Der Bescheid vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2022 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt festzustellen, dass bei dem Kläger durch die am 1.6.2021 durchgeführte Covid-19-Impfung als Impfschaden eine Myokarditis hervorgerufen wurde, die mit einem GdS von 20 ab Antragstellung zu bewerten ist.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) i.V.m. Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1974 geborene Kläger wurde am 1.6.2021 geimpft (Johnson&Johnson-Impfstoff). Es handelte sich um die Erstimpfung, die in der Praxis Dr. C. in C-Stadt durchgeführt wurde. Am 7.6.2021 wurde der Kläger in das Hospital zum Heiligen Geist eingewiesen.
Am 16.10.2021 wandte sich der Kläger an das Hessische Amt für Versorgung und Soziales und teilte mit, dass bei ihm eine Myokarditis festgestellt worden sei. Er fügte Entlassungsberichte der Krankenhausaufenthalte sowie weitere Arztberichte an und bat um Informationen, wie weiter zu verfahren sei.
Der Beklagte übersandte daraufhin das Antragsformular für die Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden, das der Kläger ausgefüllt zurück an den Beklagten übersandte. In diesem führte der Kläger aus, dass er am 6.6.2021 ein Druckgefühl auf der Brust verspürt habe und er beim Husten geblutet habe. In der Zeit nach der Impfung sei er abgeschlagen und müde gewesen. Er fühle sich kontinuierlich sehr schlapp.
Der Kläger absolvierte vom 25.10.2021 bis 22.11.2021 eine Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik Martinusquelle. Am 28.12.2021 übersandte der Kläger den Reha-Abschlussbericht. Der Kläger wurde ausweislich des Berichtes arbeitsunfähig entlassen. Eine Wiedereingliederung sei bereits eingeleitet worden. Aus kardiologischer Sicht könne der Kläger voraussichtlich seine bisher ausgeübte Tätigkeit weiterhin ausüben.
Der Beklagte forderte Befundberichte bei den behandelnden Ärzt*innen ein und beauftragte im Anschluss den Ärztlichen Dienst mit einer versorgungsärztlichen Stellungnahme.
Frau Dr. E., Medizinaldirektorin und Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, kam in ihrer Stellungnahme vom 14.3.2022 zu dem Ergebnis, dass nach Auswertung der Befundberichte nicht mehr für als gegen einen kausalen Zusammenhang der Myokarditis mit der Covid-Erstimpfung spreche. Im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang und den Verlauf sei nicht wahrscheinlich, dass die Impfung die Ursache der geltend gemachten Gesundheitsstörung sei. Eine alternative Ursachenklärung sei nicht erfolgt. Untypisch sei das Auftreten von Hämoptysen bei Milchglasverdichtung im CT. Dies passe nicht zur Anschuldigung einer Impfreaktion, sondern deute eher auf einen nicht hinreichend abgeklärten Infekt. Auch die durchgemachte SARS-Cov-B19- Infektion sei nicht hinreichend als Ursache ausgeschlossen worden. Die Ergebnisse dieser Stellungnahme wurde nach Vorlage weiterer Befundberichte in der versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 21.4.2022 aufrechterhalten.
Daraufhin lehnte der Beklagte unter Bezugnahme auf die versorgungsmedizinische Stellungnahme den Antrag mit Bescheid vom 30.6.2024 ab. Die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen seien schlüssig, sodass ein Kausalzusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und der Impfung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen sei. Eine Versorgung nach dem IfSG könne daher nicht gewährt werden.
Dagegen wandte sich der Kläger zunächst per E-Mail vom 8.7.2022. Der Beklagte teilte daraufhin mit, dass der Kläger seine Unterschrift ergänzen müsse und eine Begründung benötigt werde.
Der Kläger teilte in einem Schreiben, welches am 25.8.2022 beim Beklagten einging, mit, dass es ihm direkt nach der Impfung sehr schlecht gegangen sei. Er sei müde, erschöpft und körperlich eingeschränkt gewesen. Vor der Impfung sei er in einem körperlich guten Zustand gewesen. Aus seiner Sicht habe auch kein Infekt vorgelegen, er sei einen Tag vor der Impfung noch joggen gewesen. Es gehe ihm jetzt besser, es läge aber weiterhin eine eingeschränkte Herzfunktion vor.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2022 als unbegründet zurückgewiesen. Die Ablehnung des Antrages sei weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen zu beanstanden. Es sei weder eine außergewöhnliche Impfreaktion dokumentiert noch eine daraus resultierende gesundheitliche Schädigung.
Der Kläger hat am 27.9.2022 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Die behandelnden Ärzte seien davon ausgegangen, dass eine impfbedingte Myokarditis vorliege. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei eingeschränkt gewesen, die Pumpfunktion und EF-Leistung des Klägers hätten sich nicht im Normalbereich befunden. Auch heute leide der Kläger weiterhin unter den Einschränkungen. Diese seien auf die Impfung zurückzuführen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen festzustellen, dass der Kläger einen Anspruch auf Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz hat.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen der angegriffenen Bescheide verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten und eines Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG bei Chefarzt Prof. Dr. med. H., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Angiologie, Intensivmedizin und Somnologie. Dieser kam in seinem Gutachten vom 5.1.2024 zu dem Ergebnis, dass es nach der Covid-Impfung zu einem Primärschaden in Form einer deutlich eingeschränkten linksventrikulären Funktion gekommen ist, die sich allerdings weitestgehend erholt habe. Eine andere Ursache als die Impfung komme nicht in Betracht. Es gäbe zwar ein allgemeines Risiko, an einer Myokarditis zu erkranken, bei dem Kläger lagen aber vor und nach der Impfung keinerlei Symptome eines anderen Virusinfektes vor. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der Myokarditis sei deshalb hochwahrscheinlich. Der Grad der Schädigung betrage 20-30.
Wegen des übrigen Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die mit übersandte Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 30.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2022. Diese Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf die Feststellung einer Myokarditis als Impfschaden und die Gewährung einer Entschädigung.
Rechtsgrundlage ist § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung und nicht § 24 SGB XIV. Denn gemäß § 141 Satz 1 SGB XIV erhalten Personen, die wie der Kläger vor dem Inkrafttreten dieses Buches am 01.01.2024 geschädigt worden sind, Leistungen nach diesem Buch, wenn die Voraussetzungen nach § 60 IfSG in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung erfüllt waren.
§ 60 Abs. 1 S. 1 IfSG bestimmt:
„Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die
1.von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.“
Als anspruchsbegründende Tatsachen müssen die schädigende Einwirkung (Impfung) die daraus resultierende gesundheitliche Schädigung (unübliche Impfreaktion) sowie die Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sein.
Diese drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein (ständige Rspr., vgl. BSG, Urteile vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R; BayLSG, Urteil vom 25.07.2017 - L 20 VJ 1/17; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014 - L 1 VE 12/09; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.07.2016 - L 13 VJ 19/15). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist jedoch ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R) und somit eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 - 9/9a RV 1/92).
Die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen den drei Gliedern der Kausalitätskette folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977 - 9 RV 12/77, vom 08.05.1981 - 9 RV 24/80, vom 20.07.2005 - B 9a V 1/05 R - und vom 18.05.2006 - B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen den drei Gliedern der Kausalkette reicht nach § 61 Satz 1 IfSG der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus.
Eine potentielle, versorgungsrechtlich geschützte Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977 - 10 RV 15/77), also mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteile vom 19.08.1981 - 9 RVi 5/80, vom 26.06.1985 - 9a RVi 3/83, vom 19.03.1986 - 9a RVi 2/84, vom 27.08.1998 - B 9 VJ 2/97 R - und vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 26.11.1968 - 9 RV 610/66, und vom 07.04.2011, a.a.O.). Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob ein enger zeitlicher Zusammenhang vorliegt (siehe SG Kassel, Urteil vom 24. September 2012 – S 6 VJ 24/06 –, juris Rn. 145).
Rechts- bzw. Bewertungsgrundlage zur Feststellung von Schädigungsfolgen und des GdS ist § 30 Abs. 1 BVG in Verbindung mit der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen.
Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30.
Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen. Insbesondere ist die Kammer davon überzeugt, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der Myokarditis und der Impfung mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Dies schließt die Kammer insbesondere aus den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. H. Die Kammer hat keine Zweifel an der Verwertbarkeit des Gutachtens. Die Kammer hat weder Zweifel an der Eignung des Sachverständigen noch hält es das Gutachten für mangelhaft.
Der Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Diagnose einer Herzmuskelentzündung eindeutig bewiesen ist. Andere Ursachen würden bei dem Kläger nicht vorliegen. Insbesondere seien Viruserkrankungen ausgeschlossen worden. Der Kläger habe vorher auch weder vor noch nach der Impfung Symptome eines Virusinfektes gehabt. Hinzu komme, dass die Herzmuskelentzündung wenige Tage nach der Impfung aufgetreten sei. Es gäbe daher zwar ein allgemeines Risiko, an einer Myokarditis zu erkranken, aufgrund dieser Eigenarten des Falles sei der kausale Zusammenhang zwischen der Impfung und der Myokarditis hochwahrscheinlich. Diese Ausführungen macht sich die Kammer zu eigen.
Ausgehend von den bereits dargelegten Grundsätzen und den Feststellungen des Sachverständigen ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass mehr für als gegen einen kausalen Zusammenhang spricht. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs und der Tatsache, dass der Kläger vor der Impfung keinerlei Symptome eines anderweitigen Infekts hatte, handelt es sich hier nach Auffassung der Kammer nicht nur um die bloße Möglichkeit, dass die Myokarditis auf die Impfung zurückzuführen ist, sondern die Kammer hält es für hinreichend wahrscheinlich, dass die Myokarditis Folge der Impfung ist.
Die Kammer ist ferner zu der Auffassung gelangt, dass ein GdS von 20 angemessen und ausreichend ist, um die Folgen des Impfschadens umfassend abzubilden. Dabei berücksichtigt die Kammer im Rahmen der eigenen Prüfung insbesondere auch die Einschätzung des Sachverständigen. Der Sachverständige führt aus, dass der Kläger zwar im Rahmen der akuten Herzmuskelentzündung unter erheblichen Einschränkungen seiner Belastbarkeit, Luftnot und Schwäche litt, diese Symptome sich aber seit November 2021 deutlich gebessert haben und aktuell nur noch eine 20-30 prozentige Reduktion der Leistungsfähigkeit bestünde. Auch der Kläger selbst hat eine wesentliche Verbesserung der Gesundheitsbeeinträchtigungen vorgetragen. Nach alldem ist die Kammer davon überzeugt, dass die Festsetzung eines GdS von 20 angemessen ist. Denn der GdS setzt eine nicht nur vorübergehende, sondern eine über sechs Monate erstreckende Gesundheitsstörung voraus. Grundlage des GdS ist daher vorliegend die noch reduzierte Leistungsfähigkeit des Herzens (siehe Teil B Ziff. 9.1. der VMG), die mit einem GdS von 20 zu bewerten ist.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.