Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. April 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung für eine ambulante Psychotherapie.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie wohnte im Streitzeitraum in der W.-straße in P., einer an N. angrenzenden Gemeinde.
Ausweislich eines Telefonvermerks der Beklagten teilte die Klägerin ihr am 19. Juli 2021 mit, dass sie sich um einen Therapieplatz für eine Psychotherapie bemüht habe. Sie habe sieben Absagen erhalten und auch schon die Terminservicestelle (TSS) kontaktiert. Sie wolle einen Antrag auf Kostenerstattung stellen. Die Beklagte teilte ihr mit, dass das grundsätzlich möglich sei. Ein Systemversagen müsse allerdings nachgewiesen werden.
In der Zeit vom 16. Juli 2021 und 11. August 2021 führte die Klägerin bei der nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin M. A. (mit Sitz in N.) fünf probatorische Sitzungen durch. Am 22. Juli 2021 schloss die Klägerin eine formularmäßige Honorarvereinbarung mit Frau A. ab. Am 12. August 2021 begann die Klägerin eine Langzeit-Verhaltenstherapie bei Frau A..
Mit einem formularmäßigen Schreiben, das den 5. August 2021 als Datum trägt, aber ausweislich eines von der Beklagten eingereichten Screenshots erst am 8. September 2021 bei ihr einging, beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine ambulante Psychotherapie durch Frau A.. Sie führte aus, sich bei mehreren zugelassenen Psychotherapeuten erfolglos um einen Therapieplatz bemüht zu haben und trug sechs Therapeutinnen aus N. in die Liste des Antragsformulars ein. Diese hätten aktuell keine freien Plätze bzw. eine geschlossene Warteliste mitgeteilt.
Die Klägerin reichte bei der Beklagten auch eine „Bescheinigung über die Dringlichkeit einer psychotherapeutischen Behandlung“ des Facharztes für Allgemeinmedizin, Psychotherapie Y. vom 17. August 2021 ein, wonach aufgrund der Diagnose „F50.9“ (Essstörung) eine ambulante Verhaltenstherapie empfohlen werde. Eine längere Wartezeit könne aufgrund der Erkrankung nicht in Kauf genommen werden.
Mit Bescheid vom 8. September 2021 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Therapeutin keine Kassenzulassung besitze. Die Klägerin könne eine psychotherapeutische Sprechstunde in Anspruch nehmen, in der eine individuell geeignete Therapie empfohlen werde. Hilfe bei der Terminvergabe leiste die TSS der Kassenärztlichen Vereinigung (KV).
Am 20. September 2021 nahm die Klägerin bei der Psychotherapeutin E. in N. eine psychotherapeutische Sprechstunde wahr. In einer Verordnung vom selben Tage führte diese aus, dass eine ambulante Psychotherapie als Verhaltenstherapie zeitnah erforderlich sei. Diese Therapie könne (aus Kapazitätsgründen) nicht in ihrer Praxis erfolgen.
Danach erkundigte sich die Klägerin bei der TSS, die ihr einen Termin bei einer Psychotherapeutin in Z. für eine Akutbehandlung vermittelte. Die Klägerin kontaktierte diese Therapeutin in der Folge nicht. An den Namen der Therapeutin kann sich die Klägerin nicht mehr erinnern.
Die Klägerin legte am 27. September 2021 Widerspruch gegen den Bescheid vom 8. September 2021 ein. Sie führte aus, die im Bescheid erwähnte psychotherapeutische Sprechstunde diene einzig der diagnostischen Klärung und der Empfehlung zum weiteren Vorgehen. In ihrem Fall sei bereits eine krankheitswertige Störung bekannt und eine Richtlinien-Psychotherapie empfohlen worden, wie sich aus der Dringlichkeitsbescheinigung des Y. ergebe. Die TSS könne ihr trotz einer Dringlichkeitsbescheinigung und Durchführung einer psychotherapeutischen Sprechstunde keinen Therapieplatz, sondern nur eine Akutbehandlung anbieten. Diese ersetze jedoch keine Richtlinien-Psychotherapie, die in ihrem Fall erforderlich und vom Hausarzt und der Psychotherapeutin empfohlen worden sei. Den Vorschlag, eine durch die TSS vermittelte Akutbehandlung aufzunehmen, lehne sie ausdrücklich ab. Sie habe sich ausreichend bemüht, einen zugelassenen Psychotherapeuten zu finden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auch wenn per Definition bei der Akutbehandlung eine Stabilisierung von Patienten in akuten Krisensituationen zu Beginn der Behandlung im Vordergrund stehe, könne diese je nach Verlauf kurzfristig auch als Kurz- oder Langzeittherapie mit der Therapieform einer Verhaltenstherapie fortgeführt werden. Die Ausbildung der Psychotherapeuten sei so breit aufgestellt, dass die Therapie (zumal in Kenntnis der Ergebnisse der Sprechstunde vom 20. September 2021) unmittelbar mit einer für die Klägerin geeigneten Therapieform und mit den individuell für sie erforderlichen Therapieinhalten beginnen könnte. Eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung durch zugelassene Therapeuten sei daher insgesamt sichergestellt. Die Einwände wegen der bestehenden Wartezeit könnten nicht berücksichtigt werden. Auch wenn die vorgeschlagenen Vertragstherapeuten erst nach einigen Monaten einen Therapieplatz zur Verfügung stellen könnten, rechtfertige dies noch nicht die Annahme eines Systemversagens. Durch das konkrete Vermittlungsangebot der TSS könne der Hinweis auf Wartezeiten nicht durchgreifen. Die Beklagte könne und wolle die Klägerin nicht zu einer Akutbehandlung drängen. Aber selbst für den Fall, dass die Klägerin den Beginn einer vertraglichen Therapie als Akutbehandlung wegen inhaltlicher Bedenken nicht habe durchführen wollen, könne daraus kein Anspruch auf die Kostenübernahme einer Nichtvertragstherapeutin erwachsen. In diesem Fall hätte die TSS entsprechend der festgestellten Dringlichkeit des Behandlungsbeginns für die Klägerin eine Vermittlung als „zeitnah erforderlich“ binnen vier Wochen vorgenommen. Aufgrund des in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorherrschenden Sach- und Dienstleistungsgebotes hätte die Klägerin die Vermittlung über die TSS weiterverfolgen müssen; ein Ausweichen auf eine selbst beschaffte, nicht zur vertraglichen Versorgung zugelassene Therapeutin sei nicht zulässig.
Mit E-Mail vom 2. Dezember 2021 bat die Klägerin sinngemäß um Überprüfung der Entscheidung zur Genehmigung der ambulanten Psychotherapie bei Frau A.. Sie fühle sich bei der Therapeutin wohl, die ihr nach Jahren des Erkrankungsbildes geholfen habe.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2021 teilte die Beklagte mit, dass das Verfahren durch den Widerspruchsbescheid vom 23. November 2021 abgeschlossen sei. Sie könne dagegen Klage erheben.
Mit Schreiben vom 6. November 2022, bei der Beklagten am 10. November 2022 eingegangen, wandte sich die Mutter der Klägerin an die Beklagte. Sie schilderte die persönliche Situation der Klägerin und bat darum, eine Kostenübernahme der dringend notwendigen weiteren Traumatherapie durch Frau A. zu prüfen. Nach Ablehnung des Antrags aus August 2021 seien die Kosten bisher privat übernommen worden. Eine erneute wochenlange Suche nach einem Warteplatz für eine Psychotherapie sei nicht zumutbar.
Mit Bescheid vom 17. November 2022 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Die Kostenübernahme setze eine Kassenzulassung der Therapeutin voraus, die nicht vorliege. Die Beklagte verwies erneut auf die psychotherapeutische Sprechstunde und die Terminvermittlung durch die TSS.
Dagegen legte die Klägerin am 15. Dezember 2022 Widerspruch ein und führte aus, eine medizinisch unaufschiebbare Leistung habe nicht rechtzeitig durch die Beklagte erbracht werden können. Sie sei wegen des akuten Behandlungsbedarfs gezwungen gewesen, den Bedarf selbst zu decken und sich in die selbstfinanzierte Therapie zu begeben. Sie habe zum Zeitpunkt der Antragstellung keinen Führerschein gehabt und wäre auch erkrankungsbedingt nach den Therapiesitzungen nicht in der Lage gewesen, selbstständig nach Hause zu fahren. In der Gesamtbetrachtung von Alter und Erkrankung sei sie lediglich zumutbar auf den Einzugsbereich P.-Pech und N. zu verweisen und weitere Anfahrtswege seien für sie nicht zumutbar gewesen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2023 zurück. Die Klägerin habe das Angebot einer psychotherapeutischen Sprechstunde nicht wahrgenommen. Deshalb hätten auch keine probatorischen Sitzungen vermittelt werden können. Eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung durch zugelassene Therapeuten im Umkreis von N. sei insgesamt sichergestellt. Ein Notfall der „Ersten Hilfe“ bei unmittelbarer Gefahr für Leib oder Leben habe nicht vorgelegen.
In einem Schreiben vom 23. Juni 2023 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass über ihren am 2. Dezember 2021 konkludent gestellten Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) noch nicht entschieden worden sei.
Mit Bescheid vom 26. Juni 2023 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 8. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte in einem weiteren Widerspruchsbescheid vom 8. August 2023 zurück. Eine Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheides komme nicht in Betracht, da die Klägerin keinen Kostenerstattungsanspruch habe. Frau A. sei keine zugelassene Psychotherapeutin. Der Klägerin sei von der TSS eine Akutbehandlung vorgeschlagen worden, die zumutbar gewesen sei. Im Übrigen wiederholte die Beklagte den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021.
Gegen beide Widerspruchsbescheide vom 8. August 2023 hat die Klägerin am 16. August 2023 Klage zum Sozialgericht Köln (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen.
Die Klägerin hat im Klageverfahren Rechnungen der Diplom-Pädagogin A. über Psychotherapiesitzungen und ergänzende Leistungen für den Zeitraum vom 16. Juli 2021 bis 24. Februar 2024 über einen Gesamtbetrag vom 10.905,21 Euro eingereicht. Auf diese wird verwiesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. November 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 und unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Juni 2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 zu verurteilen, den Bescheid vom 8. September 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 zurückzunehmen und ihr Kosten für eine außervertragliche Psychotherapie bei der Diplom-Pädagogin und Kinder- und Jugendpsychotherapeutin M. A. in Höhe von 10.905,51 Euro zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 4. April 2024 abgewiesen. Die Psychotherapeutin Frau A. sei nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen. Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung sei die Notwendigkeit einer sofortigen Behandlung mittels Verhaltenstherapie nicht gegeben gewesen. Dass es der Klägerin unmöglich gewesen wäre, eine zumutbare Wartezeit von ein bis drei Monaten bei einem Vertragsbehandler hinzunehmen, sei nicht feststellbar. Die erforderliche Kausalität zwischen der Ablehnung der Beklagten und der Selbstbeschaffung liege ebenfalls nicht vor. Die Klägerin habe bereits vor der Entscheidung der Beklagten mit der Behandlung begonnen. Die psychotherapeutische Behandlung sei insoweit als einheitliches Behandlungskonzept anzusehen. Die Klägerin habe im weiteren Verlauf keinerlei Bemühungen mehr dargelegt und belegt, eine/n Vertragsbehandler/in zu finden. Sie habe die TSS nicht mehr zur Vermittlung eines Termins kontaktiert. Derjenige, der wegen eines Systemversagens einen nicht zugelassenen Leistungserbringer in Anspruch nehmen wolle, müsse sich zuvor bei seiner Krankenkasse nach den in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen des vertragsärztlichen Systems erkundigen, um so der Krankenkasse Gelegenheit zu geben, ihm Behandlungsalternativen aufzuzeigen.
Gegen das ihr am 3. Mai 2024 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. Mai 2024 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrags ergänzend aus, dass ein dringender Behandlungsbedarf bestanden habe, der auch eine stationäre Behandlung hätte notwendig machen können. Sie sei massiv belastet gewesen, von Seiten der Beklagten habe sie keine dem Alter und der Erkrankung entsprechende Unterstützung erfahren. Die sie behandelnden Ärzte hätten alle bestätigt, dass die von der TSS angebotene Akutbehandlung nicht die adäquate Behandlungsform gewesen wäre. Insoweit sei von einem Systemversagen auszugehen. Sie habe im Juli 2021 erfolglos etwa acht bis zehn Therapeuten kontaktiert. Sie habe sich auch danach (im Januar 2022) um weitere Plätze bemüht. Die Beklagte habe ihr als Minderjährige ein Formular zur Verfügung gestellt, bei dem sie den vorgegebenen sechs Spalten habe entnehmen müssen, dass nach sechs Versuchen, einen geeigneten Therapeuten zu finden, von einem Systemversagen auszugehen sei. Zudem seien auch die örtlichen Umstände zu berücksichtigen. Wegen ihrer Minderjährigkeit sei der für sie erreichbare Radius entsprechend kleiner zu setzen gewesen. Sie sei nicht vor Zugang des Ablehnungsbescheides auf die Behandlung bei einer Nichtvertragsbehandlerin festgelegt gewesen. Sie hätte eine Behandlung in der Praxis E. im September 2021 aufgenommen, wenn es dort Kapazitäten gegeben hätte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. April 2024 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. November 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 sowie des Bescheides vom 26. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 zu verpflichten, den Bescheid vom 8. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten für die bei der Diplom-Pädagogin A. durchgeführte ambulante Psychotherapie im Umfang von 10.905,21 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil. Ergänzend führt sie aus, dass Versicherte bereits ab dem vollendeten 15. Lebensjahr das Recht haben, eigene Anträge zu stellen. Vor diesem Hintergrund habe sie sich nicht gedrängt fühlen müssen, die Erziehungsberechtigten der seinerzeit noch minderjährigen Klägerin über das Antragsgeschehen zu informieren. Es treffe zu, dass im Laufe der Antragsbearbeitung ein sog. Dringlichkeits-Code zur Verfügung gestellt worden sei. Dieser Code wirke aber nicht primär in Richtung der Beklagten, sondern habe einzig den Zweck, bei der TSS eine bevorzugte Vermittlung in eine Akutbehandlung anzustoßen. In dieser Akutbehandlung werde dann eruiert, welche genaue (vertraglich zugelassene) Therapieform erforderlich sei, wie dringlich der Behandlungsbeginn ggf. sei und welche zeitliche Dauer die Behandlung vermutlich in Anspruch nehme werde. Die Vermittlung durch die TSS in probatorische Sitzungen bzw. in eine Akutbehandlung in Abhängigkeit von den in der Erstsprechstunde getroffenen Feststellung zum Krankheitsbild stelle also keine Fehlleistung dar, dieses Verfahren sei vielmehr so ausdrücklich vorgesehen. Die Vermittlung über die TSS sei insoweit keine frei wählbare Option für die Versicherten. Soweit eine stationäre Behandlung erforderlich gewesen wäre, könne nur auf die vielfältigen stationären Behandlungsangebote verwiesen werden. Es liege auch kein Systemversagen vor. Da die Klägerin den vorgesehenen Weg in die Vermittlung über die TSS nicht bzw. nicht vollständig genutzt habe, habe das System der GKV seine Leistungsfähigkeit nicht zeigen können.
Der Senat hat zur Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte von Y. (23. Oktober 2024), Frau E. (21. Oktober 2024) und Frau A. (28. Oktober 2024) sowie ergänzende Stellungnahmen von Frau E. (3. Februar 2025) und Frau A. (17. März 2025) angefordert. Auf den Inhalt der Berichte wird Bezug genommen. Am 22. Januar 2025 hat der Senat einen Erörterungstermin durchgeführt und die Klägerin angehört. Auf die entsprechende Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
A. Streitgegenständlich ist neben dem Urteil des SG vom 4. April 2024 einerseits der Antrag der Klägerin vom 8. September 2021 und damit der Bescheid vom 26. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023, der auf Rücknahme des Bescheides vom 8. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 und entsprechende Kostenerstattung für die bei Frau A. durchgeführte ambulante Psychotherapie im Umfang von 10.905,21 Euro gerichtet ist. Andererseits sind Gegenstand des Verfahrens der Neuantrag der Klägerin vom 10. November 2022 und der Bescheid vom 17. November 2022 in der Gestalt des weiteren Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023, der auf Erstattung der Therapiekosten für die Zeit ab dem 10. November 2022 gerichtet ist.
B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Diese sind zulässig, aber unbegründet.
I. Der Bescheid vom 26. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Darin hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 8. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 zurückzunehmen und der Klägerin Kosten für die bei Frau A. durchgeführte ambulante Psychotherapie im Umfang von 10.905,21 Euro zu erstatten.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat im Bescheid vom 8. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021 weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Der Klägerin steht insoweit weder aus § 13 Abs. 3a Satz 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) (dazu 1.) noch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V (dazu 2.) ein Kostenerstattungsanspruch zu.
1. Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich nicht infolge einer Genehmigungsfiktion aus § 13 Abs. 3a SGB V. Danach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang zu entscheiden, wenn – wie hier – der Medizinische Dienst nicht eingeschaltet wird (Satz 1). Kann die Krankenkasse diese Frist nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).
a. Die Beklagte hat die Drei-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V eingehalten. Diese Frist beginnt nach § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am auf den Auftragseingang folgenden Tag, hier am 9. September 2021, und endet mit dem Ablauf des Tages, der nach seiner Benennung dem Tag des Antragseingangs entspricht, hier am 29. September 2021. Die Entscheidung der Beklagten erfolgte aber schon am 8. September 2021. Den Bescheid hat die Klägerin ausweislich des am 27. September 2021 verfassten Widerspruchsschreibens auch innerhalb der Drei-Wochen-Frist erhalten.
Ein früherer Zugang des Antrags als am 8. September 2021 kann nicht festgestellt werden. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren einen Nachweis durch einen Screenshot vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass der Antrag erst an diesem Tag bei ihr eingegangen ist. Gegenteiliges kann der Verwaltungsakte nicht entnommen werden. Die Klägerin hat eine frühere Antragstellung nicht nachgewiesen. Sie trägt nach § 44 Abs. 1 SGB X ohnehin die objektive Beweislast für den Nachweis der Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Bescheides (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 10. Dezember 1985 - 10 RKg 14/85 - juris, Rn. 23; BSG, Urteil vom 25. Juni 2002 - B 11 AL 3/02 R - juris, Rn. 17) und damit auch die objektive Feststellungslast für die Nichterweislichkeit einer früheren Antragstellung bei der Beklagten.
b. Selbst, wenn man auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, den telefonischen Kontakt am 19. Juli 2021, abstellen würde, käme eine Genehmigungsfiktion nicht in Betracht. Im Zusammenhang mit der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V kommt dem Leistungsantrag eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung zu (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 2022 - B 1 KR 9/22 R - juris, Rn. 35; BSG, Urteil vom 26. Februar 2019 - B 1 KR 18/18 R - juris, Rn. 19). Die Genehmigungsfiktion kann nur greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrages fingierte Genehmigung ihrerseits hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X ist. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (BSG, Urteil vom 11. September 2018 - B 1 KR 1/18 R -, BSGE 126, 258 ff., Rn. 17). Ein Antrag ist im Regelfall bereits dann hinreichend bestimmt, wenn das Behandlungsziel eindeutig ist, auch wenn mehrere Möglichkeiten zur Erfüllung der Leistungspflicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juli 2017 - B 1 KR 26/16 R -, BSGE 123, 293 ff., Rn. 18). Das telefonische Begehren der Klägerin am 19. Juli 2021 kann nicht als hinreichend bestimmter Antrag im voranstehenden Sinne ausgelegt werden. Weder hat die Klägerin eine Therapie bei Frau A. beantragt, noch hat sie konkret dargelegt, in welcher Form und in welchem Umfang eine Psychotherapie erfolgen soll. Dies konnte sie auch nicht, weil die probatorischen Sitzungen erst am 11. August 2021 abgeschlossen waren und erst zu diesem Zeitpunkt die Notwendigkeit einer Langzeit-Verhaltenstherapie seitens der Behandlerin festgestellt wurde.
c. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht, wenn man zu Gunsten der Klägerin annehmen würde, dass der hinreichend bestimmte Antragsvordruck am 5. August 2021 bei der Beklagten eingegangen ist. Eine Versicherte, die schon vor Ablauf der maßgeblichen Entscheidungsfristen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die Krankenkasse aufgrund einer Genehmigungsfiktion (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 - B 1 KR 3/20 R -, BSGE 131, 94 ff., Rn. 11 ff.; BSG, Urteil vom 25. März 2021 - B 1 KR 22/20 R - juris, Rn. 18 f.). So läge der Fall hier. Durch den Beginn der Verhaltenstherapie am 12. August 2021 – und damit noch vor Ablauf der unterstellten Drei-Wochen-Frist zum 26. August 2021 – hätte sich die Klägerin auf die Therapie vorfestgelegt.
2. Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach hat die Krankenkasse dem Versicherten Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, die dadurch entstanden sind, dass sie eine unaufschiebbare Leistung entweder nicht rechtzeitig erbringen konnte (Var. 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war (Var. 2). Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c SGB V erfüllt (§ 13 Abs. 3 Satz 3 SGB V). Zwar ist der Tatbestand nach § 13 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 95c SGB V in Bezug auf Frau A. erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Die Voraussetzungen nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V liegen indes nicht vor.
Ob eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 SGB V vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 24. April 2018 - B 1 KR 29/17 R - juris, Rn. 22), der Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 SGB V zu verneinen ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris, Rn. 9; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 1 KR 31/07 R - juris, Rn. 14) oder die Entscheidung der Beklagten vom 8. September 2021 eine Zäsur markiert, die einen fehlenden Ursachenzusammenhang überwinden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 3. August 2006 - B 3 KR 24/05 R - juris, Rn. 22; BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R - juris, Rn. 13 f.), kann der Senat letztlich dahinstehen lassen, weil der Anspruch am fehlenden Sachleistungsanspruch scheitert. Ein Anspruch setzt nach beiden Regelungsalternativen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 -, BSGE 79, 125 ff., Rn. 12; BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 24/06 R -, BSGE 97, 190 ff., Rn. 11; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -, BSGE 98, 26 ff., Rn. 9). Das ist hier nicht erfüllt. Eine Behandlung durch die Diplom-Pädagogin A. musste die Beklagte nicht als Sachleistung gewähren, weil diese nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen ist (dazu a.), kein Notfall vorlag (dazu b.) und ein Systemversagen nicht nachgewiesen ist (dazu c.).
a. Die Klägerin hatte grundsätzlich bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB V. Eine solche Behandlung konnte aber nur bei einem zur vertragsärztlichen oder vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Arzt oder Psychologischen Psychotherapeuten erfolgen. Denn nach § 76 Abs. 1 Satz 1 SGB V, der nach § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V u.a. für die Psychologischen Psychotherapeuten entsprechend gilt (BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R -, BSGE 97, 6 ff., Rn. 31), können die Versicherten unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b SGB V an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2 SGB V, den nach § 72a Abs. 3 SGB V vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 SGB V frei wählen. Andere Ärzte bzw. Psychotherapeuten dürfen nach § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Diplom-Pädagogin A. war im streitigen Zeitraum vom 16. Juli 2021 bis zum 23. Februar 2024 (unstreitig) nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen.
b. Ein Notfall, bei dem ausnahmsweise nicht zugelassene Ärzte oder Psychologische Psychotherapeuten in Anspruch genommen werden können, ist nicht gegeben. Ein Notfall liegt nur dann vor, wenn ein unvermittelt auftretender Behandlungsbedarf aus medizinischen Gründen sofort befriedigt werden muss und ein fachlich zuständiger Vertragsarzt nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R -, BSGE 98, 26 ff., Rn. 23). Das war hier nicht der Fall. Von einer solchen Situation gingen offensichtlich auch die Beteiligten nicht aus, denn in Notfällen werden von Nichtvertragsärzten erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet. Auch die psychotherapeutische Notfallbehandlung einer Versicherten bei einer nicht zugelassenen Therapeutin ist eine Naturalleistung der GKV. Der Vergütungsanspruch richtet sich dann nicht gegen die Versicherte, sondern allein gegen die KV (vgl. BSG, Urteil vom 8. September 2015 - B 1 KR 14/14 R - juris, Rn. 14). Dass die Beteiligten nicht von einem Notfall ausgingen, ergibt sich auch daraus, dass die Rechnungsstellung von Frau A. an die Klägerin bzw. ihre Eltern, nicht hingegen an die örtlich zuständige KV Nordrhein erfolgte.
c. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens zu. Ein solches kann nur angenommen werden, wenn mangels einer hinreichenden Zahl von Therapeuten eine Versorgunglücke besteht (BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R -, BSGE 97, 6 ff., Rn. 33). Ein Systemversagen setzt voraus, dass die Nachfrage der Versicherten der GKV nach psychotherapeutischen Leistungen in N. und Umgebung, wo die Klägerin ihren Wohnsitz hatte, im hier relevanten Zeitraum von Juli 2021 bis Februar 2024 durch zugelassene Leistungserbringer nicht vollständig befriedigt werden konnte (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R -, BSGE 97, 6 ff., Rn. 37). Dafür gibt es aber keine ausreichenden Anhaltspunkte.
aa. Ausweislich der Eintragungen auf der Homepage der KV Nordrhein (https://patienten.kvno.de/praxissuche) stehen zugelassene Psychologische Psychotherapeuten, psychotherapeutisch tätige Ärzte und Fachärzte für Psychotherapie in N. und Umgebung ausreichend auch im Hinblick auf die Gesundheitsstörungen bei der Klägerin zur Verfügung. So stehen derzeit 44 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, die Verhaltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen anbieten, in einem Umkreis von 25 km vom damaligen Wohnort der Klägerin aus zur Verfügung. Übliche Wartezeiten für die psychotherapeutische Behandlung bei zugelassenen Leistungserbringern sind regelmäßig zumutbar. Es bestand damit kein Versorgungsmangel, der es gerechtfertigt hätte, dass die Klägerin sich die erforderlichen psychotherapeutischen Leistungen bei Frau A. selbst beschaffte und dafür nunmehr Erstattung der Kosten verlangen kann.
bb. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Klägerin sich zu unterschiedlichen Zeiten (im Juli 2021 und Januar 2022) erfolglos bemüht hat, einen geeigneten Therapieplatz bei einer zugelassenen Psychotherapeutin zu finden.
(1) Der Senat geht zunächst davon aus, dass man Versicherten der GKV für den Nachweis eines Systemversagens nicht mehr abverlangen kann, eine bestimmte Anzahl von Therapeuten erfolglos kontaktiert zu haben (vgl. aber zur bisherigen Rechtsprechung: Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Urteil vom 18. April 2019 - L 1 KR 360/18 - juris, Rn. 20; LSG Hamburg, Beschluss vom 27. Juni 2022 - L 1 KR 50/22 B ER - juris, Rn. 12 f.; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2021 - L 26 KR 8/20 - juris, Rn. 27). Diese Pflicht ist spätestens zum 1. Januar 2022 überholt. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 6. Mai 2019 (BGBl. I, 646) hat der Gesetzgeber den jetzigen § 75 Abs. 1a Satz 14 SGB V ins Gesetz eingefügt. Aufgabe der TSS nach § 75 Abs. 1a Satz 3 Nr. 1 SGB V (in der seit dem 20. Juli 2021 geltenden Fassung) ist es, gesetzlich Versicherten innerhalb einer Woche einen Termin bei einem zugelassenen Leistungserbringer zu vermitteln. Die von den KV einzurichtenden TSS müssen nach § 75 Abs. 1a Satz 14 SGB V auch für psychotherapeutische Behandlungen (§ 28 Abs. 3 SGB V) Termine vermitteln. Dies gilt nicht nur für die Vermittlung des Erstgesprächs im Rahmen der psychotherapeutischen Sprechstunde, die der Abklärung des Krankheitsverdachts und der ggf. erforderlichen Hilfen dient und die grundsätzlich vor einer Psychotherapie in Anspruch zu nehmen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 3 der „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie)“, PT-RL), sondern auch hinsichtlich der sich aus der Abklärung ergebenden erforderlichen Behandlungstermine. Die konkrete Pflicht der TSS, auch probatorische Sitzungen zu vermitteln, besteht dabei erst seit dem 1. Januar 2022 (vgl. § 75 Abs. 1a Satz 11 und 14 SGB V i.V.m. § 2a Abs. 2 Nr. 3 der Anlage 28 Bundesmantelvertrag-Ärzte <BMV-Ä> in der Fassung vom 6. Dezember 2021). Bis zum 31. Dezember 2021 bestand nur die Pflicht zur Vermittlung eines psychotherapeutischen Erstgesprächs und einer Akutbehandlung (vgl. Knispel 2022, 785, 786; Barkow v. Creytz, MedR 2023, 593, 594).
Die Regelungen in § 75 Abs. 1a SGB V und Anlage 28 BMV-Ä haben zur Folge, dass nicht die Krankenkassen verpflichtet sind, den Versicherten ggf. eine Versorgungsmöglichkeit nachzuweisen; sie können vielmehr nachfragende Versicherte an die TSS verweisen. Die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist Aufgabe der KV, die die TSS betreibt. Daraus folgt, dass die Versicherten nicht mehr verpflichtet sind, eigeninitiativ eine Vielzahl von Therapeuten zu kontaktieren und nach freien Kapazitäten zu fragen (Knispel, NZS 2022, 785, 787; Barkow v. Creytz, MedR 2023, 593, 594). Sie können sich an die TSS wenden, dort entweder zunächst einen Termin für eine psychotherapeutische Sprechstunde zur Erlangung des Vordrucks PTV 11 erbitten oder falls dieser – wie hier – schon vorliegt, eine weitere geeignete Behandlung beantragen.
Die Klägerin hat dem entsprechend die zuständige TSS kontaktiert. Diese hat der Klägerin im September 2021 eine zumutbare Therapiemöglichkeit in Gestalt einer Akuttherapie in Z. angeboten (vgl. § 2a Abs. 2 Nr. 2 der Anlage 28 BMV-Ä), nachdem die Klägerin eine psychotherapeutische Sprechstunde bei Frau E. wahrgenommen hatte. Eine Pflicht zur Vermittlung von auch probatorischen Sitzungen bestand – wie erwähnt – erst seit dem 1. Januar 2022 und damit nicht für den hier streitigen Zeitraum. Da im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch die Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Bescheides zum Zeitpunkt seines Erlasses maßgeblich ist (hier: des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2021), kommt es auf die Rechtslage ab dem 1. Januar 2022 nicht an.
(2) Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Inanspruchnahme der angebotenen Akutbehandlung bei einer Therapeutin in Z. für sie inhaltlich, örtlich und zeitlich zumutbar. Im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer Therapie sind die tatsächlichen Vor-Ort-Verhältnisse, die bei der Arztsuche bestehen, die gesundheitlichen Einschränkungen, denen die Versicherte bei der Bewältigung der Wegstrecken zum und vom Arzt bzw. Psychotherapeuten ausgesetzt ist, sowie ihre persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. § 6 Abs. 5 der Anlage 28 BMV-Ä). Dabei besteht ein Unterschied zwischen der Versorgungslage im ländlichen Bereich und in einer Großstadt, in welchem sowohl die Arzt- bzw. Psychotherapeutendichte größer als auch die Verkehrsanbindung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) deutlich besser ist und in einem engeren Zeittakt besteht. Diese tatsächlichen Umstände wirken sich wiederum auf den Maßstab für die Zumutbarkeit aus (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 27. Juni 2022 - L 1 KR 50/22 B ER - juris, Rn. 11; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2021 - L 26 KR 8/20 - juris, Rn. 27). Im Großstadtbereich ist der Klägerin daher zumutbar, auch Therapeuten in Anspruch zu nehmen, die weder im nahen räumlichen Umfeld der Klägerin noch im Innenstadtbereich praktizieren, sondern auch am Stadtrand ihre Praxis betreiben (LSG Hamburg, Beschluss vom 27. Juni 2022 - L 1 KR 50/22 B ER - juris, Rn. 11). § 6 Abs. 1 der Anlage 28 BMV-Ä konkretisiert, welche Fahrzeit zumutbar ist. Danach ist für einen Termin bei einem Psychotherapeuten bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel der Zeitaufwand zum Aufsuchen des nächstgelegenen Therapeuten zuzüglich 30 Minuten maßgeblich. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Bewältigung einer einfachen Wegstrecke von bis zu einer Stunde nicht grundsätzlich unzumutbar (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 22/09 R - juris, Rn. 23 <zur Sonderbedarfszulassung und einem Versorgungsgebiet mit einem Radius von 25 km für die hausärztliche und allgemein fachärztliche Versorgung>; vgl. auch BSG, Urteil vom 17. März 2021 - B 6 KA 2/20 R - juris, Rn. 40 ff. <zur zumutbaren Fahrzeit von 45 Minuten bei einer spezialfachärztlichen Behandlung>; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. November 2021 - L 26 KR 8/20 - juris, Rn. 27).
Gemessen an diesen Vorgaben war das Angebot einer Akuttherapie in Z. für die Klägerin unter zeitlichen und örtlichen Gesichtspunkten zumutbar. Zwar verfügte die Klägerin bei Beginn der Therapie noch nicht über einen Führerschein und ein eigenes Auto, sie hätte aber ohne weiteres entweder den ÖPNV nutzen oder ihre Eltern darum bitten können, sie dorthin zu fahren und wieder zurückzufahren. Die Mutter der Klägerin war stets in die Bemühungen ihrer Tochter um einen Therapieplatz eingebunden und es spricht nichts dagegen, dass die Eltern sie nicht zu einer Therapie nach Z. hätten begleiten können. Gesundheitliche Einschränkungen, die der Nutzung des ÖPNV entgegengestanden hätten, liegen nicht vor. Dies ergibt sich auch nicht aus den von den Ärzten und Therapeuten genannten Diagnosen (Essstörung, Anorexia nervosa, mittelgradige depressive Störung). Die Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt die Schule beendet und ging nur einem Minijob nach, sodass sie auch zeitlich flexibel war. Dessen ungeachtet hat die Klägerin erklärt, bereits Anfang 2022 den Führerschein erworben und über ein eigenes Auto verfügt zu haben. Dieser Umstand war perspektivisch bereits im Herbst 2021 in die Überlegungen um einen Therapieplatz außerhalb Bonns mit einzubeziehen. Zwar hat die Klägerin nicht mitteilen können, wo genau die Therapeutin in Z. ihren Sitz hatte, auf die die TSS sie verwiesen hat. Von der damaligen Anschrift der Klägerin (W.-straße 25, P.) bis nach Z. (Hauptbahnhof/Innenstadt) sind es jedoch etwa nur ca. 30 Minuten Fahrzeit mit dem Auto bei einer Wegstrecke von 21 km. Mit der Bahn sind es unter der Woche knapp 60 Minuten Fahrzeit, was zumutbar ist. Im Übrigen geht es zu Lasten der Klägerin, dass sie sich den Namen der Therapeutin nicht notiert hat und der Senat infolgedessen die konkrete Entfernung von ihrem damaligen Wohnort zum Sitz der Therapeutin in Z. nicht ermitteln kann. Insoweit sind die Grundsätze der Beweisvereitelung anwendbar, weil die Klägerin die an sich mögliche Beweisführung schuldhaft durch faktisches Handeln bzw. pflichtwidriges Unterlassen unmöglich gemacht hat (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 18a m.w.N.). Im Übrigen wirkte sich auch hier die Nichtfeststellbarkeit einer zumutbaren Therapiemöglichkeit in Z. nach den Grundsätzen der objektiven Feststellungslast im Rahmen des § 44 Abs. 1 SGB X zu Lasten der Klägerin aus.
Die Klägerin durfte das Angebot einer Akuttherapie auch nicht deshalb ablehnen, weil dies der aus ihrer Sicht falsche (inhaltliche) Therapieansatz gewesen wäre. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Akuttherapie nicht nur eine Stabilisierung erreicht werden soll, sondern nach Klärung der notwendigen Therapie eine Fortführung der Akuttherapie als Kurz- oder Langzeittherapie mit der Therapieform einer Verhaltenstherapie in Betracht gekommen wäre. Die Erkenntnisse aus dem psychotherapeutischen Erstgespräch vom 20. September 2021 hätten in diese Überlegungen mit einfließen können.
Die Geeignetheit der angebotenen Therapieform ergibt sich auch aus den Regelungen zur Akuttherapie nach § 13 PT-RL. Nach § 13 Abs. 1 PT-RL ist die Akutbehandlung eine zeitnahe psychotherapeutische Intervention im Anschluss an die Sprechstunde zur Vermeidung von Fixierungen und Chronifizierung psychischer Symptomatik. Sie hat zum Ziel, Patienten von akuter Symptomatik mit ambulanten psychotherapeutischen Mitteln zu entlasten. Die psychotherapeutische Akutbehandlung ist auf eine kurzfristige Verbesserung der Symptomatik des Patienten ausgerichtet. Sie strebt dabei keine umfassende Bearbeitung der zugrundeliegenden ätiopathogenetischen Einflussfaktoren der psychischen Erkrankung an, sondern dient der Besserung akuter psychischer Krisen- und Ausnahmezustände. Die Patienten, für die die Akutbehandlung nicht ausreichen, sollen so stabilisiert werden, dass sie auf eine Behandlung nach § 15 vorbereitet sind oder dass ihnen andere ambulante, teilstationäre oder stationäre Maßnahmen empfohlen werden können. Nach § 13 Abs. 2 Halbsatz 1 PT-RL ist die Akutbehandlung als Einzeltherapie in Einheiten von mindestens 25 Minuten bis zu 24 Mal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 600 Minuten) durchzuführen. Diese Regelungen zeigen, dass es nicht nur um die Bewältigung akuter psychischer Krisen und Ausnahmezustände geht, sondern gerade auch um eine Stabilisierung bis zum Beginn einer Therapie nach § 15 PT-RL, zu der auch die Verhaltenstherapie gehört. Die Dauer der Akuttherapie mit einem Gesamtkontingent von 600 Minuten hilft ferner dabei, die Zeit auf der Warteliste zu überbrücken. Es ist vor diesem Hintergrund zumutbar, zunächst einmal eine durch die Akutbehandlung ermöglichte „Krisenintervention“ im Rahmen des GKV-Systems in Anspruch zu nehmen, anstatt vorschnell einen nicht zugelassenen Behandler aufzusuchen (Knispel 2022, 785, 787). Wenn die Versicherte – wie hier – dem GKV-System keine Chance einräumt, eine angemessene und ausreichende Versorgung zur Verfügung zu stellen, kann sie sich nicht auf ein Systemversagen berufen. Dann ist es auch unzulässig, bestehende Wartezeiten geltend zu machen. Denn dieser Einwand ließe unberücksichtigt, dass die in einer Akuttherapie festgestellte Dringlichkeit bei der weiteren therapeutischen Planung und Vermittlung im Sinne der Klägerin hätte genutzt werden können. Gerade aufgrund des in der GKV vorherrschenden Sach- und Dienstleistungsgebotes hätte die Klägerin die Vermittlung über die TSS weiterverfolgen müssen; ein Ausweichen auf eine selbst beschaffte, nicht zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassene Therapeutin war vor diesem Hintergrund nicht zulässig. Dies hatte die Beklagte der Klägerin mehrfach fernmündlich am 19. Juli 2021 und 8. September 2021 sowie im Widerspruchsbescheid vom 23. November 2021 ausführlich dargelegt und insbesondere auf die im Rahmen der Akuttherapie zu eruierenden weiteren Therapieoptionen hingewiesen. Eine unzureichende Beratung durch die Beklagte – auch wenn es nicht entscheidungserheblich darauf ankommt – kann der Senat vor diesem Hintergrund nicht erkennen.
Ein Systemversagen kann auch nicht auf eine durch Suizidalität begründete Eilbedürftigkeit gestützt werden. Eine akute Suizidalität lag bei der Klägerin nicht vor. Frau E. hat dies auf Anfrage des Senats ausdrücklich verneint. Keiner der Ärzte und Therapeuten hat eine entsprechende Diagnose gestellt. Frau A. hat nur von einer latenten Suizidalität gesprochen und ausgeführt, dass die Klägerin sich von akuter Suizidalität eindeutig und glaubhaft distanziert habe. Dessen ungeachtet liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die latente Suizidalität nicht ebenso gut im Rahmen einer Akuttherapie hätte behandelt werden können.
II. Der Bescheid vom 17. November 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2023 ist ebenfalls rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Aus den oben dargelegten Gründen hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, der Klägerin die weiteren Therapiekosten für die bei Frau A. durchgeführte ambulante Psychotherapie für die Zeit ab dem 10. November 2022 zu erstatten.
Hinsichtlich der Annahme eines Systemversagens gab es zwar seit dem 1. Januar 2022 die Pflicht für die TSS, auch probatorische Sitzungen zu vermitteln. Diese Option stellte sich für die Klägerin aber im November 2022 nicht mehr. Doch selbst, wenn man annehmen würde, dass die TSS die Klägerin in eine andere Langzeit-Verhaltenstherapie hätte vermitteln müssen, scheiterte die Annahme eines Systemversagens daran, dass die Klägerin die TSS vor und nach dem Neuantrag am 10. November 2022 nicht mehr kontaktiert hat. Nur wenn die TSS eingeschaltet wird, ein rechtzeitiger Termin aber nicht vermittelt werden kann, käme ein Systemversagen überhaupt in Betracht (Barkow v. Creytz, MedR 2023, 593, 595).
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
D. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht.