L 6 R 419/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 4323/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 419/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. April 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien steiten um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit oder Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Die Klägerin ist 1943 geboren und erhält seit Mai 2006 Altersrente.

Sie verfügt über eine dreijährige abgeschlossene Ausbildung zur Industriekauffrau, daneben über Fortbildungen als Sekretärin und nach ihren eigenen Angaben auch als Geschäftsführerin. Sie war von 1983 bis 1989 Geschäftsführerin eines Unternehmens zum Vertrieb von Präzisionswerkzeugen. Diese Tätigkeit beendete sie wegen Auflösung des Unternehmens. In einem 1990 neu gegründeten Unternehmen mit demselben Tätigkeitsbereich war sie wiederum Geschäftsführerin bis 31.12.1992. Weitere versicherungspflichtige Tätigkeiten hat die Klägerin nicht mehr ausgeübt, sie war arbeitslos gemeldet.

Nach einem im Jahre 1994 erfolglos gebliebenen Rentenverfahren stellte die Klägerin am 08.08.2000 einen weiteren Rentenantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 28.11.2000 ablehnte, weil die Klägerin als Geschäftsführerin und Industriekauffrau noch vollschichtig arbeiten könne. Grundlage war eine entsprechende Einschätzung durch den als Sachverständigen gehörten Orthopäden Dr.W ... Im Widerspruchsverfahren wurden der Neurologe und Psychiater Dr.H. und erneut Dr.W. als Sachverständige gehört. Sie kamen jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte wies deshalb den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2002 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht München ein Gutachten des Orthopäden Dr.K. vom 30.11.2002 eingeholt. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine Osteopenie der Wirbelsäule mit Lendenwirbelsäulenskoliose, einen Bandscheibenprolaps, eine Teilinsuffizienz der Rückenstreckmuskulatur, eine Rhizarthrose und Fingerpolyarthrose, eine Enthesiopathie in Becken und Schultergürtel, Genua vara, Verformungen beider Vorfüße und einen Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom festgestellt. Die Klägerin könne noch vollschichtig leichte Tätigkeiten aus wechselnden Körperlagen verrichten, jedoch nicht mehr dauernde Tätigkeiten an Büromaschinen und am Bildschirm. Bei überwiegend sitzender Tätigkeit vorwiegend am PC sei das Leistungsvermögen nur halb- bis unter vollschichtig. Das Krankheitsbild sei chronisch und damit ohne Aussicht auf Besserung in absehbarer Zeit.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Sozialgericht den Orthopäden Dr.L. als Sachverständigen gehört. Dieser ist in seinem Gutachten vom 09.05.2003 zu keinen wesentlich unterschiedlichen Diagnosen gekommen. Er hat eine Fibromyalgie nicht für gegeben erachtet, allerdings eine Instabilität des Kreuzdarmbeingelenkes links festgestellt, die im Vorgutachten nicht gewürdigt worden sei. Die Klägerin könne allenfalls noch unter halbschichtig tätig sein. In der abschließenden Beurteilung ist von halbschichtig(drei bis sechs Stunden) die Rede. Nach einem stationären Reha-Verfahren sei wieder ein vollschichtiges Einsatzvermögen für leichte Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen zu erwarten.

Dr.K. hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme hierzu ausgeführt, eine solche Instabilität habe er ausdrücklich nicht feststellen können. Nach Vorlage weiterer Untersuchungsbefunde hat Dr.K. ausgeführt, hieraus ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Es sei kein durchgehend achtstündiges Sitzen mehr möglich. Möglich sei eine sechsstündige überwiegend sitzende Tätigkeit, mit einem Stehpult sei auch eine achtstündige Tätigkeit möglich.

Dr.L. hat hierzu gutachterlich ergänzend ausgeführt, eine ISG-Instabilität habe er manualmedizinisch festgestellt, sie sei auch nur so feststellbar. Er hat darauf hingewiesen, dass Dr.K. allerdings die Fachgebietsbezeichnung Chirotherapie führe.

Das Sozialgericht München hat die Klage mit Urteil vom 21.04.2005 als unbegründet abgewiesen. Es ist der Beurteilung des Leistungsvermögens durch Dr.K. gefolgt und hat auf dieser Grundlage ein nur noch halb- bis unter vollschichtiges Einsatzvermögen angenommen. Die Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin durch den Sachverständigen Dr.L. sei nicht nachvollziehbar begründet.

Ohne Prüfung einer Verweisbarkeit der Klägerin sei von einem Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit bei Rentenantragstellung auszugehen. Da der Versicherungsfall nur unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage angenommen werden könne, stehe nur Rente auf Zeit zu. Sie beginne nach dem 31.12.2000 und damit unter Geltung des neuen Rechts. Ab dessen Geltung sei die Klägerin aber nicht so erwerbsgemindert, dass ihr Rente zustehe. Sie könne nämlich als Geschäftsführerin und Industriekauffrau noch sechs Stunden täglich arbeiten.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Der Senat hat ein Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 14.01.2006 eingeholt. Danach bestehen bei der Klägerin eine gewisse generelle altersvorauseilende körperliche Involution, daneben vergleichsweise harmlose und objektiv nicht messbar funktionslimitierende degenerative Veränderungen an Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule. An den Fingergelenken, an den Kreuz-Darmbein-Gelenken und den groben Gelenken der oberen und unteren Extremitäten bestünden ebenfalls keine wesentlich funktionslimitierenden Veränderungen. Eine ISG-Instabilität hat der Sachverständige weder links noch rechts feststellen können, auch zwischenzeitliche Untersuchungen durch behandelnde Ärzte hätten dies nicht gekonnt. Am ehesten sei an eine somatisierte Depression zu denken. Als Industriekauffrau und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin seit Rentenantrag noch vier bis sechs Stunden leichte Arbeiten vorzugsweise abwechselnd im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Eine Besserung sei nicht wahrscheinlich.

Die Beklagte hat sich dieser Einschätzung nicht angeschlossen und auf die im Gutachten dokumentierten guten körperlichen Funktionen verwiesen.

Der Senat hat ein weiteres Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr.M. vom 25.09.2006 eingeholt. Der Sachverständige stellt für sein Fachgebiet eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und einen episodischen Spannungskopfschmerz fest. Ihm bleibe verschlossen, was unter einer gewissen altersvorauseilenden körperlichen Involution zu verstehen sei, insbesondere inwieweit sich aus den von Dr.L. dargelegten Befunden und Diagnosen die Leistungseinschränkungen ableiten ließen. Die Klägerin zeige eine für ihr Alter überdurchschnittliche körperliche Konstitution. Nach der von der Klägerin geschilderten Lebensgestaltung und dem Eindruck in der Untersuchung erscheine dem Sachverständigen die Schmerzsymptomatik nicht derart ausgeprägt, dass sie einer schweren körperlichen Behinderung gleichzusetzen wäre. Neben den Einschränkungen, die sich bereits aus dem Gutachten des Dr.K. ergeben, hält der Sachverständige ein regelmäßiges achtstündiges Einsatzvermögen für gegeben. Vermieden werden sollten Arbeiten unter Akkordbedingungen, vermehrter psychischer Anspannung und mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen, wie z.B. das kontinuierliche Arbeiten an einem PC.

Die Einschränkungen des Sehvermögens resultieren aus einer Sehbehinderung, die bei der Klägerin mindestens seit frühester Kindheit besteht.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21.04.2005 sowie des Bescheides vom 28.11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.03.2002 zu verurteilen, ihr ab 01.09.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise Berufsunfähigkeit, weiter hilfsweise wegen Erwerbsminderung bis 30.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Rentenanspruch wegen ihres eingeschränkten körperlichen Leistungsvermögens hat.

Auf den Rentenanspruch der Klägerin, der für eine Zeit vor dem 01.01.2001 geltend gemacht wird, sind die §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch (SGB) VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung anzuwenden. Nach § 43 Abs.1 SGB VI in dieser Fassung hatten Versicherte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie u.a. berufsunfähig waren. Nach Abs.2 der Vorschrift waren Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken war. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen war, umfasste alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprachen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Berufsunfähig war nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben konnte; dabei war die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit war danach der bisherige Beruf. Das ist die zuletzt und auf Dauer ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung.

Diese Tätigkeit einer Geschäftsführerin konnte die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats weiter ausüben. Ob sie auf dem Arbeitsmarkt eine solche Tätigkeit finden konnte, war für die Beurteilung des Rentenanspruches von Gesetzes wegen nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin konnte noch vollschichtig, d.h. acht Stunden täglich, tätig sein. Der Senat schließt sich den aus seiner Sicht überzeugenden Ausführungen des Dr.K. und des Dr.M. an. Aus beiden Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die Klägerin noch vollschichtig einsatzfähig war. Sie war dies auch in ihrer zuletzt ausgeübten Beschäftigung als Geschäftsführerin. Die Tätigkeit einer Geschäftsführerin ist keine mit durchgehenden oder überwiegenden Arbeiten an Büromaschinen, sondern mit wechselnden Körperhaltungen und beinhaltet dank der mit dieser Tätigkeit verbundenen Leitungsposition typischerweise auch die Möglichkeit, die Tätigkeit so zu gestalten, wie sie dem von Dr.K. beschriebenen Einsatzvermögen entspricht. Jedenfalls aus der ergänzenden Stellungnahme des Dr.K. vom 19.12.2004 ergibt sich, dass ein achtstündiges Einsatzvermögen bestand, wenn ein Teil der Bürotätigkeit z.B. an einem Stehpult verrichtet werden konnte. Weitergehende Einschränkungen, die einer vollschichtigen Geschäftsführertätigkeit entgegengestanden hätten, enthält auch das Gutachten Dr.M. nicht.

Der Senat folgt den Gutachten des Dr.L. und des Dr.L. nicht. Die von Dr.L. als entscheidend für die Leistungseinschränkung angesehene ISG-Stabilität hat sich in keiner anderen Untersuchung feststellen lassen, sie ist von Dr.K. und Dr.L. begründet in Zweifel gezogen worden. Darüber hinaus leidet das Gutachten des Dr.L. an einem Mangel an Nachvollziehbarkeit, wenn er ausführt, dass mit einem stationären Reha-Verfahren wieder ein vollschichtiges Einsatzvermögen zu erzielen wäre. Das lässt Zweifel an der Schwere und Dauerhaftigkeit der Gesundheitsstörungen aufkommen.

Dem Gutachten des Dr.L. folgt der Senat ebenfalls nicht. Der Sachverständige hat, wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, ausdrücklich keine die Leistungsfähigkeit wesentlich einschränkenden körperlichen Befunde ermittelt. Worauf die Leistungseinschränkung beruhen könnte, ist nicht nachvollziehbar. Was die Involution betrifft, so ist sie von Dr.M. als Diagnose in Frage gestellt und soweit mit ihr eine Rückbildung der körperlichen Vitalität gemeint gewesen sein sollte, ausdrücklich verneint worden.

Die Klägerin war damit nach § 43 SGB VI alter Fassung nicht berufsunfähig. Sie war damit erst recht nicht erwerbsunfähig nach § 44 SGB VI alter Fassung.

Die Klägerin hat auch keinen Rentenanspruch nach den §§ 43, 240 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 240 SGB VI haben sich, soweit es im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist, im Verhältnis zu § 43 SGB VI alter Fassung dadurch geändert, dass eine maßgebliche Leistungsminderung erst dann eintritt, wenn die bisherige sowie die zumutbare Tätigkeit nicht mehr wenigstens sechs Stunden ausgeübt werden können und nicht wie bei der bis 31.12.2000 geltenden Rechtslage vollschichtig, d.h. acht Stunden täglich. Die entsprechende zeitliche Leistungseinschränkung gilt darüber hinaus seit 01.01.2001 auch für Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs.1 SGB VI. Auch nach dem seit 01.01.2001 geltenden Recht hat die Klägerin damit keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Berufung war deshalb nicht begründet und musste zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Klägerin in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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