Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 P 1013/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 763/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016.
Der Kläger ist der Ehemann der am 1937 geborenen und am 2016 verstorbenen, bei der Beklagten pflegeversicherten Versicherten (im Folgenden: Versicherte), mit der er zum Zeitpunkt ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte.
Die Versicherte beantragte am 8. Oktober 2014 bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld. Sie gab Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche/Duschen/Baden (wenig), bei der Teilwäsche des Rückens und der Füße (viel) sowie beim Unterkörperankleiden/-auskleiden und beim Gehen in der Wohnung mit Pflegeperson und Rollator (jeweils viel) an. Sie besuche einmal monatlich einen Arzt. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin H. vom 30. Oktober 2014 vor. Danach bestehe bei der Versicherten auf Grund einer schweren Herzerkrankung bei leichtester Anstrengung Atemnot und Angina pectoris. Die Versicherte könne deshalb keine Hausarbeit jeglicher Art mehr ausüben. Selbst das Kochen bereite enorme Anstrengung, da sie nicht länger als zehn Minuten stehen könne. Für das Ankleiden von Hosen und Strümpfen sowie beim Waschen des Rückens und der Haare benötige sie ständige Hilfe. Die Gehstrecke betrage mit einem Rollator maximal noch 30 bis 50 Meter. Bücken sei nicht möglich. Treppensteigen ohne Geländer sei gar nicht möglich, mit Geländer nur wenige Stufen.
Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Grund einer Untersuchung der Versicherten im häuslichen Umfeld vom 21. Oktober 2014 unter dem 22. Oktober 2014 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien eine Störung der Mobilität und des Ganges bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Wirbelsäulendeformierungen. Die Versicherte brauche Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche), dem Duschen (zwei Minuten an zwei Tagen pro Woche), dem Richten der Bekleidung (vier Minuten, achtmal täglich) sowie beim Ankleiden (drei Minuten, einmal täglich) und Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich), jeweils in Form der Teilübernahme, sowie beim Wechsel/Entleerung von Urinbeutel/Toilettenstuhl (zwei Minuten, einmal täglich) in Form der vollständigen Übernahme. Der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage täglich durchschnittlich 19 Minuten, der Zeitaufwand für die Hauswirtschaft 49 Minuten. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung liege nicht vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 ab. Die Versicherte sei nicht pflegebedürftig.
Hiergegen erhob die Versicherte am 21. November 2014 Widerspruch. Sie verwies auf die Bescheinigung des Arztes H. sowie vorgelegte Arztbriefe des Klinikums K ... Alle Gutachten bestätigten, dass es ihr überhaupt nicht möglich sei, ihren Haushalt zu führen. Sie sei auf ständige Unterstützung angewiesen, um mit dem Kläger in der eigenen Wohnung verbleiben zu können. Eine temporäre Haushaltshilfe könne sie aus finanziellen Gründen nicht beschäftigen. Sie bat um Prüfung hinsichtlich der "Pflegestufe 0". Die Versicherte legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes H. vom 24. März 2015 vor.
Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft Hu. unter dem 9. Januar 2015 ein Gutachten nach Aktenlage. Sie bestätigte das Gutachten der Pflegefachkraft G ...
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2015 sinngemäß zurück. Die Versicherte sei nicht pflegebedürftig.
Hiergegen erhob die Versicherte am 8. Mai 2015 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Die Gutachten des MDK gingen bei der Körperpflege von völlig irrealen Zeitvergaben von sechs Minuten für eine Ganzkörperwäsche und zwei Minuten für das Duschen aus. Nicht berücksichtigt worden sei auch, dass sie neben der erheblichen kardialen Problematik und der dokumentierten orthopädischen Beeinträchtigung sowohl an einer Harninkontinenz als auch an einer Stuhlinkontinenz leide. Die in den beiden Gutachten zugrunde gelegte Häufigkeit von fünfmal Waschen pro Woche und zweimal Duschen entspreche bei dieser Befundlage nicht den tatsächlichen Erfordernissen. Es sei tatsächlich erforderlich, wesentlich häufiger zu duschen oder zumindest eine Ganzkörperwäsche vorzunehmen. In der Regel sei es notwendig, wenigstens zweimal täglich zu duschen, und sie könne auf Grund der bestehenden Gang- und Standunsicherheit ebenso wie bei der Ganzkörperwäsche nicht nur hierbei nicht alleine gelassen werden, sondern müsse in der Regel auch dorthin begleitet und wieder zurückgeführt werden. Insoweit würden noch Eintragungen bei der Mobilität vermisst.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf den Inhalt ihrer Akte und den Widerspruchsbescheid entgegen.
Das SG bestellte die Pflegefachkraft F. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Die Sachverständige erstattete auf Grund einer Begutachtung der Versicherten im häuslichen Umfeld vom 15. September 2015 unter dem 6. Dezember 2015 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien eine Mobilitätseinschränkung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderung sowie eine dreigefäßkoronare Herzkrankheit. Bei der Versicherten läge eine leichte pflegerelevante Einschränkung des Stütz- und Bewegungsapparates vor. Es sei ihr möglich, mit Hilfe eines Rollators selbständig und ausreichend sicher innerhalb der Wohnung zu gehen. Sie könne sich durch Abstützen selbst erheben und hinsetzen. Bei den einzelnen Transfers (Aufstehen und zu Bett gehen) benötige sie, je nach Tagesfassung, teilweise Hilfe. Die Handkraft sei beidseits ausreichend vorhanden. Der Faustschluss- und der Patientengriff seien beidseits durchführbar. Es bestehe kein Tremor. Die Versicherte könne Gegenstände zielsicher greifen und diese auch festhalten. Freistehen sei ihr nur ganz kurz möglich. Sie halte sich mit einer Hand fest. Die Wechsel der Körperpositionen zwischen Liegen, Sitzen und Stehen und umgekehrt könne sie teilweise selbständig durchführen. Der Lagewechsel im Bett sei ihr selbständig möglich. Der Nackengriff sei ihr nur für kurze Zeit und unter Schmerzen möglich. Der Schürzengriff sei links vollständig und rechts unvollständig durchführbar. Die Oberkörperbeweglichkeit sei leicht eingeschränkt. Die Versicherte klage über Schmerzen im Bereich der Schultern, Arme, des Rückens und der Beine. Beim Bücken im Sitzen erreiche sie die Sprunggelenke. Sie könne jedoch die Beine übereinanderschlagen, um z.B. einen Socken auszuziehen. Die Feinmotorik sei nicht pflegerelevant eingeschränkt. Während der Begutachtung hätten sich keine kardiopulmonalen Dekompensationszeichen gezeigt. Unter Belastung sei es zu einer Belastungsdyspnoe gekommen. Die Versicherte sei weitgehend stuhl- und urinkontinent. Es bestehe eine teilweise Tröpfcheninkontinenz, z.B. beim Husten oder wenn sie es nicht schnell genug auf die Toilette schaffe. Zur Vorsicht trage sie kleine Einlagen, die sie bei Bedarf, auf der Toilette sitzend, selbständig wechseln könne. Sie leide vereinzelt, aber nicht regelmäßig, unter Durchfall. Sie könne die Toilettengänge zur Urin- und Stuhlausscheidung selbständig durchführen. Dafür gehe sie tagsüber auf die Toilette, nachts benutze sie einen Toilettenstuhl selbständig, der neben ihrem Bett stehe. Dieser werde dann morgens von der Pflegeperson geleert. Da sie nicht frei stehen könne, benötige sie beim Richten der Bekleidung nach dem Toilettengang teilweise Hilfe. Der Appetit sei nach eigenen Angaben ausreichend. Das Durstgefühl sei vorhanden und sie könne sich Getränke selbständig einschenken und auch selbständig trinken. Es bestünden keine Schluckstörungen. Es bestünden leichte Beinödeme. Die Versicherte benötige teilweise Hilfe bei der Ganzkörperpflege (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche). Die Versicherte könne sich die Hände und das Gesicht, die Arme, den Oberkörper vorne und den Intimbereich selbständig waschen. Beim Waschen von Rücken und den Füßen benötige sie teilweise Hilfe. Hinzukomme ein Pflegebedarf von 15 Minuten zweimal wöchentlich für das Duschen. Die Versicherte benötige Hilfe beim Kämmen des Hinterkopfes von einer halben Minute zweimal täglich. Sie benötige Hilfe beim Richten der Kleider (eine Minute, viermal täglich), dem Wechsel/Entleeren des Toilettenstuhls (zwei Minuten, einmal täglich), Hilfe beim Aufstehen vom Bett morgens (eine Minute, einmal täglich), dem Ankleiden (vier Minuten, einmal täglich), dem Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich) sowie dem Transfer in und aus der Dusche (eine Minute, viermal wöchentlich). Der Gesamtpflegebedarf im Bereich der Grundpflege liege bei 23 Minuten pro Tag.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2016 ab. Die Versicherte habe keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Zwar leide die Versicherte an Mobilitätseinschränkungen auf Grund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und unter einer Herzerkrankung. Hierdurch sei die Schwelle zur Pflegebedürftigkeit bei weitem noch nicht überschritten.
Gegen den ihr am 28. Januar 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Versicherte am Montag, dem 29. Februar 2016, Berufung eingelegt. Der Kläger führt nach dem Tod der Versicherten das Verfahren fort. Bezüglich der Verlässlichkeit und Richtigkeit der Einschätzungen in dem Sachverständigengutachten müssten erhebliche Bedenken geltend gemacht werden und zwar nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass der Versicherten durch Bescheid des Landratsamtes K. vom 24. Februar 2016 ein Grad der Behinderung von 100 ab dem 7. Januar 2016 sowie das Merkzeichen aG zuerkannt worden sei. Die Merkzeichen B und G seien bereits in früheren Bescheiden zuerkannt worden. Wer die Rechtsprechung zur Zuerkennung des Merkzeichens aG einschließlich der korrespondierenden Verwaltungspraxis der Versorgungsverwaltung kenne, müsse mehr oder weniger automatisch an den Ausführungen in den Pflegegutachten vor allem bezüglich der Gehfähigkeit der verstorbenen Versicherten und deren Agilität im Allgemeinen zu zweifeln beginnen. Die Tatsache, dass der Grad der Behinderung erst mit Datum vom 7. Januar 2016 angehoben worden und das Merkzeichen aG erst zu diesem Zeitpunkt zuerkannt worden sei, liege lediglich daran, dass der Antrag erst am 7. Januar 2016 beim Landratsamt K. gestellt worden sei. Selbstverständlich sei jedoch der Zustand der Versicherten bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Pflegestufe I entsprechend desolat gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2015 zu verurteilen, Pflegegeld für die Versicherte nach Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 28. Oktober 2016 erörtert. Die Beteiligten haben sich in dem Termin mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Versicherten, die der Kläger als Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) fortführt und über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2015 ist rechtmäßig. Die Versicherte hatte keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I in der Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016.
a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI).
Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I lagen bei der Versicherten im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor.
(1) Die Versicherte litt im streitgegenständlichen Zeitraum unter einer Mobilitätseinschränkung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderung sowie einer dreigefäßkoronaren Herzkrankheit, die zu einer leichten Einschränkung des Stütz- und Bewegungsapparates führte.
Der Versicherten war es möglich, mit Hilfe eines Rollators selbständig und ausreichend sicher innerhalb der Wohnung zu gehen. Sie konnte sich durch Abstützen selbst erheben und hinsetzen. Bei den einzelnen Transfers (Aufstehen und zu Bett gehen) benötigte sie, je nach Tagesfassung, teilweise Hilfe. Die Handkraft war beidseits ausreichend vorhanden. Der Faustschluss- und der Patientengriff waren beidseits durchführbar. Es bestand kein Tremor. Die Versicherte konnte Gegenstände zielsicher greifen und diese auch festhalten. Freistehen war ihr nur ganz kurz möglich. Den Wechsel der Körperpositionen zwischen Liegen, Sitzen und Stehen und umgekehrt konnte sie teilweise selbständig durchführen. Der Lagewechsel im Bett war ihr selbständig möglich. Der Nackengriff war ihr nur für kurze Zeit und unter Schmerzen möglich. Der Schürzengriff war links vollständig und rechts unvollständig durchführbar. Die Oberkörperbeweglichkeit war leicht eingeschränkt. Beim Bücken im Sitzen erreichte die Versicherte die Sprunggelenke. Sie konnte die Beine übereinanderschlagen, um z.B. einen Socken auszuziehen. Die Feinmotorik war nicht pflegerelevant eingeschränkt. Die Versicherte war weitgehend stuhl- und urinkontinent. Es bestand eine teilweise Tröpfcheninkontinenz, z.B. beim Husten oder wenn sie es nicht schnell genug auf die Toilette schaffte. Zur Vorsicht trug sie kleine Einlagen, die sie bei Bedarf, auf der Toilette sitzend, selbständig wechseln konnte. Sie litt vereinzelt, aber nicht regelmäßig, unter Durchfall. Sie konnte die Toilettengänge zur Urin- und Stuhlausscheidung selbständig durchführen. Dafür ging sie tagsüber auf die Toilette, nachts benutzte sie einen Toilettenstuhl selbständig, der neben ihrem Bett stand. Dieser wurde dann morgens von der Pflegeperson geleert. Da die Versicherte nicht frei stehen konnte, benötigte sie beim Richten der Bekleidung nach dem Toilettengang teilweise Hilfe. Der Appetit war ausreichend. Das Durstgefühl war vorhanden, und die Versicherte konnte sich Getränke selbständig einschenken und auch selbständig trinken. Es bestanden keine Schluckstörungen. Es bestanden leichte Beinödeme.
All diese entnimmt der Senat dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen F., deren Feststellungen und Einschätzungen sich im Wesentlichen decken mit denen der im Verwaltungsverfahren gutachterlich tätigen Pflegefachkraft G., deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51).
(2) Aufgrund der festgestellten funktionellen Einschränkungen ergab sich im streitgegenständlichen Zeitraum kein Grundhilfebedarf von mehr als durchschnittlich 45 Minuten täglich.
Die Versicherte benötigte teilweise Hilfe bei der Ganzkörperpflege (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche). Die Versicherte konnte sich die Hände und das Gesicht, die Arme, den Oberkörper vorne und den Intimbereich selbständig waschen. Beim Waschen von Rücken und den Füßen benötigte sie teilweise Hilfe. Hinzu kam ein Pflegebedarf von 15 Minuten zweimal wöchentlich für das Duschen. Die Versicherte benötigte Hilfe beim Kämmen des Hinterkopfes von einer halben Minute zweimal täglich. Sie benötigte Hilfe beim Richten der Kleider (eine Minute, viermal täglich), dem Wechsel/Entleeren des Toilettenstuhls (zwei Minuten, einmal täglich), Hilfe beim Aufstehen vom Bett morgens (einmal täglich, eine Minute), dem Ankleiden (vier Minuten, einmal täglich), dem Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich) sowie dem Transfer in und aus der Dusche (eine Minute, viermal wöchentlich).
Die gerichtliche Sachverständige F. hat plausibel einen Grundpflegebedarf von 23 Minuten täglich festgestellt; dem folgt der Senat. Der notwendige Grundpflegebedarf von täglich durchschnittlich mehr als 45 Minuten wurde mit deutlichem Abstand nicht erreicht.
(3) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass – worauf der Kläger zuletzt hingewiesen hat – der Versicherten ab dem 7. Januar 2016 das Merkzeichen aG zuerkannt worden war. Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R – juris, Rn. 12). "Fremde Hilfe" in diesem Sinne kann auch in der Benutzung eines Rollators bestehen (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2005 – L 8 SB 5109/03 – juris, Rn. 23; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 2004 – L 6 SB 122/04 – juris, Rn. 27). Dass sich die Versicherte nur mit Hilfe eines Rollators fortbewegen konnte, ist aber von der gerichtlichen Sachverständigen F. berücksichtigt worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Pflegegeld der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016.
Der Kläger ist der Ehemann der am 1937 geborenen und am 2016 verstorbenen, bei der Beklagten pflegeversicherten Versicherten (im Folgenden: Versicherte), mit der er zum Zeitpunkt ihres Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte.
Die Versicherte beantragte am 8. Oktober 2014 bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld. Sie gab Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche/Duschen/Baden (wenig), bei der Teilwäsche des Rückens und der Füße (viel) sowie beim Unterkörperankleiden/-auskleiden und beim Gehen in der Wohnung mit Pflegeperson und Rollator (jeweils viel) an. Sie besuche einmal monatlich einen Arzt. Sie legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin H. vom 30. Oktober 2014 vor. Danach bestehe bei der Versicherten auf Grund einer schweren Herzerkrankung bei leichtester Anstrengung Atemnot und Angina pectoris. Die Versicherte könne deshalb keine Hausarbeit jeglicher Art mehr ausüben. Selbst das Kochen bereite enorme Anstrengung, da sie nicht länger als zehn Minuten stehen könne. Für das Ankleiden von Hosen und Strümpfen sowie beim Waschen des Rückens und der Haare benötige sie ständige Hilfe. Die Gehstrecke betrage mit einem Rollator maximal noch 30 bis 50 Meter. Bücken sei nicht möglich. Treppensteigen ohne Geländer sei gar nicht möglich, mit Geländer nur wenige Stufen.
Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Grund einer Untersuchung der Versicherten im häuslichen Umfeld vom 21. Oktober 2014 unter dem 22. Oktober 2014 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien eine Störung der Mobilität und des Ganges bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und Wirbelsäulendeformierungen. Die Versicherte brauche Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche), dem Duschen (zwei Minuten an zwei Tagen pro Woche), dem Richten der Bekleidung (vier Minuten, achtmal täglich) sowie beim Ankleiden (drei Minuten, einmal täglich) und Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich), jeweils in Form der Teilübernahme, sowie beim Wechsel/Entleerung von Urinbeutel/Toilettenstuhl (zwei Minuten, einmal täglich) in Form der vollständigen Übernahme. Der Zeitaufwand für die Grundpflege betrage täglich durchschnittlich 19 Minuten, der Zeitaufwand für die Hauswirtschaft 49 Minuten. Eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung liege nicht vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 ab. Die Versicherte sei nicht pflegebedürftig.
Hiergegen erhob die Versicherte am 21. November 2014 Widerspruch. Sie verwies auf die Bescheinigung des Arztes H. sowie vorgelegte Arztbriefe des Klinikums K ... Alle Gutachten bestätigten, dass es ihr überhaupt nicht möglich sei, ihren Haushalt zu führen. Sie sei auf ständige Unterstützung angewiesen, um mit dem Kläger in der eigenen Wohnung verbleiben zu können. Eine temporäre Haushaltshilfe könne sie aus finanziellen Gründen nicht beschäftigen. Sie bat um Prüfung hinsichtlich der "Pflegestufe 0". Die Versicherte legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes H. vom 24. März 2015 vor.
Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft Hu. unter dem 9. Januar 2015 ein Gutachten nach Aktenlage. Sie bestätigte das Gutachten der Pflegefachkraft G ...
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch der Versicherten mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2015 sinngemäß zurück. Die Versicherte sei nicht pflegebedürftig.
Hiergegen erhob die Versicherte am 8. Mai 2015 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Die Gutachten des MDK gingen bei der Körperpflege von völlig irrealen Zeitvergaben von sechs Minuten für eine Ganzkörperwäsche und zwei Minuten für das Duschen aus. Nicht berücksichtigt worden sei auch, dass sie neben der erheblichen kardialen Problematik und der dokumentierten orthopädischen Beeinträchtigung sowohl an einer Harninkontinenz als auch an einer Stuhlinkontinenz leide. Die in den beiden Gutachten zugrunde gelegte Häufigkeit von fünfmal Waschen pro Woche und zweimal Duschen entspreche bei dieser Befundlage nicht den tatsächlichen Erfordernissen. Es sei tatsächlich erforderlich, wesentlich häufiger zu duschen oder zumindest eine Ganzkörperwäsche vorzunehmen. In der Regel sei es notwendig, wenigstens zweimal täglich zu duschen, und sie könne auf Grund der bestehenden Gang- und Standunsicherheit ebenso wie bei der Ganzkörperwäsche nicht nur hierbei nicht alleine gelassen werden, sondern müsse in der Regel auch dorthin begleitet und wieder zurückgeführt werden. Insoweit würden noch Eintragungen bei der Mobilität vermisst.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf den Inhalt ihrer Akte und den Widerspruchsbescheid entgegen.
Das SG bestellte die Pflegefachkraft F. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Die Sachverständige erstattete auf Grund einer Begutachtung der Versicherten im häuslichen Umfeld vom 15. September 2015 unter dem 6. Dezember 2015 ein Gutachten. Pflegebegründende Diagnosen seien eine Mobilitätseinschränkung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderung sowie eine dreigefäßkoronare Herzkrankheit. Bei der Versicherten läge eine leichte pflegerelevante Einschränkung des Stütz- und Bewegungsapparates vor. Es sei ihr möglich, mit Hilfe eines Rollators selbständig und ausreichend sicher innerhalb der Wohnung zu gehen. Sie könne sich durch Abstützen selbst erheben und hinsetzen. Bei den einzelnen Transfers (Aufstehen und zu Bett gehen) benötige sie, je nach Tagesfassung, teilweise Hilfe. Die Handkraft sei beidseits ausreichend vorhanden. Der Faustschluss- und der Patientengriff seien beidseits durchführbar. Es bestehe kein Tremor. Die Versicherte könne Gegenstände zielsicher greifen und diese auch festhalten. Freistehen sei ihr nur ganz kurz möglich. Sie halte sich mit einer Hand fest. Die Wechsel der Körperpositionen zwischen Liegen, Sitzen und Stehen und umgekehrt könne sie teilweise selbständig durchführen. Der Lagewechsel im Bett sei ihr selbständig möglich. Der Nackengriff sei ihr nur für kurze Zeit und unter Schmerzen möglich. Der Schürzengriff sei links vollständig und rechts unvollständig durchführbar. Die Oberkörperbeweglichkeit sei leicht eingeschränkt. Die Versicherte klage über Schmerzen im Bereich der Schultern, Arme, des Rückens und der Beine. Beim Bücken im Sitzen erreiche sie die Sprunggelenke. Sie könne jedoch die Beine übereinanderschlagen, um z.B. einen Socken auszuziehen. Die Feinmotorik sei nicht pflegerelevant eingeschränkt. Während der Begutachtung hätten sich keine kardiopulmonalen Dekompensationszeichen gezeigt. Unter Belastung sei es zu einer Belastungsdyspnoe gekommen. Die Versicherte sei weitgehend stuhl- und urinkontinent. Es bestehe eine teilweise Tröpfcheninkontinenz, z.B. beim Husten oder wenn sie es nicht schnell genug auf die Toilette schaffe. Zur Vorsicht trage sie kleine Einlagen, die sie bei Bedarf, auf der Toilette sitzend, selbständig wechseln könne. Sie leide vereinzelt, aber nicht regelmäßig, unter Durchfall. Sie könne die Toilettengänge zur Urin- und Stuhlausscheidung selbständig durchführen. Dafür gehe sie tagsüber auf die Toilette, nachts benutze sie einen Toilettenstuhl selbständig, der neben ihrem Bett stehe. Dieser werde dann morgens von der Pflegeperson geleert. Da sie nicht frei stehen könne, benötige sie beim Richten der Bekleidung nach dem Toilettengang teilweise Hilfe. Der Appetit sei nach eigenen Angaben ausreichend. Das Durstgefühl sei vorhanden und sie könne sich Getränke selbständig einschenken und auch selbständig trinken. Es bestünden keine Schluckstörungen. Es bestünden leichte Beinödeme. Die Versicherte benötige teilweise Hilfe bei der Ganzkörperpflege (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche). Die Versicherte könne sich die Hände und das Gesicht, die Arme, den Oberkörper vorne und den Intimbereich selbständig waschen. Beim Waschen von Rücken und den Füßen benötige sie teilweise Hilfe. Hinzukomme ein Pflegebedarf von 15 Minuten zweimal wöchentlich für das Duschen. Die Versicherte benötige Hilfe beim Kämmen des Hinterkopfes von einer halben Minute zweimal täglich. Sie benötige Hilfe beim Richten der Kleider (eine Minute, viermal täglich), dem Wechsel/Entleeren des Toilettenstuhls (zwei Minuten, einmal täglich), Hilfe beim Aufstehen vom Bett morgens (eine Minute, einmal täglich), dem Ankleiden (vier Minuten, einmal täglich), dem Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich) sowie dem Transfer in und aus der Dusche (eine Minute, viermal wöchentlich). Der Gesamtpflegebedarf im Bereich der Grundpflege liege bei 23 Minuten pro Tag.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2016 ab. Die Versicherte habe keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I. Zwar leide die Versicherte an Mobilitätseinschränkungen auf Grund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und unter einer Herzerkrankung. Hierdurch sei die Schwelle zur Pflegebedürftigkeit bei weitem noch nicht überschritten.
Gegen den ihr am 28. Januar 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Versicherte am Montag, dem 29. Februar 2016, Berufung eingelegt. Der Kläger führt nach dem Tod der Versicherten das Verfahren fort. Bezüglich der Verlässlichkeit und Richtigkeit der Einschätzungen in dem Sachverständigengutachten müssten erhebliche Bedenken geltend gemacht werden und zwar nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass der Versicherten durch Bescheid des Landratsamtes K. vom 24. Februar 2016 ein Grad der Behinderung von 100 ab dem 7. Januar 2016 sowie das Merkzeichen aG zuerkannt worden sei. Die Merkzeichen B und G seien bereits in früheren Bescheiden zuerkannt worden. Wer die Rechtsprechung zur Zuerkennung des Merkzeichens aG einschließlich der korrespondierenden Verwaltungspraxis der Versorgungsverwaltung kenne, müsse mehr oder weniger automatisch an den Ausführungen in den Pflegegutachten vor allem bezüglich der Gehfähigkeit der verstorbenen Versicherten und deren Agilität im Allgemeinen zu zweifeln beginnen. Die Tatsache, dass der Grad der Behinderung erst mit Datum vom 7. Januar 2016 angehoben worden und das Merkzeichen aG erst zu diesem Zeitpunkt zuerkannt worden sei, liege lediglich daran, dass der Antrag erst am 7. Januar 2016 beim Landratsamt K. gestellt worden sei. Selbstverständlich sei jedoch der Zustand der Versicherten bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Pflegestufe I entsprechend desolat gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 26. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2015 zu verurteilen, Pflegegeld für die Versicherte nach Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 28. Oktober 2016 erörtert. Die Beteiligten haben sich in dem Termin mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Versicherten, die der Kläger als Sonderrechtsnachfolger im Sinne des § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) fortführt und über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2015 ist rechtmäßig. Die Versicherte hatte keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I in der Zeit vom 1. Oktober 2014 bis zum 22. März 2016.
a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI).
Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I lagen bei der Versicherten im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor.
(1) Die Versicherte litt im streitgegenständlichen Zeitraum unter einer Mobilitätseinschränkung bei degenerativen Wirbelsäulenveränderung sowie einer dreigefäßkoronaren Herzkrankheit, die zu einer leichten Einschränkung des Stütz- und Bewegungsapparates führte.
Der Versicherten war es möglich, mit Hilfe eines Rollators selbständig und ausreichend sicher innerhalb der Wohnung zu gehen. Sie konnte sich durch Abstützen selbst erheben und hinsetzen. Bei den einzelnen Transfers (Aufstehen und zu Bett gehen) benötigte sie, je nach Tagesfassung, teilweise Hilfe. Die Handkraft war beidseits ausreichend vorhanden. Der Faustschluss- und der Patientengriff waren beidseits durchführbar. Es bestand kein Tremor. Die Versicherte konnte Gegenstände zielsicher greifen und diese auch festhalten. Freistehen war ihr nur ganz kurz möglich. Den Wechsel der Körperpositionen zwischen Liegen, Sitzen und Stehen und umgekehrt konnte sie teilweise selbständig durchführen. Der Lagewechsel im Bett war ihr selbständig möglich. Der Nackengriff war ihr nur für kurze Zeit und unter Schmerzen möglich. Der Schürzengriff war links vollständig und rechts unvollständig durchführbar. Die Oberkörperbeweglichkeit war leicht eingeschränkt. Beim Bücken im Sitzen erreichte die Versicherte die Sprunggelenke. Sie konnte die Beine übereinanderschlagen, um z.B. einen Socken auszuziehen. Die Feinmotorik war nicht pflegerelevant eingeschränkt. Die Versicherte war weitgehend stuhl- und urinkontinent. Es bestand eine teilweise Tröpfcheninkontinenz, z.B. beim Husten oder wenn sie es nicht schnell genug auf die Toilette schaffte. Zur Vorsicht trug sie kleine Einlagen, die sie bei Bedarf, auf der Toilette sitzend, selbständig wechseln konnte. Sie litt vereinzelt, aber nicht regelmäßig, unter Durchfall. Sie konnte die Toilettengänge zur Urin- und Stuhlausscheidung selbständig durchführen. Dafür ging sie tagsüber auf die Toilette, nachts benutzte sie einen Toilettenstuhl selbständig, der neben ihrem Bett stand. Dieser wurde dann morgens von der Pflegeperson geleert. Da die Versicherte nicht frei stehen konnte, benötigte sie beim Richten der Bekleidung nach dem Toilettengang teilweise Hilfe. Der Appetit war ausreichend. Das Durstgefühl war vorhanden, und die Versicherte konnte sich Getränke selbständig einschenken und auch selbständig trinken. Es bestanden keine Schluckstörungen. Es bestanden leichte Beinödeme.
All diese entnimmt der Senat dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen F., deren Feststellungen und Einschätzungen sich im Wesentlichen decken mit denen der im Verwaltungsverfahren gutachterlich tätigen Pflegefachkraft G., deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51).
(2) Aufgrund der festgestellten funktionellen Einschränkungen ergab sich im streitgegenständlichen Zeitraum kein Grundhilfebedarf von mehr als durchschnittlich 45 Minuten täglich.
Die Versicherte benötigte teilweise Hilfe bei der Ganzkörperpflege (sechs Minuten an fünf Tagen pro Woche). Die Versicherte konnte sich die Hände und das Gesicht, die Arme, den Oberkörper vorne und den Intimbereich selbständig waschen. Beim Waschen von Rücken und den Füßen benötigte sie teilweise Hilfe. Hinzu kam ein Pflegebedarf von 15 Minuten zweimal wöchentlich für das Duschen. Die Versicherte benötigte Hilfe beim Kämmen des Hinterkopfes von einer halben Minute zweimal täglich. Sie benötigte Hilfe beim Richten der Kleider (eine Minute, viermal täglich), dem Wechsel/Entleeren des Toilettenstuhls (zwei Minuten, einmal täglich), Hilfe beim Aufstehen vom Bett morgens (einmal täglich, eine Minute), dem Ankleiden (vier Minuten, einmal täglich), dem Entkleiden (zwei Minuten, einmal täglich) sowie dem Transfer in und aus der Dusche (eine Minute, viermal wöchentlich).
Die gerichtliche Sachverständige F. hat plausibel einen Grundpflegebedarf von 23 Minuten täglich festgestellt; dem folgt der Senat. Der notwendige Grundpflegebedarf von täglich durchschnittlich mehr als 45 Minuten wurde mit deutlichem Abstand nicht erreicht.
(3) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass – worauf der Kläger zuletzt hingewiesen hat – der Versicherten ab dem 7. Januar 2016 das Merkzeichen aG zuerkannt worden war. Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R – juris, Rn. 12). "Fremde Hilfe" in diesem Sinne kann auch in der Benutzung eines Rollators bestehen (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Januar 2005 – L 8 SB 5109/03 – juris, Rn. 23; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 2004 – L 6 SB 122/04 – juris, Rn. 27). Dass sich die Versicherte nur mit Hilfe eines Rollators fortbewegen konnte, ist aber von der gerichtlichen Sachverständigen F. berücksichtigt worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved