S 13 AS 1489/24

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 13 AS 1489/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Bürgergeldempfänger hat keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter mit ihm über ein Justizpostfach kommuniziert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kommunikationsform.

Der Kläger steht seit langem beim beklagten Jobcenter im Leistungsbezug. Schriftstücke übersendet der Beklagte dem Kläger mit der Briefpost. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Unstimmigkeiten zu der Frage, ob der Beklagte dem Kläger stattdessen elektronische Dokumente zu übermitteln habe. Hintergrund ist eine jedenfalls bis zu einer Augenoperation Mitte 2020 bestehende Fehlsichtigkeit des Klägers, die ihm nach eigenen Angaben die Wahrnehmung von Schriftstücken erschwerte, wogegen er elektronische Dokumente entsprechend vergrößern könne.

Nachdem der Beklagte einen Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Bildungsgutscheins für eine Maßnahme zur Ablegung der Sachkundeprüfung nach § 34a Absatz (Abs.) 1a Gewerbeordnung für eine avisierte Tätigkeit im „Bereich des Personen- und Objektschutzes“ wegen Funktionsstörungen der Augen ablehnte (Bescheid vom 12. Juli 2024, Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2024) und der Kläger in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren unterlag (Beschluss der Kammer vom 5. Dezember 2024, Aktenzeichen S 13 AS 851/24 ER, unveröffentlicht), hat er am 10. Dezember 2024 Klage erhoben. Zur Begründung führt er insbesondere aus: Da der Beklagte sowie das Gericht die fehlerhafte Bewertung seiner Sehkraft durch den Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit als zutreffend eingestuft hätten, sei der Beklagte bereits aufgrund seiner eigenen Ausführungen zur schriftlichen Kommunikation über das Justizpostfach des Klägers zu verurteilen. Denn damit könne seine Benachteiligung ausgeglichen werden. Für die anderweitigen Ausführungen des Beklagten, er könnte sich bei „Jobcenter-Online“ registrieren und die für ihn bestimmten Schriftsätze und Verwaltungsakte dort abrufen, gebe es keine Rechtsgrundlage. Er sei im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten (§ 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil) verpflichtet, alles zu machen, was dem Beklagten dazu diene, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – berechnen und gegebenenfalls mindern/streichen zu können. Allerdings sei er entgegen der Auffassung des Beklagten nicht verpflichtet, ihm die Arbeit abzunehmen oder Verwaltungskosten zu ersparen, indem er sich die Post des Jobcenters auf einem Online-Portal abhole. Da der Beklagte jedweden Schriftwechsel mit anderen Behörden via BeBPO und/oder EGVP führe, solle er sich einmal an das Gleichbehandlungsbot (Artikel <Art.> 3 Grundgesetz <GG>) sowie an die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) erinnern. Andere Behörden würden über das Justizpostfach mit ihm kommunizieren.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ausnahmslos jede schriftliche Kommunikation mit ihm unter Verwendung des klägerischen Justizpostfachs zu führen.

Der Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen,

und trägt zur Begründung vor: Seit geraumer Zeit biete er „Jobcenter.Digital“ sowie seit Anfang Januar 2025 die Jobcenter-App an. Mithilfe dieser Plattformen sei es möglich, Unterlagen (Anträge etc.) zu senden, eine Veränderung mitzuteilen, dem Beklagten eine Nachricht zu schicken oder nach einem Job zu suchen. Über die Postfachfunktion könne der Kläger zudem Nachrichten mit seinem Berater im Jobcenter austauschen. Diese würden aus dem geschützten Portal verschickt und seien im Gegensatz zum E-Mail-Versand sicher und datenschutzkonform. Das Justizpostfach könne auch nur durch die SGG-Stelle genutzt werden, nicht durch die übrigen Bereiche im Jobcenter.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage (dazu A.) ist unbegründet (dazu B.).

A. Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da der Kläger nicht den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, sondern eine bestimmte Kommunikationsform anstrebt. Die Beschwer des Klägers liegt in der im Vorfeld der Klageerhebung durch den Beklagten geäußerten Weigerung, mit dem Kläger über das Justizpostfach zu kommunizieren.

Die Klage ist auch nicht bereits nach § 56a SGG unzulässig. Nach Satz 1 können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Allerdings gelten unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG Einschränkungen, wenn die gerügten Verfahrenshandlungen (hier: die Kommunikationsform)  unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten des Klägers über das Verwaltungsverfahren hinaus entfalten und Rechtsschutz gegen die Sachentscheidung zu spät kommen würde, sodass dadurch Rechte des Betroffenen vereitelt oder wesentlich erschwert würden, die über ein bloßes Recht auf Einhaltung des Verfahrens hinausgehen (vergleiche <vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 56a Randnummer <Rn.> 12 mit weiteren Nachweisen <m.w.N.>). So liegt es hier, da der Kläger eine Ungleichbehandlung unter Nichtberücksichtigung eines Handicaps (geminderte Sehkraft) behauptet, die einer effizienten Teilnahme am Verwaltungsverfahren entgegenstehen könnte.

B. Die Klage ist indes unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ausnahmslos jede schriftliche Kommunikation mit ihm unter Verwendung seines Justizpostfachs erfolgen muss.

Nach § 9 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist das Verwaltungsverfahren an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen. Nach Satz 2 ist das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Aus diesen Maßgaben ist abzuleiten, dass kein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Verfahrensgestaltung besteht und der Behörde ein Verfahrensermessen eingeräumt wird. Ein Beteiligter kann damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Kommunikation in einer bestimmten Form herleiten (vgl. Mutschler in BeckOGK/Mutschler, SGB X § 9 Rn. m.w.N.).

Hier sieht der Beklagte im Rahmen seines Ermessens bei der Gestaltung des Verwaltungsverfahrens davon ab, mit dem Kläger über dessen Justizpostfach zu kommunizieren, und wählt stattdessen den Weg über die Briefpost. Dies begegnet keinen Bedenken.

Zum einen hat der Kläger im hiesigen Verfahren vorgetragen, er sei „sehr wohl in der Lage, kleingedruckte juristische Kommentare zu lesen“, sodass die Wahrnehmbarkeit der Briefpost trotz einer möglicherweise weiterhin bestehenden Sehschwäche gegeben ist. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist mithin nicht zu besorgen, zumal aus der Verfassung kein Anspruch auf optimale Zugangsbedingungen erwächst (vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27. November 2018, 1 BvR 957/18, juris).

Zum anderen bietet der Beklagte mit seiner Jobcenter-App eine niedrigschwellige Option an, mit der der Kläger elektronische Dokumente erhalten kann. Damit ist der Beklagte im Zuge einer Ermessensreduzierung auf null auch nicht gehalten, das Justizpostfach des Klägers zu nutzen. Nachdem auf seiner Seite nicht sämtliche mit den Leistungsangelegenheiten des Klägers betrauten Personen über einen entsprechenden Zugang verfügen, würde die Befolgung des Begehrens des Klägers einer einfachen und zügigen Gestaltung des Verfahrens entgegenstehen, ohne dass dem ein adäquater Mehrwert beim Kläger bei der Wahrnehmung seiner sozialen Rechte gegenüberstünde. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist dabei nicht ersichtlich. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Wie der Beklagte mit anderen Behörden kommuniziert, ist mithin entgegen der Auffassung des Klägers nicht von Bedeutung, da im Verhältnis zu ihm die durch andere rechtliche und tatsächliche Umstände geprägte Kommunikation mit den Kunden zu beurteilen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, wie andere Behörden mit dem Kläger kommunizieren.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen des Klägers.

Die Berufung ist nach § 143 SGG zulässig, da die Restriktionen des § 144 SGG nicht greifen.

 

Rechtskraft
Aus
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