§ 214 SGB VII, § 1546 RVO, § 27 SGB X, § 65 BVG, § 56 SGB VII
Verletztenrente - Rentenbeginn - verspätete Anmeldung - Verhältnisse außerhalb des Willens des Antragstellers – sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - Unterlassen eines Hinweises auf die Möglichkeit der Antragstellung beim Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Opferentschädigungsstelle – Funktionseinheit -
1. Für die Prüfung der Frage, ob im Sinne von § 1546 Abs. 1 S 1 Halbs. 2 RVO ein Umstand außerhalb des Willens eines Antragstellers liegt, sind die gleichen Maßstäbe wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X oder § 67 Abs. 1 SGG anzuwenden.
2. Einer anderen Behörde als der für die Entscheidung über die Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den zuständigen Leistungsträger führen kann, obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren „arbeitsteilig“ eingeschaltet ist.
3. Zwischen den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung und denjenigen nach dem Opferentschädigungsrecht besteht im Sinne der Rechtsprechung keine Funktionseinheit.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 24. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1953 geborene Kläger begehrt mit seiner Berufung über das stattgebende Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 24. Oktober 2022 hinaus für die dort ausgeurteilten Zeiträume eine höhere Verletztenrente und darüber hinaus die Gewährung einer Verletztenrente vor dem vom Sozialgericht Altenburg ausgeurteilten Beginn am 1. Dezember 2017.
Der Kläger hielt sich am 26. September 1980 zum Zeitpunkt des Oktoberfestattentats in M in unmittelbarer Nähe des Geschehens auf. Er leistete Schwerverletzten erste Hilfe. Der Kläger meldete sich weder in diesem Zusammenhang bei Sozialleistungsträgern und machte Leistungsansprüche geltend, noch erfolgte die Anzeige eines Arbeitsunfalles. Im Jahre 2014 eröffnete die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren erneut. Am 15. August 2014 beantragte der Kläger, ausgelöst durch eine Presseberichterstattung über die neuen Ermittlungen beim Zentrum Bayern für Familie und Soziales, eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Der Kläger stellte sich als Zeuge dem Landeskriminalamt zur Verfügung. Nach durchgeführten Vernehmungen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand in psychischer Hinsicht erheblich. Er befand sich deshalb ab 20. Oktober 2015 in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung bei V und vom 9. Dezember 2015 bis 2. März 2016 in der Klinik am W in D in stationärer Behandlung. Hier wurden eine posttraumatische Belastungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und psychische Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Hypnotika, sowie ein schädlicher Gebrauch im Übergang zur Abhängigkeit diagnostiziert. Sein Antrag auf Opferentschädigung wurde durch Bescheid vom 23. Juli 2015 mit der Begründung abgelehnt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Schlafstörungen sowie diversen psychovegetativen Störungen und der Gewalttat nicht festgestellt werden könne. Einem Widerspruch wurde durch Abhilfebescheid vom 22. Februar 2016 teilweise insoweit abgeholfen, als als Folge einer Schädigung eine psychoreaktive Störung mit seelisch belastenden Erinnerungen und Schlafstörungen anerkannt und ein Grad der Schädigungsfolgen mit 10 vom Hundert (v. H.) bemessen wurde. Ansonsten wurde der Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16. August 2016 zurückgewiesen. Hiergegen ist seit dem 29. August 2016 beim Sozialgericht Altenburg ein Klageverfahren mit dem Ziel der Feststellung eines höheren Grades der Schädigung anhängig (S 8 VE 2131/16). Im Rahmen dieses Klageverfahrens wies das beklagte Zentrum Bayern Familie und Soziales mit Schriftsatz vom 6. Februar 2017 darauf hin, dass dem Kläger möglicherweise ein Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen könnte. Ein solcher Anspruch würde Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nach § 65 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vorgehen. Der Kläger habe mehreren Personen erste Hilfe geleistet, sodass als Versicherungstatbestand § 539 Abs. 1 Nr. 9a der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Betracht kommen könnte. Mit Schriftsatz vom 24. August 2017 führten die damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Opferentschädigungsverfahren Az. S 8 VE 2131/16 aus, dass der Kläger einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gestellt habe. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte den Leistungsantrag hätte weiterleiten müssen. Dieser Auffassung widersprach das Zentrum Bayern Familie und Soziales in einem Schriftsatz vom 16. November 2017. Zu klären sei nur, ob die gesetzliche Unfallversicherung im Rechtsstreit beizuladen sei. Dies erfolgte durch Beschluss des Sozialgerichts vom 6. Juni 2018. Durch Beschluss vom 27. Juni 2019 ordnete das Sozialgericht das Ruhen des Opferentschädigungsverfahrens vor dem Hintergrund der Vorschrift des § 65 BVG an. Die Zahlung von Versorgungsbezügen sei danach gegenüber Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nachrangig.
Mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2017, bei der Beklagten am 18. Dezember 2017 eingegangen, beantragte der Kläger bei der Beklagten sinngemäß Leistungen aus der Kommunalen Unfallversicherung. Nach Beiziehung diverser Behandlungs- und Befundberichte erstattete der Psychiater P am 21. August 2019 eine beratungsärztliche Stellungnahme. Darin führte dieser aus, dass eine Objektivierung des Gesundheitsschadens nicht möglich sei, da alle Angaben über 35 Jahre nach dem Attentat ausschließlich auf eigenanamnestischen Angaben des Klägers beruhten und beweiskräftige Unterlagen, wie Entlassungsberichte der Krankenhäuser, nicht mehr existierten. Für die Annahme eines schädigungsabhängigen primären Gesundheitsschadens spreche die Schwere des Traumas und die zeitliche Entwicklung der somatoformen Schmerzstörung und der Insomnie nach dem Attentat. Unklar bleibe, inwieweit biografische Belastungen zu einem Aufrechterhalten der Beschwerden beigetragen hätten. Aktuell sei nach den vorliegenden Berichten, insbesondere dem Entlassungsbericht des Klinikums am W, davon auszugehen, dass sich im Jahre 2015 nach der Befragung durch Beamte des BKA erneut eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt habe. Die Kriterien für eine PTBS seien im Dezember 2015 für wenige Wochen erfüllt gewesen. Nach Beendigung der stationären Behandlung im März 2016 könne diese jedoch nicht mehr diagnostiziert werden. Bezüglich der somatoformen Schmerzstörung sei eine Schädigungsabhängigkeit nicht nachgewiesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei ab dem 1. Januar 2013 mit 20 v. H. einzuschätzen.
Daraufhin erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 18. Dezember 2019 das Ereignis vom 26. September 1980 als Arbeitsunfall an mit den Unfallfolgen Schockschaden, Schockreaktion und Reaktion auf schwere Belastung in Form einer psychoreaktiven Störung mit seelisch belastenden Erinnerungen und Schlafstörungen. Nicht als Folge des Arbeitsunfalles wurden anerkannt eine psychische Reaktion auf die allgemeinen Lebensbelastungen, der Bruch des rechten Oberschenkels und die somatoforme Schmerzstörung. Ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wurde verneint. Ein hiergegen durch den Kläger eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2020 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 24. August 2020 beim Sozialgericht Altenburg Klage erhoben. Das Sozialgericht hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Diese führt in ihrem Gutachten vom 18. November 2021 aus, dass bis zum Zusammenbruch des Klägers im Jahr 2015 keine Befunde vorlägen, sei erklärlich. Zum einen habe der Kläger ein sehr ausgeprägtes Vermeidungs- und Kompensationsverhalten an den Tag gelegt. Zum anderen habe es lange Zeit in der Vergangenheit überhaupt keine entsprechenden Angebote gegeben. In der jetzigen Untersuchungssituation sei das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr festzustellen. Deren Eingangskriterium liege zwar gesichert vor. Es lägen aber nicht mehr alle Symptome im ausreichenden Umfang vor. Zu diagnostizieren sei eine Reaktion auf eine schwere Belastung nach ICD-10 F43.8. Die von P verwandte Diagnose einer Anpassungsstörung scheide aus, weil diese in der Regel nicht länger als zwei Jahre anhalten solle. Darüber hinaus bestehe eine chronisch nicht organische Insomnie nach ICD-10 F51.0 verbunden mit einem schädlichen Gebrauch von Hypnotika und Sedativa nach ICD-10 F13.1 und eine somatoforme Schmerzstörung nach ICD-10 F45.4. Auch wenn die Symptomatik durch die reaktivierende Situation 2015 (Vernehmung durch das Landeskriminalamt) im jetzigen Ausmaß klinisch manifest aufgetreten sei, sei davon auszugehen, dass einzelne Symptome durchaus nachvollziehbar bereits im Vorfeld bestanden hätten. Auch wenn in den Aktenunterlagen keine ausreichenden Beweise vorlägen, dass bereits nach dem Attentat ein Großteil der Symptomatik bestanden habe, sei der Bericht des Klägers ausreichend nachvollziehbar. Er weise in der jetzigen Untersuchungssituation eine deutlich emotionale Beteiligung auf. Ein zeitlicher Zusammenhang sei herstellbar. Es spreche mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den benannten Störungsbildern und dem schädigenden Ereignis des Oktoberfestes. Im Verlauf sei sicher direkt nach dem Ereignis einige Wochen eine akute Belastungsreaktion aufgetreten. Durch Selbstmedikation sei es dem Kläger möglich gewesen, die Symptomatik bis zu einem gewissen Grad lange Zeit zu kompensieren. In der damaligen Zeit sei eine MdE von 20 v. H. nach den Erfahrungswerten sicher gerechtfertigt. Nach dem Ausbruch der reaktivierenden Situation ab 2015 und der Arbeitsunfähigkeit ab September 2015 sei die MdE auf 30 v. H. anzuheben. Die MdE sei für alle Störungsbilder schädigungsbedingt ab April 2015 mit 30 v. H. zu bewerten. Durch Behandlung und Berentung ab 2019 sei eine Entlastung eingetreten und die MdE ab 2019 wieder auf 20 v. H. festzusetzen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 10. Januar 2020 hat die Sachverständige E an ihren Ausführungen festgehalten.
Durch Urteil vom 24. Oktober 2022 hat das SG Altenburg den Bescheid vom 18. Dezember 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2020 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis 30. April 2019 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. und ab 1. Mai 2019 nach einer MdE von 20 v. H. zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage im tenorierten Umfang begründet sei. Weitergehende Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Dezember 2017 bzw. nach einer höheren MdE kämen nicht in Betracht. Nach § 212 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) richte sich der Anspruch auf Verletztenrente nach den Vorschriften der §§ 547ff. RVO. Danach sei das SGB VII auf Versicherungsfälle anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1997 eingetreten seien. In Ausnahme hierzu bestimme § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII, dass die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle gelten würden, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten seien, wenn die Rentenleistungen nach dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen seien. Hierfür sei maßgeblich, wann materiell-rechtlich der Anspruch entstanden sei. Danach seien hier die Vorschriften der RVO anzuwenden, weil der Versicherungsfall vor Inkrafttreten des SGB VII eingetreten sei und die Voraussetzungen des § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII nicht vorlägen. Es sei nicht nachgewiesen, dass Rentenleistungen nach dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen seien. Vielmehr könne nicht festgestellt werden, ab welchem Zeitpunkt nach dem Ereignis vom 26. September 1980 erstmals ein Anspruch auf Verletztenrente bestanden habe. Dokumentiert seien die psychischen Probleme zwar erst aufgrund der erneuten polizeilichen Befragung im Jahr 2015. Aber auch für die Zeit davor seien bereits Probleme beschrieben worden. Es sei daher nicht auszuschließen, dass für die Zeit vor dem 1. Januar 1997 eine Rentengewährung in Betracht gekommen sei. Mangels hinreichender Feststellbarkeit könnten die Voraussetzungen des § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII nicht als gegeben angenommen werden, sodass es bei der Anwendbarkeit der RVO verbleibe. Damit sei für den Zeitpunkt der Rentengewährung § 1546 Abs. 1 Satz 1 RVO maßgeblich. Der Kläger wäre gehalten gewesen, seinen Anspruch spätestens zwei Jahre nach dem Unfall anzumelden. Werde der Anspruch später angemeldet, so sei Leistungsbeginn der Erste des Antragsmonats, es sei denn die verspätete Anmeldung sei durch Verhältnisse begründet, die außerhalb des Willens des Klägers lägen. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Beim Kläger habe allenfalls eine hier nicht maßgebliche Unkenntnis über mögliche Leistungsansprüche bestanden. Leistungen in Form einer Rente seien daher erst ab 1. Dezember 2017 zu erbringen. Die MdE sei für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis 30. April 2019 mit 30 v. H. und für die Zeit danach auf 20 v. H. zu beziffern. Die Kammer folge insoweit den Ausführungen der Sachverständigen E.
Hiergegen ist der Kläger in Berufung gegangen mit dem Ziel, sowohl für den Zeitraum vor dem 1. Dezember 2017 eine Verletztenrente zu erhalten, als auch eine höhere Verletztenrente. Die verspätete Antragstellung sei ihm nicht anzulasten. Ausweislich des Gutachtens der Sachverständigen E würden auch eine chronische nicht-organische Insomnie, eine somatoforme Schmerzstörung und ein schädlicher Gebrauch von Hypnotika und Sedativa vorliegen. Die Gutachterin habe lediglich eine rezidivierende depressive Störung als Unfallfolge ausgeschlossen. Der Begriff „außerhalb des Willens“ sei nach der ständigen Rechtsprechung nicht gleichbedeutend mit höherer Gewalt oder Naturereignissen. Ihm sei bis zur Reaktivierung durch die Zeugenbefragung im Jahr 2015 nicht bekannt gewesen, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen Folge des Oktoberfestattentates seien. Psychische Erkrankungen seien in den achtziger Jahren nur unzureichend diagnostiziert und behandelt worden. Die Stellung eines Antrages sei nicht möglich gewesen, weil er nicht gewusst habe, dass er krank gewesen sei. Ohne eine Erkrankung hätte er somit gar keinen Antrag stellen können. Darüber hinaus sei die Opferentschädigungsbehörde verpflichtet gewesen, den Antrag an die Beklagte weiterzuleiten. Erst spät in diesem Verfahren sei der Hinweis auf eine darüber hinaus bestehende Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers erfolgt. Darüber hinaus sei er mit der Höhe der festgesetzten MdE nicht einverstanden. Eine Verbesserung des Leistungsbildes bis zum Renteneintritt sei nicht zu verzeichnen gewesen. Bis zum Rentenbeginn sei eine MdE von mindestens 50 v. H. angemessen. Er sei nach wie vor auf die Einnahme von zwei starken Schmerzmedikamenten angewiesen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Altenburg vom 24. Oktober 2022 wird der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2020 dahin abgeändert, dass die Beklagte weiter verpflichtet wird, an den Kläger
- im Zeitraum 01. Oktober 1980 bis 31. Juli 2014 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.,
- im Zeitraum 01. August 2014 (Tag der Antragstellung OEG) bis 31. August 2015 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H.,
- im Zeitraum 01. September 2015 bis 31. Dezember 2016 (Reaktivierung) eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H.,
- im Zeitraum 01. Januar 2017 bis 30. April 2019 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. zu zahlen,
- ab dem 01. Mai 2019 dauerhaft eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. zu zahlen
und die Beklagte zu verpflichten, als weitere Unfallfolgen festzustellen eine chronische nicht-organische Insomnie nach F51.0 ICD-10, schädlichen Gebrauch von Hypnotika und Sedativa nach F13.1 ICD-10 und eine somatoforme Schmerzstörung nach F45.4 ICD-10.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach § 1546 RVO hindere die Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen nicht den Ablauf der Ausschlussfrist. Bezüglich des am 15. August 2014 gestellten Opferentschädigungsantrages sei nicht von einer Verletzung der Beratungspflicht nach § 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) auszugehen. Die dortige Behörde habe in eigener Zuständigkeit über den gestellten Antrag entschieden. Schon deshalb habe keine Notwendigkeit der Weiterleitung bestanden. Das Sozialgericht habe die MdE befundangemessen eingeschätzt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten, die beigezogene Opferentschädigungsakte (nunmehr geführt beim Thüringer Landesverwaltungsamt) und die beigezogene Gerichtsakte des Sozialgerichts Altenburg S 8 VE 2131/16 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2020 ist nur insoweit rechtswidrig, als dem Kläger für die Zeit vom 1. Dezember 2017 bis 30. April 2019 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 v. H. und ab 1. Mai 2019 nach einer MdE von 20 v. H. zusteht. Dies hat das Sozialgericht in dem angegriffenen Urteil korrekt ausgeurteilt. Darüber hinaus hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2017 bzw. hinsichtlich der ausgeurteilten Zeiträume auf Gewährung einer höheren Verletztenrente.
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente vor dem 1. Dezember 2017 sind nicht erfüllt. Das Sozialgericht hat den Leistungsbeginn zu Recht gemäß § 1546 Abs. 1 Satz 1 RVO auf den 1. Dezember 2017 festgesetzt. Nach dieser Vorschrift ist ein Anspruch auf Unfallentschädigung spätestens innerhalb von zwei Jahren anzumelden. Anderenfalls beginnen die Leistungen mit dem Ersten des Antragsmonats, es sei denn, dass die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen.
Die Vorschrift ist vorliegend anwendbar. Das ergibt sich aus §§ 212ff. SGB VII. Nach §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII richtet sich die Anerkennung von Unfallfolgen und eines darauf beruhenden Anspruchs auf Verletztenrente vorliegend nach den Vorschriften der §§ 547 ff. RVO. Nach § 212 SGB VII ist das SGB VII anwendbar auf Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten des SGB VII, d. h. nach dem 1. Januar 1997 eingetreten sind. In Ausnahme hierzu bestimmt § 214 Abs. 3 SGB VII, dass die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, wenn die Rentenleistungen nach dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen sind. Maßgeblich ist, wann materiell-rechtlich der Anspruch entstanden ist, d. h. wann dessen Voraussetzungen erfüllt sind und der Versicherte einen Anspruch auf die Feststellung des Leistungsrechts hat (BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - B 2 U 6/16 R, Juris). Danach sind hier nicht die Vorschriften des SGB VII, sondern die der RVO anzuwenden. Der Kläger hatte nach den für den Senat bindenden Feststellungen der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid im Oktober 1980 einen Arbeitsunfall erlitten, als er als Ersthelfer auf dem Oktoberfest in M tätig geworden ist. Die vom Kläger geltend gemachten psychischen Probleme, die von der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid teilweise anerkannt worden sind, sind nach seinem Vorbringen bereits nach 1980 und damit vor dem 1. Januar 1997 aufgetreten. Ein hierauf beruhender Verletztenrentenanspruch wäre - bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen - bereits vor dem 1. Januar 1997 entstanden.
Der Anspruch des Klägers auf Entschädigung des Arbeitsunfalles wurde erstmals gegenüber der Beklagten durch den Antrag des Klägers vom 14. Dezember 2017 angemeldet. Hiervon ausgehend hat das Sozialgericht den Leistungsbeginn zutreffend mit dem 1. Dezember 2017 festgestellt. Dies ist rechtmäßig, weil die verspätete Anmeldung nicht außerhalb des Willens des Klägers lag. Für die Prüfung der Frage, ob ein Umstand außerhalb des Willens eines Antragstellers liegt, gelten die gleichen Maßstäbe wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) oder § 67 Absatz 1 SGG, so dass die dortigen Grundsätze entsprechend gelten (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1998 - B 2 U 26/97 R m.w.N., Juris). Nach ständiger Rechtsprechung wird die Versäumung einer Frist ohne Verschulden angenommen, wenn der Säumige diejenige Sorgfalt angewandt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist. Eine solche Sachlage soll zum Beispiel gegeben sein, wenn der Versicherte die Anmeldung aufgrund einer unzutreffenden Diagnose oder Beurteilung des Ursachenzusammenhangs durch seinen behandelnden Arzt unterlässt (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. April 2000 - L 3 U 115/97, Juris).
Eine solche Sachlage ist hier zur Überzeugung des Senats nicht glaubhaft gemacht. Glaubhaftmachung setzt zunächst voraus, dass die Tatsachen genannt werden und verlangt im nächsten Schritt, dass die entsprechenden Tatsachen überwiegend wahrscheinlich sein müssen (vgl. hierzu § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X, wonach eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen ist, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist). Geht man von dem Vortrag des Klägers aus, dass er sich bereits unmittelbar nach dem Ereignis vom 26. September 1980 in stationärer Behandlung befunden hat und damals keine Diagnosen gestellt worden sind, liegt keine Sachlage vor, welche es rechtfertigen würde, von einer in diesem Sinne unverschuldeten verspäteten Geltendmachung des Anspruchs auszugehen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass zum heutigen Zeitpunkt mangels noch vorhandener Unterlagen über die nach dem 26. September 1980 durchgeführten ärztlichen Behandlungen nicht mehr nachvollzogen werden kann, um welche genau es sich hier gehandelt hat. Insoweit ist gerade nicht die Sachlage glaubhaft gemacht, dass der Kläger die Anmeldung eines Arbeitsunfalles aufgrund einer unzutreffenden Beurteilung des Ursachenzusammenhangs durch die behandelnden Ärzte unterlassen hat. Daher liegt keine außerhalb des Willens des Klägers liegende fehlerhafte kausale Zuordnung seines Beschwerdebildes vor, deretwegen ihm eine frühere Anmeldung von Entschädigungsleistungen nicht möglich gewesen ist. Soweit der Kläger sich in seiner Klagebegründung darauf beruft, dass ihm bis zur Reaktivierung durch die Zeugenbefragung im Jahr 2015 und die anschließende Behandlung nicht bekannt gewesen sei, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen Folge des Oktoberfestattentates sind, bestätigt der Vortrag diese Einschätzung. Denn daraus lässt sich entnehmen, dass dem Kläger auch keine gegenteiligen Aussagen zum Kausalzusammenhang bekannt waren. Soweit sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung darauf beruft, dass der Wissensstand im Hinblick auf psychische Erkrankungen und deren Verursachung sich ab den neunziger Jahren wesentlich geändert habe, ändert dies an dem gefundenen Ergebnis nichts. Insoweit macht der Kläger geltend, dass seine psychischen Beeinträchtigungen latent fortbestanden hätten. Auch insoweit gilt, dass konkrete Nachweise über eine Behandlungsbedürftigkeit des Klägers in diesem Zeitraum nicht vorliegen. Daher verbleibt es dabei, dass die Rückausnahme nach § 1546 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht eingreift. Die Zwei-Jahres-Frist des § 1546 Abs. 1 S. 1 RVO ist damit versäumt.
Hinsichtlich des Beginns der Verletztenrente kann auch nicht auf die Antragstellung im Opferentschädigungsverfahren am 15. August 2014 abgestellt werden. Zwar kann ein Antrag auch bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden und ist von dort unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ein solcher Antrag erfordert aber eine an einen Leistungsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich ein Leistungsbegehren ergibt; die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Willenserklärungen (§§ 116ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB) sind entsprechend anzuwenden. Dem Antrag vom 15. August 2014 lässt sich ein solcher ausdrücklicher Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht entnehmen. Vielmehr wurden mit diesem Antrag ausschließlich Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend gemacht. Der Antrag war auch nicht so zu verstehen, dass damit sämtliche Leistungen aufgrund des Ereignisses vom 26. September 1980 geltend gemacht werden sollten, sondern dieser erfasste ausdrücklich nur einen Antrag auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht. Gründe für eine Nachfrage bei anderen Leistungsträgern, insbesondere der gesetzlichen Unfallversicherung, drängten sich nicht auf. Dafür spricht auch, dass erst im weiteren Verlauf des gerichtlichen Klageverfahrens die Frage nach einem möglichen Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden ist (Schriftsatz der Beklagten vom 6. Februar 2017 im Verfahren S 8 VE 2131/16). Die Angaben des Klägers beschränkten sich insoweit darauf, dass er beim Oktoberfestattentat mehreren Personen erste Hilfe geleistet hat, ohne selbst körperlich verletzt worden zu sein. Anhaltspunkte dafür, dass über Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz hinaus noch Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend gemacht werden sollten, ergeben sich daraus nicht. Insbesondere fehlen Worte wie Arbeitsunfall und dergleichen. Dabei berücksichtigt der Senat auch, dass der Unfallversicherungsschutz für Ersthelfer nicht unbedingt einen „Klassiker“ des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes darstellt.
Der Kläger kann den begehrten früheren Beginn seiner Verletztenrente auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ableiten. Er ist nicht so zu stellen, als hätte er den Antrag bereits im August 2014 gestellt, was einen früheren Rentenanspruch gegen die Beklagte zur Folge haben könnte. Der Herstellungsanspruch erfordert eine Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts; als Rechtsfolge ist der Zustand wiederherzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestehen würde, wobei dies jedoch nur durch eine zulässige Amtshandlung geschehen darf (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 13 R 44/09 R, Juris).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine Pflichtverletzung der beklagten Kommunalen Unfallversicherung ist weder von dem Kläger behauptet worden, noch gibt es hierfür nach dem Sachverhalt Anhaltspunkte. Die Beklagte hat vielmehr erst durch den Antrag des Klägers vom 14. Dezember 2017 Kenntnis vom Sachverhalt erlangt. Erst ab diesem Zeitpunkt bestand nach § 19 SGB VII die Verpflichtung, von Amts wegen tätig zu werden.
Die Beklagte muss sich keine Pflichtverletzung eines anderen Sozialleistungsträgers - hier der für das Opferentschädigungsrecht zuständigen Stelle - zurechnen lassen. Zwar kann ein Herstellungsanspruch unter bestimmten Umständen auch auf Fehler anderer Behörden gestützt werden (grundlegend: BSG, Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 34/80, Juris). Dies setzt jedoch voraus, dass eine Funktionseinheit zwischen der Opferentschädigungsstelle und der Beklagten bestand. Nach der Rechtsprechung wird eine solche Zurechnung bejaht, wenn zwei Leistungsträger im Sinne einer Funktionseinheit mit einer Aufgabenerfüllung arbeitsteilig betraut sind oder ein Leistungsträger einen anderen Leistungsträger bzw. Dritten in die Abwicklung eines Versicherungsverhältnisses mit einbezogen hat und wenn spezifische Beratungspflichten aufgrund der Verknüpfung zweier Leistungsträger oder aufgrund besonderer Aufgaben bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 13 R 44/09 R, Juris). Nach diesen Grundsätzen kann ein möglicher Beratungsfehler der nach Opferentschädigungsrecht zuständigen Behörde, des Zentrums Bayern für Familie und Soziales Landesversorgungsamt, unter dem Gesichtspunkt, dass dieses nach Stellung des Opferentschädigungsantrages verpflichtet gewesen wäre, den Kläger unmittelbar darauf hinzuweisen, dass im Fall eines Arbeitsunfalls Ansprüche bei der gesetzlichen Unfallversicherung anzumelden sind, nicht angenommen werden. Zwischen den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung und denjenigen nach dem Opferentschädigungsrecht besteht im Sinne der Rechtsprechung keine Funktionseinheit. Es fehlt an der Voraussetzung, dass die eine Behörde in das Verwaltungsverfahren der anderen derart eingeschaltet ist, dass die von der anderen Behörde gewährte Leistung in einem Konkurrenzverhältnis zu der anderen Leistung steht. In einem solchen Fall ergibt sich aus der Verknüpfung beider Leistungen für die andere Behörde eine Fürsorge- und Beratungspflicht auch bezüglich der anderen Leistung. Ein solches Konkurrenzverhältnis kann bei der Entschädigung nach dem Opferentschädigungsrecht und den Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht angenommen werden. Die Opferentschädigungsbehörde ist in den Verwaltungsablauf der Beklagten bei der Bearbeitung von Arbeitsunfällen nicht so eng einbezogen, dass die Beklagte sich das Verhalten von Sachbearbeitern des Zentrums für Familie und Soziales wie einen eigenen Beratungsfehler zurechnen lassen muss. Nicht ausreichend ist insoweit, dass sich der jeweilige Anspruch auf den gleichen Kernsachverhalt - das Oktoberfestattentat 1980 - gründet, und dass der Anknüpfungspunkt für Ansprüche derselbe ist, nämlich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers durch das Oktoberfestattentat. Nach der Ausgestaltung der gesetzlichen Vorschriften werden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Opferentschädigung unabhängig voneinander gewährt und stehen daher nicht in einem Konkurrenzverhältnis, so dass der Bezug der einen Leistung die andere ausschließt. Daran ändert auch die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Nr. 1 BVG nichts. Danach ruht der Anspruch auf Versorgungsbezüge, wenn beide Ansprüche auf derselben Ursache beruhen in Höhe der Bezüge aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies ändert nichts daran, dass Ansprüche nach beiden gesetzlichen Vorschriften parallel bestehen können. Dies führt aber nicht zu einer arbeitsteiligen Einbeziehung des UV-Trägers in das Verwaltungsverfahren des Zentrums für Familie und Soziales im Opferentschädigungsrecht. § 65 BVG hat nur zur Folge, dass die Opferentschädigungsbehörde die Entscheidung zu treffen hat, ob und ggf. in welcher Höhe eine Rente trotz des "Zusammentreffens" mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung geleistet wird; an diesem Entscheidungsprozess ist der UV-Träger in keiner Form verantwortlich beteiligt.
Darüber hinaus hat die Rechtsprechung ein arbeitsteiliges Behördenverfahren z. B. auch dann verneint, wenn Versorgungsämter sowohl für die Durchführung des Schwerbehindertenrechts als auch für die Durchführung des Opferentschädigungsgesetzes zuständig sind. Tragender Gesichtspunkt hierfür war, dass beide Zuständigkeiten organisatorisch getrennt und nicht arbeitsteilig durchgeführt werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. Januar 2014 - L 10 VE 17/20, Rn. 53, Juris). Wenn daher ein von der Schwerbehindertenstelle unterlassener Hinweis auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach dem Opferentschädigungsgesetz der Opferentschädigungsstelle nicht zuzurechnen ist, kann der Senat nicht feststellen, dass die Opferentschädigungsstelle verpflichtet gewesen sein sollte, den Kläger unmittelbar nach der Antragstellung im August 2014 darauf hinzuweisen, dass möglicherweise auch Ansprüche nach der gesetzlichen Unfallversicherung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes für Ersthelfer in Betracht kommen. Auch sonstige Gesichtspunkte, nach denen die Opferentschädigungsbehörde verpflichtet gewesen sein sollte, den Kläger hierauf hinzuweisen, sind nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger ab 1980 die Gewährung einer Verletztenrente begehrt, beachtet er darüber hinaus nicht, ohne dass dies entscheidungserheblich ist, dass die einzelnen Geldleistungsansprüche (§ 11 Satz 1 SGB I) aus einer Verletztenrente in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind (§ 45 Abs. 1 SGB I) verjähren. Gebundene Ansprüche auf Sozialleistungen (§ 38 SGB I), wie hier die Zahlung einer Verletztenrente, entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 40 Abs. 1 SGB I). Auf die Kenntnis des Berechtigten hiervon kommt es nicht an, welche zudem im Grunde die Kenntnis von dem unverjährbaren Stammrecht betrifft (BSG, Urteil vom 26. September 2024 - B 2 U 1/22 R, Juris). Hemmungstatbestände sind nicht ersichtlich. Angesichts des gefundenen Ergebnisses braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Beklagte die Einrede der Verjährung wirksam, insbesondere ermessensgerecht erhoben hat bzw. sie hätte noch erheben können. Darüber hinaus liegen auch für die Zeiträume vor 2015 mangels Vorhandensein von aussagekräftigen Befunden keine Ansatzpunkte vor, um eine MdE zu begründen. Die im Verfahren gehörten Sachverständigen führen für Zeiträume vor 2015 nur aus, dass die entsprechenden Symptome aus ihrer Sicht nachvollziehbar bereits im Vorfeld bestanden haben, aber keine ausreichenden Beweise vorliegen. Daher lassen sich die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht aufklären, was nach den Grundsätzen der Beweislast, wonach jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, nur zu Lasten des Klägers gehen kann.
Darüber hinaus hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente für die durch das Sozialgericht anerkannten Zeiträume. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass der von der Sachverständigen E in ihrem Gutachten erwähnte schädliche Gebrauch von Hypnotika und Sedativa ebenso wie eine chronische nicht-organische Insomnie nach F51.0 ICD-10 und eine somatoforme Schmerzstörung durch die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid zu Recht nicht als Folgen des Ereignisses anerkannt worden sind. Die Sachverständige E bejaht in ihrem Gutachten zwar einen Zusammenhang zum Geschehen im Jahre 1980, führt jedoch zugleich aus, dass bis 2015 keine entsprechenden Befunde vorliegen. Ferner sieht sie durchaus Konkurrenzursachen nach dem Unfallereignis und möchte trotz fehlender Befunde das Unfallereignis als alleinige Ursache ansehen. Das überzeugt nicht. Bei einer derart unklaren Befundlage kann eine Zuordnung zu einem bestimmten Ereignis nicht erfolgen. So trägt der Kläger in seiner Berufungsbegründung vor, dass er selbst versucht habe, sich entsprechend zu medikamentieren, und es deshalb zu einem Missbrauch von Schlafmitteln und Sedativa und einer Insomnie gekommen sei. Anhaltspunkte dafür, dass diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Folgen des Arbeitsunfalles einzuordnen sind, bestehen nicht. Für eine Anerkennung als Unfallfolgen fehlen jegliche ärztlichen Befunde im Zeitraum bis zur Reaktivierung des Traumas im Jahre 2015. Dies gilt auch für die von der Sachverständigen E beschriebene somatoforme Schmerzstörung. Der Fall des Klägers zeichnet sich dadurch aus, dass für den Zeitraum nach dem 26. September 1980 bis zur Reaktivierung des Traumas im Jahr 2015 keine aussagekräftigen Befunde vorliegen, sei es, dass die entsprechenden Behandlungsberichte aufgrund Zeitablaufs nicht mehr verfügbar sind, sei es, dass der Kläger sich nach seinen eigenen Angaben selbst mit Medikamenten behandelt hat. Daher ist es nicht möglich festzustellen, dass z. B. die vom Kläger nach den eigenen Angaben zum Einsatz gekommenen Schmerzmittel und Hypnotika zur Behandlung von Unfallfolgen verwandt worden sind. Nur das würde es ermöglichen, eine anschließende Abhängigkeitserkrankung als Folge des Unfallereignisses anzusehen. Das Gleiche gilt für eine somatoforme Schmerzstörung nach ICD-10 F45.4. Auch insoweit beschränkt sich die Sachverständige E allein darauf, davon auszugehen, dass die entsprechenden Symptome aus ihrer Sicht nachvollziehbar bereits im Vorfeld bestanden haben. Sie weist aber selbst in ihrem Gutachten z. B. auf Seite 42 darauf hin, dass in den Aktenunterlagen keine ausreichenden Beweise vorliegen, dass bereits nach dem Oktoberfestattentat ein Großteil der benannten Symptomatik bestand. Grundlage ihrer Einschätzung ist allein die Tatsache, dass sie den Bericht des Klägers, insbesondere hinsichtlich der Selbstmedikation, für nachvollziehbar hält. Dies genügt aber nicht den Beweisgrundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung. Darüber hinaus erwähnt die Sachverständige E aufgrund zusätzlicher Lebensbelastung im Fall des Klägers eine zusätzliche rezidivierende depressive Symptomatik, die zu bestimmten Zeitpunkten bestanden haben soll. Auch dies ermöglicht keine genaue Zuordnung.
Soweit der Kläger eine höhere MdE entsprechend den Erfahrungswerten geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass die Sachverständige E ihre MdE-Einschätzung bezogen auf die aktuell dokumentierte Situation in ihrem Gutachten nachvollziehbar begründet hat. Ihre MdE-Einschätzung von 30 v. H. ab September 2015 begründet sie damit, dass der Kläger damals eine schwache Störung im Bereich Anwendung seiner fachlichen Kompetenz und in der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit und der Fähigkeit zu außerberuflichen Aktivitäten aufwies. Eine mittelschwere Beeinträchtigung wird von ihr gesehen im Hinblick auf die Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen, Flexibilität und Umstellfähigkeit. Des Weiteren bezieht sie die Schlafstörungen ein. Sodann führt sie aus, dass aufgrund der Behandlung und der Verrentung ab 2019 eine Entlastung eingetreten und die MdE mit 20 v. H. zu beziffern sei. Dem folgt der Senat. Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers nicht. Soweit er auf den Zeitpunkt der Behandlung im Jahre 2015 hinweist, kommt es hierauf nicht an, weil Rentenbeginn aus den dargestellten Gründen erst der 1. Dezember 2017 ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.