L 3 R 55/24

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 R 617/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 55/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 05.10.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Formwirksamkeit von per E-Mail eingelegten Widersprüchen.

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit dem 01.02.2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.

 

Mit Bescheid vom 04.05.2022 berechnete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung des Klägers aufgrund der Änderung der Berechnungsgrundlagen für den Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.06.2022 neu. Ab dem 01.06.2022 werde die Rente in Höhe von 243,54 € gezahlt.

 

Am 16.05.2022 legte der Kläger mit einfacher E-Mail Widerspruch ein. Als Anhang war der E-Mail eine pdf-Datei mit einer eingescannten Postkarte mit dem Text „Widerspruch gegen Bescheid vom 04.05.2022, Az: N01. J. S., Y.-straße , A.“ beigefügt. Die eingescannte Postkarte ist mit einer handschriftlichen „Paraphe/Unterschrift“ gezeichnet.

 

Mit E-Mail vom 23.05.2022 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass seine E-Mail nicht ausreichend sei um ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Widersprüche könnten zwar in elektronischer Form, auch per E-Mail, erhoben werden, müssten jedoch eine „digitale Unterschrift“, die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur, enthalten. Fehle diese „digitale Unterschrift“, sei der Widerspruch nicht wirksam eingelegt. Die eingescannte Unterschrift sei nicht ausreichend, da die erforderliche „digitale Unterschrift“ mit einer Signaturkarte angebracht werden müsse. Damit die vom Gesetzgeber und von der Rechtsprechung geforderten förmlichen Voraussetzungen für einen wirksam eingelegten Widerspruch erfüllt seien, müsse er seinen Widerspruch ausdrucken, unterschreiben und ihr zusenden. Er werde gebeten, den unterschriebenen Widerspruch so schnell wie möglich zurückzuschicken. Mit Schreiben vom 28.06.2022 forderte die Beklagte den Kläger erneut dazu auf, den beigefügten Ausdruck seines per E-Mail eingesandten Widerspruchs zu unterschreiben und bis zum 28.07.2022 zurückzusenden. Hierfür könne er das vorbereitete Antwortschreiben verwenden. Sofern die Unterschrift nicht bis zum genannten Termin nachgereicht werde, liege kein rechtswirksamer Widerspruch vor.

 

Zum 01.07.2022 erhielt der Kläger eine Rentenanpassungsmitteilung.

 

Am 31.07.2022 legte der Kläger mit einfacher E-Mail Widerspruch hiergegen ein. Als Anhang war der E-Mail eine pdf-Datei mit einem eingescannten Schriftstück „Widerspruch gegen Bescheid Rentenanpassung 01.07.2022“ beigefügt. Das eingescannte Schriftstück ist mit einer handschriftlichen „Paraphe/Unterschrift“ gezeichnet.

 

Mit E-Mail vom 26.07.2022 wies die Beklagte den Kläger erneut darauf hin, dass die E-Mail nicht ausreichend sei und forderte ihn auf, den Widerspruch auszudrucken, zu unterschreiben und per Post oder per Telefax so schnell wie möglich, spätestens in einem Monat zu übersenden.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.05.2022 als unzulässig zurück. Der Kläger habe den zugesandten Ausdruck nicht zurückgeschickt, weshalb kein unterschriebener Widerspruch vorliege. Mit den Formerfordernissen von Widersprüchen per E-Mail habe sich auch das Bundessozialgericht (BSG) bereits auseinandergesetzt. Im Beschluss vom 29.10.2010 (B 11 AL 31/10 BH) werde hierzu ausgeführt, dass nach § 84 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen sei. Es fehle an der erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur, die allein die nötige Gewähr für Authentizität und Integrität biete. Die Landessozialgerichte folgten dieser Rechtsprechung, dass eine Widerspruchseinlegung mittels einfacher E-Mail keine Widerspruchseinlegung darstelle. Ebenso werde in der Fachliteratur diese Auffassung vertreten. Dem per einfacher E-Mail eingelegten Widerspruch komme keinerlei Rechtswirkung zu.

 

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 18.10.2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen die Rentenanpassung zum 01.07.2022 mit derselben Begründung als unzulässig zurück.

 

Am 26.10.2022 hat der Kläger beim Sozialgericht Münster (SG) Klage mit folgendem Begehren erhoben: „Klage gegen DRV Bund, 10700 Berlin, wegen des 1. Bescheides vom 18.10.2022. Die Form war eingehalten.“.

 

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

 

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsverfahren Bezug genommen.

 

Nach Anhörung der Beteiligten mit einfach signierten Schreiben vom 07.03.2023 hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 05.10.2023 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Gegenstand der Klage hinreichend bestimmt sei. Soweit der Kläger sich mit der hier gegenständlichen Klage gegen den „1. Bescheid vom 18.10.2022“ wende, sei nicht erkennbar, welcher der zwei Widerspruchsbescheide der Beklagten von diesem Tag der erste gewesen sei. Die Widerspruchsbescheide der Beklagten enthielten keine objektivierbaren Hinweise auf die zeitliche Abfolge, in der diese vom zuständigen Widerspruchsausschuss beschieden worden, an den Kläger abgesandt, diesem zugegangen oder von diesem zur Kenntnis genommen worden seien. Auf eine Bestimmung des wesentlichen Klagegegenstandes komme es hier jedoch gerade an. Denn mit ersten Widerspruch richte sich der Kläger gegen den Rentenbescheid vom 04.05.2022, mit dem der monatliche Auszahlungsbetrag seiner Rente ab dem 01.06.2022 wegen einer Änderung der Berechnungsgrundlagen für den Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung neu festgesetzt worden sei. Mit dem Widerspruch vom 26.07.2022 wende er sich gegen die „Rentenanpassung 01.07.2022“, also die jährliche Anpassung der Renten nach § 65 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Eine Klarstellung bzw. Aufklärung des Klagegegenstandes sei ohne die Mitwirkung des Klägers, der auf entsprechende Aufforderung bzw. Erinnerung hin keine weitergehende Klagebegründung oder Klarstellung zum Gegenstand dieser Klage eingereicht habe, nicht möglich. Dies gehe zu seinen Lasten. Darüber hinaus sei die Klage bei unterstellter Zulässigkeit auch unbegründet. Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 04.05.2022 oder der Rentenanpassung zum 01.07.2022 ergäben sich nicht.

 

Gegen den ihm am 28.11.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19.12.2023 „Berufung + mündl. Verhandlung wegen S 13 R 617/22“ eingelegt.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.

 

Mit Postzustellungsurkunde vom 12.02.2025 ist dem Kläger die Terminsmitteilung zum Verhandlungstermin am 12.03.2025 mit dem Hinweis zugestellt worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann. Mit E-Mail vom 11.03.2025, 16:56 Uhr hat der Kläger mitgeteilt:

„(…) leider kann ich morgen nicht zum Termin erscheinen, weshalb er verschoben werden muss. Heute hat man mir mitgeteilt, dass ich morgen meinen Scheck der Grundsicherung für März 2025 abholen kann. Ich hatte schon drei mal versucht einen Termin zu bekommen, aber keinen bekommen. Es kommt immer wieder zu verspäteten Auszahlungen, weil man darauf besteht, dass nur eine ganz bestimmte Person den Scheck ausstellt und dieser nicht zu den Öffnungszeiten abgeholt werden kann, sondern nur nach Vereinbarung eines Termins. Da ich auf die Grundsicherung dringend angewiesen bin, muss ich morgen den Scheck abholen, weil ich sonst nur weitere Tage ohne Grundsicherung wäre, was deshalb kritisch ist, weil man seit zweieinhalb Jahren wesentliche Teile meiner Grundsicherung zurück hält und ich gezwungen war alles ersparte auszugeben und so im Monat nur das Geld habe, was für diesen ausgezahlt wird.

Ihre Kollegen sahen es nicht für notwendig an eine flexiblere Regelung oder eine Vertreterregelung bei Krankheit oder Urlaub des Sachbearbeiters einzufordern, wobei entsprechende Verfahren noch laufen.

Weil ich aber unbedingt an der Verhandlung teilnehmen will, ist der Termin zu verschieben. (…)“.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat hat in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden können. Auf diese, sich aus dem Regelungsgehalt der §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 1 Satz 2, 153 Abs. 1 SGG ergebende Möglichkeit ist der Kläger mit der ordnungsgemäß zugestellten Ladung hingewiesen worden.

 

Dem vom Kläger am Vorabend des Termins sinngemäß gestellten Verlegungsantrag ist der Senat nicht nachgekommen.

 

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Gemäß            § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden, wenn es dafür einen „erheblichen Grund“ gibt. Über die Aufhebung bzw. Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung, über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

 

Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe“ i.S.d. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt vor dem Hintergrund einer Kollision rechtlicher Prinzipien. Das objektive Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung trifft auf das subjektive Interesse des Rechtssuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz. Die Auflösung der Prinzipienkollision muss unter Berücksichtigung und Würdigung sämtlicher erheblicher Umstände in jedem und für jeden Einzelfall geleistet werden. Das verfassungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG) verlangt, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im Prozess zu behaupten, wobei das rechtliche Gehör auch das Recht eines Beteiligten einschließt, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen. Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbaren eigenen Bemühens um die Erlangung rechtlichen Gehörs verweigerte oder abgeschnittene Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Terminverlegung rechtfertigende „erhebliche Gründe“ i.S.d. § 202 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (BSG, Beschluss vom 30.09.2015 - B 3 KR 23/15 B -, juris Rn. 6f. m.w.N.). Das ist bei einem Ausleiben der Partei oder der Ankündigung, nicht zu erscheinen, nach § 227 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht der Fall, wenn das Gericht dafürhält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist.

 

Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats nicht dargetan, dass er ohne Verschulden an der Wahrnehmung des für 2 Stunden angesetzten Termins am 12.03.2025 um 10:15 Uhr gehindert war. Denn der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er überhaupt einen Termin beim Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) hatte oder dieser hinsichtlich der Uhrzeit am 12.03.2025 mit dem Gerichtstermin kollidiert wäre. Er hat auch nicht dargetan, dass und aus welchen Gründen ein öffentlich-rechtlicher Leistungsträger die - vom Kläger im Hinblick auf den Gerichtstermin, für den er bereits eine Freifahrkarte erhalten hat, vorgebrachte - Bitte um Verlegung des kollidierenden Termins (wenn z.B. auch nur auf den Nachmittag) abgelehnt hat. Vielmehr liegt es eher fern, dass ein Leistungsträger den Termin für die Aushändigung eines Schecks an den – nach den aktenkundigen Informationen des Senats – über ein Girokonto verfügenden Kläger kurzfristig telefonisch an einem Nachmittag für den darauffolgenden Tag vereinbart und sich – unterstellt, dies träfe zu – nicht zu einer Verschiebung des Termins im Hinblick auf den einen Monat vorher bekanntgegebenen Termin bei einem Berufungsgericht bereit erklärt. Die Behauptung, bereits zuvor dreimal erfolglos versucht zu haben einen Termin für die Abholung seiner Grundsicherungsleistungen zu vereinbaren, belegt nicht, dass der erwerbslose Kläger nur am 12.03.2025 einen solchen hätte erhalten können.

 

Der Senat kann in der Sache entscheiden, da die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 SGG nicht vorliegen.

 

Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (Nr. 1) oder das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (Nr. 2).

 

Die Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegen bereits deshalb nicht vor, da schon keine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

 

So kann die Frage offen bleiben, ob eine nur einfache Signatur statt einer Unterschrift oder qualifizierten Signatur unter der Anhörung zum Gerichtsbescheid einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt, der zu einer Unwirksamkeit der nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG erforderlichen Anhörung vor Erlass des Gerichtsbescheides und damit zu einer Verletzung des in § 62 SGG festgeschriebenen Anspruchs auf rechtliches Gehörs der Beteiligten führt (eine Unterschrift für erforderlich haltend z.B. Hessisches LSG, Urteil vom 12.06.2017 – L 9 U 168/16, juris Rn. 26; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 09.11.2010 – L 12 R 793/09, juris Rn. 22 und vom 29.11.2011 – L 14 AS 1663/11, juris Rn. 25 jeweils m.w.N.; a.A. unter Hinweis darauf, dass sich im Gesetzeswortlaut hierfür kein Anhalt findet: B. Schmidt in: Meyer-Ladewig, SGG, 14. Auflage 2023, § 105 Rn. 10 und Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 105 SGG (Stand: 11.03.2025), Rn. 56).

 

Da eine aufwändige Beweisaufnahme nicht erforderlich ist, führt auch der Umstand, dass die Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG vorliegend verfahrensfehlerhaft gewesen ist, nicht zu einer Zurückverweisung. Das Gericht kann nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nur dann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Vorliegend war der Sachverhalt nicht geklärt. Denn es war – wie das SG selbst ausführt - unklar, gegen welchen der beiden Widerspruchsbescheide vom 18.10.2022 sich die Klage richtet.

 

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

 

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

 

Die Klage ist zulässig.

 

In Ermangelung einer – erst- und zweitinstanzlich erfolglos eingeforderten – Mitwirkung des Klägers an der Konkretisierung des Klagegegenstands war die Klage gegen „den 1. Bescheid vom 18.10.2022“ dahingehend auszulegen, dass sich der Kläger gegen beide Widerspruchsbescheide vom 18.10.2022 wendet. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden. Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage oder der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen im Wege der Auslegung festzustellen. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Antrag so auszulegen, dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG, Beschluss vom 17.12.2024 – B 7 AS 81/24 B -, Rn. 4 m.w.N. zitiert nach juris).

 

Die Klage(n) sind jedoch unbegründet. Die Beklagten hat die Widersprüche gegen die Bescheide vom 04.05.2022 und 01.07.2022, beide jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.10.2022, zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

 

Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat.

 

Die Widerspruchseinlegung mit einfacher E-Mail unter Beifügung eines eingescannten, unterschriebene/paraphierten Dokuments wahrt nicht die vorgeschriebene elektronische Form nach § 36a Abs. 2 SGB I und ist formunwirksam. Die Anerkennung der schlichten E-Mail als Schriftform widerspricht der gesetzgeberischen Wertung, die in den Vorschriften zum elektronischen Rechtsverkehr zum Ausdruck kommt (Senatsbeschlüsse vom 14.08.2023 – L 3 R 386/23 B ER und 18.09.2023 – L 3 R 388/23 B ER; weiter dazu Gall in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 84 SGG [Stand: 15.06.2022], Rn. 15 m.w.N.; BSG - Beschluss vom 10.08.2022 - B 5 R 21/22 BH -, juris Rn. 7). Eine Widerspruchseinlegung mit einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur reicht deshalb auch dann nicht aus, wenn sie eine eingescannte Unterschrift des Widerspruchsführers enthält. Auch der Ausdruck des unterschriebenen E-Mail-Anhangs führt nicht zu einer Heilung des Formmangels, weshalb es nicht genügt, dass der E-Mail eine PDF-Datei mit eingescannter Unterschrift anliegt (vgl. Senatsurteil vom 07.09.2022, L 3 R 292/22, juris Rn. 23; BSG, Beschluss vom 07.12.2022 - B 5 R 56/22 BH -, juris Rn. 8; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 84 SGG 1. Überarbeitung [Stand: 25.04.2025], Rn. 199 m.w.N.).

 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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