L 4 SO 42/25

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 SO 15/25
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 42/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


Die Sperrfrist des § 88 SGG wird im Recht der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX nicht durch die dreiwöchige Bearbeitungsfrist nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX modifiziert.


Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 22. April 2025 wird zurückgewiesen

Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bescheidung eines Antrags auf Leistungen der Eingliederungshilfe.

Der 1993 geborene Kläger lebt allein in einer Wohnung in A-Stadt. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0) mit Phasen vermehrten psychotischen Verhaltens. Das Amtsgericht Kassel hat seit September 2024 einen Betreuer für den Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Wohnungsangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Versicherungen bestellt.

Am 27. Dezember 2024 beantragte der Betreuer für den Kläger bei dem Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe und begehrte u. a. Unterstützung im Rahmen des Betreuten Wohnens. Angefügt waren Nachweise über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Kontoauszug, Bescheid über den Bezug von Bürgergeld) sowie eine Erklärung über die Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht. Mit Schreiben vom 30. Dezember 2024 bestätigte der Beklagte den Eingang des Antrags und wies darauf hin, dass sich sein Fachdienst zur Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung zwecks Terminvereinbarung mit dem Kläger in Verbindung setzen werde. Er holte einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Herr C. vom 13. Januar 2025 ein. Der Kläger legte Berichte des Katholischen Krankenhauses St. Johann Nepomuk Erfurt, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik vom 5. August 2024 und 9. Oktober 2024 vor. Der Beklagte forderte unter dem 24. Januar 2025 seinerseits Berichte bei dem Ludwig-Noll-Krankenhauses und der Tagesklinik an.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2025 forderte der Betreuer des Klägers den Beklagten auf, das Verfahren bis spätestens 14. Februar 2025 zum Abschluss zu bringen, anschließend werde Untätigkeitsklage erhoben. Die verkürzten Bearbeitungszeiten des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen Behinderungen - seien als lex specialis zu § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sehen. Am 27. Januar 2025 erteilte der Beklagte seinem Fachdienst intern einen Auftrag zur Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung, was dem Betreuer des Klägers mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt wurde. Ein Termin für ein entsprechendes Gespräch zwischen Kläger und Beklagtem wurde für den 5. Mai 2025 vereinbart.

Am 24. Februar 2025 hat der Kläger, vertreten durch seinen Betreuer, Klage zum Sozialgericht Kassel mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zu verurteilen, über seinen Eingliederungshilfeantrag vom 27. Dezember 2024 zu entscheiden. 

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass abweichend von § 88 SGG § 14 SGB IX eine lex specialis darstelle, die Erhebung einer Untätigkeitsklage bereits nach Ablauf der verkürzten Bearbeitungszeit des SGB IX sei zulässig. Soweit die Sozialgerichte sich diese von Teilen der Kommentarliteratur vertretene Auffassung zur eigenen Arbeitserleichterung nicht zu eigen machten, begegne diese Verfahrensweise Bedenken hinsichtlich der Garantie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und hinsichtlich des Grundsatzes der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Der Beklagte begehe strukturelle Rechtsverletzungen, der Bearbeitungszeitraum dort liege beim sechsfachen des gesetzlichen Solls von 21 Tagen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass § 88 SGG nicht von §§ 14 ff. SGB IX verdrängt werde. Gemäß § 88 SGG setze eine erfolgreiche Untätigkeitsklage voraus, dass über einen Antrag auf Sozialleistungen ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurde. Diese sechs Monate seien bei weitem nicht erreicht. Er sei keineswegs untätig geblieben, sondern habe seit Antragseingang diesen bearbeitet und geprüft.

Mit Gerichtsbescheid vom 22. April 2025 hat das Sozialgericht nach Anhörung der Beteiligten die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, das Abwarten der Sperrfrist von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sei Sachurteilsvoraussetzung, vor Ablauf dieser Frist sei die Untätigkeitsklage gem. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht zulässig. Der Zweck der Sperrfrist sei es insbesondere, der Behörde eine angemessene Zeit für die Entscheidung einzuräumen und eine verfrühte Klage im Behördeninteresse und im Interesse der Entlastung der Gerichte zu vermeiden. Die §§ 14 ff. SGB IX zur Koordinierung der Leistungen könnten zu den im SGG normierten Voraussetzungen der Untätigkeitsklage nicht lex specialis sein. Bei den Fristen des § 14 Abs. 2 SGB IX dürfte es sich wohl auch um allgemeine Entscheidungsfristen handeln, die zwar der Verfahrensbeschleunigung dienten, aber keine unmittelbaren Auswirkungen hätten. Seit dem Antrag vom 27. Dezember 2024 sei die Sperrfrist noch nicht abgelaufen und könne auch bei dem vorgesehenen Termin Anfang Mai noch eingehalten werden.

Gegen den ihm am 22. April 2025 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Betreuer des Klägers am 24. April 2025 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt und zunächst das auf die Bescheidung des Eingliederungshilfeantrags gerichtete Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hat dabei an seiner Rechtsauffassung festgehalten, dass §§ 14 ff. SGB IX lex specialis zu § 88 SGG sei. Mit Bescheid vom 13. Mai 2025 hat der Beklagte dem Kläger Leistungen zur sozialen Teilhabe nach §§ 113 SGB IX für den Zeitraum vom 1. Juni 2025 bis 30. November 2025 „im Rahmen der verbindlichen Anfangsbewilligung auf der Grundlage der geltenden Vergütung für die Leistungsgruppe 2 von zurzeit 19,60 € täglich im Rahmen der qualifizierten Assistenz (zzgl. eines Fahrzeitenzuschlages in Höhe von zurzeit 2,75 € täglich)“ für Leistungen des Sozialtherapie A-Stadt e. V., C-Straße, A-Stadt, bewilligt. Der Fachdienst zur Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung werde mit dem Kläger für die Zeit ab 1. Dezember 2025 den weitere Teilhabebedarf ermitteln und einen Personenzentrierten integrierten Teilhabeplan (PiT) erstellen. Mit am 26. Mai 2025 eingegangenen Schreiben vom selben Tag hat der Kläger durch seinen Betreuer hilfsweise für den Fall, dass sich das Verpflichtungsbegehren anderweitig erledige oder die Klage als Verpflichtungsklage nach Auffassung des Gerichts unzulässig sein sollte, einen Antrag auf Feststellung angekündigt, dass der Beklagte durch die Nichtentscheidung über den Antrag innerhalb der gesetzlichen Fristen seine Rechte verletzt habe. Mit Schreiben vom 5. Juni 2025 hat der Kläger mitgeteilt, die Verpflichtungsklage nicht mehr weiterzuverfolgen, aber an der Feststellungsklage festzuhalten. Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. Mai 2025 habe er erhoben. Mit Schreiben vom 29. Juli 2025 hat der Kläger den Rechtsstreit „abseits des Feststellungsinteresses“ teilweise für erledigt erklärt.

Der Kläger trägt vor, er sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, Hilfen zielführend in Anspruch zu nehmen, zwischen Beklagtem und Sozialtherapie sei eine einvernehmliche Abmeldung erfolgt. Lediglich vor einigen Monaten habe ein kurzes Zeitfenster bestanden, in dem er Behandlungen und Gesprächen zugänglich gewesen sei. Eine Etablierung der Eingliederungshilfe müsse in einem solchen Zeitfenster einsetzen. Es stehe auch für die Zukunft zu erwarten, dass sich ein Zeitfenster für eine Zeit öffnen, die womöglich der gesetzlichen Bearbeitungszeit entspreche. Wenn es dann erneut eines Vorlaufes brauche, um eine Bewilligung des Kostenträgers außerhalb der gesetzlichen Bearbeitungszeit zu erhalten, wäre das schädlich. Der Kläger vertritt die Ansicht, er habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der überlangen Verfahrensdauer, um ggf. eine Grundlage für weitere Ansprüche (z. B. Amtshaftung nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] i. V. m. Art. 34 GG) zu schaffen. Die Rechtsverletzung durch die Fristüberschreitung sei von erheblichem Gewicht und könne sich in der Praxis jederzeit erneut stellen kann. Es bestehe Wiederholungsgefahr für ihn und allgemein für betreute Menschen in vergleichbarer Situation. Die Wiederholungsgefahr für ihn bestehe spätestens bei einem notwendigen Wechsel der bewilligten Leistung oder bei erneuter Notwendigkeit der Bewilligung der bisherigen Leistungen. Ein Feststellungsinteresse sei auch aufgrund der Grundrechtsverletzungen zu bejahen; betroffen seien die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 Satz 2 und 19 Abs. 4 GG. Das Verhalten verletze ferner Art. 20 Abs. 3 GG. Seine Rechtsauffassung führt der Kläger ausführlich aus und geht von einer hinreichenden Grundrechtsverletzung aus, die sich aus strukturellen Gründen zudem wiederholen werde. 

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 22. April 2025 des Sozialgerichts Kassel aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte über seinen Antrag vom 27. Dezember 2024 auf Erlass eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden hat.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, ein PiT habe nicht erstellt werden können, der Kläger sei zum Termin am 5. Mai 2025 nicht erschienen, seinen Betreuer habe man nicht erreicht. Der Kläger sei nicht hinreichend belastbar für eine tragfähige Teilhabeplanung erschienen. Die zuständige Bedarfsermittlerin habe aufgrund der vorliegenden Unterlagen aber einen akuten Hilfebedarf gesehen und mit der Sozialtherapie die verbindliche Anfangsbewilligung, LG 2, empfohlen. Der Kläger sei zum 11. Juli 2025 von der Sozialtherapie abgemeldet worden, es sei trotz umfänglicher Bemühungen kein Arbeitsbündnis zustande gekommen. Der Kläger sei offenbar nicht willens bzw. in der Lage, Leistungen der Eingliederungshilfe anzunehmen. Leistungen der Eingliederungshilfe könnten nicht gegen den Willen und ohne Mitwirkung der behinderten Person erbracht bzw. aufgedrängt werden. Im Hinblick auf die tatsächliche Nichtinanspruchnahme der angebotenen Eingliederungshilfeleistungen sei insoweit das Rechtsschutzinteresse nicht mehr gegeben. Das Verfahren sei erledigt. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht hinreichend belegt. Die Behauptung, die Bearbeitungsdauer beim Beklagten sei ursächlich für die Nichtannahme der Leistungen durch den Kläger gewesen, sei völlig unbelegt und aus der Luft gegriffen. Das gelte auch für die hypothetische Annahme einer künftigen Antragstellung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, nachdem die Beteiligten das Verfahren jedenfalls hinsichtlich der Untätigkeitsklage sowie der Verpflichtungsklage übereinstimmend – der Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2025 bzw. vom 29. Juli 2025, der Beklagte mit Schriftsatz vom 3. Juni 2025 – für erledigt erklärt haben (zur Zulässigkeit der überstimmenden Erledigungserklärung im sozialgerichtlichen Verfahren Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 125 Rn. 7, beck-online), lediglich noch der erstmals im Berufungsverfahren mit am 26. Mai 2025 bei Gericht eingegangenen Schreiben geltend gemachte Fortsetzungsfeststellungsantrag des Klägers. 

Die Umstellung des Klageantrags im Berufungsrechtszug in eine Fortsetzungsfeststellungsklage beurteilt sich nach § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG und stellt keine Klageänderung dar. § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG ist nämlich auch (entsprechend) anzuwenden, wenn sich eine Untätigkeitsklage durch den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes, wie hier mit dem Bescheid vom 13. Mai 2025, der nicht gem. § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG [Stand: 15. Juni 2022], Rn. 63), erledigt (LSG Hamburg, Urteil vom 9. März 2022 – L 2 U 38/21, BeckRS 2022, 24317; vgl. Michael Wolff-Dellen in: Fichte/Jüttner, SGG, 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, § 131 SGG, Rn. 5; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 88 Rn. 11, beck-online; a. A. Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG [Stand: 15. Juni 2022], Rn. 58). Die Rechtsprechung hat die Regelung der Fortsetzungsfeststellungsklage in § 131 Abs. 1 SGG stets weit ausgelegt. Sie hat die Vorschrift auch angewandt, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt nicht erledigt hatte, sondern das Rechtsschutzinteresse für die erhobene Anfechtungsklage aus vergleichbaren Gründen entfallen war (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1993 - 14a RKa 1/93 -, BSGE 73, 244, juris Rn. 15). Sie gilt entsprechend für andere Klagearten, bei denen es um die Rechtmäßigkeit der Verfahrensweise der beklagten Behörde im Zusammenhang mit einem Verwaltungsakt bei Erledigung des primären Rechtsschutzbegehrens geht, insbesondere für die Verpflichtungsklage und somit auch für die Untätigkeitsklage als besondere Form der Verpflichtungsklage (BeckOGK/Diehm, 1. Mai 2025, SGG § 88 Rn. 88, beck-online, m. w. N.). Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass die betroffene Person sonst keine - wie in dem in § 131 SGG genannten Fall der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes - Möglichkeit hätte, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Behörde gerichtlich feststellen zu lassen, selbst wenn mit einer Wiederholung konkret zu rechnen sei und die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Wiederholung vorbeugen könnte (BSG, a. a. O.). 

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch nicht zulässig. Die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Anschluss an eine Untätigkeitsklage setzt voraus, dass sich eine ursprünglich zulässige Untätigkeitsklage durch den Erlass des zuvor ausstehenden Verwaltungsaktes erledigt hat und der Kläger ein über die Bescheidung hinausgehendes besonderes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorherigen behördlichen Untätigkeit hat (BeckOGK/Diehm, 1. Mai 2025, SGG § 88 Rn. 89, beck-online). Hieran fehlt es.

Die ursprüngliche Untätigkeitsklage hat sich zwar durch den Erlass des Bescheids vom 13. Mai 2025 erledigt, sie war jedoch nicht zulässig, denn bei Eintritt des erledigenden Ereignisses war die Sperrfrist (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG) zur Vornahme des Verwaltungsakts noch nicht abgelaufen (zu diesem Erfordernis vgl. OVG Münster, Urteil vom 6. März 2014 – 7 A 590/12, BeckRS 2014, 49299; s. auch BeckOGK/Diehm, 1. Mai 2025, SGG § 88 Rn. 89, beck-online). 

Maßgeblich abzustellen ist dabei – wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat - auf die in § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG geregelte, sechsmonatige Frist. Diese Frist wird nicht durch die dreiwöchige Bearbeitungsfrist gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX im Wege der Spezialität verdrängt. Auf die diesbezügliche Begründung des mit der Berufung angefochtenen Gerichtsbescheids nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug und sieht insoweit von der Darstellung eigener Entscheidungsgründe gem. § 153 Abs. 2 SGG ab. 

Lediglich ergänzend weist der Senat insoweit darauf hin, dass sich weder aus den Gesetzesmaterialien zu § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX noch aus der Gesetzessystematik hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gesetzgeber die Sperrfrist zur Erhebung einer Untätigkeitsklage im Recht der Eingliederungshilfe (nach dem SGB IX) von sechs Monaten (§ 88 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf drei Wochen (§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) verkürzen wollte. Bereits mit bei Einführung der Norm durch Art. 1 und 68 SGB IX vom 19. Juni 2001 (m. W. v. 1. Juli 2001, BGBl. I S. 22) wird die dreiwöchige Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX lediglich als Frist zur Entscheidung über den Antrag bezeichnet. Aussagen zum Verhältnis zu anderen Regelungen werden lediglich in Bezug auf das Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) und „die Leistungsgesetze der Rehabilitationsträger“ getroffen (BT-Drucks. 14/5074, S. 102 zu § 14 SGB IX), nicht jedoch im Verhältnis zum SGG. Eine Rechtsänderung ist insoweit auch nicht durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG, BGBl. I 2016, 3234) eingetreten (vgl. BT-Drucks. 18/952 S. 233 zu § 14 SGB IX). Als allgemeine Entscheidungsfrist hat die dreiwöchige Frist keine unmittelbaren Auswirkungen. Sie dient zwar der Verfahrensbeschleunigung, ist aber ausschließlich für die Rechtsaufsicht von Bedeutung (Eicher, NZS 2022, 601, beck-online), unmittelbare Rechtsfolgen knüpft das Gesetz an die Missachtung der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nicht. Erst wenn ein Rehabilitationsträger, der nicht – wie die Träger der Eingliederungshilfe – gem. § 18 Abs. 7 SGB IX hiervon ausgenommen ist, nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang über den Antrag auf Teilhabe entscheiden kann, sieht der Gesetzgeber nach Maßgabe von § 18 Abs. 1 bis 5 SGB IX hierfür Folgen bis hin zur Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX vor. Für das gerichtliche Verfahren verbleibt es daher dabei, dass auch im Hinblick auf die Missachtung der Frist nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX eine Verpflichtungsklage auf Bescheidung (Untätigkeitsklage) erst sechs Monate nach der Antragstellung gem. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG zulässig ist (Ulrich, SGb 2008, 452, 454; Westermann, jurisPR-SozR 20/2016 Anm. 5). 

Entgegen der Auffassung des Betreuers des Klägers ist dieser auch nicht rechtsschutzlos gestellt, denn auch wenn die besonderen Entscheidungsfristen der § 18 Abs. 1 und 2 SGB IX im Sinne einer Rechtsbereichsausnahme – also nicht trägerbezogen – gem. § 18 Abs. 7 SGB IX nicht für die Eingliederungshilfe, Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge gelten (Eicher, NZS 2022, 601, beck-online), greift der Ausschluss in § 18 Abs. 7 SGB IX nicht in den Fällen der Unaufschiebbarkeit bzw. zu Unrecht abgelehnten Leistungen ein (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2008 – B 8/9b SO 10/07 R –, BSGE 102, 126-134, juris Rn. 11). Damit können bei Unaufschiebbarkeit die Leistung selbst beschafft und die hierfür entstandenen Kosten nach Maßgabe von § 18 Abs. 6 SGB IX auch vom Träger der Eingliederungshilfe erstattet verlangt werden. Darüber hinaus bleiben den Betroffenen bei dringend bestehenden Bedarfen weiterhin die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b SGG.

Weiterhin kann sich der Kläger auch nicht auf ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse berufen. Ein „berechtigtes Interesse“ i. S. von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG meint jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse, das rechtlicher, aber auch bloß wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann (BSG, Beschluss vom 2. April 2025 – B 1 KR 7/24 B –, juris Rn. 10; vgl. auch BSG, Beschluss vom 12. August 2010 - B 3 KR 3/10 B - juris Rn. 10 zu § 55 Abs. 1 SGG). 

Wird das Fortsetzungsfeststellungsinteresse – wie hier - auf die Vorbereitung eines zivilrechtlichen Entschädigungsprozesses gestützt, muss geltend gemacht werden, dass die Verzögerung der Bearbeitung des Antrags mangels Rechtfertigung durch einen zureichenden Grund eine Amtspflichtverletzung darstellt und dem Kläger hierdurch ein Schaden entstanden ist (BeckOGK/Diehm, 1. Mai 2025, SGG § 88 Rn. 89, beck-online; vgl. auch BSG Urteil vom 21. März 2018 – B 6 KA 44/16 R, BeckRS 2018, 9030 Rn. 33, beck-online). Für ein berechtigtes Interesse des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität bestehen nach dessen Vorbringen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, denn er hat lediglich ganz allgemein angegeben, dass die Rechtswidrigkeit der Bearbeitungszeit festzustellen sei „um ggf. eine Grundlage für weitere Ansprüche (z. B. Amtshaftung nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] i. V. m. Art. 34 GG) zu schaffen“. Weder hat er die Möglichkeit eines konkreten Schadens substantiiert dargetan, noch konkret dargelegt, dass er beabsichtigt, eine entsprechende Schadensersatzklage anhängig zu machen.

Auch unter dem Gesichtspunkt des Rehabilitierungsinteresses ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers nicht gegeben. Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, 9 C 14/12, NVwZ 2013, 1481 Rn. 25, beck-online). Diese Voraussetzungen sind auch unter Berücksichtigung des geltend gemachten Grundrechtsbezugs nicht gegeben, der behauptete rechtswidrigen Eingriff in den Schutzbereich der Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte des Klägers reicht hierzu nicht aus.

Schließlich ist das Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch nicht wegen Wiederholungsgefahr gegeben. Diese ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG, Beschluss vom 2. April 2025 – B 1 KR 7/24 B –, Rn. 10, juris). Dafür genügt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Rücksicht auf das sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, also die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die tatsächlichen Verhältnisse gänzlich gleichartig sind. Es reicht sogar aus, dass trotz veränderter Verhältnisse eine auf gleichlautenden Erwägungen beruhende Entscheidung zu erwarten ist oder sich die Wiederholungsgefahr sogar bereits verwirklicht hat, weil für Folgejahre entsprechende Entscheidungen ergangen sind (BSG, Beschluss vom 2. April 2025 – B 1 KR 7/24 B –, jurs Rn. 11, m. zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Im Anschluss an eine Untätigkeitsklage kann Wiederholungsgefahr angenommen werden, wenn weitere gleichgelagerte Anträge/Widersprüche der betroffenen Person Gegenstand eines Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens bei der beklagten Behörde sind und die Behörde an der von ihr vertretenen und zur Verzögerung der Bearbeitung führenden Rechtsauffassung (z. B. zum Umfang der Ermittlungen oder zum Umfang der Mitwirkungspflichten des Klägers) erkennbar festhalten will (BeckOGK/Diehm, 1.5.2025, SGG § 88 Rn. 89, beck-online). An einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr fehlt es. Die vom Kläger geltend gemachte Gefahr einer erneuten Überschreitung der Bearbeitungsfristen „bei einem notwendigen Wechsel der bewilligten Leistung oder bei erneuter Notwendigkeit der Bewilligung der bisherigen Leistungen“ ist nicht hinreichend konkret. Dass weitere gleichgelagerte Anträge des Klägers bereits Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens seien, macht der Kläger bereits nicht geltend. Soweit der Kläger schließlich auf eine Wiederholungsgefahr „allgemein für betreute Menschen in vergleichbarer Situation“ abgestellt hat, reicht die zur Begründung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht aus. Der Kläger darf sich insoweit nicht auf die Interessen Dritter stützen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. 
 

Rechtskraft
Aus
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