Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 299/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 276/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1927 in Q in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Rentenantrag von 1995, gestützt auf vermeintliche Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung aufgrund Tätigkeiten in einem DP-Lager in Kassel, blieb ohne Erfolg und wurde mit inzwischen bestandskräftigen Bescheiden vom 05.09.1997 und 19.03.1999 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgelehnt. Eine nachfolgende Klage wurde zurückgenommen (Bl. 145, 184 der Rentenakte).
Die Klägerin beantragte am 17.03.2003 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, zwar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben; sie habe aber von September 1941 bis September 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Wilno (Litauen) in einer Schneiderei innerhalb des Ghettos gearbeitet; dort habe sie Tätigkeiten im Schneiderressort wie Saum-Arbeiten und Knöpfe Annähen verrichtet. Über diese Arbeit sei sie sehr froh gewesen, weil die Arbeit sie vor Deportation geschützt habe. Sie habe 8 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Gutscheine, ausgestellt vom Judenrat, täglich ein Mittagessen, aber keinen Barlohn. Damit habe sie auch zum Unterhalt der Familie beitragen können (Bl. 188, 246 f der Verwaltungsakte). Gegenüber dem Entschädigungsfond der deutschen Wirtschaft habe sie auch Ansprüche geltend gemacht. Im September 1943 sei dann das Ghetto liquidiert worden und sie dann in das Zwangsarbeitslager HKP in einem Vorort von Wilno überführt worden. Dort sei sie dann verblieben bis zur Befreiung des Gebietes im Juli 1944. Nach Kriegsende sei sie nach Deutschland gekommen, in das DP-Lager Hasenhecke bei Kassel, und dort bis zur Auswanderung nach Israel (April 1948) geblieben. Eine Zeugenerklärung ihrer Schwester T wurde beigefügt, Bl. 248 der Akte.
Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge über die Klägerin nach dem BEG von dem Regierungspräsidium Darmstadt bei (Bl. 195 ff, 214 ff, 216 Rückseite der Verwaltungsakte), wie auch Auszüge aus der Rentenakte der Schwester T1 (Bl. 254 ff der Rentenakte der Beklagten).
Mit Bescheid vom 27.07.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Gegen eine freiwillige Beschäftigung spreche, dass die Klägerin früher angegeben habe, dass es während der Arbeit in der Schneiderei Aufseher gegeben habe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 07.08.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, die Beklagte interpretiere die früheren Angaben zu "Aufsehern" falsch. Gemeint gewesen seien nicht NS-Aufseher als Bewacher, sondern nur Aufseher zur fachlichen Überprüfung, also zum Beispiel ein Schneidermeister. Eine eidesstattliche Versicherung wurde eingereicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte noch ergänzend aus, dass auch nach Auffassung des 4. Senats des LSG NRW im Urteil vom 13.01.2006 (L 4 RJ 113/03) davon auszugehen sei, dass nach Anordnungen des Gebietskommissars für die Stadt Wilna ein freiwilliger Einsatz von jüdischen Arbeitskräften nicht mehr möglich gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 27.11.2006 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Eine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne sei nicht ausgeübt worden; eine Bewachung habe in der Schneiderei nicht stattgefunden. Allein das Bestehen einer generellen Arbeitsverpflichtung für Juden in Wilna begründe noch keine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne. Außerdem habe sie für ihre Tätigkeit im Schneiderressort Gutscheine erhalten, die einer geldwerten Bezahlung gleichgestanden hätten. Sie hätte für den gesamten Bedarf eintauschen können für alle Arten von Artikeln. Das entspreche dem Begriff des Entgelts. Außerdem habe ihre Entlohnung der Versicherungspflicht unterlegen. Auf den deutschen Sprach- und Kulturkreis komme es nicht mehr an. Im übrigen schlossen Leistungen durch die Claims Conference nach Art. 2 des Hardship-Fund andere Ansprüche aus der Sozialversicherung nicht aus. Das habe bisher auch die Beklagte so gesehen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Wilno von September 1941 bis September 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträgen eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und vertieft diese mit Schriftsatz vom 11.12.2006.
Das Gericht hat Auskünfte und Unterlagen von der Claims Conference beigezogen. Diese teilt mit, unter Beifügung eines Entschädigungsantrages vom 15.04.2001 der Klägerin an die Stiftung: " ...teilen wir Ihnen mit, dass Frau T2 von uns eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Wilno in den Jahren 1941 bis 1943 erhalten hat ...".
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 27.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006, sind jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen.
Die Klägerin hat hier gegen die Beklagte nämlich schon allein deshalb keinen Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften den SGB VI in Verbindung mit eventuellen Beitragszeiten in Wilno nach den Vorschriften des ZRBG oder den Vorschriften des FRG, weil der Geltendmachung einer Rentenleistung aus der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung entgegensteht, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto Wilno bereits entschädigt wurde, und zwar nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). § 16 dieses Gesetzes besagt in Absatz 1 Satz 1 und 2: "Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen". Diese Vorschriften schließen also hier, da die Klägerin bereits Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten hat für Zeiten im Ghetto Wilno für die Zeit von 1941 bis 1943, weitere Ansprüche aus Tatbeständen im Zusammenhang mit der Verfolgung im Ghetto Wilno aus. Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung enthält bzw. ausschließt. Dieser Leistungsausschluss hätte nämlich praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn nach § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Durch diesen Absatz 3 können nur weitere Ansprüche fortbestehen, die nicht auf die Verfolgung bzw. den Aufenthalt im Ghetto Wilno gestützt werden. Dass § 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 EVZStiftG auch etwaige Rentenansprüche im Zusammenhang mit Verfolgung im Ghetto ausschließen, kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht wurden. Ist die Klägerin somit wie hier gerade aufgrund ihres Antrages vom 15.04.2001 nach dem Stiftungsgesetz für ihr Verfolgungsschicksal bzw. für damit gegebenenfalls verbundene Tätigkeit im Ghetto Wilno auch wegen etwaiger Arbeiten entschädigt worden, die als Zwangsarbeiten nach dem EVZStiftG qualifiziert wurden (gleich ob dies richtig war oder nicht), so hat dies den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI bzw. FRG zur Folge). Dass die Klägerin für ihren Aufenthalt bzw. etwaige Tätigkeit im Ghetto Wilno aus dem Fond als ehemalige Sklaven- bzw. Zwangsarbeiterin für die Zeit von 1941 bis 1943 entschädigt wurde, lässt sich der Auskunft der Claims Conference vom 06.08.2007 entnehmen, denn die Klägerin ist gerade für ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Wilno in diesem Zeitraum aus diesem Fond nach dem Stiftungsgesetz entschädigt worden. Soweit mit Schriftsatz vom 14.08.2007 klägerischerseits darauf hingewiesen wird, Entschädigungsleistungen nach dem BEG würden Rentenansprüche nicht ausschließen, geht diese Argumentation fehl; denn hier sind nicht etwaige Ansprüche und Leistungen nach dem BEG oder Entschädigungsleistungen nach Artikel 2 des Hardship-Fund Grund für den von der Kammer angenommenen Leistungsausschluss, sondern Entschädigungsleistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Im übrigen können sich hier Ansprüche außerhalb des ZRBG für die Klägerin auch nicht nach Vorschriften der §§ 15, 16, 17 a FRG in Verbindung mit Vorschriften des WGSVG ergeben; denn die Klägerin gehörte nach ihren Angaben im Rentenantrag nicht zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, sodass nach § 17 a FRG das Fremdrentengesetz schon nicht anwendbar ist, da es hier um Tatbestände in Wilno außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze geht. Im übrigen ergeben sich für Zeiträume nach September 1943 Rentenansprüche nach dem ZRBG schon allein deshalb nicht, weil nach diesem Zeitpunkt das Ghetto liquidiert wurde, also etwaige Arbeit im HKP nicht mehr Tätigkeit im Zusammenhang mit einem Ghetto-Aufenthalt darstellen konnte.
Auch aus anderen Tatbeständen wie zum Beispiel früher geltend gemachtem Aufenthalt in einem DP-Lager in Kassel ergibt sich keine für die Klägerin günstigere Beurteilung; denn mit den nach § 77 SGG bestandskräftig gewordenen Bescheiden der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 05.09.1997 und 19.03.1999 sind auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung auch nicht durch Aufenthaltszeiten in einem DP-Lager begründet worden.
Damit kann dahin stehen, ob die Klägerin anlässlich Aufenthalt im Ghetto von Wilno Tätigkeiten verrichtete, die materiell-rechtlich auch als entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu werten gewesen wären; gleich ob man das Urteil des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) heranzieht oder das dem widersprechende Urteil des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R), mit dem der 4. Senat des Bundessozialgerichts zur Überraschung der Richter des Sozialgerichts Düsseldorf davon abgesehen hat, zuvor den 13. Senat des Bundessozialgerichts anzurufen oder aber den Großen Senat des Bundessozialgerichts, was der Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung positiv gedient hätte. Mit dem etwaigen Ausschluss von Rentenleistung aus der deutschen Rentenversicherung durch § 16 EVZStiftG haben sich aber jedenfalls bisher weder der 4. noch der 13. Senat des Bundessozialgerichts auseinandergesetzt.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage von § 16 EVZStiftG keine Möglichkeit, dem geltend Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG bzw. das SGB VI wie auch das FRG und das EVZStiftG geben hier weitergehende Ansprüche für die Klägerin nicht her.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1927 in Q in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Rentenantrag von 1995, gestützt auf vermeintliche Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung aufgrund Tätigkeiten in einem DP-Lager in Kassel, blieb ohne Erfolg und wurde mit inzwischen bestandskräftigen Bescheiden vom 05.09.1997 und 19.03.1999 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgelehnt. Eine nachfolgende Klage wurde zurückgenommen (Bl. 145, 184 der Rentenakte).
Die Klägerin beantragte am 17.03.2003 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, zwar nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben; sie habe aber von September 1941 bis September 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Wilno (Litauen) in einer Schneiderei innerhalb des Ghettos gearbeitet; dort habe sie Tätigkeiten im Schneiderressort wie Saum-Arbeiten und Knöpfe Annähen verrichtet. Über diese Arbeit sei sie sehr froh gewesen, weil die Arbeit sie vor Deportation geschützt habe. Sie habe 8 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Gutscheine, ausgestellt vom Judenrat, täglich ein Mittagessen, aber keinen Barlohn. Damit habe sie auch zum Unterhalt der Familie beitragen können (Bl. 188, 246 f der Verwaltungsakte). Gegenüber dem Entschädigungsfond der deutschen Wirtschaft habe sie auch Ansprüche geltend gemacht. Im September 1943 sei dann das Ghetto liquidiert worden und sie dann in das Zwangsarbeitslager HKP in einem Vorort von Wilno überführt worden. Dort sei sie dann verblieben bis zur Befreiung des Gebietes im Juli 1944. Nach Kriegsende sei sie nach Deutschland gekommen, in das DP-Lager Hasenhecke bei Kassel, und dort bis zur Auswanderung nach Israel (April 1948) geblieben. Eine Zeugenerklärung ihrer Schwester T wurde beigefügt, Bl. 248 der Akte.
Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge über die Klägerin nach dem BEG von dem Regierungspräsidium Darmstadt bei (Bl. 195 ff, 214 ff, 216 Rückseite der Verwaltungsakte), wie auch Auszüge aus der Rentenakte der Schwester T1 (Bl. 254 ff der Rentenakte der Beklagten).
Mit Bescheid vom 27.07.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Gegen eine freiwillige Beschäftigung spreche, dass die Klägerin früher angegeben habe, dass es während der Arbeit in der Schneiderei Aufseher gegeben habe.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 07.08.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, die Beklagte interpretiere die früheren Angaben zu "Aufsehern" falsch. Gemeint gewesen seien nicht NS-Aufseher als Bewacher, sondern nur Aufseher zur fachlichen Überprüfung, also zum Beispiel ein Schneidermeister. Eine eidesstattliche Versicherung wurde eingereicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte noch ergänzend aus, dass auch nach Auffassung des 4. Senats des LSG NRW im Urteil vom 13.01.2006 (L 4 RJ 113/03) davon auszugehen sei, dass nach Anordnungen des Gebietskommissars für die Stadt Wilna ein freiwilliger Einsatz von jüdischen Arbeitskräften nicht mehr möglich gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 27.11.2006 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Eine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne sei nicht ausgeübt worden; eine Bewachung habe in der Schneiderei nicht stattgefunden. Allein das Bestehen einer generellen Arbeitsverpflichtung für Juden in Wilna begründe noch keine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne. Außerdem habe sie für ihre Tätigkeit im Schneiderressort Gutscheine erhalten, die einer geldwerten Bezahlung gleichgestanden hätten. Sie hätte für den gesamten Bedarf eintauschen können für alle Arten von Artikeln. Das entspreche dem Begriff des Entgelts. Außerdem habe ihre Entlohnung der Versicherungspflicht unterlegen. Auf den deutschen Sprach- und Kulturkreis komme es nicht mehr an. Im übrigen schlossen Leistungen durch die Claims Conference nach Art. 2 des Hardship-Fund andere Ansprüche aus der Sozialversicherung nicht aus. Das habe bisher auch die Beklagte so gesehen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Wilno von September 1941 bis September 1943 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträgen eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und vertieft diese mit Schriftsatz vom 11.12.2006.
Das Gericht hat Auskünfte und Unterlagen von der Claims Conference beigezogen. Diese teilt mit, unter Beifügung eines Entschädigungsantrages vom 15.04.2001 der Klägerin an die Stiftung: " ...teilen wir Ihnen mit, dass Frau T2 von uns eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Wilno in den Jahren 1941 bis 1943 erhalten hat ...".
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 27.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006, sind jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Rente aus der deutschen Rentenversicherung abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen.
Die Klägerin hat hier gegen die Beklagte nämlich schon allein deshalb keinen Anspruch auf eine Rente nach den Vorschriften den SGB VI in Verbindung mit eventuellen Beitragszeiten in Wilno nach den Vorschriften des ZRBG oder den Vorschriften des FRG, weil der Geltendmachung einer Rentenleistung aus der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung entgegensteht, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto Wilno bereits entschädigt wurde, und zwar nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). § 16 dieses Gesetzes besagt in Absatz 1 Satz 1 und 2: "Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen". Diese Vorschriften schließen also hier, da die Klägerin bereits Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten hat für Zeiten im Ghetto Wilno für die Zeit von 1941 bis 1943, weitere Ansprüche aus Tatbeständen im Zusammenhang mit der Verfolgung im Ghetto Wilno aus. Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung enthält bzw. ausschließt. Dieser Leistungsausschluss hätte nämlich praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn nach § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Durch diesen Absatz 3 können nur weitere Ansprüche fortbestehen, die nicht auf die Verfolgung bzw. den Aufenthalt im Ghetto Wilno gestützt werden. Dass § 16 Abs. 1 Satz 1 und 2 EVZStiftG auch etwaige Rentenansprüche im Zusammenhang mit Verfolgung im Ghetto ausschließen, kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht wurden. Ist die Klägerin somit wie hier gerade aufgrund ihres Antrages vom 15.04.2001 nach dem Stiftungsgesetz für ihr Verfolgungsschicksal bzw. für damit gegebenenfalls verbundene Tätigkeit im Ghetto Wilno auch wegen etwaiger Arbeiten entschädigt worden, die als Zwangsarbeiten nach dem EVZStiftG qualifiziert wurden (gleich ob dies richtig war oder nicht), so hat dies den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI bzw. FRG zur Folge). Dass die Klägerin für ihren Aufenthalt bzw. etwaige Tätigkeit im Ghetto Wilno aus dem Fond als ehemalige Sklaven- bzw. Zwangsarbeiterin für die Zeit von 1941 bis 1943 entschädigt wurde, lässt sich der Auskunft der Claims Conference vom 06.08.2007 entnehmen, denn die Klägerin ist gerade für ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Wilno in diesem Zeitraum aus diesem Fond nach dem Stiftungsgesetz entschädigt worden. Soweit mit Schriftsatz vom 14.08.2007 klägerischerseits darauf hingewiesen wird, Entschädigungsleistungen nach dem BEG würden Rentenansprüche nicht ausschließen, geht diese Argumentation fehl; denn hier sind nicht etwaige Ansprüche und Leistungen nach dem BEG oder Entschädigungsleistungen nach Artikel 2 des Hardship-Fund Grund für den von der Kammer angenommenen Leistungsausschluss, sondern Entschädigungsleistungen nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Im übrigen können sich hier Ansprüche außerhalb des ZRBG für die Klägerin auch nicht nach Vorschriften der §§ 15, 16, 17 a FRG in Verbindung mit Vorschriften des WGSVG ergeben; denn die Klägerin gehörte nach ihren Angaben im Rentenantrag nicht zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, sodass nach § 17 a FRG das Fremdrentengesetz schon nicht anwendbar ist, da es hier um Tatbestände in Wilno außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze geht. Im übrigen ergeben sich für Zeiträume nach September 1943 Rentenansprüche nach dem ZRBG schon allein deshalb nicht, weil nach diesem Zeitpunkt das Ghetto liquidiert wurde, also etwaige Arbeit im HKP nicht mehr Tätigkeit im Zusammenhang mit einem Ghetto-Aufenthalt darstellen konnte.
Auch aus anderen Tatbeständen wie zum Beispiel früher geltend gemachtem Aufenthalt in einem DP-Lager in Kassel ergibt sich keine für die Klägerin günstigere Beurteilung; denn mit den nach § 77 SGG bestandskräftig gewordenen Bescheiden der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 05.09.1997 und 19.03.1999 sind auf die Wartezeit anrechenbare Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung auch nicht durch Aufenthaltszeiten in einem DP-Lager begründet worden.
Damit kann dahin stehen, ob die Klägerin anlässlich Aufenthalt im Ghetto von Wilno Tätigkeiten verrichtete, die materiell-rechtlich auch als entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu werten gewesen wären; gleich ob man das Urteil des BSG vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) heranzieht oder das dem widersprechende Urteil des 4. Senats des BSG vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R), mit dem der 4. Senat des Bundessozialgerichts zur Überraschung der Richter des Sozialgerichts Düsseldorf davon abgesehen hat, zuvor den 13. Senat des Bundessozialgerichts anzurufen oder aber den Großen Senat des Bundessozialgerichts, was der Rechtsfortbildung und Rechtsvereinheitlichung positiv gedient hätte. Mit dem etwaigen Ausschluss von Rentenleistung aus der deutschen Rentenversicherung durch § 16 EVZStiftG haben sich aber jedenfalls bisher weder der 4. noch der 13. Senat des Bundessozialgerichts auseinandergesetzt.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage von § 16 EVZStiftG keine Möglichkeit, dem geltend Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG bzw. das SGB VI wie auch das FRG und das EVZStiftG geben hier weitergehende Ansprüche für die Klägerin nicht her.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
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