L 4 AY 6/25 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AY 11/25 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 6/25 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze


Die Leistungsberechtigung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG kann auch eine medizinische Rehabilitation im Wege der Eingliederungshilfe als Ermessensleistung umfassen, die die Voraussetzungen für eine der "Rehabilitation dienende Behandlung" (Entwöhnungsbehandlung) i.S.d. § 35 BtMG erfüllt (hier: Anspruch auf Zusicherung mangels Ermessensreduzierung auf Null verneint).


Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Mai 2025 wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerde wird abgelehnt.


Gründe

I.

Der 1995 geborene Antragsteller ist somalischer Staatsangehöriger und verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe. Er verfolgt mit der Beschwerde sein Ziel weiter, eine Zusicherung für die Kostenübernahme einer Therapie nach § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu erhalten.

Ab Oktober 2016 lebte der Antragsteller nach einem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden in einem sozialtherapeutisch betreuten Wohnheim der Aktion C. e.V., B-Straße, in B-Stadt; Kostenträger dieser Maßnahme nach § 67 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) war der Landkreis Oder-Spree. Am 20. Februar 2017 erfolgte ausweislich der ausländerbehördlichen Akte des Regierungspräsidiums Darmstadt ein „Fortzug nach unbekannt“. Danach finden sich Meldungen zur Erstaufnahmeeinrichtung in B-Stadt, sowie ab 5. August 2017 der Vollzug einer Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Butzbach, unmittelbar daran anschließend der Vollzug der nachfolgend geschilderten Jugendstrafen und Freiheitsstrafen. 

Der Antragsteller wurde mehrfach strafrechtlich verurteilt, u.a. wurde er durch Urteil des Landgerichts Gießen vorn 20. April 2018 – 7 Kls – 404 Js 34206/17 – wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt, durch Urteil vom 6. März 2019 – 9 Kls 406 JS 42353/17 – wurde er wegen eines weiteren versuchten schweren Raubes unter Einbeziehung der mit dem vorgenannten Urteil verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt (Bl. 625 Akte RP Darmstadt). Aufgrund der gegebenen Kausalität bezüglich begangener Straftaten und wegen der Abhängigkeit von Betäubungsmitteln wurde zunächst die Unterbringung gem. § 64 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet: Die Unterbringung wurde mit Beschluss des Landgerichts Kassel vom 12. Mai 2021 – 4 StVK 474/20 – mangels Erfolgsaussichten für beendet erklärt (Bl. 1269 Akte RP Darmstadt). Ab dem 11. Oktober 2021 erfolgte der Strafvollzug zunächst in der Justizvollzugsanstalt Butzbach und der Antragsteller äußerte den Wunsch zur Kontaktaufnahme mit einer externen Suchtberatung. U.a. im August 2022 wurden Bemühungen zur Beschaffung somalischer Heimreisedokumente unternommen, der Antragsteller wurde ausweislich der Akte des Regierungspräsidiums Darmstadt negativ identifiziert. Im November 2023 wurde er in die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt verlegt. 

Bis zur Inhaftierung hat der Antragsteller nach eigenen Angaben Arbeitslosengeld II vom Jobcenter Gießen bezogen und sei bei der AOK Hessen krankenversichert gewesen.

Die Ausländerbehörde des Antragsgegners teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 23. Februar 2024 mit, mit Bescheid vom 19. Juni 2020 sei durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Feststellung eines Abschiebungshindernisses widerrufen worden. Der Bescheid sei bestandskräftig geworden. Die Aufenthaltserlaubnis sei bis 13. November 2019 befristet gewesen. Er sei vollziehbar ausreisepflichtig.

Der Antragsteller leidet an Polytoxikomanie. Mit Schreiben vom 26. April 2024 führt E. von der „Externen Suchtberatung“ der JVA Weiterstadt aus:

„Auch nach der Entlassung schaffte er es nicht seinen Drogenkonsum einzustellen und rutschte in den Kreislauf zwischen Drogenkonsum, Beschaffungskriminalität und Haftaufenthalten. Von Februar 2020 bis Oktober 2021 befand sich Herr A. in der Unterbringung gern. § 64 StGB. Bei Herrn A. wurde während der Unterbringung eine Psychose und Dissozialität festgestellt, woraufhin die Maßnahme beendet wurde.
Herr A. wünscht sich professionelle Hilfe und eine therapeutische Behandlung. Er möchte einen neuen Weg finden und sich Perspektiven erarbeiten, um ein „normales", geregeltes, straf- und drogenfreies Leben führen zu können. Herr G. hat sich bereits mit dem Therapiezentrum D. und der Salus Klinik Friedberg in Verbindung gesetzt und wünscht sich die Behandlung in einer dieser beiden Kliniken zu absolvieren. Wir sehen eine Behandlung seiner Suchtmittelabhängigkeit als notwendig und sinnvoll an.“ (Bl. 57 der Sozialgerichtsakte).

Am 4. September 2024 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Kostenübernahme der Unterbringung in einer Einrichtung gemäß § 35 BtMG. Er sei noch nicht austherapiert. Laut Suchtberatung der JVA Weiterstadt sei die Therapiebehandlung gemäß § 35 BtMG weiterhin erforderlich. Auf die Anforderung weiterer Unterlagen begründete er mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 den Antrag weiterhin mit dem Hinweis, dass die geforderten Unterlagen haftbedingt abhandengekommen seien. Aufgrund einer zwischenzeitlich erteilten Aufenthaltserlaubnis sei die Zuständigkeit des Landkreises Gießen erloschen. Wegen der Duldung sei der Antragsgegner zuständig. Es gebe keine unterhaltspflichtige Person. Es seien Unterlagen von der Suchtberatung vorgelegt worden.

Mit Schreiben vom 12. November 2024 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, folgende Unterlagen vorzulegen:

•    „Nachweis Abhängigkeitserkrankung und Erforderlichkeit der Unterbringung in einer Einrichtung gem. § 35 BtMG; laut Ihrem Schreiben vom 01.10.2024 sollte uns dies bereits zugegangen sein, wir haben jedoch keine Unterlagen erhalten. 
•    Nachweis über Ihren Krankenversicherungsschutz. 
•    Sie waren vor der Inhaftierung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt sichergestellt? 
•    Haftbescheinigung. 
•    Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges zur Zurückstellung der Strafe für längstens zwei Jahre.“

Mit Bescheid vom 6. März 2025 versagte der Antragsgegner die Leistung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I), da der Antragsteller die Unterlagen nicht vollständig vorgelegt habe; mit Schreiben vom 25. März 2025 erhob der Antragsteller, mit Schreiben vom 1. April 2025 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch. Die Zustimmung des Gerichts bezüglich der Zurückstellung nach § 35 BtMG könne ohne Kostenübernahmeerklärung nicht eingeholt werden. Mit Schreiben vom 28. Mai 2024 habe der Landkreis Gießen dem Antragsgegner mitgeteilt, dass durch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Zuweisung an den Landkreis erloschen sei. Dieses Schreiben sei dem Antragsgegner am 31. Mai 2024 zugegangen. Somit dürften dem Antragsgegner alle Unterlagen vorliegen. Der Antragsteller wurde unterdessen in die Justizvollzugsanstalt Hünfeld verlegt. Der Widerspruch wurde mit Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 18. Juni 2025 zurückgewiesen. Der Antragsgegner sei unzuständig, da die Zuweisung an den Landkreis Gießen entgegen der Auffassung des Antragstellers fortbestehe. Außerdem habe der Antragsteller die Unterlagen nicht vollständig vorgelegt.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 18. Juli 2025 Klage, die am Sozialgericht Fulda unter dem Aktenzeichen S 7 AY 14/25 geführt wird.

Bereits am 6. Januar 2025 beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Darmstadt. Mit Beschluss vom 29. Januar 2025 hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit an das Sozialgericht Darmstadt verwiesen. Dort ist das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen S 17 SO 34/25 ER geführt und am 11. März 2025 an die 16. Kammer abgegeben worden.

Der Antragsteller hat sich auf das Schreiben der Suchtberatung vom 27. September 2024 (Bl. 34 der Sozialgerichtsakte) bezogen. Er sei nicht gesetzlich krankenversichert. Die medizinische Versorgung während der Haftdauer erfolge über die freie Heilfürsorge der Justiz. Mit dem Befundbericht des Anstaltsarztes sei der Nachweis einer Abhängigkeitserkrankung erbracht worden. Die Erforderlichkeit der Unterbringung in einer Einrichtung gem. § 35 BtMG ergebe sich aus dem Bericht der externen Suchtberatung vom 24. März 2025. Der Anspruch auf Kostenübernahme folge aus § 6 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG; Hinweis auf Senatsbeschluss vom 11. Juli 2018 – L 4 AY 9/18 B ER). Der Krankenversicherungsträger komme nicht als zuständiger Träger in Betracht, da gegenwärtig keine Krankenversicherung bestehe. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegenüber einem Träger der Rentenversicherung seien nicht erfüllt. Der Antragsteller erfülle zudem die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG, so dass Teil II des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung – (SGB IX) anzuwenden sei. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich aus dem Umstand, dass eine Maßnahme nach § 35 BtMG nur während der Haftverbüßung erfolgen könne.

Der Antragsteller befinde sich noch bis voraussichtlich 3. Mai 2026 in Haft. Eine Maßnahme nach § 35 BtMG könne nur während der Haftverbüßung erfolgen. Es sei zu erwarten, dass die Prüfung und Bearbeitung des Antrags bei der Staatsanwaltschaft ca. 10 bis 12 Wochen dauere und zudem noch die Zeit zu berücksichtigen sei, die es brauche, um einen Platz in einer geeigneten Einrichtung zu finden. Der Antragsteller könne nicht darauf verwiesen werden, eine Entwöhnungsbehandlung nach Haftentlassung durchzuführen. Es bestehe die erhebliche Gefahr, dass der Antragsteller aufgrund seiner massiven Suchtmittelabhängigkeit direkt nach Haftentlassung rückfällig werde und dann nicht mehr die Motivation und Bereitschaft für eine Therapiebehandlung habe. Ein erneuter Kreislauf aus Drogenkonsum, Beschaffungskriminalität und weiteren Haftstrafen wäre zu erwarten. Aktuell sei der Antragsteller suchtmittelfrei und im Hinblick auf die in § 35 BtMG vorgesehene Möglichkeit einer Maßnahme anstelle von Haft hochmotiviert.

Der Antragsgegner hat vorgetragen, hinsichtlich einer Leistungsgewährung nach § 6 AsylbLG bestünden noch eine Reihe offener Fragen. Ein Anspruch komme mangels Unerlässlichkeit nicht in Betracht. Der Antragsgegner sei letztlich nicht zuständig. Die Zuständigkeit des Landkreises Gießen komme wegen des gewöhnlichen Aufenthalts vor Inhaftierung in Betracht. Drogenabhängige Personen könnten von einem Freiheitsentzug zurückgestellt werden, wenn diese Straftäter sich wegen ihrer Suchtmittelabhängigkeit in einer geeigneten und anerkannten Einrichtung behandeln lassen (§ 35 Absatz 1 BtMG). Staatsanwaltschaft und Gericht stimmten dieser Behandlungsphase bei gleichzeitiger Unterbrechung der Strafvollstreckung in der JVA aber nur dann zu, wenn ein Sozialleistungsträger eine Deckungszusage in Bezug auf die Übernahme der Behandlungskosten und die Bewilligung von existenzsichernden Leistungen ausgefertigt habe. Als Träger für notwendige Maßnahmenkosten kämen hier in erster Linie die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der Zuständigkeit für die medizinische Rehabilitation oder die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. die Träger der Eingliederungshilfe als nachrangiger Träger in Betracht. Die Voraussetzungen des § 35 BtMG seien nicht nachgewiesen.

Das Sozialgericht Darmstadt hat eine Stellungnahme der Externen Suchtberatung der JVA Weiterstadt und einen Befundbericht des Anstaltsarztes eingeholt (Bl. 66 ff. d.A.). 

Mit Beschluss vom 21. Mai 2025 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Vorliegend mangele es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Antragsteller noch bis voraussichtlich Mai 2026 in Haft befinde, fehle es bereits diesbezüglich an der Dringlichkeit der Entscheidung. Es sei zwar nachvollziehbar, dass der Antragsteller die Entwöhnungsbehandlung innerhalb des Haftzeitraums absolvieren möchte, jedoch ergebe sich hieraus allein keine dringliche Notlage.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist am 18. Juni 2025 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Der Antragsteller trägt vor, ein Anordnungsgrund sei gegeben. Wenn das Gericht den Antragsteller darauf verweise, er könne auch nach der Haft eine Therapie machen, verwehre das Gericht ihm damit sein Recht aus § 35 BtMG. Der Antragsgegner habe gemäß § 2 AsylbLG i.V.m. Teil 2 des SGB IX Eingliederungsleistungen zu erbringen. § 100 SGB IX beziehe sich dem Sinn und Zweck nach nicht auf Analogleistungsberechtigte wie den Antragsteller. Zu den Eingliederungsleistungen gehörten nach § 102 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gem. § 109 SGB IX i.V.m. § 42 Absatz 2 und 3 SGB IX. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entsprächen gemäß § 109 Abs. 2 SGB IX den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierzu gehöre auch die vom Antragsteller begehrte stationäre Leistung der medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke. Ein Urteil i.S.d. § 35 BtMG liege vor. Der Antragsteller sei mit Urteil des LG Gießen vom 6. März 2019 zu acht Jahren Haft verurteilt. Da der zu vollstreckende Rest der Freiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteige, sei eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG möglich. 

Der Antragsteller begehre die Zusicherung zur Kostenübernahme für eine 22-wöchige stationäre Entwöhnungsbehandlung in Gestalt einer medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitserkrankte gem. § 109 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) i.V.m. § 42 Abs. 2 und 3 SGB XI im Therapiezentrum D. oder in der Salusklinik Friedberg. Der Antragsteller verweist auf ein Schreiben der Salusklinik vom 12. April 2025 (Bl.180 d.A.). Der Landkreis Gießen behaupte gegenüber der Suchtberatungsstelle der JVA die Zuständigkeit des Antragsgegners.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 21. Mai 2025 abzuändern und den Antragsgegner zu verpflichten, die Kostenübernahme für eine Unterbringung des Antragstellers zur Durchführung einer stationären Entwöhnungsbehandlung nach § 35 Abs. 3 BtMG zuzusichern.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner trägt vor, er sei unzuständig. Es komme auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor Inhaftierung an.

Der Senat hat über die Akten des Antragsgegners hinaus die ausländerbehördlichen Akten des Landes Hessen, Regierungspräsidium Darmstadt, beigezogen.


II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Statthaft ist nach wie vor ein Antrag nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klage gegen den Versagungsbescheid gemäß § 66 SGB I in Gestalt des Widerspruchsbescheides nach der Grundregel des § 86a Abs. 1 SGG in Ermangelung einer Sonderregelung aufschiebende Wirkung entfaltet. Da das Sozialverwaltungsverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist, besteht gegenwärtig noch ein Rechtsverhältnis, dass einer Regelungsanordnung zugänglich ist (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. August 2015 – L 20 SO 289/15 B ER –, juris Rn. 5).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Zwar kann die Begründetheit des Antrages nicht mit dem fehlenden Anordnungsgrund verneint werden (1.). Indes fehlt es unabhängig von der Zuständigkeit an einem Anordnungsanspruch. Dieser ist von vornherein – wie beantragt – nur als Anspruch auf Zusicherung der Kostenübernahme im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null denkbar (2.a). Auch bei der zugrunde liegenden Leistung in Gestalt einer medizinischen Rehabilitation im Wege der Eingliederungshilfe besteht kein Anspruch; es kommt allein eine Ermessensleistung nach § 2 AsylbLG i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB IX (2.b.) in Betracht. Auf beiden Ebenen der Ermessensausübung fehlt eine Ermessensreduzierung auf Null (2.c). Subsidiär scheitert eine Zusicherung auf Leistungen aus § 6 AsylbLG aus dem gleichen Grund (2.d).

1. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann ein Anordnungsgrund nicht von vornherein verneint werden. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, beide verhalten sich in einer Wechselbeziehung zueinander. Diese Wechselbeziehung führt nicht nur zu einem – im Einzelnen umstrittenen – Bezug des hinreichenden Maßes der Glaubhaftmachung zur Schwere des Nachteils. Vielmehr hat der mit dem Anordnungsanspruch erstrebte Rechtsgüterschutz auch Einfluss auf die Frage, welcher Nachteil am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nicht hinnehmbar ist (vgl. in anderem Zusammenhang BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 – 1 BvR 1910/12 –, juris, Rn. 16 bis 18). Die Regelungen der §§ 35 f. BtMG, die die angestrebte Behandlungsmöglichkeit eröffnen, dienen der Resozialisierung und sollen einen Ausgleich zwischen der Therapienotwendigkeit bei betäubungsmittelabhängigen Straftätern und dem Anspruch des Staates auf Strafvollstreckung dadurch finden, dass die Strafvollstreckung zugunsten einer Therapie zurückgestellt wird und Therapiezeiten auf die Strafe angerechnet werden (BeckOK BtMG/Bohnen, 27. Ed. 15.6.2025, BtMG § 35 Vorbemerkung zu §§ 35 bis 38 BtMG). Die Verwirklichung dieser Normziele, die auch verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 GG, insbesondere in der Verhältnismäßigkeit des Strafvollzuges unter den Bedingungen einer Betäubungsmittelabhängigkeit ihre Fundierung finden, würde vereitelt, wenn betroffene Menschen sich auf eine Therapie nach Beendigung der Haft verweisen lassen müssten (vgl. im Ergebnis ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. März 2015 – L 6 KR 71/14 B ER –, juris Rn. 24 f.). Angesichts der vom Antragsteller nachvollziehbar beschriebenen Verfahrenslaufzeiten bei der Vollstreckungsbehörde und einer Therapiedauer von ca. 12 bis 26 Wochen zuzüglich Adaption (vgl. BMG (Hrsg.) „Medizinische Rehabilitation Drogenkranker gemäß § 35 BtMG ("Therapie statt Strafe"): Wirksamkeit und Trends“ (2013), S. 101) ist eine hinreichend zeitnahe Erteilung der Zusicherung über den Rechtsweg in der Hauptsache vor dem Ende der Haft nicht zu erwarten. Bei einer Vollstreckung bis mindestens Mai 2026 kann die Durchführung der Therapie gegenwärtig noch vollständig im Wege der Zurückstellung der Strafvollstreckung erreicht werden.    

2. Offen bleiben kann, ob sich wegen eines etwaigen früheren gewöhnlichen Aufenthalts in den Jahren 2016 und 2017 unmittelbar vor Haftantritt aus § 10a Abs. 2 Satz 4 AsylbLG eine Zuständigkeit des Landkreises Gießen und damit die Unzuständigkeit des Antragsgegners ergibt. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Daher hat der Senat auch davon abgesehen, den Landkreis Gießen beizuladen.

a) Einer Regelung zugänglich ist der Antrag auf Erteilung einer Zusicherung der Kostenübernahme für eine medizinische Rehabilitation nach § 38 Abs. 1 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) i.V.m. mit der sozialrechtlichen Anspruchsnorm. Die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Bewilligung der Maßnahme selbst sind noch nicht gegeben. Ein entsprechender eingliederungshilferechtlicher Bedarf entsteht erst, wenn die strafvollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen für den Antritt der Rehabilitationsmaßnahme geschaffen sind. § 35 Abs. 1 und 3 BtMG setzen insoweit eine Zurückstellungsentscheidung der Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges voraus. Gegenwärtig hindert der Strafvollzug die Leistungsgewährung. Allerdings setzt § 35 Abs. 1 BtMG voraus, dass der Betroffene „zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet“ ist. Der Betroffene muss also in die Lage versetzt werden, der Vollstreckungsbehörde nachzuweisen, dass der Beginn der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewährleistet ist. Hierzu kann die Zusicherung der Kostenübernahme dienen (vgl. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Juni 2011 – L 5 R 170/11 B ER –, juris Rn. 34). Eine Zusicherung nach § 38 HVwVfG steht im Ermessen der Behörde (NK-VwVfG/Uechtritz, 2. Aufl. 2019, VwVfG § 38 Rn. 54-55 m.w.N.).

b) Als Rechtsgrundlage in der Sache ist keine Anspruchsnorm ersichtlich. Allein der Anwendungsbereich für die Ermessensleistung nach § 2 AsylbLG i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 SGB IX und §§ 109, 42 Abs. 2 und 3 SGB XI ist eröffnet. Im Ausgangspunkt zutreffend ordnet der Antragsteller die angestrebte Entwöhnungsbehandlung im Rahmen des § 35 BtMG als Leistung der medizinischen Rehabilitation ein (vgl. die „Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger bei der Akutbehandlung (Entzugsbehandlung) und medizinischen Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung) Abhängigkeitskranker“ vom 4. Mai 2001 zwischen den Verbänden der Gesetzlichen Krankenkassen und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. März 2015 – L 6 KR 71/14 B ER –, juris vgl. auch SG Fulda, Beschluss vom 30. März 2011 – S 3 R 85/11 ER –, juris, abgeändert durch Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Juni 2011 – L 5 R 170/11 B ER –, juris).

Mangels anderer vorrangiger Rehabilitationsträger ist allein eine medizinische Rehabilitation als Eingliederungshilfe i.S.d. § 109 SGB IX i.V.m. § 5 Nr. 1, § 6 Abs.1 Nr. 7, §§ 42 ff. SGB IX zu prüfen. 

Aus § 2 AsylbLG i.V.m.§ 100 SGB IX folgt, dass der Antragsteller Eingliederungshilfe allein als Ermessensleistung erhalten könnte.

Der Antragsteller ist wegen seiner seit 2019 bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG im Grundsatz leistungsberechtigt. Am Maßstab der Glaubhaftmachung im einstweiligen Rechtsschutz ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG erfüllt. Hiernach sind u.a. Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 36 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Der Antragsteller befindet sich seit mehr als 36 Monaten in der Bundesrepublik Deutschland in Haft und es sind keine vom Antragsteller zu vertretenden Umstände erkennbar, nach denen die u.a. im August 2022 unternommenen Bemühungen zur Beschaffung somalischer Heimreisedokumente erfolglos geblieben sind und die als rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts zu werten wären.

In der Rechtsfolge regelt § 2 Abs. 1 AsylbLG als Rechtsgrundverweisung nur die entsprechende Anwendung des Teils 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch als lex specialis zum Leistungsausschluss des § 100 Abs. 2 SGB IX. Die übrigen besonderen Leistungsvoraussetzungen für Ausländer bleiben zu prüfen (wie hier: Fuchs/Ritz/Rosenow/Tießler-Marenda, SGB IX, 7. Aufl. 2021, § 100 Rn. 57; zur parallel gelagerten Rechtsfrage bei § 23 SGB XII: Cantzler, AsylbLG, 2019, § 2 Rn. 50 m.w.N. auch zum dortigen Streitstand in Rn. 49; im Erg. ebenso aber, ohne Problematisierung: BSG, Urteil vom 24. Juni 2021 – B 7 AY 1/20 R –, juris Rn. 15 und 21). Die Gesetzesbegründung zum Bundesteilhabegesetz geht davon aus, dass auch bei den Analogleistungen die Vorschrift des § 100 SGB IX lediglich ohne seinen Abs. 2 anzuwenden ist (vgl. BT-Drs. 18/9522, 356). Die nach § 2 AsylbLG Berechtigten sollen mit anderen Ausländerinnen und Ausländer im SGB IX Teil 2 und SGB XII gleich-, aber nicht bessergestellt werden. Auch aus der systematischen Stellung der Regelung in § 2 AsylbLG und nicht in § 100 SGB IX kann hergeleitet werden, dass nur § 100 Abs. 2 SGB IX und nicht die gesamte Norm des § 100 SGB IX unangewendet bleiben soll.

Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB IX können Ausländer, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Leistungen nach diesem Teil erhalten, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkung auf Ermessensleistungen nach Satz 1 gilt nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten (§ 100 Abs. 1 Satz 2). Hiernach ist der Antragsteller von vornherein auf Ermessensleistungen beschränkt, da er nicht in Besitz eines der vorgenannten Aufenthaltstitel ist.

c) Unterstellt, die vorgelegten medizinischen Befunde und die Stellungnahme der Externen Suchtberatung führten zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 99 SGB IX und der § 109 SGB IX i.V.m. § 42 Absatz 2 und 3 SGB IX, so fehlt es an einer doppelten Ermessensreduzierung auf Null sowohl hinsichtlich der Zusicherung als auch hinsichtlich § 100 Abs. 1 SGB XI.

Die vorgelegten Unterlagen bezüglich der beabsichtigten Entwöhnungsbehandlung versetzen einen Leistungsträger nach dem AsylbLG nicht in die Lage zu prüfen, ob sichergestellt ist, dass die in Betracht kommenden Einrichtungen eine den Rechtsfolgen der § 109 SGB IX i.V.m. § 42 Absatz 2 und 3 SGB IX entsprechende Entwöhnungsbehandlung erbringen. Der Antragsteller hat sich nicht auf eine Behandlung im Therapiezentrum D. oder in der Salusklinik Friedberg festgelegt. Er hat allein ein Schreiben der Salusklinik Friedberg folgenden Inhalts vorgelegt (Bl. 180 d.A.): „(…) wir freuen uns über Ihren Entschluss in unserer Klinik eine Therapie zu beginnen. Ein Termin zur Aufnahme in unserer Einrichtung kann vergeben werden, sobald folgende Unterlagen vollständig bei uns eingetroffen sind: - Kostenzusage des zuständigen Kostenträgers; - Arzt-/ Sozialbericht. Ihre Suchtberatungsstelle wird Sie bei der Zusammenstellung dieser Papiere unterstützen. Schreiben Sie uns bitte, wie sich Ihre Vorbereitungen entwickeln: - Antragstellung auf Kostenzusage - Eintreffen des Gerichtsbeschlusses (§§35 und 36 BtMG) usw.“ Hieraus ergeben sich weder der avisierte Beginn und die Dauer der Behandlung noch die für den Antragsgegner maßgeblichen Kosten und prüffähige Mindestangaben, ob die Voraussetzungen zur Leistungserbringung nach §§ 123 ff. SGB IX vorliegen oder geschaffen werden können. Das Schreiben belegt vielmehr nur eine erste Kontaktaufnahme, bei der noch nicht davon ausgegangen werden kann, dass für eine Aufnahme des Antragstellers nur noch die Kostenzusicherung und die Zurückstellungsentscheidung durch die Strafvollstreckungsbehörde fehlen.  

Ungeachtet dessen dürfte einer Ermessensreduzierung auf Null entgegenstehen, dass der Antragsteller weder den Antragsgegner noch die Gerichte über den Stand seiner Kommunikation mit der Strafvollstreckungsbehörde informiert hat und insoweit auch nicht sichergestellt ist, dass eine Entwöhnungsbehandlung in einer der beiden Therapieeinrichtungen den dortigen Anforderungen für eine positive Entscheidung nach § 35 BtMG genügt.

d) Aus denselben Gründen fehlt es an den Voraussetzungen für eine Zusicherung in Bezug auf eine Leistung nach § 6 AsylbLG.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

4. Aus den vorgenannten Gründen konnte auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG, §§ 114 ff. ZPO keinen Erfolg haben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
 

Rechtskraft
Aus
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