L 2 R 327/24

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Hildesheim (NSB)
Aktenzeichen
S 4 R 133/22
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 R 327/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Dem Kläger werden Gerichtskosten in Höhe von 225,-- Euro auferlegt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1972 geborene Kläger begehrt erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Mit Bescheid vom 27. September 2016 (Bl. 3/185 eVV) lehnte die Beklagte einen früheren Erwerbsminderungsrentenantrag des Klägers mangels Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rente durch den Kläger ab.

Eine Anfrage des damaligen Betreuers des Klägers H. mit Schreiben vom 21. März 2018, dass der Kläger nach Bandscheibenoperationen in den Jahren 2006 und 2009 bereits im Jahr 2009 seine berufliche Tätigkeit erkrankungsbeding vollständig habe einstellen müssen und seit 2009 durchgängig als arbeitsunfähig eingestuft worden sei, sodass der Leistungsfall spätestens 2009 und nicht erst durch den beim Sturz am 4. Januar 2024 erlittenen Schädelbruch eingetreten sei, wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 45 SGB X, den sie Bescheid vom 4. April 2018 (Bl. 98/185 eVV I) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2018 (Bl. 8/52 eVV III) ablehnte. Der Bescheid vom 27. September 2016 sei rechtmäßig gewesen. Unter Berücksichtigung der bei dem Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen: Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma, Zustand nach Sturz am 4. Januar 2014; psychische Verhaltensstörung durch Alkohol und pseudoradikuläres Lendenwirbelsyndrom nach mehrfachen Bandscheibenoperationen in den Jahren 2006 und 2009 sei davon auszugehen, dass bei dem Kläger ein aufgehobenes Leistungsvermögen und damit eine volle Erwerbsminderung vorliege. Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung sei am 4. Januar 2014 (Datum des Schädelbruchs) eingetreten. Ausgehend hiervon erfülle der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen jedoch nicht, denn vom 1. Dezember 2008 bis zum 3. Januar 2014 seien keine Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgericht Hildesheim S 14 R 308/18 vom 6. März 2020, Rücknahme der Berufung L 2 R 107/20 vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Schreiben vom 3. März 2021 nach Prozesskostenhilfe ablehnendem Senatsbeschluss vom 17. Februar 2021).

Seinen hier streitigen erneuten Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 4. März 2022 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. März 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2022 ab. Die hiergegen mit Schreiben vom 26. Mai 2022 (Eingang bei der Beklagten am 30. Mai 2022 und Weiterleitung an das Sozialgericht Hildesheim am 8. Juni 2022) erhobene Klage wies das Sozialgericht Hildesheim mit Gerichtsbescheid vom 19. September 2024 unter Verweis auf den Prozesskostenhilfe wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussichten ablehnenden Beschluss des Senats vom 17. Februar 2021 ab.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 19. September 2024 wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 24. September 2024 zugestellt.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger mit am 18. Dezember 2024 beim Landessozialgericht eingegangenem Schreiben vom 14. Dezember 2024 „Widerspruch“ eingelegt und „Antrag auf Wiederaufnahme“ gestellt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

  1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 19. September 2024 und den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2022 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2022 aufzuheben sowie
  2. die Beklagte zu verpflichten, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewähren;

hilfsweise ihm wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

       die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.

Auf die Aufklärungs- und Hinweisverfügungen des Senats vom 29. Januar 2025 und 14. Februar 2025 zur Darlegung der Wiedereinsetzungsgründe hat der Kläger zunächst mitgeteilt, dass er schwerbehindert sei und „es“ dem Anwalt zugesandt habe. Auf weitere Nachfrage hat der Kläger dann angegeben, dass er einen Fehler gemacht habe. Es gebe keinen Schriftverkehr mit dem Anwalt, weil er das Schriftstück nie versendet habe. Er habe keine Ahnung von dieser Bürokratie und die Frist versäumt, weil er hier ganz alleine kämpfe.

Mit Terminsmitteilung vom 2. April 2025 ist der Kläger zugleich darauf hingewiesen worden, dass bei einer Fortführung des vorliegenden bereits verfristeten Berufungsverfahrens nach bisherigem Streitstand im Ergebnis eine Berufung ohne ernsthafte Substanz festzustellen sein werde und die Auferlegung von Gerichtskosten nach § 192 Abs. 1 SGG in Höhe von mindestens 225 € in Betracht komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie erst nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist eingelegt worden ist, und dem Kläger hinsichtlich der Versäumung der gesetzlichen Berufungsfrist auch nicht die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

Die Berufung ist unzulässig. Der angefochtene mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 19. September 2024 ist dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 24. September 2024 zugestellt worden. Die einmonatige Berufungsfrist gemäß § 151 Abs. 1 SGG begann damit am 25. September 2024 zu laufen und endete mit Ablauf des 24. Oktober 2024, § 64 SGG. Die Berufungsschrift des Klägers vom 14. Dezember 2024 ist erst am 18. Dezember 2024 und damit erst nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG bei Gericht eingegangen.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag gemäß § 67 Abs. 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2014 – B 1 KR 11/14 B –, Rn. 8, juris mwN). Im vorliegenden Fall liegt jedoch kein Fall einer unverschuldeten Versäumung der Berufungsfrist vor; der Kläger hat nicht die von Rechts wegen gebotene Sorgfalt aufgewandt, um einen fristgerechten Zugang der von ihm verfassten Berufungsschrift beim Berufungsgericht sicherzustellen. Das Vergessen einer fristwahrenden Handlung begründet in der Regel Verschulden. Auch eine juristisch nicht geschulte Person hat eine Sorgfaltspflicht, muss die Rechtsbehelfsbelehrung beachten und sich notfalls erkundigen. Der Gesetzgeber mutet auch anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten zu, dass diese die Rechtsmittelfristen entsprechend der jeweiligen Rechtsbelehrung einhalten. Es hilft dem Kläger daher nicht weiter, dass er (vgl. seinen Schriftsatz vom 13. März 2025) „allein kämpft“.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich das Berufungsbegehren auch in der Sache als unbegründet darstellt. Das Sozialgericht hat in seinem Gerichtsbescheid unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats überzeugend dargelegt, dass die nach den gesetzlichen Vorgaben des § 43 SGB VI für den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den frühestens im Januar 2014 eingetretenen Leistungsfall nicht mehr gegeben waren.

Der Senat hat nach vorheriger Anhörung des Klägers es für angezeigt erachtet, ihm gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Gerichtskosten in Höhe des sich aus § 192 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG ergebenden Mindestbetrages von 225,00 € aufzuerlegen, da dieser den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden ist und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Insoweit wird auf die gerichtlichen Hinweise in der Verfügung vom 2. April 2025 Bezug genommen. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang, ob von einem Missbrauch des grundsätzlich kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes auszugehen ist (vgl. den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - 6. SGGÄndG - BT-Drs. 14/5943, S. 28). Eine Rechtsverfolgung ist in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 34 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (vgl. zB die Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 1 BvR 1821/01 - und vom 18. September 2000 - 2 BvR 1407/00) auch für das sozialgerichtliche Verfahren unter anderem dann rechtsmissbräuchlich, wenn ein Beteiligter einen Prozess weiter betreibt, obwohl die Rechtsverfolgung offensichtlich unbegründet ist und sie von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Zur Annahme eines Missbrauchs bei der Verfolgung von Rechtsbehelfen ohne rechtliche Substanz wird auf den Beschluss des BVerfG vom 15. Januar 2009 (- 2 BvR 2487/08 – abrufbar u.a. über Juris oder über www.bundesverfassungsgericht.de) hingewiesen. Hinsichtlich der offenkundigen Aussichtslosigkeit des Verfahrens wird auf Hinweise in der Verfügung vom 2. April 2025 und auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Das Gesetz verlangt ausdrücklich in § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG einen richterlichen Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites. Es entspricht der Regelungsintention dieser gesetzlichen Vorgaben, wenn der Betroffene einen solchen Hinweis zum Anlass nimmt, sorgfältig zu überprüfen, ob ihm eine streitige Verfahrensfortführung die aufgezeigten Kostenrisiken wert ist. Entsprechende Regelungsziele, die letztlich auch Ausdruck dessen sind, dass die Beteiligten als eigenständige und eigenverantwortliche „Verfahrenssubjekte“ (BVerfG, B.v. 14. Oktober 1998 – 2 BvR 205/91 – juris) am gerichtlichen Verfahren teilnehmen, finden sich auch in vielen anderen kostenrechtlichen Zusammenhängen. Insbesondere erfolgen auch kostenprivilegierte Rechtsmittelrücknahmen im Sinne der Ziffern 1221, 1222 bzw. 7121, 7122 der Anlage 1 zum GKG vielfach auf richterlichen Hinweis. Dabei ist vorsorglich darauf hinzuweisen, dass auch im Falle einer solchen Auferlegung von Kosten - insbesondere, wenn eine solche nur in Höhe des o.g. Mindestbetrages erfolgt - für den Betroffenen der Vorteil eines gerichtskostenfreien Verfahrens vielfach zwar geschmälert wird, ihm in Teilen gleichwohl jedoch erhalten bleibt, da die in gerichtskostenpflichtigen Verfahren den Beteiligten aufzuerlegenden Kosten diesen Betrag in vielen Verfahren deutlich übersteigen.

Im Hinblick auf die Höhe der auferlegten Kosten ist zunächst zu beachten, dass bei einer Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung das Privileg der vom Staat finanzierten Kostenfreiheit der sozialgerichtlichen Verfahren entfallen soll. Damit wird dem Schadensersatzprinzip Rechnung getragen (vgl. BT-Drucksache 14/5943, Seite 60 zu Nr. 65). Zu den Kosten des Gerichts zählen auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten. Dabei hat der Senat zu Gunsten des Klägers in Anwendung des § 192 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 184 Abs. 2 SGG nur die mindestens geltende Höhe der Pauschgebühr für die zweite Instanz angesetzt.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

Rechtskraft
Aus
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