L 2 R 3766/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1580/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3766/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 27. November 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der 1963 geborene Kläger ist gelernter Elektriker und war zuletzt über viele Jahre bis 2021 als Maschinenführer versicherungspflichtig beschäftigt. Danach bezog er Arbeitslosengeld I und ist seit 31.07.2022 arbeitslos ohne Leistungsbezug gemeldet (vgl. Versicherungsverlauf Bl. 33 LSG-Akte). Beim Kläger wurden ein Grad der Behinderung von 80 sowie die Merkzeichen G und B festgestellt (vgl. bei der Begutachtung vorgelegter unbefristet gültiger Schwerbehindertenausweis vom 12.02.2007).

Er beantragte am 09.08.2022 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 34 VA/Rente II).

Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme der K1 vom 25.11.2022 (Bl. 248 VA/ Sozialmedizin), die ein noch mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bescheinigte, mit Bescheid vom 29.11.2022 ab (Bl. 98 VA/Rente II). Der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein, so dass keine Erwerbsminderung vorliege.

Den hiergegen vom Kläger am 09.01.2023 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2023 als unzulässig und unbegründet zurück. Der Widerspruch sei wegen Fristversäumnis unzulässig und unbegründet. Der Bescheid vom 29.11.2022 sei am 29.11.2022 zur Post gegeben worden und gelte somit als am 02.12.2022 bekannt gegeben. Der Widerspruch vom 09.01.2023 sei somit verspätet erhoben worden. Mit Schreiben vom 17.07.2023 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er den Bescheid vom 29.11.2022 erst erheblich später erhalten habe.

Am 07.08.2023 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erheben lassen und zur Begründung zunächst ausgeführt, der Widerspruch sei zulässig. Der Kläger habe den Bescheid erst einige Zeit nach dem Ausstelldatum erhalten, wann genau könne er nicht mehr sagen. Den Akten sei auch nicht zu entnehmen, wann der Bescheid zur Post gegeben worden sei, so dass sich die Beklagte nicht auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) berufen könne. Der Kläger sei auch erwerbsgemindert, da er aufgrund der bei ihm vorhandenen Erkrankungen nicht in der Lage sei, für zumindest sechs Stunden arbeitstäglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu arbeiten. Er leide unter einem multimorbiden Krankheitsbild. Es seien neben der bekannten HIV-Infektion insbesondere eine ataktische Gangstörung, ein lumbales Wurzelreizsyndrom und eine trophische Störung beider Fußsohlen bekannt.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.

Die K2 hat am 01.03.2024 ausgeführt (Bl. 42 SG-Akte), dass sich im Laufe der Zeit, d.h. seit sie den Kläger hausärztlich betreue, sein Allgemeinzustand kontinuierlich verschlechtert habe. Insbesondere durch die ausgeprägte Polyneuropathie multipler Genese und den sich daraus ergebenden unsicheren Stand und Gang sei die Belastbarkeit reduziert. Sie sei nicht der Meinung, dass der Kläger einer Tätigkeit von sechs Stunden pro Tag an fünf Tagen die Woche nachgehen könne.

Der H1 hat mitgeteilt, dass er den Kläger im angefragten Zeitraum (seit Januar 2022) nicht behandelt habe (Bl. 44 SG-Akte).

Zudem hat das SG die Behandlungsberichte des Universitätsklinikums H2 - Hautklinik, Immunologische Ambulanz, die der Kläger regelmäßig aufgrund seiner HIV-Infektion aufsucht, beigezogen (Bl. 45 SG-Akte). Im Bericht vom 12.03.2024 ist u.a. ausgeführt worden, dass die Laborparameter (Viruslast und CD 4+ T- Helferzellen) für einen guten Therapieerfolg sprächen. Man empfehle die medikamentöse Therapie weiterhin kontinuierlich fortzusetzen.

Das SG hat daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Amts wegen bei dem S1 eingeholt. Dieser hat den Kläger am 01.07.2024 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 05.07.2024 (Bl. 55 SG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Leicht ausgeprägte Polyneuropathie letztlich unklarer Ursache ohne manifeste sensomotorische Ausfälle
2. Schädlicher Nikotinkonsum
3. Morbus Darier / genetisch bedingte Hauterkrankung mit Hyperkeratosen,
4. Beschwerden des Bewegungs- und Haltungsapparates ohne relevantes neurologisches Defizit
5. HIV-Trägerstatus, keine opportunistischen Infektionen, HIV-RNA unter antiretroviraler Behandlung nicht nachweisbar.
Der Gutachter hat zum Leistungsvermögen ausgeführt, dass der Kläger aus neurologischer, psychiatrischer und internistischer Sicht zumindest leichte körperliche Tätigkeiten in verschiedenen Arbeitshaltungen verrichten könne. Tätigkeiten unter üblichen Akkordbedingungen bzw. unter üblichem Zeitdruck seien leidensgerecht. In Zusammenschau aller Befunde sollten die Tätigkeiten nicht in Nachtschicht als psychogener Stressor in Bezug auf die Hauterkrankung ausgeübt werden. Widrige klimatische Bedingungen seien auch wegen der Hauterkrankung auszuschließen. Für wesentliche Beeinträchtigungen des Gehörs oder des Sehvermögens habe sich kein Anhalt ergeben. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien möglich, und der Kläger habe bei der Begutachtung ein gutes geistiges Leistungsvermögen gezeigt. Das Verantwortungsbewusstsein sei nicht eingeschränkt. Arbeiten unter üblichen nervlichen Belastungen seien vertretbar. Die Exposition dermatotoxischer Substanzen sei nicht möglich. Bei der leicht ausgeprägten Polyneuropathie seien Tätigkeiten mit vermehrten Erschütterungen oder Vibrationen nicht leidensgerecht. Eine uneingeschränkte Stand- und Gangsicherheit dürfe nicht vorausgesetzt werden, so dass vermehrt unfallträchtige Arbeiten nicht vertretbar seien. Zusammenfassend könne der Kläger zumindest leichte körperliche Tätigkeiten in Tagesschicht oder Früh-/ Spätschicht verrichten. Die Exposition dermatotoxischer Substanzen sei zu vermeiden. Die beschriebenen Einschränkungen im qualitativen Leistungsbild beruhten vor allem auf der Hauterkrankung und auf der Polyneuropathie. Der Kläger besitze die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, um sich innerhalb von drei Monaten in eine neue Berufstätigkeit einarbeiten zu können. Einschränkungen der Handlungsfähigkeit lägen nicht vor. Er könne sein Handeln einschätzen und entsprechend reagieren bzw. modifizieren. Die Urteilskraft und die Kritik- und Einsichtsfähigkeit zur eigenen Person und zu dem sozialen Umfeld seien nicht eingeschränkt, eine unüberwindbare psychische Hemmung oder Sucht liege nicht vor. Der Kläger sei durchaus in der Lage, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzutreten. Es ergebe sich unter Berücksichtigung der Aktenlage, der Anamnese und der jetzt erhobenen Untersuchungsbefunde kein ausreichender Grund für die Annahme einer Einschränkung des Durchhaltevermögens bei Berücksichtigung der Einschränkungen in dem qualitativen Leistungsbild. Der Kläger wirke eher lebhaft ohne klinische Ermüdungszeichen. Es ergebe sich auch in der Längsschnittbetrachtung kein zwingender Grund, weshalb der Kläger einer Arbeitstätigkeit von mindestens sechs Stunden täglich nicht gewachsen wäre. Die kognitiven Funktionen, insbesondere die Denkfunktionen, seien nicht leistungsrelevant eingeschränkt. Auch ergäben sich keine Einschränkungen der Psychomotorik. Es liege daher ein arbeitstägliches Leistungsvermögen ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit von mindestens sechs Stunden bis zur arbeitsmarktüblichen Höchstdauer von acht Stunden unter Berücksichtigung des qualitativen Leistungsbildes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche vor. Der Kläger könne eine solche leidensgerechte Tätigkeit auch mit der erforderlichen Regelmäßigkeit ausüben.
Darüber hinaus sei der Kläger in der Lage, täglich viermal einen Fußweg von 500 Metern in jeweils unter 20 Minuten als Arbeitsweg zurückzulegen, ohne dass dieses eine übermäßige Anspannung der Willenskräfte bedeute oder mit unzumutbaren Schmerzen einhergehe. Es bestünden keine derartigen Erkrankungen, die die Wegstrecke sozialmedizinisch relevant beschränken würden. Der Kläger sei auch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen sowie einen Pkw zu führen. Zu der aktuellen Untersuchung sei er allein mit dem PKW gekommen.
Zum Tagesablauf befragt, hat der Kläger gegenüber dem Gutachter u.a. angegeben, dass er morgens spätestens um 6.00 Uhr von seiner Hündin geweckt werde. Er koche das Essen, er putze, er gehe dann mit den Hunden spazieren. Er habe zwei Chows-Chows. Eine Haushaltshilfe komme einmal pro Woche für eine Stunde für die Wohnung der Mutter. Das Wohngrundstück habe 1.800 qm. Er beschäftige sich dann in dem Garten oder mit den Hunden, was er dem Gutachter durch das Zeigen mehrerer Aufnahmen von Pflanzen des Gartens auf dem Handy anschaulich verdeutlicht hat. Der Kläger hat dann weiter berichtet, dass er auch gerne Kuchen backe. Er kaufe ein, wasche die Wäsche, er bügle aber nicht. Er habe noch einen guten Freund. Entsprechend den Angaben bestehe auch noch ein guter Kontakt zu einer Nachbarin. Weitere intensive Kontakte habe der Kläger nicht. Er sei aber Mitglied in dem A1 Landesclub Hessen. Es handle sich hierbei um den Verein: „A1 Chow-Chow-Club“. Von dem Club aus treffe man sich meistens bei D1 oder in B1. Abends schaue er Fernsehen oder er füttere die Hunde. Er unterhalte sich auch noch kurz mit der Mutter. Besondere Wochenendaktivitäten habe der Kläger verneint. Am Wochenende laufe er spazieren, so wie es gehe. Ggf. sei auch der Freund bei ihm zu Hause. Ab und zu gehe man aus zum Essen, das sei aber selten.

Das SG hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten, bei der auch auf die Möglichkeit der Beantragung eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen worden ist, die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27.11.2024 (Bl. 106 LSG-Akte) abgewiesen.
Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Denn abgesehen davon, dass der Widerspruch wegen einer mangels Aufgabevermerk oder eines sonstigen Nachweises zum Tag zur Aufgabe zur Post des ohne Zustellnachweis versandten Bescheids vom 29.11.2022 nicht eingreifenden Bekanntgabefiktion gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht verfristet sei, weil die Beklagte somit den Zeitpunkt des Zugangs nicht nachweisen könne, habe die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.11.2022 auch nicht als unzulässig verworfen, sondern (auch) als unbegründet zurückgewiesen und habe demnach und auch in der Sache entschieden.
Weiter hat das SG ausgeführt, dass die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht vorlägen. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, da noch ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Tag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche vorliege.
Beim Kläger bestehe eine leicht ausgeprägte Polyneuropathie letztlich unklarer Ursache ohne manifeste sensomotorische Ausfälle, schädlicher Nikotinkonsum, Morbus Darier/genetisch bedingte Hauterkrankung mit Hyperkeratosen, Beschwerden des Bewegungs- und Haltungsapparates ohne relevantes neurologisches Defizit sowie ein HIV-Trägerstatus ohne opportunistische Infektionen und HIV-RNA unter antiretroviraler Behandlung nicht nachweisbar. Die Beeinträchtigungen führten aber nur zur Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers in qualitativer, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht. Hiervon sei das Gericht aufgrund der überzeugenden gutachtlichen Feststellungen des S1 überzeugt. Denn der Kläger könne noch arbeitstäglich mindestens sechs Stunden leichte körperliche Tätigkeiten in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung, mit Publikumsverkehr verrichten, wobei das Verantwortungsbewusstsein auch nicht eingeschränkt und das geistige Leistungsvermögen gut sei. Nicht leidensgerecht seien Tätigkeiten mit der Exposition dermatotoxischer Substanzen, vermehrten Erschütterungen oder Vibrationen, dem Erfordernis uneingeschränkter Stand- und Gangsicherheit sowie vermehrt unfallträchtigen Arbeiten. Zudem seien widrige klimatische Bedingungen auszuschließen. Überzeugend sei vor diesem Hintergrund auch, dass der Kläger viermal täglich eine Wegstrecke von 500 Metern bei einem Zeitaufwand von jeweils unter 20 Minuten zu Fuß zurücklegen, einen Pkw führen und öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne und eine rentenrelevante Minderung der Wegefähigkeit nicht zu objektivieren sei. Den Beeinträchtigungen könnten demnach hinreichend durch qualitative Leistungseinschränkungen Rechnung getragen werden, wobei keine betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen wie beispielsweise betriebsunübliche Pausen erforderlich seien. Auch liege kein Summationseffekt der Beschwerden bedingt durch Leiden verschiedener Fachgebiete untereinander in dem Ausmaß vor, dass das zeitliche Leistungsvermögen dadurch eingeschränkt wäre, und es sei auch nicht von einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung auszugehen.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 27.11.2024 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27.12.2024 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung ist zunächst das Vorbringen aus dem Klageschriftsatz wiederholt und dann u.a. ergänzend ausgeführt worden, dass das Gutachten von S1 unter erheblichen Mängeln leide. Insbesondere sei zu bemängeln, dass der Sachverständige der Polyneuropathie, unter der der Kläger besonders leide, weil ihm bereits leichte Gegenstände wie eine Kaffeetasse aus der Hand fielen, keinerlei Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit zugemessen habe. Wenn wie hier nur noch eine Tätigkeit im Sitzen zumutbar sei und auch leichte Lasten unter fünf kg nicht mehr gehoben werden könnten, könne vom Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung ausgegangen werden. In diesem Fall müsse die Beklagte eine konkrete Verweistätigkeit benennen, was sie nicht getan habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 27. November 2024 sowie den Bescheid vom 29. November 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 02.04.2025 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (Bl. 48 LSG-Akte). In diesem Termin haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten, der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte der Beklagten über den Kläger verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Eiverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden konnte, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 27.11.2024 und der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2023 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Berufungsverfahren. Der Senat kann sich nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage ist, einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sechs Stunden und mehr nachzugehen. Wie das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass keine so weitreichenden Einschränkungen bestehen, als dass das Leistungsvermögen des Klägers hier auf unter sechs Stunden herabgesunken ist oder aus anderen Gründen eine rentenrelevante Leistungseinschränkung vorliegt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren. Insbesondere leidet das Gutachten von S1 entgegen den Ausführungen des Klägers nicht an Mängeln. Die Ausführungen des Sachverständigen sind vielmehr schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Gutachter hat den Krankheitsverlauf unter Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen ausführlich geschildert, ist den Beschwerden nachgegangen und hat den Kläger sorgfältig und umfassend untersucht. Er hat eine ausführliche Anamnese erhoben, hat den Kläger umfassend zu seinen Beschwerden, seiner Biographie und Krankheitsgeschichte, dem Tagesablauf und zur aktuellen Therapie befragt und einen umfassenden psychiatrischen sowie neurologischen Befund erhoben. Er hat zudem verschiedene medizinisch-technische Untersuchungen (Elektroencephalogramm ohne Hyperventilation, Akustisch evozierte Potentiale, Tibialis - SEP [Beinnerv], Motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus rechts [Beinnerv], Motorische Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus rechts [Armnerv], Sensible Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus rechts und Sensible Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus suralis links [Beinnerv]) durchgeführt.
Entgegen des Vortrags des Klägers hat der Sachverständige auch sehr wohl im Rahmen der vorgenommenen Leistungsbeurteilung die beim Kläger bestehende Polyneuopathie und die sich hieraus ergeben Funktionseinschränkungen berücksichtigt. So ist im Gutachten ausgeführt worden, dass die bestehenden Einschränkungen im Wesentlichen auf der Hauterkrankung und der Polyneuropathie beruhten. Aufgrund der letztgenannten Erkrankung seien Tätigkeiten mit vermehrten Erschütterungen oder Vibrationen nicht leidensgerecht. Eine uneingeschränkte Stand- und Gangsicherheit dürfe nicht vorausgesetzt werden, so dass vermehrt unfallträchtige Arbeiten nicht vertretbar seien. Der Sachverständige sieht also qualitative, aber keine quantitativen Einschränkungen aufgrund dieser Diagnose. Der Senat hat daher keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde, der ausführlichen Darstellung der Krankheitsgeschichte und des Tagesablaufs des Klägers sowie an der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung von S1 zu zweifeln.

Nicht zuletzt spricht der vom Kläger bei der Begutachtung geschilderte Tagesablauf ganz erheblich gegen eine auch zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens. Der Kläger versorgt seinen Haushalt, inklusive eines Gartengrundstücks von 1800 qm sowie zweier Hunde weitestgehend allein, bis zum Tod seiner Mutter vor wenigen Wochen hat er auch diese teilweise mitversorgt. Explizit hat er zudem erwähnt, gerne zu backen und Maschinen zu reparieren sowie dem Gutachter Fotos von seinem Garten und den Hunden gezeigt. Es bestehen weiterhin soziale Kontakte, insbesondere zu einer Nachbarin, einem Freund, den er regelmäßig sieht und über die Mitgliedschaft in einem Hundeverein.

Es ist beim Kläger auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine spezifische Leistungsbehinderung feststellbar (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.1984 - 4 RJ 43/83 - SozR 2200 § 1246 Nr. 117 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 - SozR 2200 § 1246 Nr. 104). Allein das Vorliegen verschiedener Erkrankungen auf mehreren Fachgebieten führt nicht allein zu einer rentenrelevanten Einschränkung des Leistungsvermögens. Wie schon vom SG festgestellt, liegen unter Berücksichtigung des Gutachtens von S1 bei der Klägerin folgende qualitative Leistungseinschränkungen vor: Möglich sind noch Tätigkeiten in Tagesschicht oder Früh-/Spätschicht mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung, auch mit Publikumsverkehr, wobei das Verantwortungsbewusstsein auch nicht eingeschränkt und das geistige Leistungsvermögen gut ist. Nicht leidensgerecht sind dagegen Tätigkeiten mit der Exposition dermatotoxischer Substanzen, vermehrten Erschütterungen oder Vibrationen, dem Erfordernis uneingeschränkter Stand- und Gangsicherheit sowie vermehrt unfallträchtigen Arbeiten. Zudem sind widrige klimatische Bedingungen auszuschließen. Aus alledem lässt sich aber weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine spezifische Leistungsbehinderung ableiten.

Auch aus den Aussagen der behandelnden Ärzte ergibt sich nichts Anderes. Diese sieht der Senat, soweit ihnen überhaupt eine andere Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens entnommen werden kann, durch das eingeholte Gutachten als widerlegt an. Hierbei ist auch zu beachten, dass der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige grundsätzlich ein höherer Beweiswert als der Einschätzung der behandelnden Ärzte zukommt (vgl. hierzu Hessisches LSG, Urteil vom 04.09.2019 - L 6 R 264/17 - juris, Rn. 85; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.03.2011 - L 3 R 545/06 - juris, Rn. 48; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB - juris, Rn. 5). Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

Zuletzt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers auch nicht aufgrund einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes beeinträchtigt. Der Senat ist insbesondere nicht davon überzeugt, dass die Wegefähigkeit des Klägers rentenrelevant eingeschränkt ist (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - juris Rn. 21 m.w.N.). Da ein Minimum an Mobilität zur Ausübung einer Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs, die in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10; Urteil vom 09.08.2001- B 10 LW 18/00 R - SozR 3-5864, § 13 Nr. 2), gehört zur Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auch die Fähigkeit des Versicherten, viermal am Tag Wegstrecken von (mehr als) 500 m Länge mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß zu bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10). Dass dies für den Kläger nicht (mehr) möglich ist, ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. S1 hat die Wegefähigkeit ausdrücklich bejaht, der Kläger besitzt zudem zwei Hunde, mit denen er regelmäßig spazieren geht. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; SozR 3-2600 § 44 Nr. 10). Die zumutbare Nutzung eines Kraftfahrzeugs schließt eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit aus (BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R - juris, Rn. 20). Der Kläger verfügt über einen Führerschein und einen Pkw und nutzt diesen auch regelmäßig. So ist er nicht zuletzt zur Begutachtung bei S1 und auch zum Termin der Erörterung des Sachverhaltes beim LSG allein mit dem eigenen Fahrzeug angereist.

Auch führen das dem Kläger zuerkannte Merkzeichen G und der festgestellte GdB von 80 zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grades der Behinderung unterscheiden sich maßgeblich (vgl. § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]: Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 SGB VI: Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten). Gleiches gilt für das Merkzeichen G (Grenze: übliche Wegstrecke von zwei km, vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R -, juris, und damit geringere Anforderungen als bei der Wegefähigkeit).

Weitere Ermittlungen waren nicht geboten. Der Senat sieht den Sachverhalt durch das eingeholte Gutachten sowie die eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte als umfassend aufgeklärt an. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der Begutachtung in erster Instanz ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Nach alledem besteht kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht schon deshalb nicht, weil der Kläger 1963 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geboren ist.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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