L 8 R 3222/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1343/24
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3222/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 08.10.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Regelaltersrente der Klägerin unter Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG).

Die Klägerin wurde 1957 in D1 (Ukraine) geboren und hat einen 1985 geborenen Sohn. Gemäß dem Zeugnis über die Mittelschulbildung absolvierte die Klägerin im Jahre 1974 den vollständigen Kurs der Mittelschule Nr. xx zu D1/Gebiet D1. Am 29.06.1979 erlangte sie ein Diplom für die Qualifikation „Biologielehrer für Unterricht in der französischen Sprache und Lehrer für Mittelschule“. Gemäß der Aufstellung im Arbeitsbuch wurde die Klägerin am 28.11.1979 als Dolmetscherin/Übersetzerin in der Abteilung für Wissenschaftliche Information eingestellt und nach Beendigung des Zeitvertrages am 01.01.1980 entlassen. Am 01.02.1980 wurde sie wiederum als Dolmetscherin/Übersetzerin in der Abteilung für Wissenschaftliche Information eingestellt und am 17.08.1981 an das Labor für physiololgische Rationalisierung der Arbeit versetzt und als Oberlaborantin mit Hochschulbildung beschäftigt. Am 18.08.1982 wurde die Klägerin von der Stelle „nach Art. 38 des AGBuches der USSR (eigener Wunsch)“ entlassen. Am 16.11.1982 wurde sie als Lehrerin für Französisch an der Mittelschule Nr. xx der Stadt D1 eingestellt, am 13.01.1988 von der Stelle entlassen und an die Mittelschule Nr. xxx versetzt. Von diesem Tag war die Klägerin als Erzieherin der Hortklasse und Lehrerin für Französisch an der Mittelschule Nr. xxx beschäftigt und wurde am 11.01.1993 von der Stelle als Französischlehrerin auf eigenen Wunsch entlassen. Nach den Eigenangaben bei der Rentenantragsstellung wurde die Klägerin in der „UdSSR“ geboren, hatte am 18.05.1990 ihren Wohnsitz in D1/Ukraine und der „Zuzug aus dem Ausland“ erfolgte am 23.02.1993. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2000 deutsche Staatsangehörige. Davor besaß sie die ukrainische bzw. sowjetische Staatsangehörigkeit.

Im Bescheid vom 30.07.2004 der Beklagten wurden zugunsten der Klägerin vom 25.05.1974 bis 27.06.1979 Zeiten der Schulausbildung, Überbrückungszeiten und Zeiten der Hochschulausbildung berücksichtigt. Die Zeit vom 28.11.1979 bis 11.01.1993 werde nicht als Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit anerkannt, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG (z.B. Anerkennung als Vertriebener, Spätaussiedler) nicht vorlägen. Die Zeit vom 23.02.1993 bis 12.05.1993 könne nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden, weil sie nicht nachgewiesen worden sei. Man habe geprüft, ob Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten anzuerkennen seien. Für den 1985 geborenen Sohn werde die Zeit vom 01.02.1993 bis 14.06.1995 als Berücksichtigungszeit anerkannt. Die Zeit vom 01.07.1985 bis 30.06.1986 könne nicht als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 15.06.1985 bis 31.01.1993 nicht als Berücksichtigungszeit anerkannt werden, weil die Voraussetzungen nach dem FRG nicht erfüllt seien oder das Kind nicht im Herkunftsgebiet erzogen wurde.

Die Klägerin beantragte am 27.04.2023 eine Regelaltersrente. Gemäß den Angaben im Fragebogen über zurückgelegte Beschäftigungszeiten, Versicherungszeiten, Anrechnungszeiten und Militärdienstzeiten auf dem Staatsgebiet der ehemaligen Sowjetunion, der Ukraine u.a. habe die Klägerin von 1957 bis 1993 in der Ukraine gewohnt. Letzter Wohnsitz war bis 21.02.1993 D1, eine Anerkennung als Vertriebener oder Spätaussiedler im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) wurde verneint. Verneint wurde zudem, dass sie vertriebener Verfolgter sei und dem deutschen Sprachkreis und Kulturkreis angehöre. Bejaht wurde, dass die Klägerin Angehörige des Judentums ist und früher dem deutschen Sprachkreis und Kulturkreis angehörte. Es sei kein Elternteil in der ehemaligen Sowjetunion interniert oder verschleppt worden, die allgemeinbildende Schule habe sie von 1964 bis 1974 besucht und danach einen Hochschulabschluss als Lehrerin für Französisch und Biologie erlangt (1974 bis 1979 an der M1 Pädagogischen Hochschule). Die Klägerin machte entsprechend dem vorgelegten Arbeitsbuch Angaben in der Aufstellung über Beschäftigungen. Im Vordruck zur Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gab die Klägerin an „jüdischer Kontingentsflüchtling“ zu sein.

Mit Bescheid vom 27.09.2023 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Regelaltersrente beginnend am 01.05.2023 in Höhe von monatlich 318,48 €. Abzüglich der Anteile zum Beitrag zur Krankenversicherung (23,25 €), zum Zusatzbeitrag (2,55 €) und dem Beitrag zur Pflegeversicherung (10,83 €) betrug der monatliche Zahlbetrag 281,85 €. In dem als Anlage zum Bescheid beigefügten Versicherungsverlauf wurde die Zeit vom 25.05.1974 bis 26.06.1974 als Schulausbildung, die Zeit vom 27.06.1974 bis 31.08.1974 als Übergangszeit und die Zeit vom 01.09.1974 bis 27.06.1979 als Hochschulbildung berücksichtigt. Die weiteren berücksichtigten Zeiten beginnen am 01.06.1993. Die Zeit vom 01.02.1993 bis 14.06.1995 wurde zudem als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung eingestellt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte hiergegen am 18.10.2023 Widerspruch ein. Sie sei seit dem Jahre 2000 eingebürgert und habe ihre Versicherungszeiten auf dem Staatsgebiet der ehemaligen Sowjetunion belegt sowie eine Kopie des Arbeitsbuches abgegeben. Sie habe die allgemeinbildende Schule in der Ukraine von 1964 bis 1974 besucht, die Ausbildung zur Lehrerin in Französisch und Biologie von 1974 bis 1979 in M1 absolviert und sei vom 28.11.1979 bis 11.01.1993 im Wirtschaftsbereich 18 unter anderem als Dolmetscherin und Lehrerin für Französisch tätig gewesen. Sie wende sich gegen die Nichtberücksichtigung dieser Zeiten und begehre die Berücksichtigung der in der Ukraine zurückgelegten Rentenzeiten entsprechend dem FRG vor dem Hintergrund des Art. 3 Grundgesetz (GG). Deren Nichtberücksichtigung stelle eine Diskriminierung aufgrund der Religion dar. Sie sei mit dem Status „jüdischer Kontingentflüchtling“ mit ihrem Sohn und den Eltern aufgrund des zunehmenden Antisemitismus in der Ukraine und dem zunehmenden Kontrollverlust des Staates nach Deutschland ausgereist und wohne seit 21.02.1993 in Deutschland. In ihrem sowjetischen Pass sei Jüdin eingetragen gewesen. Sie sei askenasische Jüdin (jiddisch sprechende - ursprünglich aus Deutschland stammende Juden), ihre Mutter und Großmutter hätten zu Hause Jiddisch gesprochen. Der von der Großmutter stammende Nachname K1 beweise, dass sie Abkömmling askenasischer Juden sei. Die Herkunft der askenasischen Juden werde in M2, S1 und W1 verortet. Sie begehre die Gleichbehandlung mit den sogenannten Spätaussiedlern. Bei diesen handele es sich, wie bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen, um eine Personengruppe, die die Republiken der ehemaligen Sowjetunion verlassen haben. Dies sei, wie bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen, Anfang der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts nach Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erfolgt. Rechtliche Grundlage für die sogenannten Kontingentflüchtlinge sei ein analog angewandtes Gesetz aus den 1950er Jahren gewesen, ursprünglich geschaffen für die sogenannten Boatpeople aus Vietnam. Sowohl der örtliche Fluchtbereich, als auch der historische Grund für die Aufnahme entspreche vielmehr dem, der auch Grundlage für die Aufnahme der Spätaussiedler gewesen sei, nämlich das durch den Nationalsozialismus vor und in dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Unrecht, welches die Vertreibung und die Ächtung deutscher Volkszugehöriger zur Folge hatte. Die Gleichbehandlung der Personengruppen der jüdischen Kontingentflüchtlinge aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sowie der sogenannten Spätaussiedler liege wesentlich näher, als eine Anwendung der Rechtsgrundlagen der „Boatpeople“ aus Vietnam. Denn diese teilten ein gemeinsames geschichtliches Schicksal letztlich ausgehend vom Nationalsozialismus und der Shoah. Bei analoger Anwendung des Fremdrentenrechts seien auch die Kindererziehungszeiten für den Sohn zu berücksichtigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2024 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin wende sich gegen die Nichtberücksichtigung der im Zeitraum von 1964 bis Januar 1993 erfolgten schulischen Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten in der Ukraine. Die schulische Ausbildungszeit von 1964 bis 24.05.1974 könne nicht als Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) anerkannt werden, weil sie vor Vollendung des 17. Lebensjahres liege. Die Zeit vom 25.05.1974 bis 27.06.1979 sei als schulische Ausbildungszeit bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden, sodass keine Beschwer vorliege. Die in der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zurückgelegten und hier geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten nach der gegenwärtigen Rechtslage in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin zu keinem der Personenkreise gehöre, für die das die Gleichstellung von Fremdzeiten mit Bundesgebietszeiten regelnde FRG Anwendung finde. Die Klägerin sei weder als Vertriebene nach § 1 BVFG noch als Spätaussiedler nach § 4 BVFG anerkannt, so dass § 1 a) FRG als Anspruchsgrundlage ausscheide. Bei lediglich geltend gemachten Nachkriegszeiten könne eine Schlechterstellung infolge der Kriegsauswirkungen nicht eingetreten sein, so dass auch § 1 b) FRG ausscheide. Die in § 1 c) und d) FRG geregelten Tatbestände seien offensichtlich nicht gegeben. Weder die Eigenschaft als sogenannter Kontingentflüchtling noch die Aufenthalts- und/oder Asylberechtigung könne zu einer Gleichstellung der im Herkunftsland zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten mit Bundesgebietszeiten führen. Ebenso reiche allein die Einbürgerung oder die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft nicht aus.

Die Klägerin hat hiergegen, anwaltlich vertreten, am 18.05.2024 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und die Gewährung der Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Versicherungszeiten entsprechend dem FRG geltend gemacht. Sie begehre die analoge Anwendung des FRG. Die gegenwärtige Rechtslage gebiete die Erweiterung des Personenkreises unter Anwendung des Art. 3 GG. Der Gesetzgeber dürfe Gruppen aus nachvollziehbaren Gründen bei Verfolgung legitimier politischer Ziele durchaus privilegieren und habe dies mit dem FRG zugunsten von u.a. Vertriebenen und Spätaussiedler getan. Dies sei aufgrund ihres Schicksals gerechtfertigt. Bei der Privilegierung sei der Gesetzgeber aber nicht völlig frei und dürfe (unter Verweis auf das Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] und Bundesverfassungsgericht [BVerfG]) nicht gleichheitswidrig privilegieren. Die erforderlichen Sachgründe seien nicht vorhanden. Der Gesetzgeber habe mit der Aufnahme der Spätaussiedler (und Vertriebenen) und ihrer rentenrechtlichen Gleichstellung mit Inländern einen Ausgleich für ihr kriegsfolgenbedingtes Schicksal und damit eine Vergünstigung geschaffen. Dies sei Teil der Kriegsfolgenpolitik gewesen, gleiches sei bei jüdischen Kontingentflüchtlingen geboten. Ihre in der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zurückgelegten und hier geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten seien bei richtiger Anwendung des Art. 3 GG auch nach der gegenwärtigen Rechtslage in der deutschen Rentenversicherung entsprechend dem FRG zu berücksichtigen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgebracht, dass sich aus dem Vorbringen der Klägerin keine wesentlichen neuen Erkenntnisse ergäben.

Das SG hat mit Urteil vom 08.10.2024 die Klage abgewiesen. Mit Einverständnis der Beteiligten habe das SG ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden können. Die Klägerin habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente. Die von der Klägerin in der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten zurückgelegten und hier geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten könnten in der deutschen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin zu keinem der Personenkreise gehöre, für die das FRG zur Anwendung komme. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften des FRG auf den Fall der Klägerin scheide nach § 1 FRG, wie von der Beklagten zutreffend dargelegt, aus. Auch eine analoge Anwendung der Vorschriften des FRG komme nicht in Betracht. Eine Analogie habe drei Voraussetzungen, nämlich eine Regelungslücke, die Planwidrigkeit der Lücke und eine Vergleichbarkeit der Interessenlage des ungeregelten Falls zum geregelten Fall. Für die Konstellation der Klägerin sei bereits keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke im gesetzlichen Regelungsprogramm zu erkennen. Eine Regelungslücke lasse sich auch nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG begründen. Das FRG ermögliche es, unter bestimmten Voraussetzungen ausländische („fremde“) Zeiten in der deutschen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Um welche Zeiten es sich handelt, beruhe dabei letztlich auf gesetzgeberischer Festlegung. Diese sei in verfassungsrechtlicher Hinsicht insbesondere an Art. 3 Abs. 1 bis 3 GG zu messen. Allerdings gewähre das FRG eine Privilegierung im Leistungsrecht für bestimmte Personengruppen. Bei der gewährenden Staatstätigkeit entscheide der Gesetzgeber, welche Personen Zuwendungen erhalten sollen. Der Gleichheitssatz verbiete nur die Verteilung von Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten. Zu einer Einschränkung der Kontrolldichte führe hierbei auch, dass es sich bei der Einbeziehung bestimmter Personengruppen in den Anwendungsbereich des FRG um eine sozialpolitische Entscheidung handele. Auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts sei wegen fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens dem Gesetzgeber eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Ungleichbehandlungen seien hinzunehmen, solange die Erwägungen des Gesetzgebers weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind. Es sei deshalb nicht zu untersuchen, ob der Normgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden habe, sondern nur, ob der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten habe (unter Verweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.03.2023 – 1 BvR 172/22). Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin erkenne das SG keine Regelungslücke, die unter Heranziehung des FRG geschlossen werden müsste. Anhaltspunkte für eine aus anderen Gründen fehlerhafte Berechnung der Regelaltersrente seien nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund erweise sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als rechtsfehlerfrei. Das SG schließe sich daher den Begründungen und Berechnungen der Beklagten in dem Bescheid vom 27.09.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2024 an und sehe insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG). Eine Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen sei nicht einzuholen gewesen. Insbesondere könne das SG keinen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 4 GG erkennen und es sei nicht von der Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden gesetzlichen Reglungen überzeugt. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 09.10.2024 zugestellt worden.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG am 07.11.2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Eine analoge Anwendung des FRG auf jüdische Kontingentflüchtlinge sei aus Gleichheitsgründen geboten. Auch vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots (§ 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz [AGG]) sei es im Rahmen einer verfassungsrechtlich erweiterten Auslegung des Anwendungsbereiches geboten, das FRG auf die - aschkenasisch - jüdischen Kontingentflüchtlinge zu erweitern. Anders als das SG meine, sei der Gesetzgeber bei der Durchführung einer Privilegierung nicht völlig frei, da er nicht gleichheitswidrig privilegieren dürfe. Differenzierungen, die zu unterschiedlichen Regelungen von im wesentlichen gleichen Sachverhalten führten, bedürften der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Zwischen 1991 und 2006 seien etwa 216.000 sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge, von denen sie eine sei, aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden. Die Einwanderung habe auf einem Beschluss des Ministerrats der DDR vom 11.07.1991 und einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 beruht, ohne dass in den Beschlüssen eine aufenthaltsrechtliche Regelung getroffen worden sei. Verwiesen wurde letztlich auf ein Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951. Das FRG gelte für vertriebene Deutsche bzw. deutsche "Volkszugehörige". Dies sei Folge des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung von Deutschen insbesondere aus Gebieten, die nunmehr zu Polen sowie zu Russland gehörten oder die auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion lebten. 1992 habe der Deutsche Bundestag im BVFG und im FRG die Kategorie des Spätaussiedlers zusätzlich geschaffen. Unter Spätaussiedlern verstehe man nach § 4 BVFG in der Regel sogenannte deutsche Volkszugehörige, die unter einem Kriegsfolgenschicksal litten. Für eine Vergleichbarkeit zur deutschen Volkszugehörigkeit und dem Leid des Kriegsfolgenschicksals spreche sowohl die Tatsache, dass sie als sogenannte "aschkenasische" Jüdin gelte und damit vergleichbar den Spätaussiedlern einem Kriegsfolgenschicksal ausgesetzt war. Nach neuerer Forschung und wissenschaftlicher Einschätzung (unter Verweis auf Beck, Volker in: Thomas Schirrmacher und Martin Warnecke: Jahrbuch Religionsfreiheit 2020 Band 36, Seite 36 bis 80) dürften diese dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehören. Die Wiege des aschkenasischen Judentums liege am Rhein und damit in den deutschen Landen. Als bedeutende Siedlungsstädte für die jüdische Bevölkerung seien die Städte K2, S1 und W1 zu nennen, in denen die jüdische Kultur gerade im Hochmittelalter gut dokumentiert sei. Jiddisch sei weiterhin die historische Umgangssprache der aschkenasischen Juden. Allerdings handele es sich um einen Begriff, der erstmals 1886 in den USA belegt sei. Im alt-jüdischen bezeichne man die Sprache mit "Teitsch", früher auch "Deutsch Hebräisch". Zwar habe der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Beschluss vom 14.06.1973 (IX ZB 84/71), vor mehr als 50 Jahren, erklärt, "jiddisch" sei nicht Deutsch und vermittele den Zugang zur jüdischen Kultur, nicht aber zur deutschen. Vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der Forschung könne dies keinen Bestand haben. Es habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden, so habe Angela Merkel im Grußwort zur Chanukka erklärt: "Jüdisches Leben, seine Kultur und Geschichte sind Teil der Identität Deutschlands". 1941 lebten auf dem Gebiet der Sowjetunion 5,1 Millionen Juden, wovon ungefähr 2,9 Millionen im Laufe der folgenden beiden Jahre von den Deutschen ermordet worden seien. In der Folge sei auch die Infrastruktur der jüdischen Kultur im Westen der Sowjetunion zerstört worden. Es sei auch antisemitische Politik gegenüber den Juden in der Sowjetunion erfolgt (u.a. 1949 Großkampagne gegen „heimatlose Kosmopoliten“; August 1952 Ermordung von mindestens 13 prominenten jüdischen Schriftstellern in der Nacht der ermordeten Dichter, Ärzteverschwörung 1953). Das Kriegsfolgenschicksal der deutschen Volkszugehörigen und Spätaussiedler dürfte mit den jüdischen Kontingentflüchtlingen ebenfalls vergleichbar sein. Man verweise auf die (vorgelegte), im Rahmen der Stellungnahme des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 12.04.2021 wiedergegebene, Stellungnahme von Volker Beck (Lehrbeauftragter des Zentrums für religiöse wissenschaftliche Studien der Universität B1). Die Differenzierung von Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern beim FRG sei weder durch Art. 116 GG noch durch andere, hinreichend gewichtige Sachgründe gerechtfertigt. Tatsächlich seien beide Gruppen aus „Verantwortung vor der Geschichte“ im Kontext von Shoah und Zweitem Weltkrieg aufgenommen worden. Die Vorfahren beider Gruppen stammten aus den deutschen Landen. Russlanddeutsch und Teitsch (Jiddisch), die Muttersprachen beider Gruppen, sei sprachlich dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zuzurechnen. Beide Gruppen hätten ein Kriegsfolgenschicksal, die antisemitischen Maßnahmen der Sowjetführung gegen die Jüdinnen und Juden nach Kriegsende unter Stalin und abgemildert in den Jahren danach. Sie gehöre auch nicht zum Personenkreis der Begünstigten aus dem sogenannten Härtefallfonds (https://www.bmas.de/DE/Soziales/Haertefallfonds/haertefallfonds.html). Sie sei wegen ihres Alters, da sie bei der Einreise in die Bundesrepublik zu jung gewesen sei, abgelehnt worden. Eine Gleichbehandlung im Fremdrentenrecht sei auch gerechtfertigt, weil auch im Rahmen des Härtefallfonds eine Gleichbehandlung stattfinde. Auch Spätaussiedler hätten bei kleinen Renten Anspruch auf den Härtefall, wie auch die jüdischen Kontingentflüchtlinge. Warum jüdische Kontingentflüchtlinge im Gegensatz dazu aber keinen Anspruch auf Fremdrentenzeiten haben sollten, sei nicht plausibel. Eine verfassungsrechtliche Prüfung habe auch anhand der besonderen Gleichheitssätze des Art. 3 Abs. 3 GG zu erfolgen, da gerade der Glaube und die religiösen Anschauungen (Satz 1) betroffen seien. Der Ausschluss der jüdischen Kontingentflüchtlinge führe zu dem Gebot, bei Anwendung der Vorschriften des FRG diese zur Vermeidung einer Diskriminierung wegen des Glaubens bzw. ihrer religiösen Anschauung dem Personenkreis der Vertriebenen und Spätaussiedler zur Vermeidung einer unbotmäßigen Priviligierung gleichzustellen. Bei Nichtanerkennung bestehe ein Defizit im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie Spanien und Portugal. Es werde beantragt, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 1 FRG mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG vereinbar ist, soweit jüdische Kontingentflüchtlinge von der Anwendung nicht erfasst werden.

Die Klägerin beantragt, teilweise sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 08.10.2024 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.09.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2024 abzuändern und ihr eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Versicherungszeiten entsprechend dem Fremdrentengesetz ab dem 01.05.2023 zu gewähren.

Hilfsweise beantragt die Klägerin,

zum Beweis der Tatsache, dass in der sowjetischen Nationalitätenpolitik "Jude" neben "Deutsch" eine der Nationalitäten in der Sowjetunion war und es deshalb keine deutschen oder deutschstämmigen Spätaussiedler jüdischen Glaubens gab, die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Osteuropa-Historiker.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 08.10.2024 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beklagte hat vorgebracht, das SG habe die Klage mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Hinsichtlich der Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit der streitbefangenen Norm(en) möchte man sich nicht äußern.

Mit Bescheid vom 15.01.2025 hat die Stiftung Härtefallfonds den Antrag der Klägerin auf Auszahlung der pauschalen Einmalzahlung der „Stiftung zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung, für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler" abgelehnt, da diese bei Aufnahme in Deutschland das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Hinsichtlich der nichtöffentlichen Sitzung vom 21.02.2025 ist auf das Protokoll hierzu zu verweisen.

Die Klägerin hat hiernach vorgebracht, der Einwand, dass keine Ungleichbehandlung wegen Religion oder wegen Glauben vorliege, weil auch ein deutscher oder deutschstämmiger Spätaussiedler jüdischen Glaubens nicht vom Regelwerk des FRG ausgeschlossen sei, könne allenfalls vollkommen abstrakt und losgelöst von jeglichen realen Anhaltspunkten vorgetragen werden. Im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik und Gesetzgebung sei "Jude" ebenso wie "Deutscher" eine der Nationalitäten in der Sowjetunion gewesen, die im sowjetischen Pass erfasst worden seien. Schon danach sei eine Konstellation, wie "deutscher oder deutschstämmiger Spätaussiedler jüdischen Glaubens" Anfang der 1990er Jahre real vollkommen undenkbar gewesen. Bei den deutschen Botschaften und Konsulaten in der Sowjetunion, bei denen die Migrationsanträge in den 1990er Jahren eingereicht worden seien, sei man entweder deutsch oder jüdisch gewesen und danach entweder als Spätaussiedler oder als jüdischer Kontingentflüchtling behandelt worden. Die Betroffenen selbst hätten darauf keinen Einfluss gehabt. Aufgrund der mangelnden Freizügigkeit in der Sowjetunion und davor noch im Russischen Reich sei auch eine Vermischung der zwei verschiedenen aus dem deutschen Sprach- und Kulturraum stammenden - sich lediglich durch die Religion unterscheidenden - Gruppen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Kontingenten ins Russische Reich gekommen seien, weitgehend ausgeschlossen. Es liege eine deutliche Unterscheidung zweier Migrationsgruppen durch den Gesetzgeber und die Behörden der Bundesrepublik Deutschland vor. Der entsprechende Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz der Bundesrepublik Deutschland vom 09.01.1991 habe einen eindeutigen rechtlichen Rahmen für Juden festgelegt, wonach die Einreise von Juden aus der Sowjetunion (ohne zahlenmäßige Begrenzung) auch in Zukunft aufgrund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des "Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge" ermöglicht werde. Für Spätaussiedler sei die umfassende rechtliche Rahmensetzung durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) von 1992 erfolgt. Die offensichtlich unterschiedliche Behandlung möge auf der formalen Unterscheidung durch andere Staaten beruhen bzw. diese fortschreiben. Habe man Anfang der 1990er Jahre in der Sowjetunion den Migrationsantrag in der deutschen Auslandsvertretung aufgrund der Zugehörigkeit zur jüdischen "Nationalität" (entsprechend dem sowjetischen Pass) gestellt, habe man den Status des "jüdischen Kontingentflüchtlings" bekommen und sei als solcher und nicht als "Spätaussiedler" bzw. "deutscher Volkszugehöriger" behandelt worden. Zur Frage der fehlenden planwidrigen Regelungslücke sei auszuführen, dass in der amtlichen Begründung zum KfbG die Aufnahme von Spätaussiedlern damit begründet werde, dass "die Lage und Entwicklung der deutschen Volksgruppen in den Aussiedlungsgebieten unmittelbar oder mittelbar durch Maßnahmen während des Krieges oder nach Kriegsende geprägt ist.“ Dies sei der Gesetzesbegründung nach "bei den Rußlanddeutschen die Verschleppung und Zerstreuung während des Krieges und danach in entlegene Teile der UdSSR" gewesen. Auf eben die beschriebene Art und Weise seien auch andere Völker/Nationalitäten der UdSSR behandelt worden. Während bzw. infolge des Zweiten Weltkriegs seien 25 Millionen Menschen "evakuiert" worden. Evakuierung und Deportation bzw. Verschleppung ließen sich in der Sowjetunion oftmals kaum voneinander unterscheiden und hätten, wie auch die Zerstreuung in entlegene Landesteile, nicht weniger die Juden betroffen. Auch hierbei habe die tatsächliche "Vertriebeneneigenschaft" - im eigentlichen Sinne des Wortes - noch mehr und soweit es die Verantwortung des deutschen Staates angeht unmittelbarer bei den Juden vorgelegen, da diese durch den Zweiten Weltkrieg und den Vormarsch der deutschen Wehrmacht massiv in ihrer physischen Existenz bedroht waren. Jedenfalls sei "die Lage und Entwicklung" der Juden nicht weniger "unmittelbar oder mittelbar durch Maßnahmen während des Krieges oder nach Kriegsende" geprägt gewesen. In diesem Zusammenhang sei auch die Formulierung im Folgeabsatz der Gesetzesbegründung für Juden in besonderem Maße einschlägig: "Auch sie (jene vom beschriebenen Personenkreis, die sich zu einem späteren Zeitpunkt für eine Aussiedlung entscheiden) sind bei Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland Personen im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes; denn bei dessen Anwendung war nie strittig, daß Vertriebener nicht nur derjenige ist, der durch unmittelbaren staatlichen Zwang aus seiner Heimat verdrängt wird (§ 1 Abs. 1 BVFG), sondern auch derjenige, der dem faktischen Druck der Verhältnisse weicht (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG)." Die gesamte gesetzliche Begründung der Vertriebeneneigenschaft für Spätaussiedler habe mithin nicht minder auch auf jüdische Kontingentflüchtlinge zugetroffen. Auch die darauf folgende jahrzehntelange sowjetische Staatspolitik gegenüber den Juden sei, wie auch der Alltag, nicht weniger von Restriktion, Verfolgung und Diskriminierung geprägt gewesen, als gegenüber den Deutschen. Das der Formulierung der Gesetzesbegründung nach durch das "Bewusstsein, deutsche Volkszugehörige zu sein", "implizierte Kriegsfolgenschicksal" sei mithin nicht weniger durch das Bewusstsein, Jude zu sein, impliziert, was ebenfalls mit den dargestellten entsprechenden Belastungen einhergegangen sei. Gleichzeitig werde in der amtlichen Begründung zum KfbG einschränkend auf § 6 BVFG in seiner damaligen Fassung verwiesen, nach dem nur Personen in Betracht kämen, "die (bezogen auf das Kriegsende) von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammen und denen Bestätigungsmerkmale im Sinne des § 6 vermittelt wurden, die sie dem deutschen Volkstum zuweisen. Das wird insbesondere die Vermittlung der deutschen Sprache als Muttersprache sein." Der Duden sage zum Jiddisch: "gekürzt aus jiddisch jidisch daitsch, also eigentlich = jüdisches Deutsch, Bezeichnung für das Deutsch der Juden Osteuropas" (https://www.duden.de/rechtschreibung/jiddisch). Das sei die Sprache, die die Großeltern und Eltern der jüdischen Kontingentflüchtlinge und auch noch einige jüdische Kontingentflüchtlinge bis zum heutigen Tage sprächen. Die Identifikation über die deutsche Sprache und deren Vermittlung und Überlieferung sei bei Juden jedenfalls nicht weniger gegeben als bei Spätaussiedlern. Im Ergebnis habe man es mit zwei vergleichbaren Zuwanderergruppen zu tun, die unterschiedlich behandelt würden. Beide Gruppen hätten aber die gleiche Erwerbs- und Migrationsbiographie. Auch im Hinblick auf die vom deutschen Gesetzgeber unterstellte Vertriebeneneigenschaft, das Kriegsfolgeschicksal und den Kriegsfolgeschaden sowie den Bezug zum deutschen Sprach- und Kulturkreis als wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit zum deutschen Volk ergäben sich keine rechtlich relevanten Unterschiede. Dem Gesetzgeber hätte schon bei der Verabschiedung des KfbG im Jahr 1992 auffallen müssen, dass zwei bis auf die Religion wesentlich gleiche Gruppen in unzulässiger Weise unterschiedlich behandelt würden. Darin liege eine planwidrige Regelungslücke. Dass diese Regelungslücke dem Gesetzgeber bis heute nicht aufgefallen sei bzw. verkannt werde, ändere nichts an der Verfassungswidrigkeit dieses Zustandes. Der Umstand der Befassung der Legislative mit der vorgetragenen Ungleichbehandlung der jüdischen Kontingentflüchtlinge im Vergleich zu Spätaussiedlern führe nicht per se dazu, eine planwidrige Regelungslücke abzulehnen. Denn diese sei nicht ex post, sondern auch ex ante zu betrachten. Soweit das Gericht der Auffassung sei, dass FRG gelte (ursprünglich) für Vertriebene und habe deshalb im Vergleich zu den jüdischen Kontingentflüchtlingen einen anderen Fokus, werde darauf hingewiesen, dass Juden in der Geschichte Deutschlands immer auch Vertriebene gewesen seien. Dies zeige schon die Geschichte des aschkenasichen Judentums deutlich (unter Verweis auf Wikipedia). Eine Rente aus der Ukraine könne sie nicht erlangen, da ein Rentenexport aus der Ukraine nach Deutschland nicht stattfinde.

Die Klägerin hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erklärt. Der Beweisantrag werde ausdrücklich gestellt.

Die Beklagte hat ebenfalls ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß § 143 SGG statthaft und zulässig.

Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung einer höheren Altersrente ab dem 01.05.2023 unter Berücksichtigung weiterer rentenrechtlicher Zeiten in der Ukraine/Sowjetunion entsprechend dem FRG und hierzu die Aufhebung des Urteils des SG vom 08.10.2024 sowie die Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 27.09.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2024 (§ 95 SGG). Auf den Vormerkungsbescheid vom 30.07.2004 kommt es hingegen nicht mehr maßgebend an. Mit der Übernahme der relevanten versicherungsrechtlichen Feststellungen in den Rentenbescheid hat der Vormerkungsbescheid die ihm zukommende Funktion der Beweissicherung für künftige Leistungsfeststellungsverfahren erfüllt und damit jegliche rechtliche Bedeutung verloren. Der Vormerkungsbescheid hat sich daher „auf andere Weise“ im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (Hessisches LSG, Urteil vom 16.10.2023 – L 5 R 202/21 –, juris Rn. 48 mwN).

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2024 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der angefochtene Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung weiterer zu berücksichtigender Rentenzeiten nach dem FRG (unter 1.), in analoger Anwendung des FRG (unter 2.) oder unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (unter 3.).

Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Regelaltersrente nach § 35 S. 1 SGB VI (in Verbindung mit § 34 SGB VI), da sie die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit, die Beklagte hat der Klägerin vielmehr bereits mit dem angefochtenen Bescheid eine Regelaltersrente ab dem 01.05.2023 zuerkannt. Die Beteiligten streiten lediglich über die Rentenhöhe und hierbei über die Berücksichtigungsfähigkeit von Beitragszeiten bis zum Zuzug aus dem Ausland in die Bundesrepublik am 23.02.1993.

Maßgebend für die Berechnung der Rentenhöhe sind die §§ 63 ff. SGB VI. Die Höhe einer Rente richtet sich nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 SGB VI). Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet; die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres ergibt einen vollen Entgeltpunkt (§ 63 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB VI).

Die schulische Ausbildungszeit bis 24.05.1974 kann nicht als Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI anerkannt werden, weil diese vor Vollendung des 17. Lebensjahres der Klägerin liegen.

Die Zeit vom 25.05.1974 bis 27.06.1979 ist, wie die Beklagte zutreffend im angefochtenen Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, bereits nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI als schulische Ausbildungszeit bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden. Wie sich aus dem Bescheid vom 27.09.2023 und dem als Anlage zum Bescheid beigefügten Versicherungsverlauf ergibt, wurde die Zeit vom 25.05.1974 bis 26.06.1974 als Zeit der Schulausbildung, die Zeit vom 27.06.1974 bis 31.08.1974 als Übergangszeit und die Zeit vom 01.09.1974 bis 27.06.1979 als Zeit der Hochschulbildung berücksichtigt.

Die Klägerin hat während des streitgegenständlichen Zeitraums vom 28.06.1979 bis zum Zuzug aus dem Ausland am 23.02.1993 keine Versicherungszeiten in Deutschland bei einem deutschen Versicherungsträger zurückgelegt. Nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.

1. Die Klägerin kann auch keine Berücksichtigung der in der Ukraine/Sowjetunion zurückgelegten Beschäftigungszeiten in der deutschen Rentenversicherung nach dem FRG beanspruchen, da sie nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt. Dementsprechend sind insbesondere keine Zeiten nach den §§ 14, 15, 16 FRG i.V.m. § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI zu berücksichtigen.

Der Anwendungsbereich des FRG ist für die Klägerin nicht eröffnet.

Das FRG findet nach § 1 FRG unbeschadet des § 5 Abs. 4 und des § 17 Anwendung auf
a) Vertriebene im Sinne des § 1 BVFG sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG, die als solche in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt sind,
b) Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 GG und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Artikels 116 Abs. 2 Satz 1 GG, wenn sie unabhängig von den Kriegsauswirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben, jedoch infolge der Kriegsauswirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können,
c) Deutsche im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 GG und frühere deutsche Staatsangehörige im Sinne des Artikels 116 Abs. 2 Satz 1 GG, die nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht wurden,
d) heimatlose Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (Bundesgesetzbl. I S. 269), auch wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben oder erwerben,
e) Hinterbliebene der in Buchstaben a bis d genannten Personen bezüglich der Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene.

Die Klägerin ist weder als Vertriebene nach § 1 BVFG noch als Spätaussiedler nach § 4 BVFG anerkannt, so dass § 1 a) FRG als Grundlage für die begehrte Berücksichtigung rentenrechtlicher Zeiten ausscheidet. Die Klägerin selbst hat im Verwaltungsverfahren im Fragebogen über zurückgelegte Beschäftigungszeiten, Versicherungszeiten, Anrechnungszeiten und Militärdienstzeiten auf dem Staatsgebiet der ehemaligen Sowjetunion und der Ukraine angegeben, dass keine Anerkennung als Vertriebener oder Spätaussiedler im Sinne des BVFG vorliegt. Die Klägerin hat zudem in diesem Fragebogen verneint, dass sie vertriebener Verfolgter ist und dem deutschen Sprachkreis und Kulturkreis angehört. Dementsprechend liegen bereits nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin die Voraussetzungen des § 1 a) FRG nicht vor.

Bei lediglich geltend gemachten Nachkriegszeiten und der Geburt der Klägerin im Jahr 1957 kann eine Schlechterstellung infolge der Kriegsauswirkungen nicht eingetreten sein, so dass auch § 1 b) FRG ausscheidet. Die in § 1 c), d) und e) FRG geregelten Tatbestände sind offensichtlich nicht gegeben. Die Klägerin wurde weder nach dem 08.05.1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung verbracht noch ist/war sie heimatlose Ausländerin im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet. Da die Klägerin weder zum Personenkreis des § 1 FRG noch dem des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) gehört (letzteres hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht), kann die begehrte Berücksichtigung der Zeiten aus der Sowjetunion/Ukraine lediglich noch aus den gesetzlichen Regelungen des § 17 und § 17a FRG folgen.

Da keine Beschäftigungszeiten vor dem 09.05.1945 zu beurteilen sind, kommt auch § 17 FRG nicht in Betracht. Bei der 1957 geborenen Klägerin kommt zudem auch § 17a FRG nicht in Betracht. Nach § 17a FRG finden die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften des FRG Anwendung auch auf
a) Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat,
1. dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben,
2. das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört haben und
3. sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten
und die Vertreibungsgebiete nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes verlassen haben,
b) Hinterbliebene der in Buchstabe a genannten Personen bezüglich der Gewährung von Leistungen an Hinterbliebene.

Bereits aufgrund der Geburt der Klägerin im Jahr 1957 kann ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr Heimatgebiet erstreckt hat, sie dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte. Denn die Klägerin ist nach dem 09.05.1945 geboren. Zum Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflussbereich sich auf ihr Heimatgebiet erstreckt hat, hatte die Klägerin zudem weder das 16. Lebensjahr bereits vollendet noch im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört. Die Zugehörigkeit zum Sprach- und Kulturkreis erfordert, dass jedenfalls ein Mindestmaß an sprachlicher Kommunikation vorhanden sein muss (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.05.2008 – L 8 RA 41/03 –, juris Rn. 36). Im maßgebenden Zeitraum (Erstreckung des nationalsozialistischen Einflussbereiches auf ihr Heimatgebiet) kann dies schon deswegen nicht vorgelegen haben, da die Klägerin noch nicht einmal geboren war. Hinterbliebenenleistungen sind zudem nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, sodass § 17a b) FRG nicht zur Anwendung gelangt.

Ohne dass es hierauf maßgebend ankommen würde, scheint selbst die Klägerin nicht von einer Anwendbarkeit des FRG auszugehen, weswegen sie gerade dessen analoge Anwendbarkeit begehrt.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung etwaiger zusätzlicher Ersatzzeiten nach § 250 SGB VI. Eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum nach Vollendung des 14. Lebensjahres weder von Internierung noch von Verschleppung ausgegangen werden kann. Im Streit stehen auch nicht Hinterbliebenenleistungen, so dass § 1 e) FRG ebenfalls nicht zur Anwendung gelangt.

Ein Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus über- und zwischenstattlichem Recht (§ 30 Abs. 2 SGB I). Weder macht dies die Klägerin geltend noch ist ersichtlich, dass die Klägerin ihre Ansprüche auf über- und zwischenstattliches Recht, insbesondere ein Sozialversicherungsabkommen, stützen könnte.

2. Die Klägerin kann ihr Begehren auf eine höhere Altersrente auch nicht mit Erfolg auf eine analoge Anwendung des FRG stützen. Insbesondere § 1 a) FRG ist nicht analog anzuwenden, so dass Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 28.06.1979 bis zum Zuzug aus dem Ausland am 23.02.1993 auch hiernach nicht als rentenrechtlich relevante Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind.

Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift ist, dass die Norm analogiefähig ist, das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem vom Gesetzgeber geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BSG, Urteil vom 19.12.2024 – B 5 R 8/24 R –, juris Rn. 19 mwN).

Für die von der Klägerin begehrte analoge Anwendung des § 1 a) FRG auf aschkenasisch- jüdische Kontingentflüchtlinge und der daraus folgenden Anwendbarkeit von §§ 14, 15, 16 FRG i.V.m. § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Aus der Systematik des FRG ergibt sich, dass der Gesetzgeber Menschen mit Zugehörigkeit zum Judentum im Blick hatte. Denn beim Vorliegen der - vorliegend wie bereits dargestellt nicht gegebenen - weiteren Voraussetzungen des § 17a FRG können die für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften des FRG auch Anwendung auf Personen finden, die „sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten“ (§ 17a a] Nr. 3 FRG). Dementsprechend hat der Gesetzgeber für Menschen mit Zugehörigkeit zum Judentum durchaus einen Geltungsbereich des FRG geregelt und gesehen, unter den die Klägerin jedoch nicht zu fassen ist. Aus der Regelung lässt sich aber zugleich ableiten, dass der Gesetzgeber eine über § 17a FRG hinausgehende Regelung für Personen wegen Zugehörigkeit zum Judentum nicht treffen wollte, da er sonst in § 17a FRG (oder in einer anderen Regelung) einen weiteren Anwendungsbereich aufgenommen hätte.

Zudem hat die Bundesregierung am 18.11.2022 die rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung einer Stiftung des Bundes zur Abmilderung von Härtefällen aus der Ost-West-Rentenüberleitung, für jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler (Stiftung Härtefallfonds) geschaffen. Hintergrund ist unter anderem die beklagte Benachteiligung in der Rente, auch von jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion sowie von Spätaussiedlern, deren Versicherungszeiten im ausländischen Herkunftsgebiet nicht oder aus ihrer Sicht nicht ausreichend berücksichtigt wurden/werden. Auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wird hierzu unter anderem ausgeführt, dass die Forderungen der Betroffenen mehrfach ausführlich in parlamentarischen und gerichtlichen Verfahren geprüft wurden, ohne dass dies zu Rechtsänderungen geführt hat (abrufbar unter: https://www.bmas.de/DE/Soziales/Haertefallfonds/Ueber-die-Stiftung/ueber-die-stiftung.html; Stand 08.05.2025). Dementsprechend war das Anliegen bereits mehrfach Gegenstand parlamentarischer Verfahren, ohne dass dies zu Rechtsänderungen führte. Auch hieraus schließt der Senat, dass keine planwidrige Regelungslücke gegeben ist, aufgrund derer eine Analogie in Betracht zu ziehen wäre.

Daneben ist Jiddisch, entgegen der Auffassung der Klägerin, als eine eigene Sprache und nicht als Dialekt des Deutschen anzusehen, auch wenn es die dem Deutschen nächstverwandte westgermanische Sprache ist. Allein von deren Gebrauch kann nicht auf die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis geschlossen werden (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.06.2009 – L 21 R 887/07 –, juris Rn. 59; Hessisches LSG, Urteil vom 18.04.2008 – L 5 R 326/07 –, juris Rn. 26; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.11.2000 – L 3 RJ 95/99 –, juris Rn. 25 f.). Dementsprechend kann auch aus dem Gebrauch der jiddischen Sprache für sich genommen keine Vergleichbarkeit zu den Regeln des FRG abgeleitet werden.

Zudem handelt es sich bei § 1 FRG i.V.m. den §§ 14, 15, 16 FRG um eine Ausnahmevorschrift, nach der ausnahmsweise auch außerhalb des Bundesgebietes zurückgelegte Zeiten bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden können. Ausnahmevorschriften sind einer analogen Anwendung grundsätzlich nicht zugänglich (beispielhaft: BGH, Beschluss vom 20.12.2006 – VII ZB 92/05 –, juris Rn. 31).

Die Annahme einer Analogie scheidet dementsprechend zur Überzeugung des Senates aus.

3. § 1 FRG ist zudem weder verfassungswidrig noch folgen vorliegend Leistungsansprüche der Klägerin aus Art. 3 GG.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Regelungen des § 1 FRG verfassungswidrig sind. Einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 13 Nr. 11 und §§ 80 ff Bundesverfassungsgerichtsgesetz bedurfte es daher nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt insbesondere kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG vor.

Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Niemand darf gemäß Art. 3 Abs. 3 GG wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand. Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (beispielhaft: BVerfG, Beschluss vom 19.11.2019 – 2 BvL 22/14 –, juris Rn. 96, 97).

Bei der gewährenden Staatstätigkeit entscheidet der Gesetzgeber, welche Personen Zuwendungen erhalten sollen. Der Gleichheitssatz verbietet nur die Verteilung von Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten. Zu einer Einschränkung der Kontrolldichte führt hierbei auch, dass es sich um eine sozialpolitische Entscheidung handelt. Auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts ist wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens dem Gesetzgeber eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen. Diese unterliegt nur einer eingeschränkten verfassungsrechtlichen Kontrolle. Das BVerfG hat die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind. Es hat deshalb nicht zu untersuchen, ob der Normgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Dem BVerfG obliegt größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber im Bereich darreichender Verwaltung über den Gleichheitssatz zusätzliche Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen, vor allem wenn sie aus den Beiträgen der Gemeinschaft der Versicherten finanziert werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.03.2023 – 1 BvR 172/22 –, juris Rn. 7).

Bei der Aufnahme der Klägerin über den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder) vom 09.01.1991 in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes und den von § 1 a) FRG erfassten Vertriebenen im Sinne des § 1 BVFG sowie der Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG liegen schon keine gleichartigen Sachverhalte vor. Das BVerwG hat im Urteil vom 22.03.2012 (– 1 C 3/11 –, juris Rn. 19 ff.) auszugsweise zur Aufnahmepraxis über den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ausgeführt:

„Entscheidend ist jedoch, dass die Übernahme seitens der Bundesrepublik Deutschland nicht wegen eines derartigen Gruppenschicksals erfolgte (vgl. zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HumHAG: Urteile vom 17. Februar 1992 - BVerwG 9 C 77.89 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 150 S. 329 <331, 332, 334> und vom 27. Februar 1996 a.a.O. Nr. 185 S. 75 <78>). Das Berufungsgericht hat den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder) vom 9. Januar 1991 und die darauf aufbauende Aufnahmepraxis jüdischer Emigranten aus der früheren Sowjetunion vielmehr dahingehend gewürdigt, dass dieser Personenkreis im Bewusstsein der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Verbrechen des Nationalsozialismus zur Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland und zur Revitalisierung des jüdischen Elements im deutschen Kultur- und Geistesleben aufgenommen wurde. Das ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Durch die Liberalisierung der sowjetischen Ausreisepolitik im Zuge der Perestroika zogen, wie allgemeinkundig ist, sowjetische Juden nach dem Fall der Berliner Mauer ab 1989 verstärkt nach Ost-Berlin. Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik beschloss am 11. Juli 1990 im Rahmen vorläufiger Regelungen des Aufenthalts und des Asyls für Ausländer, zunächst in zu begrenzendem Umfang ausländischen jüdischen Bürgern, denen Verfolgung oder Diskriminierung drohte, aus humanitären Gründen Aufenthalt zu gewähren. Diese Regelung fand jedoch keinen Niederschlag im Einigungsvertrag. Die Bundesregierung bat vielmehr im September 1990 die Auslandsvertretungen, Zuwanderungsanträge sowjetischer Juden bis zur Klärung eines zwischen Bund und Ländern abgestimmten Aufnahmeverfahrens nur entgegenzunehmen und weiter zu bearbeiten, soweit nicht von vornherein eine Aufnahme nach den geltenden Gesetzen ausgeschlossen sei (vgl. BTDrucks 11/8439 S. 2). Im Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Nationalsozialismus stand sie dem Wunsch dieses Personenkreises, in Deutschland eine neue Heimat zu gründen, im Grundsatz aufgeschlossen gegenüber, da der Zuzug die jüdischen Gemeinden in Deutschland stärke und diese Stärkung mittel- und langfristig zu einer Revitalisierung des bedeutenden jüdischen Beitrags zum Kultur- und Geistesleben in Deutschland führe. Eine unbegrenzte Aufnahme sowjetischer Juden sei jedoch nicht möglich, sondern komme nur im Rahmen eines geordneten Verfahrens in Betracht. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit eines mit den Ländern und den jüdischen Organisationen abgestimmten Aufnahmeprogramms, das Vorsorge für den geregelten Zugang und eine angemessene Unterbringung treffe (BTDrucks 11/8439 S. 3 f.). Diese Bestrebungen, Motive und Steuerungsbedürfnisse, die auch die damalige politische Debatte prägten (vgl. Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, 11. Wahlperiode, 231. Sitzung vom 25. Oktober 1990, S. 18359 ff. und 234. Sitzung vom 31. Oktober 1990, S. 18740 ff.), fanden Eingang in den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991. Damit wurde zwischen den Regierungschefs von Bund und Ländern in Anwesenheit des Bundesministers des Inneren Einvernehmen darüber hergestellt, dass die Einreise von Juden aus der Sowjetunion ohne zahlenmäßige Begrenzung auch in Zukunft aufgrund von Einzelfallentscheidungen in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes ermöglicht wird. Bei den großzügig zu handhabenden Einzelfallentscheidungen sollte u.a. der Gesichtspunkt der Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden in Deutschland eine Rolle spielen; die Verteilung auf die einzelnen Länder sollte grundsätzlich nach dem "Königsteiner Schlüssel" erfolgen (vgl. auch BTDrucks 12/229 S. 1 ff.).

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene entsprechende Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes belege, dass jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion von der Bundesrepublik Deutschland nicht als verfolgte oder durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnete Gruppe aufgenommen worden sind, als überzeugend (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 13. Juli 2011 - 11 S 1413/10 - InfAuslR 2011, 383 <384, 385 f.>; VGH München, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - 12 CE 04.3232 - juris <Rn. 18 f.>; OVG Greifswald, Urteil vom 15. September 2004 - 1 L 107/02 - LKV 2005, 510 <512>; OVG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 2004 - 2 N 87.04 - juris).“

Der Senat schließt sich der vorstehenden Auffassung des BVerwG an. Eine Vergleichbarkeit der klägerseits herangezogenen Gruppen besteht schon deswegen nicht, da nach der Aufnahmepraxis über den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 09.01.1991 in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion von der Bundesrepublik Deutschland nicht als verfolgte oder durch ein Flüchtlingsschicksal gekennzeichnete Gruppe aufgenommen wurden. Bei in § 1 a) FRG berücksichtigten Gruppen der anerkannten Vertriebenen und Spätaussiedlern stellt sich der Grund der Aufnahme hiervon erkennbar abweichend dar.

Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauungen der Klägerin vermag die Kammer nicht zu erkennen. Das FRG knüpft in § 1 FRG erkennbar nicht an den jüdischen oder einen anderen Glauben oder irgendeine religiöse Anschauung an. Dementsprechend vermag der Senat auch keinen Verstoß gegen § 1 AGG bzw. § 19a SGB IV zu erkennen.

Im Übrigen kommt dem Gesetzgeber, wie bereits dargelegt, ein weiter Gestaltungsspielraum in der gewährenden Staatstätigkeit zu. Über § 1 FRG in Verbindung mit §§ 14, 15, 16 FRG werden Rentenansprüche aufgrund von ggf. zu berücksichtigenden Zeiten gewährt, ohne dass dem Beiträge an die Träger der deutschen Rentenversicherung zugrunde liegen. Die Grenzen dieses Gestaltungsspielraumes sieht der Senat mit der in den §§ 1, 17a FRG getroffenen Regelungen nicht als verletzt an, indem insbesondere unter § 1 a) FRG an die Anerkennung als Vertriebene sowie Spätaussiedler in der Bundesrepublik Deutschland angeknüpft wird.

Weder liegt ein Verstoß gegen Art. 3 GG vor, noch kann die Klägerin aus Art. 3 GG höhere Rentenansprüche mit Erfolg geltend machen. Insbesondere ist vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen auch keine verfassungskonforme Auslegung des § 1 FRG geboten.

Dem Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Osteuropa-Historiker ist nicht nachzukommen. Denn es kommt nicht entscheidungserheblich darauf an, ob in der sowjetischen Nationalitätenpolitik "Jude" neben "Deutsch" eine der Nationalitäten in der Sowjetunion war oder ist. Auch wenn man dies als wahr unterstellt (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 103 SGG, Rn. 8), ergibt sich hieraus keine abweichende Beurteilung der Sachlage für den Einzelfall der Klägerin und deren Status im Sinne des §§ 1, 17a FRG. Gleiches gilt für die Schlussfolgerung, wonach es deshalb keine deutschen oder deutschstämmigen Spätaussiedler jüdischen Glaubens gab. Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Anhaltspunkte für eine aus anderen Gründen fehlerhafte Berechnung der Regelaltersrente sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Hinsichtlich der Berechnungen nimmt der Senat Bezug auf die Berechnung der Beklagten in dem Bescheid vom 27.09.2023 (nebst Anlagen) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2024.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.  



 

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