L 7 AS 3659/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 2433/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3659/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. August 2016 (Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin H., wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen den Beschuss des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 30. August 2016, mit dem das SG die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

1. Gegenstand des Verfahrens ist nach dem ausdrücklichen Begehren der Klägerin die vorläufige Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab Eilantragstellung beim SG am 3. August 2016 (vgl. die Antragsschrift vom 3. August 2016 (Blatt 1 der SG-Akte des Eilverfahrens)), nachdem der Beklagte auf den (neuerlichen) Leistungsantrag der Klägerin vom 22. Dezember 2015 (Formantrag vom 1. Dezember 2015) die Gewährung von Leistungen wegen fehlender Mitwirkung der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Dezember 2015 gemäß § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) ganz versagt hat (Bescheid vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2016); über die dagegen beim SG am 12. August 2016 von der Klägerin erhobene Klage (S 3 AS 2551/16) ist noch nicht entschieden.

2. Unter Beachtung dessen ist die Beschwerde der Klägerin bereits unzulässig, soweit sie die einstweilige Erbringung von SGB II-Leistungen nicht nur an sich, sondern "für ihre Bedarfsgemeinschaft" (s. dazu Antragsschrift vom 3. August 2016 (Blatt 1 der SG-Akte des Eilverfahrens) und Beschwerdeschrift vom 30. September 2016 (Blatt 2 der Senats-Akte)), also auch an ihre 2010 geborene Tochter L., begehrt. Denn sowohl der Eilantrag an das SG als auch die Beschwerde wurden - ebenso wie die Hauptsacheklage - ausdrücklich nur und alleine von der Klägerin erhoben, so dass ihre Tochter am vorliegenden Verfahren bereits nicht beteiligt (entsprechend § 69 Nr. 1 SGG) ist. Die anwaltlich vertretene Klägerin ist nicht berechtigt, etwaige Individualansprüche (vgl. dazu bereits Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R - (juris Rdnr. 12), st. Rspr.) ihrer Tochter nach dem SGB II in eigenem Namen geltend zu machen; die Übergangsfrist aus dem Urteil des BSG vom 7. November 2006 (- B 7b AS 8/06 R - (juris Rdnr. 11)) ist seit Jahren abgelaufen (s. dazu nur BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 - B 14 AS 30/14 R - (juris Rdnr. 9); Senatsbeschluss vom 29. August 2016 - L 7 AS 1892/16 B - (n.v.)). 3. Soweit die Klägerin mit ihrem Eilantrag eigene Ansprüche geltend macht, ist ihre Beschwerde zulässig, aber unbegründet.

a) Statthafte Rechtsschutzform ist - wie das SG zutreffend erkannt hat - der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn zur Umsetzung des klägerischen Eilbegehrens auf die Gewährung von SGB II-Leistungen genügt der vorläufige Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG über die aufschiebende Wirkung der Klage S 3 AS 2551/16 gegen den angefochtenen Versagungsbescheid nicht. Alleine die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Versagungsentscheidung begründet für den streitigen Zeitraum noch keinen Leistungsanspruch der Klägerin. Über den erhobenen materiellen Anspruch hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid nämlich gerade keine Entscheidung getroffen, sondern einzig über die klägerischen Pflichten im Verwaltungsverfahren (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 - B 1 KR 4/02 R - (juris Rdnr. 12); Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 - (juris Rdnr. 12); Senatsurteil vom 22. September 2016, a.a.O.).

Da der Klage gegen den Versagungsbescheid vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2016 gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt, weil § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II Versagungsbescheide gemäß § 66 SGB I nicht umfasst (s. nur Senatsbeschlüsse vom 29. April 2015 - L 7 AS 1483/15 ER-B - (n.v.) und 8. April 2010 - L 7 AS 304/10 ER-B - (juris Rdnr. 4) m.w.N.; Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 16. September 2014 - L 16 AS 649/14 B ER - (juris Rdnr. 23); Sächsisches LSG, Beschluss vom 15. Januar 2013 - L 3 AS 1010/12 B PKH - (juris Rdnr. 17); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Juli 2012 - L 13 AS 124/12 B ER - (juris Rdnr. 10)), und der Beklagte die aufschiebende Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs nicht erkennbar in Frage stellt, bedarf es vorliegend keiner (zusätzlichen) gerichtlichen Feststellung (dazu nur Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 86a Rdnr. 8 und § 86b Rdnr. 15 m.w.N.) der aufschiebenden Wirkung der Klage S 3 AS 2551/16 (vgl. dazu auch Senatsbeschlüsse a.a.O.).

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 4 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig. Der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt - neben der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs - das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds voraus (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016 - L 7 AS 41/16 ER-B - (juris Rdnr. 11) und 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - (juris Rdnr. 7)). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Im Rahmen dessen sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerbschlüsse vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - (juris Rdnrn. 23 ff.) und 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - (juris Rdnr. 7)). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 26. Januar 2016, a.a.O. und 17. August 2005, a.a.O.).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt der begehrte Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht, nachdem der Beklagte der Klägerin - und auch deren Tochter - mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II rückwirkend für die Zeit vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 i.H.v. insgesamt 589,79 Euro (jeweils für die Monate August und September 2016), 544,19 Euro (Oktober 2016) sowie i.H.v. insgesamt 572,79 Euro (jeweils für die Monate November 2016 bis Januar 2017) bewilligt hat. Denn unter Beachtung dessen und des monatlichen Erwerbseinkommens der Klägerin i.H.v. 460 Euro brutto (387,65 Euro netto) ist die Klägerin - für die hier nicht beteiligte Tochter stehen zudem 190 Euro monatlich Kindergeld sowie monatliche Unterhaltszahlungen i.H.v. 241 Euro zur Verfügung - zur Überzeugung des Senats (§§ 128 Abs. 1 Satz 1, 142 Abs. 1 SGG) in der Lage, ihren notwendigen Lebensunterhalt einstweilen zu bestreiten. Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund i.S. der Eilbedürftigkeit liegt mithin nicht (mehr) vor, so dass der Eilantrag bereits aus diesem Grund keinen Erfolg haben kann.

c) Unabhängig davon kommt nach Erlass des vorläufigen Bewilligungsbescheids auch ein (weitergehender) Anordnungsanspruch nicht in Betracht. Dass der Klägerin (einstweilen) höhere Leistungen als bewilligt zustehen, ist schon nicht ersichtlich, geschweige denn glaubhaft gemacht. Dies gilt namentlich hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten höheren Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) i.H.v. 501,31 Euro monatlich. Insoweit sind die klägerischen Angaben schon nicht plausibel, nachdem sich zwar aus dem Schreiben der Vermieterin vom 26. April 2016 (Blatt 33 der SG-Akte des Eilverfahrens) sowie aus der mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 vorgelegten Mietbescheinigung (Blatt 5 des PKH-Beihefts zur Senats-Akte) eine monatliche Warmmiete von 501,31 Euro ab dem 1. Januar 2016 ergeben soll, der Mietvertrag vom 28. Dezember 2011 (Blatt 34/35 der SG-Akte des Eilverfahrens) indes eine Warmmiete von monatlich 450 Euro ohne jegliche Erhöhungsklausel ausweist. Eine Änderung des Mietvertrags, die nach dessen § 9 der Schriftform bedarf, hat die Klägerin nicht vorgelegt und nicht einmal behauptet. Insoweit ist es nach der gebotenen - aber auch ausreichenden - summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht zu beanstanden, dass der Beklagte seinem Bescheid vom 27. Oktober 2016 vorläufig KdUH-Aufwendungen i.H.v. insgesamt 450 Euro monatlich zugrunde gelegt hat.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Es entspricht der Billigkeit, dass der Beklagte der Klägerin keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat, nachdem der Eilantrag teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet ist, der Beklagte unverzüglich nach Vorlage der mit Anwaltsschriftsatz vom 25. Oktober 2016 übersandten Unterlagen dem Eilbegehren abgeholfen hat und jedenfalls bis dahin ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht war. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin keine nachvollziehbaren und insbesondere vollständigen Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen gemacht hat. Die im Hinblick auf die in den vorgelegten Entgeltabrechnungen der Firma V. V. P. ersichtlichen Lohnfortzahlungen - zuletzt in der Entgeltabrechnung für den Monat August 2016 (Blatt 31 der Senats-Akte) - berechtigte Nachfrage des Senats nach Krankengeldzahlungen, die im Rahmen der Einkommensanrechnung leistungserheblich wären (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II; vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 27. September 2011 - B 4 AS 180/10 R - (juris Rdnr. 14) m.w.N.) hat die Klägerin offengelassen. Sie hat lediglich erklärt (Anwaltsschriftsatz vom 20. Oktober 2016 (Blatt 27 der Senats-Akte)), "keine Unterlagen bezüglich des Krankengeldes" mehr zu besitzen.

5. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen. Ungeachtet des Umstands, dass die Gewährung von PKH unter Rechtsanwaltsbeiordnung mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung - insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen - nicht in Betracht kommt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), hat die Klägerin ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 ZPO sind dem PKH-Antrag eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Dem ist die anwaltlich vertretene Klägerin hinsichtlich der behaupteten Deckungsablehnung ihrer Rechtsschutzversicherung nicht nachgekommen, obgleich in Abschnitt "B" des amtlichen Erklärungsvordrucks ausdrücklich dahingehend belehrt wird, dass "vorhandene Belege über eine (Teil-)Ablehnung seitens der Versicherung/des Vereins/der Organisation" dem Antrag beizufügen sind. Dies folgt daraus, dass das Bestehen einer eintrittspflichtigen Rechtsschutzversicherung grundsätzlich die prozesskostenhilferechtliche Bedürftigkeit (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO) ausschließt (s. dazu nur BSG, Beschluss vom 14. Juni 2006 - B 7b AS 22/06 B - (juris Rdnr. 2 ); Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 4. Oktober 1990 - IV ZB 5/90 - (juris Rdnr. 9), jeweils m.w.N.; vgl. auch BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007 - B 2 U 131/07 B - (juris Rdnr. 3)).

6. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG.)
Rechtskraft
Aus
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