L 3 U 104/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 91/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 104/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 33/25 B
Datum
Kategorie
Urteil


1.    Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Anerkennung einer Rotatorenmanschettenruptur als Unfallfolge und die Gewährung einer Rente nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII).

Die 1952 geborene Klägerin ist als Inhaberin eines Blumengeschäfts selbständig tätig und bei der Beklagten unfallversichert. Sie erlitt am 22. Juli 2008 einen Arbeitsunfall, als sie beim Ausladen von Topfpflanzen aus einem Transporter vom hinteren Trittbrett rückwärts abrutschte und – laut Unfallanzeige vom 23. August 2008 – auf das Steißbein fiel. Zu den Details des Unfallhergangs gibt es unterschiedliche Angaben der Klägerin, insbesondere dazu, ob sie mit dem Ellenbogen, dem Rücken/Steißbein oder der Schulter auf dem Boden aufgekommen ist und ob sie sich mit den Händen/Armen (seitlich) abgestürzt hat oder nicht. Aus dem Durchgangsarztbericht vom Unfalltag (Dr. J.) geht zum Unfallhergang hervor, dass die Klägerin beim Entladen auf nassem Boden ausgerutscht und auf das Gesäß gefallen sei und ausweislich des weiteren Durchgangsarztberichts von Dr. J. über die Vorstellung am 9. September 2008 gab die Klägerin an, „sie habe sich bei dem Sturz, eine ca. 10 kg schwere Kiste tragend, die die beim Sturz weggestoßen habe, mit dem linken Arm abgefangen.“ Im Fax an die Beklagte vom 12. September 2008 schrieb die Klägerin, dass sie sich beim Sturz auf das Steißbein mit den Händen seitlich abgestützt habe. In einem ihr übersandten Fragebogen erklärte die Klägerin sodann am 24. September 2008, versucht zu haben, den Sturz mit den Armen abzufangen und mit den Ellenbogen zuerst auf dem Boden aufgekommen zu sein; nach dem Sturz habe sie sich auf allen Vieren in den Laden bewegt. Am 8. April 2009 legte die Klägerin der Beklagten folgende schriftliche Schilderung vor: „…Ich hatte eine Kiste in beiden Händen und rutschte beim Zurücktreten von der Stoßstange ab. Ich verlor das Gleichgewicht, warf die Kiste in das Auto und fiel nach hinten auf den Rücken. Ich krabbelte auf Händen und Füßen in Richtung Ladeneingang und versuchte mich dort an einem Metallpfosten der Überdachung hochzuziehen. Ich hatte starke Schmerzen am Steißbein und Kopf, die links und rechts in die Schulter ausstrahlten.“ Diesen Unfallhergang mit einem Sturz auf den Rücken bestätigte auch die Zeugin L. in einer handschriftlichen Erklärung. Bei der späteren Begutachtung durch Prof. Dr. C. am 15. Juli 2019 gab die Klägerin an, sie glaube, mit dem linken Ellenbogen an der Autotür angestoßen zu sein; auf Nachfrage verneinte sie ein Fallen auf den linken Arm oder die linke Schulter sowie eine Verrenkung im linken Schultergelenk. Im Klageverfahren reichte die Klägerin am 2. November 2010 eine weitere detaillierte Unfallschilderung zu den Akten. Darin gab sie an, dass sie ungebremst aus dem Transporter herausgefallen sei und nicht mehr genau wisse, ob sie mit der Schulter oder dem Rücken auf dem Pflaster aufgekommen sei. Sie habe sich nicht mit den Händen abgefangen, denn sonst hätte sie nicht auf Händen und Füßen Richtung Eingang krabbeln und sich an einem Pfosten hochziehen können.

Im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag (Dr. J.) wurden keine Prellmarken und keine Hautverletzungen befundet. Das Laseguesche Zeichen war negativ, neurologische Ausfälle lagen nicht vor, das Illiosakralgelenk beidseits war frei. Das Gangbild war normal, es wurde kein Druck- bzw. Klopfschmerz über Lenden- und Brustwirbelsäule festgestellt, ein Druckschmerz bestand über dem unteren Sakrum. Die Röntgenuntersuchung des Steißbeins ergab keine knöcherne Verletzung. Als Erstdiagnose wurde eine Steißbeinprellung gestellt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. N. stellte am 24. Juli 2008 eine Arbeitsunfähigkeit vom 22. bis 26. Juli 2008 fest unter der Diagnose Steißbeinprellung.

Aus dem Befundbericht des Orthopäden Dr. P. über die Vorstellung der Klägerin am 4. August 2008 wegen akuter, linksseitig aufgetretener Schulterschmerzen geht als Befund eine schmerzhafte Retroversion der linken Schulter und ein Druckschmerz im Verlauf des Ligamentum coracoacromiale ohne lokale Entzündungssystematik hervor.

Im nachträglich am 11. September 2008 angefertigten Bericht über die Nachuntersuchung am 13. August 2008 nannte der Durchgangsarzt Dr. J. erstmals „neu“ Schmerzen der linken Schulter der Klägerin. Es bestand keine Schwellung, kein Hämatom und keine Hautverletzung, aber ein leichter Druckschmerz über dem AC-Gelenk und Schmerzen bei der Abduktion ab 80 Grad mit Schmerzausstrahlung in den Ellenbogen. Die angefertigten Röntgenaufnahmen zeigten keine knöchernen Verletzungen. Aus dem Bericht über das bei Verdacht auf Impingementsyndrom empfohlene und am 1. September 2008 erstellte MRT der linken Schulter geht ein Humeruskopfhochstand, eine mäßige AC-Gelenksarthrose und eine komplette Ruptur der Supraspinatussehne, eine fast komplette Ruptur der Infraspinatussehne sowie eine Bursitis in der Bursa deltoidea hervor (Bericht PD Dr. Q. vom 18. September 2008). Als Befund bei der durchgangsärztlichen Wiedervorstellung am 9. September 2008 wurde ein Drop-Arm-Syndrom festgestellt, Nacken- und Schürzengriff waren möglich. Die Rotation war in 90 Grad eingeschränkt.

Am 26. September 2008 wurde die Klägerin unter der Diagnose einer weit retrahierten Supraspinatussehnenruptur mit einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion sowie einer vorderen Akromioplastik versorgt. Im OP-Bericht von Prof. Dr. M. wird eine große Rotatorenmanschettenruptur mit weit retrahierten Sehnenrändern von schwacher Substanz beschrieben; wegen der weiten Retraktion und der schlechten Sehnenqualität sei das Setzen von Haltefäden nur mühsam gelungen. Die pathologisch-anatomische Begutachtung von Prof. Dr. T. vom 30. September 2008 ergab ein Sehnengewebe mit einer alten Vernarbung und chronischer Entzündung sowie hochgradig degenerativ verändertes Gewebe mit einem frischen, fibrinbelegten Riss; außerdem zeigte sich ein frisches granulozytäres Exsudat in Nachbarschaft der Ruptur, das nicht als frische Infektion, sondern als Reaktion auf die Ruptur zu interpretieren sei.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Orthopäden Dr. S. vom 21. Oktober 2008 zur Kausalitätsbeurteilung ein. Danach sprächen alle entscheidenden Aspekte gegen eine Kausalität zwischen Unfallereignis und Rotatorenmanschettenruptur. Bereits der Unfallhergang mit axialer Krafteinwirkung sei hierzu biomechanisch ungeeignet gewesen und das MRT habe zudem vorbestehende degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette (Hochstand des Humeruskopfes und subacromialer Sporn) belegt.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2008 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen über den 27. Juli 2008 hinaus ab. Zur Begründung führte sie aus, dass sich die Klägerin durch das Unfallereignis eine Steißbeinprellung zugezogen habe mit unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit/ Arbeitsunfähigkeit bis 27. Juli 2008. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Schulterverletzung bestehe jedoch nicht. Die Beklagte wiederholte die Begründung des Beratungsarztes und ergänzte, dass auch die histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes die degenerativen Veränderungen belege.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, dass der aus der pathologischen Untersuchung hervorgehende frische, fibrinbelegte Riss zeige, dass durch den Unfall eine Schädigung des Schultergelenkes eingetreten sei. Die Beklagte teilte unter Bezugnahme auf eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. S. mit, dass sich die im histologischen Bericht angegebenen Fibrinbeläge zwanglos durch Reizerscheinungen erklären lassen würden und nicht verletzungsspezifisch seien. Frische Defekte des Präparats seien regelhaft auf die Einwirkung des Operationsinstrumentariums zurückzuführen und auch der intraoperative Befund spreche gegen einen ursächlichen Zusammenhang, da hier die Sehnenränder schon sehr weit retardiert gewesen seien und wenig Substanz gehabt hätten.

Darüber hinaus berief sich die Klägerin auf eine vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. M. vom 15. Dezember 2008. Nach dessen Auswertung der bildgebenden Befunde nach dem Unfall habe sich die Supraspinatussehne dort noch ohne komplette Atrophie, allenfalls rupturnah mit beginnender Umwandlung dargestellt, was gegen eine länger vorbestehende Rotatorenmanschettenruptur spreche. Der Beratungsarzt Dr. S. blieb bei seiner Bewertung und empfahl eine Zusammenhangsbegutachtung. Im weiteren Verlauf gab die Klägerin an, dass in den Berichten viele Dinge nicht oder nicht richtig dokumentiert worden seien. Insbesondere habe sie bereits bei der ersten Untersuchung über Kopf- und Schulterschmerzen geklagt und sich wegen der Schulterschmerzen auch bereits vier Tage nach dem Arbeitsunfall bei Dr. P. vorgestellt. Bereits bei einer Röntgenuntersuchung am 13. August 2008 sei eine Flüssigkeitsansammlung festgestellt worden.

Bei fortdauernden starken Beschwerden und Entwicklung einer Schultersteife wurde die Klägerin am 3. Februar 2009 nochmals operiert (Reruptur der Supraspinatussehne), wobei wegen der Größe des Defekts von einer erneuten Rekonstruktion abgesehen wurde.

Die Beklagte holte ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. C. ein, welches dieser am 16. Juli 2009 erstattete. Diesem gegenüber hatte die Klägerin angegeben, dass direkt nach dem Unfall kein Schmerz, keine Funktionsminderung oder Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks bestanden habe, diese seien vielmehr erst am Folgetag entstanden und hätten sich bis zum fünften Tag nach dem Unfall kontinuierlich bis zum absoluten Funktionsverlust gesteigert. Der Sachverständige bestätigte das Vorliegen einer Rotatorenmanschettenruptur, die jedoch nicht kausal durch den Arbeitsunfall verursacht worden, sondern nach allen zur Verfügung stehenden Indizien (Unfallhergang, Funktionsstörung im zeitlichen Verlauf, initiales MRT, OP-Bericht und histopathologischer Befund) degenerativ bedingt sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. C. zurück und führte ergänzend aus, dass es keinen isolierten traumatischen Rotatorenmanschettenriss gebe.

Hiergegen erhob Klägerin am 29. Oktober 2009 bei dem Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) Klage, da die Schädigung der Rotatorenmanschette durch den Unfall verursacht worden sei. Hierzu legte sie ein orthopädisches Gutachten von Dr. D./Dr. E. vom 27. Oktober 2009 vor, welches in einem zivilrechtlichen Streitverfahren mit einer Privatversicherung erstellt worden war. Danach würden die intraoperativen Angaben des Operateurs, das Biopsie-Ergebnis und die kernspintomographischen Untersuchungen die Diagnose einer rein traumatischen Rotatorenmanschettenruptur nahelegen.

Die Beklagte hielt das Gutachten von Dr. D./Dr. E. im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung für nicht verwertbar, da die Maßstäbe der Kausalitätsbeurteilung andere seien und überhaupt eine differenzierte Kausalitätsbeurteilung fehle. Bereits eine Einwirkung auf die Schulter sei in Frage zu stellen. Insgesamt sprächen die fehlenden initialen Beschwerden sowie die bildgebenden, intraoperativen und histologischen Befunde gegen eine traumatische Schädigung.

Das Sozialgericht holte von Amts wegen ein chirurgisches Gutachten bei Dr. F. ein, welches dieser am 21. Juni 2010 erstattete. Danach sprächen der in keinster Weise geeignete Unfallhergang sowie sämtliche Befunde gegen einen Zusammenhang der Schulterfunktionsstörung mit dem Unfallereignis. Bereits der im MRT vom 1. September 2008 erkennbare Oberarmkopfhochstand und die intraoperativ festgestellte erhebliche Retraktion des Sehnengewebes seien Hinweise für eine lange zurückliegende Schädigung der Rotatorenmanschette und letztlich beschreibe auch die feingewebliche Untersuchung hochgradig degenerative Veränderungen. Im Gutachten von Dr. D./Dr. E. sei der Unfallhergang nicht ausreichend differenziert betrachtet, unzulässigerweise eine eigene, von der Beurteilung des Radiologen abweichende Interpretation des MRT-Befundes vorgenommen und der histologische Befund nur in Teilen berücksichtigt worden. Daher sei diesem Gutachten nicht zu folgen. Es bestehe hingegen Übereinstimmung mit dem Gutachten von Prof. Dr. C. und den Ausführungen von Dr. S. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. November 2010 verneinte der Sachverständige auch eine richtunggebende Verschlechterung eines Vorschadens.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das Sozialgericht ein chirurgisches Gutachten bei Dr. H. nebst pathologischen Zusatzgutachten von Dr. G. ein, welche den Kausalzusammenhang zwischen der Rotatorenmanschettenruptur links und dem Arbeitsunfall bejahten. Dr. G. hielt in seinem Gutachten vom 26. Juli 2012 sowohl den Unfallhergang für geeignet – wobei er von einem beim Sturz erfolgten Abstützen/Abfangen mit den Händen ausging – und wertete den Oberarmkopfhochstand, die Degeneration des rupturierten Sehnengewebes und die muskuläre Inaktivitätsatrophie nicht als vorbestehend, sondern vielmehr als Folge der Rotatorenmanschettenruptur, da die Befunde erst 41 (MRT) bzw. 66 Tage (Operation) nach dem Unfall erhoben worden seien. In einem solchen Zeitraum nach einer Rotatorenmanschettenruptur müssten sich derartige Veränderungen entwickeln. Die feingewebliche Untersuchung habe indes altersgerechtes Sehnengewebe ohne vorbestehende Texturstörung gezeigt sowie eine traumatische protrahierte Ruptur mit typischen konsekutiven reparativen Granulationen, Blutungsresiduen und aufgefaserte z.T. nekrotische Rissränder mit aufgelagertem Fibrin. Dr. H. ging in seinem Gutachten vom 13. August 2012 ebenfalls von einem Abfangen des Sturzes mit Arm oder Ellenbogen und damit einem stärkeren auf die Schulter einwirkenden Impuls aus. Er stützte sich in seiner Begründung maßgeblich auf das Gutachten von Dr. G. Eine vorbestehende Verschleißerkrankung sei nicht belegt und das Fehlen von typischen Begleitverletzungen könne nicht als Beweis für eine unfallfremde Ursache gewertet werden.

Die Beklagte legte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. S. vor, der den Unfallhergang weiterhin für ungeeignet hielt, da es aufgrund der Erstbefunde lediglich zu einer seitlichen Abstützrektion mit dem linken Arm gekommen sein könne, bei der die Schulter nach oben und damit der Oberarmkopf von unten gegen das Acromion gedrückt worden sei (Kompressionsbelastung), was eine Rotatorenmanschette nicht zur Ruptur bringen könne. Für eine andere Krafteinwirkung, die zu einer Dehnungsbelastung der Rotatorenmanschette hätte führen können, gebe es keine Belege. Da es bei einem Defekt der Rotatorenmanschette nach der orthopädisch-traumatologischen Literatur vier bis sechs Monate dauere, bis es zu einem Oberarmkopfhochstand komme, spreche der im 41 Tage nach dem Unfall erstellten MRT erkennbare Oberarmkopfhochstand gegen eine Kausalität. Da die histologische Untersuchung erst über zwei Monate nach dem Unfall durchgeführt worden sei, sei eine zeitliche Einordnung des Schadens bereits nicht mehr möglich. Zwar belegten die dabei festgestellten Texturstörungen nicht, dass ein Defekt vorbestanden habe, aber sie könnten darauf hinweisen, dass dadurch eine Läsion entstanden sei. Das Fehlen einer Primärsymptomatik mit unmittelbar auftretender und dann abklingender Schmerzsymptomatik sei nicht mit einer frischen Verletzung zu vereinbaren.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 3. Dezember 2012 ab. Die Rotatorenmanschettenläsion der linken Schulter sei keine Unfallfolge. Es sei – auch in seinen etwas unterschiedlichen Varianten – schon kein geeigneter Unfallhergang nachgewiesen. Außerdem sprächen die im MRT vom 1. September 2008 vorgefundenen Befunde wie der Oberarmkopfhochstand, der sich nicht innerhalb von sechs Wochen nach der Ruptur entwickelt haben könne, und die deutlich fortgeschrittene Atrophie des Muskelbauches für eine länger zurückliegende Schädigung. Gleiches gelte für die im OP-Bericht vom 26. September 2008 beschriebene erhebliche Retraktion des Sehnengewebes. Der pathologische Befund beschreibe hochgradig degenerativ verändertes Gewebe, was auf eine abnutzungsbedingte Rissbildung hindeute. Auch der Beschwerdeverlauf im Sinne einer Crescendo-Symptomatik sei für eine unfallbedingte Rissbildung untypisch. Der Ansicht des Dr. G., der sowohl den bildgebenden als auch den pathologischen Befund als durchaus vereinbar mit einer traumatischen Schädigung der Rotatorenmanschette ansehe, sei nicht zu folgen. Seine Ausführungen seien nicht beweisend für eine traumatische Schädigung der Rotatorenmanschette, sondern es bestehe genauso gut die Möglichkeit, dass die Rotatorenmanschette bereits vor dem Unfall geschädigt gewesen sei und somit eine konkurrierende unfallfremde Ursache bestanden habe. Letztlich könnten die pathologischen und bildgebenden Befunde das Bestehen konkurrierender Ursachen nicht im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der unfallbedingten Verursachung auflösen. 

Die Klägerin legte gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 4. Januar 2013 zugestellte Urteil am 4. Februar 2013 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung ein (L 3 U 31/13) und stützte sich weiterhin auf die Gutachten von Dres. H. und G.

Der Senat holte ein fachorthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten bei Prof. Dr. K. ein, welches dieser am 13. Oktober 2015 erstattete. Danach sei die Rotatorenmanschettenläsion keine Unfallfolge. Zwar wäre der Verletzungsmechanismus unter Zugrundelegung der korrigierten Angaben der Klägerin mit einem Abstützen des Arms ein potentiell geeigneter Verletzungsmechanismus. Gegen einen Zusammenhang sprächen jedoch die fehlende Dokumentation von Schulterbeschwerden oder -einschränkungen oder Verletzungszeichen im Bereich der Schulterweichteile im Erstbefund, der Verlauf mit kontinuierlich zunehmender Bewegungseinschränkung, das Fehlen verletzungstypischer Veränderungen im MRT und der Operationsbefund mit weit retrahierten Sehnenrändern und schwacher Substanz. Allerdings könnten bei einer Operation – ebenso wie im MRT – lediglich innerhalb der ersten sechs Wochen nach einem Ereignis verletzungstypische Veränderungen festgestellt werden. Der histologische Befundbericht helfe bei der Kausalitätsbeurteilung nicht weiter. Es sei vorliegend mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Schaden der Rotatorenmanschette vorbestehend und nicht durch die Gewalteinwirkung bei dem Arbeitsunfall vergrößert worden sei. 

Der Senat holte auf Antrag der Klägerin eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H. zu dem Gutachten des Prof. Dr. K. ein. Dr. H. hielt unter Abwägung der verschiedensten für die Kausalitätsbetrachtung relevanten Kriterien eine frühzeitige Diagnostik durch ungenaue Angaben der Klägerin und die etwas dürftige, verzögerte Nachbehandlung für schwierig. Dennoch spreche die Art der Verletzung und die ausführliche histopathologische Nachbefundung für eine traumatische Ursache der Rotatorenmanschettenruptur. Es gebe weder makro- noch mikroskopische Belege für eine altersuntypische Degeneration der Rotatorenmanschette.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. September 2016 blieb Prof. Dr. K. bei seiner bisherigen Bewertung. Entgegen der Darstellung von Dr. H. entwickele sich eine Muskelatrophie nach einer Rotatorenmanschetteruptur nicht derartig schnell. Vielmehr zeigten Studien, dass bei operativ versorgter Rotatorenmanschettenruptur eine fettige Umbauveränderung der Muskulatur im Durchschnitt erst zweieinhalb Jahre nach der Ruptur im MRT beobachtet werden könne. Zu einem Humeruskopfhochstand komme es ebenfalls nicht innerhalb von 6 Monaten nach degenerativer oder traumatischer Rotatorenmanschettenläsion. Unter Bezugnahme auf eine Studie erlaube der schriftliche Histologiebefund kaum Differenzierungen zwischen akuter und chronischer Läsion. Unberücksichtigt lasse der Sachverständige Dr. H., dass eine akute traumatische Zerreißung von zwei Sehnen der Rotatorenmanschette zu einer erheblichen funktionellen Beeinträchtigung des betroffenen Schultergelenks führe, so dass der Verletzte nicht mehr in der Lage sei, den Arm zu bewegen. Es sei nicht vorstellbar, dass ein solcher Zustand im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag mit keinem Wort erwähnt worden sei. Die Klägerin habe erst 14 Tage nach dem Ereignis wegen „akuter linksseitig aufgetretener Schulterschmerzen“ einen Arzt aufgesucht.

Dr. H. hat hierzu in einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 2. November 2016 u.a. ausgeführt, dass die Klägerin bei Befragung sofortige Schmerzen im Armbereich angegeben habe und auch in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Dass aus Termingründen die MRT-Untersuchung erst sechs Wochen später habe durchgeführt werden können, dürfe nicht zu ihren Lasten gehen. Prof. Dr. K. habe das pathologische Sachverständigengutachten nicht ausreichend gewürdigt.

Die Klägerin bekräftigte in einer schriftlichen Stellungnahme, dass sie auch schon bei der Erstuntersuchung durch den Durchgangsarzt Schmerzen verspürt habe. Nach dem Unfall habe sie den Arm nicht mehr bewegen können, sondern eine Schonhaltung eingenommen. Der Durchgangsarztbericht entspreche nicht der Wahrheit. Sie sei am nächsten Tag nach dem Unfall bei ihrem Hausarzt und vier Tage danach bei dem Orthopäden Dr. P. vorstellig geworden und habe Schmerzmittel verschrieben bekommen. 

Der Senat wies die Berufung mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2017 zurück. Es könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Arbeitsunfall vom 22. Juli 2008 Schäden der Rotatorenmanschette verursacht habe. Ein geeigneter Unfallhergang, insbesondere ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm, sei nicht nachgewiesen. Aber auch bei Unterstellung eines geeigneten Unfallmechanismus, sprächen andere wesentliche Umstände gegen den Kausalzusammenhang. Hierzu zählen das Beschwerdebild und das Verhalten der Klägerin unmittelbar nach dem Sturz, welches auch nach der eigenen ausführlichen Schilderung nicht mit dem bei einer unfallbedingten Rissbildung der Rotatorenmanschette zu erwartenden sofortigen Kraft- und Funktionsverlust sowie Schmerzhaftigkeit in Einklang zu bringen sei. Es sei nicht vorstellbar, dass es der Klägerin nach einer solchen unfallbedingten Schädigung gelungen wäre, sich an einem Metallpfosten hochzuziehen. Weder in der eigenen Schilderung noch im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag seien bzgl. der linken Schulter Beschwerden oder Einschränkungen dokumentiert worden. Auch bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. C. habe die Klägerin angegeben, dass direkt nach dem Unfall kein Schmerz und keine Funktionsminderung oder Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenkes bestanden hätten. Auch bei einer traumatischen Sehnenruptur zu erwartende äußere Verletzungszeichen (Schwellungen und Blutergüsse im Bereich der Schulterweichteile und der Oberarme mit erheblichen lokalen Druckschmerzen) seien im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag nicht befundet worden. Die Funktionseinschränkung, beschrieben im Befund vom 13. August 2008, sei untypisch und ebenso wie die stufenweise Verschlechterung der Beschwerden nicht mit einer traumatischen Sehnenruptur zu vereinbaren. Außerdem sprächen die im MRT vom 1. September 2008 dargestellten Veränderungen (Humeruskopfhochstand, (beginnende) Rückbildung des Muskelbauches der Supraspinatussehne (Atrophiegrad II) mit deutlichen fettigen Infiltrationen) nach den Ausführungen von Prof. Dr. K. für einen schon älteren Schaden der Rotatorenmanschette, da sich solche nicht so schnell entwickeln würden. Gegen den Kausalzusammenhang und für einen schon länger bestehenden Schaden sprächen nach übereinstimmender Beurteilung der Prof. C. und K. auch die intraoperativ am 26. September 2008 vorgefundenen, weit retrahierten Sehnenränder mit schwacher Substanz. Der Auffassung des Sachverständigen Dr. G., der sich der Sachverständige Dr. H. angeschlossen habe, vermochte der Senat nicht zu folgen. Er habe seine Ansicht primär auf den histologischen Befund an rissfernen Teilstücken gestützt, die seiner Aussage zufolge ein altersgerechtes Sehnengewebe aufwiesen. Diese Auffassung überzeuge im Anschluss an die Ausführungen von Dr. S. nicht, da diese Teilstücke nur einen kleinen Teil (Bruchstücke) des Sehnengewebes darstellten und im OP-Bericht außerdem von einer „schlechten Sehnenqualität“ die Rede ist, was gegen die Schlussfolgerung von Dr. G. spreche. Da zwischen dem Unfallzeitpunkt und der Operation bereits 66 Tage vergangen waren, habe aufgrund der histologischen Untersuchung eine zeitliche Zuordnung der Rissentstehung nicht mehr erfolgen können, worauf Dr. S. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 5. September 2012 hingewiesen habe und was auch Dr. G. einräume.

Am 4. September 2017 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) bei der Beklagten, da nach den Gutachten von Dres. G. und H. eine unfallbedingte Rotatorenmanschettenruptur vorliege, die eine MdE von 30 v.H. bedinge.

Die Beklagte lehnte mit Überprüfungsbescheid vom 8. März 2018 die Rücknahme des Bescheides vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2009 ab. Das Urteil im Verfahren L 3 U 31/13 habe unter Berücksichtigung der genannten Gutachten bestätigt, dass weder von einem sich als unrichtig erweisenden Sachverhalt ausgegangen noch noch das Recht unrichtig angewandt worden sei. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2018 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 28. Juni 2018 bei dem Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, dass eine wesentliche Mitursächlichkeit des Unfalls für die Rotatorenmanschettruptur bestanden habe. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2022 abgewiesen. Der angegriffene Überprüfungsbescheid in Gestalt des Widerspruchbescheides sei rechtmäßig; insoweit werde auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in Bescheid und Widerspruchsbescheid verwiesen.

Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 2. Juni 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 17. Juni 2022 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat der Senat ein fachorthopädisches Gutachten bei Dr. R. eingeholt, welches dieser am 23. Oktober 2023 erstattete. Dieser ist der Auffassung, dass alle Schäden der linken Schulter Unfallfolgen seien. Solange es keine Videoaufzeichnung von dem Unfall gebe und sich die Klägerin angesichts des komplexen Geschehens nur unzureichend erinnern könne, spreche mehr für als gegen eine Geeignetheit des Unfallhergangs. Der Unfall sei auch nicht durch jedes alltäglich vorkommende Ereignis ersetzbar. Zudem habe die Klägerin vor dem Unfall zu keinem Zeitpunkt Schulterbeschwerden gehabt und körpereigene Ursachen würden ausscheiden. Der Verlauf mit anschwellender Symptomatik spreche für eine protrahierte Funktionsstörung. Der Hinweis der anderen Sachverständigen, dass Rotatorenmanschettenrupturen, mit dem Alter häufiger werdend, spontan zu degenerativen Veränderungen bis hin zu Rissbildungen führten, bedeute nicht, dass traumatische Schädigungen ausgeschlossen werden könnten. Außerdem hat sich Dr. R. mit den vorherigen Sachverständigengutachten auseinandergesetzt.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. V. vorgelegt, wonach das Gutachten von Dr. R. weder schlüssig noch überzeugend sei. Dr. R. setze den MRT-Befund nicht mit dem klinischen Verlauf und den sonstigen Befunden in Relation. Abgesehen davon, dass ein geeigneter Hergang zweifelsfrei nicht gesichert sei und die Klägerin auch erst nach Bekanntwerden des Rotatorenmanschettenschadens erstmals angegeben habe, sich beim Sturz mit den Händen seitlich abgestützt zu haben, beinhalte weder das MRT Hinweise auf eine traumatische Schädigung, noch habe klinisch eine Verletzungsfolge mit Blick auf die Untersuchungsbefunde und die sekundäre Entwicklung überhaupt vermutet werden können; insbesondere fehle es an einem entsprechenden Erstschadensbild mit schwerstgradigigen Funktionseinschränkungen unmittelbar nach dem Unfall. Auch die intraoperativen Befunde, deren Aussagekraft aufgrund des Zeitintervalls zunehmend eingeschränkt sei, sowie die Histologie hätten keine Aspekte gezeigt, die auf eine unfallbedingte Schädigung hindeuten würden. Entgegen der Darstellung von Dr. R. seien die bei einer rund zwei Monate nach einem Unfall erfolgten Gewebeentnahme festgestellten Fibrinbeläge keine Zeichen einer unfallbedingten Schädigung, da solche Beläge nur in der Frühphase nach einer Sehnenruptur zu beobachten seien. Zudem habe die Histologie nur eine relativ begrenzte Aussagekraft bei der Beurteilung von Zusammenhangsfragen und diese sei durch den späten Zeitpunkt der Entnahme nach mehr als neun Wochen nach dem Unfall erheblich weiter geschmälert. Dr. R. ist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Februar 2024 bei seiner Einschätzung geblieben. Er könne die Argumente von Dr. V. ebenso wie die in den abweichenden Sachverständigengutachten zwar in Teilen nachvollziehen, nicht aber in der abschließenden Bewertung. Er selbst habe versucht, argumentativ die spezielle Situation des hier nicht gerade typischen Falls eines Verletzungsmechanismus im Schulterbereich zu berücksichtigen. 

Mit Beschluss des Senats vom 29. Februar 2024 hat der Senat die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung gemäß § 153 Abs. 5 SGG übertragen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 2022 sowie des Bescheides vom 8. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2018 zu verpflichten, den Bescheid vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2009 zurückzunehmen, den Rotatorenmanschettenschaden der linken Schulter als weiteren Gesundheitserstschaden oder Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Juli 2008 festzustellen und ihr eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid sowie ihre Bescheide für rechtmäßig und wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Dem Gutachten von Dr. R. sei aus den von Dr. V. genannten Gründen nicht zu folgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des beigezogenen Verfahrens L 3 U 31/13 sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin in der Besetzung gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheiden, nachdem die entsprechende Übertragung mit Beschluss vom 29. Februar 2024 erfolgt ist.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der erstinstanzliche Gerichtsbescheid vom 30. Mai 2022 ist zu Recht ergangen.

Streitgegenstand ist neben dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Aufhebung des Bescheides vom 8. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2018, die Verpflichtung der Beklagten den Bescheid vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2009 zurückzunehmen und den Rotatorenmanschettenschaden der linken Schulter als weiteren Gesundheitserstschaden oder Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Juli 2008 festzustellen und ihr eine Rente nach einer MdE von 30 v.H. zu gewähren.

Die Klägerin verfolgt ihren geltend gemachten Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung des Rotatorenmanschettenschadens der linken Schulter als weiteren Gesundheitserstschaden oder Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Juli 2008 statthaft mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 – B 2 U 17/10 R – juris Rn 12). Der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2008 ist nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB entsprechend) auszulegen, d. h. danach, wie der Adressat die Erklärung bei verständiger Würdigung aller Umstände nach Treu und Glauben verstehen musste; hierbei ist der der Bestandskraft zugängliche Verfügungssatz zugrunde zu legen und zur Klärung seines Umfangs die Begründung des Bescheides zu berücksichtigen, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (St. Rspr., z. B. BSG Urteil vom 30. März 2023 - B 2 U 1/21 R). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Bescheid vom 28. Oktober 2008 aufgrund seiner Begründung so zu verstehen, dass die Beklagte darin auch über die Feststellung von Gesundheitserstschäden bzw. Unfallfolgen entschieden hat und die Steißbeinprellung als solche(n) anerkannt und die Schulterverletzung hingegen als Gesundheitserstschaden/Unfallfolge abgelehnt hat. Daher ist auch der Verpflichtungsantrag zu dieser Feststellung statthaft.

Soweit die Klägerin über die Feststellung dieses weiteren Gesundheitserstschadens/ dieser weiteren Unfallfolge hinaus auch die Gewährung einer Rente begehrt, war bereits die Klage unzulässig, da weder der zur Überprüfung gestellte Bescheid vom 28. Oktober 2008 noch der Überprüfungsbescheid vom 8. März 2018 hierüber keine Regelung enthält. Die Beklagte hat im Bescheid vom 28. Oktober 2008 mit der „Ablehnung von Entschädigungsleistungen über den 27. Juli 2028 hinaus“ nicht auch eine Rente abgelehnt. Zwar ist auch die Rente eine Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung; die Bescheidbegründung, in der allein auf die Dauer der Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit eingegangen und diese auf den Zeitraum bis zum 27. Juli 2028 begrenzt wird, macht jedoch deutlich, dass die Beklagte mit ihrem Verfügungssatz lediglich Heilbehandlungs- und Verletztengeldansprüche gemeint hat und keine Regelung über eine Rente treffen wollte. Dies war auch für den verständigen Bescheid-Adressaten nach dem objektiven Empfängerhorizont erkennbar. Mit dem Überprüfungsbescheid vom 8. März 2018 wurde die Rücknahme dieses Bescheides abgelehnt.

An der fristgerechten Klageerhebung und an der Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Feststellungsklage bestehen im Übrigen keine Zweifel (§§ 87, 90, § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG). 

Rechtsgrundlage für die begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung ihres Bescheides vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2009 ist § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Danach ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. 

Diese Voraussetzungen für die Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide liegen jedoch nicht vor. Anhaltspunkte für eine formelle Rechtswidrigkeit der Bescheide bestehen nicht. Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig.

Auch wenn der zu überprüfende Bescheid vorliegend bereits einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen wurde, hat erneut eine umfassende Prüfung von Amts wegen zu erfolgen. Selbst wenn ein Versicherter schon wiederholt Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X gestellt hat, darf die Verwaltung einen erneuten Antrag nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen, sondern muss in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller bescheiden (BSG Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R m.w.N; Schütze/Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 44 Rn. 41, beck-online). Denn Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG a. a. O. und Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R; BeckOGK/Sandbiller, 15.11.2024, SGB X § 44 Rn. 3, beck-online). Dem stehen auch die Urteile des 9. und 4. Senats des BSG (vom 3. Februar 1988 - 9/9a RV 18/86 und vom 3. April 2001 - B 4 RA 22/00), die in Anlehnung an die gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren (vgl. §§ 578 ff ZPO) oder an § 51 VwVfG ein abgestuftes Prüfungsverfahren befürworten, nicht entgegen. Unabhängig davon, inwieweit dieser Rechtsprechung zu einem abgestuften Prüfungsverfahren gefolgt werden kann, nennt § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zwei Alternativen, bei deren Vorliegen ein Verwaltungsakt zurückzunehmen ist: Das Recht kann unrichtig angewandt oder es kann von einem sich als unrichtig erweisenden Sachverhalt ausgegangen worden sein. Nur für die zweite Alternative kann es überhaupt auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel und ein abgestuftes Verfahren ankommen. Bei der ersten Alternative handelt es sich um eine rein juristische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl. BSG Urteile vom 30. Januar 2020 – B 2 U 2/18 R –; 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R; 21. März 2002 - B 7 AL 44/01 R - und 16. Mai 2001 - B 5 RJ 26/00 R).

Die Überprüfung hat vorliegend die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2009 bestätigt, so dass auch der angefochtene Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 8. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2018 rechtmäßig ist. Die Beklagte hat im Bescheid vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2009 zu Recht die Schulterverletzung, d.h. den Rotatorenmanschettenschaden der linken Schulter der Klägerin weder als weiteren Gesundheitserstschaden noch als Folge des Arbeitsunfalls vom 22. Juli 2008 festgestellt.

Gesundheitsstörungen müssen, um als Gesundheitserstschaden (unmittelbar durch das Ereignis verursachter Schaden) oder Unfallfolge (länger andauernder Schaden) im Sinne von § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII anerkannt zu werden, zunächst im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (§ 128 SGG; BSGE 103, 99, 104).

Der Rotatorenmanschettenschaden der linken Schulter ist in Form einer Komplettruptur der Supraspinatussehne durch den MRT-Bericht vom 1. September 2008 und den OP-Bericht vom 26. September 2008 belegt. Auch sämtliche Sachverständigen, deren Gutachten im vorliegenden Verfahren einbezogen wurden (Prof. Dr. C., Dres. D./E., Dr. F., Dr. H., Prof. Dr. K. und Dr. R.), sowie die Beratungsärzte der Beklagten Dr. S. und Dr. V. haben diese Diagnose bestätigt, so dass der Senat die Supraspinatussehnenruptur als vollbeweislich gesichert ansieht. Die im MRT-Bericht vom 1. September 2008 zudem noch erwähnte „fast komplette Ruptur der Infraspinatussehne“ wurde von dem Sachverständigen Prof. Dr. K. in seiner Beurteilung der MRT-Bilder nicht bestätigt, sondern die Infraspinatussehne vielmehr als intakt bewertet und eine solche Infraspinatussehnenruptur ließ sich auch intraoperativ nicht mehr sichern. Daher sieht der Senat eine Infraspinatussehnenruptur nicht als vollbeweislich gesichert an.

Dieses Schadensbild ist indes nicht ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 22. Juli 2008 zurückzuführen. Der Rotatorenmanschettenschaden der linken Schulter ist weder ein weiterer Gesundheitserstschaden noch eine Unfallfolge, da die dafür erforderliche Kausalität nicht vorliegt.

Für die Kausalitätsfeststellung zwischen den durch ein Ereignis unmittelbar hervorgerufenen Gesundheitsschäden (haftungsbegründende Kausalität) oder Unfallfolge (länger andauernder Schaden) gilt wie für alle Kausalitätsfeststellungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris). Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer 1. Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d. h. – so die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Auf dieser Stufe der Tatsachenfeststellungen ist zudem zu prüfen, ob mehrere versicherte und nicht versicherte Ursachen zusammen objektiv wirksam geworden sind, ggf. sind deren Mitwirkungsanteile festzustellen (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass ein möglicherweise aus mehreren Schritten bestehender Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg.), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). Die Prüfung dieser ersten Stufe ist eine rein tatsächliche Fragestellung, die seitens des Gerichts mit Hilfe medizinischer Sachverständiger zu erfolgen hat, die dabei den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zugrunde zu legen haben (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2021 – B 2 U 15/19 R – juris Rn 20; BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020 - B 2 U 10/19 R - juris Rn 27). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020 – B 2 U 10/19 R – juris Rn 27). Steht fest, dass neben der versicherten auch eine konkurrierende, nicht versicherte Ursache eine Gesundheitsstörung objektiv kausal (mit-)bewirkt hat, ist anschließend in einer 2. Stufe der Kausalitätsprüfung juristisch zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen der Versicherte im Unfallzeitpunkt bereits an einer Erkrankung litt oder aber bei ihm wenigstens eine Neigung hierzu in Gestalt einer entsprechenden Disposition oder Schadensanlage bestand. Bestand ein Vorschaden, steht dessen Verschlimmerung durch das Unfallereignis in Rede. Bestand eine Schadensanlage oder Disposition, steht die Auslösung derselben durch das Unfallereignis in Rede (vgl. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII (Stand: 29. Juni 2022), Rn 169). Weil aber der gesetzlichen Unfallversicherung die Aufteilung eines Schadens nach Verursachungsanteilen fremd ist (Alles-oder-Nichts-Prinzip), muss die Kausalität für den gesamten Schaden einheitlich bewertet werden (vgl. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 8 SGB VII (Stand: 29. Juni 2022), Rn 176). Daher ist auf dieser zweiten Prüfungsstufe durch Wertung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R – juris; LSG Darmstadt, Urteil vom 30. Juni 2020 – L 3 U 151/17 – juris Rn 23). Dabei handelt es sich um eine reine Rechtsfrage (vgl. dazu etwa: BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020 – B 2 U 10/19 R – juris Rn 32).

Die bei der Klägerin nach dem Unfall im MRT nachgewiesenen Schäden der Rotatorenmanschette lassen sich im naturwissenschaftlichen Sinne (1. Prüfungsstufe) nicht hinreichend wahrscheinlich auf das Unfallereignis als alleinige Ursache zurückführen.

Für diese Feststellung stützt sich der Senat insbesondere auf die ihn überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. C. (Gutachten vom 16. Juli 2019), Dr. F. (Gutachten vom 21. Juni 2010) und Prof. Dr. K. (Gutachten vom 13. Oktober 2015) sowie der Beratungsärzte der Beklagten Dr. S. und Dr. V., welche dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen (z.B. Schönerberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. Ziff. 8.2.5, S. 431 ff.). Der Zusammenhangsbeurteilung von Dres. D./E. (Gutachten vom 27. Oktober 2009), Dres. H./G. (Gutachten vom 13. August 2012 bzw. 2. Juli 2012) und Dr. R. (Gutachten vom 24. Juni 2018) war hingegen nicht zu folgen.

Bei der Rotatorenmanschette handelt es sich um vier Muskeln (M. Supraspinatus, M. Infraspinatus, M. Subscapularis, M. Teres minor), die wie eine Manschette das Schultergelenk umfassen. Das Zusammenspiel dieser Muskeln gewährleistet die Zentrierung des Oberarmkopfes in der Schulterpfanne und unterstützt sämtliche Bewegungen des Schultergürtels. Die Sehnen der Rotatorenmanschette sind besonders anfällig für degenerative Veränderungen, die häufiger im mittleren Lebensalter eintreten. Die Supraspinatussehne verläuft in einem relativ engen knöchernen Kanal zwischen dem Oberarmkopf und dem Schulterdach, der durch die Ausbildung von Knochenzacken mit zunehmendem Lebensalter den Sehnenansatz mechanisch belastet und einengt. Daraus resultiert ab dem 5. Lebensjahrzehnt relativ häufig ein Impingement, das initial zu einer Durchblutungsstörung der Sehne, später zu Entzündungen, zu einer Ausdünnung und schließlich zu einer strukturellen Läsion im Ansatzbereich der Sehne führen kann (vgl. Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K., S. 8 f.; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 431 f.). Die nicht traumatischen, durch degenerative Prozesse bedingten Schäden der Rotatorenmanschette, stellen in der Literatur den unbestritten größten Anteil der Sehnenläsionen dar. Lange Zeit wurde ein Trauma als alleinige Ursache einer isolierten Rotatorenmanschettenruptur für unmöglich gehalten. An dieser Auffassung wird mittlerweile gerade bei jüngeren Menschen nicht mehr festgehalten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 433). Vorgeschichte, Unfallhergang, Verhalten des Verletzten nach dem Ereignis und verschiedene klinische und apparative Befunde sind im Rahmen der Zusammenhangsbeurteilung zu berücksichtigende Kriterien (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 437 f., Loew in: Schlitenwolff, Hallo, Gaidzik, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 7. Aufl. 2021, S. 636 ff.). Ebenso gibt es charakteristische Befundkonstellationen, die für eine vorbestehende, alterungs- und verschleißbedingte Läsion der Sehnen sprechen. Ein Vollbeweis für oder gegen eine Kausalität eines Unfallereignisses ist im Individualfall häufig nicht möglich, wobei es Befundkonstellationen gibt, die mit einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Ereignis und Rotatorenmanschettenruptur nicht vereinbar sind (vgl. Loew in Schiltenwolff, Hallo, Gaidzik, a.a.O., S. 637). Bei der Kausalitätsbeurteilung sind die Kriterien, die für oder gegen eine traumatische bzw. für oder gegen eine vorbestehende, alterungs- und verschleißbedingte Läsion der Sehnen sprechen, auszuwerten und gegenüberzustellen. 

Da vorliegend keine Begleitverletzungen der die Rotatorenmanschette umgebenden Schultergelenksanteile dokumentiert sind, handelt es sich um einen isolierten Rotatorenmanschettenschaden. Bereits ein für eine traumatische isolierte Ruptur der Rotatorenmanschette als alleinige Ursache geeigneter Unfallhergang ist unter Berücksichtigung der verschiedenen Hergangsschilderungen zwar möglich, aber nicht vollbeweislich gesichert. 

Da die Rotatorenmanschette durch die knöcherne Schulterhöhe (Acromion) und den Deltamuskel gut geschützt ist, können direkte Krafteinwirkung auf die Schulter in Form eines Sturzes, einer Prellung oder eines Schlages nicht zu einer isolierten Verletzung der Rotatorenmanschette führen, sondern gehen immer mit einer Verletzung von anderen Strukturen der Schulter, Haut, Unterhaut, Muskulatur, Kapsel-Bandapparat, Schleimbeutel, knöchernen und knorpeligen Strukturen einher. Eine traumatische isolierte Ruptur der Supraspinatussehne setzt vielmehr einen Unfallhergang mit einer die Sehnenfestigkeit überfordernden Dehnungsbelastung voraus (vgl. dazu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 23. Oktober 2015 – L 8 U 1345/14 –, 25. September 2014 – L 6 U 1827/12 –, und 15. April 2002 – L 1 U 1844/00 juris Rn. 33 ff.; Urteil des SG Darmstadt vom 14. September 2016, S 30 U 164/14 und HLSG, Urteile vom 31. Mai 2017 – L 9 U 243/16 und vom 26. April 2022 – L 3 U 27/21; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 433). Als geeignete Verletzungsmechanismen werden in der unfallmedizinischen Literatur überfallartige, d.h. passive ruckartige und plötzliche Krafteinwirkungen, massives plötzliches Rückwärtsreißen oder Heranführen des Armes, wenn dieser zuvor muskulär fixiert war sowie starke Zugbelastung bei gewaltsamer Rotation des Armes angesehen. Als potentiell geeignet ist daher auch ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen. Die Dehnungsbelastung resultiert in diesem Fall aus einer Subluxation des Oberarmkopfs nach vorne oben und/oder aus einem rückwärts Hochreißen des Arms (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O., S. 435). Allerdings sind aktive Tätigkeiten, die zu einer abrupten, aber planmäßigen Muskelkontraktion führen sowie plötzliche Muskelanspannungen kein geeigneter Hergang für eine traumatische Ruptur, da die Reißfestigkeit der Sehne höher zu bewerten ist als die Muskelkraft. Diese Einschätzungen zu geeigneten und ungeeigneten Verletzungsmechanismen beruhen auf biomechanischen Modelluntersuchungen und empirischen Beobachtungen. Experimentelle Studien zu tatsächlichen Abläufen und Belastungen bei Stürzen und anderen Krafteinwirkungen liegen nicht vor (Loew in Schiltenwolff, Hallo, Gaidzik, a.a.O., S. 633).

Zu den Details des vorliegenden Unfallhergangs gibt es unterschiedliche Angaben der Klägerin, insbesondere dazu, ob sie mit dem Ellenbogen, dem Rücken/Steißbein oder der Schulter auf dem Boden aufgekommen ist und ob sie sich mit den Händen/Armen (seitlich) abgestürzt hat oder nicht. Überwiegend beschreibt die Klägerin – auch bestätigt von der Zeugin L. – einen primäreren Sturz auf das Steißbein bzw. den Rücken. Hierfür spricht auch, dass im Erstbericht des Durchgangsarztes die Erstdiagnose einer Steißbeinprellung gestellt und an keiner anderen Körperstelle Verletzungen oder Schmerzen dokumentiert wurden. Lediglich in einem Fragebogen gab die Klägerin am 24. September 2008 an, dass sie mit dem Ellenbogen zuerst aufgekommen sei, wohingegen im Gutachten von Prof. Dr. C. lediglich von einem wahrscheinlichen Anstoßen mit dem linken Ellenbogen an der Autotür die Rede ist. Gegenüber Prof. Dr. C. verneinte die Klägerin ein Fallen auf den linken Arm oder die linke Schulter und gab im Klageverfahren hingegen an, nicht mehr genau zu wissen, ob sie mit der Schulter oder dem Rücken aufgekommen sei. Diese Unklarheiten sind jedoch vorliegend im Ergebnis nicht von Bedeutung, da selbst bei einem Primärsturz auf die Schulter lediglich eine direkte Krafteinwirkung und damit ein ungeeigneter Unfallhergang für eine isolierte traumatische Rotatorenmanschettenruptur vorliegen würde. Als einzig in Betracht kommender geeigneter Hergang wäre ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen anzusehen. Ein solcher Hergang wird jedoch an keiner Stelle beschrieben und ist aufgrund der insgesamt variierenden Schilderungen der Klägerin keinesfalls vollbeweislich gesichert. Während in der Unfallanzeige, im Durchgangsarztbericht vom Unfalltag sowie der am 8. April 2009 vorgelegten und von der Zeugin L. bestätigten Schilderung kein Abstützen/Abfangen mit den Händen erwähnt wird, hat die Klägerin – nachdem am 1. September 2008 im MRT der Rotatorenmanschettenschaden festgestellt wurde – zwar gegenüber dem Durchgangsarzt am 9. September 2008 und im Fragebogen am 24. September 2008 angegeben, den Sturz mit den Händen abgefangen bzw. dies versucht zu haben, wobei hier unklar bleibt, wie genau dies erfolgt sein soll. Im ergänzenden Schreiben vom 12. September 2008 wird ein seitliches Abstützen, nicht aber ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm beschrieben. Wiederum an anderer Stelle (am 2. November 2010 vorgelegtes Schreiben) verneint die Klägerin ein Abfangen mit den Händen jedoch ausdrücklich, da sie sonst nicht auf Händen und Füßen Richtung Eingang hätte krabbeln und sich an einem Pfosten hochziehen können. Da die Klägerin zudem auch angegeben hat, dass sie im Augenblick des Sturzes die in den Händen gehaltene Kiste mit Topfpflanzen ins Auto zurückgeworfen habe, sie ihre Arme demzufolge kraftvoll nach vorne bewegt hat, erscheint es auch aus diesem Grund zumindest zweifelhaft, dass es ihr während des Sturzes dann noch gelungen sein sollte, die Arme nach hinten zu bewegen, um den Sturz abzufangen. Aufgrund dieser Widersprüche und Zweifel vermochte der Senat nicht zur vollen richterlichen Überzeugung zu gelangen, dass ein Sturz auf den nach hinten ausgestreckten Arm mit Aufprall auf Hand oder Ellenbogen stattgefunden hat. Selbst wenn man einen solchen grundsätzlich für die Verursachung eines Rotatorenmanschettenschadens geeigneten Sturz annehmen würde, wäre hinsichtlich der Krafteinwirkung auf das Schultergelenk zu bedenken, dass sich nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es zu einem Primärsturz auf die Hände gekommen ist. Dies hat weder die Klägerin selbst angegeben, noch ließe sich dies mit der Erstdiagnose einer Steißbeinprellung, ohne Dokumentation von Verletzungen oder Schmerzen im Bereich der Hände/Arme ohne weiteres in Einklang bringen. Die Erstdiagnose einer Steißbeinprellung spricht vielmehr dafür, dass ein Großteil der Bewegungsdynamik vom Gesäß abgefangen wurde. Wahrscheinlicher würde daher ein allenfalls gleichzeitiges oder sogar sekundäres Abstützen/Abfangen mit den Händen bei Primärsturz auf den Rücken/das Steißbein erscheinen, was die einwirkende Kraft auf die Schulter verringern würde. Auch der Umstand, dass sich die Klägerin direkt nach dem Unfall auf Händen und Füßen krabbelnd fortbewegen konnte, spricht gegen gravierende Verletzungen des linken Arms. Eine dahingehend differenzierende Betrachtung der Krafteinwirkung haben die Sachverständigen Dres. H. und G. in ihren Gutachten nicht vorgenommen, so dass diese insoweit auf einer unzutreffenden Grundlage beruhen. Nicht zu folgen ist indes auch der Ansicht des Sachverständigen Dr. R., dass mehr für als gegen eine Geeignetheit des Unfallhergangs spreche, solange es keine Videoaufzeichnung von dem Unfall gebe und sich die Klägerin angesichts des komplexen Geschehens nur unzureichend erinnern könne. Dies widerspricht der Beweislastverteilung, wonach die Klägerin im Zweifel für den Unfallhergang beweispflichtig ist.

Es ist dem Sachverständigen Prof. Dr. K. zudem darin zuzustimmen, dass die traumatomechanische Ereignisanalyse ohnehin lediglich ein Anhaltspunkt im Rahmen der Zusammenhangsbeurteilung sein kann, nicht aber als alleiniges Argument für oder gegen eine Kausalität dient, da experimentelle Untersuchungen zu den tatsächlichen Ereignisabläufen fehlen (Loew in Schiltenwolff, Hallo, Gaidzik, a.a.O., S. 633). Aber auch bei Unterstellung, dass ein geeigneter Unfallmechanismus stattgefunden hat, sprechen vorliegend andere wesentliche Umstände gegen den Kausalzusammenhang. 

Sowohl die dokumentierte klinische Symptomatik nach dem Arbeitsunfall und die weitere Beschwerdeentwicklung, als auch die bildgebenden Befunde im MRT vom 1. September 2008 sowie die intraoperativen und histologischen Befunde sprechen dagegen, dass der Rotatorenmanschettenschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Für diese Feststellung stützt sich der Senat auf die schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C. (Gutachten vom 16. Juli 2019), Dr. F. (Gutachten vom 21. Juni 2010) und Prof. Dr. K. (Gutachten vom 13. Oktober 2015) sowie der Beratungsärzte der Beklagten Dr. S. und Dr. V.

Zunächst ist die nach Aktenlage dokumentierte klinische Symptomatik unmittelbar nach dem Arbeitsunfall und die weitere Beschwerdeentwicklung nicht mit einer traumatischen Rotatorenmanschettenruptur vereinbar. 

Prof. Dr. C., aber auch die weiteren genannten Sachverständigen haben insoweit übereinstimmend ausgeführt, dass es bei einer unfallbedingten Rissbildung der Rotatorenmanschette typischerweise zu einem sofortigen Kraft- und Funktionsverlust sowie zu einer sofortigen Schmerzhaftigkeit unmittelbar nach dem Unfallereignis kommt, welche in der Folgezeit nachlässt. Dies steht im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, a.a.O. S. 436). Danach zeigen unfallbedingte Veränderungen einen abnehmenden Decrescendo-Verlauf von Schmerz- und Funktionsbeeinträchtigungen, wohingegen es auf eine unfallunabhängige Ursache hindeutet, wenn unfallnah leichte Beschwerden und Einschränkungen unverändert bleiben oder sich in den folgenden Tagen und Wochen verstärken (Crescendo-Verlauf).

Vorliegend ist initial nach dem Unfall keine für einen traumatischen Rotatorenmanschettenschaden typische klinische Symptomatik nachgewiesen, insbesondere weder Schmerzen noch Bewegungseinschränkungen oder ein Kraftverlust des Schultergelenks. Dass die Klägerin nach eigenem Bekunden direkt nach dem Unfall auch im Bereich der linken Schulter Schmerzen hatte, was sie auch bei der Begutachtung durch Dr. H. im Jahr 2012 angab und im Verhandlungstermin im Jahr 2025 schilderte, dass ihr in den ersten beiden Tagen nach dem Unfall „alles wehgetan“ habe, reicht als Nachweis einer für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur sprechenden klinischen Symptomatik ohne jegliche medizinische Dokumentation nicht aus. Aus dem Durchgangsarztbericht vom Unfalltag ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass es bei dem Unfall zu einer Schulterverletzung gekommen sein könnte und es wurden folglich auch keine entsprechenden Untersuchungen der Schulter durchgeführt. In der am 8. April 2009 vorgelegten schriftlichen Hergangsschilderung gab die Klägerin an, dass unmittelbar nach dem Unfall starke Schmerzen am Steißbein und Kopf bestanden hätten, die links und rechts in die Schulter ausgestrahlt hätten. Im Verhandlungstermin im Jahr 2025 gab die Klägerin an, dass insbesondere am zweiten Tag vorwiegend der linke Arm geschmerzt habe. Dies deckt sich mit den Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. C., wonach direkt nach dem Unfall kein Schmerz, keine Funktionsminderung oder Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks bestanden habe; vielmehr seien diese erst am Folgetag entstanden und hätten sich bis zum fünften Tag nach dem Unfall kontinuierlich bis zum absoluten Funktionsverlust gesteigert. Einen ärztlichen Nachweis darüber, dass die Schulterschmerzen tatsächlich bereits am Folgetag – was jedoch ebenfalls bereits untypisch für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur wäre – aufgetreten sind, gibt es ebenfalls nicht. Vielmehr sind Schulterschmerzen erstmals am 4. August 2008 und damit knapp zwei Wochen nach dem Unfallereignis von dem Orthopäden Dr. P. dokumentiert worden. Dieser beschrieb eine schmerzhafte Retroversion der linken Schulter und ein Druckschmerz im Verlauf des Ligamentum coracoacromiale. Hierbei handelt es sich um unspezifische, nicht mit einer akuten Rotatorenmanschettenruptur vereinbare Beschwerden. Auch der Durchgangsarztbefund vom 13. August 2008, mit Schmerzen im Bereich der linken Schulter beim Abspreizen ab 80 Grad sowie ein leichter Druckschmerz über dem AC-Gelenk, ist nach Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. K. unspezifisch. Ein für eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur typischer Funktionsverlust ist sodann erst im weiteren Verlauf mit dem am 9. September 2008 durchgangsärztlich festgestellten Drop-Arm-Syndrom nachgewiesen. Dieser Crescendo-Verlauf spricht ebenfalls gegen eine traumatische Ruptur. 
Gegen eine traumatische Rotatorenmanschettenruptur spricht auch das Verhalten der Klägerin unmittelbar nach dem Ereignis. Im Falle einer derartigen Verletzung ist es kaum denkbar, dass die von der Klägerin beschriebene Fortbewegung auf allen Vieren und ein Hochziehen an einem Metallpfosten noch möglich gewesen wäre.

Selbst wenn man der Einschätzung der Sachverständigen Dres. H./G. folgen sollte, wonach sich der verzögerte Beschwerdebeginn durch eine zunächst nur inkomplette und eine erst zu einem späteren Zeitpunkt eingetretene komplette Durchtrennung der Supraspinatussehne erklären lasse (die Komplettruptur der Supraspinatussehne wäre dann ggf. Unfallfolge) und sich eine solche (verzögerte) protrahierte Rissbildung vollbeweislich sichern ließe, könnte hieraus jedoch kein Rückschluss auf die Kausalität – insbesondere auf der zweiten Prüfungsstufe – gezogen werden. Zwar spräche dann der spätere Beschwerdebeginn nicht mehr zwingend gegen die Kausalität, allerdings würden weiterhin Argumente fehlen, um die Kausalität positiv feststellen zu können. Denn auch in diesem Fall käme in der Abwägung den vorbestehenden, insbesondere durch das MRT und die operativen Befunde gesicherten Verschleißerscheinungen (s.u.) überragende Bedeutung zu, so dass das Unfallereignis allenfalls als Auslöser, aber nicht als rechtlich wesentliche Ursache der Ruptur anzusehen wäre.

Insbesondere der MRT-Befund vom 1. September 2008 spricht gegen eine traumatische Genese des Rotatorenmanschettenschadens. Auch insoweit folgt der Senat den Sachverständigen Prof. Dr. C. (Gutachten vom 16. Juli 2019), Dr. F. (Gutachten vom 21. Juni 2010) und Prof. Dr. K. (Gutachten vom 13. Oktober 2015) sowie der Beratungsärzte der Beklagten Dr. S. und Dr. V.

Das MRT ist knapp sechs Wochen nach dem Arbeitsunfall erstellt worden, bewegt sich somit gerade noch in dem zeitlichen Rahmen, der nach der unfallmedizinischen Literatur grundsätzlich zum Nachweis traumatischer Verletzungszeichen geeignet ist (vgl. dazu Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 436). Insoweit ist zwar fraglich, ob sich anhand eines solchen unfallzeitnah erstellten MRT überhaupt frische traumatische Schäden nachweisen lassen. Denn nach dem Ergebnis einer von dem Sachverständigen Prof. Dr. K. mit einer Arbeitsgruppe durchgeführten klinischen Studie, welche er im Rahmen seines Gutachtens vom 13. Oktober 2015 zitiert hat (Loew M, Porschke F, Riedmann S, Magosch P, Lichtenberg S (2014), Zur Unterscheidung zwischen traumatischer und degenerativer Rotatorenmanschettenruptur – eine klinische und radiologische Untersuchung, Obere Extremität 9: 209-214), konnten auch bei frischen traumatischen Schäden häufig keine Verletzungsindikatoren gefunden werden, die einen Hinweis auf Zeitpunkt und traumatische Ursache der Rotatorenmanschettenläsion geben konnten. Umgekehrt gibt es jedoch durchaus Anzeichen, die für eine bereits Monate oder Jahre vor dem MRT zurückliegende Schädigung sprechen (z.B. Verschmächtigung der zugehörigen Muskulatur der Rotatorenmanschette, fettige Durchsetzung der Muskelbäuche).

Vorliegend wurden im MRT-Bericht vom 1. September 2008 solche für eine länger zurückliegende Schädigung sprechende Anzeichen gefunden. So wurde darin ein Humeruskopfhochstand, eine deutliche Verschmälerung des Subacromialraumes, sowie eine mäßige AC-Gelenksarthrose beschrieben und sowohl Prof. Dr. K. als auch Prof. Dr. C. haben anhand der MRT-Bilder darüber hinaus eine – laut Prof. Dr. K. beginnende und laut Prof. Dr. C. bereits deutlich fortgeschrittene – Rückbildung des Muskelbauches der Supraspinatussehne (Atrophiegrad II) mit deutlichen fettigen Infiltrationen erkannt. Dies sind Veränderungen, die sich nach Überzeugung des Senats nicht binnen sechs Wochen entwickeln, sondern einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen und folglich als vorbestehend zu bewerten sind. Insoweit stützt sich der Senat auf die überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. K. und Prof. Dr. C.: Dr. K. hat insoweit unter Hinweis auf eine Studie (Melis B, Wall B, Walch G (2010) Natural history of infraspinatus fatty infiltration in rotator cuff tears. J Shoulder Elbow Surg 19: 757 - 763) dargelegt, dass derartige fettige Umbauveränderungen der Muskulatur im Durchschnitt erst zweieinhalb Jahre nach dem Auftreten einer Rotatorenmanschettenruptur im MRT beobachtet werden können. Auch ein Humeruskopfhochstand entwickelt sich nach den Erfahrungen von Prof. Dr. K. und der oben genannten Studie (Loew M, Porschke F, Riedmann S, Magosch P, Lichtenberg S (2014), a.a.O.) nicht innerhalb von sechs Monaten nach einer Rotatorenmanschettenläsion. Dr. S. hat in seinen Stellungnahmen vom 21. Oktober 2008 und vom 5. September 2012 ebenfalls die Auffassung vertreten, dass sich ein Oberarmkopfhochstand frühestens vier bis sechs Monate nach einem schädigenden Ereignis einstellen kann und der vorliegende MRT-Befund daher vorbestehende degenerative Veränderungen belege. Vor diesem Hintergrund vermochte die hiervon ohne Angabe von Belegen oder Verweis auf eigene klinische Erfahrungen abweichende Auffassung von Dres. G./H., wonach eine Atrophie des Muskelbauches und ein Hochstand des Oberarmkopfes sich auch innerhalb von sechs Wochen entwickeln könne, den Senat nicht zu überzeugen. Es scheint sich hierbei eher um eine Einzelmeinung zu handeln, die nicht dem aktuellen gesicherten Erkenntnisstand entspricht.
Sowohl die intraoperativen als auch die histologischen Befunde sind aufgrund des langen Zeitintervalls zwischen Unfall und Operation am 26. September 2008 von mehr als zwei Monaten nur sehr bedingt aussagekräftig. Denn lediglich bei einer Operation innerhalb der ersten sechs Wochen nach einem Ereignis können verletzungstypische Veränderungen (blutige Ergüsse im Schultergelenk und in den umgebenden Schleimbeuteln, Einblutungen in die abgerissenen Sehnenränder, ein noch verbliebener Sehnenstummel) auf eine gewaltsame Zerreißung der Rotatorenmanschette hinweisen. Auch insoweit folgt der Senat der Einschätzung von Prof. Dr. K., welche im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur steht (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 436). Wenn eine Gewebeprobe entnommen wird, ist der histologische Befund sogar nur in den ersten drei Tagen nach dem Ereignis zur Kausalitätsbeurteilung geeignet. Später werden regelmäßig frische neben älteren degenerativen Veränderungen beschrieben und die Beurteilung durch den Pathologen ist meistens unspezifisch (vgl. Loew in Schiltenwolff, Hallo, Gaidzik, a.a.O., S. 636). Abgesehen davon vermögen die intraoperativen und histologischen Befunde einen Zusammenhang vorliegend ohnehin nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu begründen. Insbesondere vermag das orthopädische Gutachten von Dr. D./Dr. E. vom 27. Oktober 2009 nicht zu überzeugen, wenn es ausführt, dass u.a. das Biopsie-Ergebnis eine rein traumatische Rotatorenmanschettenruptur „nahelege“, denn in diesem Gutachten wurde der histologische Befund nur teilweise berücksichtigt und insbesondere die Beschreibung der Sehnenqualität mit alter Vernarbung und des hochgradig degenerativ veränderten Gewebes außer Acht gelassen. Hierauf hat der Sachverständige Dr. F. in seinem Gutachten vom 21. Juni 2010 zu recht hingewiesen.

Im OP-Bericht von Prof. Dr. M. wird eine große Rotatorenmanschettenruptur mit weit retrahierten Sehnenrändern von schwacher Substanz beschrieben; wegen der weiten Retraktion und der schlechten Sehnenqualität gelang das Setzen von Haltefäden nur mühsam. Dieser Befund spricht jedenfalls nicht für einen Unfallzusammenhang. Vielmehr ist er nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. K. für eine etwa 8 Wochen zuvor eingetretene Schädigung völlig untypisch und spricht auch nach damit korrespondierender Einschätzung von Prof. Dr. C. für eine bereits länger zurückliegende degenerative Rissbildung der Rotatorenmanschette.

Letztlich kann ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Rotatorenmanschettenschaden auch nicht auf den histologischen Befund gestützt werden.  

In der pathologisch-anatomischen Begutachtung von Prof. Dr. T. vom 30. September 2008 wird ein Sehnengewebe mit einer alten Vernarbung und chronischer Entzündung sowie hochgradig degenerativ verändertes Gewebe mit einem frischen, fibrinbelegten Riss beschrieben; außerdem zeigte sich ein frisches granulozytäres Exsudat in Nachbarschaft der Ruptur, das nicht als frische Infektion, sondern als Reaktion auf die Ruptur interpretiert wurde.

Entgegen der Beurteilung des pathologischen Sachverständigen Dr. G. spricht dieser Befund nach Auffassung des Senats nicht für eine Kausalität. Dr. G. hat seine Auffassung damit begründet, dass sich Veränderungen mit starker Texturstörung bis hin zu einer kompletten Nekrose nur auf die kleineren Teilstücke begrenzt fänden und diese quantitativ nur einen Bruchteil des ansonsten in rissfernen Abschnitten altersgerechten Sehnengewebes ausmachen würden. Bei diesen Fragmenten würde es sich um abgepleißte nekrotische Rissränder des aufgefaserten Sehnengewebes handeln, also um eine sekundäre Texturstörung in unmittelbarer Nachbarschaft einer traumatisch entstandenen Ruptur und nicht etwa um Zeichen einer vorbestehenden degenerativen Veränderung. Es fänden sich aber auch frischere Einrisse und jüngeres Granulationsgewebe, die auf die für die Rotatorenmanschette typisch protrahierte Ruptur mit konsekutiver Granulation hinwiesen und die zunehmende Schmerzsymptomatik bei der Klägerin erklären würden. Diese Auffassung überzeugt nicht. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. S. weist für den Senat überzeugend darauf hin, dass diese Teilstücke nur einen kleinen Teil (Bruchstücke) des Sehnengewebes darstellen. Ein Rückschluss auf den Zustand des Sehnengewebes insgesamt ist daraus nicht möglich. Allein auf diesem Aspekt lässt sich eine Bejahung des Kausalzusammenhangs daher nicht stützen. Zumal im OP-Bericht allgemein von einer „schlechten Sehnenqualität“ die Rede ist, ein Umstand, der gegen die Schlussfolgerung des Dr. G. spricht. Da zwischen dem Unfallzeitpunkt und der Operation bereits 66 Tage, d. h. über zwei Monate vergangen waren, kann aufgrund der histologischen Untersuchung keine verlässliche zeitliche Zuordnung der Rissentstehung mehr erfolgen, worauf Dr. S. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 5. September 2012 nachvollziehbar und im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur (s.o.) hinweist. Auch Dr. G. räumt dies ein. Er führt aus, dass sich ab dem 21. Tag nach einem schädigenden Ereignis ein zellarmes Ersatzgewebe in Form einer Narbe und etwa ab dem 64. Tag durch Zunahme der Matrix ein weitgehend normales Sehnengewebe wieder ausbildet. Folglich könnten die in der Nachbarschaft der Ruptur gefundenen Texturstörungen, die von Prof. Dr. T. als degenerative Veränderungen beschrieben wurden, nicht auf eine Schädigung am Unfalltag zurückgeführt werden, während die auch vorgefundenen frischen Einrisse auf eine Entstehung nach dem Unfallereignis hinweisen. Entgegen der Darstellung von Dr. R. in seinem Gutachten vom 23. Oktober 2023 sind auch die bei einer rund zwei Monate nach einem Unfall erfolgten Gewebeentnahme festgestellten Fibrinbeläge keine Zeichen einer unfallbedingten Schädigung, da solche Beläge nach den Ausführungen von Dr. V. nur in der Frühphase nach einer Sehnenruptur und keineswegs über zwei Monate danach zu beobachten sind. Dies hat Dr. V. überzeugend damit begründet, dass es zu einer Fibrinabscheidung nur im Rahmen der primären Entzündungsreaktion unmittelbar nach der Schadensentstehung kommt. Unabhängig davon gibt der Sachverständige Prof. Dr. K. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. September 2016 unter Bezugnahme auf die oben genannte Studie (Loew M, Porschke F, Riedmann S, Magosch P, Lichtenberg S (2014), a.a.O.) zu bedenken, dass danach der schriftliche histologische Befund kaum eine Differenzierung zwischen akuter und chronischer Läsion erlaubt. Auch Dr. V. teilt diese Auffassung der begrenzten Aussagekraft des Histologiebefundes bei der Beurteilung von Zusammenhangsfragen. 

Mit dem Umstand, dass die Klägerin vor dem Unfall nach ihrem Vortrag zu keiner Zeit Schulterbeschwerden gehabt habe, lässt sich ein Kausalzusammenhang ebenfalls nicht positiv begründen. Soweit der Sachverständige Dr. R. bei der Zusammenhangsbeurteilung unter anderem auf diesen Umstand abgestellt hat, ist ihm daher nicht zu folgen. Es entspricht vielmehr dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft, dass sich erste degenerative Schäden der Rotatorenmanschette oftmals klinisch stumm entwickeln, d.h. ohne wesentliche Beschwerden zu verursachen; erste Symptome in Form von Ruhe- und Belastungsschmerzen sowie Bewegungsstörungen treten in den meisten Fällen erst dann auf, wenn im Rahmen dieser Degeneration ein durchgehender Defekt in der Rotatorenmanschette entstanden ist (Loew in Schiltenwolff, Hallo, Gaidzik, a.a.O., S. 631). Abgesehen davon ist ein zeitlicher Zusammenhang nicht mit dem ursächlichen Zusammenhang gleichzusetzen. Das Zeitmoment ist nur ein nachrangiger Aspekt bei der Kausalitätsbeurteilung. Denn im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gilt schon keine Beweisregel, wonach beim Fehlen einer Alternativursache das versicherte Geschehen sogleich die wesentliche Ursache ist (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R), noch ein Erfahrungssatz, post hoc, ergo propter hoc (nach dem Unfall, also durch den Unfall). Zur Begründung der unfallversicherungsrechtlichen Kausalität reichen somit Beschwerden, die nach einem Unfall auftreten und vorher – gegebenenfalls in diesem Maße – nicht verspürt worden sind, allein nicht aus (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. März 2008 – L 6 U 161/02 –, Rn. 38, juris). Auch das von Dr. R. als Argument für den Kausalzusammenhang vorgebrachte Ausscheiden von körpereigenen Ursachen wie Verschleiß, Krankheit oder andere Unfälle überzeugt nicht. Einerseits sieht es der Senat nach den obigen Ausführungen als vollbeweislich gesichert an, dass durchaus ein Verschleiß des linken Schultergelenks vorbestand und andererseits ist es nicht Zweck des vorliegenden Verfahrens die Ursache der Rotatorenmanschettenläsion zu ermitteln, sondern allein die Klärung der Frage, ob der streitgegenständliche Arbeitsunfall die rechtlich wesentliche Ursache war.  

In der Gesamtabwägung der dargestellten Kriterien lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Rotatorenmanschettenschaden auch im Überprüfungsverfahren bereits auf erster Stufe nicht hinreichend wahrscheinlich machen.

Selbst wenn man eine Mitursächlichkeit des Arbeitsunfalls auf erster Stufe bejahen würde, so würde die Anerkennung als Gesundheitserstschaden oder Unfallfolge jedenfalls auf zweiter Stufe scheitern, da in der Abwägung den vorbestehenden, insbesondere durch das MRT und die operativen Befunde gesicherten Verschleißerscheinungen überragende Bedeutung zukäme, welche den Unfall – entgegen der Auffassung des Sachverständigen Dr. R. auf Grundlage der Sachverständigengutachten von Prof. Dr. C. und Prof. Dr. K. – lediglich als Gelegenheitsursache erscheinen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung zur Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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