L 5 R 95/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 86/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 95/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 5/25 BH
Datum
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 9. März 2021 wird zurückgewiesen. 

II.    Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen. 


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des monatlichen Zahlbetrags der Altersrente des Klägers. 

Die Beklagte bewilligte dem 1952 geborenen Kläger mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 Altersrente für langjährig Versicherte, beginnend am 1. Januar 2017. Die monatliche Rente betrug 478,73 Euro, davon abgezogen wurde der Beitragsanteil des Rentners zur Krankenversicherung in Höhe von 34,94 Euro, der Zusatzbeitrag zur Krankenkasse in Höhe von 5,27 Euro und der Beitrag des Rentners zur Pflegeversicherung in Höhe von 13,40 Euro, so dass sich ein Netto-Zahlbetrag von 425,12 Euro ergab. 

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 2. Januar 2017 Widerspruch, zu dessen Begründung er im Wesentlichen ausführte, in dem angefochtenen Bescheid seien der Zeitraum vom 20. November 2001 bis 31. Dezember 2004 überhaupt nicht berücksichtigt und die Arbeitslosigkeitszeiten ohne Leistungsbezug zu Unrecht zwischen dem 1. Januar 1998 und 19. Januar 2001 nicht angerechnet worden, obwohl sie nach den §§ 58, 252 und 252a Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) tatbestandlich hätten anerkannt werden müssen. Anrechnungszeiten seien rentenrechtliche Zeiten, mit denen der Gesetzgeber einen sozialen Ausgleich dafür schaffe, dass ein Versicherter aus persönlichen Gründen keine Beitragszahlungen leisten konnte. In den genannten Zeiträumen habe das Sozialamt Marburg ihm aus verschiedenen Gründen wiederholt die Leistungen versagt oder wieder eingestellt. Er habe sich daraufhin nachweisbar alle 3 Monate erneut beim Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet (ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben). 

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es seien bei der Rentengewährung keine weiteren rentenrechtlichen Zeiten zu berücksichtigen. Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung (§ 74 Satz 4 SGB VI i.V.m. § 263 Abs. 3 SGB VI, jeweils in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes) würden nicht bewertet, der Kläger erhalte dafür keine Entgeltpunkte. Die Zeiten hätten insoweit keine rentenerhöhende Wirkung. Anrechnungszeiten wegen Schul- oder Hochschulausbildung wirkten sich nur insoweit rentenerhöhend aus, als sie im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung als „nicht belegungsfähige Kalendermonate“ berücksichtigt würden und insoweit eine Versicherungslücken schließende Funktion hätte (§ 72 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 SGB VI). Die gesetzlichen Vorgaben seien insoweit berücksichtigt worden und deren Verfassungswidrigkeit nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger geltend mache, in der Zeit vom 1. April 1983 bis 31. März 1984 eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt zu haben, für die vom Arbeitgeber Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt worden seien, könne dies schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis führen, weil er keine Nachweise für das behauptete Beschäftigungsverhältnis vorgelegt habe und unabhängig davon seinerzeit Versicherungsfreiheit für geringfügige Beschäftigungen (ohne Wahlmöglichkeit) vorgelegen habe.

Die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vom 5. August 1997 bis 19. November 2001 sei im Versicherungsverlauf vorgemerkt worden. Diese habe aber keine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen, so dass eine Anrechnung und Berücksichtigung in der Rentenberechnung nicht möglich sei (§ 58 Abs. 2 SGB VI). Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers habe am 31. Mai 1992 geendet, während seiner selbstständigen Tätigkeit sei er nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen. Vom 1. Juni 1992 bis letztmalig 13. Dezember 1992 habe er freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt (§ 7 SGB VI). Für Zeiten des Sozialhilfebezugs von 1994 bis 1996 habe keine Versicherungspflicht nach § 3 SGB VI bestanden. Die Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser Zeiten als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VI sei nicht erfüllt, weil er nicht bei einer deutschen Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet gewesen sei bzw. dafür keinen Nachweis habe vorlegen können. Ab dem 1. Januar 1994 bis 4. August 1997 seien keine rentenrechtlichen Zeiten (keine Pflichtbeitragszeiten, keine Anrechnungszeiten oder ähnliches) mehr nachgewiesen worden. Die Rente des Klägers sei insgesamt zutreffend nach den bei Rentenbeginn geltenden rentenrechtlichen Regelungen berücksichtigt worden. Der Widerspruch habe daher keinen Erfolg haben können.

Am 31. Mai 2017 hat der Kläger dagegen vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben. In der Begründung führt er aus, Klageziel sei das Erreichen einer deutlich höheren Nettorente als die bisher ab 1. Januar 2017 errechneten 425,12 Euro. 

Mit Gerichtsbescheid vom 9. März 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. 

Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf einen höheren monatlichen Netto-Zahlbetrag als in dem Bescheid vom 1. Dezember 2016 festgesetzt. Der Bescheid vom 1. Dezember 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2017 habe sich nach Überprüfung durch das Gericht als rechtmäßig erwiesen.

In dem Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2017 habe die Beklagte die vom Kläger in seinem Widerspruchsschreiben vom 2. Januar 2017 aufgelisteten Zeiten der Schul- und Hochschulausbildungen sowie die Zeiten der Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung vom 1. April 1983 bis 31. März 1984 und die Zeiten ab 1. Mai 1992 ausführlich geprüft und mittels der zugrunde gelegten Normen aus dem Sozialgesetzbuch VI in ihrer Bedeutung für die Entstehung des Rentenanspruchs gewürdigt. Wie die Beklagte in dem zweiten Absatz von Seite 3 des Widerspruchsbescheides richtig ausführe, habe die letzte versicherungspflichte Beschäftigung des Klägers am 31. Mai 1992 geendet. Bis zum 13. Dezember 1993 habe der Kläger freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt, danach seien keine Beiträge mehr vorhanden. Die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid seien nicht zu beanstanden.

Gegen den am 10. März 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. April 2021, einem Montag, beim Sozialgericht Marburg Berufung eingelegt.

Der Gerichtsbescheid sei aufzuheben und die Sache an das mit 3 Richtern regelbesetzte Sozialgericht Marburg zurückzuverweisen. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid unter Vorenthaltung einer mündlichen Verhandlung verstoße gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG). Es liege auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor, der zwingend eine mündliche Anhörung vor einer gerichtlichen Entscheidung vorsehe. Infolge des Verstoßes liege eine Unterschreitung der an die behördliche und richterliche Sachaufklärungspflicht zu stellenden Mindestanforderungen vor. Dieser Ermittlungsausfall führe zur Zurückverweisung an das Ausgangsgericht.

Der Gerichtsbescheid sei aber auch inhaltlich fehlerhaft. Seine Ausbildung und Jurastudienzeit müsse bei der Rente, die derzeit nur knapp 550 Euro betrage, zusätzlich berücksichtigt werden, da er ohne diese Ausbildung seine Tätigkeit zumindest von 1983 bis 1997 gar nicht hätte ausüben können. Auch die Nichtanrechnung der Zeiten von August 1995 bis 31. April 2005 sei nicht rechtens. 

Eine nur um 150 Euro monatlich höhere Rente genüge ihm, um von der Grundsicherung im Alter wegzukommen, wenn er neben etwa 700 Euro Rente etwa 100 Euro Wohngeld monatlich erziele.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 9. März 2021 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte zu gewähren unter zusätzlicher Berücksichtigung weiterer rentenrechtlicher Zeiten, insbesondere von Ausbildungs- und Studienzeiten, Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung sowie von Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug,

hilfsweise den Rechtsstreit an das Sozialgericht Marburg zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die erstinstanzliche Entscheidung.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2024 ist die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin übertragen worden. 

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Rentenakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte aufgrund des Übertragungsbeschlusses vom 29. Juli 2024 gemäß § 153 Abs. 5 SGG über die Berufung des Klägers in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richtern eine Entscheidung treffen. Hieran war der Senat trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht gehindert, weil die Beteiligten rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen und dabei nach Maßgabe des § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen worden waren, dass auch im Falle ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann.

Die statthafte Berufung (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG) des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG). 

Sie bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 9. März 2021, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente für langjährig Versicherte. Der Bescheid der Beklagten vom Beklagten vom 1. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2017 hat dies zurecht abgelehnt.

Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung (§ 74 Satz 4 SGB VI i.V.m. § 263 Abs. 3 SGB VI – jeweils in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes) werden nicht bewertet, sie erhalten keine Entgeltpunkte und haben insofern keine rentenerhöhende Wirkung. Anrechnungszeiten wegen Schul- oder Hochschulausbildung wirken sich nur insoweit rentenerhöhend aus, als sie im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung als „nicht belegungsfähige Kalendermonate“ berücksichtigt werden (§ 72 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 SGB VI). 

Es sind auch keine weiteren Zeiten für eine geringfügige Beschäftigung im Zeitraum von April 1983 bis März 1984, für die vom Arbeitgeber Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt worden seien, zu berücksichtigen. Zum einen ist eine solche Tätigkeit nicht nachgewiesen, zum anderen bestand seinerzeit für geringfügige Beschäftigungen Versicherungsfreiheit. 

Die Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vom 5. August 1997 bis 19. November 2001 ist ebenfalls nicht rentenerhöhend zu berücksichtigen, da die Voraussetzung des § 58 Abs. 2 SGB VI, wonach diese Zeit eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen haben muss, nicht vorliegt. Die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit des Klägers endete am 31. Mai 1992. Vom 1. Juni 1992 bis 13. Dezember 1993 hat er freiwillige Beiträge zu gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt. 

Für Zeiten des Sozialhilfebezugs von 1994 bis 1996 bestand keine Versicherungspflicht nach § 3 SGB VI

Die Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser Zeiten als Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit im Sinne von § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ist nicht erfüllt, weil der Kläger nicht nachweisen konnte, dass er bei einer deutschen Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet war. 

Ab dem 1. Januar 1994 bis 4. August 1997 sind keine rentenrechtlichen Zeiten mehr durch den Kläger nachgewiesen worden.

Vor diesem Hintergrund besteht für die vom Kläger begehrte rentenerhöhende Berücksichtigung weiterer Zeiten insgesamt keine Grundlage. 

Schließlich war das Sozialgericht auch nicht gehindert, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Soweit der Kläger der Auffassung ist, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts sei zu Unrecht ergangen, weil er Anspruch auf eine mündliche Verhandlung gehabt habe, weshalb die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass nach § 105 SGG, dessen Voraussetzungen im Übrigen (keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art bei geklärtem Sachverhalt) vorliegen, eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid lediglich eine Anhörung des Klägers, nicht aber sein Einverständnis voraussetzt. Eine entsprechende Anhörung ist erfolgt.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
 

Rechtskraft
Aus
Saved