Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. April 2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I
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Im Streit steht die Erstattung von Kosten für eine Hörgeräteversorgung über den Festbetrag hinaus.
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Die 1960 geborene und seit 2022 berentete Klägerin leidet an einer beidseitigen hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit, rechts an Taubheit grenzend. Nach Verordnung einer beidseitigen Versorgung mit Hörgeräten testete sie ab Ende 2016 verschiedene Geräte. Alle erreichten im Freiburger Einsilbertest im Nutzschall identische Ergebnisse; im Störschall blieb das Überfestbetragshörgerät um 2,5 %-Punkte hinter den aufzahlungsfreien Geräten zurück. In 2017 beantragte die Klägerin bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit dem Überfestbetragshörgerät, weil die aufzahlungsfreien Geräte ihre Behinderung insbesondere in größeren Gesprächskreisen, im Straßenverkehr und in lauter Umgebung nicht ausreichend ausglichen; auch sei ihr unter diesen Geräten kein Orten der Richtung von Geräuschen möglich. Die Beklagte lehnte eine Versorgung oberhalb des Festbetrags dessen Übernahme sie bewilligte ab, da kein Gebrauchsvorteil im Vergleich mit den aufzahlungsfreien Geräten festgestellt werden könne (Bescheid vom 7.12.2017; Widerspruchsbescheid vom 5.6.2018).
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Die Klägerin schaffte die begehrten Hörgeräte während des Klageverfahrens an.
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Das SG hat die Beklagte zur Erstattung der beantragten Mehrkosten in Höhe von 3981,42 Euro nebst Zinsen verurteilt (Gerichtsbescheid vom 9.8.2021). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten diese Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen: Unter genormten Bedingungen sei mit allen Hörgeräten ein vergleichbares Sprachverstehen erzielt worden. Ein subjektiv anderer Höreindruck der Versicherten reiche nicht aus, um einen Hörgewinn zu objektivieren. Besondere berufliche kommunikative Anforderungen seien nicht ersichtlich (Urteil vom 4.4.2023).
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Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Nach der Rechtsprechung des BSG begrenze der Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderungen objektiv nicht ausreiche. Dies sei hier nicht berücksichtigt worden, weil unter Missachtung der Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses und selbstverpflichtender Qualitätssicherungsvereinbarungen ihr subjektiver Hörgewinn außer Betracht geblieben sei.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 4. April 2023 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 9. August 2021 zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
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Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Urteil leidet an dem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel der unterbliebenen notwendigen Beiladung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung. Dies steht einer Sachentscheidung des Senats entgegen.
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und die angefochtenen Bescheide der Beklagten, mit denen diese die begehrte festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung abgelehnt hat (Bescheid vom 7.12.2017: Bewilligung Kostenübernahme begrenzt auf Festbetrag und Ablehnung vollständige Kostenübernahme; Widerspruchsbescheid vom 5.6.2018). Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der nach Selbstbeschaffung der Hörgeräte zutreffend auf Kostenerstattung gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) und erstrebt mit ihrer gegen das LSG-Urteil gerichteten Revision die Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des SG.
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2. Einer Sachentscheidung des Senats steht das verfahrensrechtliche Hindernis der unterbliebenen echten notwendigen Beiladung des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung entgegen. Zum Rechtsstreit zwischen Versicherten und gesetzlicher Krankenkasse über eine begehrte festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung ist der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung als Rehabilitationsträger notwendig beizuladen, wenn für diese Hörgeräteversorgung ein berufsspezifischer Versorgungsbedarf in Betracht kommt.
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a) Nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG sind, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, diese beizuladen (sog echte notwendige Beiladung).
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b) Der Antrag auf eine Hilfsmittelversorgung zum unmittelbaren Behinderungsausgleich hier in Form der Hörgeräteversorgung ist ein Antrag auf eine Leistung zur Teilhabe (vgl zur Hilfsmittelversorgung zum Behinderungsausgleich als Rehabilitationsleistung eingehend BSG vom 15.3.2018 B 3 KR 18/17 R BSGE 125, 189 = SozR 42500 § 13 Nr 41, RdNr 12, 14 ff). Träger der Leistungen zur Teilhabe (Rehabilitationsträger) für eine Hörgeräteversorgung können insbesondere die gesetzlichen Krankenkassen (Leistung zur medizinischen Rehabilitation) und die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (Leistung zur medizinischen Rehabilitation und Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben) sein (§ 5 Nr 1 und 2, § 6 Abs 1 Nr 1 und 4 SGB IX in der aufgrund des Antrags in 2017 bis 31.12.2017 geltenden Fassung).
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Leitet ein zuerst angegangener Rehabilitationsträger einen bei ihm gestellten Rehabilitationsantrag nach Prüfung seiner Zuständigkeit nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiter, ist er zur Feststellung des Rehabilitationsbedarfs im Außenverhältnis zum Antragsteller umfassend zuständig; wird nach Bewilligung einer Leistung durch den zuerst angegangenen Rehabilitationsträger festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften (§ 14 Abs 1 Satz 1 und 2, Abs 2 Satz 1, Abs 4 Satz 1 SGB IX in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung; vgl zur insoweit weitgehend unveränderten Rechtslage ab 1.1.2018 nur Waßer, Sozialrecht aktuell Sonderheft 2020, 182).
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Ein danach im Innenverhältnis zu einem leistenden Rehabilitationsträger möglicherweise leistungs- und erstattungspflichtiger Rehabilitationsträger ist vor diesem Hintergrund zum Rechtsstreit zwischen Antragsteller und zuerst angegangenem Rehabilitationsträger über eine begehrte Rehabilitationsleistung notwendig beizuladen, weil die Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs auf die Rehabilitationsleistung gegenüber beiden Rehabilitationsträgern nur einheitlich ergehen kann (vgl dazu zur Hilfsmittelversorgung bereits BSG vom 7.5.2020 B 3 KR 7/19 R SozR 42500 § 33 Nr 54 RdNr 36 ff mwN; vgl auch allgemein zum Teilhaberecht nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 75 RdNr 10c mwN). Ist die notwendige echte Beiladung unterblieben, liegt im Revisionsverfahren ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (vgl zu diesem Verfahrensmangel und seinen Folgen aus der Rechtsprechung des Senats zuletzt BSG vom 11.11.2021 B 3 P 2/20 R BSGE 133, 141 = SozR 43300 § 43a Nr 2, RdNr 33; BSG vom 19.4.2023 B 3 KR 7/22 R BSGE 136, 60 = SozR 41500 § 75 Nr 38, RdNr 10 ff; BSG vom 30.11.2023 B 3 P 4/23 R vorgesehen für BSGE = SozR 41500 § 75 Nr 40, RdNr 9 ff).
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c) Von der danach im Rechtsstreit um eine begehrte Hilfsmittelversorgung zum Behinderungsausgleich grundsätzlich gebotenen echten notwendigen Beiladung für die Leistung in Betracht kommender Rehabilitationsträger kann in einem Rechtsstreit zwischen Versicherten und gesetzlicher Krankenkasse nur abgesehen werden, wenn eine Sachentscheidung allein über die Einstandspflicht der Krankenkasse für den Behinderungsausgleich im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ergeht, weil dies schutzbedürftige Interessen anderer Träger nicht berührt (vgl BSG vom 18.4.2024 B 3 KR 13/22 R vorgesehen für BSGE und SozR 42500 § 33 Nr 61, RdNr 10).
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d) Eine solche Entscheidung ist hier vom LSG weder getroffen worden noch kommt sie in Betracht. Ihren Antrag auf Hörgeräteversorgung hat die Klägerin bei ihrer beklagten Krankenkasse gestellt, die diesen Antrag nicht weitergeleitet hat und damit umfassend für Leistungen zur Teilhabe zuständig geworden ist. Soweit das LSG in seiner klageabweisenden Entscheidung ausgeführt hat, dass besondere berufliche kommunikative Anforderungen nicht ersichtlich seien, hat es übersehen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Selbstbeschaffung der Hörgeräte im Juli 2018 die Klägerin noch nicht berentet, sondern erwerbstätig war. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass ein berufsspezifischer Versorgungsbedarf für die festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung bestanden hat. Das LSG wird die notwendige Beiladung des Rentenversicherungsträgers im zurückverwiesenen Verfahren nachholen und einen berufsspezifischen Versorgungsbedarf insbesondere die einzelfallbezogenen Anforderungen an das Hörvermögen aufgrund der Tätigkeit der Klägerin und der Verhältnisse an ihrem Arbeitsplatz und daraus ggf folgende besondere, von denen im Alltagsleben abweichende Anforderungen an die Hörgeräteversorgung prüfen müssen (vgl zu beruflichen und arbeitsplatzspezifischen Gebrauchsvorteilen BSG vom 17.12.2009 B 3 KR 20/08 R BSGE 105, 170 = SozR 42500 § 36 Nr 2, RdNr 17).
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3. Sollte bei dieser Prüfung ein berufsspezifischer Versorgungsbedarf nicht festgestellt werden können und damit ein Leistungsanspruch auf die Hörgeräteversorgung nach dem SGB VI ausscheiden, bedarf es vor dem Hintergrund der weiteren Entscheidungen des Senats vom heutigen Tag zu den Maßstäben für einen Anspruch auf eine festbetragsüberschreitende Hörgeräteversorgung nach § 33 Abs 1 Satz 1 Variante 3 SGB V (vgl im Einzelnen BSG vom 12.6.2025 B 3 KR 13/23 R vorgesehen für BSGE und SozR 4 sowie BSG vom 12.6.2025 B 3 KR 5/24 R), die das LSG bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, einer erneuten tatrichterlichen Würdigung, ob das in 2018 von der Klägerin selbstbeschaffte Überfestbetragshörgerät einen erheblichen Gebrauchsvorteil im Alltagsleben gebracht und sie deshalb einen Kostenerstattungsanspruch hat.
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a) Zu dieser erneuten tatrichterlichen Würdigung besteht hier Anlass, obwohl im Freiburger Einsilbertest, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Selbstbeschaffung durch § 21 HilfsmittelRichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen war (idF des Beschlusses vom 24.11.2016, BAnz AT 16.2.2017 B3), ein prozentualer Hörgewinn im Sprachverstehen der Klägerin mit dem selbstbeschafften Überfestbetragshörgerät nicht gemessen worden ist, für dieses vielmehr im Störschall ein um 2,5 %Punkte schlechteres Sprachverstehen im Vergleich zu aufzahlungsfreien Geräten gemessen worden ist.
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Angesichts der besonderen gesundheitlichen Lage mit einer beidseitigen hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit, rechts an Taubheit grenzend, unter der die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung litt, war es angezeigt, nicht allein auf die Ergebnisse des Freiburger Einsilbertests abzustellen. Zur Objektivierung des Hörvermögens bei der Hörgeräteversorgung von Versicherten mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit waren im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auch andere fachlich geeignete Messverfahren und Tests nach der Anlage 11 des Vertrags über die bundesweite Versorgung von Versicherten der Betriebskrankenkassen mit Hörsystemen vom 13.9.2013 auf der Basis der HilfsmittelRichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgesehen und einsetzbar. Zu deren Einsatz bestand hier wegen des grundsätzlich aufzuklärenden Widerspruchs zwischen den Messergebnissen des Freiburger Einsilbertests einerseits und den in standardisierten Prüfbögen dokumentierten subjektiven Wertungen und Eindrücken der Klägerin zu ihrem wahrgenommenen besseren Hörempfinden mit dem Überfestbetragshörgerät andererseits Anlass.
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b) Auch wenn der seinerzeit unterbliebene Einsatz dieser Messverfahren für den lange zurückliegenden Zeitpunkt der Selbstbeschaffung nicht mehr möglich ist, kann der aufgezeigte Widerspruch zwischen Messergebnissen und Hörempfinden, der zu diesem Zeitpunkt bestand, nicht von vornherein unbeachtlich bleiben. Vielmehr sind sowohl die durchgeführten Tests wie der Umstand seinerzeit unterbliebener weiterer Testungen als auch die subjektiven Wertungen und Eindrücke der Klägerin in die erneute tatrichterliche Gesamtwürdigung des Sachverhalts einzubeziehen. In dieser sind auch die im gerichtlichen Verfahren bereits erhobenen Beweise neu zu würdigen. Auf dieser Grundlage wird das LSG unter Berücksichtigung der zuletzt fortgeführten Rechtsprechung des Senats vom 12.6.2025 zur Hörgeräteversorgung ohne Begrenzung auf den Festbetrag bei einem erheblichen Gebrauchsvorteil des Überfestbetragshörgeräts im Alltagsleben eine erneute Sachentscheidung zu treffen haben.
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c) Entgegen der mit der Revision vorgetragenen Rechtsauffassung kommt es im Rahmen der zu treffenden Sachentscheidung nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Beklagte vor ihrer ablehnenden Entscheidung über eine vollständige Kostenübernahme untergesetzliche oder vertragliche Verfahrensvorschriften eingehalten hat. Allein aus deren etwaigen Verletzung vermöchte der von der Klägerin verfolgte Kostenerstattungsanspruch für die selbstbeschaffte Hörgeräteversorgung nicht zu folgen.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.