1. Zu den Anforderungen an ein Mitwirkungsverlangen im Rahmen der endgültigen Festsetzung von Leistungen nach § 41a Abs 3 Satz 3 und 4 SGB II.
2. Im Überprüfungsverfahren wegen einer Nullfestsetzung gem § 41a Abs 3 Satz 4 SGB II sind nachgereichte Unterlagen unbeachtlich.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über die Rechtmäßigkeit der endgültigen Festsetzung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum von November 2018 bis April 2019.
Der 1985 geborene Kläger zu 1. und die 1987 geborene Klägerin zu 2. sind ungarische Staatsbürger, miteinander verheiratet und Eltern der am .. 2007 geborenen Klägerin zu 3. sowie der am .. 2013 geborenen Klägerin zu 4. Sie leben seit 2015 in Deutschland und bewohnten im streitigen Zeitraum eine Wohnung in der A.straße in K., für die sie eine Grundmiete von 380 € zzgl. eines Abschlags für Nebenkosten von 85 € und eines Abschlags für Heizkosten (Gas) von 85 € zu zahlen hatten. Die Warmwasserbereitung erfolgte zentral.
Ausweislich eines Vermerks über ein Gespräch zwischen dem Kläger zu 1. und einem Mitarbeiter des Beklagten vom 9. Oktober 2018 habe der Kläger zu 1. u.a. angegeben, er erledige im Rahmen einer selbstständigen Nebentätigkeit kleinere Aufträge (Hausmeisterservice) und plane die Ausweitung dieser Tätigkeit. Die geplante Selbstständigkeit der Klägerin zu 2. (Imbis..) verzögere sich, da das Fahrzeug aktuell noch defekt sei und er auf eine Inbetriebnahme hoffe. Er wurde gebeten, etwaige Änderungen (Aufnahme der Selbstständigkeit) rechtzeitig mitzuteilen.
Dem Kläger zu 1. wurde mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (BA) vom 5. September 2018 für den streitigen Zeitraum Arbeitslosengeld in Höhe von 24,80 € täglich bewilligt. Für die Klägerinnen zu 3. und 4. wurde Kindergeld in Höhe von monatlich 194 € gezahlt.
Am 19. Oktober 2018 beantragten die Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen ab November 2018 und gaben als Prognose zum Einkommen aus selbstständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (EKS) keinerlei Einnahmen und Ausgaben für den streitigen Zeitraum an. Daraufhin bewilligte ihnen der Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2018 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den streitigen Zeitraum in Höhe von monatlich 702 € bzw. ab Januar 2019 in Höhe von monatlich 729 €. Dabei berücksichtigte er als Einkommen das Arbeitslosengeld des Klägers zu 1. und das Kindergeld. Weiteres Einkommen, insbesondere Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb wurden nicht berücksichtigt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Bewilligung erfolge vorläufig, da die prognostizierten Einnahmen und Ausgaben aus der selbstständigen Tätigkeit aufgrund der Angaben zum voraussichtlichen Einkommen zunächst vorläufig festgesetzt worden seien. Eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden. Es werde um Übersendung der erforderlichen Unterlagen unter Verwendung des entsprechenden Vordrucks (EKS) unverzüglich - spätestens zwei Monate - nach Ende des Bewilligungszeitraums gebeten.
Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. schlossen am 16. November 2018 jeweils einen Arbeitsvertrag mit der Firma E. Personal-Service mit einem Arbeitsbeginn am 19. November 2018, einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und einer Bruttovergütung von 9,27 € pro Stunde bei Auszahlung der Vergütung zum 15. des Folgemonats.
Daraufhin bewilligte der Beklagte den Klägern mit Änderungsbescheid vom 26. November 2018 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für Dezember 2018 in Höhe von 1.154 € und ab Januar 2019 in Höhe von monatlich 626,72 €. Dabei berücksichtigte er im Dezember 2018 ein Erwerbseinkommen des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. von jeweils 300 € und von Januar bis April 2019 in Höhe von jeweils 670 € (abzgl. Freibeträge). Die Vorläufigkeitsgründe aus dem Bescheid vom 2. November 2018 gälten weiter. Unterlagen für den Bewilligungsabschnitt seien spätestens einen Monat nach Ende des Bewilligungszeitraums einzureichen.
Am 29. November 2018 reichten der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. die Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse durch den Arbeitgeber zum 27. November 2018 ein.
Danach bewilligte der Beklagte den Klägern mit Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2018 vorläufig Leistungen nach dem SGB II von Januar bis April 2019 in Höhe von monatlich 729 €. Die Vorläufigkeitsgründe aus den Bescheid vom 26. November 2018 gälten weiter. Zudem wiederholte der Beklagte die Aufforderung zur Einreichung aller Unterlagen spätestens einen Monat nach Ende des Bewilligungszeitraums.
Die Kläger wiesen durch einen Kontoauszug die Zahlung von 446,40 € Arbeitslosengeld am 22. November 2018 und durch die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für November 2018 nach, dass ihnen kein Arbeitslohn zugeflossen war. Zudem schloss der Kläger zu 1. am 3. Dezember 2018 einen Arbeitsvertrag mit der Firma R. Personalservice GmbH mit Beginn der Tätigkeit am 14. Januar 2019, einem Brutto-Stundenlohn von 10,95 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und Auszahlung des Arbeitslohns am 15. Banktag des Folgemonats. Danach bewilligte der Beklagte den Klägern mit Änderungsbescheid vom 8. Januar 2019 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für November 2018 in Höhe von 999,60 €, für Dezember 2018 in Höhe von 1.446 €, für Januar 2019 in Höhe von 1.473 €, für Februar 2019 in Höhe von 910,20 € und für März und April 2019 in Höhe von jeweils 473,75 €. Bei der Berechnung der Leistung sei ein fiktives Einkommen der Firma R. Personalservice zugrunde gelegt worden. Im Übrigen gälten die bisherigen Vorläufigkeitsgründe weiter. Erneut wiederholte der Beklagte die Aufforderung zur Einreichung aller Unterlagen spätestens einen Monat nach Ende des Bewilligungszeitraums.
Mit Änderungsbescheid vom 25. Februar 2019 berücksichtigte der Beklagte einen Mehrbedarf für die Schwangerschaft der Klägerin zu 2. und bewilligte den Klägern vorläufig Leistungen nach dem SGB II für Februar 2019 in Höhe von 931,85 € sowie für März und April 2019 in Höhe von je 538,69 €. Die Vorläufigkeitsgründe aus den Bescheid vom 8. Januar 2019 gälten weiter. Der Beklagte wiederholte die Aufforderung zur Einreichung aller Unterlagen spätestens einen Monat nach Ende des Bewilligungszeitraums.
Die Kläger reichten im März 2019 Kontoauszüge und Lohnabrechnungen ein, aus denen sich die Lohnzahlungen der Firma E. Personal-Service für November 2018 in Höhe von 79,01 € und 94,63 € am 25. Januar 2019 ergaben. Zudem legten sie Lohnabrechnungen des Klägers zu 1. für Januar 2019 (Zahlung von 839,30 € im Februar) und Februar 2019 (Zahlung von 1.032,86 € im März) sowie den Bescheid der BA vom 7. März 2019 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Kläger zu 1. mit einer Nachzahlung für die Zeit vom 16. Dezember 2018 bis zum 13. Januar 2019 von 857,02 € ein. Daraufhin bewilligte ihnen der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 25. März 2019 für April 2019 vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 395,86 €. Er gab an, die Nachzahlung des Arbeitslosengelds als einmalige Einnahme auf sechs Monate beginnend ab April 2019 aufzuteilen. Die Vorläufigkeitsgründe aus den Bescheid vom 25. Februar 2019 gälten weiter. Der Beklagte gab erneut an, alle Unterlagen seien spätestens einen Monat nach Ende des Bewilligungszeitraums einzureichen.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2020, dem Kläger zu 1. ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) am 13. Januar 2020 zugestellt, forderte der Beklagte diesen für den streitigen Zeitraum zur Mitwirkung und Übersendung folgender Einkommensunterlagen bis zum 6. Februar 2020 auf:
ausgefüllte Anlage: Abschließende Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft (EKS)
alle Nachweise zu Einnahmen (Kassenbuch, Umsatzsteuerheft etc.) und Ausgaben für den o.g. Zeitraum
wenn vorhandenen: letzte aktuelle BWA, GuV oder EÜR
Mietvertrag über die Raumkosten und Nachweis über getätigte Zahlungen
Telefonrechnungen
Nachweise zu den betrieblichen Versicherungen/Beiträgen
Arbeitsverträge hinsichtlich der Personalkosten und Zahlungsnachweise
vollständige und ungeschwärzte Kontoauszüge aller Konten inkl. PayPal
Das Schreiben enthielt folgende Hinweise:
„Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließend Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht innerhalb des o.g. Zeitraumes nach, wird gemäß § 41a (3) Satz 3 SGB II Ihr Leistungsanspruch nur für die Monate abschließend festgesetzt, für die Ihr Leistungsanspruch nachgewiesen wurde. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand.
Da für die Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit gemäß § 3 (4) ALG II-VO ein Durchschnitt zu Grunde gelegt wird, ist im Falle einer fehlenden Nachweisführung der Leistungsanspruch nachträglich abzuerkennen. Die bezogenen Leistungen sind sodann von Ihnen vollständig zu erstatten.
Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen werden auf die abschließend festgestellten Leistungen angerechnet. Soweit in einzelnen Monaten des Bewilligungszeitraumes Leistungen vorläufig zu viel erbracht worden sind, werden diese im Rahmen der abschließenden Festsetzung mit sich ggf. für andere Kalendermonate des Bewilligungszeitraumes ergebenden Nachzahlungsansprüchen verrechnet. Verbleibt nach der Verrechnung der Überzahlungen mit Ihren Nachzahlungsansprüchen in der Summe eine Überzahlung, ist diese von Ihnen und den übrigen Mitgliedern Ihrer Bedarfsgemeinschaft zu erstatten.
Die abschließende Festsetzung des Anspruchs wird durch den abschließenden Bescheid wirksam. Auch wenn Sie nach Ablauf der oben eingeräumten Frist zur Mitwirkung noch Unterlagen vorlegen, die ein anderes Einkommen oder Ausgaben belegen oder anderen Bedarf (z.B. Mehrbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung) geltend machen, bin ich zur Festsetzung berechtigt.“
Eine Reaktion der Kläger hierauf erfolgte nicht.
Mit weiterem Schreiben vom 10. Februar 2020 erinnerte der Beklagte den Kläger zu 1. an die Aufforderung zur Mitwirkung und forderte ihn erneut zur Übersendung der aufgezählten Einkommensunterlagen unter Fristsetzung bis zum 25. Februar 2020 auf. Das Schreiben enthielt gleichlautende Hinweise und wurde dem Kläger zu 1. ausweislich der PZU am 12. Februar 2020 zugestellt.
Sodann setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 2. März 2020 die Leistungen für den streitigen Zeitraum auf Null fest und forderte den Kläger zu 1. zur Erstattung von 2.024,16 €, die Klägerin zu 2. von 2.077,12 €, die Klägerin zu 3. von 952,80 € und die Klägerin zu 4. von 730,92 € auf. Die Vorläufigkeit der Entscheidung habe sich u.a. auf die Höhe des erzielten Einkommens aus selbstständiger Beschäftigung bezogen. Trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen sei der Nachweis über die Höhe der tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben aus der selbstständigen Tätigkeit nicht erbracht worden. Ferner seien keine Gründe vorgebracht worden, weshalb die Unterlagen nicht innerhalb der angemessenen Frist hätten beigebracht werden können. Daher seien die bezogenen Leistungen zu erstatten.
Mit Schreiben vom 3. August 2020, welches am 18. August 2020 beim Beklagten per Fax einging, beantragten die Kläger die Überprüfung der Bescheide vom 2. März 2020 mit der Begründung, das Einkommen sei nicht korrekt angerechnet worden. Einkommensunterlagen wurden hierzu nicht eingereicht.
Mit Bescheiden vom 27. August 2020 lehnte der Beklagte eine Rücknahme der Bescheide vom 2. März 2020 ab, da diese nicht zu beanstanden seien. Weder sei das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden.
Dagegen legten die Kläger am 25. September 2020 Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 wies der Beklagte die Kläger darauf hin, dass diese nach der vorläufigen Bewilligung von Leistungen für den streitigen Zeitraum ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen seien und die angeforderten Einkommensunterlagen nicht übersandt hätten. Da sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen seien, komme § 41a Abs. 3 SGB II zur Anwendung. Die Erstattungsforderungen hätten also nichts mit einer falschen Einkommensanrechnung zu tun; die ablehnende Überprüfung sei korrekt. Es werde angeregt, einen neuen Überprüfungsantrag zu stellen und diesem die angeforderten Unterlagen zur Selbstständigkeit des Klägers zu 1. beizufügen. Ein entsprechender EKS-Vordruck werde nochmals beigefügt. Benötigt würden auch die Verdienstabrechnung der R. Personalservice GmbH für März 2019 mit Zufluss im April 2019 sowie Nachweise zu den KFZ-Haftpflichtversicherungsbeiträgen und den Fahrtkosten. Die Kläger reagierten hierauf trotz weiterer Erinnerungen vom 6. Oktober und 19. November 2020 sowie 15. Januar 2021 nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2021 wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Es seien keine Unterlagen zur Selbstständigkeit für den streitigen Zeitraum vorgelegt worden, so dass § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II zur Anwendung gekommen sei. Die Berufung auf die Bestandskraft sei daher nicht zu beanstanden, zumal selbst während des Widerspruchsverfahrens keine Unterlagen eingereicht worden seien.
Dagegen haben die Kläger am 6. Mai 2021 Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und zur Begründung vorgetragen, dem Beklagten sei die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit des Klägers zu 1. bereits vor Beginn des hiesigen Bewilligungszeitraums bekannt gewesen. Der Kläger zu 1. habe im streitigen Zeitraum lediglich Arbeitslosengeld I und zeitweise Erwerbseinkommen erzielt. Der Bezug von Arbeitslosengeld setze denknotwendig die Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit voraus. Demzufolge könne keine Nullfestsetzung erfolgen. Zum Nachweis, dass der Kläger zu 1. keine Einnahmen mehr aus der selbstständigen Tätigkeit erzielt habe, haben sie am 8. Juni 2022 Kontoauszüge für den streitigen Zeitraum eingereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 7. Juni 2022 verwiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Februar 2024 abgewiesen: Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Aufhebung der Bescheide vom 2. März 2020, da diese rechtmäßig seien. Die Kläger seien ihrer Nachweispflicht nicht vollständig nachgekommen. So sei unklar geblieben, über welches Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum verfügt habe. Der Beklagte habe den Kläger zu 1. auch mit den Schreiben vom 9. Januar und 10. Februar 2020 unter angemessener Fristsetzung und ordnungsgemäßer Belehrung über die Rechtsfolgen zur Übersendung von weiteren Angaben und Nachweisen aufgefordert. Die gewählte Formulierung habe die beabsichtigte Nullfestsetzung bei Nichteinreichung der Nachweise hinreichend klar erkennen lassen. Die im Klageverfahren nachgereichten Unterlagen, insbesondere die Kontoauszüge, seien bei der Entscheidung nicht zu berücksichtigen, denn bei einem Überprüfungsantrag sei auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids zum Zeitpunkt des Erlasses des zur Überprüfung gestellten Bescheids abzustellen.
Die Kläger greifen das ihnen am 1. März 2024 zugestellte Urteil mit ihrer am 22. März 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an. Es habe sich um eine Überraschungsentscheidung gehandelt, da der Kammervorsitzende während des Rechtsgesprächs in der mündlichen Verhandlung die vorläufige Rechtsauffassung geäußert habe, die Belehrungen in den Mitwirkungsschreiben des Beklagten seien nicht hinreichend bestimmt. Nach der geäußerten Auffassung des Kammervorsitzenden enthielten diese Schreiben diverse weitere Hinweise, Informationen und Sanktionen, aufgrund deren Fülle ein juristischer Laie die daraus folgende Konsequenz nicht habe eindeutig nachvollziehen können. Die Schreiben seien verwirrend gewesen und der Beklagte habe sich inkonsequent verhalten, indem er auf die fehlende Mitwirkung nach dem Schreiben vom 9. Januar 2020 mit einem weiteren Mitwirkungsschreiben statt mit einer Nullfestsetzung reagiert habe. Selbst im Klageverfahren habe der Beklagte noch die Vorlage weiterer Unterlagen gefordert. Die Angaben zum Einkommen seien von den Klägern im Klageverfahren nachgeholt worden.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des am 23. Februar 2024 verkündeten Urteils des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, Aktenzeichen S 30 AS 256/21, die Bescheide des Beklagten vom 27. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Bescheide vom 2. März 2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 23. Februar 2024 zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für rechtmäßig und verweist auf die Urteilsgründe. Zur weiteren Begründung verweist er zudem auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. November 2022 (- B 4 AS 64/21 R - juris Rn. 34).
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin am 12. Dezember 2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung über das Berufungsverfahren konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergehen, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierfür erteilt haben.
Die Berufung der Kläger ist form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG erhoben. Sie ist auch statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da dem angegriffenen Überprüfungsbescheid eine Erstattungsforderung von insgesamt 5.785 € zugrunde liegt.
Streitgegenstand ist die Rücknahme der Festsetzungs- und Erstattungsbescheide vom 2. März 2020, mit denen die Leistungen für den streitigen Zeitraum auf Null festgesetzt und die Erstattung der vorläufig erbrachten Leistungen geltend gemacht worden sind, im Zugunstenverfahren. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Die Kläger begehren mit der Anfechtungsklage die Aufhebung der - die Überprüfung der Bescheide vom 2. März 2020 ablehnenden - Verwaltungsakte vom 27. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2021. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagten gerichtet, mit dem dieser die begehrte Rücknahme der Bescheide vom 2. März 2020 bewirkt.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Soweit die Kläger ihr Vorbringen auf einen Verfahrensmangel in Form einer „Überraschungsentscheidung“ stützen, ist der Senat an einer Entscheidung nicht gehindert, da schon die weiteren Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG für eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht nicht vorliegen und eine solche auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Ermessen des Senats liegen.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 27. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. April 2021 ist rechtmäßig und beschwert die Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Bescheide vom 2. März 2020 für den Zeitraum von November 2018 bis April 2019. Der Beklagte hat insoweit bei Erlass der Bescheide das Recht richtig angewandt, sodass die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nicht vorliegen.
Den Klägern stand im streitigen Zeitraum dem Grunde nach Arbeitslosengeld II zu. Sie waren Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. hatten das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze von § 7a SGB II noch nicht erreicht, hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, waren erwerbsfähig und hilfebedürftig. Sie bildeten gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a) SGB II eine Bedarfsgemeinschaft. Die mit ihnen in einem Haushalt lebenden Klägerinnen zu 3. und 4. gehörten als im streitigen Zeitraum minderjährige und unverheiratete Kinder dem Grunde nach gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II dieser Bedarfsgemeinschaft an. Ein Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 ff. SGB II lag im streitbefangenen Zeitraum nicht vor.
Der Beklagte war zu der in den angegriffenen Bescheiden getroffenen Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe, berechtigt und verpflichtet. Die Voraussetzungen des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II in der Fassung vom 26. Juli 2016 lagen vor.
Gemäß § 41a Abs. 3 SGB II entscheiden die Leistungsträger abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt (Satz 1). Die leistungsberechtigte Person und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen sind nach Ablauf des Bewilligungszeitraums verpflichtet, die von den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum Erlass einer abschließenden Entscheidung geforderten leistungserheblichen Tatsachen nachzuweisen; die §§ 60, 61, 65 und 65a des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) gelten entsprechend (Satz 2). Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- bzw. Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden (Satz 3). Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand (Satz 4).
Diese Voraussetzungen für die abschließende Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, lagen hier zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 2. März 2020 vor.
Der Beklagte war gemäß § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II i.V.m. § 60 Abs. 1, § 65 Abs. 1 SGB I berechtigt, die Vorlage einer vollständig ausgefüllten, abschließenden Anlage EKS mit den entsprechenden Nachweisen über die gemachten Einnahmen und Ausgaben zu verlangen. Hierbei handelt es sich um Daten und Unterlagen, die allein die Sphäre der Kläger betreffen, sodass dem Beklagten keine anderen, jedenfalls keine mit geringerem Aufwand verbundenen Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 - juris Rn. 18).
Der Beklagte hat den Kläger zu 1. auch hinreichend im Sinne des § 41a Abs. 3 Satz 3 SGB II über die Rechtsfolgen mangelhafter Mitwirkung belehrt. Eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen muss schriftlich erfolgen und die Aufforderung zur Vorlage von Nachweisen über das tatsächlich erzielte Einkommen beinhalten. Sie muss den Leistungsberechtigten konkret, verständlich und vollständig über die vorzulegenden Nachweise informieren und die möglichen Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II, nämlich ggf. die Verpflichtung zur vollständigen Rückzahlung unabhängig von einer tatsächlichen Hilfebedürftigkeit unter Nennung der Vorschrift selbst, erläutern (vgl. Grote-Seifert in: jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 41a Rn. 51 m.w.N. [Stand: 21. August 2024]). Der zur Mitwirkung Aufgeforderte muss eindeutig erkennen können, was ihm bei Unterlassung der Mitwirkung droht. Daher darf sich der Hinweis nicht auf eine allgemeine Belehrung oder Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken, sondern muss unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn der Betroffene dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt (BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 - juris Rn. 19).
Die dem Kläger zu 1. mit Aufforderungsschreiben vom 9. Januar 2020 erteilte Rechtsfolgenbelehrung genügte diesen Anforderungen. Denn in ihr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Beklagte feststellen müsse, dass kein Leistungsanspruch bestand, soweit die Kläger ihrer Nachweis- und Auskunftspflicht nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommen und die erforderlichen Unterlagen nicht oder nicht vollständig einreichen. Dem Aufforderungsschreiben und den ergänzenden Hinweisen konnte entnommen werden, dass der Beklagte zur abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs die Höhe des Einkommens des Klägers zu 1. aus der selbstständigen Tätigkeit benötigte. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Falle fehlender Nachweisführung der Leistungsanspruch nachträglich abzuerkennen sei und die bezogenen Leistungen vollständig zu erstatten seien.
Unschädlich ist, dass die Belehrung keine Angaben dazu enthielt, dass Unterlagen noch im Widerspruchsverfahren und im gerichtlichen Verfahren vorgelegt werden können, denn dies betrifft nicht die Rechtsfolgen des § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II, auf die sich die Belehrungspflicht bezieht, sondern die Handlungsoptionen des Leistungsberechtigten (BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 - juris Rn. 22).
Die Kläger haben die angeforderten Unterlagen bis zum Erlass der Bescheide vom 2. März 2020 nicht vorgelegt. Die Vorlage dieser Unterlagen war - entgegen der Ansicht der Kläger - auch nicht entbehrlich. Der Kläger zu 1. hatte - worauf das Sozialgericht im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen hat - gegenüber dem Beklagten noch am 9. Oktober 2018 angegeben, die Ausweitung seiner selbstständigen Tätigkeit (Hausmeisterservice) anzustreben und im vorangegangenen Bewilligungsabschnitt auch Einnahmen hieraus erzielt. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch noch die Klägerin zu 2. die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit mittels eines Imbisstrucks beabsichtigt.
Die erstmalige Mitteilung der Kläger am 8. Juni 2022 im Klageverfahren, keine Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit erzielt zu haben, und die Vorlage von Kontoauszügen zum Nachweis hierfür, waren verspätet. Diese Nachweise waren im Überprüfungsverfahren hinsichtlich des Bescheids vom 2. März 2020 nach § 44 SGB X nicht mehr zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BSG können zwar im Widerspruchsverfahren gegen einen Festsetzungsbescheid und auch noch im anschließenden Klage- oder Berufungsverfahren Unterlagen vorgelegt werden, die bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Festsetzungsbescheids zu berücksichtigen sind (BSG, Urteil vom 12. September 2018 - B 4 AS 39/17 R - juris Rn. 35 ff.). Hingegen ist im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X allein auf die Rechtmäßigkeit zum Zeitpunkt des Erlasses des zur Überprüfung gestellten Bescheids bzw. ggf. des Widerspruchsbescheids abzustellen (ständige Rechtsprechung; u.a. BSG, Urteil vom 29. März 2022 - B 4 AS 2/21 R - juris Rn. 16 m.w.N.). Daher kann ein Überprüfungsantrag keinen Erfolg haben, wenn die Bescheide nach § 41a Abs. 3 Sätze 3 und 4 SGB II im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen sind. Hierin realisiert sich die vom Gesetzgeber mit Erlass der Vorschrift des § 41a SGB II intendierte Verwaltungsvereinfachung (BSG, Urteil vom 29. November 2022 - B 4 AS 64/21 - juris Rn. 34).
Der Beklagte war auch berechtigt, die Leistungen gegenüber der gesamten Bedarfsgemeinschaft der Kläger auf Null festzusetzen. Denn nach dem Wortlaut des § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II erstreckt sich die Nachweis- und Mitwirkungspflicht nicht nur die leistungsberechtigte Person, sondern auch auf die mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2023 - B 7 AS 24/22 R - juris Rn. 34 zum Erfordernis des Bestehens der Bedarfsgemeinschaft zum Zeitpunkt des Mitwirkungsverlangens; Kemper in Luik/Harich, SGB II, 6. Auflage 2024, § 41a Rn. 49; Dietrich Hengelhaupt in: Hauck/?Noftz, SGB II, 9. Ergänzungslieferung 2024, § 41a Rn. 367; a.A. Kallert in BeckOGK, Stand. 1. März 2022, § 41a SGB II Rn. 181).
Der Beklagte hat zu Recht mit an die Kläger gerichteten, hinreichend bestimmten Bescheiden vom 2. März 2020 die Erstattung der erbrachten Leistungen geltend gemacht und dabei den Erstattungsbetrag jeweils zutreffend ermittelt. Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderungen ist dabei § 41a Abs. 6 Satz 3 und 4 SGB II. Danach sind Überzahlungen, die nach der Anrechnung der vorläufig bewilligten Leistungen auf die abschließend festgestellten Leistungen fortbestünden, zu erstatten. Der Beklagte ist danach berechtigt, von den Klägern die Erstattung der für die Zeit von November 2018 bis April 2019 überzahlten Leistungen zu verlangen. Da der Beklagte mit Bescheiden vom 2. November und 6. Dezember 2018 sowie 8. Januar, 25. Februar und 25. März 2019 für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Grundsicherungsleistungen nach § 41a Abs. 1 SGB II in Höhe von 5.785 € vorläufig bewilligt hat und der Beklagte zutreffend mit Bescheiden vom 2. März 2020 festgestellt hat, dass die Kläger in diesem Zeitraum gar keinen Leistungsanspruch haben, sind die vorläufig bewilligten Leistungen vollständig zu erstatten. Ob möglicherweise die Voraussetzungen für einen Erlass der Forderung wegen Unbilligkeit gegeben sind, war hier nicht zu prüfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.