L 4 R 1499/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 3222/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1499/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12. März 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. September 2007, soweit die Beklagte die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für das Jahr 2005 aufgehoben und EUR 5.555,28 zurückgefordert hat, aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung für das Jahr 2005 und die Pflicht zur Erstattung eines überzahlten Betrags von EUR 5.555,28.

Die am 1948 geborene Klägerin, gelernte Friseurin, war als solche bis 15. September 1973 versicherungspflichtig beschäftigt. Sie legte anschließend die Meisterprüfung ab, führte ein selbstständiges Geschäft und gehörte ab 01. Februar 1974 der Rentenversicherung der Handwerker an. Nach einer Kindererziehungszeit (01. Juli 1983 bis 30. Juni 1984) wurden durchgängig freiwillige Beiträge aus niedrigem Beitragswert entrichtet. Ein erster nach vorübergehender Schließung des Betriebs gestellter Rentenantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 17. Januar 2001, Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2001) Die hiergegen erhobene Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) endete durch einen Vergleich vom 24. Oktober 2002 (S 7 RJ 1880/01).

Im März 2003 beantragte die Klägerin Leistungen zur Rehabilitation. Nach deren Durchführung wurde der Antrag in einen Rentenantrag umgedeutet. Die Beklagte bewilligte zunächst durch Bescheid vom 20. August 2003 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. April 2003, auf Widerspruch und Teilabhilfe durch Bescheid vom 05. März 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. August 2003. Die Klägerin erhob Widerspruch hinsichtlich der Verzinsung und stellte einen Zugunstenantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit dem Begehren, Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 01. März 2003 nachzuzahlen, der durch Bescheid vom 24. Mai 2004 (Widerspruchsbescheid vom 18. November 2004) abgelehnt wurde.

Am 28. Februar 2005 stellte die Klägerin erneut Zugunstenantrag wegen des Bescheids vom 24. Mai 2004, den die Beklagte durch Bescheid vom 05. April 2005 (Widerspruchsbescheid vom 14. September 2005) ablehnte. Im anschließenden Klageverfahren beim SG (S 7 R 2736/05) gab die Beklagte das Anerkenntnis vom 03. Mai 2006 ab, Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. April 2003 zu leisten. Die Klägerin nahm dieses Anerkenntnis mit Schriftsatz vom 15. Mai 2006 an. Zur Ausführung des Anerkenntnisses bat die Beklagte die Klägerin um Angaben zum Arbeitseinkommen der Jahre 2003, 2004 und 2005 sowie um Zusendung der Steuerbescheide für diese Jahre oder, falls ein entsprechender Bescheid noch nicht vorliegen sollte, um Vorlage einer gewissenhaften Schätzung des Steuerberaters für das Einkommen aus dem Gewerbebetrieb. Die Klägerin legte mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 09. August 2006 den Bescheid für 2003 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer des Finanzamts Heidelberg vom 30. November 2005, die Berechnung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer durch das Finanzamt Heidelberg für 2004 vom 02. November 2005 sowie die Gewerbeabmeldung vom 01. Dezember 2005 zum 31. Dezember 2005 vor und gab an, auf das Jahr 2005 würden negative Einkünfte erwartet. Durch Bescheid vom 25. August 2006 bewilligte die Beklagte aufgrund des Anerkenntnisses Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. April 2003. Für die Zeit ab 01. Juli 2004 betrug die monatliche Rente brutto EUR 510,26, netto EUR 464,09; für die Zeit ab 01. Juli 2005 ergab sich eine monatliche Rente von brutto EUR 510,26, netto EUR 461,79. Der Bescheid enthielt folgenden Zusatz: Die Zahlung der Erwerbsminderungsrente erfolgt auf der Grundlage einer vorausschauenden Beurteilung Ihres Arbeitseinkommens im Sinne des § 15 SGB IV. Dabei gehen wir davon aus, dass entsprechend dem Schreiben Ihres Bevollmächtigten vom 09.08.2006 vorgelegten Besteuerungsgrundlagen das Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 SGB IV seit dem 01.01.2004 (der Einkommensteuerbescheid 2003 liegt uns zwischenzeitlich vor) die im Rentenbescheid angegebene monatliche Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitet. Wir bitten, beginnend mit dem Kalenderjahr 2004, um Vorlage der entsprechenden Einkommensteuerbescheide. Sollte sich herausstellen, dass ihr Arbeitseinkommen für die Zeit des Bezugs der Erwerbsminderungsrente die im Rentenbescheid angegebene Hinzuverdienstgrenze überschritten hat, besteht für die entsprechenden Zeiträume kein Anspruch auf die volle Erwerbsminderungsrente in der in diesem Bescheid festgestellten Höhe. Zu Unrecht gezahlte Beträge sind ggf. zu erstatten (§ 50 SGB X).

Die Klägerin erhob Widerspruch unter Hinweis auf die inzwischen aufgegebene Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), wonach Renten vor vollendetem 60. Lebensjahr unter bestimmten Voraussetzungen abschlagsfrei zu zahlen seien.

Auf Anforderung der Beklagten vom 05. Februar 2007, Angaben zum Arbeitseinkommen für die Jahre 2003 bis 2005 zu machen, übersandte die Klägerin u.a. den Bescheid für 2005 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer des Finanzamts Heidelberg vom 06. Februar 2007. Dieser wies Einkünfte in Höhe von insgesamt EUR 53.176,00 aus, u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 47.658,00 (Veräußerungsgewinne in Höhe von EUR 95.000,00 abzüglich steuerfrei bleibende Veräußerungsgewinne von EUR 45.000,00 und Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 2.342,00). Die Beklagte erließ den Bescheid vom 23. April 2007. Ab 01. Juni 2007 würden anstelle von netto EUR 461,79 nur noch EUR 460,26 gezahlt, da sich der Beitragsanteil zur Krankenversicherung von EUR 35,21 auf EUR 36,74 erhöht habe. Im Übrigen ergebe sich eine Überzahlung von EUR 5.555,28, da die Rente für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 nicht zugestanden habe. Mit gesondertem Schreiben ebenfalls vom 23. April 2007 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme des Rentenbescheids vom 25. August 2006 für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 und zur Erstattungsforderung in Höhe von EUR 5.555,28 an (Januar bis Juni 2005 monatlich EUR 464,09, Juli bis Dezember 2005 monatlich EUR 461,79). Wegen der im Jahr 2005 erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 47.658,00, was monatlich EUR 3.971,50 entspreche, seien sämtliche Hinzuverdienstgrenzen überschritten. Die Klägerin brachte vor (Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 02. Mai 2007), aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 ergebe sich kein auf die Rente anrechenbares Einkommen.

Durch Bescheid vom 22. Mai 2007 berechnete die Beklagte die Rente "aufgrund der Änderung der Höhe des Hinzuverdienstes" neu und verfügte die Erstattung der für die Zeit vom "01.01.2005 bis 30.06.2007" entstandenen Überzahlung von EUR 5.555,28. In Anlage 21 zu diesem Bescheid stellte sie dar, unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen stehe die Rente für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 nicht und ab 01. Januar 2006 wieder in voller Höhe zu. Diesem Bescheid fügte die Beklagte ein "Beiblatt" bei, in welchem sie ausführte, der Bescheid vom 25. August 2006 werde, soweit er die Bestimmungen der §§ 96, 313 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) betreffe, gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 dahingehend aufgehoben, dass in dieser Zeit die Rente nicht zu leisten sei, sowie weiter die eingetretene Überzahlung in Höhe von EUR 5.555,28 von der Klägerin zu erstatten sei.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Es handle sich nicht um ein rentenschädliches Einkommen. Einkünfte aus dem Verkauf von Betriebsteilen oder anderen Immobilien seien nicht auf die Rente anrechenbar. Nach § 15 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) sei lediglich der Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit maßgebend. Insoweit hätten sich jedoch für das Jahr 2005 lediglich Verluste in Höhe von EUR 2.342,00 ergeben.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 03. September 2007. Der Widerspruchsausschuss führte im Abschnitt "Sachverhalt" aus, mit Bescheid vom 22. Mai 2007 sei der Bescheid vom 25. August 2006 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 96a SGB VI für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2005 aufgehoben und gleichzeitig die eingetretene Überzahlung in Höhe von EUR 5.555,28 nach § 50 SGB X zurückgefordert worden. Im Abschnitt "Begründung" führte er aus, bei der Anrechnung von Hinzuverdienst sei nach § 15 Abs. 1 SGB IV der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Steuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit zu berücksichtigen. Regelungen hinsichtlich der Nichtberücksichtigung steuerlicher Vergünstigungen sowie des Abzugs von Veräußerungsgewinnen bestünden seit 01. Januar 1995 nicht mehr. Bei Selbstständigen entspreche das Arbeitseinkommen dem steuerrechtlichen Gewinn und könne ohne weitere Ermittlungen aus dem Steuerbescheid übernommen werden. Veräußerungsgewinne gehörten u.a. hinzu, wenn sie nach dem Einkommensteuerrecht den Einkünften aus selbstständiger Arbeit zugeordnet würden. Von den Veräußerungsgewinnen in Höhe von EUR 95.000,00 seien EUR 50.000,00 zu versteuern gewesen. Abzüglich des Verlusts von EUR 2.342,00 und geteilt durch 12 ergebe sich ein weit über der Höchstgrenze liegender Hinzuverdienst.

Mit der am 21. September 2007 zum SG erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung seien gedacht als Erwerbsersatzeinkommen. Demgemäß dürften alle Einkünfte, die aus der eigenen Hände Arbeit entstünden, rentenschädlich sein, nicht aber Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte. Der Veräußerungsgewinn entstamme ohne Zweifel nicht dem Arbeitseinkommen. Die Einkünfte seien vielmehr aus der Auflösung von betrieblichen Rücklagen entstanden und seien somit nicht gewerbesteuerpflichtig. Zum Zeitpunkt des Zuflusses Ende 2005 sei sie faktisch bereits nicht mehr selbstständig tätig gewesen, weil die Geschäftsräume bereits vollständig ausgeräumt gewesen seien. Mithin könnten die Einkünfte nicht zu denen aus Gewerbebetrieb zu zählen sein. Damit werde hier Einkommen, das außerhalb des gesetzlich anrechenbar definierten Einkommens und das nach der faktischen Aufgabe der selbstständigen Tätigkeit erzielt worden sei, auf die Rente angerechnet. Jedenfalls sei auf die Anrechnung solchen Einkommens in den Rentenbescheiden nicht hingewiesen. Mithin müsse es dabei verbleiben, dass allein der rentenunschädliche Verlust von EUR 2.342,00 maßgeblich sei. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R - könne sich nichts anderes ergeben. Durch die Überführung von Betriebsvermögen ins Privatvermögen seien zwar steuerliche Buchgewinne entstanden, die aber zu keinerlei Verbesserung des Gesamteinkommens geführt hätten. Es handle sich lediglich um eine fiskalisch wirksame Neuberechnung des Wertes des bewohnten Hauses.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und verblieb dabei, Veräußerungsgewinne seien als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen.

Durch Gerichtsbescheid vom 12. März 2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, die Klägerin habe im Jahr 2005 Arbeitseinkommen erzielt, das die Hinzuverdienstgrenze überschritten habe. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei für die Bestimmung des Arbeitseinkommens allein das Einkommensteuerrecht maßgeblich. Für einen eigenständigen sozialversicherungsrechtlichen Begriff bestehe kein Raum mehr. Ein atypischer Fall, der zur Ermessensausübung genötigt hätte, sei nicht zu erkennen. Bei der Rentenauszahlung 2005 seien der Beklagten die Einkünfte auch noch nicht bekannt gewesen. In den Hinweisen zum hier maßgeblichen Bewilligungsbescheid vom 05. März 2004 habe sich die Beklagte auch ausdrücklich auf die Besteuerungsgrundlagen des Arbeitsentgelts bezogen.

Gegen den am 17. März 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. März 2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, schon seit 2003 habe sie, bedingt durch ihre Erkrankung, ihre selbstständige Tätigkeit nur noch sehr eingeschränkt ausführen können. Demgemäß seien bis zur Gewerbeabmeldung Ende 2005 nur noch geringe Einkünfte ausgewiesen worden. Es sei nicht verständlich, dass die Erwerbsminderungsrente wegen des Zuflusses eines Veräußerungsgewinns in einem einmaligen Betrag wegfalle. Nur solches Einkommen könne rentenschädlich sein, das mit der eigenen Hände Arbeit erwirtschaftet werde. Alles andere sei im Übrigen verfassungsrechtlich bedenklich. Im Unterschied zum Fall des Urteils des BSG vom 07. Oktober 2004 - B 13 RJ 13/04 R - habe beim hier streitigen Gewinn kein Bezug mehr zur aktiven selbstständigen Tätigkeit bestanden. Hier habe es sich nur um die Abwicklung des Geschäftsbetriebs gehandelt. Ein echter Einkommenszufluss sei nicht erfolgt. Der Gedanke der Vermeidung einer Überversorgung von Rentenempfängern schlage hier nicht durch. Finanzielle Vorteile seien durch die Umbuchung letztlich nicht entstanden. Dass eine solche Transaktion rentenschädlich sei, lasse sich den Hinweisen in den Rentenbescheiden nicht entnehmen. Demgemäß sei eine korrekte und vollständige Information nicht erfolgt. Letztlich würde auch Einkommen angerechnet, das eigentlich nicht erzielt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 12. März 2008 und den Bescheid vom 22. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. September 2007, soweit die Beklagte die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für das Jahr 2005 aufgehoben und EUR 5.555,28 zurückgefordert hat, aufzuheben

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält daran fest, dass Veräußerungsgewinne zum Arbeitseinkommen im Sinne von § 15 Abs. 1 SGB IV zählten. Dies habe neben dem BSG u.a. auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09. September 2004 - L 5 LW 5/04 -) entschieden.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der bis 31. März 2008 geltenden Fassung, die hier noch maßgeblich ist, weil die Klägerin die Berufung vor dem 01. April 2008 eingelegt hat, von EUR 500,00 ist überschritten. Denn die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung eines Betrags von EUR 5.555,28.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. September 2007 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für das Jahr 2005 aufgehoben und EUR 5.555,28 zurückgefordert hat.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung für das Jahr 2005 ist § 45 SGB X und nicht - wovon die Beklagte ausging - § 48 SGB X. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er nach § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Nr. 1), der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3), oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). § 45 SGB X findet Anwendung, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war und deswegen zurückgenommen werden soll; dagegen kommt eine Aufhebung nach § 48 SGB X in Betracht, wenn nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung eine wesentliche Änderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist. Beide Normen grenzen sich folglich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes, der aufgehoben werden soll, ab. Erlassen ist ein Verwaltungsakt nach der Rechtsprechung des BSG in dem Zeitpunkt, in dem er dem Adressaten bekanntgegeben und damit wirksam wurde (zum Ganzen vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 48/07 R -, m.w.N.).

Grundlage für die Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung war der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2006. Mit diesem Bescheid berechnete die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung neu, und zwar von Beginn an. Die zuvor ergangenen Bescheide, auch der Bescheid vom 05. März 2004, waren deshalb gegenstandslos (§ 39 Abs. 2 SGB X). Demgemäß war es folgerichtig, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 22. Mai 2007 als aufzuhebenden Bescheid denjenigen vom 25. August 2006 nannte.

Da die Ermittlung des Arbeitseinkommens nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts erfolgt, sind Veräußerungsgewinne, die nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) als Einkünfte berücksichtigt werden, Arbeitseinkommen nach § 15 SGB IV. Dies hat der Gesetzgeber schon durch die Streichung des früheren Satzes 2 in § 15 SGB IV durch Art. 3 Nr. 2 Agrarsozialreformgesetz 1995 vom 29. Juli 1994 (BGBl I, S. 1890) deutlich gemacht, nach dem bei der Ermittlung des Gewinns steuerliche Vergünstigungen unberücksichtigt zu lassen und Veräußerungsgewinne abzuziehen waren (zum Veräußerungsgewinn als Arbeitseinkommen vgl. BSG SozR 4-2500 § 240 Nr. 6, vorangehend Urteil des erkennenden Senats vom 25. Februar 2005 - L 4 KR 2530/04 -, veröffentlicht in juris). Mithin war der Bescheid der Beklagten vom 25. August 2006 von Anfang an rechtswidrig. Denn mit dem Arbeitseinkommen im Jahr 2005 in Höhe von EUR 47.658,00 war die Hinzuverdienstgrenze überschritten, sodass die Rente wegen voller Erwerbsminderung im Jahr 2005 nicht zu zahlen war. Die Klägerin hatte damit bereits bei Erlass des Bescheids vom 25. August 2006 keinen Anspruch auf Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung im Jahr 2005.

Eine Umdeutung des Bescheids nach § 43 SGB X dahin, dass die Bewilligung nach § 45 SGB X aufgehoben wurde, scheitert daran, dass zwar die beiden Normen, §§ 45 und 48 SGB X, der Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte dienen, jedoch hinsichtlich der Fristen und des geprüften Sachverhaltes vollständig voneinander verschieden sind (vgl. BSG SozR 1300 § 43 Nr. 1). Im vorliegenden Fall stützte die Beklagte ausweislich der Begründung die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Diese Norm ermöglicht eine rückwirkende Aufhebung ohne jede Rücksicht auf mitwirkendes Verschulden des Begünstigten, insbesondere ohne jede Rücksicht auf seine Kenntnis von der Überzahlung. Eine entsprechende Regelung enthält § 45 SGB X nicht. Hinzukommt, dass bei einer Aufhebung nach § 48 SGB X im Regelfall kein Ermessen auszuüben ist, dagegen bei einer Aufhebung nach § 45 SGB X grundsätzlich Ermessen auszuüben ist, ob die Rücknahme erfolgt.

Selbst wenn eine Umdeutung möglich gewesen wäre, wäre der Bescheid vom 22. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. September 2007 rechtswidrig, weil es an jeglicher Ermessensausübung der Beklagten fehlt. Der Beklagten war überhaupt nicht bewusst, eine solche Entscheidung treffen zu müssen (Ermessensnichtgebrauch), weil sie schon gar nicht erkannt hat, dass sie den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 25. August 2006 hätte gemäß § 45 SGB X und nicht gemäß § 48 SGB X aufheben müssen. Ausführungen zum Ermessen durch die Beklagte erübrigen sich auch nicht deshalb, weil jedenfalls eine Ermessensreduzierung auf Null vorgelegen hätte. Dies setzt voraus, dass nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige Ausübung des Ermessens rechtsfehlerfrei zuließen. Derartige Umstände vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Beklagte hat den Bescheid vom 25. August 2006 erlassen, obgleich die Klägerin zu ihrem Arbeitseinkommen im Jahr 2005 nur angegeben hatte, es würden negative Einkünfte erwartet, jedoch keine Nachweise zu ihrem Arbeitseinkommen im Jahr 2005 vorgelegt hatte.

Die Beklagte war auch nicht berechtigt, den Bescheid vom 25 August 2006 ohne Beachtung der Voraussetzungen des § 45 SGB X aufzuheben. Denn die Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung durch diesen Bescheid erfolgte nicht vorläufig. Der Bescheid enthält an keiner Stelle den Hinweis, dass die Bewilligung wegen fehlender Nachweise über das Arbeitseinkommen nur vorläufig erfolgt. Der Zusatz im Bescheid (Wortlaut siehe oben im Tatbestand) enthält keine entsprechende Regelung. Es wird allein darauf hingewiesen, dass der Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung das bisher bekannt gegebene Arbeitseinkommen zugrunde gelegt wird und - falls dieses nicht zutreffend sein sollte - eine Änderung erfolgen kann. Dies ist allein ein Hinweis auf die bestehende Rechtslage, dass bei fehlenden Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente Leistungen zurückgefordert werden können. Dass ein Bescheid eine Leistung nur vorläufig bewilligt, muss im Bescheid selbst genannt werden, um dem Betroffenen deutlich vor Augen zu führen, dass er auf die dauerhafte Bewilligung der Leistung nicht vertrauen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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