1. Hat die Behörde einen Antrag auf Rücknahme des Ausgangsverwaltungsaktes nach § 44 SGB X abgelehnt, so wird ein Verwaltungsakt, der den Ausgangsverwaltungsakt für spätere Zeiträume abändert oder ersetzt, nicht gemäß § 86 oder § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 44 SGB X beurteilt sich nämlich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus der Sicht im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung. Spätere Entwicklungen der Sach- und Rechtslage, die die Zeit nach Erlass des Ausgangsverwaltungsaktes betreffen, sind für die Entscheidung nach § 44 SGB X nicht von Belang.
2. Ein Bescheid nach § 48 Abs. 3 SGB X entfaltet Rechtswirkung nur mit Wirkung für die Zukunft nach Erlass dieses Bescheides und ersetzt oder ändert den Bescheid die Ablehnung der Rücknahme nach § 44 SGB X nicht.
3. Die Bindungswirkung (§ 77 SGG) einer zugunsten des Klägers zu Unrecht erfolgten Anerkennung der BK Nr. 2301 ist vom Gericht und von der Berufsgenossenschaft (BG) zu beachten.
4. Nicht vergleichbar ist die Situation daher mit Fallgestaltungen, in denen Leistungsansprüche aus einer bindend als BK- oder Unfallfolge festgestellten Gesund-heitsstörung erst aufgrund späterer Änderungen dieser Gesundheitsstörung bzw. ihrer funktionellen Auswirkungen im zeitlichen Verlauf erstmals zu Leistungsansprü-chen führen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2007 B 2 U 38/05 R juris, BSG, Urteil vom 10.10.2024 B 2 U 10/20 R).
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.12.2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 werden aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 dem Kläger ab 01.01.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten über die Folgen einer anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die Gewährung einer Verletztenrente in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Der im Jahre 1961 geborene Kläger (die Bezeichnung der Beteiligten aus dem erstinstanzlichen Verfahren wird beibehalten) war in seiner beruflichen Tätigkeit als Maurer von September 1977 bis September 2004 nach der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 16.12.2008 gehörschädigendem Lärm ausgesetzt. Mit Bescheid vom 02.12.2009 erkannte die Beklagte bei dem Kläger eine beidseits beginnende Schwerhörigkeit im Hochtonbereich als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV an. Die Gewährung einer Rente wurde jedoch abgelehnt, da aus der Berufskrankheit keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) resultiere. In den Gründen des Bescheides stützte sich die Beklagte auf ein Audiogramm vom 19.03.2007, das dem Ausscheiden aus der beruflichen Lärmexposition zeitlich am nächsten komme sowie auf das HNO-ärztliche Gutachten von M, O, vom 08.05.2009. Die erst nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition erstmals 2007 dokumentierten beiderseitigen Ohrgeräusche des Klägers seien bei der gutachterlichen Untersuchung am 10.02.2009 in verschiedenen Frequenzbereichen lokalisiert worden, was gegen eine berufliche Verursachung spreche.
Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2010 als unbegründet zurück.
Das anschließend beim Sozialgericht Nürnberg eingeleitete Klageverfahren (Az. S 15 U 102/10) endete, wie die beiden anderen Verfahren beim SG (Klagen wegen einer Hörgeräteversorgung und wegen der Entfernung einer beratungsärztlichen Stellungnahme aus den Akten) im Mai 2013 mit einem Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, den Bescheid vom 02.12.2009 nach § 44 SGB X hinsichtlich des Rentenanspruches zu überprüfen.
Diese Überprüfung führte zu dem Bescheid der Beklagten vom 18.07.2013, mit dem die Rücknahme des Bescheides vom 02.12.2009 nach § 44 SGB X hinsichtlich der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt wurde. In dem Bescheid wurde u. a. ausgeführt, dass ein zeitnah zum Lärmende (September 2004) erhobener Befund nicht vorliege, so dass auf ein Audiogramm vom 19.03.2007 als maßgebliches Bezugsaudiogramm zurückgegriffen werden müsse. Nach diesem Audiogramm liege eine beginnende Schwerhörigkeit vor, die mit einer MdE von 0 v.H. zu bewerten sei. Eine Berücksichtigung der erstmals ab März 2007 dokumentierten Ohrgeräusche beidseits komme nicht in Betracht, da ein Zusammenhang mit der Lärmtätigkeit nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden könne.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug u. a. vor, dass er bereits anlässlich eines stationären Aufenthaltes im Jahre 2001 über eine Tinnitus-Belastung geklagt hätte. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2014 zurückgewiesen. Darin wurde bezüglich der Ohrgeräusche ausgeführt, dass diese erfahrungsgemäß eher selten mit einer lediglich beginnenden Hörstörung vergesellschaftet seien. Zudem wären die bisherigen Verdeckungen in wechselnden Frequenzen erfolgt, so dass insgesamt mehr gegen einen durch berufliche Lärmeinwirkung verursachten Tinnitus spreche als dafür.
Mit seiner am 29.04.2014 beim SG erhobenen Klage hat der Kläger seinen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. weiterverfolgt. Er hat dabei insbesondere geltend gemacht, dass er bereits im Februar 2001 wegen Tinnitus in stationärer Behandlung gewesen sei. Hierzu hat er eine schriftliche Zeugenerklärung des damaligen Zimmernachbarn in dem Krankenhaus vorgelegt. Dieser hat bestätigt, dass der Kläger anlässlich der Krankenhausbehandlung im Jahr 2001 unter Tinnitus-Beschwerden gelitten habe und auch deswegen behandelt worden sei.
Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem HNO-Arzt P, B. In seinem nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstellten Gutachten vom 30.08.2016 hat P darauf hingewiesen, dass das maßgebliche Tonaudiogramm vom 19.03.2007 nicht aktenkundig sei. Es liege lediglich eine von der Beklagten vorgenommene Tonaudiogrammauswertung vor. Entsprechend dieser Tonaudiogrammauswertung sei die MdE mit unter 10 v.H. einzuschätzen. Diese Einschätzung erfolge auch unter Berücksichtigung der beidseitigen Tinnitus-Symptomatik, welche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als beruflich bedingt anzusehen sei.
In der Folge hat die Beklagte das besagte Tonaudiogramm vom 19.03.2007 vorgelegt. Dieses ist dem medizinischen Sachverständigen P zugeleitet worden, der hierzu im weiteren Verlauf mehrere Stellungnahmen (07.12.2016, 08.12.2016, 07.04.2017,13.09.2018) abgegeben hat. Der Gutachter hat darin ausgeführt, dass dieses Tonaudiogramm völlig andere Messwerte aufweise als die von der Beklagten vorgenommene Tonaudiogrammauswertung. Die Unterschiede seien eklatant. Im Gegensatz zu der aktenkundigen Tonaudiogrammauswertung sei das Tonaudiogramm vom 19.03.2007 lärmuntypisch. Es weise keine lärmtypische Hochtonsenke und auch keine lärmtypische Knickbildung im mittleren Frequenzbereich auf. Auch seien der Hörverlust im Tiefton- und Mitteltonbereich lärmuntypisch. Aufgrund der nicht vorliegenden lärmtypischen Schädigung des Hörvermögens sei daher aus grundsätzlichen Erwägungen auch die Entstehung einer lärmbedingten Tinnitus-Symptomatik nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Der Gutachter P hat zuletzt ausgeführt, dass lediglich für den Fall, dass er aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 02.12.2009 unkritisch davon auszugehen habe, dass die Schwerhörigkeit lärmbedingt sei, aus seiner Sicht mehr formale Argumente für als gegen eine Lärmgenese der Tinnitus-Symptomatik sprechen würden. In diesem Falle würde er die MdE mit 10 v.H. einschätzen.
Die Beklagte hat in weiteren Stellungnahmen die eklatanten Unterschiede zwischen dem Audiogramm vom 19.03.2007 und der aktenkundigen verwaltungsseitigen Auswertung nicht erklären können. Die MdE sei jedoch aus ihrer Sicht unter keinen Umständen mit 10 v.H. zu bewerten. Hierzu hat sich die Beklagte auf eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes F, D vom 03.02.2017 gestützt, der eine MdE von unter 10 v.H. befundet und den Tinnitus als BK-unabhängig eingestuft hat. Im Hinblick auf die Stellungnahme ihres Beratungsarztes hat die Beklagte ein Teil- Anerkenntnis hinsichtlich der ursprünglich auch anhängigen Hörgeräteversorgung abgegeben.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein HNO-ärztliches Gutachten von S, W, eingeholt, nachdem das SG von den den Kläger behandelnden HNO-Ärzten Dres. B und Sch sämtliche Audiogramme aus den Jahren 1998 bis 2009 eingeholt hatte. S hat in seinem Gutachten vom 20.06.2018 ausgeführt, dass die Berufstätigkeit als Maurer durchaus für einen Lärmschaden verantwortlich sein könne. Aus demselben Grund sei auch die Entstehung eines lärmbedingten Ohrgeräusches wahrscheinlich. Bezugnehmend auf ein Tonaudiogramm vom 18.12.2006 hat er eine MdE in Höhe von 20 v.H. vorgeschlagen.
Die Beteiligten haben gegenüber dem SG schriftlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt.
Das SG hat die Klage, die sich zuletzt auf die Abänderung des Bescheides vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 sowie auf die Abänderung des Bescheides 02.12.2009 unter Anerkennung einer berufsbedingten Beeinträchtigung durch einen beidseitigen Tinnitus und einer Verschlimmerung ab 2001 und auf die Gewährung einer Verletztenrente Höhe von mindestens 20 v.H. ab Januar 2001 richtete, abgewiesen.
Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass der Bescheid vom 02.12.2009 gemäß § 44 SGB X zurückgenommen und ihm auf diesem Wege unter Anerkennung eines lärmbedingten Tinnitus Verletztenrente gewährt werde.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X besage, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sei, soweit sich im Einzelfall ergebe, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden seien. Der Verwaltungsakt, der zu Überprüfung gestellt und dessen Rücknahme begehrt werde, müsse ganz oder teilweise objektiv rechtswidrig sein und dem Betroffenen müsse hierdurch ein rechtlicher Nachteil in Form des unrechtmäßigen Vorenthaltens einer Sozialleistung entstanden sein. Es müsse ein kausaler Zusammenhang zwischen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Verwaltungsaktes und dem Nichterbringen der an sich zustehenden Sozialleistung bestehen. Dies lasse sich nur anhand der materiellen Rechtslage beurteilen, so dass § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X dahingehend zu verstehen sei, dass die vorenthaltenen Sozialleistungen materiell zu Unrecht nicht erbracht worden seien.
Nach dem Willen des Gesetzgebers komme eine Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur dann in Betracht, soweit sich bei der erneuten Überprüfung des Sach- und Rechtslage ergebe, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt habe. Ansonsten solle der Verwaltungsakt bestehen bleiben (BSG, Urteil vom 22.03.1989, B 7 RAr 122/87).
Es sei nicht Sinn des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe (BSG a.a.O.; so auch BSG, Urteil vom 24.04.2014, B 13 R 3/13 R).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das SG zu der Überzeugung gelangt, dass der Bescheid vom 02.12.2009 bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen, jedoch hierdurch dem Kläger kein rechtlicher Nachteil in Form des unrechtmäßigen Vorenthaltens einer Sozialleistung entstanden sei. Eine Rücknahme des Bescheides nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X komme daher nicht in Betracht.
Mit dem Bescheid vom 02.12.2009 sei dem Kläger auf der Grundlage eines Tonaudiogramms vom 19.03.2007 eine beidseitig beginnende Schwerhörigkeit im Hochtonbereich als Berufskrankheit anerkannt worden. Die nun im Laufe des Klageverfahrens vorgenommene Auswertung des besagten Tonaudiogramms habe ergeben, dass dieses lärmuntypisch sei. Es weise keine lärmtypische Hochtonsenke und auch keine lärmtypische Knickbildung im mittleren Frequenzbereich auf. Auch sei der ausgewiesene Hörverlust im Tiefton- und Mitteltonbereich lärmuntypisch. Die Anerkennung einer lärmbedingten Schwerhörigkeit hätte nicht vorgenommen werden dürfen. Der Bescheid vom 02.12.2009 sei bei seinem Erlass insoweit rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit sei für den Kläger begünstigend und führe zu keinem rechtlichen Nachteil in Form des unrechtmäßigen Vorenthaltens einer Sozialleistung.
Das Gericht habe keine Bedenken, sich den überzeugenden medizinischen Ausführungen des Gutachters P anzuschließen. Der Gutachter habe das maßgebliche Tonaudiogramm vom 19.03.2007 nachvollziehbar ausgewertet und plausibel dargelegt, dass dieses gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit spreche. Ohne das Vorliegen einer lärmbedingten Schwerhörigkeit sei folgerichtig auch die Anerkennung eines lärmbedingten Tinnitus nicht möglich.
Es könne dabei als wahr unterstellt werden, dass der Kläger auch während seines stationären Aufenthaltes im Februar 2001 an einer Tinnitus-Symptomatik gelitten habe. Hierauf komme es aber nicht an.
Nicht folgen könne das SG dem Ergebnis des nach § 109 SGG erstellten Gutachtens von S. In dem Gutachten sei kaum eine Ursachendiskussion, weder im Hinblick auf die Entstehung des Hörverlustes noch im Hinblick auf die Entstehung des Tinnitus, erfolgt. Die Aussage "Die Berufstätigkeit als Maurer kann durchaus für einen Lärmschaden verantwortlich sein..." genüge nicht den Kausalitätsanforderungen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Gegen das am 14.01.2019 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 12.02.2019 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Ursprünglich hat der Kläger im Zugunsten-Verfahren nach § 44 SGB X die Anerkennung des Tinnitus als BK-Folge und Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. ab 2001 begehrt. Auch im Schwerbehindertenverfahren sei die Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 30 v.H. anerkannt worden. Die Beklagte habe die BK Nr. 2301 und die Hörgeräteversorgung als BK-bedingt anerkannt. Es sei widersprüchlich, wenn das SG nun die BK verneine und den Rentenanspruch ablehne, obwohl auch der medizinische Sachverständige P im Ergebnis eine MdE von 10 v.H. bejaht habe.
Beim Kläger liege ein Stützrententatbestand aus einem Arbeitsunfall vom 25.09.2004 vor, für den seit 15.04.2006 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. gewährt werde.
Das LSG hat Beweis erhoben durch Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens nach ambulanter Untersuchung bei S1, M, am 20.04.2021. Der medizinische Sachverständige hat in dem Gutachten vom 28.04.2021 und in der Stellungnahme vom 11.01.2023 - ausgehend von der anerkannten Lärmschwerhörigkeit - den Tinnitus zunächst als BK-bedingt eingeschätzt und insgesamt eine MdE von 15 v.H. vorgeschlagen. Dabei hat er für den Tieffrequenzbereich einen lärmbedingten Anteil als Ursache für die sich darstellende Hörminderung abgelehnt und auf der Basis der anerkannten BK Nr. 2301 nur den Hochtonbereich in der Kalkulation für die lärmbedingte Schwerhörigkeit berücksichtigt. Er hat eine Diskrepanz zwischen Sprach- und Tonaudiometrie beschrieben, die unter ergänzender Berücksichtigung des lärmunabhängigen Tieftonanteils dazu führe, dass er einen Mittelwert zwischen sprachaudiometrischer und tonaudiometrischer Bewertung vorgeschlagen habe, nämlich eine MdE von 10 v.H. für den Hochtonhörverlust. Daneben sei der durch ein Schmalbandrauschen verdeckbare Tinnitus BK-bedingt und sei integrierend mit einer MdE für die Lärmschwerhörigkeit mit einer MdE von 15 v.H. insgesamt zu bewerteten.
Die Beklagte hat unter ´Berufung auf die beratungsärztliche Stellungnahme von N, H, vom 28.08.2021 ausgeführt, dass die MdE Bewertung von
S1 deutlich zu hoch angesetzt sei. N könne die Schwerhörigkeit des Klägers im Ergebnis nach Beurteilung der sehr divergierenden Audiogramme auch insgesamt nicht mit einer Lärmschwerhörigkeit in Einklang bringen. Bewerte man das Audiogramm vom 10.02.2009 (Begutachtung im Verwaltungsverfahren) komme man auf eine MdE von unter 10 v.H.. Jede Hörverschlechterung nach dem Ausscheiden aus der Lärmexposition 2004 sei sicher lärmunabhängig. Auch die Schwankungen des Hörvermögens nach der Beendigung der Lärmbelastung seinen sicher lärmunabhängig. N hat die Schwerhörigkeit des Klägers unabhängig von der Ursache unter Berücksichtigung des schlechten Tongehörs mit 10 v.H., zusammen mit den Ohrgeräuschen mit 15 v.H. bewertet. Berücksichtige man, dass sich die Lärmschwerhörigkeit nach dem Ausscheiden aus der Exposition nicht mehr verschlimmern könne, ergebe sich bei schwankenden Hörkurven in den Tonaudiogrammen aus den Sprachaudiogrammen vom 10.09.2009 und 20.04.2021 eine MdE von 10 v.H., wenn man die Ohrgeräusche mitberücksichtige.
S1 hat in einer weiteren Stellungnahme vom 25.01.2023 in Auseinandersetzung mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von N abschließend begründet, warum er die lärmbedingte Hörminderung mit einer MdE von 10 v.H. bewerte. Der lärmbedingte Hochtonbereich habe sich seit dem Ausscheiden des Klägers aus der Lärmexposition kaum verändert. Er habe den Mittelwert zwischen der MdE Einschätzung auf der Basis der Dreifrequenztabelle und auf der Basis des Sprachaudiogramms kalkuliert und nur für den Hochtonbereich eine lärmbedingte MdE von 10 v.H. eingeschätzt. Hinsichtlich des Tinnitus folge er nunmehr der Einschätzung von N und bewerte diesen als BK-unabhängig, auch wenn dieser verdeckbar sei. Die Ohrgeräusche seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vor 2007/2008 und damit erst nach dem Ausscheiden aus der Lärmexposition zu datieren.
Die Beklagte hat zwei weitere Stellungnahmen ihrer HNO-Beratungsärztin
K, F, vom 24.04.2023 und vom 07.07.2024 vorgelegt, nach der die gesamte Schwerhörigkeit des Klägers als berufsunabhängig anzusehen sei. Sollte dies aus rechtlichen Gründen nicht möglich sein, müsse man, wie von N dargestellt, aus dem Sprachaudiogramm von 2009, das dem Ende der Berufstätigkeit am nächsten liege, eine MdE von 0 v.H. ablesen. Die MdE aus dem Tonaudiogramm vom 20.04.2021 (Untersuchung von S1 im Rahmen der Begutachtung) ergebe einen Wert von 10 v.H..
Das LSG hat die Beklagte mit richterlichen Hinweisen vom 11.08.2023, 31.08.2023, 21.03.2024 und 22.10.2024 um Abgabe eines Anerkenntnisses gebeten und auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, insbesondere B 2 U 6/16 R, und B 2 U 38/05 R hingewiesen.
Die Beklagte hat sich nicht zur Abgabe eines Anerkenntnisses in der Lage gesehen. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass sich aus dem Audiogramm vom 19.03.2007 eindeutig lärmuntypische Kurvenverläufe ergäben, so dass ein arbeitsbedingter Anteil der Schwerhörigkeit nicht nur nicht abzugrenzen, sondern die gesamte Schwerhörigkeit als berufsunabhängig anzusehen sei. Das SG habe die Klage zu Recht abgewiesen.
Mit Datum vom 12.04.2024 hat die Beklagte einen Bescheid erlassen, in dessen Verfügungssatz der Bescheid vom 02.12.2009 über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nummer 2301 der BKV im Sinne einer beginnenden Schwerhörigkeit im Hochtonbereich nach § 48 Abs. 3 SGB X eingefroren werde. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, dass sie im Zuge der im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X bzw. in den darauffolgenden Gerichtsverfahren eingeholten Unterlagen zu der Überzeugung gekommen sei, dass das Recht insoweit unrichtig angewandt worden sei, als die tonaudiometrischen Befunde ein Lärm-untypisches Bild zeigten und ein etwaiger lärmbedingter Anteil im Sinne einer beruflichen Entstehung nicht abgrenzbar sei. Insgesamt sei daher die Hörstörung als Lärm-unabhängig zu werten. Die Anerkennung einer BK Nr. 2301 sei somit zu Unrecht erfolgt, der Bescheid vom 02.12.2009 sei insofern rechtswidrig. Er könne nach § 45 Abs. 3 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden, es würden aber sämtliche Leistungsansprüche, die sich aus dem rechtswidrigen Bescheid vom 02.12.2009 ergäben, gemäß § 48 Abs. 3 SGB X bis auf weiteres eingefroren, insbesondere komme ein Rentenanspruch nicht zum Tragen, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 0 v.H. festgeschrieben werde. Der Bescheid vom 12.04.2024 ist mit der Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden, dass hiergegen Widerspruch statthaft sei.
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 12.04.2024 Widerspruch erhoben, über den die Beklagte noch nicht entschieden hat.
Die Berichterstatterin hat das Verfahren am 10.10.2024 mit den Beteiligten erörtert und dabei darauf hingewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2024 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des laufenden Berufungsverfahren geworden sei. Der Regelungsgegenstand dieses Bescheides nach § 48 Abs. 3 SGB X sei nicht identisch mit dem Regelungsgegenstand des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.04.2013. Hierzu hat das LSG auf die Rechtsprechung verwiesen (Urteil des Bayer. LSG vom 30.09.2015; Az.: L 2 P 22/13; BSG, Urteil vom 26.10.2017, B 2 U 6/16 R). Das Gericht hat auch erläutert, dass die Einbeziehung des Bescheides vom 12.04.2024 über § 99 SGG nicht sachdienlich sei und dass auch entsprechende Klageänderungen von der Klägerseite nicht erklärt worden seien. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 10.10.2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.
Der Kläger beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.12.2018 sowie unter Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 18.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.03.2014 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 02.12.2009 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente in Form einer Stützrente in Höhe einer MdE von 10 v.H. ab dem 01.01.2009 für die Folgen der anerkannten Berufskrankheit BK 2301 der BKV zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 06.12.2018 zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, der beigezogenen Verwaltungsakte im Schwerbehinderten-Verfahren und der Gerichtsakten, insbesondere auf die eingeholten Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen sowie das Vorbringen der Beteiligten in den eingereichten Schriftsätzen, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die nach §§ 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers ist auch begründet.
Auf die Berufung des Klägers hin ist das Urteil des SG vom 06.12.2018 sowie der die Rücknahme ablehnende Bescheid vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen. Die Beklagte ist verpflichtet, unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010, dem Kläger ab 01.01.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren.
1.
Im Berufungsverfahren ist nur über die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG; vgl. zur statthaften Klageart BSG vom 26.4.2016 - B 2 U 14/14 R - SozR 4-2700 § 90 Nr 4 Rn. 15 und vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R - SozR 4-2700 § 73 Nr 1 Rn. 12) zu entscheiden, soweit der Kläger unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 02.12.2009 und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. ab 01.01.2009 durch die Beklagte im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X begehrt.
Nicht zu entscheiden ist im Berufungsverfahren über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12.04.2024, mit dem die Beklagte den Bescheid vom 02.12.2009 über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nummer 2301 der BKV im Sinne einer beginnenden Schwerhörigkeit im Hochtonbereich nach § 48 Abs. 3 SGB X eingefroren hat. Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens nach den §§ 153 Abs.1, 96, 99 SGG geworden. Eine Aussetzung des Berufungsverfahrens nach § 114 Abs. 2 S. 1 SGG ist nicht geboten.
a.
Der Bescheid vom 12.04.2024 hat den hier angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 18.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 i.S. des § 96 Abs..1 SGG nicht abgeändert oder ersetzt.
Nach § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Berufungsverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden (vgl. u.a. BSGE 47, 168 (170); BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 45/03 R, SozR 4-1500 § 86 Nr. 2; BSG, Urteil vom 05.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 5; BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 40/11 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 27). Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb grundsätzlich bei anderem Streitstoff oder veränderten Tatsachen, u.U. auch nicht bei veränderten Rechtsgrundlagen vor. Die Übereinstimmung muss auch in zeitlicher Hinsicht bestehen (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG,14. Auflage 2023, § 96 Rn. 4 a m.w.N.).
Hat die Behörde einen Antrag auf Rücknahme des Ausgangsverwaltungsaktes nach § 44 SGB X abgelehnt (wie hier die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2013), so wird ein Verwaltungsakt, der den Ausgangsverwaltungsakt für spätere Zeiträume abändert oder ersetzt, nicht gemäß § 86 oder § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens. Bei der Entscheidung über die Rücknahme nach § 44 SGB X beurteilt sich nämlich die Rechtswidrigkeit nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus der Sicht im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung. Spätere Entwicklungen der Sach- und Rechtslage, die die Zeit nach Erlass des Ausgangsverwaltungsaktes betreffen, sind für die Entscheidung nach § 44 SGB X nicht von Belang (Bayer LSG, Urteil vom 30.09.2015, L 2 P 22/13, in: juris).
Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2024 nach § 48 Abs. 3 SGB X entfaltet Rechtswirkung nur mit Wirkung für die Zukunft nach Erlass des Bescheides vom 12.04.2024 und ersetzt oder ändert den Bescheid vom 18.07.2013 über die Ablehnung der Rücknahme nach § 44 SGB X nicht.
b.
Es liegt kein Anwendungsfall des § 99 Abs. 1- 3 SGG vor. Eine Klageänderung im Berufungsverfahren unter Einbeziehung des Bescheides vom 12.04.2024 ist nicht sachdienlich nach § 99 Abs. 1 SGG, weil zu diesem Bescheid noch die Sachurteilsvoraussetzung des § 78 Abs. 1 SGG fehlt und noch eine Entscheidung im Widerspruchsverfahren abzuwarten wäre (siehe dazu auch unter c.), wohingegen der Rechtsstreit über den Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X entscheidungsreif ist.
Der Kläger hat hinsichtlich des Bescheides vom 12.04.2024 auch keine Klageänderung erklärt.
c.
Der Senat kann abschließend entscheiden, ohne das Verfahren nach § 114 Abs. 2 S. 1 SGG auszusetzen. Gemäß § 114 Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Insbesondere hängt die Entscheidung nicht von der Entscheidung in einem Widerspruchsverfahren oder von einer gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12.04.2024 ab, weil dessen Regelungen keine Auswirkung auf die hier angefochtenen Verwaltungsakte und geltend gemachten Ansprüche nach § 44 SGB X haben konnte. Dieser Bescheid, mit dem die Beklagte unter Hinweis auf § 48 Abs. 3 SGB X den Bescheid vom 02.12.2009 über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nummer 2301 der BKV im Sinne einer beginnenden Schwerhörigkeit im Hochtonbereich eingefroren hat, regelt -wenn überhaupt- die Rentenhöhe nur für zukünftige Zeiträume nach Erlass des Bescheides vom 12.04.2024. Demgegenüber ist für die Entscheidung des Senats über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide nach § 44 SGB X und die geltend gemachten Ansprüche des Klägers auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung abzustellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 26.10.2017, B 2 U 6/16 R, Rn. 11,12 nach juris).
2.
Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall u. a. ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist auf Antrag ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vom Beginn des Jahres, in dem der Antrag gestellt wurde, erbracht (§ 44 Abs. 4 SGB X). Die Beklagte ist nach diesen Vorschriften verpflichtet, den Bescheid vom 01.12.2009 teilweise zurückzunehmen, weil sie bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt und deshalb zu Unrecht dem Kläger keine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. bewilligt hatte. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer Stütz-Unfallrente nach einer MdE von 10 v.H. ab 01.01.2009.
Die Beklagte hat das Recht i.S. des § 44 SGB X unrichtig angewandt, weil sie dem Kläger keine Rente nach einer MdE von 10 v.H. bewilligte. Abzustellen ist auf die bei Erlass des Bescheides maßgebliche Sach- und Rechtslage, wobei es nicht auf den Stand der Erkenntnisse bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (BSG, vom 26.10.2017, B 2 U 6/16 R, Rn. 17 juris m.w.N.).
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Mindern die Folgen des Versicherungsfalles die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H., besteht für den Versicherungsfall gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VII Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Nach § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VII wird bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Teilrente geleistet, die in Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.
Beim Kläger liegt eine mit Bescheid der Beklagten vom 02.12.2009 bindend festgestellte Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV (Lärmschwerhörigkeit) vor. Aus diesem Versicherungsfall (§§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 SGB VII) resultiert zur vollen richterlichen Überzeugung des Senats eine MdE in Höhe von 10 v.H., die auf Grund des Stützrententatbestandes aus dem anerkannten Arbeitsunfall vom 25.09.2004 (mit einer dauerhaften Rentengewährung nach einer MdE von 20 v.H. ab 15.04.2006) zu einem Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente ab dem 01.01.2009 (§ 44 Abs. 4 SGB X) führt.
Dabei richtet sich die durch die BK-Folgen bedingte MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten durch die BK-Folgen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß
§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 - juris Rn. 10; BSG, Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 36). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S. 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie den Umfang der Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die BK-Folgen betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 2 U 25/05 R - juris Rn. 10). Erst aus der Anwendung (medizinischer) Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Bei der Beurteilung der MdE sind die von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten. Diese sind zwar nicht bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2005 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Beim Kläger liegt eine anerkannte Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV vor. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 02.12.2009 bestandskräftig eine beidseits beginnende Schwerhörigkeit im Hochtonbereich als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV (Lärmschwerhörigkeit) anerkannt.
Bei der Frage, ob und welche MdE daraus resultiert, ergeben sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dadurch Beweis-Schwierigkeiten, dass
* die der medizinischen Bewertung zugrundeliegenden Audiogramme im zeitlichen Verlauf schwankende Hörverluste (auch im relevanten Hochtonbereich) dokumentieren und z.T. keinen lärmtypischen Hörverlust ausweisen
* beim Kläger neben einer (als BK anerkannten) Innenohrschwerhörigkeit ein Hörverlust im Tieffrequenzbereich sowie ein verdeckbares Ohrgeräusch bestehen
* die medizinischen Sachverständigen und die zahlreich eingebundenen HNO-ärztlichen Beratungsärzte der Beklagten angesichts der bestandskräftig festgestellten BK Nr. 2301 sehr schwankende und mitunter divergierende medizinische Einschätzungen im Laufe des Verfahrens abgegeben haben und
* im Laufe des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens medizinische Befunde (wie das Tonaudiogramm vom 19.03.2007) und sachverständige Einschätzungen (wie die Seiten 23 bis 26 des Gutachtens von S1 vom 28.04.2021) in verschiedenen Versionen zu den Akten gelangt sind.
Der Senat ist trotz der beschriebenen Beweis-Schwierigkeiten zu der vollen richterlichen Überzeugung nach § 128 SGG gelangt, dass die beim Kläger anerkannte Lärmschwerhörigkeit ab 01.01.2009 mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten ist und dem Kläger daher eine sog. Stützrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 02.12.2009, mit dem eine Rentengewährung abgelehnt wurde, war insoweit nicht begünstigend und rechtswidrig. Dem Kläger wurden infolge dieser Rechtswidrigkeit Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht. Die Beklagte ist unter teilweiser Rücknahme des Bescheides vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 aus § 44 Abs. 1 SGB X verpflichtet, dem Kläger ab 01.01.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren
Die volle richterliche Überzeugung, dass die beim Kläger anerkannte beginnende Schwerhörigkeit im Hochtonbereich beidseits eine MdE von 10 v.H. bedingt, stützt sich auf das nach seiner späteren Korrektur im Ergebnis schlüssige und nachvollziehbare HNO-ärztliche Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers von S1, M, vom 28.04.2021 und insbesondere auf die Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten N vom 28.08.2021. Der Senat folgt der überzeugenden Einschätzung der berufsbedingten MdE in Höhe von 10 v.H. des Beratungsarztes der Beklagten N und des medizinischen Sachverständigen S1, die auch durch die Beratungsärztin der Beklagten K im Ergebnis bestätigt wird. Die Herleitung und Beurteilung der lärmbedingten MdE der beim Kläger mit Bescheid vom 02.12.2009 bestandskräftig anerkannten BK Nr. 2301 erfolgt in Übereinstimmung mit der einschlägigen unfall- und BK- medizinischen Fachliteratur (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage, Kapitel 7.3, insbesondere 7.3.3.3. zur MdE bei Lärmschwerhörigkeit) sowie dem amtlichen Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur BK Nr. 2301 "Lärmschwerhörigkeit" vom 01.07.2008 (IV a 4-45222-2301, GMBl. Nr. 39 v. 05.08.2008, S. 798-800) und dem aktuellen medizinischen Kenntnisstand, der in der Königsteiner Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit von 2020 dargestellt wird (vgl. zur Bedeutung der Königsteiner Empfehlung Bieresborn, SGb 2016, S. 379, 381 unter Hinweis auf BSG-Urteil vom 05.02.2001 - B 2 U 24/00 R sowie BSG in Urteilen vom 12.04.2005 - B 2 U 6/04 R - und vom 15.12.1982 - 2 RU 55/81, beide veröffentlicht in juris).
S1 lehnt für den beim Kläger bestehenden Tieffrequenzbereich einen lärmbedingten Anteil als Ursache für die sich darstellende Hörminderung ab und bewertet auf der Basis der anerkannten BK Nr. 2301 nur den Hochtonbereich für die lärmbedingte Schwerhörigkeit. Er legt dabei die überarbeitete Tabelle von Röser 1980 zugrunde und beurteilt insbesondere den Hörverlust bei 4000, 2000 bis 3000 und 1000 Hz. S1 berücksichtigt, dass beim Kläger seit 2004 keine Lärmexposition mehr besteht und dass der Hörverlust von 25 dB bei 1000 Hz weitgehend den Audiogrammen von 2008 (B) entspricht.
Nachdem der Tieftonbereich aber nicht im Zusammenhang mit der Lärmschwerhörigkeit steht und sich der lärmbedingte Hochtonbereich sich seit dem Ausscheiden des Klägers aus der Lärmexposition kaum verändert hat, hat S1 den Mittelwert zwischen der MdE-Einschätzung auf der Basis der Drei-Frequenz-Tabelle und auf der Basis des Sprachaudiogramms kalkuliert und nur für den Hochtonbereich eine lärmbedingte MdE von 10 v.H. eingeschätzt. Diese Vorgehensweise hat der medizinische Sachverständige in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 11.01.2023 und 25.01.2023 nochmals bekräftigt und schlüssig erläutert, warum er einen unter Ausschluss des lärmunabhängigen Tieftonanteils einen Mittelwert zwischen der sprachaudiometrischen und tonaudiometrischen Bewertung vorschlägt und eine MdE von 10 v.H. für den lärmbedingten Hochtonbereich, der sich seit 2006 praktisch nicht verändert habe, für zutreffend hält. In seiner abschließenden Stellungnahme vom 25.01.2023 hat S1 zudem überzeugend hergeleitet, dass der beim Kläger bestehende Tinnitus nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als lärmbedingt zu bewerten sei, weil sich dessen Auftreten erst nach dem Ausscheiden aus der Lärmexposition (2004) belegen lasse.
Der Senat stützt seine volle richterliche Überzeugung einer BK-bedingten MdE von 10 v.H. insbesondere auch auf die HNO-ärztliche Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten N, H, vom 28.08.2021, der unter Berücksichtigung von Sprach- und Tonaudiometrie eine lärmbedingte MdE von 10 v.H. vorgeschlagen hat.
N hat zutreffend ausgeführt, dass sich unabhängig von der Ursache aus dem Sprachaudiogramm des Gutachtens vom 20.04.2021 rechts ein prozentualer Hörverlust von 10 % und links ein prozentualer Hörverlust von ebenfalls 10 % und somit eine MdE von unter 10 v.H. ergebe. Werte man das Sprachaudiogramm entsprechend der modifizierten Tabelle nach Brusis, die in den Königsteiner Empfehlungen abgedruckt sei, aus, dann ergäben sich ähnliche Werte.
Aus dem Sprachaudiogramm des Gutachtens vom 30.04.2018 könne man bei einem Hörverlust von jeweils 20 % rechts und links eine MdE von 10 v.H. ermitteln. Aus dem Sprachaudiogramm des Gutachtens vom 10.02.2009 könne man rechts einen prozentualen Hörverlust von 20 % und links einen prozentualen Hörverlust von 10 % und somit eine MdE von unter 10 % ermitteln. Betrachte man die Ergebnisse der Sprachaudiogramme vom 10.02.2009 und vom 20.04.2021, dann sei in den Ergebnissen dieser beiden Sprachaudiogramme keine wesentliche Hörverschlechterung eingetreten, entsprechend diesen Sprachaudiogrammen sei weiterhin unabhängig von der Ursache eine MdE von unter 10 v.H. zu ermitteln. Lediglich die Ergebnisse in den Tonaudiogrammen hätten sich verschlechtert. Entsprechend den Königsteiner Empfehlungen sei, wenn die Berechnung des prozentualen Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm einen Wert von weniger als 20 % ergebe, für die Entscheidung, ob eine versicherungsrechtlich relevante Schwerhörigkeit vorliege oder nicht, auch das Tonaudiogramm heranzuziehen. Ergebe sich aus dem Tonaudiogramm bei Auswertung der Drei-Frequenz-Tabelle ein prozentualer Hörverlust von 20 % oder mehr und könne sicher ausgeschlossen werden, dass die Tonaudiometrie-Messwerte durch Messfehler verfälscht seien, so sei eine versicherungsrechtlich relevante Schwerhörigkeit entsprechend einem prozentualen Hörverlust von 20 % aber auch nicht mehr, anzunehmen (Königsteiner Empfehlungen 4.3.1.). Durch diese Richtlinien könne durch ein schlechtes Tongehör höchstens ein prozentualer Hörverlust von 20 % und somit höchstens unabhängig von der Ursache eine MdE von 10 v.H. erreicht werden.
Die von N dargelegte Herleitung der BK-bedingten MdE in Höhe von 10 v.H. steht in Übereinstimmung mit den Königsteiner Empfehlungen und ist nach Ansicht des Senats überzeugend.
Letztlich hat auch Frau K, F, in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 07.07.2023 ausgeführt, dass sich aus dem Tonaudiogramm vom 20.04.2021 (Untersuchung durch S1) eine lärmbedingte MdE von 10 v.H. ergibt und damit die medizinische Einschätzung von S1 und von N bestätigt.
Beim Kläger liegt eine mit Bescheid der Beklagten vom 02.12.2009 bindend festgestellte Berufskrankheit nach der Nr. 2301 der Anlage 1 der BKV (Lärmschwerhörigkeit) vor. Aus diesem Versicherungsfall (§§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 SGB VII) resultiert zur vollen richterlichen Überzeugung des Senats eine MdE in Höhe von 10 v.H., die auf Grund des Stützrententatbestandes aus dem anerkannten Arbeitsunfall vom 25.09.2004 (mit einer dauerhaften Rentengewährung nach einer MdE von 20 v.H. ab 15.04.2006) zu einem Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente als Stützrente (§ 56 Abs. 1 S. 2, 3 SGB VII) ab dem 01.01.2009 (§ 44 Abs. 4 SGB X) führt.
Beim Kläger liegt auf Grund des anerkannten Arbeitsunfalles vom 25.09.2004, der mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. von der Beklagten entschädigt wird, ein Stützrententatbestand vor.
Die Verletztenteilrente nach einer MdE in Höhe von 10 v.H. kann erst ab 01.01.2009 bewilligt werden, weil der Kläger im Rahmen eines Zugunsten-Verfahrens nach § 44 SGB X im Jahr 2013 einen Überprüfungsvergleich vor dem SG (in den Verfahren S 15 U 102/10 u.a.) geschlossen hat. Nach § 44 Abs. 4 SGB X können Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren, gerechnet ab Beginn des Jahres des Antrages erbracht werden.
3.
a.
Anders als das SG sieht sich der Senat nicht gehindert, die Beklagte nach § 44 SGB X dazu zu verpflichten, den Bescheid vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 teilweise aufzuheben und dem Kläger ab 01.01.2009 eine Verletztenrente nach einer MdE von 10 v.H. zu gewähren. Das SG hat hierzu die Rechtsprechung des BSG zitiert, nach der es nicht Sinn des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X sei, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zustehe (BSG Urteil vom 24.04.2014, B 13 R 3/13 R). Das SG hat ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass beim Kläger ausgehend von dem Tonaudiogramm vom 19.03.2007 keine BK Nr. 2301 vorliege, weil dieses Tonaudiogramm lärmuntypisch sei und deswegen die Anerkennung einer lärmbedingten Schwerhörigkeit nicht habe vorgenommen werden dürfen.
Der Senat hat aber die Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bescheides der Beklagten vom 02.12.2009 zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Bindungswirkung sind die Verfügungssätze des Bescheides, wie bereits das vom SG selbst zitierte Urteil des BSG B 7 Ar 122/87 Rn. 26 zeigt. Da die BK Nr. 2301 aber auf die Erkrankung "Lärmschwerhörigkeit" beschränkt ist und generell eine unverzichtbare Voraussetzung für die Feststellung einer BK nach § 9 SGB VII auch die Feststellung wenigstens einer unter die BK fallenden Gesundheitsstörung ist, erstreckt sich die Bindungswirkung der Feststellung einer BK Nr. 2301 ausdrücklich darauf, dass die zum Zeitpunkt des Bescheides vom 02.12.2009 beim Kläger unbestritten vorliegende Schwerhörigkeit (zumindest teilweise) diese Berufskrankheit darstellt. Diese Bindungswirkung des Bescheides vom 02.12.2009 kann das Gericht nicht unbeachtet lassen. Wie das BSG dargelegt hat, liegt es an der Beklagten, im Klageverfahren gewonnene neue oder geläuterte medizinische Erkenntnisse verwaltungsmäßig z.B. nach § 48 Abs. 3 SGB X umzusetzen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 08.12.2021, B 2 U 10/20 R, Rn. 21 juris). Unbeschadet einer wesentlichen Änderung kann ein ursprünglich rechtwidriger, zugunsten des Versicherten ergangener Bescheid nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zum Nachteil des Betroffenen abgeändert werden. Ist eine Rücknahme gemäß § 45 SGB X - insbesondere wegen Versäumung der dortigen Fristen - nicht möglich, kann unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X eine sog. Abschmelzung erfolgen, wenn eine wesentliche Änderung zugunsten des Betroffenen eingetreten ist. Dann darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, der sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft der zu hoch festgestellten Leistung ergibt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Voraussetzung für eine sog Abschmelzung der rechtswidrig zu hoch festgestellten Leistung ist, dass durch die Verwaltung die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bewilligung der Leistung gegenüber dem Betroffenen festgestellt wird. Beruft sie sich hierauf nicht, ist es dem Gericht verwehrt, unter Anwendung des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X die Bestandskraft eines Bescheides unbeachtet zu lassen.
Damit ist die Bindungswirkung (§ 77 SGG) der zugunsten des Klägers erfolgten Anerkennung der BK Nr. 2301 vom Gericht und von der Beklagten zu beachten.
b.
Unabhängig von der hier nicht zu klärenden Frage der Rechtsmäßigkeit des Bescheides der Beklagten vom 12.04.2024 vermag sich dieser nicht auf den Verletztenrentenanspruch des Klägers für die Zeit ab 01.01.2009 oder ab dem 12.04.2024 auszuwirken. Denn bereits aus der 2009 bindend als BK festgestellten Schwerhörigkeit resultierte - wie ausgeführt - schon zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 02.12.2009 eine MdE in Höhe von 10 v.H. und begründete mit Blick auf den Stützrententatbestand aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25.09.2004 einen Anspruch des Klägers auf eine Stützrente nach einer durchgehenden MdE von 10 v.H. Insbesondere fehlt es schon an einer bei Erlass des Bescheides vom 12.04.2024 eingetretenen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X hinsichtlich des Verletztenrentenanspruchs des Klägers.
c.
Nicht vergleichbar ist die Situation hier daher mit Fallgestaltungen, in denen Leistungsansprüche aus einer bindend als BK- oder Unfallfolge festgestellten Gesundheitsstörung erst aufgrund späterer Änderungen dieser Gesundheitsstörung bzw. ihrer funktionellen Auswirkungen im zeitlichen Verlauf erstmals zu Leistungsansprüchen führen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2007 - B 2 U 38/05 R - juris, BSG, Urteil vom 10.10.2024 B 2 U 10/20 R).
Die Beklagte hat sich im Erörterungstermin vom 10.10.2024 wiederholt auf das zuletzt zitierte Urteil des BSG (B 2 U 10/20 R) gestützt und aus der unter Rn. 17 hergeleitet, dass maßgeblich auf das jeweilige materielle Recht abzustellen sei. Nach Auffassung der Beklagten sei die gesamte vorliegende Schwerhörigkeit des Klägers überwiegend außerberuflichen Faktoren zuzuschreiben und damit rechtlich wesentlich von der beruflichen Lärmbelastung unabhängig. Die BK Nr. 2301 sei zu Unrecht anerkannt worden, weshalb mit Bescheid vom 12.04.2024 die Leistungsansprüche eingefroren worden seien. Die Beklagte verkennt hierbei, dass das BSG unter Rn. 17 der zitierten Entscheidung eine rechtliche Bewertung zu der Frage der rechtlichen Wesentlichkeit einer Änderung nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X abgegeben hat und dabei ausgeführt hat:
"Die Wesentlichkeit einer Änderung i.S. des § 48 SGB X bestimmt sich auch nach rechtlichen Gesichtspunkten. Eine Änderung ist grundsätzlich unwesentlich, wenn der Verwaltungsakt, so wie er ursprünglich erlassen wurde, auch noch nach der neuen Sach- und Rechtslage ergehen dürfte. Maßgebend ist das jeweilige materielle Recht (st. Rspr; vgl. BSG Urteile vom 20.03.2007 - B 2 U 21/06 R - SozR 4-1300 § 48 Nr. 11, SozR 4-2700 § 56 Nr. 3 = juris Rn. 11 m.w.N. und vom 06.11.1986 - 10 RKg 3/84 - BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr. 19 = juris Rn. 11). Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zu ziehen zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der gebotenen Entscheidung im Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung. Es ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsaktes auszugehen (vgl. BSG Urteil vom 13.02.2013 - B 2 U 25/11 R - NZS 2013, 464 = juris Rn. 22 f m.w.N.)."
Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2024 ist hier nicht streitgegenständlich (siehe oben unter 1.). Der Senat sieht auch keine wesentliche Änderung i.S. des § 48 Abs. 1 SGB X, auf die sich der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2024 nach § 48 Abs. 3 SGB X beziehen soll. Eine solche Änderung hinsichtlich des Stützrenten-Anspruches liegt hier ja gerade nicht vor.
Wie das Verfahren über den streitgegenständlichen Bescheid vom 18.07.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2014 ergeben hat, ist die Beklagte nach § 44 SGB X verpflichtet, den Bescheid vom 02.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 teilweise aufzuheben, weil beim Kläger durchgängig ein Stützrententatbestand vorliegt. Die zitierte Rechtsprechung zu § 48 SGB X vermag die Rechtsansicht der Beklagten bezogen auf die Entscheidung nach § 44 SGB X daher nicht zu stützen.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem vollumfänglichen Obsiegen des Klägers.
5.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.