Zur hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen Corona-Schutzimpfung (Janssen von Johnson&Johnson) und Myokarditis.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17. September 2024 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines geltend gemachten Impfschadens nach einer Corona-Schutzimpfung.
Der 1974 geborene Kläger wurde am 01.06.2021 mit dem Impfstoff Covid-19-Vaccine Janssen erstmalig geimpft (Johnson&Johnson). In der Zeit vom 07. bis 11.06.2021 wurde der Kläger mit Verdacht auf Myokarditits im Hospital zum Heiligen Geist behandelt. Vom 29.07. bis 04.08.2021 folgte ein weiterer stationärer Aufenthalt.
Am 16.10.2021 informierte der Kläger das Hessische Amt für Versorgung und Soziales über die diagnostizierte Myokarditis und übersandte Entlassungsberichte der Krankenhausaufenthalte sowie weitere Arztberichte. In dem von dem Beklagten übersandten Antragsformular für die Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden gab der Kläger an, dass er am 06.06.2021 ein Druckgefühl auf der Brust verspürt und beim Husten geblutet habe. In der Zeit nach der Impfung sei er abgeschlagen und müde gewesen. Er fühle sich kontinuierlich sehr schlapp.
Vom 25.10.2021 bis 22.11.2021 absolvierte der Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Martinusquelle. Ausweislich des Reha-Abschlussberichts wurde der Kläger arbeitsunfähig entlassen. Eine Wiedereingliederung sei eingeleitet worden. Aus kardiologischer Sicht könne der Kläger voraussichtlich seine bisher ausgeübte Tätigkeit weiterhin ausüben.
Der Beklagte forderte Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme ein. Dr. E. (Medizinaldirektorin und Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie) kam in ihrer Stellungnahme vom 14.03.2022 zu dem Ergebnis, dass nach Auswertung der Befundberichte nicht mehr für als gegen einen kausalen Zusammenhang der Myokarditis mit der Covid-Erstimpfung spreche. Im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang und den Verlauf sei nicht wahrscheinlich, dass die Impfung die Ursache der geltend gemachten Gesundheitsstörung sei. Laut Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 07.02.2022 seien nach Covid-19-Vaccine Janssen bis dato 33 Fälle von Myo-/Perkarditis bei Männern gemeldet worden. Unter Berücksichtigung der Hintergrundinzidenz einer Myokarditis von 38,59 Fällen pro 100.000 Personenjahre habe sich in der Altersgruppe kein Risikosignal ergeben. Eine alternative Ursachenklärung seitens der behandelnden Ärzte sei nicht erfolgt. Untypisch sei das Auftreten von Hämoptysen bei Milchglasverdichtung im CT. Dies passe nicht zur Anschuldigung einer Impfreaktion, sondern deute eher auf einen nicht hinreichend abgeklärten Infekt. Auch eine durchgemachte SARS-Cov-B19-Infektion sei nicht hinreichend als Ursache ausgeschlossen worden. Eine Abklärung z.B. hinsichtlich karidotroper Viren sei - bis auf einen PCR-Test auf Influenza im Rahmen der stat. Reha-Behandlung - nicht erfolgt. Es liege ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang der Myokarditis mit der Impfung vor. Nach Vorlage weiterer Befundberichte wurde mit versorgungsmedizinischer Stellungnahme vom 21.04.2022 an den Ergebnissen festgehalten.
Mit Bescheid vom 30.06.2022 lehnte der Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers ab. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und der Impfung sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Es sei ihm direkt nach der Impfung sehr schlecht gegangen. Er sei müde, erschöpft und körperlich eingeschränkt gewesen. Vor der Impfung sei er hingegen in einem körperlich guten Zustand gewesen. Ein Infekt habe nicht vorgelegen, er sei einen Tag vor der Impfung noch joggen gewesen. Ihm gehe es jetzt besser, die Herzfunktion sei aber weiterhin eingeschränkt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2022 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Weder eine außergewöhnliche Impfreaktion noch eine kausal daraus resultierende gesundheitliche Schädigung seien dokumentiert.
Am 27.09.2022 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Die behandelnden Ärzte hätten eine impfbedingte Myokarditis festgestellt. Seine Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen, die Pumpfunktion und EF-Leistung hätten sich nicht im Normalbereich befunden. Weiterhin leide er unter auf die Impfung zurückzuführenden Einschränkungen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Prof. Dr. H. (Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie, Intensivmedizin und Somnologie – Chefarzt im Marienkrankenhaus Kassel). Dieser kam in seinem Gutachten vom 05.01.2024 zu dem Ergebnis, dass es bei dem Kläger nach der Covid-Impfung zu einem Primärschaden in Form einer deutlich eingeschränkten linksventrikulären Funktion gekommen sei, die sich allerdings weitestgehend erholt habe. Eine andere Ursache als die Impfung komme nicht in Betracht. Es gäbe zwar ein allgemeines Risiko, an einer Myokarditis zu erkranken. Bei dem Kläger hätten aber vor und nach der Impfung keinerlei Symptome eines anderen Virusinfektes vorgelegen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Myokarditis sei deshalb hochwahrscheinlich. In den ersten 6 Monaten nach der Impfung habe der Grad der Schädigung (GdS) bei 100 gelegen, aktuell liege er zwischen 20 und 30.
Mit Urteil vom 17.09.2024 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2022 verurteilt festzustellen, dass bei dem Kläger durch die am 01.06.2021 durchgeführte Covid-19-Impfung als Impfschaden eine Myokarditis hervorgerufen wurde, die mit einem GdS von 20 ab Antragstellung zu bewerten ist.
§ 60 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) bestimme:
„Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die
1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a. gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2. auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3. gesetzlich vorgeschrieben war oder
4. auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.“
Als anspruchsbegründende Tatsachen müssten die schädigende Einwirkung (Impfung) die daraus resultierende gesundheitliche Schädigung (unübliche Impfreaktion) sowie die Schädigungsfolge (Dauerleiden) im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R; Bayerisches LSG, Urteil vom 25.07.2017 - L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 - L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 - L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad sei es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststünden. Ausreichend, aber auch erforderlich sei jedoch ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch am Vorliegen der Tatsachen zweifele (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R) und somit eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliege (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92).
Die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette folge hingegen der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977 - 9 RV 12/77, vom 08.05.1981 – 9 RV 24/80, vom 20.07.2005 - B 9a V 1/05 R - und vom 18.05.2006 - B 9a V 6/05 R). Diese beruhe auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach sei jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich würden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hätten. Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalkette reiche nach § 61 Satz 1 IfSG der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus. Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründe dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukomme (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spreche (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 - 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 - 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 - 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Nicht ausreichend sei dagegen eine bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 - 9 RV 610/66 - und vom 07.04.2011, a.a.O.). Dabei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, ob ein enger zeitlicher Zusammenhang vorliege (SG Kassel, Urteil vom 24.09.2012 – S 6 VJ 24/06 –, juris Rn. 145).
Rechts- bzw. Bewertungsgrundlage zur Feststellung von Schädigungsfolgen und des GdS sei § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit der am 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG sei der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt seien, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS sei nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS werde vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG).
Vorliegend sei der ursächliche Zusammenhang zwischen der Myokarditis und der Impfung mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. H. habe überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Diagnose einer Herzmuskelentzündung eindeutig bewiesen sei. Andere Ursachen lägen bei dem Kläger nicht vor. Insbesondere seien Viruserkrankungen ausgeschlossen worden. Der Kläger habe auch weder vor noch nach der Impfung Symptome eines Virusinfektes gehabt. Hinzu komme, dass die Herzmuskelentzündung wenige Tage nach der Impfung aufgetreten sei. Es gäbe zwar ein allgemeines Risiko, an einer Myokarditis zu erkranken, aufgrund dieser Eigenarten des Falles sei der kausale Zusammenhang zwischen der Impfung und der Myokarditis hochwahrscheinlich. Diese Ausführungen mache sich die Kammer zu eigen. Es spreche mehr für als gegen einen kausalen Zusammenhang. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs und der Tatsache, dass der Kläger vor der Impfung keinerlei Symptome eines anderweitigen Infekts gehabt habe, handele es sich hier nicht nur um die bloße Möglichkeit, dass die Myokarditis auf die Impfung zurückzuführen sei.
Ein GdS von 20 sei angemessen und ausreichend, um die Folgen des Impfschadens umfassend abzubilden. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass der Kläger zwar im Rahmen der akuten Herzmuskelentzündung unter erheblichen Einschränkungen seiner Belastbarkeit, Luftnot und Schwäche leide, diese Symptome sich aber seit November 2021 deutlich gebessert hätten und aktuell nur noch eine 20 bis 30prozentige Reduktion der Leistungsfähigkeit bestehe. Der GdS setze eine nicht nur vorübergehende, sondern eine sich über sechs Monate erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Grundlage des GdS sei daher vorliegend die noch reduzierte Leistungsfähigkeit des Herzens (siehe Teil B Ziff. 9.1. der VMG), die mit einem GdS von 20 zu bewerten sei.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 27.09.2024 zugestellte Urteil am 14.10.2024 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Das Gutachten von Prof. Dr. H. sei nicht verwertbar. Es fehle an einer präzisen Beschreibung der methodischen Herangehensweise. So bleibe völlig unklar, welche Verfahren verwendet worden seien und weshalb diese für die Begutachtung des konkreten Falles geeignet sein sollten. Der Sachverständige habe nicht objektiv und nachvollziehbar wissenschaftlich - insb. unter Angabe der Quellen - dargelegt, worauf seine Aussagen basieren. Eine Bezugnahme auf wissenschaftlich anerkannte Leitlinien und die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sei nicht erfolgt. Der Sachverständige nenne weder spezifische Studien noch aktuelle medizinische Standards, die seine Einschätzung stützen könnten. Ferner setze sich das Gutachten nicht hinreichend mit der kardiologischen Vorgeschichte des Klägers auseinander, was aber nach C 3.4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze erforderlich wäre. Ferner sei der Sachverständige bei der Bestimmung des GdS nicht auf die individuellen Umstände des Klägers eingegangen. Stattdessen habe er sich auf pauschale und oberflächliche Feststellungen beschränkt, ohne deren konkrete Auswirkungen auf den Alltag des Klägers zu erläutern.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 17.09.2024 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Das Gutachten von Prof. Dr. H. sei schlüssig und widerspruchsfrei.
Der Senat hat ein Gutachten von Prof. Dr. M. (Leiterin der Infektiologie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main) eingeholt. Die Sachverständige hat unter dem 23.04.2025 ausgeführt:
„Von 06/2021 bis 08/2021 lag bei Herrn A. eine akute Myokarditis, bzw. eine abheilende Myokarditis vor. Im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahme von 10-11/2021 bestand nur noch eine geringe Aktivität der Myokarditis mit nur noch leichtgradiger Einschränkung der Belastbarkeit. Zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung im Rahmen des Gutachtens aus dem Jahr 2023 lag im Anschluss an eine stattgehabte Myokarditis eine nur noch leichtgradig eingeschränkte Pumpfunktion und eine kaum noch eingeschränkte Belastbarkeit vor. (...)
Wie Herr Prof. Dr. med. H. bereits in seinem Gutachten vom 01.04.2025 dargelegt hat, wurde eine koronare Herzerkrankung als alternative Ursache für die akute und persistierende Symptomatik von Herrn A. per Herzkatheter ausgeschlossen. Auf Basis der auffälligen Befunde (typische Symptomatik, eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion, erhöhtes Troponin T und NT-proBNT, MRT Befund des Herzens) kann eine Myokarditis diagnostiziert werden (Martens et al. J Am Heart Assoc. 2023 Sep 5;12(17):e031454.). Es stellt sich nun die Frage, ob diese Myokarditis durch die Impfung, eine Infektion oder einen anderen Auslöser bedingt war.
In diesem Kontext muss die Wahrscheinlichkeit einer durch COVID 19 selbst bedingten Myokarditis diskutiert werden. Natürlich kann auf Basis dieser Abwägung kein “eindeutiger Beleg“, wie es in diesem Schreiben formuliert ist, generiert werden, aber es kann eine Wahrscheinlichkeitsabwägung nach den vorgegebenen Kriterien erfolgen. Das Risiko, nach einer Impfung mit dem COVID-19-lmpfstoff von Johnson & Johnson (Janssen) eine Myokarditis zu entwickeln, ist mit <1/100.000 Personen gering (CDC ACIP Reports: Adverse Events Following Janssen COVID-19 Vaccine). Im Gegensatz dazu wurden mRNA-lmpfstoffe, wie sie von Pfizer-BioNTech und Moderna entwickelt wurden, mit einer höheren Inzidenz von Myokarditis in Verbindung gebracht, insbesondere nach der zweiten Dosis und bei jüngeren Männern (Buoninfante et al.Vaccines 9, 122 (2024). https://doi.org/10.1038/s41541-024-00893-1.) Im Vergleich zu beiden Impfungen ist das Risiko einer Myokarditis nach einer COVID-19 Infektion deutlich höher. Eine in der Fachzeitschrift der American Heart Association veröffentlichte Studie ergab, dass Personen, die mit COVID-19 infiziert waren, ein 1-mal höheres Risiko hatten, an Myokarditis zu erkranken, als nach einer COVID-19 Impfung (Patone et al. Circulation. 2022 Sep 6;146(10):743-754. doi: 10.1 161/CIRCULATIONAHA.122.059970. Epub 2022 Aug 22. PMID: 35993236; PMCID: PMC9439633). Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass bei COVID-19-lmpfstoffen, einschließlich des Impfstoffs von Johnson & Johnson, zwar ein geringes Myokarditis-Risiko besteht, dieses Risiko jedoch deutlich geringer ist als das Risiko einer Myokarditis nach einer COVID-19-lnfektion.
Neben den potentiellen Auslösern „Impfung“ und „Infektion“ sind andere Ursachen einer Myokarditis, z.B. durch eine Autoimmunerkrankung bedingt noch deutlich seltener. Wiederum andere Ursachen, wie z.B. eine toxische Einwirkung oder eine durch Arrhythmien oder einen Myokardinfarkt ausgelöste Myokarditis sind mit der Anamnese und den erhobenen Befunden nicht gut vereinbar. Herr A. wurde im Rahmen des initialen stationären Aufenthaltes, also eine Woche nach der Impfung, negativ auf COVID-19 getestet und er zeigte keine Symptome einer respiratorischen Infektion. Infektionen mit anderen respiratorischen Viren als SARS-COV2 waren zu diesem Zeitpunkt sehr selten. Die Grippe, also die bis zur Pandemie häufigste virale respiratorische Erkrankung erreichte laut Daten des Robert Koch Institutes in 2021 eine außerordentlich niedrige Inzidenz von nur 1,36/100.000 Einwohner in Bezug auf das gesamte Jahr. Im Juni ist außerdem normalerweise eine besonders niedrige Inzidenz im Vergleich zur kalten Jahreszeit zu erwarten. Was jedoch aus meiner Sicht nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist das Auftreten einer Myokarditis im Anschluss an eine asymptomatisch verlaufende COVID-19 Infektion. Seit Beginn der Pandemie wurde die Existenz solcher asymptomatischeren Fälle gut dokumentiert (Hoehl et al. Evidence of SARS-CoV-2 Infection in Returning Travelers from Wuhan, China. N Engl J Med. 2020 Mar 26;382(1 3): 1278-1280. doi: 10.1056/NEJMc2001899). Theoretisch wäre es denkbar, dass Herr A. bereits kurz vor oder zum Zeitpunkt der Impfung eine COVID-19 Infektion durchgemacht hätte.
Da es sich bei einer Myokarditis um eine entzündliche Reaktion des Herzmuskels handelt, die auch noch Wochen nach Beginn persistieren kann (Fairweather et al. Circ Res. 2023 May 12; 132(10): 1302-1 31 9. doi: 10.1 161/CIRCRESAHA.123.321878. Epub 2023 May 11. PMID: 37167363; PMCID: PMC10171304.), hätte die am 07.06.2021 diagnostizierte Myokarditis entsprechend auch immer noch Folge einer solchen Infektion sein können, obwohl kein Virus mehr nachweisbar war. Zusammenfassend kann auf Basis der vorliegenden Befunde nur die Diagnose der Myokarditis als gesichert angesehen werden. Für die finale Abwägung der Wahrscheinlichkeit einer Ursache für diese Myokarditis sind drei Punkte besonders relevant:
1) Zum Zeitpunkt der Myokarditis war das grundsätzliche Risiko - ohne Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Falles - basierend auf einer COVID-19 Infektion eine Myokarditis zu entwickeln, deutlich höher als das Risiko, eine Myokarditis auf dem Boden einer COVID-19 Impfung zu entwickeln.
2) Das Risiko, im Anschluss an eine Impfung mit dem Präparat von Johnson & Johnson (Janssen) eine Myokarditis zu entwickeln war im Vergleich zu Vektorimpfstoffen besonders niedrig.
3) Myokarditiden können auch nach Ablauf einer akuten Infektion noch über Wochen und Monate persistieren.
Die Hypothese, dass die Myokarditis von Herrn A. durch die vorhergehende COVID-19 Impfung ausgelöst wurde, ist damit plausibel. Sie ist dadurch aber nicht automatisch die wahrscheinlichste Erklärung für das Entstehen der Myokarditis. Basierend auf den Punkten 1-3 komme ich daher zum Schluss, dass nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht mehr für als gegen die Impfung als Auslöser für die Myokarditis spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände nicht deutlich überwiegen. (...)
Basierend auf den vorliegenden Befunden ergibt sich kein Anhalt für die Beteiligung anderer Bedingungen an den beschriebenen Gesundheitsstörungen. Die stattgehabten Pulmonalvenenisolationen und der bekannte Hypertonus sind keine Risikofaktoren für die Entstehung einer Myokarditis.
Eine Pulmonalvenenisolation kann akut eine Herzmuskelentzündung auslösen, aber die Eingriffe lagen lange zurück. In der Rehabilitationsklinik wurde im Oktober 2024 der V.a. ein Asthma bronchiale gestellt. Allerdings hat dies keinen Effekt auf die EF und prädisponiert nicht für das Entstehen einer Myokarditis. Alle Parameter, anhand derer das Ausmaß der Myokarditis objektiviert werden konnte (EF, Troponin, NT pro BNT, kardiales MRT), sind durch das Asthma nicht beeinflussbar, sodass dieses aus meiner Sicht keine Rolle für die nach der Impfung neu aufgetretenen und auch diagnostisch objektivierbaren Beschwerden hat. Es ist zwar möglich, dass die subjektiven Beschwerden durch ein Asthma bronchiale verstärkt wurden. Begutachtet man aber nur die objektivierbaren Informationen, dann kann hier kein Zusammenhang festgestellt werden.“
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anwendung der zum 01.01.2024 in Kraft getretenen Regelungen des Sozialgesetzbuchs Vierzehntes Buch (SGB XIV) steht die Übergangsregelung gemäß § 142 Abs. 2 SGB XIV entgegen. Hiernach ist über einen bis zum 31.12.2023 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) oder nach einem Gesetz, das das BVG ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden. Wird hierbei ein Anspruch festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 erbracht. Über den vor dem 01.01.2024 gestellten Antrag ist noch keine bestandskräftige Entscheidung getroffen worden, so dass grundsätzlich das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anwendbar ist. Wie vom Sozialgericht zutreffend angenommen bestimmt sich die Rechtsgrundlage daher nach den Vorschriften des IfSG und des BVG in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage sowie der Voraussetzungen an den Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsachen sowie des Ursachenzusammenhangs nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass bei allen medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand maßgebend ist, welcher die Grundlage bildet, auf welcher die geltend gemachten Gesundheitsstörungen der konkret geschädigten Personen zu bewerten sind. Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung im sozialen Entschädigungsrecht und damit auch im Impfschadensrecht (vgl. BSG, Urteile vom 17.12.1997 - 9 RVi 1/95 -, SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3 und vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 9, Rz. 25) und im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <200 f.> und vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 6, Rz. 20; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 VJ 1460/13 -, juris, Rz. 66). Dieser Erkenntnistand ergibt sich indes noch nicht durch wissenschaftliche Einzelmeinungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 6, Rz. 21). Zudem muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R -, SozR 4-3851 § 60 Nr. 4, Rz. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2022 - L 6 VJ 254/21 -, juris, Rz. 60 und Urteil vom 05.06.2025 - L 6 VE 1042/24 -, juris, Rn. 70).
Vor diesem Hintergrund ist vorliegend nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass die Myokarditis durch die streitige COVID-19-Impfung hervorgerufen worden ist.
Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des Gutachtens von Prof. Dr. M. Die Sachverständige hat unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen überzeugend dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Myokarditis das grundsätzliche Risiko, basierend auf einer COVID-19-Infektion eine Myokarditis zu entwickeln, deutlich höher war als das Risiko, eine Myokarditis auf dem Boden einer COVID-19-Impfung zu entwickeln. Das Risiko, im Anschluss an eine Impfung mit dem Präparat von Johnson & Johnson (Janssen) eine Myokarditis zu entwickeln, hat sie im Vergleich zu Vektorimpfstoffen zudem als besonders niedrig bezeichnet.
Darüber hinaus hat Prof. Dr. M. ausgeführt, dass Myokarditiden auch nach Ablauf einer akuten Infektion noch über Wochen und Monate persistieren können. Entsprechend kann die am 07.06.2021 bei dem Kläger diagnostizierte Myokarditis auch Folge einer solchen Infektion gewesen sein, obwohl kein Virus mehr nachweisbar war.
Die Hypothese, dass die Myokarditis des Klägers durch die vorhergehende COVID-19-Impfung ausgelöst wurde, ist damit zwar plausibel, aber nicht die wahrscheinlichste Erklärung für das Entstehen der Myokarditis. Die Schlussfolgerung der Sachverständigen, dass nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht mehr für als gegen die Impfung als Auslöser für die Myokarditis spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände nicht deutlich überwiegen, ist überzeugend. Sie entspricht der versorgungsmedizinischen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie Dr. E. und wird von dem Senat geteilt.
Demgegenüber ist dem Gutachten von Prof. Dr. H. nicht zu folgen. Seinen Darlegungen und Schlussfolgerungen fehlt es an wissenschaftlich fundierten Nachweisen. Darüber hinaus hat er in seine Überlegungen nicht einbezogen, dass Myokarditiden auch nach Ablauf einer akuten Infektion noch über Wochen und Monate persistieren können. Er hat sich vielmehr darauf bezogen, dass eine COVID-19-lnfektion bei dem Kläger eindeutig ausgeschlossen worden sei. Insoweit hat Prof. Dr. M. jedoch überzeugend ausgeführt, dass das Auftreten einer Myokarditis im Anschluss an eine asymptomatisch verlaufende COVID-19-Infektion keineswegs sicher ausgeschlossen werden kann. Seit Beginn der Pandemie ist die Existenz solcher asymptomatischen Fälle gut dokumentiert worden. Es ist daher möglich, dass der Kläger bereits kurz vor oder zum Zeitpunkt der Impfung eine COVID-19-Infektion durchgemacht hat. Da das Myokarditis-Risiko in Folge einer COVID-19-lmpfung deutlich geringer ist als das Risiko einer Myokarditis nach einer COVID-19-lnfektion, ist dies vorliegend von besonderer Relevanz für die Frage des wahrscheinlichen Zusammenhangs. Es spricht eben nicht mehr für eine Verursachung der Myokarditis durch die COVID-19-lmpfung als durch eine (asymptomatische) COVID-19-lnfektion.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.