Die Berufung des Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Satz 1 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 09. April 2024 wie folgt gefasst wird: Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023 verurteilt, dem Kläger Bürgergeld für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR zu bewilligen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten des ersten Rechtszugs zur Hälfte und seine außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszugs in Gänze zu erstatten; im Übrigen haben die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt in erster Linie von dem Beklagten Bürgergeld für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR.
Er ist im März 1987 im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland geboren, dessen Staatsangehörigkeit er seither (allein) besitzt, und ledig. Er hält sich seit 2014 in der Bundesrepublik Deutschland auf und ist seit dem 01. September 2014 durchgehend in Berlin polizeilich gemeldet. Seit dem 17. August 2015 bewohnt er allein eine 44 qm große Wohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse, die seit dem 10. Februar 2016 in seinem Eigentum steht und für die er im streitigen Zeitraum ein Hausgeld in Höhe von monatlich 292,58 EUR zu zahlen hatte. Im Juli 2023 erhielt er freiwillige Unterhaltsleistungen von seinen Eltern in Höhe von insgesamt 555,00 EUR (Kontogutschriften am 07. Juli 2023 in Höhe von 105,00 EUR, am 12. Juli 2023 in Höhe von 100,00 EUR und am 31. Juli 2023 in Höhe von 350,00 EUR).
Vor dem hier streitigen Zeitraum war der Kläger vom 15. Februar 2015 bis zum 14. Februar 2016 (einem Sonntag) von vornherein befristet bei Z beschäftigt (regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden, monatliches Bruttoarbeitsentgelt 2.833,33 EUR), vom 17. Februar 2016 (laut Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 15. Oktober 2021 begann der Pflichtbeitragszeittatbestand aufgrund von Beschäftigung aber erst am 08. März 2016) bis zum 31. März 2017 als Essenslieferant bei F, wobei dieses Arbeitsverhältnis einvernehmlich endete (Aufhebungsvertrag vom 08. August 2017, dort als Beendigungszeitpunkt der „31.02.2017“ genannt), vom 02. Oktober 2017 bis zum 03. November 2017 bei einem unbekannten Arbeitgeber (beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt 2.347,00 EUR) und schließlich vom 15. Oktober 2018 bis zum 13. November 2018 bei der h., wobei dieses Arbeitsverhältnis aufgrund außerordentlicher verhaltensbedingter Kündigung des Arbeitgebers vom 13. November 2018 endete. Nach keinem dieser Beschäftigungsverhältnisse beantragte er bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Nach Ende der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse wurde ihm von der BA auch keine Bescheinigungen über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit ausgestellt; um die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung hatte sich der Kläger auch zu keinem Zeitpunkt bemüht.
Von Juli 2017 bis September 2017 und ab November 2017 bezog er Arbeitslosengeld II bzw Bürgergeld vom Beklagten, der ihm letztmals für Juni 2022 bis Mai 2023 Bürgergeld bewilligte (Bescheid vom 09. Mai 2022).
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2022, dem Kläger zugstellt am 18. Januar 2023, stellte das Landesamt für Einwanderung Berlin (im Folgenden Ausländerbehörde) gegenüber dem Kläger den Verlust des Rechts auf Freizügigkeit in der Bundesrepublik Deutschland fest, lehnte dessen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltsdokuments GB ab und drohte die zwangsweise Durchsetzung der Ausreise aus dem Geltungsbereich des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) an, sofern der Kläger nicht bis zum 06. März 2023 in seinen Herkunftsstaat oder ein anderes Land, in das er einreisen dürfe oder das zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, ausgereist sei. Die Verlustfeststellung wurde ua darauf gestützt, dass der Kläger nicht mehr freizügigkeitsberechtigt sei. Dafür habe er ua nach den Vorschriften des FreizügigG/EU iVm denen des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABI L 29 vom 31. Oktober 2020, Seite 7 - im Folgenden Austrittsabkommen) am 31. Dezember 2020 freizügigkeitsberechtigt gewesen sein müssen. Dies sei nicht der Fall, insbesondere berufe er sich zu Unrecht auf die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft (§ 2 Abs 3 Nr 2 FreizügG/EU), denn diese unterliege einer zeitlichen Grenze von zwei Jahren (Hinweis auf Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl 2022, RdNr 114ff zu § 2 FreizügG/EU); zum Stichtag sei die Regelfrist (zwei Jahre nach Eintritt der Arbeitslosigkeit) bereits abgelaufen. Am 07. Februar 2023 erhob der Kläger vor dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin Klage (VG 15 K 38/23), gerichtet auf Aufhebung des Bescheides vom 16. Dezember 2022 und Verpflichtung der Ausländerbehörde auf Ausstellung eines Aufenthaltsdokuments GB; über diese Klage ist noch entschieden.
Nachdem die Ausländerbehörde dem Beklagten ihren Bescheid vom 16. Dezember 2022 unter Hinweis darauf übersandt hatte, „Die Auszahlung der Transferleistungen kann eingestellt werden“, hob der Beklagte die Leistungsbewilligung gegenüber dem Kläger ab Februar 2023 mit der Begründung auf, seine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU sei ab dem 16. Dezember 2022 entfallen (Bescheid vom 26. Januar 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. März 2023).
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg ordnete die aufschiebende Wirkung der vom Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Berlin gegen den Bescheid vom 26. Januar 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. März 2023 erhobenen (Anfechtungs-)Klage (S 213 AS 1232/23) an (Beschluss vom 20. April 2023, L 29 AS 320/23 B ER, juris). Der Kläger verfüge noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), weil die vor dem VG erhobene Klage gegen die Verlustfeststellung aufschiebende Wirkung entfalte (§ 80 Abs 1 Satz 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO>). Auch unterliege der Kläger keinem Leistungsausschluss iS des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), weil für ihn die Rückausnahme nach § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II eingreife, solange die Verlustfeststellung noch nicht bindend sei, was hier der Fall sei, weil die Klage vor dem VG innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden sei.
Auch die Anfechtungsklage des Klägers vor dem SG Berlin war erfolgreich (Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2024 – S 213 AS 1232/23). Die Berufung des Beklagten wies das LSG Berlin-Brandenburg zurück (Urteil vom 28. November 2024 – L 32 AS 105/24, juris). Die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten ist beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig (B 4 AS 32/24 R).
Den vom Kläger (am 22. Mai 2023) für die Zeit ab Juni 2023 gestellten Fortzahlungsantrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023). Aufgrund der Verlustfeststellung verfüge der Kläger nicht mehr über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland iS von § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I. Zudem sei er aufgrund der Verlustfeststellung nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2a SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, auf deren Bestandskraft komme es nicht an (Bezugnahme auf LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08. Juli 2021 – L 6 AS 92/21 B ER, juris RdNr 23). Während des laufenden Widerspruchsverfahrens verpflichtete das SG Berlin den Beklagten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juni 2023 bis Oktober 2023 zu zahlen (Beschluss vom 27. Juni 2023 - S 213 AS 3192/23 ER). In Umsetzung dieser einstweiligen Anordnung zahlte der Beklagte dem Kläger vorläufig Bürgergeld für Juni 2023 in Höhe von 317,83 EUR und für Juli 2023 bis Oktober 2023 in Höhe von monatlich 794,58 EUR (Umsetzungsmitteilung vom 12. Juli 2023). Dem Konto des Klägers sind die Zahlungen für Juni 2023 und Juli 2023 am 17. Juli 2023 und die Zahlung für August 2023 am 31. August 2023 gutgeschrieben worden. Während des Klageverfahrens stellte der Kläger beim Beklagten für die Zeit ab Oktober 2023 einen neuen Leistungsantrag, den dieser wiederum ablehnte.
Das SG hat die Klage nur noch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juni 2023 bis September 2023 in Höhe von monatlich 794,58 EUR gerichtet angesehen und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023 „verpflichtet, dem Kläger für den Monat Juli 2023 Leistungen in Höhe von 269,58 € und für den Monat August 2023 Leistungen in Höhe von 794,58 € zu bewilligen und – soweit noch nicht geschehen – auszuzahlen –.“ Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 09. April 2024). Der Kläger sei im Juli 2023 und August 2023 leistungsberechtigt iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II gewesen, insbesondere habe er in dieser Zeit aufgrund der noch nicht bestandskräftigen Verlustfeststellung noch über einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II verfügt. Zudem sei er auch nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil er sich auf die Rückausnahme nach § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II berufen könne. Allerdings sei er in diesen Monaten nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 SGB II gewesen, weil im Übrigen sein Bedarf durch Unterstützungszahlungen seiner Eltern gedeckt worden sei. Soweit das SG die Klage für Juni 2023 und September 2023 abgewiesen hat, hat es dies mit der fehlenden Hilfebedürftigkeit des Klägers aufgrund der Unterstützungszahlungen seiner Eltern begründet.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen seine Verurteilung durch das SG. Mit der Verlustfeststellung liege kein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland iS von § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I mehr vor (Hinweis ua auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020 – L 19 AS 2035/19 B ER, juris). Der unbestrittene Suspensiveffekt der vom Kläger vor dem VG gegen die Verlustfeststellung erhobenen Klage lasse den rechtmäßigen Aufenthalt nicht wiederaufleben, sondern mache nur die Durchsetzung der Ausreisepflicht unzulässig. Dies ergebe sich aus § 7 FreizügG/EU, in dem das Wort „unanfechtbar“ gestrichen worden sei (Hinweis auf Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl 2022, RdNr 23f zu § 7 FreizügG/EU; Kurzidem in Kluth/Heusch, BeckOK, Ausländerrecht, 39. Edition, Stand: 01. Oktober 2023, RdNr 2 zu § 7 FreizügG/EU; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08. Juli 2021 – L 6 AS 92/21 B ER, juris; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. August 2021 – L 6 AS 10003/21 B ER, juris). Auch greife zu Gunsten des Klägers nicht die Rückausnahme des § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II. Dem stehe die Verlustfeststellung entgegen, deren Bestandskraft nicht vorausgesetzt werde. Im Übrigen könne sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass er über ein materielles Aufenthaltsrecht aufgrund fortwirkender Arbeitnehmereigenschaft verfüge. Eine Bescheinigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit sei nach der Rechtsprechung des BSG konstitutiv. Einer solchen Bescheinigung der Agentur für Arbeit bedürfe es ausnahmsweise nicht beim Bezug von Arbeitslosengeld nach dem SGB III, wenn der Eintritt einer Sperrzeit nicht festgestellt werde (Hinweis auf BSG, Urteil vom 09. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R, juris). Da das Beschäftigungsverhältnis mit F durch einen Auflösungsvertrag beendet worden sei, könne spätestens ab dann keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit mehr vorgelegen haben.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. April 2024 zu ändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Satz 1 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 09. April 2024 wie folgt gefasst wird: Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023 verurteilt, dem Kläger Bürgergeld für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR zu bewilligen,
hilfsweise,
den Beigeladenen zu verurteilen, ihm dem Grunde nach Überbrückungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch für Juli 2023 und für August 2023 zu gewähren.
Er verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid, soweit damit der Beklagte verurteilt worden ist. Im Übrigen habe er im streitigen Zeitraum über ein Daueraufenthaltsrecht nach Art 15 des Austrittsabkommens iVm § 16 FreizügG/EU verfügt.
Der (vom Senat) Beigeladene stellt keinen Antrag.
Er hat sich nicht geäußert.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des SG Berlin und des LSG Berlin-Brandenburg, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf die elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten und die Akte des Landesamts für Einwanderung Berlin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Allerdings ist Satz 1 des Tenors des Gerichtsbescheids des SG aus Klarstellungsgründen neu zu fassen.
Streitgegenstand (§ 123 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) ist in erster Linie noch ein Anspruch des Klägers auf Bürgergeld gegen den Beklagten für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR sowie bei verständiger Würdigung seines Vorbringens bereits vor dem SG – allerdings lediglich hilfsweise – der gegen den Beigeladenen gerichtete Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 Satz 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für diese Monate (§ 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG; vgl BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 25/20 R, juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 13. Juli 2023 – B 8 SO 11/22 R, juris). Da der Kläger gegen die Klageabweisung im Übrigen keine Berufung eingelegt hat, mithin soweit Leistungsansprüche für Juni 2023 und September 2023 in Gänze abgewiesen wurden, und für Juli 2023, soweit Leistungen von nicht mehr als 269,58 EUR zugesprochen wurden, ist der Gerichtsbescheid des SG insoweit in Rechtskraft erwachsen (§ 141 SGG).
Gegenstand (iS von § 95 SGG) des Rechtsstreits ist dementsprechend ist nur noch der Bescheid vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023, soweit damit der Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Bürgergeld für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR abgelehnt hat.
Seine prozessualen Ansprüche gegen den Beklagten verfolgt der Kläger statthaft und auch im Übrigen zulässig im Wege einer kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG). Denn die vom ihm jetzt noch von dem Beklagten begehrten Leistungen hat er aufgrund der einstweiligen Anordnung des SG vom 27. Juni 2023 (S 213 AS 3192/23 ER) bereits erhalten. Insoweit fehlt ihm auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Wirkung der einstweiligen Anordnung würde spätestens mit dem Eintritt der Bestandskraft (iS des § 77 SGG) des die Leistungsgewährung ablehnenden Bescheides vom 31. Mai 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2023 entfallen (vgl nur BSG, Urteil vom 09. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R, juris RdNr 11). In diesem Fall verliert die einstweilige Entscheidung ihre Rechtswirkungen und kann damit nicht mehr den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistungen in dem jetzt noch streitigen Umfang bilden (vgl BSG, Urteil vom 09. Dezember 2016 – B 8 SO 8/15 R juris RdNr 17). Ob dies auch gelten würde, wenn und soweit ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen bestünde (vgl § 107 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch), kann offenbleiben. Denn allein die Möglichkeit, sich einer Rückzahlungsverpflichtung ausgesetzt zu sehen, reicht für die Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses aus (vgl BSG, Urteil vom 12. März 2013 - B 1 KR 7/12 R, juris RdNr 11). Lediglich mit Rücksicht auf die hilfsweise begehrte Verurteilung des Beigeladenen, muss dem Kläger aber auch insofern die Möglichkeit der unechten Leistungsklage eröffnet bleiben (vgl BSG, Urteil vom 12. März 2013 – B 1 KR 7/12 R, juris RdNr 12), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz1 SGG).
Die Klage ist, soweit sie sich gegen den Beklagten richtet, auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Bewilligung der in erster Linie streitgegenständlichen Leistungen nach dem SGB II für Juli 2023 und August 2023.
Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch auf Bürgergeld sind die §§ 7ff, 19ff SGB II in der Fassung des Gesetzes, die das SGB II durch das Bürgergeld-Gesetz vom 16. Dezember 2022 (BGBl I 2328) erhalten hat. Denn in Rechtsstreitigkeiten über bereits abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (vgl etwa BSG, Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 16/16 R, juris RdNr 17 mwN).
Der Kläger erfüllte in dem hier noch streitigen Zeitraum von Juli 2023 bis August 2023 die Grundvoraussetzungen, um Bürgergeld (§ 19 Abs 1 Satz 1 SGB II) zu erhalten (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II), das in Höhe der Bedarfe nach § 19 Abs 1 Satz 3 SGB II erbracht wird, soweit diese nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen gedeckt sind (§ 19 Abs 3 Satz 1 SGB II).
Der Kläger ist 1987 geboren und bewegte sich daher während des streitigen Zeitraums innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II. Er war während dieses Zeitraums auch hilfebedürftig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 SGB II), weil er nicht über seinen Bedarf deckendes zu berücksichtigendes Einkommen oder zu berücksichtigendes Vermögen verfügte, insbesondere ist die von ihm selbst bewohnten Eigentumswohnung nach § 12 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB II schlechthin vor einer Verwertung geschützt. Denn nach dieser Norm ist eine selbst genutzte Eigentumswohnung von bis zu 130 qm für bis zu vier Personen nicht als Vermögen zu berücksichtigen.
Der Kläger hatte im streitigen Zeitraum auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II). Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat gemäß § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I, der gemäß § 37 Abs 1 SGB I auch im SGB II anwendbar ist, jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (zum Folgenden ausführlich BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R, juris RdNr 17ff). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll. Die Beurteilung, ob und wo ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden ist, richtet sich in erster Linie nach den tatsächlichen Verhältnissen. Das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland. Das SGB II enthält kein zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal iS des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Vielmehr hat der Gesetzgeber selbst in Kenntnis der Problemstellung und der Rechtsprechung des BSG mit § 7 Abs 1 Sätze 2 bis 7 SGB II in den seit 29. Dezember 2016 geltenden Fassungen in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für bestimmte Ausländer vorgesehen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2024 – L 32 AS 105/24, juris RdNr 44).
Nach diesen Maßstäben für den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im streitigen Zeitraum ist allein entscheidend, dass er sich in diesem Zeitraum tatsächlich im Inland aufgehalten hat, nicht beabsichtigte, seinen Aufenthalt zu beenden und auch keine bestandskräftige oder für sofort vollziehbar erklärte Entscheidung der Ausländerbehörde vorlag, mit der festgestellt wurde, dass für ihn ein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland nicht bestand. Die von der zuständigen Ausländerbehörde gegenüber dem Kläger getroffene Verlustfeststellung (§ 5 Abs 4 FreizügG/EU, der nach § 16 Abs 4 FreizügG/EU entsprechend anwendbar ist) vom 16. Dezember 2022 ist nicht in Bestandskraft erwachsen, weil er dagegen innerhalb der einmonatigen Klagefrist (§ 74 Abs 1 Satz 2 VwGO) Klage vor dem VG Berlin erhoben hat und die Verlustfeststellung weder gemäß § 80 Abs 2 Nr 1 bis 3 VwGO von Gesetzes wegen noch gemäß § 80 Abs 2 Satz 1 Nr 4 VwGO aufgrund einer entsprechenden behördlichen Anordnung sofort vollziehbar ist. Vielmehr entfaltet die gegen die Verlustfeststellung erhobene Klage aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs 1 Satz 1 und 2 VwGO), sodass die mit der Verlustfeststellung verbundene Ausreisepflicht (BSG, Urteil vom 03. Dezember 2015 – B 4 AS 22/15 R, juris RdNr 34) nach wie vor nicht durchsetzbar ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2024 – L 32 AS 105/24, juris RdNr 45; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2023 - L 29 AS 320/23 B ER, juris RdNr 1).
Der Kläger ist im streitigen Zeitraum auch erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II) gewesen. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (so genannte gesundheitliche Erwerbsfähigkeit). IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländer und Ausländerinnen nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden könnte (§ 8 Abs 2 SGB II; sogenannte rechtliche Erwerbsfähigkeit).
Von der gesundheitlichen Erwerbsfähigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum war bereits aus rechtlichen Gründen wegen der in § 44a Abs 1 Satz 7 SGB II statuierten ʺNahtlosigkeitsregelung“ auszugehen, soweit – wie hier – kein Feststellungsverfahren eingeleitet worden ist (stRspr BSG, vgl nur Urteil vom 05. August 2015 - B 4 AS 9/15 R, juris RdNr 14 mwN).
Der Kläger war aber auch im rechtlichen Sinn erwerbsfähig (§ 8 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB II), obwohl sich britische Staatsangehörige nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union nicht mehr unmittelbar auf das (unionsrechtliche) Freizügigkeitsrecht nach Art 20f des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union iVm mit der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sogenannte "Unionsbürgerrichtlinie", ABl EU Nr L 158, 77, berichtigt ABl EU Nr L 229, 35) und deren nationale Umsetzung im FreizügG/EU berufen können.
Nach § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG finden die Regelungen des AufenthG keine Anwendung auf Ausländer, deren Rechtstellung vom FreizügG/EU geregelt ist, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Nach § 1 Abs 1 Nr 3 FreizügG/EU findet das FreizügG/EU Anwendung auf Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland nach dessen Austritt aus der Europäischen Union, denen nach dem Austrittsabkommen Rechte zur Einreise und zum Aufenthalt gewährt werden. Ein Einreise- und Aufenthaltsrecht kann britischen Staatsangehörigen als sogenannte „Alt-Briten“ nach dem Austrittsabkommen iVm der insoweit unmittelbar anwendbaren Unionsbürgerrichtlinie zustehen. Dies setzt nach Art 10 Abs 1 Buchst b Austrittsabkommen voraus, dass die britischen Staatsangehörigen ihr Recht auf einen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat vor Ende des Übergangszeitraums nach Art 126 Austrittsabkommen am 31. Dezember 2020 im Einklang mit Unionsrecht ausgeübt haben und danach weiter dort wohnen (vgl hierzu ausführlich VG Karlsruhe, Urteil vom 06. Dezember 2021 – 2 K 5586/19, juris RdNr 27).
Offenbleiben kann, ob der Senat hätte prüfen dürfen, ob der Kläger ein solches Aufenthaltsrecht nach dem Austrittsankommen am 31. Dezember 2020 hatte, weil die von der Ausländerbehörde nach § 16 Abs 4 FeizügG/EU iVm § 5 Abs 4 FreizügG/EU getroffene Verlustfeststellung vom 16. Dezember 2022 noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist und auch deren sofortige Vollziehbarkeit nicht angeordnet wurde (bejahend Hessisches LSG, Beschluss vom 10. Juli 2018 – L 9 AS 142/18 B ER, juris RdNr 19).
Denn unterstellt – wie im Folgenden - ein solches Aufenthaltsrecht hätte am 31. Dezember 2020 nicht mehr bestanden, wäre der Kläger als Drittstaatsangehöriger im streitigen Zeitraum dem AufenthG unterfallen und die Frage, ob er im streitigen Zeitraum berechtigt war, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, beurteilte sich nach § 4a AufenthG, eingefügt mit Wirkung vom 01. März 2020 durch Art 1 Nr 4 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FkrEinwG) vom 15. August 2019 (BGBl I 2019, 1307). Da er im streitigen Zeitraum keinen Aufenthaltstitel besessen hat, so dass § 4a Abs 1 Satz 1 AufenthG idF des FkrEinwG nicht zur Anwendung gelangen konnte, richtete sich seine Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach § 4a Abs 4 AufenthG idF des FkrEinwG. Danach darf ein Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, eine Saisonbeschäftigung nur ausüben, wenn er eine Arbeitserlaubnis zum Zweck der Saisonbeschäftigung besitzt, sowie eine andere Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn er auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung ohne Aufenthaltstitel hierzu berechtigt ist oder deren Ausübung ihm durch die zuständige Behörde erlaubt wurde. Da es nach § 8 Abs 2 Satz 1 Alt 2 SGB II letztlich darauf ankommt, dass die BA im streitigen Zeitraum eine Beschäftigung theoretisch hätte erlauben können (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, juris RdNr 15), ist von einer rechtlichen Erwerbsfähigkeit des Klägers auszugehen (vgl auch Fachliche Weisungen der BA zu § 8 SGB II, Stand: 01. Januar 2023, Ziff 2.4.1 Abs 4, RdNr 8.14 und Ziff 2.4.3 Abs 8 RdNr 8.22; im Übrigen geht die BA im Falle einer Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 FreizügG/EU davon aus, dass der Betroffene nach wie vor rechtlich erwerbsfähig sei, so Fachliche Weisungen der BA zu § 8 SGB II, Stand: 01. Januar 2023, Ziff 2.4.2 Abs 2 2. Gliederungspunkt, RdNr 8.17).
Der Kläger war im streitigen Zeitraum auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2a und b SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach sind "ausgenommen" - erhalten also keine Leistungen nach dem SGB II – Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Dabei kann offen bleiben, ob in der Person des Klägers die Voraussetzungen für einen solchen Leistungsausschluss vorlagen. Denn jedenfalls greift zu seinen Gunsten die Rückausnahme nach § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II ein.
Nach § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben.
Der Gesetzgeber ist mit dieser Leistungsberechtigung zugunsten der Betroffenen hinter den für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 2 Abs 2 Nr 7 iVm § 4a Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU (vgl Art 16 Abs 1 Unionsbürgerrichtlinie)notwendigen Voraussetzungen zurückgeblieben. Für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts ist ein Aufenthalt, der sich allein auf die generelle Freizügigkeitsvermutung stützt, nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Unionsbürger ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und der Aufenthalt im Einklang mit den Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 Unionsbürgerrichtlinie stand (BSG, Urteil vom 11. September 2024 – B 4 AS 12/23 R, juris RdNr 21 mwN).
§ 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II setzt demgegenüber nur einen ununterbrochenen gewöhnlichen Aufenthalt von fünf Jahren ab erstmaliger behördlicher Anmeldung im Bundesgebiet voraus. Lediglich unwesentliche Unterbrechungen des Aufenthalts - zum Beispiel ein kurzer Heimatbesuch - sind unschädlich; ansonsten beginnt die Frist wieder neu zu laufen (BSG, aaO, RdNr 22 mwN). Beachtlich sind dabei nur Zeiten eines gewöhnlichen Aufenthalts, die nach einer Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde liegen (dazu näherBSG, Urteil vom 20. September 2023 - B 4 AS 8/22 R, juris RdNr 27). Die Fünfjahresfrist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (Satz 5 aaO). Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten den gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet (Satz 6). Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (Satz 7).
Der Kläger hatte die Fünfjahresfrist mit Ablauf des Monats August 2019 und damit noch vor Wirksamwerden des „Brexit“ erfüllt, was auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt wird und von ihm jedenfalls den Leistungsbewilligungen ab Juni 2021 ausdrücklich zugrunde gelegt worden ist. Der Kläger war seit dem 01. September 2014 durchgehend mit einem Wohnsitz in Berlin melderechtlich erfasst und hielt sich seither auch ohne erkennbare nennenswerte Unterbrechungen in der Bundesrepublik Deutschland auf.
Der Anwendung des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II steht hier auch nicht § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II entgegen. Danach gilt Halbsatz 1 nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Diese Einschränkung des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II greift dann ein, wenn die zuständige Ausländerbehörde diese Verlustfeststellung durch Verwaltungsakt gegenüber dem Ausländer getroffen hat (BSG, Urteil vom 20. September 2023 – B 4 AS 8/22 Rjuris RdNr 33).
Für die Anwendbarkeit des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II reicht es nicht aus, dass eine solche Verlustfeststellung wirksam ist (§§ 41, 43 Verwaltungsverfahrensgesetz, dh also im Wesentlichen, dass die Verlustfeststellung gegenüber dem Betroffenen bekannt gegeben wurde und nicht nichtig ist), was vom BSG zuletzt ausdrücklich offen gelassen wurde (BSGUrteil vom 11. September 2024 – B 4 AS 12/23 R, juris RdNr 28) Vielmehr sperrt jedenfalls dann, wenn dem hiergegen erhobenen Widerspruch bzw – wie hier – der hiergegen erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zukommt und von der Ausländerbehörde keine sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, eine wirksame Verlustfeststellung die Rückausnahme des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II nicht (anderer Ansicht aber LSG Hamburg, Beschluss vom 08. März 2023 – L 4 AS 31/23 B ER, juris RdNr 4; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 08. Juli 2021 – L 6 AS 92/21 B Er, juris RdNr 23; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2018 – L 19 AS 133/18 B ER, juris RdNr 9; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. März 2020 – L 19 AS 2035/19 B ER, juris RdNr 49).
Dass der Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II keine weiteren Voraussetzungen für die Nichtanwendbarkeit der Rückausnahme des § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 1 SGB II nennt, im Besonderen nicht die Bestandskraft oder die Vollziehbarkeit der Verlustfeststellung, erlaubt nicht den Schluss, dass es darauf nicht ankommt. Denn es gibt keine allgemeine Regel des Inhalts, dass ein Gesetz nur dann die Bestandskraft oder die Vollstreckbarkeit für den Eintritt einer Rechtswirkung fordert, wenn es dies ausdrücklich erwähnt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. November 2024 – L 32 AS 105/24, juris RdNr 52; vgl hierzu auch Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 1 Bvl 1/20, juris RdNr 16 und 18).
Soweit die Sperrwirkung damit begründet wird, dass Widerspruch und Klage nicht die Entstehung der Ausreisepflicht ausschlössen, sondern lediglich deren Vollzug verhindere, und - anders als nach § 7 FreizügG/EU in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung, in der noch die Unanfechtbarkeit für die Ausreisepflicht gefordert worden sei - durch die Streichung dieses Begriffs die Wirksamkeit der Feststellungsentscheidung nach § 7 FreizügG/EU im europarechtlich zulässigen Rahmen habe vorverlagert werden und nicht mehr die Unanfechtbarkeit habe erfordern sollen (Hinweis auf Begründung zur Änderung des § 7 Abs 1 FreizügG/EU durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BT-Drs 16/5065, 211 zu Nummer 8 a. aa), überzeugt dies nicht. Denn dabei bleibt unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber ebendort am Ende explizit darauf hinweist, dass die Ausreisepflicht nunmehr sofort durchgesetzt werden kann, es sei denn, es werden Rechtsmittel eingelegt. Die Neuregelung soll sich mithin in einer zeitlichen Vorverlagerung der Ausreisepflicht erschöpfen, solange keine Rechtsbehelfe eingelegt werden. Mithin ist der Gesetzesbegründung ebenso wenig wie dem Gesetzeswortlaut etwas dafür zu entnehmen, dass der Verlustfeststellung Tatbestandswirkung für die (fehlende) Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II schon vor Bestandskraft oder ohne sofortige Vollziehbarkeit zukommen soll. Die Neufassung von § 7 Abs 1 FreizügG/EU hat vielmehr lediglich zur Folge, dass die Ausreisepflicht nur noch die Wirksamkeit der Feststellung und nicht erst deren Unanfechtbarkeit voraussetzt, was sich in der Tat nur in den Fällen auswirken kann, in denen mangels Widerspruchs oder Klage oder wegen Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung eintritt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2023 – L 29 AS 320/23 B ER, juris RdNr 1 mwN).
Dass § 7 Abs 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II unanwendbar ist in Konstellationen wie hier, in denen die Verlustfeststellung nicht mindestens vollziehbar ist (sogar Bestandskraft fordernd zu § 23 Abs 3 Satz 7 SGB XII: Siefert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand: 24. September 2024, RdNr 119 zu § 23; wohl auch Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Dokumentenstand: 01. August 2024, RdNr 151 zu § 6 FreizügG/EU), entspricht vielmehr dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wie er sich aus den Gesetzesmaterialien erschließt; auch insoweit schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen des 32. Senats des LSG Berlin-Brandenburg in dessen Urteil vom 28. November 2024 (L 32 AS 105/24, juris RdNr 54) an.
Der Kläger hatte auch einen Anspruch auf Bürgergeld für Juli 2023 in Höhe von 269,58 EUR und für August 2023 in Höhe von 794,58 EUR.
Für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers in diesen beiden Monaten ist von einem Bedarf in Höhe von monatlich 794,58 EUR auszugehen, der sich zusammensetzt aus dem maßgebenden Regelbedarf für eine alleinstehende erwachsene Person im Jahre 2023 (Regelbedarfsstufe 1 nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II) in Höhe von 502,00 EUR und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) in Höhe von 292,58 EUR (Hausgeld, vgl hierzu LSG Baden-Württemberg - L 12 AS 3932/06, juris RdNr 24ff). Auf den Bedarf für Juli 2023 war das um die um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR (§ 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 6 Abs 1 Nr 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld <Alg II-VO> idF der Fünften Verordnung zur Änderung der Alg II-VO vom 21. Juni 2011; BGBl I 1175) zu bereinigende Einkommen (§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II) aus den freiwilligen Unterhaltszahlungen seiner Eltern in Höhe von 555,00 EUR anzurechnen, so dass für diesen Monat ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 269,58 EUR verblieb.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).