L 9 AS 114/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 88/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 114/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 24/25 B
Datum
Kategorie
Urteil


I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2023 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme der Bewilligungen von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 19. Januar 2019, gegen die abschließende Festsetzung des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. August 2018 und vom 1. September 2018 bis 18. Januar 2019 sowie gegen die Erstattung von insgesamt 4.956,00 Euro für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2018.

Die 1968 geborene Klägerin stand im Leistungsbezug des Beklagten und teilte diesem bei einer persönlichen Vorsprache am 16. April 2018 mit, aufgrund einer Erbauseinandersetzung mit ihren Geschwistern im Mai 2018 eine Erbauszahlung zu erwarten. Nach dem notariellen Vertrag vom 5. April 2018 stand der Klägerin im Zuge einer Erbauseinandersetzung ein Anteil von 22.667,00 Euro zu, welcher an ihren prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt gezahlt werden sollte. Am 17. April 2018 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Ihr Prozessbevollmächtigter teilte am 14. Mai 2018 mit, es sei nunmehr ein Geldeingang auf seinem Konto im Rahmen der Erbauseinandersetzung i.H.v. 22.667,00 Euro am 11. Mai 2018 zu verzeichnen gewesen, welchen er der Klägerin in bar auszahlen werde. Nachdem der Beklagte zunächst der Klägerin mit Schreiben vom 16. Mai 2018 in Aussicht gestellt hatte, dass eine Ablehnung des Leistungsantrags wegen des im Zuge der Erbauszahlung erhaltenen Betrages beabsichtigt sei, teilte die Klägerin - nach erneutem Antrag auf Leistungen vom 25. Mai 2018 - mit einer handschriftlichen Eingabe mit, sie sei am Sonntag, dem 20. Mai 2018, in ihrer Wohnung „beklaut“ worden. Den Geldbeutel mit dem Erbe in bar i.H.v. rund 22.000,00 Euro, welcher sich in ihrer Handtasche auf dem Küchentisch in ihrer Wohnung befunden habe, habe der Einbrecher mitgenommen. Dies sei geschehen, als sie Müll in einen dafür vorgesehenen Nebenraum ihrer Wohnung gebracht habe. Sie habe bei der Polizei in D-Stadt Anzeige erstattet. Der Beklagte forderte die Klägerin am 28. Mai 2018 zur Mitwirkung auf und verlangte Auszüge ihres Girokontos sowie die Vorlage einer Durchschrift der Strafanzeige und eine Erläuterung zu der Frage, warum sie einen solch hohen Geldbetrag in bar in ihrer Wohnung aufbewahrt habe. Hierzu erklärte die Klägerin am 5. Juni 2018 schriftlich, die Barauszahlung sei deswegen erfolgt, weil sie Pfändungen unterliege und daher eine Einzahlung auf dem Girokonto vermeiden wollte. Nach einer weiteren persönlichen Vorstellung der Klägerin bei dem Beklagten am 12. Juni 2018 legte die Klägerin die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft vom 30. Mai 2018 wegen eines Wohnungseinbruchdiebstahles vor. Ferner legte sie den Kontoauszug vom 11. Mai 2018 ihres Prozessbevollmächtigten vor, aus dem sich die Überweisung des Betrages von 22.667,00 Euro auf das Konto des Rechtsanwaltes ergab. In der strafrechtlichen Anzeige hatte sie demnach erklärt, sie sei am 22. Mai 2018 gegen ca. 20:00 Uhr damit beschäftigt gewesen, die Abfalltonne in ca. fünf Meter Entfernung in einem separaten Raum aufzusuchen. Bei ihrer Rückkehr in ihre Wohnung sei die Handtasche mit dem Geldbetrag und dem Handy fort gewesen. Hierzu nannte sie eine konkrete Person als Verdächtigen und legte ein Selbstbezichtigungsschreiben dieser Person vor. Sie legte ferner eine Quittung an ihren Prozessbevollmächtigten vor, wonach dieser ihr den Geldbetrag von 22.667,00 Euro ausgezahlt hatte. Gleichzeitig legte sie den beim Amtsgericht Friedberg gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 8. Juni 2018 vor, mit dem sie den von ihr des Diebstahls Beschuldigten ein Näherungsverbot auferlegen lassen wollte. Hierzu versicherte die Klägerin handschriftlich am 8. Juni 2018, sie werde von der bezeichneten Person bedroht und belästigt.

Nach einem Vermerk des Beklagten vom 12. Juni 2018 sei der Klägerin keine vollständige Unglaubwürdigkeit zu unterstellen, sodass eine Leistungsbewilligung in Betracht komme. Mit Bescheid vom 12. Juni 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin antragsgemäß vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. August 2018. Mit weiterem Bescheid vom 3. August 2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig antragsgemäß Leistungen für die Zeit vom 1. September 2018 bis 28. Februar 2019.

Nach der Kenntnisnahme von einem Zwischenbericht der Polizeistation D-Stadt vom 19. Oktober 2018, wonach der Wohnungsdiebstahl zweifelhaft sei, das Vorbringen der Klägerin von Seiten der Polizei nach Wohnungsdurchsuchung bei der Klägerin als nicht glaubhaft angesehen worden war und der Verdacht auf Vortäuschung einer Straftat seitens der Klägerin wegen des Diebstahles im Raum stand, stellte der Beklagte am 20. November 2018 die Zahlung der bewilligten Leistungen an die Klägerin vorläufig wegen vorhandenen Vermögens ab dem 1. Dezember 2018 ein. Die Klägerin erklärte am 16. November 2018 persönlich bei dem Beklagten, über kein Vermögen zu verfügen. Der Beklagte hörte die Klägerin zur beabsichtigten Leistungsaufhebung am 27. November 2018 an. Die Klägerin legte am 8. Dezember 2018 eine eidesstattliche Versicherung vor, über kein Vermögen zu verfügen. Ferner teilte sie am 4. Januar 2019 mit, keine finanziellen Mittel mehr zu ihrer Verfügung zu haben. Sie legte Kontoauszüge für die Zeit von Oktober bis Dezember 2018 vor. Ferner stellte sie einen Weiterbewilligungsantrag auf Leistungen nach dem SGB II am 8. Januar 2019.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2019 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 1. Dezember 2018 in vollem Umfang zurück. Die Rücknahme stützte er auf die Vorschrift des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Den Widerspruch des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21. Januar 2019 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2019 (W XX1/19) zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 15. Februar 2019 Klage bei dem Sozialgericht Gießen erhoben (Aktenzeichen S 25 AS 88/19). Im Rahmen eines von der Klägerin angestrengten Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz erging am 7. Mai 2019 ein Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes (Az. L 9 AS 52/19 B ER), mit dem das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin vom 21. Januar 2019 gegen den Rücknahmebescheid vom 16. Januar 2019 anordnete, soweit der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 3. August 2018 für den Zeitraum vom 1. Dezember 2018 bis zum 18. Januar 2019 aufgehoben hatte, weil aufgrund der vorläufigen Leistungsbewilligung keine rechtliche Befugnis des Beklagten bestanden habe, die Leistungsaufhebung gestützt auf § 45 SGB X vorzunehmen. Daraufhin erließ der Beklagte am 16. Mai 2019 einen Bescheid, mit dem er unter Ausführung des Beschlusses des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Mai 2019 den Rücknahmebescheid vom 16. Januar 2019 insoweit änderte, als er lediglich die Leistungsbewilligung noch für die Zukunft ab dem 19. Januar 2019 gemäß § 41a Abs. 2 Satz 4 SGB II aufhob.

Mit weiterem Bescheid vom 16. Januar 2019 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin ab. Den Widerspruch des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22. Januar 2019 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2019 (W XX2/19) ab, weil die Klägerin aufgrund ihres Vermögens nicht hilfebedürftig sei. Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 15. Februar 2019 Klage beim Sozialgericht Gießen (Aktenzeichen S 25 AS 92/19) erhoben.

Im Januar 2019 ging bei dem Beklagten der Beschluss der Staatsanwaltschaft Gießen vom 8. November 2018 ein, wonach das Ermittlungsverfahren gegen die von der Klägerin verdächtigte Person mangels Tatverdachtes eingestellt wurde. Hiernach war die Strafverfolgung aufgrund bewusst falscher Angaben der Klägerin einzustellen. Auch das Selbstbezichtigungsschreiben der verdächtigten Person sei von der Klägerin selbst verfasst worden. Die Staatsanwaltschaft Gießen leitete gegen die Klägerin ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung ein.

Hiernach zog die Klägerin aus dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten fort, nachdem sie zum 15. April 2019 eine Wohnung in der C-Straße in C-Stadt angemietet hatte. Ihr wurden auf ihren dortigen Antrag mit Bescheid des nunmehr für sie örtlich zuständigen Jobcenters Lahn/Dill vom 17. April 2019 Leistungen für die Zeit ab dem 15. April 2019 bewilligt.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2019 setzte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2018 endgültig auf Null fest, weil wegen Vermögens der Klägerin ein Leistungsanspruch nicht bestanden habe. Der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin erhobene Widerspruch vom 20. Mai 2019 wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2019 (W XX3/19) zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Gießen zum Aktenzeichen S 29 AS 474/19 (späteres S 29 AS 36/23) Klage erhoben.

Den aufgrund der abschließenden Festsetzung ergangenen Erstattungsbescheid des Beklagten vom 16. Mai 2019 für die Zeit vom 1. Juni bis 31. August 2018, mit dem der Beklagte für diesen Zeitraum eine Erstattung von 2.478,00 Euro forderte, focht der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Widerspruch vom 20. Mai 2019 an, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2019 (W XX4/19) zurückgewiesen wurde. Hiergegen richtet sich die Klage bei dem Sozialgericht Gießen zum ursprünglichen Aktenzeichen S 29 AS 476/19.

Am 7. Mai 2019 erging ein weiterer Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes (Az. L 9 AS 154/19 B ER), mit dem die Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vom Sozialgericht Gießen zurückgewiesen wurde. Für die Zeit vom 1. September 2018 bis 18. Januar 2019 setzte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 16. Mai 2019 die Leistungen an die Klägerin wegen vorhandenen Vermögens und fehlender Hilfebedürftigkeit auf Null fest. Der Widerspruch hiergegen vom 20. Mai 2019 wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2019 (W XX5/19) zurückgewiesen, wogegen sich die Klage bei dem Sozialgericht Gießen zum ursprüngliche Aktenzeichen S 29 AS 475/19 richtet.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2019 verlangte der Beklagte aufgrund der abschließenden Festsetzung auf Null einen Erstattungsbetrag von 2.478,00 Euro für den Leistungszeitraum vom 1. September bis 30. November 2018 (Zeitpunkt der vorläufigen Zahlungseinstellung). Der Widerspruch vom 20. Mai 2019 wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2019 (W XX6/19) zurückgewiesen, wogegen die Klägerin bei dem Sozialgericht Gießen Klage mit dem Aktenzeichen S 29 AS 477/19 erhoben hat.

Am 12. November 2020 teilte das Polizeipräsidium Mittelhessen, Polizeistation D-Stadt, dem Beklagten mit, die Klägerin habe in einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Gießen im Strafverfahren eingeräumt, gelogen zu haben, ihr sei das Geld aus der Erbschaft nicht gestohlen worden. Seit dem 5. März 2020 ist bei der Klägerin erneut eine Betreuung eingerichtet.

Das Sozialgericht Gießen hat die Klageverfahren mit den Aktenzeichen S 29 AS 474/19, S 29 AS 475/19, S 29 AS 476/19 und S 29 AS 477/19 zunächst zum Rechtsstreit S 29 AS 474/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und sodann ruhend gestellt. Nach Wiederaufruf erhielten die verbundenen Verfahren das Aktenzeichen S 29 AS 36/23. Dieser Rechtsstreit wurde vom Sozialgericht Gießen mit Beschluss vom 28. Februar 2023 mit dem weiteren anhängigen Verfahren S 25 AS 88/19 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, ihr sei das Geld aufgrund eines Diebstahls abhandengekommen. Weder die Leistungsaufhebung noch die abschließende Festsetzung der Leistungen seitens des Beklagten noch seine Erstattungsforderungen seien rechtmäßig. Denn sie habe nicht über Vermögen verfügt, sondern sei vielmehr im Sinne der Bestimmungen des SGB II hilfebedürftig gewesen. Selbst wenn ihr das Vermögen noch zur Verfügung gestanden hätte, so hätte sie die Hälfte des Betrages an den Treuhänder im Insolvenzverfahren überweisen müssen. Aufgrund ihrer Mittellosigkeit habe sie ihre Wohnungsmiete nicht mehr entrichten können, sodass die Kündigung drohe. Der Beklagte hat an seiner Auffassung festgehalten, wonach sowohl die Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zukunft ab dem 19. Januar 2019 rechtmäßig sei, als auch die abschließenden Festsetzungen der Leistung auf Null für die Zeiträume vom Juni bis August 2018 und vom September 2018 bis Februar 2019. Dementsprechend sei die Erstattungsforderung für den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis 30. November 2018 gleichermaßen rechtmäßig. Denn die Klägerin habe über Vermögen verfügt, welches die Hilfebedürftigkeit ausgeschlossen habe. Der Vortrag der Klägerin, ihr sei das Geld durch Diebstahl abhandengekommen, habe sich als wahrheitswidrig herausgestellt.

Das Gericht hat die Strafakten der Staatsanwaltschaft Gießen beigezogen und vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin das Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 9. Juli 2018 sowie das Berufungsurteil des Landgerichts Gießen vom 11. Oktober 2021 (Az. 401 JS 26298/18) erhalten, wonach die Klägerin rechtskräftig wegen falscher Verdächtigung - neben anderen Straftaten - verurteilt worden ist. Hiernach waren die Strafgerichte davon überzeugt, dass der Vortrag der Klägerin, ihr sei die Handtasche mit dem Geld aus der ausgezahlten Erbschaft durch Wohnungseinbruchsdiebstahl abhandengekommen, von der Klägerin fingiert worden sei. Das Sozialgericht hat ferner in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2023 den Polizeihauptkommissar E. und die Schwester der Klägerin, H., uneidlich als Zeugen vernommen.

Mit Urteil vom 24. März 2023 hat das Sozialgericht nach vorher erklärtem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sehe es nicht als erwiesen an, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Leistungszeitraum hilfebedürftig gewesen sei. Nach § 9 Absatz 1 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Nach § 12 Absatz 1 SGB II seien als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Bestimmte Absetzbeträge und Schonvermögen seien nach § 12 Absatz 2 und 3 SGB II von der Heranziehung dauerhaft ausgenommen. Der Klägerin sei im Mai 2018 ein Erbe in Höhe von 22.667,00 Euro durch ihren Prozessbevollmächtigten in bar ausgezahlt worden. Im Zeitraum 1. Juni 2018 bis einschließlich November 2018 habe die Klägerin zudem ursprünglich vorläufige Leistungen nach dem SGB II ausgezahlt erhalten. Das Gericht sehe es nicht als erwiesen an, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Leistungszeitraum hilfebedürftig gewesen sei. Vielmehr begründeten die dargelegten Umstände erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin, welche die Konsequenz der Beweislosigkeit zu tragen habe. Die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin seien überwiegend. Sie gründeten sich auf den „unglaubwürdigen Angaben“ der Klägerin und den Ermittlungsergebnissen der Ermittlungsbehörden. Die Kammer schließe sich den Ausführungen der Strafgerichte an. Die Klägerin sei durch rechtskräftiges Urteil in dem Verfahren 8 Ns - 401 Js 26298/18 auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Friedberg vom 9. Juli 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 2. November 2020 und dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. Mai 2021 der Falschverdächtigung schuldig. Auf Grund der umfangreichen Ermittlungen stünde zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Tathergang nicht wie von der Klägerin vorgegeben zugetragen haben könne. Auf dem Rechner der Klägerin seien Unterlagen von den Strafermittlungsbehörden sichergestellt worden, wonach sie die Selbstbezichtigung des von ihr Beschuldigten selbst verfasst und fingiert habe. Der Tathergang, wie von der Klägerin dargelegt, sei auf Grund der räumlich örtlichen Umstände „unglaubwürdig“. Zudem begründeten sich weitere Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin auf Grund der beigezogenen Akten des Landessozialgerichts sowie der Zeugenaussage der Schwester der Klägerin sowie deren Prozessbevollmächtigten. Es bestünden gewichtige Zweifel daran, dass der Klägerin tatsächlich keine hinreichenden Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung gestanden hätten. Ihr obliege es, den Beweis für ihre Hilfebedürftigkeit zu erbringen. Die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheids richte sich vorliegend nach § 41a Absatz 3 SGB II. Die Leistungen seien vollständig zu erstatten, da die Leistungen vollständig aufgehoben wurden. Für die Vergangenheit folge die Rechtswidrigkeit des Bescheides daraus, dass ursprünglich eine vorläufige Bewilligung erfolgt sei. Demnach müsse eine endgültige Bewilligung zu erfolgen. Der Aufhebungsbescheid des Beklagten vom 16. Januar 2019 könne nicht als abschließende Entscheidung im Sinne des § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausgelegt und der auf § 45 SGB X i.V.m. § 40 Absatz 1 SGB II und § 330 Absatz 2 SGB III gestützte Aufhebungsbescheid vom 16. Januar 2019 nicht in eine abschließende Entscheidung nach § 41a Absatz 3 Satz 1 SGB II umgedeutet werden (unter Hinweis auf den Beschluss des Landessozialgericht Hessen vom 7. Mai 2019, L 9 AS 52/19 B ER). Eine wie hier erfolgte Rücknahme sei demnach für die Vergangenheit rechtswidrig. § 45 Absatz 2 SGB X finde keine Anwendung (§ 41a Absatz 2 Satz 5 SGB II). § 41a Absatz 2 Satz 4 SGB II normiere die Verpflichtung des Leistungsträgers, eine rechtswidrige vorläufige Entscheidung für die Zukunft zurückzunehmen. Für die Zukunft sei der Bescheid jedoch rechtmäßig. Die Voraussetzungen lägen vor. Der Beginn des Zeitpunkts der Aufhebung für die Zukunft ist der 19. Januar 2019 (vgl. § 37 Abs. 1 SGB X - Zugang mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post). Die Klägerin habe demnach keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab 19. Januar 2019.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2023 hat die Klägerin am 28. März 2023 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht erhoben. Hierbei vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, entgegen dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Gießen stünden ihr für den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis 18. Januar 2019 monatliche Leistungen nach dem SGB II in der ursprünglich bewilligten Höhe von 826,00 Euro monatlich zu. Denn sie sei in den Zeiträumen hilfebedürftig gewesen. Sie habe ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, weil sie nicht über den Betrag verfügt habe, welchen sie anlässlich einer Erbauseinandersetzung erhalten habe (22.667,00 Euro), da ihr dieser Geldbetrag aus ihrer Wohnung entwendet worden sei. Die Umstände des Abhandenkommens des Geldes hätten bislang nicht geklärt werden können. Soweit das Sozialgericht seine Entscheidung auch auf die Zeugenaussage der Schwester der Klägerin, H., in der mündlichen Verhandlung gestützt habe, sei darauf hinzuweisen, dass die Zeugin falsche Angaben gemacht habe, da ihre Aussage in erheblichem Umfang nicht der Wahrheit entsprochen habe. Daher sei von Seiten der Klägerin gegen die Zeugin bei der Staatsanwaltschaft Gießen Strafanzeige wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage erstattet worden. Hierzu legt die Klägerin die Strafanzeige vom 3. März 2023 vor. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legt ferner ein Schreiben der Schwester der Klägerin, H., vom 14. Juli 2023 vor, worin sie zugegeben habe, bei dem Sozialgericht Gießen am 3. Februar 2023 eine Falschaussage gemacht zu haben. Durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Gießen vom 3. Mai 2023 sei gemäß § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) von einer Verfolgung abgesehen worden. Da das erstinstanzliche Urteil erheblich auch auf der falschen Aussage der Schwester der Klägerin beruhe, sei es als rechtswidrig zu betrachten. Auch sei der Umstand des Wohnungsverlustes wegen mangelnder Mietzahlungen mit nachfolgendem Umzug ein Hinweis darauf, dass der Klägerin tatsächlich keine Geldmittel zur Verfügung gestanden hätten. Die Klägerin hat Unterlagen vorgelegt, wonach sie in der Zeit vom Dezember 2018 bis März 2019 an ihren damaligen Wohnungsvermieter keine Mietzahlungen mehr entrichtet habe. Ferner hat sie Nachweise zur Leistungsbewilligung nach dem SGB II vom Kommunalen Jobcenter Lahn-Dill ab dem 15. April 2019 vorgelegt (Bescheide vom 17. April 2019, 28. Juni 2019 und 30. September 2019). All dies spreche für die Bedürftigkeit der Klägerin im streitigen Zeitraum.

Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Gießen vom 24. März2023 zu verurteilen, den Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. Februar 2019 aufzuheben, 
2. den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Gießen vom 24. März 2023 zu verurteilen, den Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 5. Juli 2019 der Klägerin dahingehend abzuändern, dass ihr für den Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis 31. August 2019 Leistungen in Höhe von monatlich 826,00 Euro zu zahlen sind; den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 für den Zeitraum 1. Juni 2018 bis 31. August 2018 aufzuheben; unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 5. Juli 2019 der Klägerin für den Zeitraum 1. September 2018 bis 18. Januar 2019 Leistungen in Höhe von monatlich 826,00 Euro zu zahlen und den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 16. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 für den Zeitraum 1. August 2018 bis 30. November 2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere führt er aus, dass die Zeugenaussage der Schwester H. nicht maßgebend für die Entscheidungsfindung des Sozialgerichts gewesen sei und das Urteil nicht allein auf der Aussage der Zeugin beruhe.

Der Senat hat durch den Berichterstatter am 16. April 2024 einen Erörterungstermin abgehalten, zudem die als Zeugin geladenen Schwester der Klägerin, H., nicht erschienen ist. Die Klägerin selbst hat Unterlagen vorgelegt, wonach die Zeugin H. am Termin am 16. April 2024 aufgrund einer Beaufsichtigungsverpflichtung nicht habe teilnehmen können. Der Senat hat durch den Berichterstatter eine schriftliche Vernehmung der Zeugin H. am 17. August 2024 angeordnet. Mit Formularerklärung vom 22. November 2024 hat die Zeugin als Schwester der Klägerin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. 

Der Senat hat Akten des Landgerichts Gießen zum Az. 3 NS-401 JS 26298/18 und der Staatsanwaltschaft Gießen zu den Az. 403 JS 40970/18 und 401 JS 26298/18 zum Verfahren hinzugezogen. 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig.

Soweit mit den gestellten Anträgen eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1. Juni 2018 bis zum 18. Januar 2019 erhoben ist, ist diese Klageart statthaft. Denn für eine isolierte Anfechtung eines abschließenden Leistungsbescheides, der eine Nullfestsetzung gemäß § 41a Abs. 3 SGB II enthält, mit dem Ziel, die vorläufig gewährten Leistungen behalten zu dürfen - wie hier -, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil damit der Rechtsstreit nicht dauerhaft beendet würde, da der Leistungsträger gemäß § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II grundsätzlich eine abschließende Feststellung durch Verwaltungsakt zu treffen hat (BSG vom 12. September 2018 - B 4 AS 39/17 R - , juris, Rn. 10; Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41a (Stand: 21.08.2024), Rn. 93).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klagen mit Urteil vom 24. März 2023 abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten 
- vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2019 und des Änderungsbescheides vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX1/19 und W XX7/19; Klageverfahren S 25 AS 88/19, Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zukunft ab dem 19. Januar 2019),
- vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX3/19; Klageverfahren S 29 A 474/19, Leistungsfestsetzung auf Null vom 1. Juni 2018 bis 31. August 2018),
 - vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX5/19; Klageverfahren S 29 A 475/19, Leistungsfestsetzung auf Null vom 1. September 2018 bis 18. Januar 2019), 
- vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX4/19; Klageverfahren S 29 A 476/19, Leistungserstattung von 2.478,00 Euro für den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis 31. August 2018) sowie 
- vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX6/19; Klageverfahren S 29 A 477/19, Leistungserstattung von 2.478,00 Euro für den Zeitraum vom 1. September 2018 bis 30. November 2019) 
sind sämtlich rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Streitzeitraum ist im vorliegenden Rechtsstreit begrenzt auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2018.

Denn die Klägerin hat bei dem Beklagten am 8. Januar 2019 einen neuen Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, den der Beklagte mit Bescheid vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2019 (W XX2/19) abgelehnt hat und der den Streitzeitraum begrenzt; die Zeit nach dem 31. Dezember 2018 ist damit alleinig Streitgegenstand im Berufungsrechtsstreit zum Az. L 9 AS 209/24 (vormals L 9 AS 89/23). Der Beginn des (neuen) Streitzeitraumes aufgrund des klägerischen Antrages vom 8. Januar 2019 ist wegen der Anordnung der Rückwirkung in § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II auf den Ersten des Monats der 1. Januar 2019, wie vom Sozialgericht zutreffend zugrunde gelegt. Die in die Zeit bis zum 28. Februar 2019 ursprünglich hineinreichende Leistungsbewilligung vorläufiger Leistungen für die Zeit ab dem 1. September 2018 wird durch den neuen Antrag der Klägerin vom 8. Januar 2019 auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2018 begrenzt (zur begrenzenden Wirkung eines Neuantrages vgl. BSG vom 6. Juni 2023, B 4 AS 4/22 R, juris, Rn. 37). 

Die ursprüngliche Leistungsbewilligung vom 3. August 2018 war zwar für die Zeit vom 1. September 2018 bis 28. Februar 2019 ergangen, ebenso wie die hier streitige endgültige Festsetzung der Leistungen auf Null vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX5/19) sowie die Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 19. Januar 2019 (Bescheid vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019, W XX7/19). Soweit diese Bescheide des Beklagten jedoch in die Zeit ab dem 1. Januar 2019 hineinreichen, sind sie mit dem neuen Antragsverfahren ab dem 1. Januar 2019 als erledigt anzusehen, und der Bescheid für den neuen Bewilligungszeitraum ab dem 1. Januar 2019 wird nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens (vgl. BSG vom 26. November 2020, B 14 AS 13/19 R, juris, Rn. 9; vom 28. Oktober 2009, B 14 AS 62/08 R, juris, Rn. 17; juris-PK, Burkiczak, § 41 SGB II, Rn. 75 m.w.N.). Damit ist auch der Bescheid des Beklagten vom 16. Mai 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (W XX7/19), mit dem der ursprüngliche Rücknahmebescheid vom 16. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 2019 (W XX1/19) aufgehoben worden war, erledigt, da er nur Wirkungen für den neuen Bewilligungszeitraum ab dem 19. Januar 2019 entfaltete.

Die Klägerin hatte im hier noch betroffenen Streitzeitraum vom 1. Juni 2018 bis zum 31. Dezember 2018 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Erstattungsforderungen des Beklagten in Höhe von jeweils 2.478,00 Euro für die Zeiträume vom 1. Juni 2018 bis 31. August 2018 und vom 1. September 2018 bis zum 30. November 2018, somit von insgesamt 4.956,00 Euro, sind nach zutreffender Festsetzung der Leistungen auf Null dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig.

Denn die Klägerin hat ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II nicht nachgewiesen. Vielmehr ist wegen der ausgezahlten Geldmittel von 22.667,00 Euro am 14. Mai 2018 nach Erbauseinandersetzung von Einkommen und Vermögen der Klägerin auszugehen, welches die Hilfebedürftigkeit beseitigt hat. Zum Zeitpunkt der Bewilligungen von vorläufigen Leistungen an die Klägerin am 12. Juni 2018 (1. Juni 2018 bis 31. August 2018) und 3. August 2018 (1. September 2018 bis - ursprünglich - 28. Februar 2019) verfügte sie damit über Vermögen im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II in Form von Bargeld, das die Freibeträge des § 12 Abs. 2 SGB II überstieg.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung vollständig.

Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren begründet keine andere Entscheidung. Er ist maßgeblich davon geprägt, den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren zu wiederholen. Die Klägerin beharrt weiterhin auf ihrer Version, ihr sei der ausgezahlte Geldbetrag aus der Wohnung gestohlen worden. Doch weder ist die Klägerin selbst glaubwürdig, noch ihr Vortrag glaubhaft. Dies ergibt sich zur sicheren Überzeugung des Senats aus den Ermittlungsergebnissen und Entscheidungen der Strafgerichte. So ist die Klägerin in dem Verfahren zum Az. 8 Ns - 401 Js 26298/18 auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Friedberg vom 9. Juli 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Gießen vom 2. November 2020 der Falschverdächtigung schuldig und rechtskräftig zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Wie das Sozialgericht schließt sich auch der Senat den Ausführungen der Strafgerichte an und hält es ebenfalls für erwiesen, dass die Klägerin bewusst einen Dritten des Diebstahls des Erbanteiles bezichtigt hat. Die Ermittlungen gegen den Dritten sind mit Beschluss der Staatsanwaltschaft Gießen vom 8. November 2018 (Az. 401 Js 25429/18) eingestellt worden, weil sich der Verdacht nach den umfangreichen Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht nur nicht erhärtet hatte, sondern widerlegt werden konnte. Hinzu tritt, dass die Klägerin ein von ihr vorgelegtes Selbstbezichtigungsschreiben des von ihr Beschuldigten selbst fingiert und erstellt hat. Der Einstellungsbeschluss wurde in der Beschwerdeentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 3. Mai 2019 (Az. 3 Zs 807/19) aufrechterhalten. Wegen der Begründung kann auf die genannten Entscheidungen verwiesen werden.

Damit ist auch für den Senat erwiesen, dass die Klägerin einem fremden Dritten durch Manipulation von Schriftstücken eine Selbstbezichtigung untergeschoben hat und damit den Eindruck erwecken wollte, dieser habe ihr das Geld gestohlen. Ihr nach entsprechender Verurteilung durch das Amtsgericht nunmehr gehaltener Vortrag, der Diebstahl sei durch jemand anderen erfolgt, ist damit offensichtlich unglaubhaft, nachdem die Klägerin erhebliche Energie aufgewandt hat, eine andere Person erfolglos mit demselben Vorwurf zu überziehen. Die nach den Ausführungen des Landgerichts Gießen im Urteil vom 2. November 2020 aufgrund Urteils des Amtsgerichts Neunkirchen 6. Mai 2019 wegen Betruges in 31 Fällen, versuchten Betruges in 39 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit falscher Verdächtigung in zwei Fällen verurteilte Klägerin ist aufgrund der Gesamtumstände als Person nicht glaubwürdig, was insbesondere durch ihren nachhaltigen Vortrag zum Abhandenkommen des Geldes gestützt wird, obwohl dieser Vortrag nach den Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden und den Urteilen der Strafgerichte als eindeutig widerlegt angesehen werden muss.

Auf die von der Klägerin benannte Zeugin und ihre Aussage kommt es angesichts der erdrückenden Beweislage nicht (mehr) an. Entgegen der Einschätzung der Klägerin hat das Sozialgericht seine Entscheidung nicht nur auf die vermeintliche Falschaussage der Zeugin gestützt, sondern – wie auch der Senat – auf die Gesamtumstände unter freier Würdigung sämtlicher vorliegender Beweismittel, insbesondere der strafrechtlichen Ermittlungen und Entscheidungen. Die nunmehr von der Zeugin erklärte Verweigerung einer Zeugenaussage ist daher für die Frage der Glaubhaftigkeit des Vortrags der Klägerin ohne Belang.

Auch die spätere Leistungsbewilligung eines anderen Leistungsträgers begründet keinen Nachweis dafür, dass die Klägerin im hier streitigen Zeitraum hilfebedürftig gewesen ist. Denn die Klägerin ist eine überzeugende Erklärung zum Verbleib oder gar Verbrauch der Erbschaft nicht gelungen. Vielmehr muss der Senat nach dem Gesamtablauf der Ereignisse davon ausgehen, dass die Klägerin den Diebstahl erfunden hat, nachdem ihr der Beklagte mit Schreiben vom 16. Mai 2018 die Leistungsaufhebung angekündigt hatte, weil ihr die Erbschaft am 14. Mai 2018 ausgezahlt worden war. Dies hat die Klägerin durch ihre Erklärung zum angeblichen Abhandenkommen des Geldes zu verhindern versucht, wodurch sich auch ihr wiederholter Leistungsantrag vom 25. Mai 2018 erklärt. Auch die von ihrem Prozessbevollmächtigten vorgetragene Erklärung, sie habe die Barauszahlung gewünscht, um im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens keine Geldmittel aus der Erbschaft zahlen zu müssen, zeigt die Energie der Klägerin, den Geldbetrag insgesamt behalten zu wollen, ohne ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

Der Verlust der Wohnung mangels Mietzahlung ist ebenfalls kein Gesichtspunkt, um annehmen zu können, die Klägerin verfüge über keine Geldmittel, weil unklar ist, ob nicht andere Motive hierfür maßgebend waren. Denn schließlich konnte die Klägerin an anderem Ort eine Wohnung erfolgreich und nahtlos anmieten.

Schließlich konnte die Klägerin im gesamten Verfahren nicht nachweisen, wie sie seit der vorläufigen Zahlungseinstellung ab dem 1. Dezember 2018 im restlichen Streitzeitraum ihren Lebensunterhalt überhaupt hat bestreiten können, obwohl sie keine Geldmittel vom Beklagten mehr erhielt.

Angesichts der strafrechtlich erwiesenen Verantwortlichkeit der Klägerin steht sie in besonderen Maße in der Beweislast für ihre Hilfebedürftigkeit.

Nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast trägt der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Beweislast dafür, dass die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 SGB II vorliegen, mithin auch dafür, dass er hilfebedürftig ist (BSG vom 27. Januar 2009, B 14 AS 6/08 R, juris, Rn. 19). In dem hier vorliegenden Fall ist bei Unaufklärbarkeit der Vermögenssituation der Klägerin von ihrer fehlenden Hilfebedürftigkeit auszugehen. Zwar enthält das SGB II keine dahingehende Vermutung, dies schließt gleichwohl nicht aus, dass die Nichtaufklärbarkeit der Vermögenssituation nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Leistungsberechtigten geht. In diesem Sinne hat das BSG entschieden, dass der fehlende Nachweis der hierfür maßgeblichen Tatsachen zu Lasten des Leistungsempfängers gehen kann, wenn die Beweislage maßgeblich auf dessen fehlender Mitteilung beruht. Ist dem Leistungsempfänger die Beweislast für eine Tatsache aufzuerlegen, ist er bei Unaufklärbarkeit so zu behandeln, als ob das entsprechende Tatbestandsmerkmal durchgehend nicht vorgelegen hat, ohne dass für eine Überprüfung noch Raum bleibt (BSG vom 15. Juni 2016; B 4 AS 41/15 R, juris, Rn. 30). Diese Erwägungen gelten im Falle der Klägerin umso mehr. Denn sie hat nicht nur wegen mangelnder Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhaltes erschwert, sondern gerade durch ihre wahrheitswidrigen Erklärungen den Sachverhalt verfälscht, und mit ihrem Festhalten an dem erwiesenermaßen von ihr erfundenen Umständen eine Sachaufklärung verhindert. Zudem ist ihr weiterer Vortrag weiterhin davon geprägt, die vorgetragenen Falschbehauptungen im Nachhinein durch Hinzutreten weiterer behauptetet Umstände abzusichern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
 

Rechtskraft
Aus
Saved