L 2 U 41/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 U 146/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 41/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Heilbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung ist nur für die Gesundheitsstörungen zu erbringen, für die der Nachweis geführt ist, dass sie Unfallfolgen sind.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.12.2020 betreffend Behandlung/Diagnostik im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 20.08.2014 im Rahmen der Heilbehandlung eine Behandlung/Diagnostik im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen zu gewähren hat.

Der Kläger ist im Jahr 1969 geboren.

Am 20.08.2014 brach er bei seiner beruflichen Tätigkeit als Servicetechniker durch einen Gitterboden und wurde anschließend zwischen zwei ca. 1 t schweren Containern eingeklemmt. Nach den Angaben im D-Arzt-Bericht des O (O-Klinikum A) vom Unfalltag konnte sich der Kläger selbst befreien, nach den Angaben in der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 01.09.2014 wurde er von einem Arbeitskollegen mithilfe eines Gabelstaplers befreit. Anschließend wurde er ins Krankenhaus gebracht. Der D-Arzt O diagnostizierte ein stumpfes Bauchtrauma, ein stumpfes Thoraxtrauma, eine Beckenprellung, ein Quetschtrauma Oberschenkel beidseits, ein Quetschtrauma Unterschenkel beidseits, eine Risswunde Unterschenkel rechts sowie eine Schürfwunde am linken Unterschenkel. Bei der Untersuchung durch O gab der Kläger an, nicht bewusstlos gewesen zu sein, nicht erbrochen und keine Übelkeit empfunden zu haben; betreffend die Halswirbelsäule (HWS) berichtete der Kläger, "ohne Schmerzen" zu sein. Anschließend wurde der Kläger bis zum 27.08.2014 stationär im O-Klinikum A behandelt. Eine Computertomografie der HWS zeigte regelrechte Stellungsverhältnisse, keine knöchernen Traumafolgen und keine Luxation.

Am 29.08.2014 wurde beim Kläger durch R operativ ein Hämatom in der tiefen Lenden-/Kreuzbeinregion ausgeräumt.

Mit Zwischenbericht vom 07.11.2014 teilte R der Beklagten mit, dass sich kein wirklicher Fortschritt im Hinblick auf die diffusen Schmerzen im hinteren Becken- und LWS-Bereich sowie der Ischiadicusreizung zeige. Es werde eine Heilverfahrenskontrolle in der Unfallklinik M erbeten.

Am 11.12.2014 wurde der Kläger in der Unfallklinik M untersucht. Es wurde im Arztbericht vom 15.12.2014 darüber berichtet, dass der Kläger ein schweres Quetschtrauma der Beckenregion und der unteren Extremitäten erlitten habe. Es bestünden noch neuropathische Schmerzen und funktionelle Residuen, zusätzlich auch Funktionsstörungen im urologischen Fachgebiet. Die Schmerz- und Beschwerdesymptomatik sei komplex und bedürfe einer weiteren Abklärung, wozu der Kläger beim neurologischen Konsiliarius vorgestellt worden sei. Eine rentenberechtigende MdE sei nach erfolgreichem Abschluss der noch erforderlichen therapeutischen Maßnahmen nicht zu erwarten.

Im neurologischen Konsiliarbericht der Unfallklinik M über eine Untersuchung am 11.12.2014 wurde darüber berichtet, dass der Kläger als am schlimmsten einen stechenden Schmerz im Steißbein angegeben habe. Neben Beschwerden insbesondere im Beckenbereich und in den unteren Extremitäten habe der Kläger auch Beschwerden an der HWS angegeben. Diagnostiziert wurden eine Irritation sensibler Hautnerven im Beckenbereich und der Verdacht auf eine Polyneuropathie körperfern an den unteren Extremitäten.

Ab dem 03.02.2015 wurde der Kläger im Rahmen einer einmonatigen stationären Rehabilitation in der Unfallklinik M behandelt. Bei einem Gespräch mit Mitarbeitern der Beklagten in der Unfallklinik am 25.02.2015 gab der Kläger an, dass sich sein Zustand gebessert habe. Seine Blasenentleerungsstörung habe sich gelegt. Aktuell habe er noch Restbeschwerden im Bereich der LWS und des Beckens. Seit dem Unfall knirsche er mit den Zähnen und habe Augenprobleme.

In der Folge gab der Kläger, auch bei den durchgeführten ambulanten medizinischen Reha-Maßnahmen, einen sich verschlechternden Gesundheitszustand mit stärksten Schmerzen an.

Am 21.05.2015 stellte sich der Kläger erneut in der Unfallklinik M vor und klagte über noch anhaltende Schmerzen und eine vereinzelte Taubheit des linken Beines. Hinweise für eine neurologische substantielle Schädigung bestünden nicht - so der Bericht der Unfallklinik.

Am 05.06.2015 stellte sich der Kläger in der H-Klinik B vor. Dort wurden reizlose Weichteilverhältnisse im gesamten Beckenbereich diagnostiziert.

Anschließend wurde der Kläger mehrfach begutachtet:
*  Der augenärztliche Gutachter L (Gutachten vom 03.08.2015) konnte keine Unfallfolgen erkennen.
*  Der nervenärztliche Sachverständige A (Gutachten vom 14.09.2015) sah als Unfallfolgen Sensibilitätsstörungen im Genitalbereich, am vorderen Oberschenkel links und im Gesäßbereich links durch Läsion/Irritation von Hautnerven ohne weitere Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem, die nicht mit einer MdE von mindestens 10 v.H. zu bewerten seien. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestünden keine Unfallfolgen. Der Sachverständige hat u.a. darauf hingewiesen, dass ein vom Kläger angenommenes Schleudertrauma der HWS nicht dokumentiert sei. Nervenwurzelschäden oder Rückenmarksschäden im Bereich der HWS seien nicht nachweisbar. Sollte es zu einer Distorsion der HWS gekommen sein, habe diese nicht zu Nervenschäden geführt. Es bestehe der Verdacht, dass die vom Kläger angegebenen körperlichen Beschwerden (z.B. Zähneknirschen, Schmerzen im Kieferbereich, Sehstörungen, wechselnde Ausprägung von Sensibilitätsstörungen) eine psychosomatische oder dissoziative Komponente beinhalten würden.
*  Der mund-kiefer-gesichtschirurgische Gutachter S kam im Gutachten vom 22.09.2015, ergänzt am 26.10.2015, zu der Einschätzung, dass beim Kläger von einer durch ein Schleudertrauma bedingten Kontusion der Kiefergelenke mit abnehmenden Beschwerden auszugehen sei, für die die MdE zurzeit "3 %" betrage.

Mit (nicht streitgegenständlichem) Bescheid vom 14.01.2016 stellte die Beklagte nach vorheriger Anhörung des Klägers die bis dahin erfolgte Zahlung von Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche zum 16.02.2016 ein. Es sei nicht absehbar, wann eine Wiederaufnahme einer Tätigkeit oder eine Maßnahme zur Leistung der Teilhabe am Arbeitsleben möglich sei. Unfallfolgen seien nicht mehr festzustellen.

Am 15.01.2016 wurde der Kläger neurologisch von H begutachtet. Dieser kam zur Einschätzung, dass eine posttraumatische erektile Dysfunktion neurogener Genese bestehe, welche als Spätfolge bei Zustand nach Spinalkontusion und partieller Nervenläsion zu erklären sei. Die MdE sei mit 10 v.H. anzusetzen.

Eine Kernspintomografie des Kopfes vom 07.01.2016 ergab einen unauffälligen Befund.

Gegen den Bescheid vom 14.01.2016 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Widerspruch und beantragten in diesem Zusammenhang die Einholung eines Zusammenhangsgutachtens über die Universität H.

Der Sachverständige H1, H-Klinik, kam in seinem am 17.02.2016 fertiggestellten Gutachten unter Zusammenfassung der bisher vorliegenden Gutachten zu der Einschätzung, dass beim Kläger eine Lumbalgie bei Zustand nach Beckenprellung, eine HWS-Distorsion mit Überlastung im Bereich des Kiefergelenkes mit Knirschen der Zähne, eine posttraumatisch aufgetretene erektile Dysfunktion, eine Sensibilitätsstörung im Genitalbereich und Gesäßbereich, Schäden am peripheren oder zentralen Nervensystem und eine linksbetonte Ischiadicusreizung beidseits mit neuropathischen Schmerzen vorlägen. Die Gesundheitsschäden seien durch das Unfallereignis verursacht worden. Es bestehe Arbeitsunfähigkeit bis jetzt. Die Frage nach der Höhe der MdE hat der Sachverständige wegen der aus seiner Sicht fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht beantwortet.

Der Beratungsarzt der Beklagten hat sich zu diesem Gutachten dahingehend geäußert, dass Unfallfolgen in den Zusatzgutachten der einzelnen Fachgebiete nicht abgebildet seien und die Einschätzung einer MdE von 20 v.H. nur für einen kürzer gefassten Zeitraum nach Entfall des Verletztengeldes für 10 Monate vertretbar sei.

Mit Bescheid vom 13.04.2016 (Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 2 U 15/21) gewährte die Beklagte aufgrund eines Beschlusses des Rentenausschusses dem Kläger Rente als vorläufige Entschädigung ab 17.02.2016 nach einer MdE von 20 v.H.
Als Folgen des Unfalls wurden anerkannt: Bewegungseinschränkung und Belastungsbeschwerden sowie deutliche Hyperpathie im Bereich der mittleren LWS, intermittierende Hypaesthesie im vorderen Oberschenkel des linken Beines, erektile Dysfunktion neurogener Genese und Sensibilitätsstörungen im Genitalbereich sowie im Gesäßbereich links nach Spinalkontusion und Becken-Decollement mit Läsion von Hautnerven, folgenlos verheilte Quetschung der Ober- und Unterschenkel beidseits, folgenlos verheilte Risswunde im Bereich des rechten Unterschenkels, folgenlos verheilte Schürfwunde im Bereich des linken Unterschenkels.
Nicht anerkannt als Folgen des Unfalls wurden: geringe Osteochondrose HWK 5 bis HWK 7 unter Betonung der Segmente HWK 6/HWK 7 mit diskreter uncogener/discogener Einengung des linken Neuroforamens HWK 6/HWK 7, fortgeschrittene Osteochondrosen Höhe LWK 4/5 und betont LWK 5/S1 mit deutlicher Aktivierung, großer ventraler Bandscheibenprolaps und relative neuroforaminale Enge L 5 linksbetont aufgrund Höhenminderung, Spondylarthrose, ligamentäre Hypertrophie und breitbasige Bandscheibenprotrusionen, Knick-/Senkfußdeformität beidseits mit Varisierung im Zehenspitzenstand, Fehlbelastung im Bereich der Kiefergelenke mit Abrasionen am Gebiss bei "Deckbiss"-Situation (vorbestehende Gebissanomalie).
Im Rahmen der Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass durch die Polytrauma-Computertomografie der HWS am 20.08.2014 und die Kernspintomographie der HWS am 07.01.2016 knöcherne Verletzungen und strukturelle frische Unfallverletzungen im Bereich der HWS mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten.

Gegen den Bescheid vom 13.04.2016 legten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 17.05.2016 Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2016 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.01.2016 (Einstellung des Verletztengeldes) zurückgewiesen.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.04.2016 begründeten die Bevollmächtigten des Klägers damit, dass sich das Begehren auf eine höhere MdE als 20 v.H. aus dem Gesamtzusammenhang der kausalunfallursächlichen Ursachen sowohl physischer als auch psychischer Natur ergebe. Der Kläger leide nach wie vor aufgrund des Unfallgeschehens an Beschwerden. Es würde sich anbieten, bei der Universitätsklinik H ein Gutachten einzuholen.

Bei einer ambulanten Behandlung in der Unfallklinik M am 16.11.2016 wurden die Diagnosen verheilte Decollement-Verletzung des Beckens, unklare Trigeminusneuralgie rechts und komplexe Auffälligkeiten im neurologisch-psychiatrischen Erkrankungskreis gestellt.

Im Rahmen der im Widerspruchsverfahren dem Kläger eröffneten Gutachterauswahl entschied sich dieser für Ärzte der Universität H (Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 02.01.2017).

Am 10.01.2017 bat der Kläger die Beklagte telefonisch um eine dringende Erledigung des Gutachtensauftrags. Zudem teilte er mit, dass ihm von seiner Osteopathin gesagt worden sei, dass bei ihm an der HWS wahrscheinlich die Bänder gerissen seien und dadurch der Atlas verschoben sei. Dies erkläre seine Beschwerden. Dazu hätte längst ein Upright-MRT gemacht werden müssen. Von den Ärzten sei ziemlich geschlampt worden. Die Ärzte würden ohnehin nur das machen, was die Beklagte von ihnen verlange.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2017 legten die Klägerbevollmächtigten einen radiologischen Bericht des F und ein Attest des Allgemeinmediziners H2 vor. Am 19.01.2017 war in der Privatpraxis für upright-Kernspintomografie in M1, F, ein MRT des craniocervikalen Übergangs angefertigt worden. F beurteilte die angefertigten Aufnahmen dahingehend, dass eine atlantodentale Fehlstellung mit rechts exzentrisch dezentriertem Dens axis in Neutralstellung bei cervikaler Steilstellung vorliege, zudem eine funktionell zunehmende Dezentrierung des Dens axis als Ausdruck einer atlantodentalen Instabilität bei insgesamt deutlich eingeschränkter Beweglichkeit im Bereich der Kopfgelenke. Es bestünden geringe degenerative Veränderungen sowie narbige Strukturveränderungen der Ligamenta alaria. H2 attestierte dem Kläger am 24.01.2017 ein posttraumatisch persistierendes cervikozephales Syndrom mit diversen rezidivierenden Beschwerden, wobei das Ergebnis seiner Untersuchung "durchaus vereinbar mit einem stattgehabten schweren HWS-Schleudertrauma" sei.

Anschließend ist der Kläger wiederholt begutachtet worden:
*  Die Diplom-Psychologin M stellte in ihrem Gutachten vom 02.07.2017 die Diagnose einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung vor dem Hintergrund einer anankastischen und narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung. Es liege eine psychosomatische-somatopsychische Kombinationserkrankung aus zum Teil anatomisch (Wirbelsäule) oder neurophysiologisch (Tinnitus) zu erklärenden körperlichen Beschwerden und einer somatoformen Störung (anhaltende somatoforme Schmerzstörung), gepaart mit einer ungünstigen Persönlichkeitsakzentuierung, vor. Zu keinem Zeitpunkt sei eine posttraumatische Belastungsstörung vorhanden gewesen. Die MdE aufgrund von psychischen Störungen sei insgesamt mit 20 v.H. festzustellen.
Auf Nachfrage der Beklagten korrigierte die Diplom-Psychologin M am 03.11.2017 ihre Einschätzung vom 02.07.2017 dahingehend, dass die von ihr diagnostizierte psychische Erkrankung nicht durch den Unfall, sondern durch unfallfremde und prämorbide Umstände verursacht worden sei und daher die MdE 0 v.H. betrage. Behandlungsbedürftigkeit bestehe auf ihrem Gebiet nicht mehr.
*  Der Facharzt für Urologie B sah als Unfallfolgen eine Blasenentleerungsstörung sowie Missempfindungen im Bereich des äußeren Genitale und eine erektile Dysfunktion; die MdE betrage 20 v.H.
*  Der Facharzt für Neurologie M1 hielt die vom Kläger angegebenen Schmerzen im Rücken und Genitalbereich für nachvollziehbar. Bei den weitergehenden vom Kläger angegebenen Beschwerden bestehe der Verdacht einer psychosomatischen oder dissoziativen Komponente. Eine Beteiligung des Kopfes sei nicht dokumentiert und werde vom Kläger auch verneint. Als Unfallfolge sei daher von andauernden subjektiven Schmerzzuständen ohne neurologisches Korrelat auszugehen; die MdE betrage auf neurologischem Gebiet 0 v.H. Dem Gutachten lag ein klinisch-neurophysiologisches Zusatzgutachten vom 12.05.2017 zugrunde.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12.12.2017 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für eine Vorstellung des Klägers in einem diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen durch die Beklagte. Beigefügt war ein Bericht des Neurologen und Psychiaters B1, wonach die Beschwerden des Klägers nachvollziehbar erheblich beeinträchtigend seien und der Unfallzusammenhang anamnestisch unzweifelhaft erscheine. Eine Vorstellung des Klägers in einem diagnostisch/therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen mit der Beklagten als Kostenträger sei empfehlenswert.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 13.12.2017 (Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 2 U 41/23) unter Verweis auf die neurologische Begutachtung ab.

Gegen den Bescheid vom 13.12.2017 legten die Klägerbevollmächtigten am 17.01.2018 Widerspruch ein.

Mit Schriftsatz vom 22.02.2018 trugen die Bevollmächtigten des Klägers vor, dass der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten beim streitgegenständlichen Unfall ein Schleudertrauma der HWS erlitten habe. Dies ergebe sich aus dem Upright-MRT des F. Der Kläger habe beim streitgegenständlichen Unfall wohl mehr Beschleunigungen am Kopf bzw. Atlas erlitten als bei einem Auffahrunfall. Die Behandlung am Anfang sei grob fahrlässig gewesen.

Am 06.04.2018 erstellte S1 das zusammenfassende unfallchirurgische Gutachten. Er kam darin zu dem Ergebnis, dass der Kläger beim streitgegenständlichen Unfall ein folgenlos ausgeheiltes stumpfes abdominales Trauma, ein folgenlos ausgeheiltes stumpfes Rückentrauma, eine stumpfe Beckenprellung, Bauch und Rückseite, mit großflächigem Hämatom an der Brust und der Notwendigkeit einer operativen Ausräumung, sowie eine Riss-/Quetschwunde am Unterschenkel rechts und eine oberflächliche Schürfung am Unterschenkel links erlitten habe. Die diversen Schmerzangaben (gesamter Rücken, Becken, Schulter rechts) seien Ausfluss einer somatoformen Schmerzstörung und stünden nicht mit dem Unfall in Zusammenhang, ebenso nicht Bewegungseinschränkungen im Bereich von HWS, BWS und LWS sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Die MdE schätzte er auf 0 v.H. auf unfallchirurgischem Gebiet und unter Einbeziehung der Zusatzgutachten auf 20 v.H. Aufgrund des urologischen Zusatzgutachtens sei mit einer weiteren Verbesserung nicht zu rechnen. Zum kieferchirurgischen Zusatzgutachten des S, der von einem Schleudertrauma ausgegangen war, merkte der Sachverständige an, dass zeitnah nach dem Unfall eine freie Beweglichkeit und Schmerzfreiheit der HWS festgestellt worden seien. Erstmals seien Beschwerden im Bereich der HWS vom Kläger am 11.12.2017 und damit fast vier Monate nach dem Unfall angegeben worden. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Beschwerden in der HWS und auch in den Kiefergelenken bestehe daher nicht.

Mit Bescheid vom 09.05.2018 (Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 2 U 15/21) teilte die Beklagte (aufgrund eines Beschlusses des Rentenausschusses) dem Kläger mit, dass die Rente als vorläufige Entschädigung am 20.08.2017 kraft Gesetzes zur Rente auf unbestimmte Zeit geworden sei. Die Beklagte hat nochmals, ähnlich wie im Bescheid vom 13.04.2016, die Unfallfolgen beschrieben. Die MdE betrage 20 v.H. Die Entscheidung stütze sich auf die eingeholten Gutachten. Der Bescheid werde gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2018 (Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 2 U 15/21) wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.04.2016 in Gestalt des Bescheides vom 09.05.2018 zurück.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 29.05.2018 (Streitgegenstand des Berufungsverfahrens L 2 U 41/23) wies die Beklagte auch den Widerspruch gegen den Bescheid vom 13.12.2017 zurück.

Gegen die beiden Widerspruchsbescheide vom 29.05.2018 haben die Bevollmächtigten des Klägers am 29.06.2018 zwei Klagen zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben.

Zur Begründung der Klagen haben die Klägerbevollmächtigten auf das Upright-MRT des F und die von diesem angenommenen Schädigungen im Bereich der Wirbelsäule hingewiesen. Daraus ergebe sich eine höhere MdE. Die Behandlung im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen sei wegen des HWS-Schleudertraumas erforderlich und von B1 empfohlen worden. Ergänzend ist mit Schriftsatz vom 14.09.2019 vorgetragen worden, dass der Kläger am 20.08.2014 schwere Verletzungen erlitten habe, aus denen bis heute erhebliche Leistungseinschränkungen resultieren würden, insbesondere eine HWS-Distorsion mit Überbelastung im Bereich des Kiefergelenks, Konzentrationsstörungen, Schwierigkeiten, komplexe Gedankengänge zu erfassen, Schmerzen, Schwindel, vegetativen Funktionsstörungen und weiterem. Die behandelnden Ärzte des Klägers würden dessen Eigeneinschätzung bestätigen, dass er seit dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall seine berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben könne. Sie haben eine Äußerung des Orthopäden T vom 02.05.2018 vorgelegt, wonach die Tatsache einer Mitverletzung der HWS unstreitig sei. Im Upright-MRT hätten sich - so T - spezifische Strukturveränderungen und pathologische Bewegungsmuster gezeigt. Knöcherne Unfallverletzungen und Luxationen würden zwar unstreitig fehlen. Die zuvor durchgeführten konventionellen Untersuchungen seien aber nicht in der Lage, die im upright-MRT dargestellten Läsionen abzubilden. Beim Kläger bestehe eindeutig ein funktionell instabiles, asymmetrisch einseitiges Bewegungsverhalten der HWS. Es sei davon auszugehen, dass im Verlauf des Arbeitsunfalls vom 20.08.2014 eine HWS-Distorsion mit der Folge einer chronischen Schmerzentwicklung stattgefunden habe, was bei der MdE Berücksichtigung finden sollte.

Mit Beschluss vom 02.04.2020 sind die beiden Klagen verbunden worden.

Mit Urteil vom 09.12.2020 hat das SG die Klagen abgewiesen.

Gegen das ihnen am 14.12.2020 zugestellte Urteil haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Eingang am 15.01.2021 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Der Kläger stehe auf dem Standpunkt, dass die bei ihm vorliegenden und diagnostizierten Beschwerden unfallbedingt seien.

Mit Schriftsatz vom 21.12.2021 haben die Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass eine Äußerung in der Sache mit Blick auf ein beim SG Augsburg anhängiges Rentenverfahren (Aktenzeichen S 13 R 728/20) noch etwas zurückgestellt werde.

Nach mehrmaliger Erinnerung des Gerichts haben sich die Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29.01.2023 wie folgt geäußert: Die nach wie vor bestehenden massiven Beschwerden des Klägers seien auf das beim streitgegenständlichen Arbeitsunfall erlittene schwere HWS-Schleudertrauma zurückzuführen. Der Kläger lasse sich ungern als Simulant hinstellen und ebenso ungern dahingehend, dass die Beschwerden rein psychisch gesteuert seien, obwohl physisch nachweisbare Einschränkungen und Schädigungen vorlägen. Entscheidend seien - so die Bevollmächtigten - die nach wie vor vorhandenen, kausal auf die Unfallfolgen mit HWS-Schleudertrauma zurückzuführenden Einschränkungen und Schädigungen. Die erwartete weitere Aufklärung habe sich auch nicht aus dem Rentenverfahren mit dem Aktenzeichen S 13 R 728/20 ergeben.

Mit Beschluss vom 31.01.2023 sind die vom SG verbundenen Verfahren wieder getrennt worden.

Der Senat hat die Gerichtsakten des SG Augsburg zu den Verfahren S 17 KR 380/18 und S 13 R 728/20 und dem sich daran vor dem Bayer. LSG anschließenden Berufungsverfahren L 6 R 172/22 betreffend eine Rente wegen Erwerbsminderung, beigezogen. Weitergehende Erkenntnisse ein potentielles HWS-Schleudertrauma betreffend ergeben sich daraus nicht.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 23.08.2023, 29.02.2024, 10.04.2024 und 21.05.2024 ist der Kläger ausführlich auf die fehlenden Erfolgsaussichten der Berufung hingewiesen worden.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben dazu mit Schriftsätzen vom 08.11.2023 und 08.04.2024 mitgeteilt, dass die Auswirkungen des HWS-Schleudertraumas für den Kläger gravierend seien und die ihrer Ansicht nach daraus resultierenden Einschränkungen näher beschrieben. Dass der Kläger zeitnah nach dem Unfall nicht über HWS-Beschwerden geklagt habe und die HWS schmerzfrei beweglich gewesen sei, sei auf die damals verabreichten Schmerzmittel zurückzuführen. Die Computertomografie der HWS vom 20.08.2014 sollte nochmals ausgewertet werden - so die Anregung der Bevollmächtigten. Außerdem haben sie sich auf die Äußerung des T gestützt. Mit Schriftsatz vom 02.07.2024 haben die Bevollmächtigten des Klägers mitgeteilt, dass die Berufung aufrecht erhalten bleibe und um eine Entscheidung gebeten.

Die Berufung unter dem Aktenzeichen L 2 U 15/21 ist mit Beschluss vom heutigen Tage zurückgewiesen worden. Zur Überzeugung des Senats ist ein unfallbedingtes Schleudertrauma der HWS mit etwaigen daraus resultierenden Beschwerden nicht nachgewiesen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Augsburg vom 09.12.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2018 zu verurteilen, die Kosten für eine Behandlung/Diagnostik im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat haben neben den Verwaltungsakten der Beklagten und den Gerichtsakten erster und zweiter Instanz die oben genannten beigezogenen Gerichtsakten betreffend eine Rente wegen Erwerbsminderung vorgelegen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Beklagte hat dem Kläger im Rahmen der unfallbedingten Heilbehandlung keine Behandlung/Diagnostik im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen zu erbringen, weil eine solche Behandlung/Diagnostik unfallbedingt nicht erforderlich ist.

Der Senat kann durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet hält. Die Beteiligten sind zu einer solchen Entscheidung mit gerichtlichem Schreiben vom 21.05.2024 angehört worden. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich, da die relevanten Gesichtspunkte dem Kläger in mehreren gerichtlichen Schreiben aufgezeigt und erläutert worden sind. Die Sach- und Rechtslage ist einfach zu beurteilen. Einer mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht; auch dem Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 02.07.2024 lässt sich im Zusammenhang mit der Anhörung zu einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entnehmen, dass kein Wunsch nach einer mündlichen Verhandlung besteht. Der Umstand, dass die erstinstanzliche Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG ergangen ist, steht einer Entscheidung des Senats gemäß § 153 Abs. 4 SGG nicht entgegen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 14.10.2005, B 11a AL 45/05 B - m.w.N.).

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Leistungen sind gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII als Sach- und Dienstleistungen und daher grundsätzlich als Naturalleistung zu erbringen.

Ein Heilbehandlungsanspruch in Form von Behandlung/Diagnostik im diagnostisch-therapeutischen Zentrum für neurovegetative Störungen wegen der vom Kläger angegebenen Beschwerden im HWS-Bereich bzw. daraus resultierender weiterer Beschwerden besteht nicht, weil diese Beschwerden keine Unfallfolgen darstellen. Der Senat verweist zu diesem Gesichtspunkt auf seine Entscheidung vom heutigen Tage unter dem Aktenzeichen L 2 U 15/21, in der die Höhe der der Verletztenrente zugrunde zu liegenden MdE und dabei die gleiche Frage wie im vorliegenden Verfahren, nämlich ob beim Kläger ein HWS-Schleudertrauma mit daraus resultierenden weitergehenden Beschwerden als unfallbedingt zu betrachten ist, streitig waren. Dabei hat der Senat zu der Frage, ob aus einem HWS-Schleudertrauma resultierende Beschwerden als Unfallfolgen zu betrachten sind, Folgendes ausgeführt:

"Von weiteren Unfallfolgen kann nicht ausgegangen werden.

Bei seiner Entscheidung stützt sich der Senat auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Befunde und die von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten, ggf. mit ergänzenden Stellungnahmen, des L, des A, des H, der Diplom-Psychologin M, des B, des M1 und des S1. Dem Gutachten des S kann der Senat nicht folgen, da dieser fachfremd von der unzutreffenden Annahme eines vom Kläger erlittenen HWS-Schleudertraumas ausgegangen ist, das keiner der anderen Sachverständigen bejaht hat (s. unten).

Die vorgenannten, im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten würdigt der Senat nicht im Wege des Sachverständigenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 402 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -), sondern als Urkundenbeweis (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 415 ff ZPO) (grundlegend vgl. BSG, Beschluss vom 30.03.2017, B 2 U 181/16 B). Ein Verwaltungsgutachten kann auch die alleinige Entscheidungsgrundlage sein (vgl. BSG, Urteil vom 08.12.1988, 2/9b RU 66/87, Beschlüsse vom 31.05.1963, 2 RU 231/62, und vom 06.06.2007, B 2 U 108/07 B; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.04.1964, V C 45.63). Dies setzt allerdings voraus, dass das Gutachten in Form und Inhalt den (Mindest-)Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 14.01.2005, 2 BvR 983/04; BSG, Urteil vom 01.03.1984, 9a RV 45/82; Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.07.1999, 1 StR 618/98).

Diese Mindestanforderungen erfüllen die vorgenannten Gutachten, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt. Die Sachverständigen haben Art und Ausmaß der hier in Streit befindlichen gesundheitlichen Verhältnisse bei persönlichen Untersuchungen des Klägers festgestellt und konkret und eingehend den Ursachenzusammenhang unter Berücksichtigung und Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte erörtert (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.1984, 9a RV 45/82). Im Übrigen ist anzumerken, dass ein Großteil der Sachverständigen auf Wunsch des Klägers, wobei er diesen Wunsch schon vor dem Hinweis auf die Gutachterwahl geäußert hat, beauftragt worden ist.

Der Senat ist sich bewusst, dass er sich bei seiner Entscheidung auf Verwaltungsgutachten im Wege des Urkundenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO) und nicht auf ein vom Gericht selbst eingeholtes Sachverständigengutachten stützt und daher gewisse Unterschiede hinsichtlich Beweiswert und weitergehenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2019, B 2 U 26/17 R). So liegt beispielsweise keine Verantwortlichkeit des Verwaltungsgutachters gegenüber dem Gericht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 404a, 407a ZPO) vor, es fehlt die Strafandrohung der §§ 153 ff. Strafgesetzbuch und die Möglichkeit der Beeidigung des Sachverständigen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 410 ZPO) besteht nicht. Auch haben die Beteiligten im gerichtlichen Verfahren kein Ablehnungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 406 ZPO) und können kein Fragerecht (§§ 116 Satz 2, 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 ZPO; § 62 SGG) geltend machen (vgl. BSG, Beschluss vom 30.03.2017, B 2 U 181/16 B).

Unter diesen Gesichtspunkten hat der Senat nicht ansatzweise Bedenken, sich auf die oben genannten Gutachten zu stützen. Irgendwelche Anhaltspunkte, an der Neutralität der Sachverständigen zu zweifeln, sind nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht geäußert worden.

Streitig ist im Wesentlichen nur noch, ob der Kläger beim streitgegenständlichen Unfall ein HWS-Schleudertrauma mit den von ihm als dauerhaft angegebenen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge erlitten hat.

Der Nachweis, dass der Kläger ein HWS-Schleudertrauma mit bleibenden Folgen erlitten hat, ist aber nicht geführt. So fehlt es bereits an dem im Vollbeweis zu führenden Nachweis eines Gesundheitserstschadens im Bereich der HWS. Folgendes spricht gegen einen solchen Gesundheitserstschaden:
*  Bei der Erstuntersuchung am Unfalltag gab der Kläger an, dass die HWS schmerzfrei war. Es bestand auch kein Klopfschmerz und die HWS war schmerzfrei beweglich.
*  Eine Polytrauma-Computertomografie der HWS am 20.08.2014 war völlig unauffällig.
*  Im Rahmen des sich unmittelbar an den Unfall anschließenden Krankenhausaufenthalts gab der Kläger zu keinem Zeitpunkt Beschwerden im Bereich der HWS an.
*  Auch in der Unfallanzeige vom 01.09.2014 wurde von keinerlei Verletzung oder Beschwerden im Bereich der HWS berichtet.
*  Erst am 11.12.2014 und somit fast vier Monate nach dem streitgegenständlichen Unfall hat der Kläger über Beschwerden im Bereich der HWS und dies erst seit kurzem berichtet. Daraus kann kein Rückschluss auf eine Schädigung der HWS am 20.08.2014 gezogen werden.

Den Feststellungen der Sachverständigen auf orthopädisch-unfallchirurgischem und neurologischem Gebiet, wonach ein HWS-Schleudertrauma (mit bleibenden Folgen) nicht vorgelegen habe, schließt sich der Senat daher an. Dies steht in Übereinstimmung mit der maßgeblichen Begutachtungsliteratur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. 481 ff.). Danach kann vorliegend, wenn überhaupt, von einem Schleudertrauma im Grad I nach der Quebec-Klassifikation ausgegangen werden (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 488 ff.). Ein Dauerschaden ist dabei ausgeschlossen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 490).

Sofern der Kläger unter Hinweis darauf, dass er wegen der ihm unmittelbar nach dem Unfall verabreichten Schmerzmedikation keine HWS-Beschwerden angegeben habe und daher das HWS-Schleudertrauma übersehen worden sei, den Nachweis eines HWS-Schleudertraumas führen will, kann dies nicht gelingen. Ganz abgesehen davon, dass auch keine objektiven Befunde vorliegen, die auf ein HWS-Schleudertrauma hindeuten, vielmehr die noch am Unfalltag durchgeführte Computertomografie eine substantielle Schädigung ausschließt, hat der Kläger trotz der angeblichen Schmerzmedikation Beschwerden in anderen Bereichen angegeben. Warum er dann angebliche Beschwerden im HWS-Bereich nicht hätte angeben können, überzeugt nicht. Auch lässt sich nicht der zweifelsfreie Nachweis führen, dass es bereits unfallnah Beschwerden im HWS-Bereich gegeben hätte.

Mit dem von F - nach Angaben des Klägers auf eigene Kosten - angefertigten upright-MRT lässt sich ebenfalls nicht der Nachweis führen, dass es beim streitgegenständlichen Unfall zu einem HWS-Schleudertrauma gekommen wäre. F hat darin lediglich eine atlantodentale Fehlstellung und narbige Strukturveränderungen in den Ligamenta alaria beschrieben. Eine klare Zuordnung dieser Veränderungen zum streitgegenständlichen Unfall hat er nicht vorgenommen - was offensichtlich auch allein bereits wegen des erheblichen zeitlichen Abstands von über zwei Jahren zwischen Unfall und Untersuchung nicht möglich ist. Im Übrigen spricht auch die am Unfalltag angefertigte Computertomografie ganz klar gegen eine Bänderverletzung im Bereich der HWS beim streitgegenständlichen Unfall.

Auch mit dem Attest des H2 lässt sich der Nachweis eines HWS-Schleudertraumas nicht führen. Bereits die Formulierung im Attest vom 25.01.2017 ("durchaus vereinbar") zeigt lediglich die Möglichkeit eines HWS-Schleudertraumas auf, beweist dies aber nicht im Vollbeweis.

Sofern der Orthopäde T in der von ihm am 02.05.2018 verfassten Beurteilung die Ansicht geäußert hat, dass es beim Arbeitsunfall vom 20.08.2014 "unstrittig" (S. 4 seiner Stellungnahme) zu einer Mitverletzung der HWS mit der Folge einer chronischen Schmerzentwicklung gekommen sei, ist dies schon deshalb nicht ansatzweise nachvollziehbar, weil eine HWS-Verletzung gerade nicht nachgewiesen ist. Auch im Übrigen baut T auf Spekulationen auf, nimmt vorliegende Befunde nicht zur Kenntnis oder konnte sie nicht zur Kenntnis nehmen, weil sie ihm vom Kläger nicht zur Verfügung gestellt worden waren.

Da ein HWS-Schleudertrauma nicht - erst recht nicht in entsprechend starker Ausprägung, dass daraus bleibende Folgen resultieren könnten - nachgewiesen ist, kann für sämtliche vom Kläger oder von seinen behandelnden Ärzten mit einem potentiellen HWS-Schleudertrauma in Verbindung gebrachten Beschwerden der Nachweis eines hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang nicht geführt werden.

Da sich weitere Unfallfolgen nicht nachweisen lassen, ist keine Erhöhung der dem Kläger bereits bislang zugestandenen MdE von 20 v.H. veranlasst.

Ob die bereits anerkannten Unfallfolgen und die der Rentengewährung zugrunde gelegte MdE zu großzügig sind, was dem Senat nicht fernliegend erscheint, bedarf keiner weiteren Erläuterungen; insofern sind die streitgegenständlichen Bescheide bestandskräftig geworden.

Eine erneute Befundung der vorliegenden radiologischen Aufnahmen, wie dies die Klägerbevollmächtigten ohne weitergehende Erläuterung angeregt haben, war nicht durchzuführen. Irgendein Anlass, daran zu zweifeln, dass die bisherige Beurteilung insbesondere der Computertomografie vom Unfalltag unzureichend gewesen sein könnte, gibt es nicht. Allein auf Behauptungen ins Blaue hinein sind keine weitergehenden Ermittlungen des Gerichts erforderlich."

Diese Ausführungen macht sich der Senat im vorliegenden Verfahren vollumfänglich zu eigen.

Die mit der Berufung begehrte Maßnahme der Heilbehandlung betrifft daher keine Unfallfolgen und ist deshalb nicht von der Beklagten zu erbringen.

Die Berufung hat deshalb keinen Erfolg

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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