L 9 AL 119/24 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 AL 431/24 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 119/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Bei einem Anspruch auf besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren einer WfbM nach dem SGB III handelt es sich um einen gebundenen Anspruch.
2. Die besondere Leistung im Eingangsverfahren einer WfbM setzt voraus, dass der Mensch mit Behinderungen nach Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (Prognoseentscheidung). Dabei dürfen keine übersteigerten Anforderungen an das Mindestmaß der wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung gestellt werden, da andernfalls das Eingangsverfahren die ihm zugedachte Erprobungsfunktion nicht erfüllen kann und weil das geforderte Mindestmaß erst nach der Teilnahme am Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich zu erwarten sein muss.

 

I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 23.09.2024 wird aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form des Eingangsverfahrens in einer Werkstätte für behinderte Menschen zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.


G r ü n d e :

I.  

Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen (Eingangsverfahren).

Der 2003 geborene Antragsteller (es verbleibt bei der Bezeichnung der Beteiligten aus der ersten Instanz) ist als schwerbehindert anerkannt mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie den Merkzeichen B (Begleitperson), G (Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit), H (Hilfslosigkeit) und RF (Ermäßigung der Rundfunk-/Fernsehgebühren). Er leidet unter anderem an ataktischer Zerebralparese, einer Sprach- und Hörstörung, mittelgradiger Intelligenzminderung mit Verhaltensproblemen und ataktischer Bewegungsstörung. Zunächst besuchte der Antragsteller die K Schule S, später das Förderzentrum U. Seit dem Ende seiner Schulzeit 2018 verbringt er seine Zeit auch tagsüber zu Hause bei seiner Mutter, die als seine Betreuerin für bestimmte Aufgabenkreise bestellt ist.

Vom 12. bis 16.02.2024 absolvierte der Antragsteller ein Praktikum in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) des A. Im Praktikumsvertrag vom 12.02.2024 wurde als Zielvereinbarung vermerkt: "Prognose, ob Aufnahme ins EV sinnvoll ist". In der Praktikumsbestätigung des A vom 24.06.2024 wird ausgeführt, dass der Antragsteller täglich von 9 bis 13:30 Uhr, also viereinhalb Stunden, in der Gruppe AP 7 gearbeitet habe. Die Gruppe AP 7 sei eine Schongruppe, d.h. der Schwerpunkt für die Beschäftigten liege auf einem tagesstrukturierenden Angebot sowie auf dem Angebot stark individualisierter Arbeitsbedingungen und der Vermeidung von Stress und Zeitdruck. Der Antragsteller habe während seiner Tätigkeit einzelne Arbeitsschritte zur Montage von Systec-Einkaufswagen-Ketten ausgeführt. Er habe großes Interesse an den Tätigkeiten gezeigt und habe sie zufriedenstellend ausführen können. Weiterhin habe er eine hohe Motivation für eine produktive Arbeit und durchgehende Leistungsbereitschaft gezeigt. Er habe am Ende der Praktikumszeit auch ohne Anwesenheit seiner Mutter motiviert weitergearbeitet und auch aktiv Kontakt zu den anderen Beschäftigten in der Gruppe aufgenommen. Mit Situationswechseln sei er gut zurechtgekommen. Insgesamt seien beim Antragsteller während der fünf Tage durchgängig die erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten bezüglich des Arbeitsverhaltens zu beobachten gewesen. Abschließend kommt die Praktikumsbestätigung zu der Einschätzung, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für eine Aufnahme in eine WfbM vorliegen. Auch die entsprechenden sozialen Kompetenzen für das Gruppensetting einer WfbM seien zu beobachten gewesen. Eine befristete Assistenz aufgrund der Spracheinschränkung sowie dem längeren zeitlichen Abstand zur Schulzeit würde günstig sein, um den positiven Verlauf des Einstiegs in einen Arbeitsalltag zu unterstützen.

Mit Schreiben vom 12.07.2024, eingegangen am 16.07.2024, stellte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt der Eingliederung in eine WfbM.
 
Der Antrag wurde mit Bescheid vom 17.07.2024 abgelehnt. Zur Begründung wurde auf zwei sozialmedizinische Gutachten des W vom ärztlichen Dienstes der Antragsgegnerin vom 22.05.2024 und vom 17.07.2024 verwiesen. In der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme vom 22.05.2024 wurde festgestellt, dass der Antragsteller aufgrund des Schweregrads seiner integrationsrelevanten funktionellen Einschränkungen voraussichtlich auf Dauer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich einsetzbar sei und somit nicht über die notwendige Restleistungsfähigkeit für eine Beschäftigung in einer WfbM verfüge. Stattdessen wurde eine Eingliederung in eine Förderstätte empfohlen. Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen im Praktikumszeugnis des A erfolgte nicht, im Hinblick auf den Abklärungsauftrag findet sich in der gutachterlichen Stellungnahme lediglich der Hinweis, dass hierzu keinerlei medizinische oder sozialpädagogische Unterlagen eingereicht worden seien, weshalb die für eine Eingliederung in eine WfbM erforderliche Restleistungsfähigkeit bislang nicht als nachgewiesen angenommen werden könne. In der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 17.07.2024 wird dann zwar auf die Praktikumsbescheinigung Bezug genommen, jedoch zeitgleich festgestellt, dass sich aus ihr eine generelle gesundheitliche Eignung des Antragstellers für den Berufsbildungs- oder Arbeitsbereich einer WfbM nicht ableiten lasse, da sich diese Praktikumsbescheinigung explizit auf eine kurzfristige teilschichtige Tätigkeit in einem Sonderbereich im Sinne einer "Schongruppe" beziehe. Ein wesentlicher Unterschied der darin geschilderten Bedingungen und Zielsetzungen zu den Bedingungen und Zielsetzungen in einer Förderstätte ergäben sich nicht.

Gegen den Bescheid vom 17.07.2024 legte der Antragsteller, vertreten durch seine Mutter als Betreuerin, mit Schreiben vom 17.07.2024 (eingegangen am 24.07.2024) Widerspruch ein. Dabei wurde unter anderem geltend gemacht, dass die Begutachtung ohne persönlichen Kontakt erfolgt sei. Zudem könne der Antragsteller mehr als drei Stunden täglich arbeiten und sei in seiner Bewegungsfreiheit sowie seinen funktionellen Einschränkungen nicht so stark betroffen, wie im Gutachten dargestellt. Es gebe deutlich stärker eingeschränkte Personen, die dennoch eine WfbM bzw. eine Schongruppe besuchen dürften. Darüber hinaus entspreche die Einschätzung des Gutachtens nicht dem Inklusionsgedanken des Bundesteilhabegesetzes (BTHG).

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2024 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Dabei wurde erneut auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen vom 22.05.2024 und 17.07.2024 verwiesen. Neue medizinische Einschätzungen oder Befunde wurden nicht eingeholt. Da dem Antragsteller die gesundheitliche Eignung für den Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer WfbM nicht attestiert worden sei und er als nicht leistungsfähig gelte, sei die beantragte Maßnahme abzulehnen gewesen. Auch die nachgereichten Unterlagen führten zu keiner abweichenden Beurteilung.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid ist am 09.08.2024 unter dem Aktenzeichen S 36 AL 363/24 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben worden, über die bislang noch nicht entschieden worden ist.

Zusätzlich hat der Antragsteller, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, am 17.09.2024 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Zur Begründung ist insbesondere auf das Praktikum in den A Werkstätten verwiesen worden. Die dazugehörige Praktikumsbestätigung vom 24.06.2024 belege, dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme in eine Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung erfüllt seien. Eine Unterbringung in einer Förderstätte sei hingegen nicht angemessen, da der Antragsteller hierfür "zu gut" sei. Dies sei auch von einer ablehnenden Entscheidung der Förderstätte der R Stiftung E bestätigt worden, die mit Email vom 09.02.2024 beim Antragsteller den für einen Platz in der Förderstätte erforderlichen hohen bis sehr hohen Pflegebedarf nicht als gegeben ansah. Zudem wurde die besondere Eilbedürftigkeit des Antrags betont, da es dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, weiterhin zu Hause bei seiner Mutter auf den Ausgang des Klageverfahrens zu warten.

Sowohl den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als auch den Antrag auf PKH hat das Sozialgericht München mit Beschluss vom 23.09.2024 (S 36 AL 431/24 ER) abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht sei. Erforderlich sei im Rahmen des § 112 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) das Vorliegen von Leistungsfähigkeit sowie Geeignetheit des Antragstellers für die begehrte Maßnahme. Dies bedürfe im vorliegenden Fall aber weiterer medizinischer Ermittlungen, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssten. Allein aufgrund der vorgelegten Unterlagen könne das SG sich nicht von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Einschätzung der
Antragsgegnerin überzeugen. Allenfalls könne vorliegend von einem noch offenen Ausgang des Verfahrens ausgegangen werden. In diesem Fall käme es maßgeblich auf den Anordnungsgrund an, an den demzufolge hohe Anforderungen zu stellen seien.  

Diese hohen Anforderungen hat das SG im Hinblick auf den Anordnungsgrund nicht für erfüllt gehalten. Zwar habe der Antragsteller vorgetragen, dass ein weiteres Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sei. Allein der Einstieg zu einem späteren Zeitpunkt könne vorliegend jedoch keinen derart unzumutbaren oder schweren Nachteil begründen, dass dadurch die Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt sei. Im Übrigen stehe es dem Antragsteller frei, zwischenzeitlich - entsprechend den Angaben der Antragsgegnerin - eine Förderung in einer Förderstätte weiter zu verfolgen.  

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller vertreten durch seine Rechtsanwältin am 22.10.2024 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt, von der unter dem Aktenzeichen 9 AL 135/24 B PKH das Verfahren bezüglich der Ablehnung der Prozesskostenhilfe durch das SG abgetrennt worden ist. Den zeitgleich mit der Beschwerde gestellten Antrag auf PKH für das Beschwerdeverfahren hat die Bevollmächtigte des Antragstellers am 19.11.2024 zurückgenommen.

Begründet worden ist die Beschwerde damit, dass es entgegen der Ansicht des SG dem Antragsteller nicht möglich sei, zwischenzeitlich eine Förderstätte zu besuchen: Die bisherigen zahlreichen Versuche der Mutter des Antragstellers, einen Platz zu finden, seien fehlgeschlagen, da keine Plätze verfügbar seien. Auch der Bezirk Oberbayern habe in einem Schreiben vom 04.10.2024 nicht nur die vergebliche Suche der Mutter bestätigt, sondern auch mitgeteilt, dass im Sozialbericht des Fachdienstes des Bezirks Oberbayern vom 02.07.2024 unter der Rubrik "E. Maßnahmevorschlag ambulant - teilstationär" festgestellt worden sei, dass dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, das Eingangsverfahren (EV) der WfbM zu durchlaufen, um seinen Hilfebedarf und seine Kompetenzen besser einschätzen zu können.

Am 07.01.2025 hat die Antragsgegnerin eine fachliche Stellungnahme des zuständigen Reha-Beraters der Agentur für Arbeit M vom 03.01.2025 vorgelegt. Dieser ist zu dem Schluss gekommen, dass aus seiner Sicht hier keine Eilbedürftigkeit bestehe, da dem Kläger kein nicht mehr wieder gut zu machender Nachteil entstünde. Sobald das Gericht über die Klage entschieden habe und insofern die Entscheidung zu Gunsten des Klägers ausfiele, könne der Antragsteller einen Werkstattplatz bekommen, wenn die entsprechende Werkstatt freie Kapazitäten habe. Es gebe in M mehrere auf den Förderschwerpunkt des Antragstellers ausgerichtete Werkstätten, die für ihn infrage kämen.

Aufgrund einer gerichtlichen Anregung vom 19.12.2024, eine erneute sozialmedizinische Stellungnahme über die Leistungsfähigkeit des Antragstellers nach ambulanter Vorstellung einzuholen, hat die Antragsgegnerin am 03.01.2025 den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit M dementsprechend eingeschaltet.

Dieser hat per Email am 07.01.2025 jedoch mitgeteilt, dass "eine persönliche Untersuchung des Probanden im hiesigen Ärztlichen Dienst nicht dazu geeignet ist, die Werkstattfähigkeit des Probanden mit Sicherheit zu beurteilen, wie vom Bayerischen Landesozialgericht erwünscht. Der Ärztliche Dienst verfügt nicht über die hierzu erforderlichen sachlichen, zeitlichen und personellen Untersuchungsmöglichkeiten. Sinnvoll erscheint vielmehr die Vorlage aktueller fachärztlicher, ggf auch psychotherapeutischer und sozialpädagogischer Unterlagen. Die Frage des Bayerischen Landessozialgerichts erfordert zur Klärung außerdem eine längere Verhaltensbeobachtung in Ausbildungs- und Arbeitssituationen, die vom Ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur a priori nicht durchgeführt werden kann."

Mit Schriftsatz vom 08.01.2024 hat die Bevollmächtigte des Antragstellers darauf hingewiesen, dass es keinen eigenständigen Sozialbericht vom 02.07.2024 gebe, sondern dass der am 11.05.2022 erstellte Sozialbericht am 02.07.2024 nach einer Videokonferenz von der zuständigen "Mitarbeiterin des Fachdienstes des Bezirks Oberbayern unterzeichnet worden sei. Als Maßnahme-Vorschlag für eine ambulante/teilstationäre Betreuung wird in dem Sozialbericht ausgeführt: "Aufgrund der vorliegenden Praktikumsbestätigung durch die A Werkstätten in O vom 24. Jun. 2024 kann eine WfbM vom Fachdienst empfohlen werden. Hr. A. sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, sich in einem Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich (BBB) zu bewähren, um zu überprüfen, ob er ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit, so wie es eine WfbM fordert, erreichen kann. Sollte das EV und der BBB ergeben, dass kein
Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erreicht werden kann und/oder die bestehenden Verhaltensweisen das Ziel einer WfbM verhindern, wird die Förderstätte (T-E-FS/BG) empfohlen."

Der zwei Jahre vorher erstellte Teil des Sozialberichts hatte unter dem Stichpunkt "4.  Arbeit, arbeitsähnliche Tätigkeiten, Ausbildung (Beschreibung der aktuellen Situation / Bedarfslage)" noch ausgeführt: "Aufgrund der behinderungsbedingten Einschränkungen und den vergangenen drei Jahren, in denen Hr. L. nicht beschult wurde, ist eine langsame Eingewöhnung in einer Förderstätte erforderlich. Eine Steigerung der Arbeitszeit und der Anforderungen ist erforderlich, um Überfordern und die Verweigerung des Förderstättenbesuches zu vermeiden. Aktuell ist davon auszugehen, dass bei der Eingewöhnung eine intensive Begleitung (evtl. anfangs eine 1:1-Betreuung) erforderlich ist. Beziehungsarbeit ist dabei wichtig. Hr. L. ist in der Lage, sich an einer anderen Person zu orientieren und durch Vormachen etwas abzuschauen und eine Tätigkeit anschließend zu wiederholen und nachzumachen. Hr. L. muss wieder lernen, sich in eine bestehende Gruppe zu integrieren und lernen, dass er warten muss, bis jemand Zeit für ihn hat. Er benötigt eine eher wechselnde Tätigkeit. Stupide, wiederkehrenden Aufgaben langweilen ihn schnell. Rückmeldungen, ob er seine Aufgabe gut gemacht hat, fordert er ein. Hierzu genügt ihm mitunter ein Daumen nach oben. Wenn Hr. L. etwas interessiert, kann er vier Stunden am Stück aufmerksam dabei sein. Er äußert, klar was er mag bzw. nicht mag. Es bestehen Einschränkungen in der Feinmotorik und bei der Kraftdosierung."

Am 23.01.2025 hat die Bevollmächtigte des Klägers eine Stellungnahme der A Werkstätten, O, vom 09.01.2025 vorgelegt, aus der sich - ihrer Ansicht nach - die Eignung des Klägers für die Aufnahme in eine Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung ergebe. In der Stellungnahme wird ausgeführt, dass nach Einschätzung des A, wo der Antragsteller vom 12. 02. bis 16. 02. 2024 ein Praktikum absolvierte, beim Antragsteller die kognitiven und motorischen Voraussetzungen für eine Aufnahme in eine Werkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung vorlägen. Auch seien die entsprechenden sozialen Kompetenzen für das Gruppensetting einer solchen Werkstatt zu beobachten gewesen.

Am 28.01.2025 hat die Bevollmächtigte des Klägers noch eine Stellungnahme der behandelnden Kinder- und Jugendärztin B vom 20.01.2025 vorgelegt, aus der sich nach Auffassung der Klägerbevollmächtigten die Eilbedürftigkeit ergebe, da es dem Antragsteller und dessen Mutter, die ihn mittlerweile seit 6 Jahren zu Hause betreue, nicht zumutbar sei, noch länger auf einen Platz in der Werkstätte zu warten, ohne dass psychische Probleme aufträten. In dieser Stellungnahme hat die Ärztin weiterhin ausgeführt, dass durch eine fehlende Beschäftigung und auch fehlende Sozialkontakte ein Rückschritt in vielen Bereichen zu befürchten sei. Ein weiteres Zuwarten ohne Beschäftigung sei ihm und der Mutter nicht mehr zuzumuten.

Am 03.03.2025 hat das Gericht bei der Antragsgegnerin die medizinischen Unterlagen an, die der sozialmedizinischen Stellungnahme des W vom 22.05.2024 und vom 17.07.2024 zugrunde lagen, angefordert. Diese wurden dem Gericht am 11.03.2025 übersendet und enthielten neben dem Sozialbericht des Bezirks Oberbayern vom 11.05.2022 bzw. 02.07.2024 eine ärztliche Stellungnahme der behandelnden Ärztin B vom 28.06.2024, in welcher diese ausführt, dass der Antragsteller durchaus lernfähig sei und konzentriert bestimmten Tätigkeiten nachgehen könne. Auch komplexere Handlungen könne er durchführen. An vielen Dingen sei er interessiert und könne sich lange mit etwas beschäftigen. Ein Praktikum in einer Werkstatt habe bereits gezeigt, dass der Antragsteller die dort geforderten Leistungen erbringen könne. Bei entsprechender Unterstützung in der Kommunikation sei es dem Antragsteller aus ärztlicher Sicht auf jeden Fall zuzumuten, einer Arbeit in einer Werkstatt nachzugehen. Ebenfalls enthalten ist eine datumslose logopädische Stellungnahme von der Logopädin S, die den Antragsteller als offen, motivierbar und lernfreudig beschreibt sowie ein Therapiebericht der Physiotherapeutin E vom 02.07.2024. Ebenfalls enthalten sind eine Stellungnahme der Schule des Antragstellers aus dem Jahr 2016, eine fachärztliche Stellungnahme des K-Kinderzentrums M aus dem Jahr 2019 und aus dem Jahr 2023, das sich auf eine Untersuchung vom 15.03.2022 bezieht, und ein psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2020, das in Zusammenhang mit dem Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht erstellt wurde.

Ebenfalls am 03.03.2025 hat die Berichterstatterin ein Telefongespräch mit Frau G von den A Werkstätten geführt, in welchem diese erläutert hat, dass die "Schongruppe" eine von mehreren Gruppen der Werkstatt sei, in der mit mehr pädagogischem Personal einfachste Arbeiten verrichtet werden und die insofern zwischen Werkstatt und Fördereinrichtung stehe. Während die restlichen Gruppen der Werkstatt über einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 12 verfügten, liege dieser in der Schongruppe bei 1 zu 9. Die Unterbringung in der Schongruppe habe hinsichtlich des Eingangsverfahrens keinerlei Aussagewert, die Zuteilung erfolge nach einem ganzen Bündel von verschiedenen Gesichtspunkten. Erst nach Abschluss des dreimonatigen Eingangsverfahrens könne eine Aussage hinsichtlich der jeweiligen Werkstattfähigkeit getroffen werden.

Die Bevollmächtigte des Antragstellers beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23.09.2024 aufzuheben und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Eingliederung in eine Werkstätte für behinderte Menschen (Schonbereich) zu gewähren.  

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verfahrensakten der Antragsgegnerin sowie des SG München Bezug genommen.


II.

1.
Die gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des SG München ist zulässig (§ 172 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 und § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und begründet. Die vom Antragsteller begehrte vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Eingliederung in eine Werkstätte für behinderte Menschen (EV/BBB) zu gewähren, hat Erfolg. Nach der insoweit vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage und ausgehend von den zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Erkenntnisse ist ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Weiter ist der Senat wegen des glaubhaften Anordnungsanspruches und der damit verbundenen Erfolgsaussichten in dem Hauptsacheverfahren aufgrund einer Interessenabwägung zu der Auffassung gelangt, dass auch ein glaubhafter Anordnungsgrund gegeben ist.

2.
Der Senat legt den Beschwerdeantrag nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz dahingehend aus, dass eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer WfbM im Eingangsverfahren begehrt wird. Die Frage, in welcher Gruppe innerhalb der WfbM das notwendig vorgeschaltete Eingangsverfahren durchzuführen ist, muss der konkreten Einrichtung überlassen bleiben und kann gerichtlich nicht angeordnet werden. Dies so verstandene Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist auf eine Regelungsanordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG gerichtet.  

3.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).  

a)
Vorliegend kommt grundsätzlich eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Einstweilige Anordnungen sind demgemäß zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer derartigen Regelungsanordnung muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrten Leistungen besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. zum Beispiel Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.7.2019 - L 7 SO 2356/19 ER-B, Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, Rn. 27 m.w.N.). Grundsätzlich gilt, dass die Anforderungen an den Anordnungsgrund umso höher sind, je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache - und umgekehrt.

Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, muss der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abgelehnt werden, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache demgegenüber offensichtlich begründet, so sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund entsprechend abzusenken. In der Regel muss dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattgegeben werden, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05 in info also 2005, 166 unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60, 80).

b)  
Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung bezieht sich dabei auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, Rn. 41 m.w.N.).

c)
Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a.a.O., Rn. 42, siehe auch Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 165 ff.). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten sind, zu berücksichtigen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 06.01.2006, Az. L 7 AS 87/05 ER).

4.
Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs wurde im o.g. Sinne im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung auf Grundlage der bis zur hiesigen Entscheidung eingeholten bzw. in den Akten befindlichen Gutachten und Stellungnahmen besteht ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form des Eingangsverfahrens in einer WfbM zumindest bis zum Abschluss desselben jedenfalls so lange bis in der Hauptsache entschieden ist.
 
a)  
Der Anordnungsanspruch ergibt sich vorliegend aus den §§ 112, 117 Abs. 2 SGB III. Die Beklagte ist gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. §§ 22 Abs. 2 Satz 1, 112 Abs. 1, 117 SGB III materiell-rechtlich zuständig für Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen. Diese Norm enthält eine gebundene Entscheidung, deren Voraussetzungen im vorliegenden Fall nach Überzeugung des Senats erfüllt sind bzw. deren Erfüllung hinreichend glaubhaft gemacht wurde.

b)
Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben sind in den §§ 112 ff. SGB III geregelt. Gemäß der Einweisungsvorschrift des § 112 Abs. 1 SGB III können für behinderte Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern, vgl. auch § 49 Abs. 1 SGB IX. Gemäß § 112 Abs. 2 SGB III sind bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen; soweit erforderlich, ist auch die berufliche Eignung abzuklären oder eine Arbeitserprobung durchzuführen. Entgegen dem Wortlaut handelt es sich bei § 112 SGB III nach allgemeiner Meinung nicht um eine Ermessensnorm, die die Entscheidung über das Ob der Leistung von dem Abwägungsergebnis der Behörde abhängig macht. Liegen die jeweiligen Leistungsvoraussetzungen vor, handelt es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung, bei der sich das in § 112 Abs. 1 SGB III mit dem Begriff "können" postulierte Ermessen allein und ausschließlich auf die in § 112 Abs. 2 SGB III beschrieben Auswahl zwischen den in § 113 SGB III eröffneten allgemeinen und besonderen Leistungen, mithin also auf das Wie der Leistung bezieht (LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 23.12.2013, L 8 AL 5175/13 ER-B, infoalso 2014, 68 ff.). Für die hier zu prüfende besondere Leistung nach § 117 Abs. 2 SGB III ergibt sich dies bereits aus § 3 Abs. 3 Nr. 8 SGB III, demzufolge alle besonderen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gebundene Entscheidungen sind (vgl. Eicher, BRuR 2024, S. 405, 406 und 409; Schaumberg/Thie, in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2019, Kapitel 29 Rn. 68).
§ 113 SGB III unterscheidet in Abs. 1 Nr. 1 und 2 zwischen allgemeinen und besonderen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie diese ergänzenden Leistungen, wobei nach § 113 Abs. 2 SGB III besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur erbracht werden, soweit nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen eine Teilhabe am Arbeitsleben erreicht werden kann.  

c)
Grundsätzlich ist bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 112 SGB III erforderlich, dass der Antragsteller zu dem berechtigten Personenkreis der Menschen mit Behinderung gehört. Nach der Legaldefinition in § 19 Abs.1 SGB III sind dies Menschen, deren Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen, einschließlich Menschen mit Lernbehinderungen. In § 112 SGB III wird also auf den Behinderungsbegriff des SGB IX Bezug genommen (vgl. Schaumberg/Thie, in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2019, Kapitel 29 Rn. 65; Nebe, in: BeckOGK SGB III, Stand: 01.06.2015, § 112 Rn. 8)
Dass der Antragsteller im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 SGB III erfüllt, ist unstreitig. Ebenso unstreitig ist, dass für den Antragsteller als Maßnahme der Teilhabe am Arbeitsleben i.S.d. § 113 Abs. 2 SGB III allgemeine Leistungen nicht ausreichen, sondern dem Grad seiner Behinderung nach allein die besondere Leistung des § 117 SGB III in Betracht kommt.

d)
Weiterhin muss nach § 112 Abs. 1 SGB III die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sein, um dem behinderten Menschen die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und seine Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. An dieser Stelle wird also eine Prognoseentscheidung erforderlich, die sich auf die Erreichbarkeit das mit der konkreten Maßnahme angestrebten Ziels bezieht (Schaumberg/Thie, in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2019, Kapitel 29 Rn. 66 f.). Das allgemeine in § 112 Abs.1 SGB III aufgestellte Ziel der Herstellung und Verbesserung der Erwerbsfähigkeit ist dabei weit auszulegen und bezieht sich nicht ausschließlich auf das Erreichen einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Erwerbsfähigkeit bedeutet vielmehr allgemein die Fähigkeit, durch erlaubte Erwerbstätigkeit Einkommen zu erzielen - erfasst wird also auch eine Tätigkeit auf dem besonderen Arbeitsmarkt einer anerkannten WfbM (vgl. Nebe in: BeckOGK, § 117 SGB III, Rn. 19). Eine Maßnahme nach § 112 Abs. 1 SGB III ist also nur dann notwendig, wenn das angestrebte Ziel der Teilhabe am Arbeitsleben durch Herstellung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit überhaupt erreicht werden kann. Das Ziel, die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit zu erreichen, muss mit anderen Worten überhaupt möglich sein, die prognostische Besserung darf nicht von vorneherein ausgeschlossen sein (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, 7 Rar 22/93; SG Dresden, Beschluss vom 11.07.2003, S 6 AL 1041/03 ER, Rn. 10).  

e)
Für die besondere Leistung im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer WfbM nach §§ 113 Abs. 2, 117 SGB III verweist § 117 Abs. 2 SGB III auf das SGB IX, in dessen §§ 56, 57 Abs. 1 Nr. 2 die anzustellende Prognoseentscheidung dahingehend präzisiert wird, dass zu erwarten sein muss, dass der Mensch mit Behinderungen nach Teilnahme an diesen Leistungen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 219 zu erbringen. Im Allgemeinen wird dieses Erfordernis unter dem Begriff der Werkstattfähigkeit gefasst (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1994, 7 RAr 22/93, kritisch zu dem Begriff Nebe, in: BeckOGK, § 117 Rn. 21a m.w.N.).  
Gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 SGB IX steht die Werkstatt allen behinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1 unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung offen, sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen werden. Dies ist nicht der Fall bzw. die Werkstattfähigkeit ist zu verneinen (§ 219 Abs. 2 Satz 2 SGB IX), wenn trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung durch den behinderten Menschen zu erwarten ist oder das Ausmaß der erforderlichen Betreuung und Pflege die Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich oder sonstige Umstände ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulassen. Eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung bejaht die Rechtsprechung dabei schon dann, wenn der behinderte Mensch irgendwie am Arbeitsablauf der Werkstatt mitwirken, d.h. an der Herstellung und Erbringung der vertriebenen Waren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne sich und andere zu gefährden. Auf ein wirtschaftliches Verhältnis von Personalaufwand und Arbeitsergebnis im Sinne betriebswirtschaftlicher Erwägungen kommt es dabei nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.1983, 7 Rar 73/82; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.12.2019, L 16 R 256/19).

f)
Für den Fall einer angestrebten Maßnahme im Eingangsverfahren bzw. Berufsbildungsbereich muss im Rahmen der Prognoseentscheidung zusätzlich die Gestaltung des Zugangs zu einer WfbM sowie die besondere Zwecksetzung des Eingangsverfahrens berücksichtigt werden. Der Eintritt in eine WfbM erfolgt nach der Konzeption des Gesetzgebers anders als früher stets und notwendigerweise über die Durchführung eines sog. Eingangsverfahrens (vgl. Luik, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Auflage 2023, § 57, Rn. 22; Bienert, in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Auflage 2021, § 117 Rn. 26; LSG Niedersachsen -Bremen, Urteil vom 23.09.2014, L 7 AL 56/12; siehe auch die Fachliche Weisung der Bundesanstalt für Arbeit zu § 57 SGB IX, dessen Nr. 2 Abs.1 Satz 1 vorsieht: "Das Eingangsverfahren ist generell durchzuführen."). Dieses dauert im Regelfall drei Monate und dient gem. § 57 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, § 3 Abs. 1 Werkstättenverordnung (WVO) der Feststellung, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe des Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben ist sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Menschen mit Behinderungen in Betracht kommen. Diese Erprobungsfunktion des Eingangsverfahrens bedingt daher eine gewisse Modifikation des Notwendigkeitskriteriums dahingehend, dass an das Vorliegen eines Mindestmaßes an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden dürfen, da andernfalls das Eingangsverfahren die ihm zugedachte Funktion denklogisch nicht erfüllen kann. Statt der prognostischen Bejahung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist nach der Gesamtkonzeption von SGB III und SGB IX vielmehr der prognostische Ausschluss einer vollständigen Unwahrscheinlichkeit für einen Anspruch ausreichend. Dies gilt insbesondere deshalb, da das geforderte Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung, wie § 57 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX ausdrücklich vorsieht, erst nach der Teilnahme an Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich zu erwarten sein muss, nicht jedoch bereits vor Antritt der entsprechenden Maßnahmen (vgl. Kossens, in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 5. Auflage 2023, § 219 Rn. 15; Ritz/Palsherm, in: Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Auflage 2022, WfbM, Rn.15 und 27).

g)
Diese Prognose hat die Beklagte im vorliegenden Fall negativ beantwortet und sich dabei auf zwei ärztliche Stellungnahmen gestützt. Dies wird nach summarischer Prüfung der Situation des Antragstellers und der gesetzlichen Konzeption des Eingangsverfahrens nicht gerecht. Es liegt kein Fall vor, in dem die Erbringung eines Mindestmaßes an verwertbarer Arbeit nach Abschluss des Eingangsverfahrens von vorneherein nicht erwartet werden kann.

aa)
Das Gericht stützt sich dabei vor allem auf den am 02.07.2024 ergänzten Sozialbericht des Bezirks Oberbayern vom 11.05.2022, auf die Praktikumsbestätigung des A vom 24.06.2024, die Stellungnahme zur Werkstattfähigkeit des A vom 09.01.2025 sowie die Stellungnahme der behandelnden Ärztin B vom 20.01.2025. Alle diese Stellungnahmen stimmen darin überein, dass die Entwicklungsprognose beim Antragsteller in dem Sinne positiv ist, dass eine Tätigkeit in einer WfbM in Form der Erbringung eines Mindestmaßes an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nach Durchlaufen des Eingangsverfahrens wahrscheinlich ist bzw. zumindest im Rahmen des Denkbaren und Möglichen liegt. In der Praktikumsbestätigung finden sich detaillierte Ausführungen dazu, dass und warum sich der Antragsteller gut in die Arbeitsabläufe der Gruppe AP 7 eingefunden und auch sozial gut eingefügt hat. Hieraus wird dann gefolgert, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für eine Aufnahme in eine WfbM vorliegen, was durch die Stellungnahme vom 09.01.2025 noch einmal präzisiert und bestätigt wurde. Beim Antragsteller seien sowohl die kognitiven als auch die motorischen Voraussetzungen für eine Aufnahme gegeben ebenso wie die erforderlichen Sozialkompetenzen. Auch im Sozialbericht des Bezirks Oberbayern wird zunächst ausdrücklich empfohlen, dem Antragsteller im Rahmen des Eingangsverfahrens und im Berufsbildungsbereich einer WfbM zu ermöglichen, seine Werkstattfähigkeit unter Beweis zu stellen. Auch wird hierin darauf hingewiesen, dass der Antragsteller von einer Förderstätte nach einem Praktikum nicht übernommen wurde, weil er nach Angaben der Mutter für diese Einrichtung "zu fit" sei. Abschließend hält der Bericht fest, dass der Antragsteller zwar aktuell noch nicht über die Fähigkeit verfügt, ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit zu erbringen, dass er jedoch durch ein EV/BBB weitere Kompetenzen erlernen könne. Damit und in Zusammenschau mit den übrigen Dokumenten steht für das Gericht fest, dass der Antragsteller gerade nicht das Höchstmaß seiner arbeitsbezogenen Fähigkeiten erreicht hat, was eine weitere Förderung im Rahmen der Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben obsolet machen würde. Es ist bei ihm gerade nicht von vorneherein ausgeschlossen und außerhalb des Möglichen liegend, dass er nach Durchführung des Eingangsverfahrens und ggf. sich anschließender Maßnahmen im Berufsbildungsbereich (, die hier noch nicht streitgegenständlich sind) das erforderliche Mindestmaß von drei Stunden Arbeitsleistung täglich erbringen kann.

bb)
Dies wird von der Beklagten bzw. ihrem ärztlichen Dienst zwar behauptet, aber durch keinerlei konkrete Ausführungen belegt oder auch nur ansatzweise begründet. Ausführungen dazu, aufgrund welcher konkreten Auswirkungen der diagnostizierten Erkrankungen ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit von vorneherein und auch nach Abschluss des Eingangsverfahrens nicht erwartet werden kann, fehlen vollständig. Bei der Entscheidung über Leistungen nach § 117 Abs. 2 SGB III ist hinsichtlich der Frage, ob der behinderte Mensch für die beantragte Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben geeignet ist, jedoch eine konkret auf den Einzelfall bezogene Prognose erforderlich, die gerichtlich voll überprüfbar ist (BSG, Urteil vom 29.07.1993, RAr 5/92; Schaumberg/Thie, in: Berlit/Conradis/Pattar, Existenzsicherungsrecht, 3. Auflage 2019, Kapitel 29 Rn. 67; ausführlich zur vorgelagerten Amtsermittlungspflicht auch Luik, SRa-SH 2018, 25, 29).  
Während die negative Prognose in der ersten Stellungnahme noch auf fehlende medizinische und sozialpädagogische Unterlagen gestützt wird, und darauf, dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand aufgrund des Ausprägungsgrads der integrationsrelevanten Funktionseinschränkungen keine ausreichende Restleistungsfähigkeit für eine Eingliederung in eine WfbM gegeben sei, wird in der zweiten Stellungnahme ausgeführt, dass die vorgelegte Praktikumsbescheinigung keine andere Bewertung rechtfertige, da sich diese nur auf eine kurzfristige teilschichtige Tätigkeit in einem Sonderbereich im Sinne einer "Schongruppe" beziehe. Die darin geschilderten Bedingungen und Zielsetzungen entsprächen seiner Auffassung nach denen einer Förderstätte und gerade nicht denen einer Werkstätte für behinderte Menschen. Nach Auskunft des A vom 03.03.2025 handelt es sich bei der "Schongruppe" jedoch um einen Teil der WfbM, der im Hinblick auf den Betreuungsschlüssel und die ausgeübten Tätigkeiten der Sache nach zwischen Förderstätte und Werkstätte steht. Dies würde jedoch nicht bedeuten, dass die Unterbringung in der Schongruppe gleichbedeutend wäre mit einer Ablehnung der Werkstattfähigkeit. Genau diese Gleichsetzung nimmt der ärztliche Dienst der Antragsgegnerin jedoch vor und widerspricht in seiner zweiten Stellungnahme der praktikumsgebenden Einrichtung und ihrer sachlich fundierten Empfehlung für eine Unterbringung in einer WfbM, ohne sich im Einzelnen mit deren Begründung auseinanderzusetzen.  

cc)
Zwar ist die Agentur für Arbeit im Rahmen des § 117 SGB III selbst nach Durchführung des Eingangsverfahrens nicht an die fachliche Einschätzung der WfbM hinsichtlich der Werkstattfähigkeit eines behinderten Menschen gebunden, sondern hat ihre eigene, gerichtlich voll überprüfbare Prognoseentscheidung zu treffen (BSG, Urteil vom 29.06.1995, 11 RAr 57/94; Nebe, in: BeckOGK, § 117 Rn. 25). Um einer gerichtlichen Überprüfung standzuhalten, muss diese abweichende Progonoseentscheidung jedoch konkret anhand der Einschränkungen des behinderten Menschen bzw. anhand der im Praktikumsbericht beschriebenen Tätigkeiten belegen, warum die darin zum Ausdruck kommende Einschätzung hinsichtlich der prognostizierten Werkstattfähigkeit des Antragstellers für falsch gehalten wird.  
Dies wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil § 219 Abs. 3 SGB IX der WfbM explizit die Möglichkeit eröffnet, auch nicht werkstattfähige behinderte Menschen in einer Gruppe zusammen mit den Werkstattbeschäftigten zu fördern (vgl. Ritz/Palsherm, in: Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Auflage 2022, WfbM, Rn. 10). Diese gesetzliche Möglichkeit würde durch einen automatischen Rückschluss von dieser Art Werkstattgruppe auf die Werkstattfähigkeit der darin beschäftigten konterkariert. Genau dies tut aber die Beklagte, wenn sie die Unterbringung in der "Schongruppe" automatisch mit mangelnder Werkstattfähigkeit gleichsetzt.

dd)
Außerdem unterbleibt in den Ausführungen der Beklagten jegliche Auseinandersetzung mit dem in der WfbM umgesetzten konkreten Betreuungsschlüssel im Sinne des § 9 Abs. 3 WVO, der bei der Beurteilung der Werkstattfähigkeit mit zu berücksichtigen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1995, 11 RAr 57/94; Siefert in: Hauck/Noftz SGB III, 2. Ergän- zungslieferung 2025, § 117 Rn. 33; Bienert, in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Auflage 2021, § 117 Rn. 30). Maßgebend für die Prognoseentscheidung ist danach unter Anderem, ob der Mensch mit Behinderung im Rahmen des Eingangsverfahrens eine Entwicklung nehmen wird, die ihn befähigt, im Berufsbildungsbereich der Werkstatt mit einem Personalschlüssel von 1:6 mitzuarbeiten. Nach der Rechtsprechung ist ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeitsleistung jedenfalls dann nicht erreichbar, wenn der betreffende Mensch mit Behinderung bei der Tätigkeit dauerhaft einen Betreuungsschlüssel von 1:1 erfordert (LSG Nds-Bremen, Urteil vom 23.09.2014, L 7 AL 56/12).  
Laut Auskunft des A beträgt der Betreuungsschlüssel in der sog. Schongruppe 1:9. Zwar wurde der Antragsteller während seines Praktikums zunächst von seiner Mutter begleitet, diese Begleitung wurde im Laufe der Woche jedoch reduziert und sozusagen "ausgeschlichen" bis der Antragsteller am Ende der Praktikumsphase auch ohne seine Mutter weitermachen konnte. Das spricht dafür, dass dies erst recht im Rahmen des längerfristigen Eingangsverfahrens funktionieren könnte. Dies belegt im Übrigen auch die Stellungnahme der Praktikumsstelle, die eine Begleitung durch eine befristete Assistenz nur für wünschenswert, nicht jedoch für notwendig erklärt und dies auch ganz klar auf eine vorübergehende Eingewöhnungsphase bezieht. Insgesamt begründet das während des Praktikums manifestierte und dokumentierte Verhalten des Antragstellers die Erwartung, dass er am Ende des Eingangsverfahrens fähig sein wird, mit dem gegebenen Betreuungsschlüssel von 1:9 ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen.

ee)
Neben der Auseinandersetzung mit der Situation des Antragstellers im Einzelfall in den Gutachten lässt die Argumentation der Antragsgegnerin auch eine ausreichende Berücksichtigung des Regel-Ausnahmeverhältnisses bzw. der Funktion des Eingangsverfahrens in der gesetzlichen Konzeption vermissen.

Dies kommt in der mit Schreiben vom 08.01.2025 inhaltlich wiedergegebene Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 07.01.2025 mittelbar zum Ausdruck, wenn festgehalten wird, dass zur Klärung der Werkstattfähigkeit "eine längere Verhaltensbeobachtung in Ausbildungs- und Arbeitssituationen" erforderlich sei, die vom ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur a priori nicht durchgeführt werden könne. Damit hat der ärztliche Dienst aus Sicht des Senats völlig recht und genau aus diesem Grund gibt es das Eingangsverfahren nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX in der heutigen Form.  

Zwar ist der Beklagten zugute zu halten, dass der derzeitigen rechtlichen Ausgestaltung der von der Bundesanstalt für Arbeit zu erbringenden Rehabilitationsleistungen immer wieder eine gewisse Intransparenz vorgehalten wird (vgl. Eicher, BRuR 2024, S. 405 ff.; Nebe, in: BeckOGK SGB III, Stand: 01.06.2015, § 112 Rn. 1a und 10cU), diese Unübersichtlichkeit entbindet den zuständigen Leistungsträger jedoch nicht von einer sorgfältigen Rechtsanwendung und detaillierten Auseinandersetzungen mit den Voraussetzungen im Einzelfall.

h)
Schon aufgrund der vorgelegten Unterlagen und nach summarischer Prüfung der Rechtssache hat sich der Senat von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Einschätzung der Antragsgegnerin überzeugen können. Weiterer medizinischer Ermittlungen, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssten, bedarf es hierzu nicht. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ist mithin zu bejahen.

5.
Auch ein glaubhafter Anordnungsgrund liegt nach Überzeugung des Senats vor.

a)
Dieser ist bei der hier zu treffenden Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu bejahen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Zu berücksichtigen ist dabei, wie bereits ausgeführt, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System bilden und sich gegenseitig beeinflussen (LSG Berlin-Bbg 30.7.2019 - L 7 SO 2356/19 ER-B; LSG NRW 7.4.2020 - L 20 AY 23/20 B ER, BeckRS 2020, 9667 Rn. 21; HessLSG 9.12.2021 - L 4 SO 218/21 B ER, BeckRS 2021, 39074 Rn. 11, Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 27). In der so anzustellenden Gesamtbetrachtung gilt folglich: Je wahrscheinlicher der Erfolg in der Hauptsache ist, desto geringer sind die an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen und umgekehrt. Allgemein kommt es bei der Frage der Eilbedürftigkeit entscheidend auf die Interessenabwägung an, ob dem Antragsteller im Ergebnis ein Zuwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache zugemutet werden kann. Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Folgen einer Regelungsanordnung, die im Hauptsacheverfahren jedoch nicht im Sinne einer endgültigen Regelung bestätigt wird, und die Folgen einer unterbliebenen Regelungsanordnung, bei der sich im Hauptsacheverfahren der Anspruch des Betroffenen bestätigt. In die Abwägung einzustellen sind dabei alle Umstände des Einzelfalls, zu denen auch die Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Rechtspositionen gehört (vgl. Binder, in: Berchtold, SGG, 6. Auflage 2021, § 86b Rn. 36; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 29a).

b)
Vorliegend hat der Senat die Folgen abzuwägen, die einerseits entstehen würden, wenn er die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch besteht, und andererseits die einstweilige Anordnung erließe und sich aber in der Hauptsache herausstellte, ein Anspruch bestünde nicht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, Rn. 29 a). Weiterhin sind bei der Abwägungsentscheidung die grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers zu berücksichtigen. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet dabei eine Benachteiligung behinderter Menschen, während Art. 24 der UN-BRK, die im Rang eines einfachen Bundesgesetzes steht, den behinderten Menschen das gleiche Recht auf Arbeit zuerkennt wie nicht
behinderten Menschen.  

c)
Das Interesse der Mutter des Antragstellers, nicht allein für dessen Beaufsichtigung zuständig sein zu müssen, wird vom Senat in die Abwägung nicht eingestellt. Belange nur mittelbar betroffener Dritter können gesetzlich im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung keine Berücksichtigung finden und müssen daher außer Betracht bleiben.

d)
Würde sich in der Hauptsache herausstellen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Durchführung der begehrten Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben hat, der Senat jedoch den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hätte, hätte der Antragsteller nicht nur ab Antragstellung am 12.07.2024 umsonst gewartet und somit etliche Monate an arbeitsheranführenden Tätigkeiten versäumt. Es stünde darüber hinaus zu befürchten, dass der Antragsteller sich vom Prozess des berufsbezogenen Lernens entfernen und ggf. sogar ganz ausscheiden könnte und auch nach Feststellung eines Teilhabeanspruchs nicht wieder in einer WfbM Fuß fassen könnte. Hierbei fällt erschwerend ins Gewicht, dass es sich beim Antragsteller um einen jungen Menschen mit Behinderung handelt, bei denen sich das Fenster der Entwicklungsmöglichkeiten schneller wieder schließen kann als bei jungen Menschen ohne Behinderung. (Ritz/Palsherm, in: Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Auflage 2022, WfbM, Rn.19; SG Dresden, Beschluss vom 11.07.2003, S 6 AL 1041/03 ER, Rn. 16). Nun hat der Antragsteller im Juni 2024 ein Praktikum absolviert, bei dem eine positive Entwicklungsprognose erstellt wurde. Ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache würde bedeuten, dass bis zum Antritt der Teilhabemaßnahme unter Umständen ein bis zwei Jahre vergehen. Dies ist für einen jungen Menschen mit Behinderung eine lange Zeit, insbesondere wenn man den aktuell bestehenden Motivationsgrad des Antragstellers mit in die Betrachtung einbezieht.  

e)
Würde dagegen im Hauptsacheverfahren festgestellt werden, dass entgegen der einstweiligen Anordnung ein Anspruch auf eine Maßnahme der Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Beschäftigung in einer WfbM nicht bestünde, so hätte die Antragsgegnerin die Kosten der Maßnahme getragen, ohne dass der Antragsteller dauerhaft in einer WfbM im Arbeits- oder Berufsbildungsbereich tätig sein könnte. Hierbei fällt besonders ins Gewicht, dass der Weg in eine WfbM ohnehin nur über das dreimonatige Eingangsverfahren erfolgt. Der gesetzliche Regelfall sieht so aus, dass auch bei einer grundsätzlichen Bewilligung der Maßnahme erst am Ende der drei Monate konkret anhand der Erfahrungen in der WfbM entschieden wird, ob ein dauerhafter Übergang in die WfbM - sei es im Berufsbildungsbereich, sei es im Arbeitsbereich - erfolgen kann. Wird ein solcher Übergang aufgrund des dreimonatigen Eingangsverfahrens nicht als möglich betrachtet, kommt es also auch in dem gesetzlich so vorgesehenen Fall zu der identischen Situation wie im vorliegenden Fall, dass nämlich die Agentur für Arbeit drei Monate lang Leistungen erbringt, obwohl der behinderte Mensch wie sich im Laufe der drei Monate Eingangsverfahren her- ausgestellt hat, nicht dauerhaft in einer WfbM bleiben kann.  

Im vorliegenden Fall stünde die Antragsgegnerin also nicht anders, als wenn sie einem behinderten Menschen auf Grundlage einer sich nachträglich als nicht realisierbar bzw. unzutreffend herausstellenden Prognose eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form des Eingangsverfahrens in einer WfbM nach § 117 Abs. 2 SGB III gewährt hätte. Denn auch dann hätte die Antragsgegnerin die Kosten des Eingangsverfahrens zu tragen, obwohl ein Erfolg der Maßnahme rückblickend betrachtet nicht erreicht werden konnte. Diese Situation wird vom Gesetzgeber durch die Vorschaltung des Eingangsverfahrens bewusst in Kauf genommen und kann daher nicht als wesentlicher Nachteil gewertet werden, der das Teilhabeinteresse des Antragstellers überwiegt. Vor dem Hintergrund dieser gegebenen konzeptionellen Gesetzessystematik müssen vielmehr die Interessen der Beklagten im vorliegenden Fall in den Hintergrund treten. Dies gilt vor allem auch, wenn man die Konzeption des Eingangsverfahrens berücksichtigt, das gerade die Entwicklungsoffenheit der Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben zum Ausdruck bringt und damit die Rechte der behinderten Menschen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. Art. 24 UN-BRK gewährleistet (vgl. BT-Drs. 17/14476, 86 ff.; Luik, SRa-SH 2018,25; Nebe, in: BeckOGK SGB III, Stand: 01.06.2015, § 112 Rn. 16a, 20c, 47). Es muss in Zweifelsfällen daher möglich sein, im Rahmen des Eingangsverfahrens auszutesten, ob für den betroffenen behinderten Menschen das Ziel der Erbringung eines Mindestmaßes an verwertbarer Arbeit erreichbar ist (vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.11.2014, L 2 AL 41/14 B ER; SG Dresden, Beschluss vom 11.07.2003, S 6 AL 1041/03 ER; Ritz/Palsherm, in: Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Auflage 2022, WfbM, Rn.15).

f)
Nach Abwägung sämtlicher Umstände kommt der Senat daher unter Berücksichtigung der erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten Erkenntnisse zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall den Interessen des Antragstellers gegenüber den Interessen der Antragsgegnerin, die vor allem die Interessen des die Maßnahme finanzierenden Steuerzahlers vertritt, Vorrang einzuräumen ist. Der durch die Verweigerung der Teilnahme am Eingangsverfahren beim Antragsteller eintretende Schaden wäre unangemessen groß und möglicherweise grundsätzlich nicht mehr rückgängig zu machen. Demgegenüber steht ein wegen der Beschränkung auf drei Monate vergleichsweise geringes Risiko auf Seiten der Antragsgegnerin, das zudem von der gesetzlichen Regelung konzeptionell bewusst in Kauf genommen wird. Dies kann gegenüber den Interessen des Antragstellers daran, die Chance zu bekommen, seine Fähigkeiten in einem Zeitrahmen unter Beweis stellen zu können, in denen das entwicklungspsychologische Fenster noch offensteht, nicht überwiegen. Dies gilt umso mehr als das Bestehen des Anordnungsanspruchs hier klar bejaht werden konnte und die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes damit deutlich herabgesetzt sind.

g)
Dem steht auch nicht entgegen, dass damit die Hauptsache, d.h. die Durchführung eines Eingangsverfahrens mit den ggf. sich anschließenden Berufsbildungsmaßnahmen, im Wesentlichen vorweggenommen wird. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Senat den Interessen des Antragstellers, eine Chance zu bekommen seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, höher bewertet als das Interesse der Antragsgegnerin daran, nicht ohne Rechtsgrund Rehabilitationsleistungen zu erbringen, die sie - bei einer divergierenden Entscheidung in der Hauptsache - möglicherweise nicht mehr zurückerstattet bekommt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Senat im vorliegenden Fall ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache hinsichtlich der Maßnahme im Eingangsverfahren für überwiegend wahrscheinlich hält (vgl. zu diesem Gesichtspunkt der Vorwegnahme der Hauptsache auch Nebe, in: BeckOGK SGB III, Stand: 01.06.2015, § 112 Rn. 69). Zum anderen ist diese zumindest teilweise Vorwegnahme der Hauptsache eine in diesem Zusammenhang notwendige Folge der gesetzlichen Konzeption des Eingangsverfahrens als Erprobungsraum für eine als möglich erachtete Werkstattfähigkeit.

Im Ergebnis ist daher das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ebenso zu bejahen wie das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs.  

6.
Die vom Antragsteller begehrte vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Leistungen im Eingangsverfahren in einer Werkstatt für Behinderte (EV/BBB) zu gewähren, hat Erfolg. Nach der insoweit vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage und ausgehend von den zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Erkenntnisse ist ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Weiter ist der Senat wegen des offensichtlich positiven Ausgangs des Hauptsacheverfahrens aufgrund einer Interessenabwägung zu der Auffassung gelangt, dass auch ein Anordnungsgrund gegeben ist. Die Entscheidung des SG war daher aufzuheben.

7.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

8.
Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.     

 

Rechtskraft
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