S 10 R 888/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 888/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 

 

hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Duisburg ohne mündliche Verhandlung am 15.12.2023 durch den Vorsitzenden, den Richter am Sozialgericht U., sowie die ehrenamtliche Richterin K. und den ehrenamtlichen Richter N. für Recht erkannt: 

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand:

 

Im Streit ist die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

 

Die am 00.00.1960 in der Türkei geborene Klägerin ist mit Herrn D. verheiratet und reiste nach Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Wesel am 01.10.1995 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit dem 04.12.1995 war sie mit ihrem Wohnsitz in Wesel gemeldet. Aus der Ehe sind insgesamt 10 Kinder hervorgegangen, nämlich

 

 

  • F., geb. 00.00.1980
  • Q., geb. 00.00.1982
  • H., geb. 00.00.1984
  • O., geb. 00.00.1985
  • S., geb. 00.00.1990
  • M., geb. 00.00.1991
  • I., geb. 00.00.1992
  • G., geb. 00.00.1992
  • W., geb. 00.00.1996
  • C., geb. 00.00.2000

 

 

Die in der Zeit vom 00.00.1980 bis zum 00.00.1992 geborenen Kinder wurden in der Türkei geboren. Die Kinder W. und C. wurden in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Nach einer von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft der Stadt Wesel vom 00.00.2019 stellte die Klägerin am 07.11.1995 einen Asylantrag, der am 04.02.2000 abgelehnt wurde. In der Zeit vom 07.11.1995 bis zum 05.06.2000 verfügte die Klägerin über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs.1 Asylverfahrensgesetz. Für die Zeit vom 15.06.2000 bis zum 10.03.2004 wurde der Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Anschließend verfügte sie vom 11.03.2004 bis 05.09.2018 über befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 30 Aufenthaltsgesetz bzw. nach § 28 Abs.1 S.1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz.

 

Nach einer von der Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft der Stadt Wesel vom 17.10.2018 war die Klägerin und ihr Ehemann zunächst seit dem 04.12.1995 unter der Anschrift P.-straße in Wesel gemeldet und die Kinder S. (geb. 00.00.1990), M. (geb. 00.00.1991), I. (geb. 00.00.1992) und G. (geb. 00.00.1992) seit dem 22.04.1996 unter der Anschrift P.-straße in Wesel gemeldet. Das Kind W. (geb. 00.00.1996) war seit dem 00.00.1996 unter der Anschrift P.-straße in Wesel gemeldet und das Kind C. (geb. 00.00.2000) war seit dem 00.00.2000 ebenso wie die Klägerin unter der Anschrift Z.-straße in Wesel gemeldet.

 

Am 06.09.2018 beantragte die Klägerin anlässlich eines Antrages auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für alle aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. Dabei gab sie an, dass die Erziehung gemeinsam mit dem anderen Elternteil erfolgt sei und der andere Elternteil die Kinder nicht überwiegend erzogen habe. Eine übereinstimmende Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeiten zu einem anderen Elternteil wurde nicht abgegeben.

 

Mit Bescheid vom 03.06.2019 wurde die Vormerkung von Kindererziehungszeiten bzw. von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für das am 00.00.1980 geborene Kind F., für das am 00.00.1982 geborene Kind Q., für das am 00.00.1984 geborene Kind H. und für das am 00.00.1985 geborene Kind O. abgelehnt, weil die Kinder in dieser Zeit im Ausland erzogen worden seien.

 

Für das am 00.00.1990 geborene Kind S. wurde die Vormerkung einer Kindererziehungszeit vom 00.00.1990 bis zum 28.02.1993 abgelehnt, weil das Kind in dieser Zeit im Ausland erzogen worden sei. Aus diesem Grund wurde auch die Vormerkung der Zeit vom 00.00.1990 bis zum 21.04.1996 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung abgelehnt. Ab dem Zeitpunkt des von der Stadt Wesel bestätigten Zuzuges aus der Türkei in die gemeinsame Wohnung in Wesel (22.04.1996) wurde eine Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung bis zum 14.06.2000 mit der Begründung nicht anerkannt, dass während dieser Zeit der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht habe und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe. Die Zeit vom 15.06.2000 bis zum 30.08.2000 wurde als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorgemerkt.

 

Für das am 00.00.1991 geborene Kind M. wurde die Zeit vom 01.10.1991 bis zum 31.03.1994 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 00.00.1991 bis zum 21.04.1996 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung nicht anerkannt, weil das Kind in dieser Zeit im Ausland erzogen worden sei. Ab dem Zeitpunkt des von der Stadt Wesel bestätigten Zuzuges aus der Türkei in die gemeinsame Wohnung in Wesel (22.04.1996) bis zum 14.06.2000 wurde die Vormerkung einer Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung mit der Begründung abgelehnt, dass während dieser Zeit der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht habe und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe. Die Zeit vom 15.06.2000 bis zum 00.00.2001 wurde als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorgemerkt.

 

Für die am 00.00.1992 geborenen Kinder I. und G. wurden die Zeiten vom 00.00.1992 bis zum 00.00.1995 als Kindererziehungszeiten und die Zeiten vom 00.00.1992 bis zum 21.04.1996 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nicht anerkannt, weil die Kinder in dieser Zeit im Ausland erzogen worden seien. Ab dem Zeitpunkt des von der Stadt Wesel bestätigten Zuzuges in die gemeinsame Wohnung in Wesel (22.04.1996) bis zum 14.06.2000 wurde die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ablehnt, weil während der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthalt beruht habe und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe. Die Zeiten vom 15.06.2000 bis zum 30.08.2002 wurden als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung vorgemerkt.

 

Für das am 00.00.1996 geborene Kind W. wurde die Vormerkung einer Kindererziehungszeit vom 00.00.1996 bis zum 31.01.1999 und eine Berücksichtigungszeit wegen Kinderziehung vom 00.00.1996 bis zum 14.06.2000 abgelehnt, weil in dieser Zeit der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht habe und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe. Der Zeitraum vom 15.06.2000 bis zum 31.12.2005 wurde als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorgemerkt.

 

Für das am 00.00.2000 geborene Kind C. wurde die Zeit vom 01.08.2000 bis zum 31.07.2003 als Kinderziehungszeit und die Zeit vom 00.00.2000 bis zum 22.07.2010 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorgemerkt.

 

Die Klägerin erhob gegen diesen Bescheid der Beklagten am 11.06.2019 Widerspruch und machte die Anerkennung aller in der Türkei durchgeführten Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland geltend. Die in der Türkei durchgeführten Kindererziehungszeiten müssten nach § 56 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI angerechnet werden, weil sie einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichstehen würden. Die in der Türkei geborenen Kinder der Klägerin würden jetzt in der Bundesrepublik Deutschland leben, so dass die im Ausland erfolgte Erziehung der Kinder der Bundesrepublik Deutschland dienen würde. Andere Frauen, die ihre Kinder im Ausland erzogen hätten, würden die Kindererziehungszeiten angerechnet erhalten, z.B. Konsulatsangehörige, Aussiedler oder EU-Angehörige. Insoweit liege eine Diskriminierung der Klägerin vor.

 

Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Bescheid der Beklagten vom 06.08.2019 zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus, die Anerkennung einer Kindererziehungszeit setze voraus, dass sich der Elternteil während der Erziehung mit dem Kind gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe und nicht von der Anrechnung ausgeschlossen sei. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Erziehung im Inland gelte nur in dem Fall der Ausstrahlung, der hier nicht vorliegen würde.

 

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 14.08.2019 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die in der Türkei zurückgelegten Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung seien anzurechnen, da sie einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichstehen würden.

 

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2019 zu verurteilen, bei ihr weitere Kinderziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung anzuerkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist der Auffassung, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung lägen nicht vor. Es liege auch keine Diskriminierung der Klägerin nach EU-Normen vor.

 

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 06.07.2023 und 28.11.2023 einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

 

Gründe:

 

Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz-SGG).

 

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, da die Beklagte zurecht keine weiteren Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung anerkannt hat.

 

Kindererziehungszeiten sind nach § 56 Abs. 1 SGB VI Zeiten der Erziehung eines (nach dem 31.12.1991 geborenen) Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 00.00.1992 geborenen Kindes endet gemäß § 249 Abs. 1 SGB VI in der bis zum 30.06.2014 maßgebenden Fassung 12 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. Erst mit Wirkung ab dem 01.07.2014 werden 24 Kalendermonate und mit Wirkung ab dem 00.00.2019 30 Kalendermonate für vor dem 00.00.1992 geborene Kinder angerechnet. Für ein Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist eine Erziehungszeit dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat.  Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung hinsichtlich der Zuordnung der Kindererziehungszeit nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI). Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter (§ 56 Abs. 2 Satz 9 SGB VI).

 

Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendeten 10. Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen (§ 57 Satz 1 SGB VI).

 

Mangels Vorliegens einer abweichenden übereinstimmenden Erklärung der Eltern im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VI kommt zwar grundsätzlich die Zuordnung von Kindererziehungszeiten zur Klägerin als Mutter der Kinder in Betracht (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 8 und Satz 9 SGB VI). Für Zeiten vor dem Zuzug der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland, d.h. vor dem 01.10.1995 liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung jedoch nicht vor, weil die Erziehung der Kinder F. (geb. 00.00.1980), Q. (geb. 00.00.1982), H. (geb. 00.00.1984), O. (geb. 00.00.1985), S. (geb. 00.00.1990), M. (00.00.1991), I. (geb. 00.00.1992) und G. (geb. 00.00.1992) bis zu diesem Zeitpunkt nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI wird für einen Elternteil eine Erziehungszeit nur dann angerechnet, wenn die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder einer solchen gleichsteht und der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist. Nach § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ist eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn sich der erziehende Elternteil mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Danach können die Zeiten vor dem 01.10.1995 weder als Kindererziehungszeit noch als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung anerkannt werden, weil sich die Klägerin mit ihren Kindern in der Türkei aufgehalten hat und die Kindererziehung dort erfolgt ist.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin steht die Kindererziehung der Klägerin in der Türkei auch nicht einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich. Insoweit ist nach § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI Voraussetzung, dass der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten in der Deutschen Rentenversicherung hat. Die Klägerin hatte in der Zeit vor Oktober 1995 weder während der Kindererziehung noch unmittelbar vor der Geburt der Kinder wegen einer dort (in der Türkei) ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeiträge zur Deutschen Rentenversicherung entrichtet. Insoweit fehlt es an der in § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI geregelten Grundvoraussetzung, dass die Erziehende vor der Geburt oder während der Kindererziehung in derart enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben steht, dass davon auszugehen ist, während dieser Zeit seien nicht wegen der Integration in eine ausländische Arbeitswelt, sondern im Wesentlichen wegen der Kindererziehung deutsche Rentenanwartschaften entgangen (vgl. BSG-Urteil vom 17.11.1992 – 4 RA 15/91 in BSGE 71, 227 ff ).

 

Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Sozialgerichtes Frankfurt (Urteil vom 10.11.2005 S 13 RA 2014/03) und des EuGH (Urteil vom 19.07.2012 C-522/10) können zugunsten der Klägerin nicht herangezogen werden, da sie eine völlig andere Fallgestaltung betreffen. In beiden Fällen ging es um einen vorübergehenden Auslandsaufenthalt von deutschen Versicherten, die zunächst in der Bundesrepublik Deutschland lebten, dann für einige Jahre in Belgien bzw. Frankreich lebten und anschließend wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrten und bei denen eine Lösung von der inländischen Arbeits- und Erwerbswelt und damit auch von der Deutschen Rentenversicherung nicht stattgefunden hatte.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich die beantragte Vormerkung der Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung auch nicht aus dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit vom 30.04.1964 in der Fassung des Zwischenabkommens vom 25.10.1974 und des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 sowie der Vereinbarung vom 02.11.1984 zur Durchführung des Abkommens vom 30.04.1964. Eine Regelung über die Geltung von Zeiten der Kindererziehung in der Türkei als in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnende Kindererziehungszeiten (Beitragszeiten) oder Berücksichtigungszeiten findet sich in dem Abkommen nicht. Artikel 27 des Abkommens in der Fassung des Zusatzabkommens vom 02.11.1984 bestimmt: Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsparteien anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruches nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen (Satz 1). In welchem Ausmaß Versicherungszeiten anrechnungsfähig sind, richtet sich nach den Rechtsvorschriften, die die Anrechnungsfähigkeit bestimmen (Satz 2). Danach werden – nur - zur Erfüllung der für einen Rentenanspruch notwendigen Wartezeit sowie der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen der einzelnen Rentenarten, die zur deutschen und türkischen Rentenversicherung geleisteten Beiträge bzw. die ihnen gleichstehenden Zeiten zusammengerechnet (Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 08.05.2019, L 19 R 622/18 Rn 42 zitiert nach Juris).

 

Einer Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für den Zeitraum vom 01.10.1995 bis einschließlich 14.06.2000 steht entgegen, dass die Klägerin wegen des von ihr am 07.11.1995 gestellten Asylantrages lediglich über eine Aufenthaltsgestattung verfügte und damit ein rechtlich beständiger und zukunftsoffener Aufenthalt nicht vorlag.

 

Eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI nur dann erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I besteht der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ob sich jemand gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder vorübergehend verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur von dem Zeitpunkt der Änderung begründet werden oder entfallen, so dass es nicht rechtserheblich ist, dass bei späterer rückschauender Betrachtungsweise eine andere prognostische Beurteilung gerechtfertigt sein könnte. Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen, wobei es sich um subjektive, objektive, tatsächliche und rechtliche Umstände handeln kann. Es kommt daher nicht allein auf den Domizilwillen an, sondern auf die Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblicher Tatsachen, die zu Beginn und während der Dauer des streitigen Zeitraumes vorgelegen haben (vgl. BSG Urteil vom 10.12.2013 B 13 R 9/13 R Rn 28 ff; BSG Urteil vom 31.10.2012 B 13 R 1/12 R Rn 25 ff zitiert nach Juris). Für den gewöhnlichen Aufenthalt ist das Kriterium einer längeren Dauer wesentlich, wenn auch ein dauerhafter, ständiger Aufenthalt nicht erforderlich ist und eine starre Zeitgrenze in der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Verweis auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abgelehnt worden ist. Dauerhaft ist ein Aufenthalt, wenn und solange er unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist (BSG Urteil vom 30.01.2013, B 4 AS 54/12 R Rn 18; BSG Urteil vom 31.10.2012, B 13 R 1/12 R Rn 30 f zitiert nach Juris).

 

Zu den Umständen, aus denen sich für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes ergeben muss, dass der Ausländer nicht nur vorübergehend im Bundesgebiet verweilt, gehört auch der ausländerrechtliche Status. Ist die aufenthaltsrechtliche Position auf Beendigung des Aufenthalts im Inland angelegt, steht dies der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes trotz faktisch andauernden Verbleibens und eines entsprechenden Bleibewillens entgegen; denn der Ausländer hat es nicht in der Hand, über die Dauer seines Aufenthaltes frei zu bestimmen. Die Aufenthaltsposition wird durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie sie sich nach der behördlichen Praxis und der gegebenen Rechtslage darstellt (BSG Urteil vom 10.12.2013 B 13 R 9/13 R BSG Urteil vom 16.06.2015 B 13 R 36/13 R).

 

Nach der Auskunft der Ausländerbehörde der Stadt Wesel vom 00.00.2019 verfügte die Klägerin in der Zeit bis zum 14.06.2000 ausschließlich über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz a.F. Danach ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet zu gestatten. Der Asylantrag der Klägerin wurde mit Bescheid vom 04.02.2000 abgelehnt. Erst für die Zeit ab dem 15.06.2000 wurde der Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Ausländergesetz erteilt. Somit war ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls bis einschließlich 14.06.2000 ausländerrechtlich nur vorübergehend und nicht rechtlich beständig gestattet, da die Aufenthaltsgestattung an einen nur vorübergehenden Zweck anknüpfte, nämlich die Herbeiführung einer Entscheidung über die Asylberechtigung (vgl. BSG Urteil vom 28.07.1992 - 5 RJ 24/91; BSG Urteil vom 18.02.1998 B 5 RJ 12/97 R). Die einem Asylbewerber zum Zweck der Durchführung des Asylverfahrens nach § 55 Asylverfahrensgesetz erteilte Aufenthaltsgestattung vermag vor bindender und rechtskräftiger Feststellung des Asylrechts einen zukunftsoffenen Aufenthalt nicht zu begründen. Hierbei bleibt die Dauer des tatsächlichen Aufenthaltes außer Betracht, unabhängig davon, wie lange er bereits andauerte oder noch andauern wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 L 11 RJ 1912/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.08.2022 L 3 R 721/17).

 

Veränderungen des aufenthaltsrechtlichen Status der Klägerin konnten erst ab dem Zeitpunkt berücksichtigt werden, ab dem sie zuerkannt wurden, d.h. für die Zeit ab dem 15.06.2000 (Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis bzw. einer befristeten Aufenthaltserlaubnis). Für diesen Zeitraum hat die Beklagte einen gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland zugrunde gelegt. Für die Zeit vor dem 15.06.2000 liegen die rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung 15.06.2000 nicht vor.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

 

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

 

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen

 

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

 

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

 

Sozialgericht Duisburg, Mülheimer Straße 54, 47057 Duisburg

 

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

 

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

 

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

 

- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist und über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wird oder

 

- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingereicht wird.

 

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Über das Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) können nähere Informationen abgerufen werden.

 

Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass einem Beteiligten auf seinen Antrag für das Verfahren vor dem Landessozialgericht unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann.

 

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Duisburg schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

 

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

 

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.

 

Schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d SGG).

 

 

 

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Aus
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