S 6 SO 15/25

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 SO 15/25
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 42/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bescheidung eines Antrags auf Leistungen der Eingliederungshilfe.

Der 1993 geborene Kläger lebt allein in einer Wohnung in A-Stadt. Das Amtsgericht Kassel hat seit September 2024 einen Betreuer für den Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Wohnungsangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Behörden und Versicherungen bestellt.

Am 27.12.2024 beantragte der Betreuer für den Kläger bei dem Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe. Unterstützung sollte im Rahmen des Betreuten Wohnens erfolgen. Angefügt waren Nachweise über die wirtschaftlichen Verhältnisse (Kontoauszug, Bescheid über den Bezug von Bürgergeld) sowie eine Erklärung über die Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht. Der Beklagte holte Befundunterlagen bei dem einzig von der Schweigepflicht entbundenen Facharzt für Innere Medizin Herr C. ein. Der Arzt C. berichtete, dass der Kläger an einer paranoiden Schizophrenie (F 20.0) mit Phasen vermehrten psychotischen Verhaltens leidet. Termine wurden nicht wahrgenommen, die Incompliance war wahrscheinlich seiner Erkrankung geschuldet. Seines Wissensstandes nach war er drei Wochen stationär im Ludwig-Noll-Krankenhaus zur Behandlung und wurde dann in der Tagesklinik weiter angebunden. Aufgrund mangelnder Kontakte in der Sprechstunde lagen ihm nicht mehr Informationen vor. Die Mutter des Klägers machte sich Sorgen und erschien diesbezüglich teils hilflos in der Praxis. 

Der Beklagte bat den Betreuer des Klägers um Entbindung des Ludwig-Noll-Krankenhauses und der Tagesklinik von der Schweigepflicht, was nachgeholt wurde.

Zur Vorlage kamen zudem Berichte des Katholischen Krankenhauses St. Johann Nepomuk Erfurt, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik vom 05.08.2024 und 09.10.2024. 
Der Beklagte holte weitere Berichte bei dem Ludwig-Noll-Krankenhauses und der Tagesklinik ein, die bisher nicht zur Vorlage kamen. 

Am 27.01.2025 wurde intern ein Auftrag zur Bedarfsermittlung erteilt. Ein Termin für ein entsprechendes Gespräch zwischen Kläger und Beklagtem wurde für den 05.05.2025 vereinbart.

Am 24.02.2025 hat der Kläger, vertreten durch seinen Betreuer, eine Untätigkeitsklage erhoben. 

Zur Begründung trägt der Betreuer des Klägers vor, dass abweichend von § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach den §§ 14 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von einer lex specialis auszugehen sei, die die Erhebung einer Untätigkeitsklage bereits nach Ablauf der verkürzten Bearbeitungszeit des SGB IX zulässig sein lasse.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom 27.12.2024 zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass § 88 SGG nicht von §§ 14 SGB IX verdrängt werde. Gemäß § 88 SGG setze eine erfolgreiche Untätigkeitsklage voraus, dass über einen Antrag auf Sozialleistungen ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden wurde. Diese sechs Monate seien bei weitem nicht erreicht.

Zudem sei festzuhalten, dass der Beklagte keineswegs untätig geblieben sei, sondern seit Antragseingang diesen bearbeitet und geprüft habe. So wurde das Gesamtplanverfahren eingeleitet und im Einvernehmen mit dem Klägervertreter inzwischen für den 05.05.2025 ein Termin zur Bedarfsermittlung vereinbart. Die erforderlichen medizinischen Unterlagen liegen bis heute nicht vor.

Mit Schreiben vom 19.03.2025 hat das Gericht die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats gegeben worden. Nach den vorliegenden Empfangsbekenntnissen ist das Schreiben dem Betreuer des Klägers am 19.03.2025 und dem Beklagten am 20.03.2025 zugestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.


Entscheidungsgründe

Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1, 2 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung in Beschlussbesetzung - ohne ehrenamtliche Richter - durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt, soweit wie er für die Entscheidung rechtlich relevant ist, geklärt ist, die Beteiligten vorher gehört worden sind und ihnen eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt worden ist. Gemäß § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil.

Die Klage ist unzulässig.

Gemäß § 88 Abs. 1 S. 1 SGG ist, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, die Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Das Abwarten der Sperrfrist ist Sachurteilsvoraussetzung, das heißt vor Ablauf dieser Frist ist die Untätigkeitsklage nicht zulässig. Der Zweck der Sperrfrist ist es insbesondere auch, der Behörde eine angemessene Zeit für die Entscheidung einzuräumen und eine verfrühte Klage im Behördeninteresse und im Interesse der Entlastung der Gerichte zu vermeiden. Die §§ 14 ff. SGB IX zur Koordinierung der Leistungen können zu den im SGG normierten Voraussetzungen der Untätigkeitsklage nicht lex specialis sein. Bei den Fristen des § 14 Abs. 2 SGB IX dürfte es sich wohl auch um allgemeine Entscheidungsfristen handeln, die zwar der Verfahrensbeschleunigung dienen, aber keine unmittelbaren Auswirkungen haben (Eicher, NZS 2022, 601 (604)). 

Bei dem Antrag vom 27.12.2024 ist die Sperrfrist noch nicht abgelaufen und kann auch bei dem vorgesehenen Termin Anfang Mai noch eingehalten werden.

Die Klage ist unzulässig.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Sache und beruht auf § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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