I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (SGB IX) von 60 auf 20.
Bei der 1978 geborenen Klägerin wurden im September 2013 ein Mammacarcinom rechts (cT2 pN1a) sowie Metastasen im Sentinel- und Non-Sentinel-Lymphknoten rechts histologisch gesichert. Es erfolgte zunächst eine operative Therapie, sodann eine neoadjuvante Chemotherapie und im April 2014 eine brusterhaltende Operation. Auf ihren Antrag stellte das beklagte Land mit Bescheid vom 2. Januar 2014 bei der Klägerin einen GdB von 60 fest und berücksichtigte hierbei als Gesundheitsstörung die Brusterkrankung.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2015 stellte das beklagte Land von Amts wegen fest, dass keine Änderung in den Verhältnissen, die für die Erteilung des Bescheides vom 1. Januar 2014 maßgeblich waren, eingetreten sei. Es wurde dabei eine Brusterkrankung im Stadium der Heilungsbewährung (rechts) berücksichtigt und mitgeteilt, dass eine erneute Nachprüfung von Amts wegen für April 2019 vorgesehen sei.
Im Rahmen der Nachprüfung im Jahr 2019 wertete das beklagte Land diverse medizinische Behandlungsunterlagen aus und hörte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 zum Erlass eines Neufeststellungsbescheides an, mit dem für die Zukunft kein GdB mehr festgestellt werde, da die "Brusterkrankung im Stadium der Heilungsbewährung" einen günstigen Heilungsverlauf genommen habe.
Dem trat die Klägerin entgegen, da unabhängig von dem Ablauf einer sog. Heilungsbewährung erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen verblieben seien, die in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen mit einem GdB von 60 zu bemessen seien. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass es sich um einen aggressiven Krankheitsverlauf handele, sodass ab dem 15. Mai 2014 eine zweite Chemotherapie habe durchgeführt werden müssen. Ferner seien die psychoreaktiven Störungen aufgrund der Rezidivgefahr, Zukunftsängsten und des unerfüllten Kinderwunschs wegen der Medikamenteneinnahme sowie die physischen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Durch den Segmentverlust der Brust sowie die Entfernung der axillären Lymphknoten und der Bestrahlung leide sie auch heute noch unter Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Nervenläsionen. Aufgrund des Lymphödems sei mehrmals wöchentlich eine Lymphdrainage und täglich das Tragen von Kompressionsbandagen am Arm und eines Kompressionshemds nötig. Schwer heben dürfe sie nicht mehr und auch bei geringen Belastungen (Haushalt, Arbeiten am Computer) werde der Arm sofort dick. Hierdurch seien auch sportliche Aktivitäten stark eingeschränkt. Außerdem bestünden anhaltende Nebenwirkungen der vergangenen Chemotherapien und der aktuellen Antihormontherapie (Tamoxifen), z.B. rezidivierende, teilweise schmerzhafte Ovarialzysten und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung. Darüber hinaus leide sie unter dem Fatigue-Syndrom, extremen Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit und seit der zweiten Chemotherapie auch unter Knochenschmerzen. Die Klägerin legte ein Schreiben ihrer behandelnden Gynäkologin Dr. C. vom 25. November 2019 vor, dem weitere Arztbriefe beilagen.
Das beklagte Land holte einen Befundbericht bei der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14. Januar 2020 ein und setzte den GdB nach vorheriger erneuter Anhörung mit Bescheid vom 18. September 2020 ab dem 1. Oktober 2020 auf 20 herab, unter Berücksichtigung des Teilverlusts der rechten Brust (Einzel-GdB 10) und des Lymphödems des rechten Arms (Einzel-GdB 20). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Behinderung „Brusterkrankung“ einen günstigen Heilungsverlauf genommen habe und es insbesondere zu keinem Rezidiv gekommen sei.
Den dagegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies das beklagte Land mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2021 zurück. Nach Ablauf der Heilungsbewährung ohne Auftreten eines Rezidivs komme es auf die verbliebenen Beeinträchtigungen mit allen bestehenden Funktionsbeschränkungen an und diese seien neu zu bewerten. Der Teilverlust der rechten Brust und das Lymphödem seien mit einem Gesamt-GdB von 20 angemessen beurteilt. Eine psychische Störung sei nicht durch medizinische Befunde belegt.
Daraufhin hat die Klägerin am 1. März 2021 Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) erhoben und wiederholt ihre Ausführungen aus der Stellungnahme im Anhörungsverfahren.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten des Hausarztes Dr. G. vom 21. Juni 2022, der Gynäkologin Dr. C. vom 20. Juni 2022 und der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14. Mai 2022, denen teilweise weitere Arztbriefe beilagen.
Das beklagte Land ist nach Auswertung der weiteren medizinischen Unterlagen bei seiner Auffassung geblieben, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung der GdB mit 20 zutreffend bewertet sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2023 abgewiesen, da die Herabsetzung des GdB rechtmäßig sei. Hinsichtlich des Lymphödems sei ein GdB von 20 angemessen, da zwar eine dauerhafte Behandlung mittels manueller Lymphtherapie und Bandagierung sowie flachgestrickter Kompression erforderlich sei, eine medikamentöse Therapie jedoch nicht erfolge und auch weder von erheblichen Schmerzen noch von Bewegungseinschränkungen oder einer erhöhten Entzündlichkeit berichtet werde. Der Teilverlust der rechten Brust sei mit einem GdB von 10 angemessen beurteilt. Da insbesondere eine doppelte Berücksichtigung des Lymphödems nicht erfolgen dürfe, könne der Ermessensrahmen nach oben nicht ausgeschöpft werden. Für die von der Klägerin geltend gemachte psychische Störung sei kein GdB von mindestens 10 zu berücksichtigen, da hausärztlicherseits lediglich eine Tendenz zu Somatisierungsstörungen aber keine angespannte psychische Situation der Klägerin beschrieben werde. Zudem befinde sich die Klägerin, die bereits im Dezember 2019 eine hohe psychische Belastung gegenüber dem beklagten Land geltend gemacht habe, bis zum heutigen Tage nicht in psychiatrischer, medikamentöser oder psychotherapeutischer Behandlung. Auch die von der Klägerin geltend gemachte Fatigue sei nicht mit einem GdB von mindestens 10 zu bemessen, da in den Befundberichten keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen objektiviert und – abgesehen von einer kurzen Arbeitsunfähigkeit im März 2022 – auch keine Arbeitsunfähigkeitszeiten belegt seien. Ebenfalls für den (bislang) unerfüllten Kinderwunsch der Klägerin könne kein GdB von mindestens 10 Berücksichtigung finden. Die insoweit in den VMG (Teil B Nr. 14.2 bzw. 14.3) geregelten Fälle des Verlusts der Gebärmutter und/oder Sterilität in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch sowie bei Unterentwicklung, Verlust oder Ausfall beider Eierstöcke bei noch bestehendem Kinderwunsch seien bei der Klägerin nicht gegeben. Bei der Klägerin bestehe bislang rein körperlich die Möglichkeit einer Schwangerschaft, jedenfalls sei eine Schädigung der Fortpflanzungsorgane nicht durch medizinische Befunde nachgewiesen. Die Einnahme der Medikamente erschwere zwar – insbesondere aufgrund der Risiken, die bei ihrer Absetzung bestünden – eine Schwangerschaft, schließe eine solche jedoch nicht aus.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 6. Juni 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30. Juni 2023 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und sich auf ihre Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren berufen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2023 sowie den Bescheid des beklagten Landes vom 18. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2021 aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land hält die erstinstanzliche Entscheidung sowie seine Bescheide für rechtmäßig.
Mit Beschluss vom 7. Mai 2024 hat der Senat die Berufung der Berichterstatterin zur Entscheidung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere auch im Vorbringen der Beteiligten und in den medizinischen Unterlagen, wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des beklagten Landes sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin in der Besetzung gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheiden, nachdem die entsprechende Übertragung mit Beschluss vom 7. Mai 2024 erfolgt ist.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet. Der Gerichtsbescheid und die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Streitgegenstand ist neben dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts der Bescheid des beklagten Landes vom 18. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2021, mit dem der GdB der Klägerin von 60 auf 20 herabgesetzt wurde. Die Klägerin verfolgt ihre Ansprüche in zulässiger Weise mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG) auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids, deren Erfolg die ursprüngliche Feststellung des GdB von 60 gemäß dem Bescheid vom 2. Januar 2014 wiederaufleben lassen würde (vgl. dazu: BSG, Urteile vom 16. Dezember 2021 – B 9 SB 6/19 R – juris Rn. 15 und 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R – juris Rn. 13).
Rechtsgrundlage für die Herabsetzung des GdB der Klägerin ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei einem Bescheid bzgl. der Feststellung des GdB – wie hier dem aufgehobenen Bescheid des beklagten Landes vom 2. Januar 2014, mit dem ein GdB von 60 festgestellt worden war – handelt es sich im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. nur: BSG, Urteile vom 16. Dezember 2021 – B 9 SB 6/19 R – juris Rn. 19; 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R– juris Rn. 13; 10. Dezember 2003 – B 9 SB 4/02 R – juris Rn 12 f. und 12. November 1996 – 9 RVs 5/95 – juris Rn. 12). Eine wesentliche tatsächliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X kann darin bestehen, dass Behinderungen weggefallen sind oder dass sich festgestellte Behinderungen verbessert haben. Erforderlich ist eine Gegenüberstellung der objektiven Befunde, die der letzten bindend gewordenen Feststellung des Versorgungsamtes zugrunde lagen, und der Befunde, die nunmehr vorliegen. Wird ein Aufhebungs- bzw. Herabsetzungsbescheid gemäß § 48 Abs. 1 SGB X gerichtlich angefochten, so beurteilt sich seine Rechtmäßigkeit nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – juris Rn. 13 m.w.N.). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfüllt, so ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – juris Rn. 20).
Um eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen gemäß § 48 SGB X handelt es sich auch bei dem erfolgreichen Ablauf der Heilungsbewährung nach Krebserkrankungen (vgl. BSG, Urteil vom 9. August 1995 – 9 RVs 14/94 – juris Rn. 13; BSG, Urteil vom 6. Dezember 1989 – 9 RVs 3/89 – juris Rn. 12; Landessozialgericht - LSG - Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 5. Januar 2011 – L 6 (7) SB 135/06 – juris Rn. 23; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25. September 2012 – L 11 SB 41/10), wobei es sich insoweit um einen Sonderfall handelt. Hier wird zunächst für den Zeitraum der Heilungsbewährung pauschal ein höherer GdB angenommen, als sich in der Regel aufgrund der tatsächlich festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt, und erst nach Ablauf dieses Zeitraumes eine Feststellung nach den tatsächlichen verbliebenen Beeinträchtigungen getroffen. Die Heilungsbewährung ist ein sozialrechtliches Institut, welches nach Maßgabe der früheren „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) wie auch der nachfolgend seit dem 1. Januar 2009 in Kraft getretenen „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (VMG) Folgendes beinhaltet: Im Rahmen bestimmter Erkrankungen, wie z. B. bösartiger Tumorerkrankungen, ist nach der Tumorentfernung im Sinne einer Primärtherapie für eine bestimmte Zeit pauschal ein höherer GdB anzunehmen als in der Regel aufgrund der infolge des Organschadens bzw. der Therapiefolgen tatsächlich bedingten Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt wäre. Dabei sollen neben der Rezidivgefahr insbesondere auch die weiteren vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung eines Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind, berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. August 1995 - a. a. O. - juris Rn. 13), und zwar unabhängig davon, ob diese Folgewirkungen im konkreten Fall tatsächlich eingetreten sind oder nicht. Nach rückfallfreiem Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung tritt insoweit eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X ein, als jetzt nach medizinischer Erfahrung regelmäßig die Krebserkrankung in dem Sinne überwunden ist, dass eine unmittelbare Lebensbedrohung nicht mehr besteht, und außerdem die vielfältigen Auswirkungen der Krankheit auf die gesamte Lebensführung in aller Regel entfallen oder wenigstens gemindert sind, so dass eine von den konkreten Verhältnissen unabhängige abstrakte Einschätzung des GdB nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies bedeutet, dass die bisherige abstrakte Bewertung der unterstellten körperlichen und seelischen Auswirkungen der Erkrankung als nicht mehr angemessen angesehen und daher die Neufeststellung des GdB notwendig wird. Hintergrund und Zweck der Heilungsbewährung ist nämlich eine pauschalierende Besserstellung der durch eine Tumorerkrankung Betroffenen für einen bestimmten, aufgrund allgemeiner statistischer Erkenntnisse festgelegten Zeitraum nach der Diagnose ohne eine individuelle Betrachtung des Einzelfalles mit seinen jeweils tatsächlich bestehenden Beeinträchtigungen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 21. Juli 2015 – L 13 SB 122/14 –, Rn. 21, juris). Dabei wird insbesondere auch ohne gesonderte Anerkennung einer irgendwie diagnostizierten geistig-psychischen Behinderung ("Rezidivangst") der psychischen Ausnahmesituation, die bei der Krebsdiagnose besteht, umfassend Rechnung getragen (Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 26. November 2013 – L 3 SB 13/10 –, Rn. 25, juris m.w.N.). Diese Vergünstigung wird jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum gewährt.
Diese Regelungen zur Heilungsbewährung begegnen nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat anschließt, auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die hinsichtlich der häufigsten und wichtigsten solcher Krankheiten angegebenen GdB/MdE/GdS-Anhaltswerte sind auf den "Zustand nach operativer oder anderweitiger Beseitigung der Geschwulst bezogen". Sie beziehen den "regelhaft verbleibenden Organ- oder Gliedmaßenschaden" ein. Außergewöhnliche Folgen oder Begleiterscheinungen der Behandlung – z.B. langdauernde schwere Auswirkungen einer wiederholten Chemotherapie – sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 SB 4/10 R – Juris Rn. 22). Wegen dieser Pflicht der Versorgungsbehörden, trotz der grundsätzlich vorgesehenen Pauschalierung besonders gelagerten Einzelfallkonstellationen zu Gunsten der Betroffenen Rechnung zu tragen (vgl. BSG Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 SB 4/10 R – Juris; BSG Urteil vom 30. September 2009 – B 9 SB 4/08 R –), begegnen die Regeln über die Heilungsbewährung keinen grundsätzlichen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Sie lassen den Versorgungsbehörden ausreichend Spielraum dafür, in jedem Einzelfall den Gleichheitsgrundsatz ausreichend zur Geltung zu bringen (BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R –).
Vor dem Hintergrund dieses Prüfungsmaßstabes ist der streitgegenständliche Bescheid des beklagten Landes formell nicht zu beanstanden. Die erforderlichen formellen Voraussetzungen der Aufhebung bzw. Herabsetzung hat das beklagte Land erfüllt, indem es die Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 14. März 2022 ordnungsgemäß schriftlich angehört und seinen Bescheid ausreichend begründet hat (vgl. § 24 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 SGB X; BSG, Urteil vom 11. August 2015 – B 9 SB 2/15 R – juris Rn. 12).
Der Bescheid vom 18. September 2020 ist auch materiell rechtmäßig. Das beklagte Land ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Gesamt-GdB der Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht mehr 60 betrug, da im Vergleich zu den objektiven Befunden, die dem Bescheid vom 2. Januar 2014 zugrunde lagen, nach Ablauf der Heilungsbewährung insgesamt eine wesentliche Verbesserung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist. Darüber hat das beklagte Land auch innerhalb der Jahresfrist seit Kenntnis gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entschieden.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist seit 1. Januar 2018 § 152 Abs. 1 SGB IX (bis 31. Dezember 2017 § 69 Abs. 1 SGB IX zuletzt in der Fassung des Artikel 2 Nr. 2 des Bundesteilhabegesetzes – BTHG – vom 23. Dezember 2016). Danach stellen die zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein (Gesamt-)Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX). Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dies hat in drei Schritten zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. zuletzt: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – B 9 SB 6/19 R – juris Rn. 37 m.w.N.): Im ersten Schritt sind die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen von der Norm abweichenden Zuständen und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festzustellen. In diesem ersten Schritt müssen die Gerichte in der Regel ärztliches Fachwissen heranziehen. Im zweiten Schritt sind diese dann den in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Der sogenannte Einzel-GdB, der den Grad der Behinderung separat für eine einzelne Erkrankung bzw. Funktionseinschränkung im Bescheid ausweist, ist nur ein Begründungselement (§ 35 SGB X) des Gesamt-GdB, der dann im dritten Schritt in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen zu bilden ist. Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es maßgeblich auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Für den Gesamt-GdB ist – ausgehend von der Behinderung mit dem höchsten Einzelgrad der Behinderung – im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit dadurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (VMG, Teil A Ziffer 3 c). Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-Beeinträchtigung, die bei der Gesamt-Beurteilung berücksichtigt werden können, selbst dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Selbst bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VMG feste Grade angegeben sind (VMG Teil A Nr. 3 b). Bei dem zweiten und dritten Verfahrensschritt haben die Tatsachengerichte über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus zudem weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Die auf diese Weise vorzunehmende Bemessung des Gesamt-GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (st. Rspr.; vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2021 – B 9 SB 6/19 R – juris Rn. 37 f).
Die Brustkrebserkrankung der Klägerin begründet nach Eintritt der Heilungsbewährung für sich genommen keinen GdB mehr.
Nach Teil B Ziff. 14 VMG ist bei Entfernung eines malignen Brustdrüsentumors in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten. Der GdB während dieser Zeit beträgt 50 bei Entfernung im Stadium (T1 bis T2) pN0 M0, bei Entfernung im Stadium (T1 bis T2) pN1 M0 ist er mit 60 und in höheren Stadien wenigstens mit 80 zu bewerten.
Vorliegend wurde bei der Klägerin im September 2013 die Diagnose Mammacarcinom rechts (cT2 pN1a) sowie Metastasen im Sentinel- und Non-Sentinel-Lymphknoten rechts gestellt. Es erfolgte zunächst eine operative Therapie, sodann eine neoadjuvante Chemotherapie und im April 2014 eine brusterhaltende Operation. Ab dem 15. Mai 2014 musste die Klägerin sich einer weiteren Chemotherapie unterziehen, welche am 9. Februar 2015 endete. Insoweit hat das beklagte Land den GdB mit Bescheid vom 2. Januar 2014 zutreffend mit 60 bewertet und dies mit Bescheid vom 16. Januar 2015 bestätigt.
Im weiteren Verlauf ist eine Heilungsbewährung eingetreten, welche die mit Bescheid vom 18. September 2020 vorgenommene Herabsenkung des GdB zum 1. Oktober 2020 rechtfertigt. Denn insoweit waren die bei der Nachprüfung 2019 ausgewerteten Befunde, welche die gesundheitliche Entwicklung von September 2016 bis September 2019 durch etwa halbjährlich im Wechsel durchgeführte MRT- und Mammographie-Untersuchungen dokumentierten, sämtlich unauffällig; es zeigte sich zu keiner Zeit ein Verdacht auf ein Rezidiv oder Zweitkarzinom. Indem die Herabsetzung erst zum 1. Oktober 2020 erfolgte, hat das beklagte Land der Klägerin zudem bereits für einen längeren Zeitraum als gesetzlich vorgesehen den höheren GdB belassen. Denn der Ärztliche Sachverständigenbeirat vertritt die Auffassung, dass maßgeblich für den Beginn der Heilungsbewährung der Operationszeitpunkt und nicht der Abschluss der adjuvanten Therapie ist (vgl. dazu Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, Kommentar, 10. Aufl.2020, S. 303). Seit der ersten Operation im September 2014 sind vorliegend bereits sieben Jahre vergangen und selbst nach Abschluss der zweiten Chemotherapie am 15. Februar 2015 war der Fünfjahreszeitraum zum Herabsenkungszeitpunkt seit mehr als einem halben Jahr abgelaufen.
Der Senat verkennt insoweit nicht, dass bei einer einmal aufgetretenen Krebserkrankung regelmäßig auch über den Zeitraum der Heilungsbewährung hinaus mehr oder weniger stark ausgeprägte Sorgen vor dem Auftreten eines Rezidivs bestehen. Dieser Umstand kann nach Ablauf der Heilungsbewährung jedoch nur im Rahmen der dann bestehenden tatsächlichen Gesundheitsstörungen – insbesondere im Bereich der Psyche – Berücksichtigung finden.
Die im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides belegten tatsächlich bestehenden GdB-relevanten Behinderungen bedingen keinen höheren Gesamt-GdB als 20. Nach Eintritt der Heilungsbewährung der Krebserkrankung sind insoweit als GdB-relevant der Segmentverlust der Brust und das Lymphödem zu berücksichtigen.
Das Lymphödem des rechten Arms ist mit einem Einzel-GdB von 20 nicht zu niedrig bewertet.
Teil B Ziff. 9.2.3 VMG differenzieren bei einem Lymphödem an einer Gliedmaße hinsichtlich des GdB insbesondere nach Ausmaß der Funktionseinschränkung und Umfangsvermehrung der betroffenen Gliedmaße. Besteht keine wesentliche Funktionsbehinderung und lediglich das Erfordernis einer Kompressionsbandage, so ist der GdB mit 0 bis 10 zu bewerten. Bei einer stärkeren Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) ist – je nach Funktionseinschränkung – ein GdB von 20 bis 40 vorgesehen und bei erheblicher Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der betroffenen Gliedmaße bis hin zur Gebrauchsunfähigkeit ein GdB von 50 bis 80. Entstellungen bei sehr ausgeprägten Formen sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist auch insoweit vorliegend der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides im Januar 2021. Ausweislich des Befundberichts der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14. Januar 2020 besteht bei der Klägerin ein sekundäres Lymphödem des rechten Armes und der Thoraxwand nach der Brustkrebserkrankung. Trotz intensiver komplex-physikalischer Entstauungstherapie seien Verhärtungen und Dekompensation im Bereich des Oberarmes verblieben und es sei eine dauerhafte Behandlung mittels manueller Lymphtheraphie und Bandagierung (2-3x wöchentlich) sowie flachgestrickter Kompression erforderlich. Zur zusätzlichen selbstständigen Behandlung wurde ein Lymphomat verordnet. Auch die Gynäkologin Dr. C. gab in ihrem Bericht vom 25. November 2019 ein Lymphödem rechts mit deutlicher Progredienz bei leichter Belastung, Notwendigkeit der regelmäßigen Lymphdrainage und Kompressionsbandage an. Die Physiopraxis H., in welcher die Klägerin die manuelle Lymphdrainage durchführt, berichtete am 19. Juli 2019, dass die Klägerin insbesondere über Beschwerden im Bereich von zwei Ödemen klagen würde; durch die manuelle Lymphdrainage würden die Beschwerden anhaltend gelindert und die Behandlung führe zu einer Spannungs- und Schmerzreduktion im Gewebe. Eine Umfangsvermehrung ergibt sich aus keinem der Berichte, auch nicht aus den nach Erlass des Widerspruchsbescheides verfassten. Die Klägerin selbst gab zu ihren Beschwerden an, dass sie nicht mehr schwer heben dürfe und auch bei geringen Belastungen (Haushalt, Arbeiten am Computer) der Arm sofort dick werde und hierdurch auch sportliche Aktivitäten stark eingeschränkt seien. Diese Beschwerden sind aufgrund der medizinischen Befunde nachvollziehbar und beschreiben durchaus eine gewisse Funktionseinschränkung des rechten Arms. Allerdings wird weder von erheblichen Schmerzen noch von Bewegungseinschränkungen oder einer erhöhten Entzündlichkeit berichtet. Daher ist das Lymphödem – gemessen an den dargestellten Beurteilungskriterien – mit einem Einzel-GdB von 20 im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides ausreichend bewertet. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die eigentlich für diesen GdB-Wert erforderliche Umfangsvermehrung von mindestens 3 cm nicht nachgewiesen ist. Soweit eine relevante Umfangsvermehrung vorliegt, wird diese üblicherweise auch ärztlicher- bzw. physiotherapeutischerseits dokumentiert und in Befundberichten angegeben. Vorliegend ergeben sich aus der ärztlichen und physiotherapeutischen Dokumentation jedoch keine Anhaltspunkte für eine Umfangsvermehrung von mindestens 3 cm. Somit bezieht sich die GdB-Bewertung mit 20 allein auf die von der Klägerin beschriebene Funktionseinschränkung. Diese Sachlage erlaubt kein weiteres Ausschöpfen des GdB-Rahmens.
Als weitere Behinderung ist der Teilverlust der rechten Brust zu berücksichtigen. Dieser führt jedoch nicht zu einem höheren Gesamt-GdB, unabhängig davon, ob hierfür ein Einzel-GdB von 10 oder 20 gesetzt wird.
Für Segment- oder Quadrantenresektion der Brust sehen die VMG in Teil B Ziff. 14 einen GdB-Rahmen von 0 bis 20 vor. Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z. B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen.
Zwar hat die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich vorgetragen, dass das kosmetische Ergebnis unästhetisch und eine verstümmelte Brust ist eine Stigmatisierung sei. Dieser Vortrag ist einerseits sehr allgemein gehalten und andererseits ergeben sich nach Aktenlage keine Hinweise auf oder gar Nachweise für eine tatsächliche kosmetische Entstellung, etwa eine ausgeprägte Mammaasymmetrie oder narbenbedingten Deformierung der erkrankten Brust (vgl. dazu Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. September 2022 – L 9 SB 7/22 –, Rn. 36, juris). Daher kann dieser Vortrag vorliegend allein im Rahmen der Prüfung einer psychischen Gesundheitsstörung gewertet werden. Teilweise wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass ein Teilverlust der Brust nach Teil B Nr. 14.1 VMG bei nicht bestehender kosmetischer Entstellung nur mit einem GdB von 10 bewertet werden könne (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. August 2023 – L 11 SB 229/23 WA –, Rn. 50, juris). Unabhängig davon, ob dieser Ansicht in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, würde sich vorliegend selbst bei Ausschöpfen des Bewertungsrahmens für den Teilverlust der Brust jedoch insgesamt kein höherer Gesamt-GdB ergeben. Denn in diesem Fall ist jedenfalls hinsichtlich der für die GdB-Bemessung als relevant verbleibenden Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Nervenläsionen – über welche die Klägerin ebenfalls aufgrund des Brustteilverlusts klagt – eine Überschneidung mit der Gesundheitsstörung und „Lymphödem des rechten Arms“ anzunehmen, welche gegen eine Erhöhung des GdB spricht.
Soweit die Klägerin darüber hinaus als Nebenwirkungen der von ihr weiterhin nach der Krebserkrankung einzunehmenden Medikamente (insbesondere Antihormontherapie mit Tamoxifen) in Form von teilweise Druck und Schmerz verursachenden Ovarialzysten mit unregelmäßigem Menstruationszyklus sowie Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit geltend macht, ergibt sich hieraus kein GdB. Denn unabhängig davon, dass es insoweit bereits an einem medizinischen Nachweis der angegebenen Beschwerden fehlt – in den Befundberichten zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt finden sich hierzu jedenfalls keine Angaben – ist ebenfalls keine damit im Zusammenhang stehende mindestens sechs Monate andauernde Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des Behinderungsbegriffs des § 2 Abs. 1 SGB IX belegt, welche einen GdB begründen würde.
Eine psychische Gesundheitsstörung ist bei der Klägerin jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides nicht in einem Ausmaß medizinisch oder therapeutisch belegt, das einen höheren Einzel-GdB als 10 und damit einen höheren Gesamt-GdB begründen würde.
Die VMG (Teil B Ziffer 3.7) differenzieren im Hinblick auf Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen zwischen leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen, die einen GdB von 0 bis 20 begründen, stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen), die einen GdB von 30 bis 40 bedingen, und schweren Störungen mit mittelgradigen bzw. schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, welche mit einem GdB von 50 bis 70 bzw. 80 bis 100 bewertet werden. Kennzeichnend für mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten sind die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat am Beispiel des schizophrenen Residualzustandes entwickelten Abgrenzungskriterien (vgl. Beschlüsse des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 18./19. März 1998 und vom 08./09. November 2000). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten werden hiernach wie folgt beschrieben: In den meisten Berufen sich auswirkende psychische Veränderungen, die zwar eine weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt; erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung, aber noch keine Isolierung, noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der z. B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Dagegen sind schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten dadurch charakterisiert, dass eine weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen ist und schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis bestehen (vgl. dazu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Januar 2021 – L 6 SB 113/19 –, Rn. 34, juris).
Unter Zugrundelegung dieser Beurteilungskriterien ist jedenfalls im vorliegend maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides keine GdB-relevante Gesundheitsstörung auf psychischem Gebiet nachgewiesen. Zwar trägt die Klägerin durchaus Beschwerden auf seelischem Gebiet vor. So macht sie insbesondere eine psychische Belastung einerseits durch die Rezidivgefahr mit damit einhergehender Zukunftsangst, Verzweiflung, Nervosität, Schlaflosigkeit und Panikzuständen und andererseits durch den Segmentverlust der Brust (Körperbildstörung) geltend. Außerdem stellen auch die psychischen Auswirkungen des bislang (unerfüllten) Kinderwunsches eine seelische Belastung dar; insoweit stand die Klägerin im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt vor dem inneren Konflikt zwischen dem Wunsch nach Kindern und den Ängsten vor dem vorzeitigen Absetzen der antihormonellen Therapie, deren Durchführung aus onkologischer Sicht für zehn Jahre empfohlen wurde. Die dargestellten psychischen Problemkreise haben die Klägerin aber bislang noch nicht veranlasst, eine dahingehende ärztliche Untersuchung oder Therapie durchzuführen. Auch in den Berichten der behandelnden Ärzte finden sich diese Beschwerden – mit Ausnahme des unerfüllten Kinderwunsches – weder im Rahmen der Beschwerdeangaben der Klägerin noch sind sie befundmäßig belegt. So gehen aus dem Befundbericht des Hausarztes Dr. G. vom 21. Juni 2022 keine psychischen Beschwerden hervor. Die Klägerin beklagte bei einer Vorstellung im Mai 2020 ein Kribbeln in den Beinen, gelegentliche Sehstörungen sowie Abgeschlagenheit; außerdem äußerte sie ein Fremdkörpergefühl im Hals, einen Druck auf dem Brustbein sowie einen bitteren Geschmack im Mund. Unter Diagnosen nannte Dr. G. insoweit lediglich eine Tendenz zu Somatisierungsstörungen. Es erfolgten Überweisungen zum Neurologen, zum Facharzt für Gynäkologie sowie zum Facharzt für Radiologie. Aus dem Bericht der Gynäkologin Dr. C. vom 25. November 2019 geht hinsichtlich des Bereichs der Psyche lediglich hervor, dass sie mit der Klägerin erneut – wie bereits seit 2,5 Jahren – die Thematik des Kinderwunsches diskutiert habe, welche die Klägerin sehr belaste. Diese Befundlage belegt weder eine GdB-relevante Gesundheitsstörung auf psychischem Gebiet noch ergeben sich daraus ausreichende Anknüpfungspunkte, aufgrund derer sich der Senat zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur retrospektiven Beurteilung etwaiger psychischer Gesundheitsstörungen der Klägerin im Januar 2021 hätte gedrängt fühlen müssen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides kann somit jedenfalls kein GdB von mindestens 20 für den Bereich der Psyche festgestellt werden. Ob für diesen Zeitpunkt ein GdB von 10 in Ansatz gebracht werden könnte, kann im Ergebnis dahin gestellt bleiben, da ein solcher sich nicht Gesamt-GdB-erhöhend auswirken würde. Soweit bei der Klägerin aktuell psychische Beschwerden bestehen, bleibt es ihr unbenommen, bei dem beklagten Land einen Neufeststellungsantrag zu stellen.
Der jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides unerfüllte Kinderwunsch der Klägerin vermag auch nicht auf einer anderen Grundlage einen GdB zu begründen. Die VMG sehen nicht per se für unfreiwillige Kinderlosigkeit einen GdB vor, auch nicht, wenn diese auf eine notwendige medikamentöse Therapie zurückzuführen ist, sondern nur in bestimmten, vorliegend nicht einschlägigen Fallkonstellationen von Unfruchtbarkeit. So regeln die VMG (Teil B Nr. 14.2 bzw. 14.3) bei Verlust der Gebärmutter und/oder Sterilität in jüngerem Lebensalter bei noch bestehendem Kinderwunsch sowie bei Unterentwicklung, Verlust oder Ausfall beider Eierstöcke bei noch bestehendem Kinderwunsch einen GdB. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor; insbesondere ist keine Schädigung der Fortpflanzungsorgane durch die Krebstherapie nachgewiesen.
Auch das bei der Klägerin diagnostizierte Chronische Fatigue Syndrom (CFS) führt nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Nach den VMG Teil B Ziff. 18.4 sind die Fibromyalgie, das CFS, die Multiple Chemical Sensitivity (MCS) und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Relevante funktionelle Auswirkungen des CFS sind vorliegend jedoch nicht medizinisch belegt. Die Klägerin hat zwar insoweit angegeben, unter anhaltender Müdigkeit, Erschöpfung und Antriebslosigkeit zu leiden, was auch durch viel Schlaf nicht ausgeglichen werden könne, und dadurch im Job und auch im Alltag beeinträchtigt zu sein. Dies spiegelt sich jedoch nicht hinreichend in den vorliegenden Befundberichten wieder. Denn ausweislich der Befundberichte sind keine funktionellen Auswirkungen beschrieben, die einen sich erhöhend auswirkenden Einzel-GdB von mindestens 20 begründen würden. Aus den Berichten der Gynäkologin Dr. C. vom 25. November 2019 und 20. Juni 2022 geht zwar ein Fatigue-Syndrom bei laufender Antitumortherapie als Diagnose hervor; allerdings findet sich keine Beschreibung von damit einhergehenden funktionellen Auswirkungen. Der Hausarzt Dr. G. beschreibt in seinem Bericht vom 21. Juni 2022 eine Abgeschlagenheit, ohne die Diagnose CFS zu stellen. Somit sind zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides keine Funktionseinbußen belegt, die einen höheren GdB als 10 begründen könnten.
Da vorliegend im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides somit lediglich das Lymphödem mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten war bzw. der Teilverlust der Brust sich auch im Falle eines Einzel-GdB von 20 aus den oben dargestellten Gründen nicht GdB-erhöhend auswirken würde, hat das beklagte Land den Gesamt-GdB mit dem angefochtenen Bescheid zurecht auf 20 herabgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.