L 8 Kr 248/80

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 Kr 52/78
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 Kr 248/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei der Frist des § 216 Abs. 3 RVO handelt es sich um eine Ausschlußfrist.
2. Die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitsamt reicht nicht aus, die Frist des § 216 Abs. 3 RVO zu wahren.
3. Die Arbeitsunfähigkeitsmeldung ist im Rahmen des § 216 Abs. 3 RVO nicht als Leistungsbegehren, sondern allein als Mitteilung über den Eintritt des Versicherungsfalles gegenüber dem Versicherungsträger von Bedeutung. Um eine auf Gewährung von Leistungen gerichtete Willenserklärung handelt es sich dabei nicht. § 16 Abs. 2 SGB I ist daher weder direkt noch entsprechend anzuwenden. Diese Vorschrift dient dem Schutz des Leistungsberechtigten, dem durch Fehler bei der Antragstellung keine Leistungseinbuße entstehen soll. § 216 Abs. 3 RVO will es hingegen der Krankenkasse ermöglichen, der gesetzlichen Pflicht aus § 369 b Abs. 1 Nr. 1 RVO nachzukommen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 18. Januar 1980 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf Krankengeld für die Zeit vom 2.11.1977 bis 17.11.1977 wegen nichtrechtzeitiger Krankmeldung gemäß § 216 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) ruht.

Der 1943 geborene Kläger bezog seit 1.3.1977 unterbrochen durch die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 13.9. bis 21.9.1977 vom Arbeitsamt W. Arbeitslosengeld und wurde auf eigenen Wunsch bei der Beklagten, der er zuvor als Mitglied angehörte, weiterversichert. Am 3.11.1977 stellte Dr. S. wegen einer Schnittverletzung die Arbeitsunfähigkeit des Klägers für die Zeit vom 2.11.1977 bis 20.11.1977 fest. Die für den Arbeitgeber bestimmte Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde dem Kläger ausgehändigt und ging lt. Eingangsstempel am 7.11.1977 beim Arbeitsamt W. ein. Die für die Krankenkasse bestimmte Durchschrift der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde nach Mitteilung des Dr. S. über die Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung F. an die Beklagte weitergeleitet; ein Zugang bei der Beklagten ließ sich jedoch nicht feststellen. Die Beklagte erhielt durch eine am 18.11.1977 eingegangene Meldung des Arbeitsamtes W. gemäß § 155 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von der Erkrankung des Klägers Kenntnis. Mit am 27.12.1977 eingegangenem Schreiben vom 20.12.1977 teilte der Kläger der Beklagten unter Bezugnahme auf ein mit der Mitarbeiterin Fräulein F. am gleichen Tage geführtes Telefongespräch mit, daß er vom 2.11.1977 bis einschließlich 20.11.1977 erkrankt gewesen sei. Ein früheres Schreiben der Beklagten vom 22.12.1977, mit dem der Kläger wegen eines vom Arbeitsamt W. angemeldeten Ersatzanspruchs für die Zeit vom 2.11. bis 9.11.1977 um Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und um Erklärung gebeten wurde, warum bisher keine Krankmeldung erfolgte, beantwortete er am 28.12.1977 dahin, daß der Mitarbeiterin der Beklagten spätestens nach seinem Anruf und seinem Schreiben vom 20.12.1977 bekannt sein müsse, daß der behandelnde Arzt ihm nur die für den Arbeitgeber bestimmte Ausfertigung der Krankmeldung ausgehändigt habe. Der Kläger legte dazu ein von Dr. S. am 27.12.1977 ausgestelltes "Duplikat” einer Arbeitsbescheinigung vor.

Durch Bescheid vom 4.1.1978 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld wegen verspäteter Meldung unter Hinweis auf § 216 Abs. 3 RVO ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 12.1.1978, mit dem er geltend machte, daß er die Erkrankung bereits am 3.11.1977 einer Mitarbeiterin der Beklagten telefonisch gemeldet und sie über die direkte Weiterleitung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den behandelnden Arzt unterrichtet habe, erklärte sich die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 4.1.1978 zur Zahlung von Krankengeld ab 18.11.1977 (Eingang der Meldung des Arbeitsamtes) bereit. Leistungen für die Zeit vom 10.11.1977 bis 17.11.1977 verweigerte sie hingegen weiterhin wegen Ruhens des Anspruchs gemäß § 216 Abs. 3 RVO. Da über telefonische Meldungen schriftliche Aktenvermerke gefertigt und sofort Krankheitsfälle angelegt würden, dies im Falle des Klägers aber nicht geschehen sei, müsse sein Vortrag, die Arbeitsunfähigkeit bereits am 3.11.1977 telefonisch angezeigt zu haben, als Schutzbehauptung gewertet werden, zumal er in offenbarem Widerspruch zu den früheren Angaben des Klägers stehe (Bescheid vom 13.2.1978; Widerspruchsbescheid vom 11.12.1978).

Am 19.12.1978 hat der Kläger Klage erhoben. Nach persönlicher Anhörung des Klägers und Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin hat das Sozialgericht (SG) Wiesbaden die Beklagte mit auf Grund mündlicher Verhandlung vom 18.1.1980 am 25.1.1980 verkündetem Urteil unter Aufhebung des Bescheides vom 13.2.1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verurteilt, dem Kläger Krankengeld vom 2.11.1977 bis 17.11.1977 einschließlich zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Ruhensvorschrift des § 216 Abs. 3 RVO greife nicht ein. Der ermittelte Sachverhalt und die Beweisaufnahme haben zur sicheren Überzeugung des Gerichts ergeben, daß der Kläger tatsächlich schon am 3.11.1977 bei der Beklagten angerufen habe. Die entsprechenden Aussagen des Klägers und seiner Ehefrau seien in jeder Hinsicht glaubwürdig und widerspruchsfrei. Insbesondere habe der Kläger überzeugend dargelegt, daß er auf Grund der Äußerung einer Bediensteten des Arbeitsamtes der Auffassung gewesen sei, die Arbeitsunfähigkeitsmeldung müsse schriftlich erfolgen, und sich nur deshalb nicht schon im Dezember 1977 auf das Telefonat am 3.11.1977 berufen habe. Für die Richtigkeit der Sachdarstellung des Klägers spreche auch, daß er die zuständige Sachbearbeiterin – Fräulein F., die das Telefonat entgegengenommen habe, namentlich habe benennen können und wegen des laufenden Kontakts mit dem Arbeitsamt W. von der Notwendigkeit der Arbeitsunfähigkeitsmeldung beim betroffenen Versicherungsträger gewußt habe. Der Einwand der Beklagten, daß alle telefonischen Arbeitsunfähigkeitsmeldungen in den Akten vermerkt würden, sei nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des Klägers und seiner Ehefrau zu erschüttern. Die zuständige Sachbearbeiterin F. habe nämlich erst seit wenigen Tagen die Arbeit verrichtet. Schon deshalb seien eher Zweifel an der ordnungsgemäßen Entgegennahme des Anrufs des Klägers angebracht als an der Tatsache des Anrufs selbst. Unter diesen Umständen bedürfe es keiner weiteren Sachaufklärung mehr.

Gegen das ihr am 31.1.1980 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.2.1980 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor: Das Urteil des SG leide an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Das Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Es habe unbedingt den von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung als Zeugen benannten Sachbearbeiter S. und die seinerzeit bei ihr tätige Angestellte F. als Zeugen hören müssen. Da das SG aus unerklärlichen Gründen dem Vortrag der Gegenseite einen weitaus höheren Beweiswert beigemessen habe, habe auch ein anders gearteter Sachverhalt nicht zutage treten können. Bei einer nachträglichen Überprüfung habe sich nunmehr herausgestellt, daß zum fraglichen Zeitpunkt der Sachbearbeiter S. alleinverantwortlich an dem Leistungsschalter gesessen habe und diesen erst Ende November 1977 an die ehemalige Angestellte F. übergeben habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 25. Januar 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
weiteren Beweis zu erheben, im Wege einer Ortsbesichtigung in den Räumen der Beklagten (Arbeitsstelle F./S.), ferner der Beklagten aufzugeben, ein Mitarbeiterverzeichnis ab 3. November 1977 vorzulegen.

Die Beklagte verkenne, daß es dem Gericht innerhalb der Offizialmaxime freistehe, ob es allen Beweisanregungen nachgehe. Außerdem habe er am 3.11.1977 ebenso wie am 20.12.1977 tatsächlich bei der Beklagten angerufen und von seiner Arbeitsunfähigkeit Mitteilung gemacht. Er sei zwar immer der Auffassung gewesen, daß die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch den behandelnden Arzt erfolge und habe auch deshalb den Anruf vom 3.11.1977 in seinen Schreiber nicht erwähnt. Im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit im September 1977 sei es jedoch zu Überzahlungen durch das Arbeitsamt gekommen; nur um weitere Überzahlungen zu verhindern, habe er die Beklagte am 3.11.1977 angerufen. An diesem Tage sei er von der Zentrale der Firma P. H. zunächst mit einem Sachbearbeiter verbunden worden, der ihn mit der Sachbearbeiterin Fräulein F. habe weiterverbinden wollen. Ob er tatsächlich mit Fräulein F. gesprochen habe, wisse er nicht, da er sie nicht nach ihrem Namen gefragt habe.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch Vernehmung des Mitarbeiters der Beklagten, R. S., und der bei der Beklagten ehemals beschäftigten kaufmännischen Angestellten E. F. sowie der Ehefrau des Klägers als Zeugen. Wegen des Inhalts der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20.8.1980 erwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Kassenakte der Beklagten und der Leistungsakte des Arbeitsamtes W. – Stammnummer –, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) und auch im übrigen zulässig. Der Rechtsstreit betrifft zwar eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum von unter 13 Wochen (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG); unbeschadet des Ausschließungsgrundes im Sinne der genannten Vorschrift ist die Berufung jedoch zulässig, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und auch vorliegt (§ 150 Nr. 2 SGG).

Die Rüge der Beklagten, das SG habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, weil es die von ihr als Zeugen benannten Mitarbeiter nicht gehört habe, greift durch. Zwar ist das Gericht nach § 103 Satz 2 SGG an Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das Gericht bestimmt im Rahmen richterlichen Ermessens die Ermittlungen und Maßnahmen, die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind. Es ist aber in seiner Entscheidungsfreiheit insofern eingeschränkt, als es trotz dieser Grundsätze nicht von der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts in dem für seine Entscheidung erforderlichen Umfang, zur Prüfung aller Umstände und zur Beachtung der Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze entbunden ist (Bundessozialgericht – BSGE – 1, 198). Das SG ist hier davon ausgegangen, daß der geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Krankengeld die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit voraussetzt (§ 182 Abs. 1 Nr. 2, 216 Abs. 3 RVO). Wenn es die vom Kläger behauptete Meldung zum 3.11.1977 allein auf Grund der Angaben des Klägers und seiner Ehefrau als erwiesen ansah, so hat es von der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeit, über rechtserhebliche Umstände weiteren Beweis zu erheben, ohne überzeugenden Grund keinen Gebrauch gemacht und dadurch gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen (§ 103 Abs. 1 SGG). Die Vernehmung der genannten Personen war nicht schon deshalb unerheblich und ihre Anhörung zur Erforschung des Sachverhalts ungeeignet, weil den fehlenden Vermerk über das Telefonat kein entscheidender Beweiswert beigemessen wurde und die Angestellte F. erst kurze Zeit bei der Beklagten beschäftigt war. Wenn das SG im Ergebnis damit praktisch unterstellte, daß die Mitarbeiter der Beklagten zum streitigen Vorgang nichts beitragen könnten, oder der Meinung war, daß selbst eine dem Kläger ungünstige Aussage insbesondere der Angestellten F. die Überzeugung des Gerichts nicht hätte erschüttern können, so hat es zudem unzulässigerweise vorweg Beweis gewürdigt (BSG, SozR, SGG, § 103 Nr. 6 und § 128 Nr. 15) und die Grenzen des Rechts, nach freier Überzeugung entscheiden zu dürfen, überschritten (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger auch für die Zeit vom 2.11.1977 bis 17.11.1977 Krankengeld zu gewähren. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab 2.11.1977 ist zwar am 3.11.1977 ärztlich festgestellt worden, und es ist auch unstreitig, daß sie tatsächlich vorlag. Damit waren die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld seit dem 2.11.1977 gegeben (§§ 182 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 103 Abs. 2 RVO i.Verb.m. § 158 Abs. 1 Satz 2 AFG). Der Verwirklichung dieses Anspruchs steht jedoch § 216 Abs. 3 RVO entgegen. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Kasse nicht gemeldet ist; dies gilt nur dann nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, d.h. – in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 130 Abs. 1 i.Verb.m. Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (RGB) – in dieser Zeit dem Versicherungsträger zugeht (vgl. BSG, SozR, § 216 RVO Nr. 8). Bei der Frist des § 216 Abs. 3 RVO handelt es sich um eine Ausschlußfrist. Sie läuft deshalb grundsätzlich ab, ohne daß es darauf ankommt, ob den Versicherten hieran ein Verschulden trifft, ob er die Meldung z.B. infolge Rechtsunkenntnis unterlassen hat, auf die Erstattung durch Dritte vertraut hat oder ob die Meldung bei der Postbeförderung verlorengegangen oder durch diese verzögert worden ist (vgl. BSG, SozR, § 216 RVO Nrn. 7, 8, 11; SozR 2200, § 182 Nr. 7; Peters, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: 12.5.1980, Band II/2, Anm. 7 d zu § 21 S. 17/729 ff.).

Innerhalb der Frist von einer Woche, die in Hessen nach rechtswirksamer Aufhebung des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 16.2.1943 (Amtliche Nachrichten II, S. 75) durch den Erlaß des Ministers für Arbeit und Wohlfahrt vom 15.3.1947 (Hess. Staatsanz. S. 209) statt der Dreitagesfrist wieder maßgebend ist, ist eine Meldung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers bei der Beklagten nicht eingegangen. Die erste Mitteilung über die Erkrankung ohne genaue Angabe ihres Beginns ging in Form der Meldung nach § 155 AFG am 18.11.1977 ein, dem Tag, ab dem dem Kläger Leistungen nachträglich gewährt wurden. Die für die Krankenkasse bestimmte Ausfertigung der von Dr. S. ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mag zwar von diesem an die Bezirksstelle der Kassenärztlichen Vereinigung weitergeleitet worden sein, was sich lt. deren Auskunft vom 28.2.1979 heute nicht mehr feststellen läßt; sie ist bei der Beklagten jedoch nicht eingetroffen und dies hat nach dem Obengesagten der Kläger zu vertreten.

Auch der Eingang der für den Arbeitgeber bestimmten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitsamt W. am 7.11.1977 reicht nicht aus, die Frist des § 216 Abs. 3 RVO zu wahren. Insbesondere kann nicht die am 1.1.1976 in Kraft getretene Bestimmung des § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) zur Anwendung kommen, wonach bei einer von einem Antrag abhängigen Sozialleistung dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt gilt, in dem er bei einem unzuständigen Leistungsträger eingegangen ist. Denn um einen Antrag auf Sozialleistungen, d.h. um eine auf die Gewährung von Leistungen gerichtete Willenserklärung handelt es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsmeldung im Sinne von § 216 Abs. 3 RVO nicht. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dieser Meldung – ebenso wie z.B. bei der Arbeitslosmeldung nach §§ 100, 105 AFG (vgl. dazu BSGE 9, 7) – überhaupt nur um eine bloße Tatsachenerklärung, nämlich um die Mitteilung des objektiven Tatbestandes handelt, daß der Versicherungsfall der Krankheit- und Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, oder ob die Meldung mit Rücksicht darauf, daß sie dem Versicherten kraft Gesetzes die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs sichert, zumindest als geschäftsähnliche Handlung anzusehen ist (für die Anzeige witterungsbedingten Arbeitsausfalls vgl. BSGE 22, 187). Unerheblich ist auch, ob der Meldung – wie es regelmäßig der Fall ist – den Umständen nach zugleich auch der Wille des Versicherten entnommen werden muß, Leistungen beziehen zu wollen. Jedenfalls stellt die Arbeitsunfähigkeitsmeldung als solche weder primär noch ausschließlich, sondern allenfalls zusätzlich einen Antrag dar, wie er für die Leistungen aus der Reichsversicherung in § 1545 Abs. 1 Nr. 2 RVO allgemein vorgesehen ist, und sie ist im Rahmen des § 216 Abs. 3 RVO nicht als Leistungsbegehren, sondern allein als Mitteilung über den Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber dem Versicherungsträger von Bedeutung. Die Frist des § 216 Abs. 3 RVO hat insoweit auch eine andere Funktion als eine Antragsfrist so daß eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 2 SGB I ebenfalls ausscheidet. Soweit Sozialleistungsansprüche hinsichtlich ihres Beginns an den Zeitpunkt des Eingangs eines Antrags beim Versicherungsträger geknüpft sind, wird damit regelmäßig der Zweck verfolgt, dem Leistungsträger einen ausreichenden Überblick über den Umfang der auf ihn zukommenden Belastungen zu ermöglichen und ihn vor Schwierigkeiten zu schützen, die Voraussetzungen eines verspätet angemeldeten Anspruchs im nachhinein aufzuklären. Von dieser Zielsetzung her ist es gerechtfertigt, den Einzelnen mit seinem Begehren nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialversicherung scheitern zu lassen und ihn durch die Regelung des § 16 Abs. 2 SGB I vor Leistungseinbußen bei fehlerhafter Antragstellung zu schützen. Die Vorschrift des § 216 Abs. 3 RVO soll es der Kasse hingegen in erster Linie ermöglichen, ihrer gesetzlichen Pflicht (§ 369 b Abs. 1 RVO) zu genügen, die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten in den erforderlichen Fällen "rechtzeitig” durch einen Vertrauensarzt begutachten zu lassen, wobei die Begutachtung einerseits dazu bestimmt ist, begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen, andererseits aber auch der Sicherung des Heilerfolges insbesondere durch Einleitung von Maßnahmen für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dienen soll (BSG, SozR, § 216 RVO Nr. 8; SozR 2200, § 182 Nr. 7). Dieser mit § 216 Abs. 3 RVO verfolgte Zweck wird durch den Eingang der Meldung bei einem zur Überwachung der Arbeitsunfähigkeit nicht autorisierten Leistungsträger – hier Arbeitsamt – aber ebenso wenig gewährleistet wie durch eine Meldung beim Arbeitgeber. Der in allen Fällen durch die Weiterleitung bedingte Zeitverlust hat vielmehr zur Folge, daß die allein von der Krankenkasse zur Vermeidung mißbräuchlicher Inanspruchnahme und zur Einleitung sachdienlicher Schritte in bezug auf die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit durchzuführende unverzügliche Überwachung u.U. vereitelt wird. Der Funktion der Meldefrist entspricht es danach auch nach Einführung der Regelung des § 16 Abs. 2 SGB I die Empfangungszuständigkeit für die Meldung entsprechend dem Wortlaut des § 216 Abs. 3 auf die – zuständige – "Kasse” zu beschränken (so auch im Ergebnis Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18.1.1979, L-16/Kr-169/77; vgl. dazu auch BSG, SozR, § 216 RVO Nr. 7). Der Umstand, daß der unzuständige Leistungsträger, bei dem die Meldung eingeht, die Wahrung der Frist evtl. durch rechtzeitige und zutreffende Beratung hätte gewährleisten können, berührt weder den Charakter und die Funktion der Frist des § 216 Abs. 3 RVO als Ordnungsfrist noch vermag er aus anderen Erwägungen heraus die Zurechenbarkeit des Eingangs im Verhältnis zum zuständigen Leistungsträger zu begründen (a.A. Methner in Die Krankenversicherung 1980, S. 118). Er kann allenfalls im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs gegen den unzuständigen Versicherungsträger Bedeutung gewinnen.

Danach kommt es entscheidend darauf an, ob die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit bereits am 3.11.1977 telefonisch durch den Kläger persönlich erfolgte. Eine solche Meldung ist jedoch weder eindeutig belegt noch kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und bei Würdigung aller Umstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß sie gleichwohl vom Kläger vorgenommen wurde. Schriftliche Vermerke darüber, die zumindest lt. Dienstanweisung der Beklagten anzufertigen gewesen wären, existieren nicht. Die vom Kläger vor dem SG als Gesprächspartnerin genannte Zeugin F. konnte sich bei ihrer Vernehmung durch den Senat an ein Telefonat mit dem Kläger am 3.11.1977 nicht erinnern. Zwar ist es allgemein bekannt, daß Dienstanweisungen nicht immer eingehalten werden und daß die Zuverlässigkeit des Erinnerungsvermögens von Zeugen in bezug auf alltägliche Ereignisse wie die Arbeitsunfähigkeitsmeldung nach Ablauf von mehr als 2 Jahren nicht überbewertet werden kann. Die sonstigen in der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände sprechen jedoch ebenfalls dagegen, daß ein Gespräch mit der Zeugin F. schon am 3.11.1977 stattgefunden und der Kläger ihr seine Arbeitsunfähigkeit gemeldet hat. Wie die Zeugin F. der Zeuge S. übereinstimmend und glaubhaft bekundet haben, war die erst seit 1.11.1977 bei der Beklagten beschäftigte Zeugin am 3.11.1977 an dem für den Kläger in Betracht kommenden Leistungsschalter als zuständige Sachbearbeiterin nämlich noch gar nicht eingesetzt und auch nicht aushilfsweise dort tätig. Zuständig war vielmehr allein der Zeuge S. und im Falle seiner Abwesenheit wurden die für ihn bestimmten Gespräche von dem im Großraumbüro gegenübersitzenden Kollegen entgegengenommen. Die Zeugin F. war am 3.11.1977 hingegen zur Einarbeitung noch in einem Nebenraum mit anderen Bediensteten untergebracht und hat entsprechend ihren Ausführungen auch nach dorthin durchgestellte Telefonate nicht angenommen. Dies ist angesichts der zu dieser Zeit erst kurzen Beschäftigungsdauer einsichtig, und es überzeugt grundsätzlich auch, wenn die Zeugin angibt, es sei unmöglich, daß am 3.11.1977 überhaupt Telefonate von Kollegen an sie durchgestellt worden seien. Da die Zeugin allgemein mit Arbeitsunfähigkeitsmeldungen zu dieser Zeit noch nicht befaßt war, ihre Einarbeitung gerade erst begonnen hatte und der für den Kläger maßgebliche Leistungsschalter noch mit dem Zeugen S. verantwortlich besetzt war, ist zumindest ein naheliegender Grund für die Vermittlung solcher Gespräche nicht zu erkennen. Insbesondere besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß der am 3.11.1977 für den Kläger zuständige Schaltersachbearbeiter S. selbst ein Telefongespräch in einer Leistungsangelegenheit an die nichtzuständige Zeugin F. weitergegeben haben könnte, was er in seiner Vernehmung auch ausschloß. Die danach gegen die Darstellung des Klägers anzubringenden Zweifel werden durch sein eigenes Verhalten nicht ausgeräumt, sondern eher bestärkt. Denn der Kläger hat, obgleich dies normalerweise auf der Hand gelegen hätte, die behauptete und für ihn wichtige Meldung vom 3.11.1977 in seinen beiden ersten Schreiben an die Beklagte vom 20.12.1977 und 28.12.1977 auch nicht andeutungsweise erwähnt. Die im Schriftsatz vom 10.2.1978 und der Klageschrift vom 15.12.1978 nachträglich vorgenommene Wertung des Schreibens vom 20.12.1977 als Bestätigung einer früheren Meldung vom 3.11.1977 scheidet nach dem Inhalt dieses Schreibens eindeutig aus und steht zudem im Widerspruch zu dem weiteren Vorbringen des Klägers, sich auf die Meldung vom 3.11.1977 aus bestimmten Gründen gerade nicht bezogen zu haben. Soweit der Kläger dabei vor dem SG als Grund anführte, daß er wegen der Äußerung einer Bediensteten des Arbeitsamtes der bloßen mündlichen Meldung keine Bedeutung beigemessen habe, und vor dem Senat erklärte, auf die Erwähnung der Meldung deshalb verzichtet zu haben, weil er immer der Auffassung gewesen sei, daß sie durch den behandelnden Arzt erfolge, vermag auch dies letztendlich nicht zu überzeugen. Dies umso weniger, als die Beklagte den Kläger noch mit Schreiben vom 22.12.1977 um Erläuterung gebeten hatte, warum er die Erkrankung nicht früher gemeldet habe. Außerdem hat der Kläger seit 1973 mehrfach Leistungen vom Arbeitsamt bezogen und in diesem Zusammenhang entsprechend seiner Unterschrift auf den Antragsvordrucke jeweils Merkblätter enthalten, in denen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß die Arbeitsunfähigkeit vom Leistungsbezieher sofort dem Arbeitsamt und der Krankenkasse zu melden und der Krankenkasse ebenfalls sofort die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zuzuleiten sei. Es ist deshalb zumindest ungewöhnlich, wenn der Kläger über die Form der Arbeitsunfähigkeitsmeldung und die eigene Verpflichtung dazu geirrt haben sollte und es leuchtet auch nicht unbedingt ein, daß er die Meldung im vorliegenden Fall dennoch allein deswegen erstattete, um Überzahlungen zu vermeiden, weil Überzahlungen allenfalls vom Arbeitsamt hätten ausgehen können. Im übrigen soll die Mitarbeiterin der Beklagten nach den Ausführungen des Klägers im Widerspruchsschreiben am 3.11.1977 aber auch nicht nur über die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch über die direkte Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arzt unterrichtet worden sein. Wenn der Kläger den zuletzt genannten Umstand wirklich als entscheidend angesehen haben sollte, so lag es selbst von dieser Rechtsauffassung her nahe, in den Schreiben vom 20.12.1977 und 28.12.1977 auf das Gespräch vom 3.11.1977 mit der entsprechenden Mitteilung und nicht nur auf das spätere Telefonat vom 20.12.1977 zu verweisen. Unter diesen Umständen kommt der Aussage der Ehefrau des Klägers keine überragende Bedeutung zu. Diese Zeugin konnte letztendlich nur bekunden, daß sie in der "fraglichen Zeit” auf Veranlassung des Klägers die Nummer der Beklagten angewählt habe, worunter nach den Angaben des Klägers die Firma H. zu verstehen ist. Ob über diese mit der Beklagten eine Verbindung zustande kam, mit welchem Bediensteten und worüber ggf. gesprochen wurde, vermochte die Zeugin hingegen nicht zu sagen.

Den Nachteil davon, daß sich die telefonische Anzeige der Arbeitsunfähigkeit am 3.11.1977 nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen läßt, hat der Kläger zu tragen. Den weiteren Beweisanträgen des Prozeßbevollmächtigten nachzugehen, bestand kein Anlaß. Welche zusätzlichen Erkenntnisse aus einer Besichtigung der damaligen Arbeitsplätze des Zeugen S. und der Zeugin F. zu gewinnen sein können, ist nicht ersichtlich, nachdem die Zeugin den Umständen nach glaubhaft bekundet hat, am 3.11.1977 keine Telefonate entgegengenommen zu haben. Ebenso wenig erscheint es dem Senat erforderlich, anhand eines von der Beklagten vorzulegenden Telefonverzeichnisses zu prüfen, ob außer der Zeugin F. noch weitere Mitarbeiterinnen der Beklagten als Gesprächspartner des Klägers in Betracht zu ziehen sein könnten. Abgesehen davon, daß der Zeuge Seichter erklärt hat, sich an eine Kollegin mit ähnlichen Namen nicht erinnern zu können und der für den Kläger maßgebende Leistungsschalter am 3.11.1977 nicht durch eine Mitarbeiterin, sondern durch den Zeugen S. und in dessen Abwesenheit durch den Kollegen aus dem Schalterraum besetzt war, hat der Kläger selbst auch nur erklärt, mit der Zeugin F. und nicht mit einer anderen Dame verbunden worden zu sein. Wenn er im Termin vom 20.8.1980 abweichend von seiner Darstellung vor dem SG angab, nicht genau zu wissen, ob er mit der Zeugin tatsächlich gesprochen habe, weil er sie nicht nach ihrem Namen gefragt habe, so vermochte der Senat angesichts den bisherigen Vortrags des Klägers allein darin keinen hinreichenden Grund dafür zu erblicken, andere Bedienstete der Beklagten als potentielle Adressaten der vom Kläger behaupteten Meldung ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

Danach ruhte der Anspruch des Klägers auf Krankengeld bis zur nachgewiesenen Unterrichtung der Beklagten über seine Erkrankung durch das Arbeitsamt W. am 18.11.1977. Daran ändert es nach der beschriebenen Funktion der Ausschlußfrist auch nichts, daß die Arbeitsunfähigkeit zweifelsfrei feststeht (BSG, a.a.O.). Ebenso wenig kann der Kläger eine mißbräuchliche Ausübung einer Rechtsposition durch die Beklagte geltend machen, wie es ausnahmsweise im Falle einer vom Versicherungsträger mitverschuldeten Fristversäumnis angenommen wird (vgl. u.a. BSGE 22, 257). Dies schon deshalb nicht, weil irgendwelche Handlungen und Unterlassungen der Beklagten in bezug auf das Verhalten des Klägers jedenfalls nicht ursächlich gewesen sein können, da der Kläger die Meldung – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich erstattet haben will. Die Möglichkeit, auf eine verspätete Meldung hin rückwirkend Krankengeld zu gewähren, ist in § 216 Abs. 3 Satz 2 RVO abschließend bestimmt, wonach der Kassenleiter in "besonderen Ausnahmefällen” Krankengeld für die zurückliegende Zeit für längstens eine Woche vor der Meldung zubilligen kann. Von dieser Möglichkeit einer Ermessensentscheidung hat die Beklagte zugunsten des Klägers hier keinen Gebrauch gemacht und sich ursprünglich nur für den Fall einer vergleichsweisen Bereinigung des gesamten Streitstoffes zu einem entsprechenden Verfahren bereit erklärt. Dadurch hat sie sich jedoch nicht gebunden und sich insbesondere auch nicht hinsichtlich der Beurteilung eines Ausnahmefalles festgelegt, der nur durch Verhältnisse begründet werden kann, die mit der Nichtmeldung oder der nicht rechtzeitigen Meldung im Zusammenhang stehen (vgl. Peters, a.a.O., Bd. II/2, Anm. 7 h zu § 216, S. 17/732). Die Unmöglichkeit, die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit nachweisen zu können, stellt für sich allein einen solchen Ausnahmefall auch nicht dar und Besonderheiten, die eine andere Betrachtung geboten erscheinen ließen, liegen nicht vor. Angesichts der nicht widerspruchsfreien und letztlich nicht überzeugenden Darstellung des Klägers zu der behaupteten Meldung vom 3.11.1977 und seiner erst relativ spät einsetzenden nachweisbaren Bemühungen um die Verwirklichung seines Anspruchs verstößt es nicht gegen den Zweck der Ermächtigung des § 216 Abs. 3 Satz 2 RVO, wenn die Beklagte dem Kläger Leistungen erst von dem Zeitpunkt an gewährte, zu dem sie positiv – durch Dritte – von der Krankheit des Klägers Kenntnis erlangte.

Die Berufung der Beklagten mußte danach in vollem Umfang Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Frage der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 SGB I im Rahmen des § 216 Abs. 3 RVO höchstrichterlich noch nicht entschieden ist.
Rechtskraft
Aus
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