Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.02.2022 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2021 verurteilt, bei dem Kläger ab dem 25.06.2019 eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjähriger Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können; ab 01.01.2021: Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben) (BK 2108).
Der 00.00.0000 geborene Kläger absolvierte vom 01.08.1984 bis zum 18.11.1987 eine Ausbildung zum Tischler. Sodann war er ab dem 19.11.1987 – unterbrochen durch den Wehrdienst – als Tischler beschäftigt. Ab dem 25.06.2019 war er aufgrund von Rückenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Im November 2019 äußerte die M. J. gegenüber der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit.
Die Beklagte zog die Arztberichte über erfolgte Behandlungen bei und holte eine Stellungnahme ihrer Beratungsärztin S. (Ärztin für Chirurgie/Unfallchirurgie/Chirotherapie) zum Vorliegen einer BK 2108 ein. Diese gab in ihrer Stellungnahme vom 25.03.2020 an, dass bei dem Kläger eine Konstellation B3 nach den Konsensempfehlungen vorliege. Es müsse überprüft werden, ob die Zusatzkriterien B2 aus arbeitstechnischer Sicht vorliegen, aus arbeitsmedizinischer Sicht lägen diese nicht vor.
Der Präventionsdienst der Beklagten gelangte am 06.10.2020 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger in dem Zeitraum vom 01.08.1984 bis 06.08.2019 eine berufliche Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 15,4 MNh vorgelegen habe. Die Zusatzkriterien B2 seien aus arbeitstechnischer Sicht nicht erfüllt.
Mit Bescheid vom 09.11.2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab. Zwar liege bei dem Kläger eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Es sei ein Bandscheibenvorfall in dem Segment L5/S1 operiert worden, in kleinerem Umfang habe sich ein neuer Vorfall in dem Segment ergeben. Belastungsadaptive Veränderungen der LWS hätten sich hingegen nicht finden können. Im Hinblick auf das bestehende Krankheitsbild wäre für die Anerkennung der BK eine besonders intensive berufliche Belastung oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen erforderlich. Hierfür bestünden jedoch keine Anhaltspunkte.
Hiergegen legte der Kläger am 08.12.2020 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2021 als unbegründet zurückwies.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 24.03.2021 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben.
Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass bei ihm die Voraussetzungen der BK 2108 vorliegen würden.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2021 zu verurteilen, eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzuerkennen und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich im Wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Gericht hat von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten von K. (Facharzt für Orthopädie) eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 24.06.2021 nach Untersuchung des Klägers am 18.05.2021 zu dem Ergebnis gelangt, dass das morphologische Schadensbild im Sinne einer Grenzfallbetrachtung für einen beruflichen Zusammenhang spreche. Der zeitliche Verlauf spreche weder für noch gegen einen beruflichen Zusammenhang. Die geringe Gesamtbelastungsdosis von 15,4 MNh spreche jedoch gegen den beruflichen Zusammenhang, so dass aus seiner Sicht die Wesentlichkeit der beruflichen Belastung nicht wahrscheinlich gemacht werden könne.
Das Sozialgericht Münster hat die Klage mit Zustimmung der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Urteil vom 24.02.2022 gestützt auf das Gutachten von K. abgewiesen.
Gegen das seinen Bevollmächtigten am 02.03.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.03.2022 Berufung eingelegt.
Er ist weiterhin der Auffassung, dass bei ihm eine BK 2108 vorliege. Obwohl der hälftige Gesamtdosiswert von 12,5 MNh deutlich überschritten werde, sei das Sozialgericht kritiklos der Schlussfolgerung von K. gefolgt, dass gleichwohl die Erkrankung der LWS nicht auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.02.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2021 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte sieht sich durch das Urteil des SG Münster in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht Münster hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG) zu Unrecht abgewiesen, da sie begründet ist. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 09.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2021 beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn die Bescheide sind rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung der streitigen BK.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der hier streitigen BK ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet sind (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt, wobei jedoch dieser Unterlassungszwang seit dem 01.01.2021 entfallen ist. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG, Urteil vom 04.07.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45; BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59; BSG, Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 13/17 R, juris).
Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss in medizinischer Hinsicht eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen. Außerdem muss der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwere Lasten gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Schließlich muss zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung und den genannten beruflichen Einwirkungen ein Kausalzusammenhang in dem Sinne bestehen, dass die beruflichen Einwirkungen wesentliche Ursache für die bandscheibenbedingte Erkrankung sind.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger gehört als Tischler zu dem versicherten Personenkreis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Das Merkmal der langjährigen Tätigkeit, welche ab 10 Jahren anzunehmen ist, liegt vor, da der Kläger von 1987 bis 2019 rückenbelastend tätig war.
Beim Kläger besteht auch weiterhin eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK 2108 setzt zunächst - morphologisch - den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder eines Bandscheibenvorfalls einerseits und einer korrelierenden klinischen Symptomatik andererseits voraus. Bei dem Kläger lag nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen K. und der Beratungsärztin S. im Jahr 2018 ein Bandscheibenvorfall L5/S1 vor, der operiert wurde. In der Folgezeit zeigte sich erneut ein Bandscheibenvorfall in diesem Segment und zusätzlich in jedem Fall eine mindestens zweitgradige Osteochondrose in dem Segment L4/L5. Die Veränderungen sind altersuntypisch und gehen auch mit chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen einher.
Es besteht auch eine Kausalität zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung und den beruflichen Einwirkungen.
Die Kausalitätsprüfung bei der BK 2108 umfasst zunächst die Feststellung solcher Einwirkungen, die nach Umfang und Intensität grundsätzlich geeignet sind, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu verursachen. Das Vorliegen dieser spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen (sogenannte arbeitstechnische Voraussetzungen), ist nach dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell – MDD- (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R) zu ermitteln. Dieses ist weiterhin eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Verordnungstext nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen (BSG, Urt. v. 06.09.2018- B 2 U 13/17 R- und B 2 U 10/17 R). Danach gilt ein Lebensdosisrichtwert von 25 MNh für Männer, wobei das BSG in seinem Urteil vom 30.10.2007 (a.a.O) diesen insofern modifiziert hat, als auch schon das Erreichen der Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes, also 12,5 MNh für Männer, generell geeignet ist, bandscheibenbedingte Schäden an der Lendenwirbelsäule zu verursachen und deshalb auch einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen erfordert.
Der Kläger unterlag während seiner versicherten Tätigkeiten nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten zusammengerechnet einer kumulativen Einwirkungsbelastung von 15,4 MNh, die den nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, unter modifizierter Anwendung des MDD benannten Orientierungswert von 12,5 MNh übersteigt. Dieser Wert wird auch noch überschritten, wenn man mit K. davon ausgeht, dass der Zeitpunkt der Erstmanifestation der Erkrankung einige Jahre vor der Operation im Jahr 2018 gelegen hat. Ausgehend von den Berechnungen des Präventionsdienstes wurde der Wert von 12,5 MNh ungefähr im Oktober 2013 überschritten.
Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (BSG vom 30.01.2007 - B 2 U 4/06 - BSGE 99, 162) aber nicht automatisch auch auf die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (vgl. zuletzt BSG vom 06.09.2018 - B 2 U 10/17 R und B 2 U 13/17 R, juris RdNr. 19). In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden, insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule, in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen und zwar auch bei solchen Bevölkerungsgruppen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt gewesen sind. Aufgrund dieser multifaktoriellen Ätiologie hat die medizinische Wissenschaft im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK 2108 Kriterien erarbeitet, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als sogenannte Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, der fast alle namhaften mit der BK 2108 befassten Wissenschaftler angehörten, zusammengestellt wurden. Die Konsensempfehlungen aus dem Jahr 2005 stellen weiterhin eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes dar. Dabei ist es zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten nach wie vor sachgerecht und geboten, dass Gutachter und Sachverständige sowie die Gerichte diese Konsensempfehlungen ihrer Beurteilung weiter zugrunde legen (st. Rspr. des BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255; s. zuletzt BSG vom 06.09.2018 - B 2 U 10/17 R und B 2 U 13/17 R, juris RdNr. 20).
Notwendig ist danach ein Schadensbild, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest in Einklang steht. Ein solches belastungskonformes Schadensbild lässt sich beim Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststellen.
Der Senat stützt sich hierbei auf die Konsensempfehlungen und die in dem Gutachten von Dr. Visè getroffenen medizinischen Feststellungen. Dass K. selbst eine Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung des Klägers durch berufliche Belastungen für nicht hinreichend wahrscheinlich gehalten hat, bindet den Senat nicht und steht der vom Senat angenommenen hinreichend wahrscheinlichen Verursachung nicht entgegen. Der Senat ist vielmehr gehalten, die Schlussfolgerungen des Sachverständigen daraufhin zu hinterfragen, ob sie dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen. Ist dies, wie hier, nicht der Fall, darf und muss der Senat aufgrund der getroffenen medizinischen Feststellungen des Sachverständigen eine eigene Einschätzung vornehmen, wenn, wie hier, die Feststellungen des Sachverständigen in Verbindung mit dem aktuellen wissenschaftlichen erkenntnisstand, wie er in den Konsensempfehlungen abgebildet wird, zu einem eindeutigen Ergebnis führen (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 28.06.2022 - B 2 U 9/20 R -, juris Rn. 21). Auf die vom Sozialgericht abweichende Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich hingewiesen worden. Einen Vertagungsantrag hat die Beklagte nicht gestellt. Darüber hinaus hat der Kläger schon erstinstanzlich vorgetragen, dass das Gutachten von K. seiner Auffassung nach sein Begehren stütze. Von daher kann auch dahinstehen, ob die Beklagte von sich aus gehalten gewesen wäre, die Schlussfolgerungen von K. zu hinterfragen.
Nach den Feststellungen von K. besteht bei dem Kläger ein Bandscheibenvorfall L5/S1 sowie in jedem Fall eine mindestens zweitgradige Osteochondrose in dem Segment L4/L5. Ausgehend von dem Schadensbild, wonach beim Kläger die bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich L 5/S 1 und/oder L 4/L 5 lokalisiert ist, sind die sogenannten B-Konstellationen für die Bewertung des Ursachenzusammenhangs zu betrachten.
Die für alle B-Konstellationen erforderlichen Grundvoraussetzungen, die plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung und das Fehlen wesentlicher konkurrierender Ursachenfaktoren, liegen nach den Ausführungen von K. vor.
Nach den weiteren Feststellungen von K. erfüllt der Kläger die Voraussetzungen der Konstellation B2, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen.
Die Konstellation B2 verlangt die zusätzliche Erfüllung mindestens eines der folgenden Zusatzkriterien: - Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben oder "black disc" im MRT an mindestens zwei angrenzenden Segmenten (Zusatzkriterium 1), - besonders intensive Belastung: Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als zehn Jahren (Zusatzkriterium 2), - besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen (Zusatzkriterium 3).
Die arbeitstechnischen Zusatzkriterien 2 und 3 sind nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten, denen der Senat folgt, nicht erfüllt. Die 2. Alternative 1. Zusatzkriteriums scheidet mangels gesicherter "black disc"-Veränderungen aus.
Jedoch kann das Zusatzkriterium 1, 1. Alternative „Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" nicht verneint werden.
Bei dem Kläger liegt ein Prolaps im Sinne der Konsensempfehlungen an drei Bandscheiben vor. Dies ergibt sich aus der Auswertung der Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 17.01.2020 durch K.. Hiernach liegt eine Vorwölbung von bandscheibendichtem Material vor, dass im Segment L2/3 die Wirbelkörperhinterkante um etwa 6,5 mm, im Segment L3/4 um etwa 4 mm, im Segment L4/5 um etwa 5 mm und im Segment L5/S1 um etwa 6 mm überragt. Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Messungen zu zweifeln. Die Beklagte hat insoweit auch keine substantiierten Einwendungen erhoben. Aus der beratungsärztlichen Stellungnahme von Frau S. vom 25.03.2020 ergibt sich nichts anderes. Vielmehr geht die Beratungsärztin der Beklagten auf Protrusionen in den Segmenten oberhalb von L5/S1 nicht ein und nimmt insoweit keine Messungen vor. Im Übrigen hat sie das MRT vom 17.01.2020, anhand dessen K. seine Messungen vorgenommen hat, nicht ausgewertet. Nach den Konsensempfehlungen (Konsensempfehlungen, Trauma und Berufskrankheit, 2005, Heft 3, S. 211, 215, Übersicht 8) handelt es sich bei einer Vorwölbung der Bandscheibe um > 5mm um einen Prolaps. Ferner liegt nach den Feststellungen von K. und S. eine Chondrose mindestens 2. Grades im Segment L4/5 vor. Damit ist eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mindestens 3 Bandscheiben, nämlich in L2/3, L4/5 sowie L5/S1, nachgewiesen, was zur Erfüllung der Konstellation B2, 1. Zusatzkriterium 1. Alternative nach sämtlichen in der medizinischen Wissenschaft und in der Rechtsprechung vertretenen Auffassungen in jedem Fall ausreichend ist (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R – juris Rn. 26 f.).
Dem stehen auch nicht die weiteren Ausführungen von K. entgegen. K. beschreibt im Ergebnis nach der Definition der Konsensempfehlungen einen Prolaps, auch wenn er diesen nicht ausdrücklich so benennt, sondern von einer „Protrusion“ oder „Vorwölbung“ spricht. Insoweit handelt es sich offensichtlich um einen von der Terminologie der Konsensempfehlungen abweichenden Sprachgebrauch, der das medizinische Phänomen beschreibt, aber nicht darauf gerichtet ist, eine im Alter des Klägers nicht altersuntypische Protrusion von einem altersuntypischen Prolaps im Sinne der Begrifflichkeiten der Konsensempfehlungen abzugrenzen. So beschreibt K. die kräftigen Bandscheibenvorwölbungen L2/3 und L3/4 selbst ausdrücklich als altersuntypisch. Zudem sieht er in seinen weiteren Ausführungen das Zusatzkriterium 1 bei dem Kläger in der Sache als erfüllt an, da er ausführt, der Schweregrad der bandscheibenbedingten Veränderungen sei eher höher einzuschätzen als vergleichsweise die Schwärzung der Bandscheibe im Sinne einer sogenannten „black disc“. Soweit K. weiterhin dennoch von der Konstellation B3 ausgeht, ist seine Wertung nach den Konsensempfehlungen nicht nachvollziehbar und auch offensichtlich nicht haltbar. K. scheint im hier vorliegenden Gutachten zu meinen, dass das 1. Zusatzkriterium der Konstellation B2 nur bei „black-disc“-Veränderungen erfüllt sein kann. Damit übersieht er, dass es im 1. Zusatzkriterium noch eine 1. Alternative („Höhenminderung und/oder Vorfall an mehreren Bandscheiben“) gibt, die bei entsprechenden altersuntypischen Veränderungen in mindestens drei Bandscheibenfächern unstreitig erfüllt ist. Dies überrascht, da der Sachverständige in dem Senat in anderen Verfahren erstatteten Sachverständigengutachten bei vergleichbaren Befunden die Konstellation B2 1. Zusatzkriterium 1. Alternative ausdrücklich bejaht hat. Es handelt sich dementsprechend im vorliegenden Fall augenscheinlich um eine Nachlässigkeit oder ein Versehen des Sachverständigen, das den Senat nicht daran hindert, den Sachverhalt aufgrund eigener Bewertung auf der Grundlage der getroffenen medizinischen Feststellungen der Konstellation B2 zuzuordnen. Eine andere Einordnung ist nach den vom Sachverständigen getroffenen medizinischen Feststellungen nicht vertretbar.
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Konstellationen B5 oder B7, für die ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich ist bzw. kein Konsens besteht, sind nicht ersichtlich, da der Befund der HWS nach den Ausführungen von K. altersentsprechend ist.
Soweit K. trotz des Vorliegens der Konstellation B2 noch eine Einzelfallprüfung vornimmt und aufgrund der Gesamtbelastungsdosis von 15,4 MNh das Vorliegen einer BK 2108 verneint, entspricht dieses Vorgehen ebenfalls nicht den Konsensempfehlungen und ist auch rechtlich nicht haltbar. Die Konsensempfehlungen gehen beim Vorliegen der Konstellation B2 von der Wahrscheinlichkeit eines beruflichen Zusammenhangs aus. Das Bundessozialgericht fordert lediglich für die Konstellationen, für die kein Konsens besteht, zusätzlich eine Einzelfallprüfung (BSG, Urt. v. 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R – juris Rn. 26; Urt. v. 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R – juris Rn. 23 ff.). Dafür, dass es möglich sein soll, die nach den Konsensempfehlungen bestehende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung durch berufliche Belastungen zu Lasten des Versicherten in Frage zu stellen oder zu verneinen, bestehen weder nach den Konsensempfehlungen noch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Anhaltspunkte. In jedem Fall ist der von K. zur Begründung seiner Einschätzung herangezogene Gesichtspunkt, dass der Kläger einer Gesamtbelastung von lediglich 15,4 MNh ausgesetzt war, rechtlich nicht tragfähig, denn nach der Rechtsprechung des BSG ist bereits eine Gesamtbelastung von 12,5 MNh als grundsätzlich geeignet anzusehen, eine bandscheibenbedingte Erkrankung wesentlich zu verursachen. Den entsprechenden Ausführungen von K. vermag der Senat daher nicht zu folgen.
Der Senat geht ferner davon aus, dass der Kläger seine Tätigkeit mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 25.06.2019 im Wesentlichen aufgegeben hat, so dass die Rechtsfrage, inwieweit der Aufhebung des Unterlassungszwangs zum 01.01.2021 eine Rückwirkung zukommt, hier dahinstehen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.