Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 17 J 2799/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 873/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1993 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente.
Der 1948 geborene Kläger ist Kroate. Nach dem Schulbesuch durchlief er eine Ausbildung zum Maler und leistete 1968/69 seinen 18-monatigen Armeedienst ab. Er kam 1970 in die Bundesrepublik und arbeitete hier zunächst als Lackierer- und Malergehilfe. Seit 1. Januar 1973 war er bis zum Eintritt von fortdauernder Arbeitsunfähigkeit am 8. September 1988 bei der Firma H. beschäftigt. Nach Auskunft der H. AG vom 15. Juni 1992 war er dort ab 2. August 1973 als Betriebsfachwerker eingestellt und hatte Kesselwagen zu fahren (Schichtarbeit). Sein Aufgabengebiet umfaßte die Steuerung und Überwachung der Betriebsanlage, die Kontrolle von Meßwerten, die Reinigung der Anlage. Seit 1987 konnte der Kläger diese Arbeiten wegen physischer und psychischer Erkrankungen nicht mehr ausführen. Er wurde dann Anfang 1988 im Labor zum Abfüllen von Proben eingesetzt und war seit September 1988 durchgehend arbeitsunfähig krank. Die gesundheitlichen Probleme zeigten sich auch auf dem Arbeitsplatz im Labor. Bis Juli 1988 war der Kläger tariflich in die Lohngruppe V als angelernter Chemiefacharbeiter eingruppiert, dann nach der Ablösung der Rahmentarifverträge durch den Bundesrahmentarif in die Lohngruppe E 06 als Facharbeiter.
Unter Vorlage eines Befundberichts des Internisten Dr. S. vom 24. Januar 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten am 31. Januar 1989 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte zog Befundunterlagen des Dr. S. bei (Bericht für den Vertrauensärztlichen Dienst vom 23. Januar 1988, Arztbriefe des Orthopäden Dr. R. vom 22. Dezember 1988, der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 25. November 1988, des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 17. September 1987 und einen Kurentlassungsbericht aus L. vom 25. September 1987). Anschließend veranlaßte die Beklagte zunächst ein orthopädisches Gutachten vom 10. März 1989 des Dr. I., der das Leistungsvermögen des Klägers auf seinem Fachgebiet auf Dauer gemindert sah durch ein lokales Lumbalsyndrom bei Wirbelsäulenfehlhaltung, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, lumbosacraler Assimilationsstörung und geringem Baastrup-Phänomen L 4/5; Cervikalsyndrom bei HWS-Fehlhaltung und leichten degenerativen HWS-Veränderungen; Periathropathia humeroscapularis rechts, geringe Arthrose des rechten Acromioclavikulargelenks. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in den bisherigen Tätigkeiten mittelschwere Arbeiten regelmäßig verrichten. Auszuschließen seien gehäufte Bückarbeiten, länger anhaltende einseitige Körperhaltung im Sinne einer Zwangshaltung, häufiges schweres Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten und häufiges Verrichten von Über-Kopf-Arbeiten. Anschließend erfolgte noch eine psychiatrisch-neurologische Begutachtung durch Dr. T ... Im Gutachten vom 15. Juni 1989, dem ein Arztbrief des Orthopäden Dr. P. vom 14. Februar 1989 beigefügt war, wurde eine neurotische Fehlentwicklung mit ängstlichen Zügen und funktioneller Überlagerung der vermeintlich spondylogenen Symptomatik festgestellt. Bei der neurologischen Untersuchung fiel ein inkonstanter vegetativer Tremor auf. Aus neuropsychiatrischer Sicht wurde der Kläger für fähig gehalten, altersentsprechend schwere körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Dabei dürfe es sich nicht um Arbeiten in Akkord und Nachtschicht oder mit Feinmotorik der Hände handeln. Ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sei vorhanden. Im weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 8. August 1989 stellte die Medizinaldirektorin W. zusammenfassend die Diagnosen: Fehlhaltung und Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule, leichte Verschleißerscheinungen an einzelnen großen Gelenken, psychosomatische Entwicklungsvariante im Sinne einer neurotisch-ängstlichen Fehlentwicklung und Störung des Farbsehvermögens. Der Kläger könne mittelschwere Lohnarbeiten vollschichtig mit Einschränkungen verrichten. Er sollte nicht in Nacht- und Akkordarbeit eingesetzt werden. Die Arbeiten sollten nicht mit häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten (zumutbar 20 Kilogramm) verbunden sein, keine überwiegend einseitige Körperhaltung oder Über-Kopf-Arbeiten beinhalten. Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 24. August 1989 ab.
Der Kläger erhob dagegen am 4. September 1989 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Er übersandte einen Entlassungsbericht vom 16. Februar 1990, einen CT-Befund der LWS vom 29. Dezember 1992 des Radiologen Dr. L., ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin T.-P. D. vom 30. März 1993 und einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes Frankfurt am Main vom 2. April 1993 (Gesamtgrad der Behinderung: 50 %). Schließlich legte er noch den Bescheid der Beklagten vom 9. August 1990 über die Bewilligung von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation vor, der bis zum 31. August 1992 befristet war. Die Beklagte reichte eine Stellungnahme ihres ärztlichen Beraters Dr. H. vom 8. Mai 1990 und einen Versicherungsverlauf vom 28. Juni 1991 zu den Akten. Sie vertrat darüber hinaus die Auffassung, nach den vorliegenden Informationen könne die Qualität der vom Kläger verrichteten Arbeit nicht hinreichend beurteilt werden.
Das Sozialgericht holte Befundberichte ein von dem Urologen Dr. L. vom 4. Oktober 1989, dem Orthopäden Dr. A. vom 29. September 1989, dem Internisten Dr. Sch. vom 31. Oktober 1989 mit Befundunterlagen, dem Nervenarzt Dr. Z. vom 30. November 1989 und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 25. November 1990. Weiter erhob das Sozialgericht Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Dr. A. vom 31. Juli 1990, eines internistischen Gutachtens vom 12. März 1991 (Abschluß 29. März 1991) des Dr. G. sowie eines nervenärztlichen Gutachtens vom 7. Dezember 1991 des Medizinaldirektors W. M. mit psychologischem Zusatzgutachten vom 10. Dezember 1991 der Frau J.-W ... Der Orthopäde Dr. A. diagnostizierte beim Kläger ein Cervicalsyndrom, Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes bei mittelgradigen arthrotischen Veränderungen im Acromioclavikulargelenk; Lumboischialgie bei Hyperlordose und Drehskoliose der Lendenwirbelsäule, Bandscheibenprotrusionen, Spondylosis deformans; Teilsteife beider Hüftgelenke bei initialen arthrotischen Veränderungen; Knick-Senkfüße, Fersensporne links, Dypuytren’sche Kontraktur rechts. Der Kläger könne seit dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 11. Juli 1990 nur noch regelmäßig ganztags leichte Arbeiten verrichten. Diese sollten überwiegend im Sitzen (evtl. Spezialstuhl), nicht im Stehen erfolgen, keine Über-Kopf-Arbeiten, keine Hebe- oder Bückarbeiten beinhalten, nicht auf Leitern und Gerüsten erfolgen und nur in geschlossenen, warmen Räumen ausgeführt werden. Der Sachverständige Dr. G. hielt den Kläger ebenfalls für in der Lage, ganztags Arbeiten unter Beachtung der orthopädischerseits gemachten qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten. Mehr als einfache geistige Arbeiten seien sicherlich nicht zu fordern. Auch sei die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit bei der mehrfach neurologisch bestätigten seelischen Störung sicher sehr gering. Der Medizinaldirektor M. stellte beim Kläger ein "allgemeines psychovegetatives Syndrom” fest, bei dem es sich um eine reaktive Depression handele, die sich überwiegend in einem psychosomatischen Beschwerdebild darstelle, ansonsten in einer Neigung zu depressiven Verstimmungszuständen. Es liege eine niedrige Intelligenz und eine rententendenzielle Fehlhaltung vor. Der Kläger sei in der Lage, regelmäßig vollschichtig zu arbeiten ohne besonderen Zeitdruck, vorwiegend im Sitzen, mit wechselnder Körperhaltung und der Möglichkeit, gelegentlich aufzustehen und kurz hin und her zu gehen, ohne Zwangshaltung, ohne Hebe- und Bückarbeiten, keine Nachtarbeit, nur geistig sehr einfache und anspruchslose Arbeiten, ohne besondere nervliche Belastungen, z.B. auch keine große Lärmbelästigung oder großen Publikumsverkehr, ohne besondere Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Zusätzlich seien die in den orthopädischen Vorgutachten angegebenen qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen. Im psychologischen Gutachten wurde eine sehr niedrige Leistungsfähigkeit des Klägers festgestellt, bei dem es sich um einen ungebildeten, einfach strukturierten Menschen handele. Das Leistungsvermögen habe in den letzten 3 Jahren stark abgenommen.
Weiter holte das Sozialgericht Auskünfte über die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers von der Betriebskrankenkasse Höchst vom 7. Januar 1992 ein, eine Arbeitgeberauskunft vom 15. Juni 1992 der Firma H. und zog tarifliche Unterlagen bei. Schließlich veranlaßte es noch eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamts Hessen vom 17. September 1992 zur Frage, welche Tätigkeiten für den Kläger mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch in Betracht kommen. Das Landesarbeitsamt benannte die Tätigkeiten als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie sowie Warensortierer und gab an, daß die genannten Tätigkeiten überwiegend von ungelernten Arbeitskräften ausgeübt würden. Die Einarbeitung- bzw. Einweisungszeit betrage maximal 3 Monate.
Durch Urteil vom 5. Mai 1993 änderte das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 24. August 1989 und verurteilte sie, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 31. Januar 1989 ab 1. Februar 1989 zu gewähren. Im übrigen wies es die Klage ab. Nach den getroffenen Feststellungen sei der Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Diese seien nicht so vielfältig, daß trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit Erwerbsunfähigkeit vorliege. Der Kläger sei aber berufsunfähig. Ihm stehe qualifizierter Berufsschutz als Facharbeiter zu. Dies ergebe sich aus seiner tariflichen Einstufung durch seinen letzten Arbeitgeber. Für das Gericht sei nicht erkennbar, daß diese tarifliche Einstufung auf qualitätsfremden Merkmalen beruhe. Als Facharbeiter brauche sich der Kläger aber auf die für ihn nach der eingeholten Auskunft des Landesarbeitsamtes noch in Betracht kommenden Tätigkeiten zumutbar nicht verweisen zu lassen. Schließlich habe der Kläger auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und die Berufsunfähigkeitsrente sei auch auf unbestimmte Dauer zu gewähren.
Gegen das ihr am 16. August 1993 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. September 1993 Berufung eingelegt; der Kläger hat gegen das ihm am 12. August 1993 zugestellte Urteil am 30. September 1993 (unselbständige) Anschlußberufung eingelegt.
Die Beklagte meint, dem Kläger stehe kein Berufsschutz als Facharbeiter zu. Die vorhandenen Zweifel müßten durch die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens geklärt werden. Die vom Kläger selbst beschriebene ausgeübte Tätigkeit habe nicht dem Berufsbild eines Chemiekanten entsprochen. Im übrigen habe bei der H. AG eine Betriebsvereinbarung über ein Entgeltsystem bestanden, das eine erheblich über Tarif liegende Bezahlung vorgesehen habe. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte Auszüge aus der Zeitschrift "Der Spiegel” 23/1994 sowie 28/1994 vorgelegt. Diese belegten, daß die tarifliche Entlohnung, hier als Facharbeiter, auf qualitätsfremden Gründen beruht habe und deswegen auch keinen Facharbeiterstatus begründen könne, wenn die praktischen Fähigkeiten und theoretischen Kenntnisse des Klägers doch nicht einem ausgebildeten Chemiefacharbeiter entsprochen hätten. Weiter hat die Beklagte prüfärztliche Stellungnahmen ihres ärztlichen Beraters Dr. H. vom 17. Februar 1994 und 20. April 1995 übersandt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1993 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlußberufung das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1993 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. August 1989 zu verurteilen, ihm auf der Grundlage eines Versicherungsfalles vom 31. Januar 1989 ab 1. Februar 1989 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Außerdem hat der Kläger
hilfsweise beantragt,
ein psychologisches Gutachten über seine Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit einzuholen, ein arbeitsmedizinisches Gutachten darüber einzuholen, ob er die vom Landesarbeitsamt Hessen in dem Schreiben vom 13.03.1995 vorgeschlagenen Tätigkeiten noch verrichten kann, eine Auskunft vom früheren Arbeitgeber, der Firma F. H. AG, darüber einzuholen, weshalb eine Umsetzung auf einen leichteren Arbeitsplatz, z.B. als Warensortierer, Versandfertigmacher oder Warenaufmacher bei der Firma H. nicht möglich war, beim Landesarbeitsamt Hessen eine Stellungnahme darüber einzuholen, wie viel freie Arbeitsplätze als Montierer, Warenaufmacher/Versandfertigmacher und Warensortierer seit 1989 im Bezirk des Landesarbeitsamtes Hessen gemeldet waren.
Der Kläger vertritt in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht die Auffassung, als Facharbeiter stehe ihm Berufsschutz zu. Dies habe der Arbeitgeber bestätigt. Darauf komme es aber letztlich nicht an, denn er sei wegen seiner vielfältigen Leistungsbeeinträchtigungen unter den üblichen Arbeitsbedingungen nicht mehr einsetzbar. Außerdem sei er auch psychisch angeschlagen. Es fehle an der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit für Arbeiten, wie sie die Beklagte oder das Landesarbeitsamt vorgeschlagen hätten, soweit die Arbeiten ihn ohnehin nicht schon gesundheitlich überforderten. Der Kläger hat einen Arztbrief des Internisten Dr. W. vom 16. Februar 1995 übersandt und sich auf eine psychologische Stellungnahme vom 2. Mai 1994 der Frau M. N. berufen.
Der Senat hat Befundberichte eingeholt von dem Arzt für Allgemeinmedizin D. vom 4. November 1993 mit Befundunterlagen, dem Arzt für Psychiatrie W. vom 16. November 1993 und dem Orthopäden Dr. B. vom 6. Dezember 1993. Weiter wurden Arbeitgeberauskünfte der Firma H. vom 25. Januar 1994, 31. Juli 1995 und 23. August 1995 eingeholt sowie die Personalakte des Klägers beigezogen. Außerdem hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines fachinternistischen Gutachtens vom 16. September 1994 des Dr. S. und eines nervenärztlichen Gutachtens vom 22. August 1994 des Dr. B ... Nervenärztlich wurden nach neurologischer, psychiatrischer und psychologischer Untersuchung eine depressive Entwicklung mit psychovegetativer Symptomatik bei konversionsneurotischer Persönlichkeitsstruktur festgestellt und ferner der Verdacht auf eine diskrete Innenohrschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich geäußert. Diesen Leiden komme ein gewisser erwerbsmindernder Dauereinfluß zu. Der Kläger sei aber in der Lage, regelmäßig ganztags Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, aber nicht mehr als Chemiekant. Nach Möglichkeit sollte er nur solche Tätigkeiten übernehmen müssen, die im steten Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen auszuführen seien. Er sollte also eine wechselnde Körperhaltung bei der Verrichtung seiner Arbeit einnehmen dürfen. Zwangshaltungen seien zu vermeiden, ebenso Über-Kopf-Arbeiten. Einem besonderen Zeitdruck sei er nicht gewachsen, ebensowenig Schicht- oder Nachtarbeit. Nach Möglichkeit sollten ihm Arbeiten geistig einfacher Art anvertraut werden. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit mindestens 3 Monaten vor seiner Rentenantragstellung am 31. Januar 1989. Der Sachverständige Dr. S. hat auf seinem Fachgebiet eine wenig ausgeprägte chronische Emphysembronchitis bei Rauchgewohnheit, eine wenig enzymaktive Fettleber, eine Überhöhung von Cholesterin und Triglyzeriden im Blutserum sowie eine Neigung zu Magenschleimhautentzündung festgestellt. Der Kläger könne zwar nicht mehr als Chemiekant, wohl aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt regelmäßig ganztags vollschichtig leichte körperliche Arbeiten verrichten. Die Arbeiten sollten im steten Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen durchgeführt werden. Zwangshaltungen sowie überwiegende Über-Kopf-Arbeiten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sowie Schicht- und Nachtschichtarbeit seien zu vermeiden. Arbeiten mit erhöhter Verantwortung seien gleichfalls nicht übertragbar. Schließlich seien auch Arbeiten unter Einwirkung vermehrter Belastung mit Gasen, Stäuben, Dämpfen sowie unter Einwirkung von Nässe nicht geeignet. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit mindestens 3 Monaten vor der Rentenantragstellung. Eine weitere Begutachtung sei nicht erforderlich. Funktionsbeeinträchtigungen, die sich auf dem orthopädischen Fachgebiet ergäben, habe Dr. B. nachvollziehbar eingeschlossen. Nach Vorlage des Arztbriefs vom 16. Februar 1995 des Internisten Dr. W. durch den Kläger wurden die Sachverständigen Dr. B. (Bericht vom 29. März 1995) und Dr. S. (Kurzgutachten vom 14. April 1995) ergänzend gehört. Schließlich hat der Senat beim Landesarbeitsamt Hessen eine berufskundliche Stellungnahme vom 13. März 1995 zu möglichen Verweisungstätigkeiten für den Kläger eingeholt. Das Landesarbeitsamt hat Tätigkeiten benannt als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie, Warenaufmacher/Versandfertigmacher und Warensortierer. Es handele sich dabei um ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich sei und für die eine entsprechende Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von maximal drei Monaten Dauer erforderlich sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich begründet; die – unselbständige – Anschlußberufung des Klägers ist sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht entschieden, daß dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zusteht. Der Anspruch auf diese Rente richtet sich noch nach § 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO), denn der Rentenantrag ist bereits im Januar 1989 gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs. 2 des VI. Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI).
Der Kläger ist nicht berufsunfähig. Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs. 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Dabei umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zugunsten des Klägers nicht erfüllt; ebensowenig die noch weitergehenden Voraussetzungen für die Annahme von Erwerbsunfähigkeit gemäß § 1247 Abs. 2 RVO.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat folgt, der bisherige Beruf des Versicherten, von dessen qualitativem Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar noch verwiesen werden kann (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 107, 169). In der Regel ist dies die letzte Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch nur bei kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).
"Bisheriger Beruf” des Klägers ist die von ihm bis 1987 ausgeübte Tätigkeit eines Fahrers von Kesselansätzen (Betriebsfachwerker) bei der Firma H. AG. Zu dieser Tätigkeit zählten u.a. die Steuerung und Überwachung der Betriebsanlage, das Kontrollieren von Meßwerten und die Reinigung der Anlage. Diese seit 1973 ausgeübte Tätigkeit konnte der Kläger ab 1987 wegen physischer und psychischer Erkrankungen nicht mehr ausführen. Die Anfang 1988 erfolgte Umsetzung ins Labor hat den "bisherigen Beruf” des Klägers nicht verändert, denn er konnte diesen Arbeitsplatz gesundheitsbedingt nicht ausfüllen, und er war dann seit September 1988 ununterbrochen krank. Für diese Feststellung stützt sich der Senat auf die Arbeitgeberauskunft vom 31. Juli 1995. Aus der weiteren Arbeitgeberauskunft vom 23. August 1995 ergibt sich die tarifliche Eingruppierung des Klägers, der bis zur Änderung der Tarifstruktur Anfang Juli 1988 als angelernter Chemiefacharbeiter eingestuft und danach als Chemiefacharbeiter nach der neu geschaffenen Leistungsgruppe E 06 wegen seiner langjährigen Tätigkeit im selben Betrieb bezahlt wurde. Aus dieser Höhergruppierung kann der Kläger aber keinen Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ableiten. Zwar stellt die tarifliche Eingruppierung eines Versicherten durch den Arbeitgeber ein Indiz für die Wertigkeit der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit dar (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14 S. 55 f.). Dieses Indiz ist aber widerlegbar und zur Überzeugung des Senats vorliegend auch für die Zeit nach Juli 1988 widerlegt. Aus den Arbeitgeberauskünften und der Personalakte ergibt sich, daß die – gesundheitsbedingte – Umsetzung des Klägers Anfang 1988 ins Labor wegen des bei ihm bestehenden Krankheitsbildes erfolglos war, wie auch die seit September 1988 bestehende fortlaufende Arbeitsunfähigkeit belegt. Die langjährige Betriebszugehörigkeit ist in diesem Zusammenhang allein kein Qualitätsmerkmal, das zur Einstufung als Facharbeiter (i.S. der Rechtsprechung des BSG) führt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Kläger auf der Grundlage des festgestellten "bisherigen Berufs” den Versicherten zuzuordnen, deren bisherige Beruf zum oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters gehört.
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers ist sein Leistungsvermögen herabgesetzt. Er kann nur noch leichte körperliche Arbeiten durchführen. Dabei sind besondere qualitative Leistungseinschränkungen zu beachten. Die Arbeiten sollen steten Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen beinhalten. Zwangshaltungen sowie überwiegende Über-Kopf-Arbeiten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sowie Schicht- und Nachtarbeiten sind zu vermeiden, Arbeiten mit erhöhter Verantwortung sind nicht übertragbar. Schließlich sind auch Arbeiten unter Einwirkung vermehrter Belastung mit Gasen, Stäuben, Dämpfen sowie unter Einwirkung von Nässe nicht geeignet. Diese Feststellung gründet sich auf das fachinternistische Gutachten des Dr. S. vom 16. September 1994. Der Sachverständige hat ausweislich dieses Gutachtens den Kläger untersucht, die Akten ausgewertet und bei der arbeitsmedizinischen Beurteilung insbesondere das nervenärztliche Zusatzgutachten des Dr. B. vom 22. August 1994 mitberücksichtigt. Die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen lassen sich plausibel aus den von den Sachverständigen Dr. S. und Dr. B. vorgefundenen Gesundheitsstörungen ableiten. Der Senat hat keine Zweifel an der Überzeugungskraft dieser Gutachten. Der später vom Kläger vorgelegte Arztbrief des Internisten Dr. W. vom 16. Februar 1995 hat ausweislich der ergänzenden fachärztlichen Stellungnahmen des Dr. B. vom 29. März 1995 und des Dr. S. vom 14. April 1995 zu keiner Änderung in der Leistungsbeurteilung durch die Sachverständigen geführt. Dabei hat der Sachverständige Dr. B. unmißverständlich darauf hingewiesen, daß die Beschwerdesymptomatik, des Klägers durch ganz erhebliche Aggravationstendenzen überlagert ist. Schon der Medizinaldirektor M. hatte in seinem Gutachten vom 7. Dezember 1991 von einer tendenziellen Fehlhaltung gesprochen.
Mit den eingeholten Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen sieht der Senat das Leistungsvermögen des Klägers als geklärt an und hält eine weitere Begutachtung nicht mehr für erforderlich. Dies hat der Sachverständige Dr. S. auf ausdrückliches Befragen bestätigt. Der Sachverständige Dr. B. hat im Rahmen seines Gutachtens den Kläger neurologisch, technisch, psychiatrisch, psychologisch und – zumindest ansatzweise – tiefenpsychologisch unter zusätzlicher Beteiligung durch einen Diplompsychologen untersucht. In das Gutachten ist die Stellungnahme der behandelnden Dipl.-Psych. M. N. vom 2. Mai 1994 eingeflossen. Für die von dem im Jahre 1948 geborenen Kläger beantragte Einholung eines psychologischen Gutachtens über seine Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestand daher für den Senat keine Veranlassung mehr, gleiches gilt auch für die außerdem beantragte Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, denn mit dem ausführlichen Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 16. September 1994 liegt ein solches Gutachten bereits vor. Eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers mit Auswirkung auf sein Leistungsvermögen ist auch nicht dokumentiert.
Das festgestellte Leistungsvermögen des Klägers reicht nicht mehr aus, um den bisherigen Beruf auszuüben. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 17. September 1992 und dem Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 16. September 1994. Damit liegt aber noch keine Berufsunfähigkeit vor, sondern es stellt sich die Frage nach zumutbaren Verweisungstätigkeiten, die für den Kläger noch in Betracht kommen. Da der Kläger als Angelernter im oberen Bereich einzustufen ist, kann er nicht schlechthin auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Es scheiden ungelernte Tätigkeiten von ganz geringem qualitativem Wert aus. Die zumutbaren Verweisungstätigkeiten müssen sich durch Qualitätsmerkmale, z.B. das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl. dazu BSG Urteil vom 29. März 1994 – Az.: 13 RJ 35/93).
Die dem Senat vom Landesarbeitsamt Hessen in der Auskunft vom 13. März 1995 genannten Tätigkeiten erfüllen diese Voraussetzungen, so daß Berufsunfähigkeit des Klägers nicht festgestellt werden kann. Es handelt sich bei den benannten Tätigkeiten als Montierer in der Metallindustrie, Warenaufmacher und Warensortierer zwar um ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Die Tätigkeiten benötigen aber zur ihrer Ausübung besondere Einarbeitungs- und Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer und weisen damit die erforderliche Qualität auf, um als sozial zumutbar angesehen zu werden. Dabei ist berücksichtigt, daß auch der frühere Tätigkeitsbereich des Klägers als Fahrer von Kesselansätzen u.a. die Überwachung der Anlage und die Meßwertkontrolle beinhaltete. Der Senat hat keine Bedenken, der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 13. März 1995 zu folgen, denn es handelt sich dabei um die für die Arbeitsvermittlung zuständige Fachbehörde. Der vom Kläger hilfsweise beantragten Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Landesarbeitsamtes zur Frage offener Stellen im Bezirk Hessen bedurfte es nicht, denn es kommt auf die Verhältnisse im gesamten Bundesgebiet an. Dazu hat das Landesarbeitsamt bereits ausgeführt, daß die von ihm für den Kläger genannten Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebiets in nennenswertem Umfang zur Verfügung stehen. Für eine Beweiserhebung, weshalb dem früheren Arbeitgeber, der Fa. H., die Umsetzung des Klägers auf einen leichteren Arbeitsplatz nicht möglich war, bestand ebenfalls keine Veranlassung, denn dies ist für den Rechtsstreit nicht erheblich.
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Auf der Grundlage des vom Senat festgestellten gesundheitlichen Leistungsvermögens kann er noch vollschichtig bei Beachtung zusätzlicher qualitativer Leistungseinschränkungen arbeiten. Das Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes ist ein Risiko, das nicht in den Bereich der Rentenversicherung fällt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
II. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Versichertenrente.
Der 1948 geborene Kläger ist Kroate. Nach dem Schulbesuch durchlief er eine Ausbildung zum Maler und leistete 1968/69 seinen 18-monatigen Armeedienst ab. Er kam 1970 in die Bundesrepublik und arbeitete hier zunächst als Lackierer- und Malergehilfe. Seit 1. Januar 1973 war er bis zum Eintritt von fortdauernder Arbeitsunfähigkeit am 8. September 1988 bei der Firma H. beschäftigt. Nach Auskunft der H. AG vom 15. Juni 1992 war er dort ab 2. August 1973 als Betriebsfachwerker eingestellt und hatte Kesselwagen zu fahren (Schichtarbeit). Sein Aufgabengebiet umfaßte die Steuerung und Überwachung der Betriebsanlage, die Kontrolle von Meßwerten, die Reinigung der Anlage. Seit 1987 konnte der Kläger diese Arbeiten wegen physischer und psychischer Erkrankungen nicht mehr ausführen. Er wurde dann Anfang 1988 im Labor zum Abfüllen von Proben eingesetzt und war seit September 1988 durchgehend arbeitsunfähig krank. Die gesundheitlichen Probleme zeigten sich auch auf dem Arbeitsplatz im Labor. Bis Juli 1988 war der Kläger tariflich in die Lohngruppe V als angelernter Chemiefacharbeiter eingruppiert, dann nach der Ablösung der Rahmentarifverträge durch den Bundesrahmentarif in die Lohngruppe E 06 als Facharbeiter.
Unter Vorlage eines Befundberichts des Internisten Dr. S. vom 24. Januar 1989 beantragte der Kläger bei der Beklagten am 31. Januar 1989 die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte zog Befundunterlagen des Dr. S. bei (Bericht für den Vertrauensärztlichen Dienst vom 23. Januar 1988, Arztbriefe des Orthopäden Dr. R. vom 22. Dezember 1988, der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. vom 25. November 1988, des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 17. September 1987 und einen Kurentlassungsbericht aus L. vom 25. September 1987). Anschließend veranlaßte die Beklagte zunächst ein orthopädisches Gutachten vom 10. März 1989 des Dr. I., der das Leistungsvermögen des Klägers auf seinem Fachgebiet auf Dauer gemindert sah durch ein lokales Lumbalsyndrom bei Wirbelsäulenfehlhaltung, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, lumbosacraler Assimilationsstörung und geringem Baastrup-Phänomen L 4/5; Cervikalsyndrom bei HWS-Fehlhaltung und leichten degenerativen HWS-Veränderungen; Periathropathia humeroscapularis rechts, geringe Arthrose des rechten Acromioclavikulargelenks. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in den bisherigen Tätigkeiten mittelschwere Arbeiten regelmäßig verrichten. Auszuschließen seien gehäufte Bückarbeiten, länger anhaltende einseitige Körperhaltung im Sinne einer Zwangshaltung, häufiges schweres Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten und häufiges Verrichten von Über-Kopf-Arbeiten. Anschließend erfolgte noch eine psychiatrisch-neurologische Begutachtung durch Dr. T ... Im Gutachten vom 15. Juni 1989, dem ein Arztbrief des Orthopäden Dr. P. vom 14. Februar 1989 beigefügt war, wurde eine neurotische Fehlentwicklung mit ängstlichen Zügen und funktioneller Überlagerung der vermeintlich spondylogenen Symptomatik festgestellt. Bei der neurologischen Untersuchung fiel ein inkonstanter vegetativer Tremor auf. Aus neuropsychiatrischer Sicht wurde der Kläger für fähig gehalten, altersentsprechend schwere körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Dabei dürfe es sich nicht um Arbeiten in Akkord und Nachtschicht oder mit Feinmotorik der Hände handeln. Ausreichende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sei vorhanden. Im weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 8. August 1989 stellte die Medizinaldirektorin W. zusammenfassend die Diagnosen: Fehlhaltung und Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule, leichte Verschleißerscheinungen an einzelnen großen Gelenken, psychosomatische Entwicklungsvariante im Sinne einer neurotisch-ängstlichen Fehlentwicklung und Störung des Farbsehvermögens. Der Kläger könne mittelschwere Lohnarbeiten vollschichtig mit Einschränkungen verrichten. Er sollte nicht in Nacht- und Akkordarbeit eingesetzt werden. Die Arbeiten sollten nicht mit häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten (zumutbar 20 Kilogramm) verbunden sein, keine überwiegend einseitige Körperhaltung oder Über-Kopf-Arbeiten beinhalten. Darauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 24. August 1989 ab.
Der Kläger erhob dagegen am 4. September 1989 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Er übersandte einen Entlassungsbericht vom 16. Februar 1990, einen CT-Befund der LWS vom 29. Dezember 1992 des Radiologen Dr. L., ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin T.-P. D. vom 30. März 1993 und einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes Frankfurt am Main vom 2. April 1993 (Gesamtgrad der Behinderung: 50 %). Schließlich legte er noch den Bescheid der Beklagten vom 9. August 1990 über die Bewilligung von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation vor, der bis zum 31. August 1992 befristet war. Die Beklagte reichte eine Stellungnahme ihres ärztlichen Beraters Dr. H. vom 8. Mai 1990 und einen Versicherungsverlauf vom 28. Juni 1991 zu den Akten. Sie vertrat darüber hinaus die Auffassung, nach den vorliegenden Informationen könne die Qualität der vom Kläger verrichteten Arbeit nicht hinreichend beurteilt werden.
Das Sozialgericht holte Befundberichte ein von dem Urologen Dr. L. vom 4. Oktober 1989, dem Orthopäden Dr. A. vom 29. September 1989, dem Internisten Dr. Sch. vom 31. Oktober 1989 mit Befundunterlagen, dem Nervenarzt Dr. Z. vom 30. November 1989 und dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 25. November 1990. Weiter erhob das Sozialgericht Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Dr. A. vom 31. Juli 1990, eines internistischen Gutachtens vom 12. März 1991 (Abschluß 29. März 1991) des Dr. G. sowie eines nervenärztlichen Gutachtens vom 7. Dezember 1991 des Medizinaldirektors W. M. mit psychologischem Zusatzgutachten vom 10. Dezember 1991 der Frau J.-W ... Der Orthopäde Dr. A. diagnostizierte beim Kläger ein Cervicalsyndrom, Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenkes bei mittelgradigen arthrotischen Veränderungen im Acromioclavikulargelenk; Lumboischialgie bei Hyperlordose und Drehskoliose der Lendenwirbelsäule, Bandscheibenprotrusionen, Spondylosis deformans; Teilsteife beider Hüftgelenke bei initialen arthrotischen Veränderungen; Knick-Senkfüße, Fersensporne links, Dypuytren’sche Kontraktur rechts. Der Kläger könne seit dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung am 11. Juli 1990 nur noch regelmäßig ganztags leichte Arbeiten verrichten. Diese sollten überwiegend im Sitzen (evtl. Spezialstuhl), nicht im Stehen erfolgen, keine Über-Kopf-Arbeiten, keine Hebe- oder Bückarbeiten beinhalten, nicht auf Leitern und Gerüsten erfolgen und nur in geschlossenen, warmen Räumen ausgeführt werden. Der Sachverständige Dr. G. hielt den Kläger ebenfalls für in der Lage, ganztags Arbeiten unter Beachtung der orthopädischerseits gemachten qualitativen Leistungseinschränkungen zu verrichten. Mehr als einfache geistige Arbeiten seien sicherlich nicht zu fordern. Auch sei die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit bei der mehrfach neurologisch bestätigten seelischen Störung sicher sehr gering. Der Medizinaldirektor M. stellte beim Kläger ein "allgemeines psychovegetatives Syndrom” fest, bei dem es sich um eine reaktive Depression handele, die sich überwiegend in einem psychosomatischen Beschwerdebild darstelle, ansonsten in einer Neigung zu depressiven Verstimmungszuständen. Es liege eine niedrige Intelligenz und eine rententendenzielle Fehlhaltung vor. Der Kläger sei in der Lage, regelmäßig vollschichtig zu arbeiten ohne besonderen Zeitdruck, vorwiegend im Sitzen, mit wechselnder Körperhaltung und der Möglichkeit, gelegentlich aufzustehen und kurz hin und her zu gehen, ohne Zwangshaltung, ohne Hebe- und Bückarbeiten, keine Nachtarbeit, nur geistig sehr einfache und anspruchslose Arbeiten, ohne besondere nervliche Belastungen, z.B. auch keine große Lärmbelästigung oder großen Publikumsverkehr, ohne besondere Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit. Zusätzlich seien die in den orthopädischen Vorgutachten angegebenen qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen. Im psychologischen Gutachten wurde eine sehr niedrige Leistungsfähigkeit des Klägers festgestellt, bei dem es sich um einen ungebildeten, einfach strukturierten Menschen handele. Das Leistungsvermögen habe in den letzten 3 Jahren stark abgenommen.
Weiter holte das Sozialgericht Auskünfte über die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers von der Betriebskrankenkasse Höchst vom 7. Januar 1992 ein, eine Arbeitgeberauskunft vom 15. Juni 1992 der Firma H. und zog tarifliche Unterlagen bei. Schließlich veranlaßte es noch eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamts Hessen vom 17. September 1992 zur Frage, welche Tätigkeiten für den Kläger mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch in Betracht kommen. Das Landesarbeitsamt benannte die Tätigkeiten als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie sowie Warensortierer und gab an, daß die genannten Tätigkeiten überwiegend von ungelernten Arbeitskräften ausgeübt würden. Die Einarbeitung- bzw. Einweisungszeit betrage maximal 3 Monate.
Durch Urteil vom 5. Mai 1993 änderte das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 24. August 1989 und verurteilte sie, dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 31. Januar 1989 ab 1. Februar 1989 zu gewähren. Im übrigen wies es die Klage ab. Nach den getroffenen Feststellungen sei der Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Diese seien nicht so vielfältig, daß trotz vollschichtiger Einsatzfähigkeit Erwerbsunfähigkeit vorliege. Der Kläger sei aber berufsunfähig. Ihm stehe qualifizierter Berufsschutz als Facharbeiter zu. Dies ergebe sich aus seiner tariflichen Einstufung durch seinen letzten Arbeitgeber. Für das Gericht sei nicht erkennbar, daß diese tarifliche Einstufung auf qualitätsfremden Merkmalen beruhe. Als Facharbeiter brauche sich der Kläger aber auf die für ihn nach der eingeholten Auskunft des Landesarbeitsamtes noch in Betracht kommenden Tätigkeiten zumutbar nicht verweisen zu lassen. Schließlich habe der Kläger auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und die Berufsunfähigkeitsrente sei auch auf unbestimmte Dauer zu gewähren.
Gegen das ihr am 16. August 1993 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. September 1993 Berufung eingelegt; der Kläger hat gegen das ihm am 12. August 1993 zugestellte Urteil am 30. September 1993 (unselbständige) Anschlußberufung eingelegt.
Die Beklagte meint, dem Kläger stehe kein Berufsschutz als Facharbeiter zu. Die vorhandenen Zweifel müßten durch die Einholung eines berufskundlichen Gutachtens geklärt werden. Die vom Kläger selbst beschriebene ausgeübte Tätigkeit habe nicht dem Berufsbild eines Chemiekanten entsprochen. Im übrigen habe bei der H. AG eine Betriebsvereinbarung über ein Entgeltsystem bestanden, das eine erheblich über Tarif liegende Bezahlung vorgesehen habe. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte Auszüge aus der Zeitschrift "Der Spiegel” 23/1994 sowie 28/1994 vorgelegt. Diese belegten, daß die tarifliche Entlohnung, hier als Facharbeiter, auf qualitätsfremden Gründen beruht habe und deswegen auch keinen Facharbeiterstatus begründen könne, wenn die praktischen Fähigkeiten und theoretischen Kenntnisse des Klägers doch nicht einem ausgebildeten Chemiefacharbeiter entsprochen hätten. Weiter hat die Beklagte prüfärztliche Stellungnahmen ihres ärztlichen Beraters Dr. H. vom 17. Februar 1994 und 20. April 1995 übersandt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1993 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie die Anschlußberufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlußberufung das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1993 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. August 1989 zu verurteilen, ihm auf der Grundlage eines Versicherungsfalles vom 31. Januar 1989 ab 1. Februar 1989 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Außerdem hat der Kläger
hilfsweise beantragt,
ein psychologisches Gutachten über seine Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit einzuholen, ein arbeitsmedizinisches Gutachten darüber einzuholen, ob er die vom Landesarbeitsamt Hessen in dem Schreiben vom 13.03.1995 vorgeschlagenen Tätigkeiten noch verrichten kann, eine Auskunft vom früheren Arbeitgeber, der Firma F. H. AG, darüber einzuholen, weshalb eine Umsetzung auf einen leichteren Arbeitsplatz, z.B. als Warensortierer, Versandfertigmacher oder Warenaufmacher bei der Firma H. nicht möglich war, beim Landesarbeitsamt Hessen eine Stellungnahme darüber einzuholen, wie viel freie Arbeitsplätze als Montierer, Warenaufmacher/Versandfertigmacher und Warensortierer seit 1989 im Bezirk des Landesarbeitsamtes Hessen gemeldet waren.
Der Kläger vertritt in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht die Auffassung, als Facharbeiter stehe ihm Berufsschutz zu. Dies habe der Arbeitgeber bestätigt. Darauf komme es aber letztlich nicht an, denn er sei wegen seiner vielfältigen Leistungsbeeinträchtigungen unter den üblichen Arbeitsbedingungen nicht mehr einsetzbar. Außerdem sei er auch psychisch angeschlagen. Es fehle an der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit für Arbeiten, wie sie die Beklagte oder das Landesarbeitsamt vorgeschlagen hätten, soweit die Arbeiten ihn ohnehin nicht schon gesundheitlich überforderten. Der Kläger hat einen Arztbrief des Internisten Dr. W. vom 16. Februar 1995 übersandt und sich auf eine psychologische Stellungnahme vom 2. Mai 1994 der Frau M. N. berufen.
Der Senat hat Befundberichte eingeholt von dem Arzt für Allgemeinmedizin D. vom 4. November 1993 mit Befundunterlagen, dem Arzt für Psychiatrie W. vom 16. November 1993 und dem Orthopäden Dr. B. vom 6. Dezember 1993. Weiter wurden Arbeitgeberauskünfte der Firma H. vom 25. Januar 1994, 31. Juli 1995 und 23. August 1995 eingeholt sowie die Personalakte des Klägers beigezogen. Außerdem hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines fachinternistischen Gutachtens vom 16. September 1994 des Dr. S. und eines nervenärztlichen Gutachtens vom 22. August 1994 des Dr. B ... Nervenärztlich wurden nach neurologischer, psychiatrischer und psychologischer Untersuchung eine depressive Entwicklung mit psychovegetativer Symptomatik bei konversionsneurotischer Persönlichkeitsstruktur festgestellt und ferner der Verdacht auf eine diskrete Innenohrschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich geäußert. Diesen Leiden komme ein gewisser erwerbsmindernder Dauereinfluß zu. Der Kläger sei aber in der Lage, regelmäßig ganztags Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, aber nicht mehr als Chemiekant. Nach Möglichkeit sollte er nur solche Tätigkeiten übernehmen müssen, die im steten Wechsel zwischen Gehen, Sitzen und Stehen auszuführen seien. Er sollte also eine wechselnde Körperhaltung bei der Verrichtung seiner Arbeit einnehmen dürfen. Zwangshaltungen seien zu vermeiden, ebenso Über-Kopf-Arbeiten. Einem besonderen Zeitdruck sei er nicht gewachsen, ebensowenig Schicht- oder Nachtarbeit. Nach Möglichkeit sollten ihm Arbeiten geistig einfacher Art anvertraut werden. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit mindestens 3 Monaten vor seiner Rentenantragstellung am 31. Januar 1989. Der Sachverständige Dr. S. hat auf seinem Fachgebiet eine wenig ausgeprägte chronische Emphysembronchitis bei Rauchgewohnheit, eine wenig enzymaktive Fettleber, eine Überhöhung von Cholesterin und Triglyzeriden im Blutserum sowie eine Neigung zu Magenschleimhautentzündung festgestellt. Der Kläger könne zwar nicht mehr als Chemiekant, wohl aber auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt regelmäßig ganztags vollschichtig leichte körperliche Arbeiten verrichten. Die Arbeiten sollten im steten Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen durchgeführt werden. Zwangshaltungen sowie überwiegende Über-Kopf-Arbeiten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sowie Schicht- und Nachtschichtarbeit seien zu vermeiden. Arbeiten mit erhöhter Verantwortung seien gleichfalls nicht übertragbar. Schließlich seien auch Arbeiten unter Einwirkung vermehrter Belastung mit Gasen, Stäuben, Dämpfen sowie unter Einwirkung von Nässe nicht geeignet. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit mindestens 3 Monaten vor der Rentenantragstellung. Eine weitere Begutachtung sei nicht erforderlich. Funktionsbeeinträchtigungen, die sich auf dem orthopädischen Fachgebiet ergäben, habe Dr. B. nachvollziehbar eingeschlossen. Nach Vorlage des Arztbriefs vom 16. Februar 1995 des Internisten Dr. W. durch den Kläger wurden die Sachverständigen Dr. B. (Bericht vom 29. März 1995) und Dr. S. (Kurzgutachten vom 14. April 1995) ergänzend gehört. Schließlich hat der Senat beim Landesarbeitsamt Hessen eine berufskundliche Stellungnahme vom 13. März 1995 zu möglichen Verweisungstätigkeiten für den Kläger eingeholt. Das Landesarbeitsamt hat Tätigkeiten benannt als Montierer in der Metall- und Elektroindustrie, Warenaufmacher/Versandfertigmacher und Warensortierer. Es handele sich dabei um ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich sei und für die eine entsprechende Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit von maximal drei Monaten Dauer erforderlich sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist sachlich begründet; die – unselbständige – Anschlußberufung des Klägers ist sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht entschieden, daß dem Kläger Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zusteht. Der Anspruch auf diese Rente richtet sich noch nach § 1246 Reichsversicherungsordnung (RVO), denn der Rentenantrag ist bereits im Januar 1989 gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs. 2 des VI. Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI).
Der Kläger ist nicht berufsunfähig. Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs. 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Dabei umfaßt der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zugunsten des Klägers nicht erfüllt; ebensowenig die noch weitergehenden Voraussetzungen für die Annahme von Erwerbsunfähigkeit gemäß § 1247 Abs. 2 RVO.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat folgt, der bisherige Beruf des Versicherten, von dessen qualitativem Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar noch verwiesen werden kann (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 107, 169). In der Regel ist dies die letzte Versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch nur bei kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).
"Bisheriger Beruf” des Klägers ist die von ihm bis 1987 ausgeübte Tätigkeit eines Fahrers von Kesselansätzen (Betriebsfachwerker) bei der Firma H. AG. Zu dieser Tätigkeit zählten u.a. die Steuerung und Überwachung der Betriebsanlage, das Kontrollieren von Meßwerten und die Reinigung der Anlage. Diese seit 1973 ausgeübte Tätigkeit konnte der Kläger ab 1987 wegen physischer und psychischer Erkrankungen nicht mehr ausführen. Die Anfang 1988 erfolgte Umsetzung ins Labor hat den "bisherigen Beruf” des Klägers nicht verändert, denn er konnte diesen Arbeitsplatz gesundheitsbedingt nicht ausfüllen, und er war dann seit September 1988 ununterbrochen krank. Für diese Feststellung stützt sich der Senat auf die Arbeitgeberauskunft vom 31. Juli 1995. Aus der weiteren Arbeitgeberauskunft vom 23. August 1995 ergibt sich die tarifliche Eingruppierung des Klägers, der bis zur Änderung der Tarifstruktur Anfang Juli 1988 als angelernter Chemiefacharbeiter eingestuft und danach als Chemiefacharbeiter nach der neu geschaffenen Leistungsgruppe E 06 wegen seiner langjährigen Tätigkeit im selben Betrieb bezahlt wurde. Aus dieser Höhergruppierung kann der Kläger aber keinen Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ableiten. Zwar stellt die tarifliche Eingruppierung eines Versicherten durch den Arbeitgeber ein Indiz für die Wertigkeit der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit dar (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14 S. 55 f.). Dieses Indiz ist aber widerlegbar und zur Überzeugung des Senats vorliegend auch für die Zeit nach Juli 1988 widerlegt. Aus den Arbeitgeberauskünften und der Personalakte ergibt sich, daß die – gesundheitsbedingte – Umsetzung des Klägers Anfang 1988 ins Labor wegen des bei ihm bestehenden Krankheitsbildes erfolglos war, wie auch die seit September 1988 bestehende fortlaufende Arbeitsunfähigkeit belegt. Die langjährige Betriebszugehörigkeit ist in diesem Zusammenhang allein kein Qualitätsmerkmal, das zur Einstufung als Facharbeiter (i.S. der Rechtsprechung des BSG) führt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Kläger auf der Grundlage des festgestellten "bisherigen Berufs” den Versicherten zuzuordnen, deren bisherige Beruf zum oberen Bereich der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters gehört.
Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand des Klägers ist sein Leistungsvermögen herabgesetzt. Er kann nur noch leichte körperliche Arbeiten durchführen. Dabei sind besondere qualitative Leistungseinschränkungen zu beachten. Die Arbeiten sollen steten Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen beinhalten. Zwangshaltungen sowie überwiegende Über-Kopf-Arbeiten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sowie Schicht- und Nachtarbeiten sind zu vermeiden, Arbeiten mit erhöhter Verantwortung sind nicht übertragbar. Schließlich sind auch Arbeiten unter Einwirkung vermehrter Belastung mit Gasen, Stäuben, Dämpfen sowie unter Einwirkung von Nässe nicht geeignet. Diese Feststellung gründet sich auf das fachinternistische Gutachten des Dr. S. vom 16. September 1994. Der Sachverständige hat ausweislich dieses Gutachtens den Kläger untersucht, die Akten ausgewertet und bei der arbeitsmedizinischen Beurteilung insbesondere das nervenärztliche Zusatzgutachten des Dr. B. vom 22. August 1994 mitberücksichtigt. Die festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen lassen sich plausibel aus den von den Sachverständigen Dr. S. und Dr. B. vorgefundenen Gesundheitsstörungen ableiten. Der Senat hat keine Zweifel an der Überzeugungskraft dieser Gutachten. Der später vom Kläger vorgelegte Arztbrief des Internisten Dr. W. vom 16. Februar 1995 hat ausweislich der ergänzenden fachärztlichen Stellungnahmen des Dr. B. vom 29. März 1995 und des Dr. S. vom 14. April 1995 zu keiner Änderung in der Leistungsbeurteilung durch die Sachverständigen geführt. Dabei hat der Sachverständige Dr. B. unmißverständlich darauf hingewiesen, daß die Beschwerdesymptomatik, des Klägers durch ganz erhebliche Aggravationstendenzen überlagert ist. Schon der Medizinaldirektor M. hatte in seinem Gutachten vom 7. Dezember 1991 von einer tendenziellen Fehlhaltung gesprochen.
Mit den eingeholten Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen sieht der Senat das Leistungsvermögen des Klägers als geklärt an und hält eine weitere Begutachtung nicht mehr für erforderlich. Dies hat der Sachverständige Dr. S. auf ausdrückliches Befragen bestätigt. Der Sachverständige Dr. B. hat im Rahmen seines Gutachtens den Kläger neurologisch, technisch, psychiatrisch, psychologisch und – zumindest ansatzweise – tiefenpsychologisch unter zusätzlicher Beteiligung durch einen Diplompsychologen untersucht. In das Gutachten ist die Stellungnahme der behandelnden Dipl.-Psych. M. N. vom 2. Mai 1994 eingeflossen. Für die von dem im Jahre 1948 geborenen Kläger beantragte Einholung eines psychologischen Gutachtens über seine Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestand daher für den Senat keine Veranlassung mehr, gleiches gilt auch für die außerdem beantragte Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens, denn mit dem ausführlichen Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 16. September 1994 liegt ein solches Gutachten bereits vor. Eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers mit Auswirkung auf sein Leistungsvermögen ist auch nicht dokumentiert.
Das festgestellte Leistungsvermögen des Klägers reicht nicht mehr aus, um den bisherigen Beruf auszuüben. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 17. September 1992 und dem Sachverständigengutachten des Dr. S. vom 16. September 1994. Damit liegt aber noch keine Berufsunfähigkeit vor, sondern es stellt sich die Frage nach zumutbaren Verweisungstätigkeiten, die für den Kläger noch in Betracht kommen. Da der Kläger als Angelernter im oberen Bereich einzustufen ist, kann er nicht schlechthin auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden. Es scheiden ungelernte Tätigkeiten von ganz geringem qualitativem Wert aus. Die zumutbaren Verweisungstätigkeiten müssen sich durch Qualitätsmerkmale, z.B. das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher und betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl. dazu BSG Urteil vom 29. März 1994 – Az.: 13 RJ 35/93).
Die dem Senat vom Landesarbeitsamt Hessen in der Auskunft vom 13. März 1995 genannten Tätigkeiten erfüllen diese Voraussetzungen, so daß Berufsunfähigkeit des Klägers nicht festgestellt werden kann. Es handelt sich bei den benannten Tätigkeiten als Montierer in der Metallindustrie, Warenaufmacher und Warensortierer zwar um ungelernte Tätigkeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist. Die Tätigkeiten benötigen aber zur ihrer Ausübung besondere Einarbeitungs- und Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer und weisen damit die erforderliche Qualität auf, um als sozial zumutbar angesehen zu werden. Dabei ist berücksichtigt, daß auch der frühere Tätigkeitsbereich des Klägers als Fahrer von Kesselansätzen u.a. die Überwachung der Anlage und die Meßwertkontrolle beinhaltete. Der Senat hat keine Bedenken, der Auskunft des Landesarbeitsamtes vom 13. März 1995 zu folgen, denn es handelt sich dabei um die für die Arbeitsvermittlung zuständige Fachbehörde. Der vom Kläger hilfsweise beantragten Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Landesarbeitsamtes zur Frage offener Stellen im Bezirk Hessen bedurfte es nicht, denn es kommt auf die Verhältnisse im gesamten Bundesgebiet an. Dazu hat das Landesarbeitsamt bereits ausgeführt, daß die von ihm für den Kläger genannten Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebiets in nennenswertem Umfang zur Verfügung stehen. Für eine Beweiserhebung, weshalb dem früheren Arbeitgeber, der Fa. H., die Umsetzung des Klägers auf einen leichteren Arbeitsplatz nicht möglich war, bestand ebenfalls keine Veranlassung, denn dies ist für den Rechtsstreit nicht erheblich.
Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Auf der Grundlage des vom Senat festgestellten gesundheitlichen Leistungsvermögens kann er noch vollschichtig bei Beachtung zusätzlicher qualitativer Leistungseinschränkungen arbeiten. Das Finden eines geeigneten Arbeitsplatzes ist ein Risiko, das nicht in den Bereich der Rentenversicherung fällt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.
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