S 1 KR 1201/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 1201/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Verletzung des Arbeitgebers in seinen eigenen Rechten durch die Erteilung der S1-Bescheinigung nach den Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 an seine entsandten Arbeitnehmer durch die Krankenkasse scheidet aus.

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

 

Tatbestand

 

Bei der Klägerin handelt es sich um ein polnisches Werkvertragsunternehmen mit einer Zweigniederlassung im Bundesgebiet in .... Von ihrer Hauptniederlassung in Polen aus werden zur Erfüllung von Werkverträgen im Hoch- und Tiefbau Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt.

 

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Klärung der Frage, ob ihren von Polen aus nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern sogenannte S1-Bescheinigungen nach den EG-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 zu erteilen sind.

 

Mit der S1-Bescheinigung wird der Anspruch des Bescheinigungsinhabers und der Anspruch seiner Familienangehörigen auf Sachleistungen bei Krankheit und Mutterschaft sowie gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft (d. h. Gesundheitsversorgung, ärztliche Behandlung usw.) in seinem Wohnstaat bescheinigt.

 

Mit vorliegender Klage begehrt die Klägerin zum einen die Rücknahme der ihren inzwischen bei ihr ausgeschiedenen Arbeitnehmern … und … von der Beklagten erteilten S1-Bescheinigungen, zum anderen die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, zukünftig den bei ihr versicherten und von Polen aus arbeitsrechtlich entsandten, im einzelnen genannten Arbeitnehmern S1-Bescheinigungen zu erteilen.

 

Sowohl ... als auch ..., die bei der Beklagten aufgrund ihrer Beschäftigung bei der Klägerin krankenversichert waren, erhielten auf ihren jeweiligen Antrag hin von der Beklagten S1-Bescheinigungen vom 20.05.2020 bzw. 16.11.2021, um auch in Polen Krankenversicherungsschutz zu haben. Nachdem sowohl ... als auch ... nach Auffassung der Klägerin zu Unrecht in Polen Arbeitsunfähigkeit mit der sie treffenden Folge der Entgeltfortzahlung bescheinigt worden war, kündigte die Klägerin die mit ... und ... bestehenden Arbeitsverhältnisse.

 

Ferner beantragte sie mit Schreiben vom 29.07.2022 bei der Beklagten die Rücknahme der ... erteilten S1-Bescheinigung. Dieser sei als aus Polen entsandter Arbeitnehmer ununterbrochen in … gemeldet gewesen. Alle vier Wochen sei er für ein paar Tage nach Polen zurückgekehrt. Durch Täuschung habe er die S1-Bescheinigung erhalten, was für sie neben der Entgeltfortzahlung auch negative steuerliche Folgen habe.

 

Hierzu findet sich in der Verwaltungsakte der Beklagten lediglich der Vermerk, dass die S1-Bescheinigung nur das Verhältnis zwischen Mitglied und Krankenkasse betrifft, der Arbeitgeber darin nicht involviert ist. Eine förmliche Entscheidung über den Antrag der Klägerin liegt nicht vor.

 

Mit ihrer am 27.06.2023 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Ausstellung der S1-Bescheinigung für ihre aus Polen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, alle bei ihrer Hauptniederlassung in Polen angestellten Arbeitnehmer seien bei der Beklagten sozialversichert und in Deutschland steuerpflichtig. Aufgrund der polnischen Arbeitsverträge seien sie in Polen beschäftigt und aufgrund einer arbeitsrechtlichen Entsendung nach Deutschland entsendet. Am ersten Arbeitstag hätten ihre Arbeitnehmer ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt und sich unter der Anschrift „…“ angemeldet. Sie hätten daher ihren Wohnsitz in Deutschland. Keiner ihrer entsandten Mitarbeiter sei in Polen sozialversicherungsrechtlich versichert. Die Dauer der Beschäftigung und die durchgehende Anmeldung unter der gleichen Wohnanschrift dürften ein weiteres Indiz dafür sein, dass der Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland sei. Soweit Mitarbeiter die Ausstellung der S1-Bescheinigung beantragen würden, würden sie Unwahrheiten abgeben. Es sei Aufgabe der Beklagten zu prüfen, ob ein Anspruch auf Ausstellung bestehe. Bei Beantragung einer S1-Bescheinigung müsse daher die Beklagte prüfen, ob die Arbeitnehmer sowohl tatsächlich als auch formell ihren Wohnsitz nach Polen verlegt hätten und zwar anhand von Fakten, die durch Beweise belegt werden könnten. Seit Beginn ihrer Registrierung als Arbeitgeber bei der Beklagten vor mehr als 10 Jahren sei die Form der Beschäftigung der Mitarbeiter bekannt. Von Anfang an sei klargestellt worden, dass es sich bei den Mitarbeitern um von Polen nach Deutschland entsandte Mitarbeiter handle, die gleichzeitig in Deutschland sozialversicherungsrechtlich versichert seien. Die Beklagte kenne den Beschäftigungsstatus und den Wohnsitz der Arbeitnehmer aufgrund der Angaben, die sie der Beklagten zur Anmeldung bei der Sozialversicherung mache. Die Beklagte habe trotz fehlenden Nachweises den Wohnsitz der Arbeitnehmer geändert. Dies habe Auswirkungen auf die steuerliche Situation des Arbeitnehmers, da die Lohnsteuer für einen solchen Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Doppelbesteuerungsabkommens beglichen werden müsse.

Die ... und ... erteilten S1-Bescheinigungen seien zu Unrecht erteilt worden. Da die Beklagte mit Schreiben vom 20.01.2023 erklärt habe, dass sie die S1-Bescheinigung rechtmäßig ausgestellt habe, bestehe Wiederholungsgefahr für zukünftige Beantragungen von S1-Bescheinigungen durch ihre entsandten Mitarbeiter.

Ferner bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, da sie unmittelbar von der rechtswidrigen Entscheidung der Beklagten betroffen werde. Sie werde dadurch einer möglichen Haftung gegenüber anderen Institutionen ausgesetzt. Darüber hinaus drohe ihr ein finanzieller Schaden, da es Arbeitnehmern ermöglicht werde, sie um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu betrügen. Soweit die Beklagte vorträgt, sie habe die S1-Bescheinigung auf der Grundlage der vom Versicherten vorgelegten Unterlagen erteilt, begründe allein dies schon ihr Rechtsschutzbedürfnis. Die Entscheidung der Beklagten habe zur Folge, dass die ausländische Adresse des versicherten Arbeitnehmers nur bei ihr erscheine, während bei anderen Sozialversicherungsträgern und bei seinem Arbeitgeber weiterhin seine korrekte deutsche Adresse angegeben werde. Damit verstoße die Beklagte gegen die Vorschriften über das Meldeverfahren in der Sozialversicherung und schaffe eine Unklarheit über die Daten des versicherten Arbeitnehmers im Sozialversicherungssystem. Ferner gebe es keine Vorschriften, die es der Beklagten erlauben würden, vor Ausstellung der S1-Bescheinigung den tatsächlichen Wohnort nach den Kriterien des Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 zu überprüfen. Diese Regelung finde nur Anwendung, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten über die Feststellung des Wohnortes einer Person bestehe, für die die Verordnung gelte. Hier habe es jedoch keine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern gegeben. Sowohl ... als auch ... hätten während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses in Deutschland gewohnt. Auf ihren Antrag auf Rücknahme der ... erteilten S1-Bescheinigung habe sie offiziell bis heute keine Antwort erhalten.

 

Die Klägerin beantragt,

 

1.    die Beklagte zu verurteilen, die den bei ihr ausgeschiedenen Arbeitnehmern ..., geboren am …, und … …, geboren am …, in der Vergangenheit erteilten S1-Bescheingungen zurückzunehmen.

 

2.    die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, zukünftig den bei ihr versicherten und von Polen aus arbeitsrechtlich entsandten Arbeitnehmern der …. z o.o., namentlich wie folgt aufgelistet: …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …,…, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, nach Einreichung entsprechender Anträge sogenannte S1-Bescheinigungen auf der Grundlage der EG-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 zu erteilen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgebracht, für die Klage sei kein Rechtsschutzbedürfnis ersichtlich. Mit der S1-Bescheinigung könnten sich Versicherte für die Krankenversicherung des Wohnsitzlandes zur Leistungsaushilfe anmelden, wenn sie in einem EU-Land ihren Wohnsitz haben, aber in einem anderen EU-Land versichert sind. Die S1-Bescheinigung diene dabei ausschließlich zur Kommunikation und Abstimmung zwischen den Sozialversicherungsträgern der beiden Staaten. Mit der Ausstellung einer S1-Bescheinigung sei keine steuerrechtliche Bewertung des jeweiligen Lebenssachverhaltes verbunden. Entgegen der klägerischen Behauptung habe sie durchaus eine Prüfung des Wohnortes anhand der Gesamtumstände vorgenommen. Dabei sei der melderechtliche Wohnort nur eines von mehreren Kriterien. Zudem habe die Klägerin eingeräumt, sie habe ihren Arbeitnehmern eine Wohnung in einer Sammelunterkunft zur Verfügung gestellt. Darin könne keine dauerhafte Wohnsituation gesehen werden, zumal die Klägerin nach ihrem eigenen Bekunden auch noch Transportmittel zur Heimfahrt zur Verfügung stelle.

 

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die form- und fristgemäß beim sachlich und örtlich zuständigen SG erhobene Klage ist sowohl im Klageantrag Ziffer 1 als auch im Klagantrag Ziffer 2 bereits unzulässig.

Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag Ziffer 1 die Rücknahme der ... und ... erteilten S1-Bescheinigungen begehrt, fehlt es hinsichtlich ... bereits an einem entsprechenden bei der Beklagten gestellten Antrag, hinsichtlich ... an einer Entscheidung über den bei der Beklagten gestellten Antrag auf Rücknahme der S1-Bescheinigung.

Soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag Ziffer 2 die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung einer künftigen Erteilung der S1-Bescheinigungen an ihre Arbeitnehmer begehrt, fehlt es an dem hierfür erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis.

 

Im Übrigen wäre die Klage sowohl hinsichtlich des Antrages Ziffer 1 als auch hinsichtlich des Antrages Ziffer 2 unbegründet, da durch die Erteilung der S1-Bescheinigungen an ihre Arbeitnehmer eine Verletzung der Klägerin in ihren eigenen Rechten ausscheidet.

 

Klagantrag Ziffer1

Mit ihrer als Antrag Ziffer 1 gestellten Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) begehrt die Klägerin von der Beklagten, die ... und ... in der Vergangenheit erteilten S1-Bescheinigungen zurückzunehmen. Um insoweit gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu dürfen, bedarf es zunächst eines entsprechenden Antrages gegenüber der Beklagten, die S1-Bescheinigungen wieder zurückzunehmen. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist dann, dass über einen Antrag von der Beklagten entschieden wurde. Ferner ist danach weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage, dass zuvor, also vor Klageerhebung das Widerspruchsverfahren gegen die von der Beklagten getroffene Entscheidung abgeschlossen ist. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 78 Abs. 3 SGG. Danach sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes abgelehnt worden ist.

 

Ein Ausnahmefall des § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach es eines Vorverfahrens in den dort im Einzelnen genannten Fällen nicht bedarf, liegt hier nicht vor.

 

Wie aus den vorliegenden Unterlagen zu ersehen ist, fehlt es hinsichtlich ... bereits an einem bei der Beklagten gestellten Antrag der Klägerin auf Rücknahme der ihm erteilten S1-Bescheinigung.

 

Hinsichtlich ... hat die Klägerin zwar mit ihrem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 29.07.2022 die Rücknahme der ihm erteilten S1-Bescheinigung beantragt. Eine Entscheidung über diesen Antrag ist jedoch nicht ergangen. Dies bestätigt die Klägerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 28.09.2023, in dem sie ausgeführt hat, sie habe offiziell bis heute keine Antwort erhalten. Auch in der Verwaltungsakte der Beklagten findet sich lediglich der interne Vermerk vom 11.08.2022, wonach „wir … das S1 nicht auf Zuruf des Ag beenden oder stornieren [können], dies ist aus Datenschutzgründen nicht erlaubt.“ Dieser interne Vermerk erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches, die an einen Verwaltungsakt zu stellen sind. Insbesondere fehlt es an der hierfür erforderlichen Außenwirkung.

Selbst wenn man den internen Vermerk vom 11.08.2022 als eine Entscheidung über den von der Klägerin hinsichtlich des ... gestellten Antrages auf Rücknahme der S1-Bescheinigung ansehen würde, fehlt es einem hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin und somit auch an einer das Verfahren abschließenden Widerspruchsentscheidung der Beklagten, die Zulässigkeitsvoraussetzung für die von der Klägerin in ihrem Antrag Ziffer 1 erhobene Verpflichtungsklage ist.

 

Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet, da die Klägerin durch die Erteilung der S1-Bescheinigungen an ... und ... nicht in ihren eigenen Rechten verletzt wird und sich zudem die Erteilung der S1-Bescheinigungen an ... und ... als rechtmäßig erweist.

 

Ohne den Einfluss über- oder zwischenstaatlichen Rechts wirkt mitgliedstaatliches Kranken- und Pflegeversicherungsrecht regelmäßig nur territorial begrenzt, denn es entfaltet seine Geltung typischerweise ausschließlich in dem Hoheitsgebiet des Staates, in dem die betroffene Person versichert ist und lebt. Der Entrichtung von Beiträgen im Inland steht im Ausland kein durchsetzbarer Leistungsanspruch gegenüber. Zudem ist festzustellen, dass die mitgliedstaatlichen Krankenversicherungssysteme hinsichtlich ihrer Struktur, Organisation, Finanzierung und Leistungsgewährung zum Teil erheblich voneinander differieren. Beließe man es dabei, ergäben sich für alle von den einzelstaatlichen Gesundheitssystemen erfassten Personen gravierende Einschränkungen ihrer unionsrechtlich gewährleisteten Freizügigkeitsrechte. Der von der Europäischen Union eingeschlagene Lösungsweg ist der einer Koordinierung der mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme durch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (VO 883/24) und Nr. 987/2009 (VO 987/09). Aufgabe des Koordinierungsrechts ist es, die aus der begrenzten räumlichen Wirkung sowie der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Systeme im Übrigen resultierenden Limitierungen der Freizügigkeit punktuell aufzuheben, umso Nachteile für die betroffenen Personen zu vermeiden. Dies geschieht in erster Linie durch Harmonisierung der Anknüpfungspunkte, welche auf das anwendbare Recht verweisen, aber auch durch Sachnormen (Leopold in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, 13. Ergänzungslieferung, Art. 17 EGV 883/2004 Rdnr. 4 m.w.N.).

 

Nach Art. 17 VO 883/04 erhalten ein Versicherter oder seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, in dem Wohnmitgliedstaat Sachleistungen, die vom Träger des Wohnorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob sie nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären. Damit normiert Art. 17 VO 883/04 für Fälle, in denen zuständiger Staat und Wohnstaat von Versicherten bzw. ihrer Familienangehörigen auseinanderfallen, die Leistungsgewährung im Wohnstaat nach dem Prinzip der Sachleistungsaushilfe. Dies ist der wesentliche Kern der Koordinierung im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung. Der Grundsatz der Sachleistungsaushilfe hat zum Inhalt, dass anspruchsberechtigten Personen, die bei einem ausländischen Träger versichert sind, Sachleistungen vom aushelfenden Träger am Wohn- oder Aufenthaltsort der Person auf Basis über- oder zwischenstaatlichen Rechts zur Verfügung gestellt werden. Die Leistungen werden dort unter den gleichen Bedingungen und Modalitäten gewährt, wie den Personen, die dem System sozialer Sicherung am Wohn- oder Aufenthaltsstaat angeschlossen sind. Hierdurch erfolgt eine punktuelle Integration versicherter Personen und ihrer Familienangehörigen in das Versicherungssystem des Wohn- bzw. Aufenthaltsstaates. Die Kostenlast dafür trägt der zuständige Staat. Der Vorteil dieser Aufgabenteilung liegt zum einen darin, dass für Versicherte und ihre Familienangehörigen die Versorgung im Wohn- bzw. Aufenthaltsstaat sichergestellt bleibt, mit dessen System sie unter Umständen sogar besser vertraut sind. Zum anderen ist das so angewandte Prinzip der Sachleistungsaushilfe auch für die beteiligten Träger und Leistungserbringer vorteilhaft, weil sie nur den für sie jeweils geltenden Rechtsvorschriften unterworfen sind. Das Prinzip der Sachleistungsaushilfe ermöglicht so eine effiziente Sachleistungsgewährung unter Nutzung der Organisations- und Leistungsstruktur im Wohn- bzw. Aufenthaltsstaat. Die Sachleistungsaushilfe stellt gewissermaßen das Surrogat für einen Leistungsexport dar, der sich bei Sachleistungen regelmäßig als nachteilig erweisen würde, weil die Leistungserbringung mit einem erheblichen Bürokratieaufwand verbunden wäre, in vielen Fällen erst mit deutlicher Zeitverzögerung erfolgen könnte und im Falle der Notwendigkeit einer stationären Erbringung realiter überhaupt nicht möglich ist. Gerade der Umgang mit dem Risiko „Krankheit“ erfordert jedoch typischerweise eine zügige und unkomplizierte Leistungsgewährung vor Ort (Leopold, a.a.O. Rdnrn. 3 und 40 m.w.N.).

 

Dabei ist die Sachleistungsaushilfe durch drei Rechtsverhältnisse gekennzeichnet. Zu differenzieren ist zwischen dem Statusverhältnis des Versicherten zum zuständigen Träger, dem Leistungsverhältnis zwischen Versichertem und Träger des Wohnorts und schließlich dem Erstattungsverhältnis zwischen dem Träger des Wohnorts und dem zuständigen Träger (Leopold, a.a.O. Rdnrn. 51ff. m.w.N.).

 

Für die Anwendung von Art. 17 VO 883/04 müssen sich versicherte Personen und/oder ihre Familienangehörigen nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 VO 987/09 beim Träger des Wohnorts als Sachleistungsberechtigte eintragen lassen. Hierbei handelt es sich um eine Erfüllungsvoraussetzung.

Der Sachleistungsanspruch im Wohnmitgliedstaat, genauer der Versichertenstatus, wird durch die S1-Bescheinigung als (deklaratorische) Bescheinigung eines generellen Anspruchs auf Sachleistungen in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie bei Mutterschaft bzw. Vaterschaft bestätigt.

Während antragsberechtigt der Versicherte selbst als auch der Träger des Wohnortes sind, ist ausstellungspflichtig der kostentragende zuständige Träger, hier die Beklagte. Die versicherte Person und/oder ihre Familienangehörigen haben die S1-Bescheinigung beim Träger des Wohnortstaates vorzulegen.

Dabei hat die S1-Bescheinigung prinzipiell zeitlich unbegrenzte Gültigkeit. Die Gültigkeit endet allerdings dann, wenn der zuständige Träger den Träger des Wohnorts über den Widerruf des Dokuments nach Art. 24 Abs. 2 Unterabsatz 1 VO 987/09 informiert hat. Dabei hat der zuständige Träger für den Widerruf den Vordruck S016 zu verwenden. Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten erfolgte unter dem 20.05.2020 mit diesem Vordruck der Widerruf der ... erteilten S1-Bescheinigung.

 

Nach Ausstellung der S1-Bescheinigung hat der zuständige Träger den Träger des Wohnortstaates über die Ausstellung der Bescheinigung zu informieren. Den Träger des Wohnortstaates trifft gemäß Art. 24 Abs. 2 Unterabschnitt 2 VO 987/09 auch umgekehrt eine (fortlaufende) Informationspflicht gegenüber dem zuständigen Träger.

Der S1-Bescheinigung kommt Bindungswirkung nicht nur mit Wirkung für und gegen den zuständigen Träger zu, sondern unmittelbar aus Art. 24 Abs. 2 Unterabschnitt 1 VO 987/09 auch gegenüber dem Träger des Wohnortstaates. Folgerichtig resultiert hieraus des Weiteren eine Bindung des zuständigen Trägers an tatsächliche Feststellungen von autorisierten Leistungserbringern im System des Wohnortsstaates, insbesondere hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit oder Dringlichkeit einer Behandlung.

Allerdings kann bei Zweifeln an einer Behandlungsbedürftigkeit auf Ersuchen des leistungspflichtigen Trägers entsprechend Art. 87 VO 987/09 eine ärztliche Untersuchung im Wohnortstaat erfolgen.

 

Art. 17 VO 883/04, der auch auf entsandte Arbeitnehmer wie die bei der Klägerin beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung findet (vgl. hierzu Leopold, a.a.O. Rdnr. 34) verlangt ein Auseinanderfallen von zuständigem Staat und Wohnstaat der Versicherten bzw. ihrer Familienangehörigen. Für die Tatbestandsmerkmale „wohnen“, „Wohnort“ und „Mitgliedstaat“ ist die Legaldefinition in Art. 1 Buchstabe j) VO 883/04 heranzuziehen. Maßgebend ist danach der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.

Diese vage Definition in Art. 1 Buchstabe j) VO 883/4 wird durch die Regelung in Art. 11 VO 987/09 im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hierzu konkretisiert. Danach ist zunächst der Mittelpunkt des Interesses anhand einer Gesamtbewertung aller vorliegenden Angaben zu bestimmen. Hierzu gehören objektive und subjektive Kriterien, nämlich zunächst die Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, aber auch Umstände, die in der persönlichen Situation der Person begründet sind, wie zum Beispiel

·         die Art und die spezifischen Merkmale jeglicher ausgeübter Tätigkeit, insbesondere der Ort, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, die Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und die Dauer eines Arbeitsvertrages

·         die familiären Verhältnisse und Bindungen

·         die Ausübung einer nicht bezahlten Tätigkeit

·         im Falle von Studierenden ihre Einkommensquelle

·         die Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter

·         und die Frage, wo sich der steuerliche Wohnsitz der Person befindet.

Lediglich subsidiär, nämlich wenn diese objektiven Kriterien zu keinem eindeutigen Ergebnis führen und zwischen den betroffenen Trägern in der Frage des Wohnorts weiterhin Uneinigkeit besteht, kommen subjektive Kriterien zum Tragen, nämlich der Wille der Person, wie er sich aus Fakten und Umständen erkennen lässt, also der sogenannte objektivierte Wille. Diese Kriterien sind aber nicht abschließend und es besteht unter ihnen auch keine bestimmte Rangfolge. Auch kann die bloße Anmeldung eines Wohnsitzes beim Einwohnermeldeamt lediglich als Ausdruck des Willens des Betroffenen gewertet werden, ist aber letztlich für die tatsächliche Festlegung des Wohnsitzes unerheblich. Dabei ist zu beachten, dass für die Zwecke der Anwendung der VO 883/04 eine Person nicht gleichzeitig zwei Wohnorte in verschiedenen Mitgliedstaaten haben kann (Otting in Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, 13. Ergänzungslieferung, Art. 1 EGV 883/2004, Rdnrn. 34-35a, jeweils m.w.N.).

Als Faustregel lässt sich feststellen, dass in aller Regel der Wohnort einer Person im Sinne der Verordnung sich dort befindet, wo er einen festen Arbeitsplatz hat bzw. wo er sich zur Ausübung seiner Tätigkeit gewöhnlich aufhält. Allerdings fällt dieses Kriterium von vornherein nicht mehr so stark ins Gewicht, wenn eine Person am Arbeitsplatz lediglich eine Wohnung angemietet hat und aus familiären Gründen regelmäßig (z.B. an den Wochenenden) zu ihrer Familienwohnung zurückkehrt, da sie damit dokumentiert, dass sich am Wohnort der Familie weiterhin der Mittelpunkt ihres Interesses befindet. Der steuerliche Wohnsitz ist lediglich ein Indiz, aber nicht ausschlaggebend (Otting, a.a.O. Rdnrn. 36 und 37).

Bei entsandten Arbeitnehmern genügt nicht das Faktum der Entsendung, um einen Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat zu unterstellen, sondern es ist von der jeweiligen Wohnsituation abhängig, ob sich die betreffende Person nur vorübergehend oder aber dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat aufhält. Der Dauer einer Entsendung kommt indizielle Bedeutung zu (Leopold, a.a.o. Rdnr. 34).

 

Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass Art. 11 VO 987/09 vom reinen Wortlaut her nur dann Anwendung findet, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten über die Feststellung des Wohnorts einer Person besteht.

Gleichwohl hat die Kammer keine Bedenken dagegen, dass die in Art. 11 VO 987/09 genannten Kriterien zur Bestimmung des Wohnortes auch von der Beklagten zur Prüfung und Entscheidung hinsichtlich der Ausstellung einer S1-Bescheinigung herangezogen und angewandt wurden.

Unter Beachtung der dargestellten gesetzlichen Grundlagen und Grundsätze steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die … und ... ausgestellten S1-Bescheinigungen die Klägerin nicht in eigenen Rechten verletzt. Dies gilt selbst dann, wenn – wie hier nicht vorliegend – die S1-Bescheinigungen ... und ... zu Unrecht ausgestellt worden wären.

 

Wie dargestellt dient die S1-Bescheinigung als Nachweis für einen bestehenden Sachleistungsanspruch im Wohnmitgliedstaat im Falle der Erkrankung, wenn sich der Versicherte zur Arbeitsleistung in einem anderen Staat aufhält. Die Erteilung der S1-Bescheinigung dient somit dem Interesse des Versicherten und seiner Familienangehörigen auch im Wohnortstaat im Wege der Sachleistungsaushilfe Leistungen im Krankheitsfalle zu erhalten. Aufgrund des ihm zustehenden subjektiven Rechts auf Sachleistungsgewährung gegenüber dem Träger des Wohnortes hat er auch einen Anspruch gegenüber dem zuständigen Träger, hier der Beklagten, auf Ausstellung der S1-Bescheinigung (Leopold, a.a.O., Rdnr. 76).

Als Nachweis für den Sachleistungsanspruch eines Versicherten, bei dem zuständiger Staat und Wohnstaat auseinanderfallen, betrifft die S1-Bescheinigung auch das Verhältnis zwischen dem Sozialleistungsträger des zuständigen Staates und demjenigen des Wohnstaates, hier also das Verhältnis zwischen der Beklagten und der polnischen Krankenversicherung.

Nicht zuletzt erfolgt die Ausstellung der S1-Bescheinigung auch im Hinblick auf das Erstattungsverhältnis zwischen dem Träger des Wohnorts und dem zuständigen Träger. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung hat die Ausstellung der S1-Bescheinigung jedoch auf sie keine Auswirkungen.

Auch wenn möglicherweise der von ihr bei der Anmeldung der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer angegebene Wohnort in … nicht mit dem in der S1-Bescheinigung angegebenen Ort übereinstimmt, ergeben sich hierdurch für die Klägerin keine Nachteile. Die Klägerin ist mit Angabe des ihrer Ansicht nach zutreffenden Wohnorts des ... und des ... in … ihrer Verpflichtung zur Anmeldung der beiden Arbeitnehmer zur Sozialversicherung nachgekommen. Eine Bindung an diese Angabe des Wohnortes in der Anmeldung zur Sozialversicherung besteht für andere Sozialversicherungsträger ebenso wenig wie für die Finanzverwaltung. Diese sind bei den von ihnen jeweils zu treffenden Entscheidungen nicht an die Anmeldung durch die Klägerin gebunden, sondern haben jeweils in eigener Verantwortung zu prüfen, wo der Wohnsitz der bei der Klägerin versicherten Arbeitnehmer ist, sollte es hierauf bei der von Sozialversicherungsträgern oder Finanzverwaltung zu treffenden Entscheidungen überhaupt ankommen.

Überdies meldet die Beklagte als Einzugsstelle an die übrigen Sozialversicherungsträger nur die relevanten Daten, zu denen die Anschrift des Arbeitnehmers nicht gehört.

Die Anmeldung durch die Klägerin hat auch keine steuerrechtliche Auswirkung. So hat die Finanzverwaltung eigenständig und unabhängig von den Angaben der Klägerin zu prüfen, ob im Falle der Arbeitnehmer der Klägerin das Doppelbesteuerungsabkommen Anwendung findet. Die von der Klägerin befürchtete Haftung aufgrund falscher Angaben bei ihrer Anmeldung zur Sozialversicherung besteht nach Überzeugung der Kammer somit nicht.

 

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, nach Erteilung der S1-Bescheinigung habe sie keine Überprüfungsmöglichkeiten, ob sie im Falle einer in Polen bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung zu leisten hat, ist dies nicht zutreffend. Wie dargestellt besteht für den zuständigen Träger, hier die Beklagte, nach Art. 87 VO 987/09 durchaus die Möglichkeit, eine Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit in Polen durch dortige ärztliche Untersuchung überprüfen zu lassen. Bei Zweifeln an der Richtigkeit einer in Polen festgestellten Arbeitsunfähigkeit hat die Klägerin somit durchaus die Möglichkeit, sich an die Beklagte mit der Bitte zu wenden, eine Überprüfung zu beantragen. Eine solche Überprüfung bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit liegt dabei aufgrund eines möglichen Krankengeld-Anspruchs gegen die Beklagte auch in deren Interesse.

 

Bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Polen ist die Klägerin als Arbeitgeberin überdies auch ohne ausgestellte S1-Bescheinigung zur Entgeltfortzahlung für sechs Wochen verpflichtet. Hierauf hat die Beklagte zutreffend in ihrem Schriftsatz vom 14.11.2023 hingewiesen.

 

Die Ausstellung der S1-Bescheinigungen durch die Beklagte an ... und ... tangiert somit den Rechtskreis der Klägerin nicht, in ihre eigenen Rechte wird somit hierdurch nicht eingegriffen.

 

Zudem erfolgte die Ausstellung der S1-Bescheinigungen für ... und ... durch die Beklagte zu Recht. Beide (ehemaligen) Arbeitnehmer der Klägerin hatten nach Überzeugung der Kammer ihren Wohnsitz nicht unter der von der Klägerin angegebenen Anschrift „…“, sondern vielmehr in Polen. Dort war bei beiden Arbeitnehmern trotz der Entsendung ins Bundesgebiet ihr Lebensmittelpunkt.

Unter dem 13.05.2020 beantragte ... von einer polnischen Anschrift aus bei der Beklagten die Ausstellung der S1-Bescheinigung. Diese polnische Anschrift war der Beklagten bereits aus früheren Mitgliedschaftsverhältnissen bekannt. Vom polnischen Versicherungsträger wurde die Einschreibung zu Leistungsaushilfe unter dem 25.05.2020 bestätigt. Damit bestätigte der polnische Versicherungsträger zugleich, dass der Wohnort des ... in Polen liegt. All das zeigt zur Überzeugung der Kammer, dass er seinen Wohnsitz nach wie vor in Polen hatte. Der Anmeldung beim Einwohnermeldeamt unter der Anschrift „…“ kommt dabei - wie oben dargestellt - nur indizielle Bedeutung zu. Zudem befindet sich das unter dieser Anschrift angegebene Wohngebäude nach der von der Kammer durchgeführten Internetrecherche auf Google maps auf dem Grundstück eines Bauunternehmens, so dass es sich hierbei um eine Sammelunterkunft für die ins Bundesgebiet entsandten Arbeitnehmer der Klägerin handelt.

Auch ... hatte seinen Wohnsitz nach wie vor in Polen. Zu dieser Überzeugung gelangt die Kammer aufgrund des an die Beklagte gerichteten Schreibens des ... vom 20.11.2021, in dem er angab, er habe seinen Familienwohnsitz in Polen und sei dort auch mit seiner ganzen Familie als ständigen Wohnsitz angemeldet. Belegt wird diese Angabe durch die beigefügte polnische Meldebestätigung. Auch die Tatsache, dass ... nach eigenen Angaben der Klägerin alle vier Wochen für mehrere Tage nach Polen mit einem ihm von der Klägerin zur Verfügung gestellten Transportmittel fährt, belegt zur Überzeugung der Kammer, dass ... dort seinen Lebensmittelpunkt hatte.

 

Damit wurden die ... und ... ausgestellten S1-Bescheinigungen zu Recht von der Beklagten erteilt.

 

Klagantrag Ziffer 2

Mit der als Antrag Ziffer 2 gestellten vorbeugenden Unterlassungsklage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, zukünftig den bei ihr versicherten und von Polen aus arbeitsrechtlich entsandten, im Einzelnen namentlich bezeichneten Arbeitnehmern S1-Bescheinigungen zu erteilen. Die vorbeugende Unterlassungsklage erfordert ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse, das dann nicht gegeben ist, wenn der Betroffene auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Dabei ist maßgebend, ob ein als widerrechtlich beurteiltes Verhalten der Beklagten ernstlich zu befürchten ist. Es muss schlüssig dargelegt werden, dass das Abwarten einer Beeinträchtigung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage, § 54 Rdnrn. 42 und 42a m.w.N.).

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus der Erklärung der Beklagten, sie habe die S1-Bescheinigungen an ... und ... rechtmäßig ausgestellt, keine Wiederholungsgefahr für die zukünftige Beantragung von S1-Bescheinigungen für ihre namentlich genannten Arbeitnehmer gesehen werden. Die Erteilung der S1-Bescheinigung erfordert eine individuelle Prüfung, wo der Ort des jeweiligen Arbeitnehmers liegt. Diese Prüfung obliegt der Beklagten und wurde im Falle von ... und ... auch entgegen der Ansicht der Klägerin durchgeführt. Bei den von ihr namentlich benannten Arbeitnehmern, sollten diese überhaupt einen Antrag auf Ausstellung der S1-Bescheinigung stellen, wird daher durch die Beklagte eine individuelle Prüfung erfolgen, wo deren Wohnort liegt. Diese Einzelfallüberprüfung kann unterschiedlich ausfallen. Da die Klägerin zudem durch die Ausstellung der S1-Bescheinigungen nicht in ihren eigenen Rechten verletzt wird, ist es ihr ohne weiteres zuzumuten, den Ausgang dieses Prüfungsverfahrens und damit die etwaige Erteilung der S1-Bescheinigungen an ihre Arbeitnehmer abzuwarten. Ein Bedürfnis für vorbeugenden Rechtsschutz besteht somit nicht.

 

Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung, da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.

 

 

Rechtskraft
Aus
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