S 38 SB 123/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 38 SB 123/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 105/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 52/24 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) streitig.

Für die 1978 geborene Klägerin wurde mit Bescheid vom 02.01.2014 der GdB mit 60 festgestellt unter Berücksichtigung einer Brusterkrankung (rechts). Mit Bescheid vom 16.01.2015 stellte das beklagte Land von Amts wegen fest, dass keine Änderung in den Verhältnissen, die für die Erteilung des Bescheides vom 01.01.2014 maßgeblich waren, eingetreten ist. Es wurde dabei eine Brusterkrankung im Stadium der Heilungsbewährung (rechts) berücksichtigt und mitgeteilt, dass eine erneute Nachprüfung von Amts wegen für den April 2019 vorgesehen sei. 

Im Rahmen der Nachprüfung holte beklagte Land einen Befundbericht bei der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14.01.2020 ein. Daraufhin hörte es die Klägerin mit Schreiben vom 08.06.2020 zu einer Herabsetzung des GdB auf 20 an. 

Mit Bescheid vom 18.09.2020 stellte das beklagte Land für die Klägerin einen GdB von 20 ab dem 01.10.2020 fest unter Berücksichtigung folgender Gesundheitsstörungen: 

•    Teilverlust der rechten Brust
•    Lymphödem des rechten Armes

Zur Begründung führte es aus, dass die Behinderung „Brusterkrankung“ einen günstigen Heilungsverlauf genommen habe. Insbesondere sei es zu keinem Rezidiv gekommen. 

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 14.10.2020 Widerspruch gegen den Herabsetzungsbescheid und führte zur Begründung an, dass bei ihr psychische Beeinträchtigungen (Angstzustände u. ä.) vorlägen und sie durch die konstante Medikamenteneinnahme sowie die physischen Folgen der Krebserkrankung dauerhaft in ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit beeinträchtigt sei. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021 wies das beklagte Land den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung trug es vor, dass es nach Ablauf der Heilungsbewährung ohne Auftreten eines Rezidives auf die verbliebenen Beeinträchtigungen mit allen bestehenden Funktionsbeschränkungen ankomme und diese neu zu bewerten seien. Der Teilverlust der rechten Brust und das Lymphödem seien mit einem GdB von 20 angemessen beurteilt. Die psychische Störung sei nicht durch medizinische Befunde belegt. 

Hiergegen hat die Klägerin am 01.03.2021 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass mit dem Lymphödem Schmerzen und Bewegungseinschränkungen einhergehen würden. Zudem sei bei ihr eine hohe psychische Belastung, auch aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches gegeben. Sie leide außerdem an dem Fatigue-Syndrom und an einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung. 

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 18.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2021 abzuändern und das beklagte Land zu verpflichten, für die Klägerin über den 18.09.2020 hinaus einen GdB von mindestens 60 festzustellen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist auch nach Auswertung weiterer medizinischer Unterlagen der Auffassung, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung der GdB von 20 zutreffend ist. 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten des Hausarztes Dr. G. vom 21.06.2022, der Gynäkologin Dr. C. vom 20.06.2022 und der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14.05.2022. 

Mit Verfügung vom 20.01.2023 hat das Gericht die Beteiligten auf die beabsichtigte Entscheidung des Rechtsstreites ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid hingewiesen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht kann gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden, da keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art vorliegen, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten gehört wurden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des beklagten Landes vom 18.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die vom beklagten Land vorgenommene Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2014 hinsichtlich des damit festgestellten GdB von 60 und die Herabsetzung des GdB auf 20 sind nicht zu beanstanden.

Nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, dieser Verwaltungsakt aufzuheben. § 48 SGB X findet auf alle Verwaltungsakte mit Dauerwirkung und damit auch auf feststellende Verwaltungsakte, wie sie die Bescheide nach § 152 SGB IX darstellen, Anwendung. Eine solche wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. 

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bei der Beurteilung des GdB von Gesundheitsbeeinträchtigungen, deren tatsächliche Funktionsstörungen erst nach Ablauf einer längeren Zeit festgestellt werden können oder bei denen die volle Belastbarkeit schrittweise erreicht wird, eine Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Ungewissheit des Krankheitsverlaufes und dem Gebot der Schonung ausnahmsweise zulässig. Dementsprechend sehen auch die versorgungsmedizinischen Grundsätze für verschiedene Erkrankungen, insbesondere Krebserkrankungen, eine Heilungsbewährung vor. Nach Ablauf der im jeweiligen Fall einschlägigen Heilungsbewährung ist von einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X auszugehen. Es wird dabei keine „Heilung“ im eigentlichen Sinne vorausgesetzt. Vielmehr wird nach wissenschaftlicher Erfahrung davon ausgegangen, dass nach Ablauf der Heilungsbewährung mit einem rezidivfreien Verlauf, ein Gesundheitszustand erreicht ist, der nunmehr dauerhaft verbleiben wird. Daher ist die verbliebene Beeinträchtigung mit allen bestehenden Funktionseinschränkungen neu zu bewerten. Der GdB ist nunmehr nach den tatsächlichen, verbliebenen Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten und kann, wenn diese den früheren GdB nicht mehr rechtfertigen, herabgesetzt werden (vgl. Wendler/Schillings, Kommentar Versorgungsmedizinische Grundsätze 10. Auflage 2020, zu Teil B Nr. 1 S. 129 f. unter anderem unter Verweis auf BSG, Urteile vom 13. August 1997, 9 RVs 10/96 und vom 18. September 2003, B 9 SB 6/02R).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Dabei sind nur diejenigen Menschen als schwerbehindert anzuerkennen, bei denen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 1. Halbsatz SGB IX).

Nach § 152 Abs. 1 SGB IX stellt das für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständige beklagte Land das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des BVG festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 SGB IX). Bei der Bestimmung des Grades der Behinderung ist im Regelfall zum Zwecke der Gleichbehandlung aller Antragsteller von der Anlage zu § 2 (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VMG) der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedVO) vom 10. Dezember 2008 (s. BGBl 2008, Bl. 2412 f.), zuletzt in ihrer Fassung vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I 2009, S. 2652 ff.), auszugehen. Die Rechtsprechung hat die „Anhaltspunkte“ seit langem als eine Zusammenfassung der Erkenntnisse der ärztlichen Wissenschaft zu Fragen der Klassifizierung, des Umfangs und der Schwere von Gesundheitsstörungen anerkannt, von denen ein Abweichen nur bei Vorliegen besonderer Gründe angezeigt ist.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 SGB IX). Soweit die Versorgungsverwaltung hierfür einzelne Grade der Behinderung (Einzel-GdBs) anzugeben hat, handelt es sich nur um Bewertungsfaktoren für die Einschätzung des Gesamt-GdB (BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RVs 15/96 –, BSGE 81, 50-54, SozR 3-3870 § 3 Nr 7, Leitsatz). Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG, Beschluss vom 1. Juni 2017 – B 9 SB 20/17 B –, juris Rn. 7). Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG, Urteil vom 30. September 2009 – B 9 SB 4/08 R –, juris Rn. 18 ff.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind die nach der schweren Erkrankung verbliebenen Gesundheitsstörungen mit einem Gesamt-GdB von 20 ab dem 01.10.2020 ausreichend bewertet.

Hinsichtlich des Lymphödem ist ein GdB von 20 angemessen. Die Beurteilung richtet sich nach Teil B Nr. 9.1.3 VMG, wonach bei einem Lymphödem mit stärkerer Umfangsvermehrung (mehr als 3 cm) je nach Funktionseinschränkung ein GdB von 20 bis 40 zu berücksichtigen ist. Nach dem Befundbericht der Gefäßchirurgin Dr. E. vom 14.05.2022 leide die Klägerin an einem Arm- und Thoraxwandlymphödem Stadium II. Der rechte Unterarm sei noch mäßig gestört. Es bestünde ein Druck- und Volumengefühl. Es sei eine dauerhafte Behandlung mittels manueller Lymphtherapie und Bandagierung sowie flachgestrickter Kompression erforderlich. Zudem sei der Klägerin zur selbstständigen Behandlung ein Lymphomat verordnet worden. Eine medikamentöse Therapie erfolge nicht. Unter der Therapie sei es zu einer leichten Besserung gekommen. Funktionseinbußen bestünden aktuell keine. Die behandelnde Ärztin berichtet damit weder von erheblichen Schmerzen noch von Bewegungseinschränkungen. Auch von einer erhöhten Entzündlichkeit des betroffenen Bereiches berichtet sie nicht. Dem entspricht auch der dem Befundbericht beigefügte Therapiebericht der Praxis für Physiotherapie H. vom 18.05.2022. Danach bestünde bei der Klägerin ein Spannungsgefühl und Druckschmerzen sowie Schmerzen, die durch enge Kleidung wie z. B. einem BH verstärkt würden. Diese Beschwerden würden durch die manuelle Lyphdrainage aber anhaltend gelindert. Lediglich bei Pausieren komme es zu einer Verschlechterung der Beschwerden. Nach dem Bericht war es der Klägerin zudem möglich sich auf einen mehrwöchigen Auslandaufenthalt zu begeben. Mangels Angabe der Umfangsmaße und unter Berücksichtigung der beschriebenen Besserung sowie der Angabe, dass aktuell keine Funktionsbeeinträchtigungen bestehen, ist ein GdB von 20 angemessen. 

Der Teilverlust der rechten Brust ist mit einem GdB von 10 angemessen beurteilt. Es ist zunächst festzustellen, dass bei der Klägerin glücklicherweise bis heute kein Rezidiv der bösartigen Erkrankung aufgetreten ist, wie sich aus dem Befundbericht der Gynäkologin Dr. C. vom 20.06.2022 ergibt. Die Beurteilung des Verlusts der Brust (Mastektomie) richtet sich nach Teil B Nr. 14.1 VMG. Danach ist bei einer Segment- oder Quadrantenresektion der Brust ein GdB von 0 bis 20 vorgesehen. Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z.B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind gegebenenfalls zusätzlich zu berücksichtigen. Der Beklagte hat vorliegend einen GdB von 10 berücksichtigt. Dies ist nicht zu beanstanden. Da insbesondere eine doppelte Berücksichtigung des Lymphödems nicht erfolgen darf, kann der Ermessensrahmen nach oben nicht ausgeschöpft werden.

Für die von der Klägerin geltend gemachten psychischen Störung ist kein GdB von mindestens 10 zu berücksichtigen. Der Hausarzt Dr. G. berichtet in seinem Befundbericht vom 21.06.2022 lediglich, dass eine Tendenz zu Somatisierungsstörungen besteht. Von einer angespannten psychischen Situation der Klägerin berichtet er gerade nichts. Die Klägerin befindet sich bis zum heutigen Tage nicht in psychiatrischer Behandlung. Es wird auch bislang keine Psychotherapie durchgeführt. Auch eine medikamentöse Behandlung erfolgt nicht. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin bereits im Dezember 2019 die hohe psychische Belastung gegenüber dem beklagten Land geltend gemacht hat. 

Auch die von der Klägerin geltend gemachte Fatigue ist nicht mit einem GdB von mindestens 10 zu bemessen. Das Chronische Fatigue Syndrom ist nach Teil B Nr. 18.4 VMG jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu den rheumatischen Krankheiten zu beurteilen. Nach dem Befundbericht der Gynäkologin Dr. C. vom 20.06.2022 leitet die Klägerin an einem Fatique-Syndrom. Der Befundbericht enthält allerdings keinerlei Angaben, worauf die Diagnose beruht, wie sich das Fatigue-Syndrom bei der Klägerin darstellt und welche konkreten funktionellen Auswirkungen es hat. Der Hausarzt der Klägerin Dr. G. gibt in seinem Befundbericht vom 21.06.2022 lediglich an, dass die Klägerin über eine Abgeschlagenheit geklagt habe. Er berichtet gerade nicht von einer ausgeprägten Müdigkeit, mangelnder Energiereserve oder einem massiv erhöhten Ruhebedürfnis, das insbesondere zu vorangegangenen Aktivitäten nicht im Verhältnis steht. Hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit berichtet der Hausarzt zudem nur von einer Arbeitsunfähigkeit zwischen dem 08.03.2022 bis zum 11.03.2022. Die weiteren behandelnden Ärzte berichten nicht über Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Nach den eigenen von der Klägerin im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben ist diese voll berufstätig (40 Stunden wöchentlich). Nach ihren Angaben hat sie zudem seit 2019 an keiner Reha-Maßnahme teilgenommen. Wie sich aus dem physiotherapeutischen Bericht vom 18.05.2022 ergibt, ist die Klägerin zudem in der Lage, sich mehrere Wochen im Ausland aufzuhalten. Relevante Funktionsbeeinträchtigungen sind damit nicht objektiviert und es waren auch keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen. 

Auch für den (bislang) unerfüllten Kinderwunsch der Klägerin kann kein GdB von mindestens 10 Berücksichtigung finden. Nach den VMG kann nach Teil B Nr. 14.2 der Verlust der Gebärmutter und/oder Sterilität in jüngerem Lebensalter bei noch bestehenden Kinderwunsch sowie nach Nr. 14.3. bei Unterentwicklung, Verlust oder Ausfall beider Eierstöcke bei noch bestehendem Kinderwunsch ein (höherer) GdB berücksichtigt werden. Ein solcher Fall ist bei der Klägerin nicht gegeben. Bei der Klägerin besteht bislang rein körperlich die Möglichkeit einer Schwangerschaft. Soweit vorgetragen wird, dass die Fortpflanzungsorgane geschädigt wurden, ist dies nicht durch medizinische Befunde nachgewiesen. Die Einnahme der Medikamente erschwert zwar – insbesondere aufgrund der Risiken, die bei ihrer Absetzung bestehen – die Schwangerschaft, diese ist jedoch nicht ausgeschlossen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch bei zahlreichen anderen, dh. nicht gynäkologischen Gesundheitsstörungen eine Schwangerschaft erschwert bzw. ausgeschlossen ist oder mit Risiken für das Kind einhergehen. Die VMG sehen gerade nicht generell für den Fall eines unerfüllten Kinderwunsches, sondern nur die oben genannten Fälle einen GdB vor.

Hinsichtlich der chronischen Sinusitis ist kein GdB von mindestens 10 zu berücksichtigen. Die Klägerin hat weder vorgetragen in entsprechender HNO-ärztlicher Behandlung zu sein, noch berichten die weiteren behandelnden Ärzte, insbesondere der Hausarzt Dr. G., von trockenen Schleimhäuten und wiederkehrenden Nasennebenhöhlenentzündungen. 

Das Gericht hat den Gesamt-GdB, wie von den versorgungsmedizinischen Grundsätzen vorgegeben, letztlich nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen (vgl. hierzu auch den Wortlaut des § 152 Abs. 1 S. 5 und Abs. 3 S. 1 SGB IX). 

Es zählt der höchste Einzel-GdB von 20 für die führende Behinderung in Form des Lymphödems. Die weitere bei der Klägerin anerkannte Behinderung, Teilverlust der rechten Brust mit Einzel-GdB von 10, ist unter Beachtung der versorgungsmedizinischen Grundsätze von dem Gericht darauf zu überprüfen, ob und in welchem Umfang sie zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB führt. Dabei gilt, dass die einzelnen Behinderungen nicht addiert werden dürfen. Einzel-GdB von 10 führen grundsätzlich nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB. Anderes gilt nur in den seltenen Ausnahmefällen, in denen sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie z. B. eine hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 9 V 8/00 R –, juris Rn. 16). Ein Ausnahmefall in Form einer besonderen Auswirkung ist vorliegend nicht ersichtlich. Dem entsprechend ist ein Gesamt-GdB von 20 angemessen.

Zusammenfassend ist unter Berücksichtigung aller vorliegenden ärztlichen Unterlagen festzustellen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 20 hat. Soweit die Klägerin subjektiv von weiteren/stärkeren Beeinträchtigungen ausgeht, sind diese nicht durch ärztliche Befunde belegt und müssen unberücksichtigt bleiben. Für die gerichtliche Entscheidung maßgeblich sind allein die objektivierten Funktionsbeeinträchtigungen. Die Klage war nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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