S 39 AS 570/24

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
39
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 39 AS 570/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Für die Bewertung, welcher Art und Rechtsnatur Aufwendungen für eine konkrete Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind (Miete oder Miet-Kaufpreisrate), kommt es auf die zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Zweckrichtung einer Zahlung und nicht die rechtliche Wirksamkeit des Vertrags als solches an.

2. Der Träger der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende ist nicht verpflichtet, über die Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für Aufwendungen von Leistungsberechtigten im Zusammenhang mit der bewohnten Unterkunft aufzukommen, die aus unklaren und ggf. rechtlich nicht verbindlichen Vertragsgestaltungen resultieren.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

In Streit steht (zuletzt) die teilweise Aufhebung dem Kläger zunächst für die Zeit von März 2024 bis Oktober 2024 gewährter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Besonderen ist streitig, ob der Kläger in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin Anspruch auf Berücksichtigung laufender Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 350 Euro hat.

Der 1967 geborene Kläger wohnte mit seiner Lebensgefährtin S L (geb. 1978) zunächst in G. Gemeinsam bezogen Sie vom Jobcenter Zwickau fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Der Vater des Klägers, W L, war Eigentümer eines Hauses in der F-straße in R am R1 OT B. Nach dem Tod des Vaters am 3. Mai 2020 erbte dessen Ehefrau T L (ukrainische Staatsbürgerin) als dessen testamentarische Alleinerbin das Hausgrundstück. Zur Dursetzung seiner Pflichtteils- und Pflichteilergänzungsansprüche hat der Kläger gegen L vor dem Landgericht Gera Stufenklage erhoben (Az. 8 O 818/21).

Am 18. August 2023 schlossen der Kläger und L eine „Vorvereinbarung“. In dieser ist u. a. vorgesehen, dass „die Parteien demnächst einen notariellen Vertrag abschließen. Danach wird L das Hausgrundstück B, F-straße (Grundbuch von B, Blatt 140, Flurstücknummer 611) im Wege der Ratenzahlung ähnlich einem Mietkauf von L für insgesamt 42.000 Euro erwerben. Hierzu wird L im Oktober 2023 in das Haus F-straße in B einziehen und 10 Jahre lang monatlich 350 Euro an L bezahlen, die Betriebs- und sonstigen Kosten tragen sowie notwendige Reparaturen am Haus selbst vornehmen. Im Gegenzug übereignet L nach Erhalt der gesamten 42.000 Euro voraussichtlich in 10 Jahren das Hausgrundstück endgültig an L.“ Weiter ist in der Vereinbarung vorgesehen: „Da L in Kürze in die Ukraine zurückkehren wird und der Abschluss eines notariellen Vertrages bis dahin nicht möglich ist, schließen die Parteien zunächst den dieser Vereinbarung beigefügten Mietvertrag, wobei klargestellt wird, dass die Mietzahlungen in Höhe von monatlich 350 Euro auf den Kaufpreis des Hausgrundstücks angerechnet werden. Außerdem vereinbaren die Parteien, dass die Verjährung der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche von L gegen L bzw. deren Erben bis zum rechtsgültigen Abschluss des Notarvertrages gehemmt ist. Für den Fall, dass der Notarvertrag nicht binnen eines Jahres rechtswirksam zustande kommt, behält sich J L die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sowie weitere Klageerhebung vor.“

Darüber hinaus unterzeichneten der Kläger und L am 18. August 2023 einen „Mietvertrag“. Der Vertrag wurde individuell verfasst, ohne Verwendung eines Mustermietvertrages für Wohnräume. In diesem ist bestimmt, dass dem Kläger das Haus in der F-straße in R am R1 OT B ab 1. Oktober 2023 teilweise (ca. 80 m²) sowie eine auf dem Grundstück befindliche Garage mit Schuppen sowie der Garten und die Einfahrt, zu Wohnzwecken vermietet werden. Die Nutzung eines Schlafzimmers im 1. OG des Hauses wurde L vorbehalten (§ 1). Als monatliche Miete ist ein Betrag von 350 Euro vereinbart. Darüber hinaus hat der Mieter selbst für die Nebenkosten aufzukommen und ist verpflichtet, „das Haus auf eigene Kosten instandzuhalten und notwendige Reparaturen auszuführen“ (§ 2). Die Dauer des Mietverhältnisses wurde auf unbestimmte Zeit festgelegt. Zudem sieht der Vertrag vor: „Allerdings wird der Mieter das Eigentum am Mietobjekt voraussichtlich entsprechend einer gesonderten notariellen Vereinbarung (siehe zunächst die Vorvereinbarung) innerhalb von 10 Jahren erwerben. Für die voraussichtliche Laufzeit des Mietverhältnisses verzichtet die Vermieterin auf das Recht zur ordentlichen Kündigung. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt“ (§ 3). Dem Mieter wird uneingeschränkt gestattet, weitere Personen aufzunehmen und die Mietsache an Dritte unterzuvermieten (§ 6). Bauliche Veränderungen, insbesondere Um- und Einbauten (z. B. neue Fenster oder Türen, Fußböden), sind dem Mieter gestattet (§ 7). Eine Kostenerstattung oder Rückbauklausel ist für Um- und Einbauten nicht vorgesehen.

Am 26. Oktober 2023 beantragten der Kläger und seine Lebensgefährtin L beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 1. November 2023. Zum 1. November 2023 zogen sie auch in das Haus in der F-straße in R am R1 OT B ein.

Mit Bescheid vom 29. November 2023 bewilligte der Beklagte dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft mit L Leistungen für die Zeit von November 2023 bis Oktober 2024. Die Leistungsbewilligung schließt als Bedarf Kosten der Unterkunft in Höhe von 350 Euro im Monat (anteilig 175 Euro für den Kläger) ein. Insofern wird im Bescheid ausgeführt: „Aktuell werden nur die 350 Euro für Ihren monatlichen Mietkauf berücksichtigt.“ Es folgt der Hinweis, dass anfallende Nebenkosten gegen Vorlage entsprechender Nachweise erbracht werden.

Mit Änderungsbescheid vom 16. Dezember 2023 wurden die Leistungen für die Zeit von Januar 2024 bis Oktober 2024 im Umfang der gesetzlich vorgesehenen Erhöhung der Regelbedarfe erhöht.

Am 9. Januar 2024 bevorratete der Kläger 1.005 Liter Heizöl. Hierfür wurden ihm lt. Rechnung vom gleichen Tag insgesamt 1.145,43 Euro in Rechnung gestellt.

Am 13. Februar 2024 erließ der Beklagte, ohne dem Kläger zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, einen Änderungsbescheid für die Zeit von März 2024 bis Oktober 2024. Mit diesem hob er die Bewilligung von Unterkunftskosten in voller Höhe mit 350 Euro (anteilig für den Kläger 175 Euro) monatlich auf. Zur Begründung wird in dem Bescheid ausgeführt, bisher seien Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 350 Euro gewährt worden, weil davon ausgegangen worden sei, dass Miete gezahlt werde. Es habe sich aber herausgestellt, dass es sich um einen Mietkauf handele. Das Jobcenter könne Eigentumserwerb nicht finanzieren. Bei Eigentum könnten Hausnebenkosten wie z. B. Wasser-/Abwassergebühren, Fäkalbeseitigung, Gebäudeversicherung, Grundsteuer usw. übernommen werden. Von einer Rückforderung der zu viel gezahlten Kosten für Unterkunft und Heizung für die Vergangenheit werde abgesehen. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung wird im Bescheid § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) genannt.

Mit Änderungsbescheid vom 15. Februar 2024 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Lebensgefährtin weitere Leistungen in Höhe von 795,44 Euro. Dabei werden im Rahmen der Leistungsberechnung Heizkosten aus der Rechnung vom 9. Januar 2024 in Höhe von insgesamt 1.145,44 Euro als Bedarf berücksichtigt, nicht aber die im Ausgangsbescheid für den Monat Januar 2024 noch erstatteten 350 Euro „Miete“. Unter Verweis darauf, dass 350 Euro Unterkunftskosten bereits gewährt wurden, zahlte der Beklagte auf den Rechnungsbetrag der Heizölrechnung nur einen Anteil von 795,44 Euro (1.145,44 Euro abzüglich 350 Euro) an den Kläger und seine Lebensgefährtin aus. 

Anwaltlich vertreten legte der Kläger gegen die Änderungsbescheide vom 13. und 15. Februar 2024 mit der Begründung Widerspruch ein, eine mietkaufvertragliche Beziehung liege zwischen ihm und L nicht vor. Der Vertrag vom 18. August 2023 bringe lediglich die Absicht des Mieters zum Ausdruck, das Hausgrundstück später mit einem notariellen Vertrag kaufen zu wollen. Ein Kauf sei noch gar nicht vereinbart. Die Verpflichtung zur Veräußerung bzw. den Erwerb eines Grundstücks bedürfe überdies einer notariellen Beurkundung, die fehle. Ohne notarielle Beurkundung wäre ein Kaufgeschäft unwirksam. Es sei zudem nicht rechtens, dass die Aufwendungen für Heizöl nicht vollumfänglich übernommen, sondern die für Januar 2024 gewährte Miete davon abgezogen werde. Die Aufwendungen für das Heizöl seien vollumfänglich zu erstatten.

Die vom Beklagten separat erfassten Widersprüche gegen die Änderungsbescheide vom 13. Februar 2024 (W 67/24) und 15. Februar 2024 (W 68/24) hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 3. Mai 2024). 

Gegen diese Entscheidungen richtet sich der Kläger mit seiner am 14. Mai 2024 bei Gericht eingegangenen Klage.

Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. Februar 2025 erkannte der Beklagte das Klagebegehren teilweise insofern an, als er bezogen auf die Heizölbevorratung in Abänderung des Bescheides vom 15. Februar 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2024 dem Kläger und der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Lebensgefährtin weitere Unterkunftskosten in Höhe von 350 Euro bewilligte. Das Teilanerkenntnis wurde vom Kläger angenommen.

Nach dem Erörterungstermin wurden weiteren Nachweise zu laufenden Kosten der Unterkunft für den streitigen Zeitraum beim Beklagten eingereicht. Daraufhin wurden dem Kläger und seiner Lebensgefährtin weitere Kosten der Unterkunft für Abfallgebühren, Fäkalabfuhr, Wasser/Abwasser, Schornsteinfeger und die Reparatur des WC (Änderungsbescheid vom 25. Februar 2025) bewilligt. Die 350 Euro aus dem „Mietvertrag“ blieben weiter unberücksichtigt.

Der Kläger trägt vor, die vom Beklagten vorgenommene Leistungskürzung sei rechtswidrig. Die Annahme, er sei nicht Mieter, sondern Mietkäufer treffe nicht zu. Mit Vertrag vom 18. August 2023 habe er von L mit Wirkung ab 1. Oktober 2023 einen 80 m² großen Teilbereich des Wohngebäudes F-straße in R am R1 OT B für monatlich 350 Euro netto angemietet. Ein sog. Mietkauf sei dagegen nicht vereinbart worden. Sowohl der Mietvertrag als auch die Vorvereinbarung brächten lediglich die Absicht der Vertragsparteien zum Ausdruck, später einen auf den Erwerb des Hausgrundstücks gerichteten Notarvertrag abzuschließen. Selbst die Annahme eines diesbezüglichen Vorvertrages scheitere an dem Formerfordernis des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB. Da zwischen ihm und L eine wirksame Erwerbsvereinbarung nicht getroffen worden sei und somit der Mietvertrag ihn nur zur entgeltlichen Nutzung des Hauses berechtige, liege ein Mietkauf objektiv nicht vor. Sein Traum, ggf. später einen diesbezüglichen Eigentumserwerbsanspruch begründen zu können, ändere hieran nichts.

Der Kläger beantragt zuletzt (sachdienlich gefasst),

den Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2024 (W 67/24) in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2025 insoweit aufzuheben, als Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von 350 Euro monatlich aufgehoben wurden.

Der Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er zunächst auf seine Ausführungen in den klagegegenständlichen Ausgangs- und Widerspruchsbescheiden verwiesen. Ergänzend trägt der Beklagte vor, die monatlichen Aufwendungen von 350 Euro für den Mietkauf seien nicht übernahmefähig.

Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 17. Februar 2024 wurde der Kläger umfassten zum Sachverhalt befragt. Der Beklagte wurde darauf hingewiesen, dass Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebungsentscheidung mit Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 nur § 45 SGB X sein kann und keine Anhörung zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung bewilligter Leistungen erfolgt ist.

Mit Anhörungsschreiben vom 21. Februar 2025 gab der Beklagte dem Kläger – außerhalb des Klageverfahrens – Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage ab 1. März 2024 zu Unrecht gezahlter Leistungen, weil kein Anspruch auf Kosten für einen Mietkauf bestehe. Mit Schriftsatz vom 21. März 2025 teilte der Beklagte mit, nach Anhörung des Klägers sei der Sachverhalt neu geprüft worden. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Anhörungsverfahren gelange er zu dem Ergebnis, dass ab März 2024 kein Anspruch auf Kosten der Unterkunft in Höhe von 350 Euro bestehe und auch kein Vertrauensschutz im Sinne von § 45 SGB X vorliege. Er bleibe daher bei seiner ursprünglichen Entscheidung.

Mit Schriftsätzen vom 22. April 2025 erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Gerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird auf die Niederschrift des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 17. Februar 2025, den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte im Einvernehmen mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist – nach Annahme des Teilanerkenntnisses – der Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2024 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2025, mit dem der Beklagte die dem Kläger und der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Lebensgefährtin für die Zeit von März 2024 bis Oktober 2024 zunächst bewilligten Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 350 Euro aufgehoben hat.

Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 SGG zulässig. In der Sache hat die Klage keinen Erfolg.

Der Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2024 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Februar 2025 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).

Sofern der Kläger die vollumfängliche Aufhebung des klagegegenständlichen Bescheides mit dem Ziel der Gewährung von Leistungen unter Berücksichtigung der Kosten aus dem „Mietvertrag“ in Höhe von 350 Euro pro Monat begehrt, kann die Klage in Bezug auf den hälftigen Anteil von 175 Euro von vornherein keinen Erfolg haben. Der Kläger selbst ist durch den Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 nur insoweit beschwert, als die ihm zuvor anteilig hälftig mit 175 Euro pro Monat bewilligten Unterkunftskosten aufgehoben wurden. Der weitere Betrag von 175 Euro monatlich betrifft die individuelle Leistungsbewilligung der zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Lebensgefährtin, die der Kläger nicht in eigenem Namen klageweise geltend machen kann. Da die Lebensgefährtin des Klägers am Klageverfahren nicht beteiligt ist, kann Verfahrensgegenstand ausschließlich die gegenüber dem Kläger verfügte teilweise Aufhebung sein.

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebungsentscheidung des Beklagten mit Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 ist § 45 Abs. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 1 SGB II. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).

Entgegen der Annahme des Beklagten im Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 war eine teilweise Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 29. November 2023 hier nicht auf der Grundlage von § 48 SGB X möglich. Die Anwendung von § 48 SGB X setzt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, voraus. Eine solche Änderung ist hier aber mit Wirkung zum Monat März 2024 nicht ersichtlich. Der Beklagte hat lediglich seine rechtliche Bewertung der vom Kläger an L auf der Grundlage der Verträge vom 18. August 2023 zu zahlenden 350 Euro pro Monat überprüft und geändert, ohne dass sich die tatsächlichen Verhältnisse oder die gesetzlichen Vorgaben insofern geändert haben.

Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X für eine teilweise Aufhebung der dem Kläger mit Ausgangsbescheid vom 29. November 2023 für den streitigen Zeitraum März 2024 bis Oktober 2024 bewilligten Leistungen im Umfang von individuell 175 Euro pro Monat liegen vor.

Nach Überzeugung der Kammer war die mit Bescheid vom 29. November 2023 getroffene Entscheidung des Beklagten, dem Kläger und seiner Lebensgefährtin auf der Grundlage der vom Kläger vorgelegten vertraglichen Vereinbarungen vom 18. August 2023 laufende Kosten der Unterkunft in Höhe von 350 Euro zu bewilligen, von Beginn an rechtswidrig. Bei den 350 Euro pro Monat handelt es sich nicht um erstattungsfähige Unterkunftskosten.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Kosten der Unterkunft ist in materieller Hinsicht § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Der Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II bezieht sich auf die Sicherung des Grundbedürfnisses des Wohnens. Dies impliziert, dass nur Aufwendungen in Betracht kommen, die unterkunftsbezogen sind und dem zu deckenden Bedürfnis „Wohnen“ Rechnung tragen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 39/20 R). Aufwendungen, die zwar im Zusammenhang mit einer konkret bewohnten Unterkunft stehen, aber dem Erwerb von Wohneigentum dienen, wie z. B. (Miet-)Kaufpreisraten oder Tilgungsraten, gehören grundsätzlich nicht zu den erstattungsfähigen Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 49/14 R zu Tilgungsraten), denn die Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Vermögensbildung dienen (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 49/14 R; BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R).

Die am 18. August 2023 zwischen dem Kläger und L geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen, „Vorvereinbarung“ und „Mietvertrag“, haben zwar die Überlassung von Räumen in dem Wohnhaus in der F-straße in R am R1 OT B zu Wohnzwecken zum Gegenstand. Bei gebotener Auslegung kommt die Kammer jedoch zu dem Ergebnis, dass es sich bei den zwischen dem Kläger und L vereinbarten monatlichen 350 Euro nicht um ein reines Nutzungsentgelt für den überlassenen Wohnraum im Sinne oder vergleichbar einer Miete handelt, sondern um nicht übernahmefähige Ratenzahlungen bzw. Mietkaufpreiszahlungen im Hinblick auf einen avisierten Kauf und Eigentumserwerb des Hauses in der F-straße in R am R1 OT B durch den Kläger. 

Die zwischen dem Kläger und L, sowohl in der „Vorvereinbarung“ vom 18. August 2023 als auch im „Mietvertrag“ vom 18. August 2023, getroffenen vertraglichen Vereinbarungen haben zum Ziel, dass der Kläger das Haus in der F-straße in R am R1 OT B erwirbt, d. h. perspektivisch kauft und Eigentümer des Hausgrundstückes wird. Diese Intention hat der Kläger im Verfahren auch noch einmal bestätigt. Ungeachtet der in beiden Vereinbarungen vom 18. August 2023 gewählten Formulierungen, wonach die Beteiligten zunächst eine „Vorvereinbarung“ und einen „Mietvertrag“ abgeschlossen haben, weil sich der Abschluss eines notariellen (Miet-)Kaufvertrags wegen der bevorstehenden Rückkehr von L in die Ukraine zeitlich nicht mehr hat realisieren lassen, zielen die vertraglichen Vereinbarungen inhaltlich zweifelsfrei darauf ab, dass der Kläger monatliche Zahlungen in Höhe von 350 Euro als (Miet-)Kaufpreisrate im Hinblick auf einen avisierten Grundstückskaufvertrag zahlt. In der „Vorvereinbarung“ ist insofern festgehalten, dass der Kläger „das Hausgrundstück …im Wege der Ratenzahlung ähnlich einem Mietkauf von L für insgesamt 42.000 Euro erwerben“ wird und hierzu „im Oktober 2023 in das Haus F-straße in B einziehen und 10 Jahre lang monatlich 350 Euro an L bezahlen“ wird. Darüber hinaus ist ausdrücklich klargestellt, dass „die Mietzahlungen in Höhe von monatlich 350 Euro auf den Kaufpreis des Hausgrundstückes angerechnet werden“. Im gleichzeitig geschlossenen „Mietvertrag“ ist vereinbart, dass die Räume in dem Haus „im Sinne der Vorvereinbarung“ zu wohnzwecken überlassen werden. Damit ist klar, dass Ziel der Verträge eine monatliche auf ca. 10 Jahre angelegte (Miet-)Kaufpreiszahlung ist, und keine Miete im Sinne eines Wohnraummietvertrags oder ein sonstiges Nutzungsentgelt.

Sofern der Kläger eingewandt hat, es sei bisher weder ein formwirksamer Grundstückskaufvertrag noch ein entsprechender Vorvertrag geschlossen worden, trifft dies zwar zu, weil Kauf und Eigentumsübertragung eines Hausgrundstücks, ebenso wie ein etwaiger Vorvertrag, einer notariellen Beurkundung bedürfen (§ 311b BGB). Für die Bewertung, welcher Art und Rechtsnatur Aufwendungen für eine konkrete Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind (Miete oder Miet-Kaufpreisrate), kommt es jedoch allein auf die zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Zweckrichtung einer Zahlung und nicht die rechtliche Wirksamkeit des Vertrags als solches an.

Ungeachtet dessen führt die Annahme der Formunwirksamkeit eines mit den Verträgen vom 18. August 2023 avisierten Grundstückskaufvertrages bzw. Grundstücksveräußerungsvorvertrages auch nicht dazu, dass ohne weiteres der Abschluss eines wirksamen Wohnraummietvertrages Sinne der §§ 549ff BGB iVm §§ 535ff BGB – und damit der Vereinbarung einer nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erstattungsfähigen Mietzahlung – unterstellt werden kann. Ein Wohnraummietvertrag ist dadurch geprägt, dass der Mieter eine vereinbarte Miete zahlt und der Vermieter ihm dafür den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zum Zweck des Wohnens überlässt. Dabei liegt es regelmäßig beim Vermieter, die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten (vgl. § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch wenn der Kläger und L den zweiten Vertrag „Mietvertrag“ genannt haben, sprechen die individuell getroffenen Regelungen dieses Vertrags nicht für einen klassischen Wohnraummietvertrag. Dem Kläger wird zwar die Nutzung der Räume in dem Haus zu Wohnzwecken überlassen, die vereinbarte Zahlung von 350 Euro dient jedoch – wie bereits ausgeführt – der Begleichung eines avisierten Kaufpreises und nicht als Entgelt für die Gebrauchsüberlassung. Auch die übrigen Regelungen des „Mietvertrages“ zielen vornehmlich darauf ab, dass der Kläger – auch ohne über eine gesicherte Rechtsposition zu verfügen – das Haus ab Vertragsbeginn am 1. Oktober 2023 bereits gleich einem Eigentümer nutzen kann. Anders als in einem Wohnraummietverhältnis üblich, wird „dem Mieter“ von vornherein die Aufnahme weiterer Personen und die Untervermietung uneingeschränkt gestattet (§ 6 des Vertrages), ebenso jegliche baulichen Veränderungen, insbesondere Um- und Einbauten (§ 7 des Vertrages), ohne eine Vereinbarung über Kostenerstattung oder einen etwaigen Rückbau bei Beendigung des Vertragsverhältnisses. Neben der monatlichen Zahlungsverpflichtung von 350 Euro verpflichtete sich der Kläger zudem in dem Vertrag (§ 2), das Haus auf eigene Kosten instandzuhalten und notwendige Reparaturen auszuführen. Im Besonderen die Übertragung aller Instandhaltungs- und Reparaturpflichten auf den Kläger lässt darauf schließen, dass L von sämtlichen wesentlichen Vermieterpflichten während der Nutzungsüberlassung entbunden werden soll. Dies bestätigt zudem noch einmal, dass die 350 Euro nicht für die Wohnraumüberlassung, sondern nur mit dem Zweck der Bedienung einer künftigen (Miet-)Kaufpreiszahlung geschuldet sein sollen.

Die rechtliche Einordnung der auf der Basis der Verträge vom 18. August 2023 nach dem Willen der Vertragsparteien vereinbarten 350 Euro pro Monat als (Miet-)Kaufpreisraten hat zur Folge, dass eine Erstattung dieser Aufwendungen auf der Grundlage von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht in Betracht kommt, weil sie – wie eingangs dargestellt – auf Vermögensbildung abzielen. Sofern in Einzelfällen Ausnahmen zugelassen wurden, z. B. wenn lediglich noch eine Restschuld abzutragen ist und der Aspekt der privaten Vermögensbildung deshalb in den Hintergrund tritt (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 79/10 R), ist das Vorliegen einer solchen Ausnahmekonstellation hier nicht ersichtlich. Der Kläger hat die vertragliche Zahlungsverpflichtung zudem zu einer Zeit begründet, als er bereits im Bezug von Leistungen nach dem SGB II stand, obgleich ihm also bewusst war, dass er aus eigenem Einkommen oder Vermögen den avisierten Kaufpreis für das Haus gar nicht aufbringen kann.

Für das Gericht ist es nachvollziehbar, dass der Kläger die rechtliche Einordnung seiner Zahlungsverpflichtung aus den Verträgen vom 18. August 2023 in Bezug auf einen Grundstückserwerb in Frage stellt, weil ein Grundstückskaufvertrag bisher nicht notariell beurkundet wurde, die Beurkundung eines solchen nicht absehbar ist und er auch über keine andere gesicherte Rechtsposition verfügt, die ihm den Erwerb des Eigentums an dem Hausgrundstück in der F-straße, R am R1 OT B sichert. Dennoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es dem Kläger und L natürlich freisteht, jederzeit den Grundstückserwerb des Klägers entsprechend der Vorvereinbarung vom 18. August 2023 zu realisieren und die monatlichen Zahlungen von 350 Euro, wie vereinbart, als Mietkaufpreisraten zu behandeln. Insofern liegt es beim Kläger das am 18. August 2023 begründete Vertragsverhältnis mit L einer rechtlichen Prüfung und Klärung zuzuführen, inwiefern das bei Eingehung avisierte Ziel des Vertrags erreicht werden kann. Der Träger der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende ist nicht verpflichtet, über die Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II für Aufwendungen von Leistungsberechtigten im Zusammenhang mit der bewohnten Unterkunft aufzukommen, die aus unklaren und ggf. rechtlich nicht verbindlichen Vertragsgestaltungen resultieren.

Da der Kläger und dessen Lebensgefährtin von Anfang an keinen Anspruch auf Berücksichtigung von Unterkunftskosten in Höhe von insgesamt 350 Euro pro Monat (individueller Anteil des Klägers 175 Euro pro Monat) hatten, war der Ausgangsbescheid vom 29. November 2023 insofern von Beginn an rechtswidrig. Demzufolge war der Beklagte nach § 45 Abs. 1 SGB X berechtigt, mit Änderungsbescheid vom 13. Februar 2024 die entsprechende Leistungsbewilligung in die Zukunft gerichtet, ab dem Monat März 2024 aufzuheben. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers darauf, dass die im Bescheid vom 29. November 2023 getroffene rechtsfehlerhafte Entscheidung auch in Zukunft Bestand hat, liegt nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger im Vertrauen auf den Bestand der Bewilligung Vermögensdispositionen getroffen hat. Der Vertrag mit L wurde am 18. August 2023 unabhängig von etwaigen Entscheidungen des Beklagten geschlossen.

Der Rechtmäßigkeit der Aufhebungsentscheidung steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Beklagte selbst seine Entscheidung in den klagegegenständlichen Bescheiden nicht auf § 45 Abs. 1 SGB X sondern § 48 SGB X gestützt hat. Der Austausch der Rechtsgrundlagen, auf die eine Entscheidung gestützt wird, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids. Die §§ 45, 48 SGB X richten sich auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts. Bleibt die getroffene Regelung dieselbe, ist das "Auswechseln" der Rechtsgrundlagen für die Entscheidung durch das Gericht grundsätzlich zulässig (st. Respr., vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 17. Dezember 2024 – B 7 AS 9/23 R).

Die nach § 24 Abs. 1 SGB X notwendige Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes wurde hier, spätestens mit der separaten Anhörung während des laufenden Verfahrens, vom Beklagten wirksam nachgeholt.

Da der klagegegenständliche Bescheid im Ergebnis rechtmäßig ist, war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Zwar hat der Kläger mit dem angenommenen Teilanerkenntnis bezogen auf den Monat Januar 2024 teilweise obsiegt. Aufgrund des im Verhältnis zum gesamten Klagegegenstand geringen Anteil des Obsiegens hat die Kammer von der Bildung einer Kostenquote abgesehen.

Rechtskraft
Aus
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