L 13 AS 2080/25 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1569/25 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2080/25 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird – nach Erlass der Änderungsbescheide vom 15. Juli 2025 - der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Juni 2025 aufgehoben.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten; im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung.



Gründe

Die form- und fristgerecht (vgl. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 20. Juni 2025 ist zulässig und – nach Erlass der Änderungsbescheide vom 15. Juli 2025 – auch begründet.
Nach Erlass der Änderungsbescheide vom 15. Juli 2025 ist das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller für den Erlass einer einstweiligen Anordnung entfallen, weil die zuvor bestehende aktuelle Notlage der Antragsteller dadurch beseitigt wurde.


Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung <ZPO>); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Art. 19 Abs. 4 GG  stellt besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Dies gilt insbesondere, wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 – m.w.N.). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 42).

Gemessen hieran haben die Antragsteller – nach Erlass der Änderungsbescheide vom 15. Juli 2025 - kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an einer gerichtlichen Entscheidung, weshalb der Beschluss des SG vom 20. Juni 2025 aufzuheben war.

Es liegen im vorliegenden Verfahren zahlreiche offene Fragen bei der Berechnung der Höhe des Leistungsanspruchs der Antragsteller vor.
Streitig ist neben der Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung (einschließlich der Anrechnung des für die Untermiete bezahlten Betrags) und der Anrechnung von Einkommen aus der Vermietung eines Hausgrundstücks (in Höhe von 300 €) hauptsächlich, in welcher Höhe Einkommen des Antragstellers zu 1.) aus selbstständiger Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Die hierzu aufgeworfenen Fragen, u.a. in welcher Höhe Darlehensraten für die hier relevanten Unternehmen (Einzelfirma F1 H1 und E1 GmbH) betrieblich veranlasst sind, können im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geklärt werden. Allerdings hat der Antragsgegner mit den Änderungsbescheiden vom 15. Juli 2025 den Antragstellern vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. November 2024 bis 30. April 2025 und vom 1. Mai 2025 bis 31. Oktober 2025 bewilligt und dabei – wie vom Senat angeregt – vorläufig die Hälfte der streitigen Beträge als Betriebsausgaben berücksichtigt. Die Höhe der bewilligten Leistungen liegt für die Zeit von November 2024 bis April 2025 etwas unter den vom SG zugesprochenen Leistungen (monatlich insgesamt 2.392 € bzw. 2.382 €) und für die Zeit ab 1. Mai 2025 über den vom SG zugesprochenen Leistungen. Mit den nunmehr vorläufig bewilligten Leistungen ab der Antragstellung im November 2024 und bis einschließlich Oktober 2025 ist jedenfalls die aktuelle Notlage beseitigt und darüber hinaus können für die Vergangenheit erlittene Nachteile durch die für die Zeit ab November 2024 vorläufig bewilligten höheren Leistungen ausgeglichen werden. Über die den Antragstellern tatsächlich endgültig zustehenden Leistungen kann im Zusammenhang mit einer abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch bzw. im Hauptsacheverfahren entschieden werden.

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die vom SG im Beschluss vom 20. Juni 2025 vorläufig zugesprochenen Leistungen jeglicher objektiven Grundlage entbehren und deshalb nicht herangezogen werden können, soweit die vorläufige Bewilligung mit Bescheid vom 15. Juli 2025 für die Zeit von November 2024 bis April 2025 hinter den vom SG vorläufig zugesprochenen Leistungen zurückbleibt. Insoweit würde es demnach auch an einem Anordnungsanspruch fehlen.

Denn das SG hat zu Unrecht ohne Kenntnis des Ablaufs der Antragstellung und des Akteninhalts, insbesondere den wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragsteller, und ohne dem Antragsgegner ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme zum Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes einzuräumen, entschieden. Die von ihm gesetzte Frist von drei Tagen war – insbesondere in Anbetracht der im Zusammenhang mit einem Antrag auf Bürgergeld nach dem SGB II regelmäßig anzustellenden komplizierten Berechnungen und der Vielzahl an erforderlichen Nachweisen – zu kurz bemessen. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens hätte es erfordert, dem Antragsgegner eine großzügigere Frist einzuräumen oder zumindest nach Ablauf der Frist eine Nachfrage/Erinnerung an den Antragsgegner zu richten. In Anbetracht der kurzen Frist und fehlender Erinnerung sowie unter Ermangelung jeglicher belastbarer Anhaltspunkte, die die Annahme eines vorsätzlichen/schuldhaften Verhaltens stützen, entbehrt der Vorwurf des SG, der Antragsgegner habe die Beweisführung der Antragsteller schuldhaft unmöglich gemacht, weil er die ihm wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller vorliegenden Beweisurkunden trotz richterlicher Anforderung dem Gericht nicht vorgelegt habe, bzw. die Annahme eines „exekutiven Ungehorsams“ jeglicher Grundlage.

Eine Entscheidung zu treffen, die sich lediglich auf die Angaben der Antragsteller zur Hilfebedürftigkeit und Eilbedürftigkeit verlässt, kann auch im einstweiligen Rechtsschutz nur in absoluten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, wofür der hier vorliegende Fall keine ausreichenden Anhaltspunkte bietet. Im hier vorliegenden Fall hätte sich allenfalls eine Zwischenentscheidung („Hängebeschluss“ [vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Auflage 2023, § 86b, Rn. 14 m.w.N.]) angeboten.

Auch die vom SG vertretene Auffassung, die Antragsteller müssten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Unterlagen vorlegen, die sie bereits außergerichtlich bei der zuständigen Behörde eingereicht hatten, erscheint befremdlich, weil das SG ohne Kenntnis der Akten auch keine Kenntnis davon haben konnte, welche Unterlagen von den Antragstellern schon vorgelegt wurden.

Die vom SG vorläufig zugesprochenen Leistungen bewegen sich nur zufällig etwa im Bereich dessen, was auch nach Kenntnis der Aktenlage bei vorläufiger Prüfung und unter Berücksichtigung des Einkommens des Antragstellers zu 1.) aus selbstständiger Tätigkeit angemessen ist, waren indes bei der Entscheidung mit Beschluss vom 20. Juni 2025 völlig aus der Luft gegriffen, zumal auch dem SG durch das Vorbringen der Antragsteller bzw. den von ihnen vorgelegten Unterlagen bekannt war, dass der Antragsteller zu 1.) selbstständig tätig ist und das daraus erzielte Einkommen bzw. dessen Berücksichtigung unklar sein könnte.

Die vom Antragsgegner jetzt vorläufig mit Änderungsbescheiden vom 15. Juli 2025 bewilligten Leistungen entsprechen dagegen – wie bereits dargelegt – nachvollziehbaren Überlegungen im Zusammenhang mit dem vom Antragsteller zu 1.) erzielten Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, insbesondere einer objektiven Berechnungsgrundlage zu den absetzbaren Betriebsausgaben.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren – nachdem er die Änderungsbescheide vom 15. Juli 2025 im Rahmen eines sinngemäßen und gleichzeitig ausgeführten sofortigen Anerkenntnisses erlassen hat – obsiegt hat und die Entscheidung des SG im erstinstanzlichen Verfahren zwar jeglicher objektiven Grundlage entbehrt hat, letztlich aber der Antragsgegner durch die lange Bearbeitungsdauer und die nur in unzureichender Höhe bewilligten Leistungen Anlass für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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