Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.05.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Fortsetzung des Verfahrens S 20 AS 2778/21 beim Sozialgericht Freiburg (SG).
Die Klägerin bezieht vom Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Verfahren S 20 AS 2405/21 hatte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine Autoreparatur und Kfz-Haftpflicht begehrt; dieses Verfahren endete durch Urteil vom 27.01.2022, die Berufung hiergegen hat der Senat mit Beschluss vom 15.06.2022 zurückgewiesen (L 12 AS 519/22).
Im Verfahren S 20 AS 2778/21 machte die Klägerin u.a. einen Zuschuss für ihre Hunde, eine Auskunft über ihre ehemaligen Vermieter, die Übernahme von höheren Heizkosten, Kosten für eine Privathaftpflicht und Kosten für einen Elektriker geltend.
Am 27.01.2022 fand vor dem SG in beiden Verfahren eine gemeinsame mündliche Verhandlung statt. Dem Protokoll ist zu entnehmen, dass die Beklagtenvertreterin mitgeteilt hat, dass für eine Privathaftpflicht bezogen auf die im Mietvertrag geforderte Haftpflicht grundsätzlich die Kosten für eine angemessene Haftpflicht (ca. 50,00 € jährlich) übernommen werden könnten. Auch die Kosten für einen Elektriker zum Anschluss der Lampen könnten übernommen werden, wenn die Klägerin eine Rechnung einreiche. Wenn die Klägerin eine Stromrechnung vorlege, könne der Anteil für den Nachttarif als Heizkosten übernommen werden. Des Weiteren ergibt sich aus dem Protokoll, dass die Klägerin eine Entschädigung für die verspäteten Zahlungen begehrte und für eine von ihr angenommene Falschberatung. Die Kammervorsitzende wies dann ausweislich des Protokolls darauf hin, dass eine Klage wegen Schadensersatzes unzulässig sei. Danach findet sich im Protokoll folgender Eintrag:
„Die Klägerin erklärt:
Ich erkläre das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt.“
Dann folgt der Antrag der Klägerin im Verfahren S 20 AS 2405/21. Der Vermerk „vorgespielt und genehmigt“ fehlt.
Mit Schreiben vom 10.03.2022 legte die Klägerin „Widerspruch“ gegen das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 27.01.2022 ein. Sie habe das Verfahren S 20 AS 2778/21 nicht für erledigt erklärt und ihre Klage auch nicht zurückgenommen. Sämtliche geltend gemachten Punkte seien daher weiter Klagegegenstand und anhängig.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.05.2022 hat das SG festgestellt, dass das Verfahren S 20 AS 2778/21 durch Erledigungserklärung am 27.01.2022 beendet wurde. Aus der Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gehe klar und unmissverständlich hervor, dass das Verfahren nicht weiter betrieben werden solle. Aus diesem Grund sei auch nur ein Urteil im parallel verhandelten Verfahren S 20 AS 2405/21 ergangen.
Gegen den Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 03.06.2022 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Sie habe keine ihrer 28 eingereichten Klagen für erledigt erklärt. Dies betreffe auch die Einreichung ihrer Klagen:
„Rentenversicherungsbeiträge
Postbank
Vermittlung Reiterhof
ungewollte Obdachlosigkeit, Freiraum Frau S1 und Jobcenter Frau J1
Spanien - Gewaltopfer
Real Körperverletzung.“
Außerdem halte sie die dienstliche Stellungnahme für unrichtig, es sei schon sehr auffällig, dass genau das nicht protokolliert worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 06.05.2022 aufzuheben und festzustellen, dass sie das Verfahren S 20 AS 2778/21 nicht für erledigt erklärt hat.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat eine dienstliche Stellungnahme der Vorsitzenden der 20. Kammer des SG eingeholt. Diese hat angegeben, dass lediglich vergessen wurde, „vorgespielt und genehmigt“ zu protokollieren. Im weiteren, in diesem Termin verhandelten Verfahren S 20 AS 2405/21 habe die Klägerin einen Antrag gestellt, weshalb in diesem Verfahren im Anschluss an die mündliche Verhandlung ein Urteil ergangen sei. Die Klägerin habe nach Verkündung des Urteils in keiner Weise zu verstehen gegeben, dass sie auch noch eine Entscheidung im Verfahren S 20 AS 2778/21 begehrte.
Die Sitzungsvertreterin des Beklagten ist schriftlich als Zeugin befragt worden. Sie hat angegeben, dass sich im Laufe des Termins zunehmend herauskristallisiert habe, dass die Klägerin tatsächlich Schadensersatz begehre, der ihr deshalb zustehe, da sie von verschiedenen Personen falsch beraten worden sei, daraufhin im Auto habe schlafen müssen sowie teilweise Leistungen verspätet erhalten habe. Sie (die Beklagtenvertreterin) habe zugestanden, dass Leistungen aufgrund eines verloren gegangenen Schecks sowie einer vorläufigen Zahlungseinstellung teilweise tatsächlich verspätet ausbezahlt worden seien. Es habe aber auch festgestellt werden können, dass sämtliche beschiedenen Leistungen die Klägerin schlussendlich erreicht hätten. In Bezug auf die Falschberatung sei die Klägerin sowohl durch das Gericht als auch im Gesprächsverlauf durch sie (die Beklagtenvertreterin) selbst eindringlich darauf hingewiesen, dass eine Klage auf Schadensersatz vor dem Sozialgericht unzulässig sei und die Klägerin sich stattdessen an die ordentliche Gerichtsbarkeit, nämlich das Landgericht F1, wenden müsse. Die Klägerin habe sodann das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte des SG und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2022 in den Verfahren S 20 AS 2405/21 und S 20 AS 2778/21 und die Akten des LSG verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 2 SGG) erhoben. Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin entscheiden, obwohl diese in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Auf diese Möglichkeit ist die Klägerin in der Ladung zum Termin hingewiesen worden (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass das Verfahren S 20 AS 2778/21 erledigt ist.
Die Klägerin hat im Termin am 27.01.2022 wirksam das Verfahren für erledigt erklärt. Nach § 102 Abs. 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Dies kann auch in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll geschehen (§ 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung [ZPO]). Das Sitzungsprotokoll ist grundsätzlich eine öffentliche Urkunde i.S.d. § 415 ZPO und erbringt als solche vollen Beweis z.B. für den protokollierten Inhalt von Aussagen (Schultzky in Zöller, Zivilprozessordnung, Vorbemerkungen zu §§ 159-165, Rn. 3). Nach § 415 Abs. 1 ZPO beweist das Protokoll grundsätzlich den durch die Vorsitzende protokollierten Vorgang (formelle Beweiskraft), also die Abgabe der Erklärung.
Die Erledigterklärung wird nicht dadurch unwirksam, dass der Zusatz „vorgespielt und genehmigt“ nicht protokolliert wurde. Die Wirksamkeit der Klagerücknahme (und der Erledigterklärung) ist – anders als dies beim Vergleichsschluss angenommen wird – nicht von der Beachtung der Protokollierungsvorschriften abhängig, weil diese lediglich Beweiszwecken dienen (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 102 SGG (Stand: 26.07.2022), Rn. 17). Auch macht § 102 Satz 1 SGG die Klagerücknahme von keiner Form abhängig, so dass auch die einfache Erklärung in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Prozessgericht ausreichend ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12.03.1981, 11 RA 52/80, juris.). Das fehlende erneute Vorspielen führt nur dazu, dass dem Protokoll die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde fehlt, sofern Abgabe und Inhalt der Erklärung anderweitig bewiesen werden können (so grundlegend und ausdrücklich zur Klagerücknahme: BSG, a.a.O.). Folglich genießt das Protokoll nicht die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde und eine Widerlegung seines Inhalts ist grundsätzlich möglich.
Der Klägerin gelingt es jedoch nicht, den Inhalt des Protokolls zu widerlegen. Zwar gelten nicht die strengen Anforderungen für die Widerlegung einer öffentlichen Urkunde, jedoch ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt hat. Die Klägerin trägt lediglich vor, keine entsprechende Erklärung abgegeben zu haben. Jedoch haben sowohl die Kammervorsitzende in ihrer dienstlichen Stellungnahme als auch die Beklagtenvertreterin in ihrer Zeugenaussage angegeben, dass die Klägerin das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt hat; dies findet sich auch in den Sitzungsnotizen der Beklagtenvertreterin. Auch der Ablauf der Verhandlung spricht dafür, dass das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt wurde. Die von der Klägerin geltend gemachten Punkte: Haftpflichtversicherung, Kosten für den Elektriker und Heizkosten wurden besprochen und die Vertreterin des Beklagten hat angegeben, nach Vorlage der entsprechenden Belege, die Kosten zu übernehmen. Bzgl. der Schadensersatzforderungen wurde der Klägerin erklärt, dass diese nicht zulässigerweise vor dem Sozialgericht geltend gemacht werden könnten. Die von der Klägerin in ihrer Berufungsschrift aufgezählten Themenkreise:
Rentenversicherungsbeiträge
Postbank
Vermittlung Reiterhof
ungewollte Obdachlosigkeit, Freiraum Frau S1 und Jobcenter Frau J1
Spanien - Gewaltopfer
Real Körperverletzung
waren weder in der damaligen Klageschrift noch in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin angesprochen worden. Auch die Tatsache, dass die Klägerin dann nur noch im Verfahren S 20 AS 2405/21 einen Antrag gestellt hat, spricht dafür, dass die Klägerin das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt hat. Darüber hinaus hat sie, wie sich der dienstlichen Stellungnahme der Kammervorsitzenden und den Notizen der Beklagtenvertreterin entnehmen lässt, auch nach der Verkündung des Urteils im Verfahren S 20 AS 2405/21 nicht nach einer Entscheidung im Verfahren S 20 AS 2778/21 gefragt.
Nach alldem ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung das Verfahren S 20 AS 2778/21 für erledigt erklärt hat und damit den Rechtsstreit in der Hauptsache beendet hat.
Das Verfahren S 20 AS 2778/21 ist daher nicht fortzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AS 1013/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1672/22
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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