L 10 AS 1934/09 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 170 AS 25657/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1934/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerinnen wird ihnen unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 01. Oktober 2009 für das Verfahren S 170 AS 25657/09 vor dem Sozialgericht Berlin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin L G gewährt. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin (S 170 AS 25657/09) ist streitig, ob den Klägerinnen für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31. Oktober 2009 höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als bislang bewilligt zustehen (angefochtener Bescheid vom 24. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 2009). Die Klägerinnen machen geltend, es müssten auch die Kosten für die Anmietung einer so genannten Mieterbox – eines von ihnen gesondert angemieteten, in einem benachbarten Gebäude gelegenen, 12,75 qm großen Lagerraums – in Höhe von monatlich 35,- EUR als Unterkunftskosten berücksichtigt werden. Das SG Berlin hat mit Beschluss vom 01. Oktober 2009 die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage(n) abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Versagung von PKH ist – nach dem Wortlaut des § 172 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - ungeachtet dessen zulässig, dass in der Hauptsache der Schwellenwert des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG für die Zulässigkeit einer Berufung nicht erreicht wird (ständige Senatsrechtsprechung, etwa Beschluss vom 28. August 2009 – L 10 AS 1286/09 B PKH; ausführlich zum Streit- und Meinungsstand bezüglich der Zulässigkeit von PKH-Beschwerden bei Unzulässigkeit eines Rechtsmittels in der Hauptsache zuletzt Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 04. November 2009 – L 9 B 50/09 AS PKH – juris, mwNachw).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten, der - wie die Klägerinnen - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf seinen Antrag PKH zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Mit dieser Bestimmung wird der Gesetzgeber seiner Verpflichtung gerecht, die aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) grundrechtlich gesicherte Rechtsschutzgleichheit zu gewährleisten, die beinhaltet, den Zugang zu den Gerichten für jedermann in grundsätzlich gleicher Weise zu eröffnen, insbesondere dem Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen (BVerfGE 81, 347 f). Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn § 114 ZPO von den Fachgerichten in einer Weise ausgelegt und angewandt wird, die Restriktionen vermeidet, die in Ansehung der dargestellten Zielvorstellung verfassungsrechtlich unzulässig sind. Dazu gehört es, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht zu überspannen, insbesondere die Prüfung schwieriger Sach- und Rechtsfragen nicht in das PKH-Verfahren vorzuverlagern, und bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 121 Abs 2 ZPO) Un¬gleichheiten entgegenzuwirken, deren Ausmaß nach den Fähigkeiten der Beteiligten und dem Streitstoff variieren können (vgl BVerfG, Beschlüsse vom 30. August 2006 – 1 BvR 955/06 – und 18. Dezember 2001 - 1 BvR 391/01).

Nach diesen Maßstäben hat die Klage der Klägerinnen hinreichende Erfolgsaussicht und ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich. Denn nach gegenwärtigem Stand spricht mehr dafür, dass sie in der Hauptsache obsiegen werden.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R – (juris) entschieden, dass ein Anspruch auf Leistungen für einen zusätzlichen Lagerraum bestehen kann, wenn der angemietete Wohnraum so klein ist, dass er zur angemessenen Unterbringung von persönlichen Gegenständen des Hilfebedürftigen erforderlich ist (Leitsatz). Ein solches Gesetzesverständnis, so das BSG, entspreche dem Zweck des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II als einschlägiger Anspruchsgrundlage, der darin liege, den Berechtigten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, indem die Kosten für eine Wohnung als Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums übernommen werden. Wörtlich heißt es in der Entscheidung weiter: "Der erkennende Senat geht davon aus, dass dieser Bedarf nicht schon dann sichergestellt ist, wenn die Kosten für eine Unterkunft übernommen werden, die lediglich das Bedürfnis nach Schutz vor der Witterung und Schlaf befriedigt. Vielmehr muss die Unterkunft auch sicherstellen, dass der Hilfebedürftige seine persönlichen Gegenstände verwahren kann. Deshalb kommen Konstellationen in Betracht, in denen der angemietete Wohnraum derart klein ist, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass für die Unterbringung von Gegenständen aus dem persönlichen Lebensbereich des Hilfebedürftigen (zB Kleidung, Hausratsgegenstände usw) in einem angemessenen Umfang zusätzliche Räumlichkeiten erforderlich sind. Wird der den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zugebilligte Standard in einem solchen Maße unterschritten, dass der Hilfebedürftige nicht mehr als ein ‚Dach über dem Kopf’ hat, entspricht es den Zielsetzungen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, den zuzubilligenden Standard ggfs durch die Anmietung eines weiteren Raumes sicherzustellen, wenn hierdurch die im Rahmen der Produkttheorie einzuhaltende Grenze nicht überschritten wird." (juris, Rdnr 16)

Hier besteht eine für die Bejahung der Erfolgsaussichten hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Notwendigkeit der zusätzlichen Anmietung der Mieterbox bestand. Denn die die Wohnung der Klägerinnen ist mit einer Wohnfläche von 49 qm, verteilt auf zwei Zimmer, für einen Zwei-Personen-Haushalt relativ klein (vgl die nach der Produkttheorie zu Grunde zu legende "Regelwohnfläche"), zumal sie von zwei Erwachsenen bewohnt wird, und sie verfügt über keinen Kellerraum.

Zu den Besonderheiten der Angemessenheitsprüfung gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II bei der Anmietung eines zusätzlichen Lagerraums hat das BSG in der genannten Entscheidung ausgeführt: "Die Anmietung mehrerer Räumlichkeiten entbindet den Grundsicherungsträger nicht von einer Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten. Maßgebend für diese Prüfung ist zum einen die Höhe die Gesamtkosten der angemieteten Räumlichkeiten (so auch Frank-Schinke in Linhart/Adolph, Stand Oktober 2007, § 22 SGB II RdNr9). Anwendung findet auch hinsichtlich dieser Gesamtaufwendungen die nach der Rechtsprechung des BSG heranzuziehende Produkttheorie (vgl nur BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1RdNr 33), wobei die Verhältnisse des Aufenthaltsorts des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen maßgebend sind. Zum anderen bestimmt sich die Angemessenheit der Aufwendungen für einen zusätzlichen Raum zur Einlagerung von Gegenständen jedoch auch danach, ob diese Gegenstände in einer nachvollziehbaren Relation zu dem Lebenszuschnitt des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stehen. Es besteht zB kein Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten, wenn sie auf die Einlagerung von Gegenständen zurückzuführen sind, die das Ergebnis einer ausgesprochenen Sammlerleidenschaft oder unvernünftiger Vorratshaltung sind. Schließlich darf es sich nicht um Gegenstände handeln, die der Hilfebedürftige als nicht geschützte Vermögensgüter vor der Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung verwerten muss. Zudem muss die (isolierte) Miete für den zusätzlichen Lagerraum gemessen am Wert der eingelagerten Güter wirtschaftlich sein." (juris, Rdnr 21) Danach dürften hier die Kosten der Klägerinnen für Unterkunft und Heizung einschließlich der Mietkosten für die Mieterbox – sie beliefen sich im streitgegenständlichen Zeitraum auf insgesamt 400,39 EUR/Monat (365,39 EUR Bruttowarmmiete zzgl 35,- EUR für die Mieterbox) – angemessen gewesen sein. Für die vom BSG bezeichneten Auschlusssachverhalte besteht derzeit kein Anhaltspunkt. Insoweit wird das SG zu erwägen haben, ob und ggfs welche weiteren Ermittlungen anzustellen sind.

Der Senat hat ferner Zweifel an der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung des SG, die mangelnde Berücksichtigungsfähigkeit der Miete für die Mieterbox bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung ergebe sich auch aus dem Sinn und Zweck des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II. Diese Vorschrift bestimmt, dass bei einer Erhöhung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als Folge eines nicht erforderlichen Umzugs Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht werden. Mit dieser Regelung, so das SG, solle verhindert werden, dass während des Leistungsbezuges teurerer, aber noch innerhalb der Angemessenheitsgrenze liegender Wohnraum angemietet werde. Die hier gegebene Situation der Anmietung eines Lagerraums zusätzlich zur bestehenden Mietwohnung sei mit derjenigen eines Umzuges vergleichbar. Der Senat hält es nach summarischer Prüfung für eher fraglich, ob § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II auf die vorliegende Fallkonstellation entsprechend anwendet kann, was eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes voraussetzt (vgl BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 – B 10 EG 1/08 R – juris, Rdnr 20; BVerfG, Beschluss vom 03. April 1990 – 1 BvR 1186/89 – juris, Rdnr 20 ff). Der hier gegebene Sachverhalt ist von den Besonderheiten geprägt, dass das ursprüngliche Mietverhältnis der Klägerinnen den sonst allgemein üblichen Kellerraum als Lagerstätte nicht umfasst und ihnen von Vermieterseite die Möglichkeit eröffnet wurde, dieses Defizit durch Anmietung eines unter den gegebenen Umständen in Größe und im Preis akzeptablen Lagerraums im Nebengebäude zu beheben. Es stellt sich danach die Frage, ob eine Gleichbehandlung der Klägerinnen nicht eher mit denjenigen angezeigt ist, die von vornherein eine angemessene Wohnung mit dazu gehörendem Keller anmieten und deren (Gesamt-)Mietkosten bei der Bedarfsberechnung uneingeschränkt Berücksichtigung finden. Angesichts der Außergewöhnlichkeit der vorliegenden Fallkonstellation ist zudem der Kostenfaktor für den (aus Steuermitteln finanzierten) Leistungsträger, den der Gesetzgeber offenbar mit der Regelung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II bezüglich Umzügen von Hilfebedürftigen in teurere, gleichwohl aber noch angemessene Wohnungen im Blick hatte, hier nur von untergeordneter Bedeutung, zumal die in Rede stehende Anmietung einer Mieterbox offenbar nicht mit weiteren Kosten verbunden war, wie sie bei Umzügen regelmäßig in erheblichem Umfang anfallen und womöglich ebenfalls aus Steuermitteln aufzubringen sind (vgl § 22 Abs 3 Satz 1 SGB II). Jedenfalls kann der Klage der Klägerinnen bei der gegebenen Sach- und Rechtslage Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.

Im PKH-Beschwerdeverfahren sind gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs 4 ZPO Kosten nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved