., beigeordnet.

 

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein erstinstanzliches Klageverfahren, das auf eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gerichtet ist.

 

Der 00.00.0000 geborene Kläger zu 1) ist U. Staatsbürger, die 00.00.0000 geborene Klägerin D. Staatsbürgerin. Die Kläger bezogen 2021 und 2022 mit ihren Kindern, den 0000 und 0000 geborenen Klägern zu 3) und 4), vom Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 16.12.2021 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum von Januar 2022 bis Dezember 2022. Er legte bei der Berechnung Bedarfe für Unterkunft und Heizung (KdU) i.H.v. insgesamt 511,88 € (Grundmiete 341,88 €, Betriebskosten 90 €, Heizkosten 80 €) zugrunde, die er nach Kopfteilen auf die Kläger verteilte. Für den Zeitraum ab dem 27.05.2022 berücksichtigte der Beklagte die Klägerin bei der Bedarfsberechnung nicht, weil ihre Fiktionsbescheinigung bis zu diesem Zeitpunkt begrenzt war. Der zur elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten genommene Bescheid weist keinen Ab-Vermerk auf. Die Kläger legten in der Folge zunächst keinen Widerspruch gegen diesen Bescheid ein.

 

Am 13.06.2022 übersandten die Kläger dem Beklagten per Telefax ein Schreiben ihres Vermieters vom 10.05.2022 mit dem Betreff „Anpassung Heizkostenvorauszahlung“. Hierin heißt es, die monatlichen Heizkostenvorauszahlungen der Kläger seien aufgrund einer Kostenunterdeckung anzupassen. Ab dem 01.06.2022 belaufe sich die „Nebenkostenvorauszahlung“ auf monatlich 190 € statt wie bisher 90 €. Mit Bescheid vom 08.07.2022 bewilligte der Beklagte den Klägern zu 1), 3) und 4) unter Berücksichtigung einer Betriebskostennachzahlung weitere Leistungen i.H.v. 859,22 € für Juni 2022. Mit Schreiben ebenfalls vom 08.07.2022 forderte der Beklagte von den Klägern einen Nachweis darüber an, ob sich die mitgeteilte Abschlagserhöhung auf die Betriebskosten oder die Heizkosten beziehe. Mit Schreiben vom 25.07.2022 erinnerte er die Kläger erfolglos an die Beantwortung dieser Anfrage.

 

Auf Anforderung der Kläger übersandte der Beklagte diesen mit Schreiben vom 07.10.2022 eine „Zweitschrift“ des Bescheides vom 16.12.2021. Mit Bescheid vom 17.10.2022 bewilligte der Beklagte der Klägerin in Anbetracht einer Verlängerung ihrer Fiktionsbescheinigung Leistungen für den Zeitraum vom 27.05.2022 bis zum 05.12.2022. Die Berücksichtigung der monatlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung blieb im Verhältnis zum Bescheid vom 16.12.2021 unverändert.

 

Am 25.10.2022 legten die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Widerspruch „gegen den Bescheid vom 07.10.2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.10.2022“ ein. Dieser sei mit Schreiben vom 07.10.2022 erstmals zugegangen. Mit Schreiben vom 02.11.2022 begründeten die Kläger ihren Widerspruch. Ab dem 01.05.2022 sei ein Heizkostenabschlag i.H.v. 90 €, ab dem 01.06.2022 i.H.v. 190 € monatlich zu berücksichtigen. Zudem sei den Klägern zu 3) und 4) ab dem 01.07.2022 ein monatlicher Sofortzuschlag i.H.v. 20 € monatlich zu zahlen. Mit E-Mail vom 07.11.2022 übersandten die Kläger dem Beklagten ein Schreiben ihres Vermieters vom 15.08.2022, wonach die Grundmiete 285 € betrage und sich die monatlichen „Betriebskostenvorauszahlungen“ vorbehaltlich einer etwaigen Ablehnung der Kläger von 330 € auf 412 € erhöhten. Der Beklagte schrieb die Kläger unter dem 08.11.2022 an und bat um Stellungnahme, woraus sich die Diskrepanz zu den bislang geltend gemachten Unterkunftsbedarfen, insbesondere bezüglich der Kaltmiete ergebe. In ihrem Weiterbewilligungsantrag vom 18.11.2022 gaben die Kläger ihre Bedarfe für Unterkunft und Heizung nunmehr mit 697,50 € (285 € Kaltmiete zuzüglich einer einheitlichen Vorauszahlung für Betriebs- u. Heizkostenvorauszahlung i.H.v. 412,50 €) an. Mit Änderungsbescheid vom 14.12.2022 bewilligte der Beklagte den Klägern in Anbetracht einer weiteren Verlängerung der Fiktionsbescheinigung der Klägerin und der Berücksichtigung einer Betriebskostennachzahlung für das Jahr 2021 weitere Leistungen für Dezember 2022 i.H.v. 1.072,16 €. Die Berechnung der laufenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung blieb im Vergleich zu den früheren Bescheiden unverändert.

 

Der Beklagte schrieb die Bevollmächtigte der Kläger unter dem 22.12.2022 an und fragte, ob der Widerspruch vom 25.10.2022 nur als Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.10.2022 oder auch gegen den Bescheid vom 16.12.2021 anzusehen sei. Die Bevollmächtigte beantwortete dieses Schreiben nicht. Der Beklagte fasste den Widerspruch in der Folge als Widerspruch sowohl gegen den Bescheid vom 16.12.2021 als auch gegen den Bescheid vom 17.10.2022 auf.

 

Mit Bescheid vom 19.01.2023 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Folgezeitraum vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2023 und berücksichtigte monatliche Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 525 € (Kaltmiete 285 €, kalte Betriebskosten 160 €, Heizkosten 80 €).

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2023 (Aktenzeichen W 34502-00189/23) verwarf der Beklagte den Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 16.12.2021 als unzulässig. Der Widerspruch sei außerhalb der Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben. Die Übersendung einer Zweitschrift mit Schreiben vom 07.11.2022 sei dem Beklagten nicht bekannt.

 

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 20.01.2023 (W 34502-02418/22) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.10.2022 zurück. Soweit dieser sich auf den Sofortzuschlag nach § 72 SGB II und die Höhe der Heizkosten beziehe, sei dieser unzulässig und im Übrigen unbegründet. In dem Bescheid vom 17.10.2022 habe der Beklagte nur die Leistungsbewilligung an die Klägerin für den Zeitraum vom 27.05.2022 bis zum 05.12.2022 geregelt. Die Höhe der laufenden Heizkosten sei Gegenstand des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 16.12.2021. Im Übrigen habe der Beklagte mehrfach versucht, die tatsächliche Höhe der Heizkostenabschläge zu ermitteln. Die Kläger hätten entsprechende Anfragen jedoch nicht beantwortet.

 

Am 20.02.2023 hat die im Widerspruchs- und hiesigen Klageverfahren mandatierte Bevollmächtigte dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen zwei identische Klageschriften übermittelt. Beide Klageschriften tragen im Betreff das Aktenzeichen W 34502-02418/22 und sind gegen „den Bescheid vom 17.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023“ gerichtet. Die Klage beschränke sich auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Für das Jahr 2022 seien höhere Heizkostenabschläge zu berücksichtigen. Der Beklagte sei gehalten gewesen, die Differenzierung zwischen Betriebs- und Heizkostenabschlägen durch Nachfrage beim Vermieter zu ermitteln. Gehe das Gericht von einer Zulässigkeit von Widerspruch und Klage im Parallelverfahren W 3402-00189/23 aus, liege doppelte Rechtshängigkeit vor. Diesbezüglich werde zu gegebener Zeit Stellung genommen. Der vom SG unter dem Aktenzeichen S 33 AS 271/23 erfassten Klageschrift waren der Bescheid vom 16.12.2021 und der den Bescheid vom 17.10.2022 betreffende Widerspruchsbescheid vom 20.01.2023 (W 34502-02418/22) beigefügt. Die zweite Klageschrift ist vom SG unter dem hier streitgegenständlichen Aktenzeichen S 33 AS 273/23 erfasst worden. Ihr waren der Bewilligungsbescheid vom 16.12.2021, der hierauf bezogene Widerspruchsbescheid vom 20.01.2023 (W 34502-00189/23) sowie das Schreiben des Beklagten vom 07.10.2022 über die Übersendung des Bescheides vom 16.12.2021 als Zweitschrift beigefügt. Der Beklagte hat in der Klageerwiderung darauf hingewiesen, dass die Klageschriften in den Verfahren S 33 AS 271/23 und S 33 AS 273/23 identisch seien, aber von einer unterschiedlichen Zielrichtung beider Verfahren auszugehen sei. In der Sache hat der Beklagte ausgeführt, dass die Kläger unzureichend bei der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt hätten und deshalb keine weiteren Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen seien. Mit Schriftsatz vom 08.03.2023 haben die Kläger erklärt, die hier streitgegenständliche Klage richte sich gegen den Bescheid vom 16.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 (W 34502-00189/23).

 

Mit Beschluss vom 16.05.2023 hat das SG die Bewilligung von PKH abgelehnt. Die Klage sei wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig. Der hier angefochtene Bescheid sei bereits Gegenstand des Verfahrens S 33 AS 271/23. Am 01.06.2023 haben die Kläger Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.05.2023 eingelegt. Das SG habe verkannt, dass die Verfahren S 33 AS 271/23 und S 33 AS 273/23 sich gegen unterschiedliche Bescheide richteten.

 

Am 19.07.2023 haben die Kläger dem Beklagten eine Mietbescheinigung vorgelegt, gemäß der sich die zu zahlenden Kosten für die Wohnung Poststr. 17 ab dem 01.12.2022 auf monatlich 635 € (Kaltmiete 285 €, Betriebskosten 160 €, Heizkosten 190 €) belaufen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

 

 

II.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht deshalb gemäß
§§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 2 c), 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750 € nicht übersteigt. Der Wert des Beschwerdegegenstands bemisst sich grundsätzlich danach, was dem Rechtsmittelführer versagt worden ist und was dieser mit seinem Rechtsmittel weiterverfolgt. Im vorliegenden Fall ist die Klage ausdrücklich auf die Bewilligung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II beschränkt. Der Senat geht in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte davon aus, dass die Kläger eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung ihrer tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung, jedenfalls aber in Höhe der in der Widerspruchsbegründung vom 02.11.2022 genannten Beträge begehren. Hier haben die Kläger ausgeführt, anstelle des vom Beklagten durchgehend berücksichtigten Betrages von 80 € sei ab dem 01.05.2022 ein Heizkostenabschlag i.H.v. 90 €, ab dem 01.06.2022 i.H.v. 190 € monatlich zugrundezulegen. Hieraus ergibt sich jedenfalls eine Differenz i.H.v. 780 € (1 x 10 € zuzüglich 7 x 110 €) zu den bislang vom Beklagten berücksichtigten Leistungen.

 

Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Kläger haben einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihrer Bevollmächtigten. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe (PKH), wenn er auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht dann, wenn der Kläger - bei summarischer Prüfung - in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streitgegenständlichen Fragen abschließend beantwortet werden können (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 7a m.w.N.).

 

Zunächst scheitert die Erfolgsaussicht der Klage noch nicht an ihrer fehlenden Zulässigkeit.

Insbesondere steht der Zulässigkeit der Klage keine anderweitige Rechtshängigkeit i.S.v. § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) entgegen. Die dem vorliegenden Beschwerdeverfahren zugrundeliegende erstinstanzliche Klage S 33 AS 273/23 war im Wege einer wertenden Auslegung und nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips von vornherein als Klage gegen den Ausgangsbescheid vom 16.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 und – abweichend vom Wortlaut der Klageschrift – nicht gegen den Änderungsbescheid vom 17.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 zu werten. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem - aber nicht nur - bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§§ 106 Abs. 1, 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage verfolgte Prozessziel, im Wege der Auslegung festzustellen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht. Bei Prozesserklärungen wie der Klageerhebung (§ 90, § 92 Abs.1 SGG) ist das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln. Dabei ist nach dem in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Allein der Umstand einer anwaltlichen Vertretung schließt eine an § 133 BGB orientierte, nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks haftende Auslegung des Begehrens nicht aus, jedenfalls wenn die gewählte Formulierung nicht eindeutig ist.  Auch in solchen Fällen ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auszulegen (vgl. zu alledem BSG, Beschluss vom 26.03.2025 – B 4 AS 102/23 B – juris, Rn. 7 – 11; Beschluss des Senats vom 21.05.2025 – L 7 AS 487/25 B ER –). Nach diesen Maßgaben war die hier streitgegenständliche Klage bereits bei ihrer Erhebung als Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 anzusehen, so dass die spätere Erklärung der Kläger vom 08.03.2023 als Klarstellung und nicht etwa als Klageänderung i.S.v. § 99 SGG oder als neue Klageerhebung anzusehen ist. Zwar waren beide am 20.02.2023 beim SG Gelsenkirchen eingegangenen Klagen bei buchstäblicher Berücksichtigung der in ihnen formulierten Anträge gegen den Bescheid vom 17.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 gerichtet. Bereits aus der Klagebegründung, in der die Kläger auf ein gegen den Bescheid vom 16.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 anhängig gemachtes Parallelverfahren verwiesen haben, wird jedoch deutlich, dass die Kläger gegen beide Bescheide Klage erhoben wollten. Weiter waren der hiesigen Klage im Gegensatz zu dem unter dem Aktenzeichen S 33 AS 271/23 geführten Verfahren der auf den Bescheid vom 16.12.2021 bezogene Widerspruchsbescheid sowie das Schreiben vom 07.10.2022 über die Übersendung einer „Zweitschrift“ beigefügt. Die Beifügung dieser Bescheide und die unterschiedliche Ausgestaltung der Anlagen hätte indes keinen Sinn ergeben, wenn die Kläger zwei Klagen gegen den Bescheid vom 17.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2023 beabsichtigt hätten.

 

Weiter scheitert die Zulässigkeit der von den Klägern erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage i.S.v. 54 Abs. 4 SGG nicht daran, dass der Beklagte den Widerspruch als unzulässig verworfen hat, ohne in der Sache zu entscheiden. Auch wenn eine Behörde den Widerspruch eines Leistungsempfängers wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen hat, ist das erforderliche Vorverfahren i.S.v. § 78 SGG durchgeführt. Besondere Anforderungen an die Durchführung eines Vorverfahrens, insbesondere hinsichtlich des Prüfungsumfangs, stellt § 78 Abs. 1 SGG nicht, weil andernfalls die Zulässigkeit der Klage des Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts von der Rechtmäßigkeit des weiteren Verhaltens der Behörde bzw. der zuständigen Widerspruchsbehörde abhängig wäre (BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 151/10 R – juris, Rn. 9, Beschluss des Senats vom 16.12.2021 –  L 7 AS 185/21 B –).

 

Auch im Übrigen bietet die Klage nach summarischer Prüfung eine hinreichende Erfolgsaussicht. Zunächst steht einem Anspruch der Kläger auf höhere Leistungen keine Bindungswirkung des Bescheides vom 16.12.2021 i.S.v. § 77 SGG entgegen. Zu Unrecht hat der Beklagte den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch der Kläger als verfristet angesehen und damit als unzulässig verworfen. Geht man davon aus, dass der Bescheid vom 16.12.2021 den Klägern – wie von ihnen vorgetragen – erstmals mit dem Begleitschreiben vom 07.10.2022 i.S.v. § 37 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bekanntgegeben worden ist, ist die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne Weiteres gewahrt. Einen früheren Zugang des Bescheides hat der Beklagte nicht nachgewiesen. Bereits ein einfaches Bestreiten des Zugangs durch den Adressaten führt zu einer Nachweispflicht der Behörde, denn anders als bei einem behaupteten verspäteten Zugang ist es dem Adressaten gar nicht möglich, den Nichtzugang eines Schreibens näher darzulegen (vgl. zur Beweislast bei „einfachem Bestreiten“ des Zugangs und nicht förmlicher Zustellung BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R – juris, Rn. 17; Beschluss des Senats vom 16.12.2021 – L 7 AS 185/21 B –; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2008 – L 8 AS 5579/07 – juris, Rn.22 ). Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X kann hier bereits deshalb keine Anwendung finden, weil der Beklagte nach dem Erlass des Bescheides am 16.12.2021 nicht in den Akten vermerkt hat, diesen zur Post aufgegeben zu haben (vgl. auch hierzu BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R – juris, Rn. 17).

 

Erfolgsaussichten bestehen auch in der Sache. Es liegt nahe, dass die von den Klägern im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2022 bis zum 31.12.2022 tatsächlich zu entrichtenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht mit den vom Beklagten berücksichtigten Beträgen übereinstimmen. Bereits aus dem von den Klägern zur Verwaltungsakte gereichten Schreiben des Vermieters vom 10.05.2022 mit dem Betreff „Anpassung Heizkostenvorauszahlung“ geht eine Anpassung der Abschläge von 90 € auf 190 € ab dem 01.06.2022 hervor. In dem weiteren Schreiben des Vermieters vom 11.08.2022 heißt es, die „Betriebskostenvorauszahlungen“ (ggf. die kumulierten Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten?) würden von 330 € auf 412 € erhöht. Damit spricht viel dafür, dass die von den Klägern zu entrichtenden Heizkostenabschläge jedenfalls über den vom Beklagten berücksichtigten Betrag von monatlich 80 € lagen. Inwieweit die vom Vermieter in Rechnung gestellten Beträge den Betriebskosten oder den Heizkosten zuzurechnen und wie hoch die von den Klägern zu zahlenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Streitzeitraum damit tatsächlich waren, wird im erstinstanzlichen Verfahren zu ermitteln sein.

 

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe liegen vor.

 

Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

 

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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