L 3 R 349/24

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 R 555/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 349/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 01.03.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Kostenpflicht bei Barzahlung seiner Rente.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 01.02.2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.

Mit einfacher E-Mail vom 02.11.2022 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von möglichen Kosten/Gebühren für die Zahlung der Rente über einen Verrechnungsscheck oder andere Möglichkeiten, die kein Konto voraussetzten. Wegen Bedürftigkeit könne er sich eine andere Art der Auszahlung nicht leisten.

 

Mit Bescheid vom 16.12.2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Zahlungsweg sei nach § 47 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kostenpflichtig. Von einem Kostenabzug sei nur abzusehen, wenn die/der Rentenberechtigte dies beim Rentenversicherungsträger beantrage und nachweise, dass ihr/ihm die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden nicht möglich sei. Da der Kläger ein Bankkonto besitze, sei die Möglichkeit der Kostenbefreiung bei Umstellung auf Barzahlung ausgeschlossen.

 

Hiergegen legte der Kläger mit einfacher E-Mail vom 29.12.2022 Widerspruch ein. Als Anhang war der E-Mail eine pdf-Datei mit einem eingescannten Zettel „Widerspruch gegen Bescheid vom 16.12.2022 – Z., O.-straße N01, N02 P. (…)“ beigefügt. Der eingescannte Zettel ist mit einer handschriftlichen „Paraphe/Unterschrift“ gezeichnet.

 

Mit Schreiben vom 10.01.2023 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die E-Mail vom 29.12.2022 nicht ausreichend sei um ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Dabei müssten bestimmte formelle Voraussetzungen erfüllt werden, wozu auch die Unterschrift des Klägers gehöre. Widersprüche könnten zwar per E-Mail erhoben werden, müssten jedoch eine „digitale Unterschrift“, die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur, enthalten. Fehle diese „digitale Unterschrift“, sei der Widerspruch nicht wirksam eingelegt. Ein eingescannter Widerspruch mit Unterschrift reiche nicht aus, da die erforderliche „digitale Unterschrift“ mit einer Signaturkarte angebracht werden müsse. Der Kläger wurde aufgefordert, einen beigefügten Ausdruck seines per E-Mail eingesandten Widerspruchs zu unterschreiben und bis zum 10.02.2023 zurückzusenden. Sofern die Unterschrift nicht bis zum genannten Termin nachgereicht werde, liege kein rechtswirksamer Widerspruch vor.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2023 wies die Beklagte den Widerspruch vom 29.12.2022 als unzulässig zurück, da der Kläger den Widerspruch nicht in der erforderlichen Form erhoben habe. Seine dagegen am 10.05.2023 erhobene Klage wies das Sozialgericht Münster (SG) mit Gerichtsbescheid vom 23.02.2024 ab (S 13 R 236/23). Die dagegen eigelegte Berufung blieb ohne Erfolg (Urteil des erkennenden Senats vom 12.03.2025 – L 3 R 315/24.

 

Mit zwei am 23.01.2023 beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) eingegangen - einmal als „Klage“, einmal als „Eilverfahren“ bezeichneten - Schreiben hat der Kläger beantragt, „den Widerspruch vom 29.12.2022 als formgültig zu bearbeiten. Andernfalls werden wir sehen müssen ob eine der Unterschriften dem BSG genügt.“ Das LSG hat sich mit Beschluss vom 01.09.2023 in Klageverfahren (L 3 R 105/23 KL) und Eilantrag (L 3 R 104/23 ER) für instanziell unzuständig erklärt und die Verfahren an das SG verwiesen. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren ist ohne Erfolg geblieben (Az. S 13 R 554/23 ER/ L 3 R 824/23 B ER).

 

Im hiesigen Klageverfahren hat das SG hat die Beteiligten mit einfach signiertem Schreiben vom 28.09.2023 auf die doppelte Rechtshängigkeit zu dem seit dem 10.05.2023 anhängigen Verfahren S 13 R 236/23 hingewiesen und die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 01.03.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Im Wege der Auslegung entspreche das mit der Klage verfolgte Begehren dem einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn aus der Formulierung „den Widerspruch vom 29.12.2022 als formgültig zu bearbeiten“ gehe hervor, dass der Kläger die Bescheidung seines zuvor erhobenen Widerspruchs begehre. Die so zu verstehende Klage habe keinen Erfolg. Hinsichtlich des mit der Untätigkeitsklage verbundenen Streitgegenstands sei durch Erlass des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2023 Erledigung eingetreten. Denn der Streitgegenstand der sozialgerichtlichen Untätigkeitsklage sei alleine die Bescheidung schlechthin, nicht eine etwaige vom Kläger begehrte Sachentscheidung. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.04.2023 sei bereits am 10.05.2023 eine Klage des Klägers eingegangen, sodass eine Umstellung zur Anfechtungsklage nicht mehr in Betracht komme.

 

Gegen den ihm am 19.03.2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.03.2024 Berufung eingelegt, diese aber nicht begründet.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den Inhalt der Verwaltungsakte und die Begründung des Gerichtsbescheids.

 

Mit Postzustellungsurkunde vom 12.02.2025 ist dem Kläger die Terminsmitteilung zum Verhandlungstermin am 12.03.2025 mit dem Hinweis zugestellt worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann. Mit E-Mail vom 11.03.2025, 16:56 Uhr hat der Kläger mitgeteilt:

„(…) leider kann ich morgen nicht zum Termin erscheinen, weshalb er verschoben werden muss. Heute hat man mir mitgeteilt, dass ich morgen meinen Scheck der Grundsicherung für März 2025 abholen kann. Ich hatte schon drei mal versucht einen Termin zu bekommen, aber keinen bekommen. Es kommt immer wieder zu verspäteten Auszahlungen, weil man darauf besteht, dass nur eine ganz bestimmte Person den Scheck ausstellt und dieser nicht zu den Öffnungszeiten abgeholt werden kann, sondern nur nach Vereinbarung eines Termins. Da ich auf die Grundsicherung dringend angewiesen bin, muss ich morgen den Scheck abholen, weil ich sonst nur weitere Tage ohne Grundsicherung wäre, was deshalb kritisch ist, weil man seit zweieinhalb Jahren wesentliche Teile meiner Grundsicherung zurück hält und ich gezwungen war alles ersparte auszugeben und so im Monat nur das Geld habe, was für diesen ausgezahlt wird.

Ihre Kollegen sahen es nicht für notwendig an eine flexiblere Regelung oder eine Vertreterregelung bei Krankheit oder Urlaub des Sachbearbeiters einzufordern, wobei entsprechende Verfahren noch laufen.

Weil ich aber unbedingt an der Verhandlung teilnehmen will, ist der Termin zu verschieben. (…)“.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden können. Auf diese, sich aus dem Regelungsgehalt der §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 1 Satz 2, 153 Abs. 1 SGG ergebende Möglichkeit ist der Kläger mit der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden.

 

Dem vom Kläger am Vorabend des Termins sinngemäß gestellten Verlegungsantrag ist der Senat nicht nachgekommen.

 

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Gemäß § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden, wenn es dafür einen „erheblichen Grund“ gibt. Über die Aufhebung bzw. Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung, über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

 

Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ i.S.d. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt vor dem Hintergrund einer Kollision rechtlicher Prinzipien. Das objektive Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung trifft auf das subjektive Interesse des Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz. Die Auflösung der Prinzipienkollision muss unter Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher erheblicher Umstände in jedem und für jeden Einzelfall geleistet werden. Das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG) verlangt, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten, wobei das rechtliche Gehör auch das Recht eines Beteiligten einschließt, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen. Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs verweigerte oder abgeschnittene Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Terminverlegung rechtfertigende „erhebliche Gründe“ i.S.d. § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (BSG, Beschluss vom 30.09.2015 - B 3 KR 23/15 B -, juris Rn. 6f. m.w.N.). Das ist bei einem Ausbleiben der Partei oder der Ankündigung, nicht zu erscheinen, nach § 227 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht der Fall, wenn das Gericht dafürhält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist.

 

Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats nicht dargetan, dass er ohne Verschulden an der Wahrnehmung des für zwei Stunden angesetzten Termins am 12.03.2025 um 10:15 Uhr gehindert war. Denn der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er überhaupt einen Termin beim Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) hatte oder dieser hinsichtlich der Uhrzeit am 12.03.2025 mit dem Gerichtstermin kollidiert wäre. Er hat auch nicht dargetan, dass und aus welchen Gründen ein öffentlich-rechtlicher Leistungsträger die - vom Kläger im Hinblick auf den Gerichtstermin, für den er bereits eine Freifahrkarte erhalten hat vorgebrachte - Bitte um Verlegung des kollidierenden Termins (wenn z.B. auch nur auf den Nachmittag) abgelehnt hat. Vielmehr liegt es eher fern, dass ein Leistungsträger den Termin für die Aushändigung eines Schecks an den – nach den aktenkundigen Informationen des Senats – über ein Girokonto verfügenden Kläger kurzfristig telefonisch an einem Nachmittag für den darauffolgenden Tag vereinbart und sich – unterstellt, dies träfe zu – nicht zu einer Verschiebung des Termins im Hinblick auf den einen Monat vorher bekanntgegebenen Termin bei einem Berufungsgericht bereit erklärt. Die Behauptung, bereits zuvor dreimal erfolglos versucht zu haben einen Termin für die Abholung seiner Grundsicherungsleistungen zu vereinbaren, belegt nicht, dass der erwerbslose Kläger nur am 12.03.2025 einen solchen hätte erhalten können.

 

Der Senat kann in der Sache entscheiden, da die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 SGG nicht vorliegen.

 

Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (Nr. 1) oder das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (Nr. 2).

 

Die Voraussetzungen des einzig in Betracht kommenden von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegen bereits deshalb nicht vor, da schon keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, so dass die Frage offen bleiben kann, ob eine nur einfache Signatur statt einer Unterschrift oder qualifizierten Signatur unter der Anhörung zum Gerichtsbescheid einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, der zu einer Unwirksamkeit der nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG erforderlichen Anhörung vor Erlass des Gerichtsbescheides und damit zu einer Verletzung des in § 62 SGG festgeschriebenen Anspruchs auf rechtliches Gehörs der Beteiligten führt (eine Unterschrift für erforderlich haltend z.B. Hessisches LSG, Urteil vom 12.06.2017 – L 9 U 168/16 -, juris Rn. 26; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 09.11.2010 – L 12 R 793/09 -, juris Rn. 22 und vom 29.11.2011 – L 14 AS 1663/11 -, juris Rn. 25 jeweils m.w.N.; a.A. unter Hinweis darauf, dass sich im Gesetzeswortlaut hierfür kein Anhalt findet: B. Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 14. Auflage 2023, § 105 Rn. 10 und Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 105 SGG (Stand: 11.03.2025), Rn. 56).

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

 

Das SG hat die Untätigkeitsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die am 23.01.2023 erhobene Untätigkeitsklage durch Erlass des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2023 ihre Erledigung gefunden und der Kläger diese nicht umgestellt hatte als er am 10.05.2023 die Klage S 13 R 236/23 gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.04.2023 erhob. Der Senat nimmt vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug, § 153 Abs. 2 SGG.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved