Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 SB 885/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5440/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.11.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1927 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) und "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (B).
Das Landratsamt F. hatte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. D.-W. vom 05.02.2008 (Teil-GdB 60 für eine Erkrankung der Prostata, Teil-GdB 50 für eine Erkrankung des lymphatischen Systems, Teil-GdB 30 für operierte Krampfadern und eine chronisch-venöse Insuffizienz, Teil-GdB 30 für eine chronische Bronchitis, eine Lungenblähung und eine chronische Nebenhöhlenentzündung, Teil-GdB 20 für eine Schwerhörigkeit beidseits, Teil-GdB 20 für eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und eine Gebrauchseinschränkung beider Füße sowie Teil-GdB 20 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke; Gesamt-GdB 100) mit Bescheid vom 08.02.2008 den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 100 und das Merkzeichen "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (G) festgestellt.
Der Kläger beantragte am 02.10.2008 die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichens aG, B und "Rundfunkgebührenbefreiung" (RF). Das Landratsamt holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 10.10.2008 (der Kläger könne kurze Strecken alleine zurücklegen; die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei wegen der Immunschwäche nicht möglich; der Kläger solle auf gesonderten Behindertenparkplätzen parken können, da der Aufenthalt und Kontakt zu mehreren Menschen bei immunsupressiver Therapie nicht möglich sei; eine ständige Begleitperson sei nicht immer erforderlich) und die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. D.-W. vom 20.10.2008 (Teil-GdB 60 für eine Erkrankung der Prostata, Teil-GdB 60 für eine Erkrankung des lymphatischen Systems, Teil-GdB 30 für operierte Krampfadern und eine chronisch-venöse Insuffizienz, Teil-GdB 30 für eine chronische Bronchitis, eine Lungenblähung und eine chronische Nebenhöhlenentzündung, Teil-GdB 20 für eine Schwerhörigkeit beidseits, Teil-GdB 20 für eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Gebrauchseinschränkung beider Füße und eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie Teil-GdB 20 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke; Gesamt-GdB 100) ein. Mit Bescheid vom 23.10.2008 stellte das Landratsamt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF fest und lehnte die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B ab. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er habe diesen Bescheid nicht erhalten, erließ das Landratsamt unter dem 10.12.2008 einen inhaltsgleichen Bescheid. Den hiergegen am 10.12.2008 eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium St. nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 02.02.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2009 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.03.2009 Klage zum Sozialgericht Reutlingen.
Das Sozialgericht hörte den Facharzt für Allgemeinmedizin K. unter dem 15.05.2009 (die Behinderung durch das Wirbelsäulen- und Knieleiden sei nicht mit derjenigen eines Querschnittsgelähmten gleichzusetzen; der Kläger benötige keine Gehhilfen und könne sich auf kurzen Strecken zufriedenstellend bewegen; es treffe nicht zu, dass sich der Kläger nur mit fremder Hilfe oder nur unter ebenso großen Anstrengungen wie beispielsweise Querschnittsgelähmte fortbewegen könne; dem Kläger gehe es lediglich um die Benutzung von Behindertenparkplätzen in unmittelbarer Nähe ärztlicher Einrichtungen, ohne sich ansteckungsgefährdend durch Menschenmengen hindurch bewegen zu müssen; eine ständige Begleitung sei nicht in jedem Fall notwendig; die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem Kläger nicht möglich) und Dr. A., Chefarzt an der Medizinischen Klinik I des Krankenhauses F., unter dem 26.08.2009 (ob der Kläger die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B erfülle, könne von hämatologisch-onkologischer Seite nicht beantwortet werden) schriftlich als sachverständige Zeugen.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien nicht erfüllt. Außergewöhnlich gehbehindert sei, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne. Hierzu zählten Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande seien, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen seien. Ein Betroffener sei gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sei und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die beispielhaft aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen könne. Erforderlich sei, dass diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeuges erfüllt werde. Der Kläger gehöre nicht zu dem insoweit berechtigten Personenkreis. Soweit argumentiert werde, dem Kläger gehe es um die Benutzung von Behindertenparkplätzen in unmittelbarer Nähe ärztlicher Einrichtungen, ohne sich ansteckungsgefährdend durch Menschenmengen hindurch bewegen zu müssen, rechtfertige dies nicht das Merkzeichen aG. Für die Zuerkennung des Merkzeichens aG müsse vielmehr eine dauernde und nicht nur örtlich bedingte Einschränkung vorliegen. Eine spezielle Parkberechtigung in der Nähe von ärztlichen Einrichtungen zur Vermeidung beziehungsweise Verringerung von Kontakten mit anderen Menschen, kenne das Gesetz nicht. Die Annahme des Merkzeichens aG könne ausdrücklich nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen B seien nicht erfüllt. Voraussetzung sei die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung. Eine ständige Begleitung sei bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in Folge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen seien. Dies sei bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden sowie Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig Behinderten und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt sei, stets anzunehmen. Voraussetzung sei, dass der Behinderte bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- oder Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sei oder dass Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich seien. Der Behinderte müsse also nicht immer und nicht bei jedem öffentlichen Verkehrsmittel auf fremde Hilfe angewiesen sein. Die fremde Hilfe müsse allerdings bei der Benutzung der weit überwiegenden Zahl öffentlicher Verkehrsmittel und bei dem größten Teil der zurückgelegten Fahrten erforderlich sein. Es reiche demnach nicht aus, wenn bestimmte öffentliche Verkehrsmittel behinderungsbedingt nur in Begleitung benutzt werden könnten. Unter Beachtung dieser Grundsätze erfülle der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen B nicht. Dass bei ärztlichen Besprechungen oder Therapieänderungen eine Bezugsperson erforderlich sei, stehe in keinerlei Zusammenhang mit den Voraussetzungen des Merkzeichens B. Letztlich sei unklar geblieben, aus welchen Gründen der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens B begehre, da nach dem Vortrag des Klägers wegen der bestehenden Infektanfälligkeit eine Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht möglich sei. Sinn und Zweck des Merkzeichens B sei jedoch die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Es sei daher bereits grundsätzlich kein Nachteil ersichtlich, der mit der Zuerkennung des Merkzeichens B auszugleichen wäre.
Hiergegen hat der Kläger am 23.11.2009 Berufung eingelegt. Er benötige die Parkerleichterungen im Straßenverkehr dringend, da er ansonsten auf Grund seiner körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sei, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dies betreffe ihn ganz besonders hart, weil er im Rahmen seiner Erkrankung häufig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müsse und durch die nicht genehmigten Parkerleichterungen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sei, noch schlimmer zu erkranken. Sein Immunsystem sei derart geschwächt, dass jede Erkrankung, die er sich in Folge eines Infektes zuziehe, das Ende seines Lebens darstellen könne. Er wolle daher die Wege kurz halten, um einem Infektionsrisiko zu entgehen. Dies sei nur dann möglich, wenn er Behindertenparkplätze in Anspruch nehmen könne, die nahe an seinen Zielen lägen. Die Beeinträchtigung der Menschen, die zu bevorzugen seien, dürften sich nicht allein auf Mängel in der Fortbewegungsfähigkeit erstrecken. Er sei derart schwer beeinträchtigt, dass hier eine Ausnahmeregelung nicht gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer verstoße. Auch stehe ihm das Merkzeichen B zu. In Folge seines hochgradig empfindlichen Immunsystems müsse er auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln jeglichen Fremdkontakt vermeiden. Dies lasse sich bereits dann nicht tun, wenn er bei dem Führer des öffentlichen Verkehrsmittels vorsprechen müsse, um gegebenenfalls eine Fahrkarte zu kaufen oder einen Mitreisenden bitten müsse, ihm einen Sitzplatz einzuräumen. Er müsse sich daher begleiten lassen, um diese Angelegenheiten von der Begleitung regeln zu lassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.11.2009 und den Bescheid des Landratsamts F. vom 02.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums St. vom 18.02.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus der Berufungsbegründung ergäben sich gegenüber dem zutreffenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts keine neuen Gesichtspunkte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen aG und B. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 02.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2009 ist daher ebenso wie der Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Bezug auf das Merkzeichen aG beziehungsweise §§ 145 und 146 SGB IX in Bezug auf das Merkzeichen B. Dass und weshalb die Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen nicht vorliegen, hat das Sozialgericht unter zutreffender Einbeziehung der Maßstäbe des Teils D Nrn. 2 und 3, S. 140 bis 142 der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" [VG] zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz [BVG]) sowie in Bezug auf das Merkzeichen aG der Maßstäbe des Abschnitts II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) dargelegt. Zwar hat das Sozialgericht in Bezug auf das Merkzeichen B unzutreffend ausgeführt, es sei bereits, da der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel nutze, kein Nachteil ersichtlich. Diese im Widerspruch zu Teil D Nr. 2 a Satz 4, S. 140 und 141 VG stehende Erwägung war aber für die Entscheidung nicht tragend. Im Übrigen schließt sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG den Ausführungen des Sozialgerichts nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den in Teil D Nrn. 2 und 3, S. 140 bis 142 VG und im Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personenkreis. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stützen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nur, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen. Diese Verfassungsnorm ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt wird, obgleich zwischen beiden kein Unterschied nach Art und Gewicht besteht, der dies rechtfertigen könnte. Verschiedenartige Regelungen sind bis hin zur Grenze der Willkür verfassungsrechtlich vertretbar (BSG, Urteil vom 08.10.1987 - 9a RVs 6/87 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG). Verfassungsrechtlich keinesfalls zu beanstanden ist die Ungleichbehandlung der außergewöhnlich Gehbehinderten gemäß Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einerseits und am lymphatischen System Erkrankter wie der Kläger andererseits. Eine Regelung, die außergewöhnlich Gehbehinderte gegenüber anderen Behinderten privilegiert, ist nicht willkürlich (Bayerisches LSG, Urteil vom 01.12.2009 - L 15 SB 45/06). Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG stützen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebietet nämlich nur, Behinderte gegenüber Nichtbehinderten nicht zu benachteiligen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1927 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) und "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (B).
Das Landratsamt F. hatte unter Zugrundelegung der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr. D.-W. vom 05.02.2008 (Teil-GdB 60 für eine Erkrankung der Prostata, Teil-GdB 50 für eine Erkrankung des lymphatischen Systems, Teil-GdB 30 für operierte Krampfadern und eine chronisch-venöse Insuffizienz, Teil-GdB 30 für eine chronische Bronchitis, eine Lungenblähung und eine chronische Nebenhöhlenentzündung, Teil-GdB 20 für eine Schwerhörigkeit beidseits, Teil-GdB 20 für eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke und eine Gebrauchseinschränkung beider Füße sowie Teil-GdB 20 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke; Gesamt-GdB 100) mit Bescheid vom 08.02.2008 den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 100 und das Merkzeichen "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (G) festgestellt.
Der Kläger beantragte am 02.10.2008 die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichens aG, B und "Rundfunkgebührenbefreiung" (RF). Das Landratsamt holte den Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 10.10.2008 (der Kläger könne kurze Strecken alleine zurücklegen; die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sei wegen der Immunschwäche nicht möglich; der Kläger solle auf gesonderten Behindertenparkplätzen parken können, da der Aufenthalt und Kontakt zu mehreren Menschen bei immunsupressiver Therapie nicht möglich sei; eine ständige Begleitperson sei nicht immer erforderlich) und die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. D.-W. vom 20.10.2008 (Teil-GdB 60 für eine Erkrankung der Prostata, Teil-GdB 60 für eine Erkrankung des lymphatischen Systems, Teil-GdB 30 für operierte Krampfadern und eine chronisch-venöse Insuffizienz, Teil-GdB 30 für eine chronische Bronchitis, eine Lungenblähung und eine chronische Nebenhöhlenentzündung, Teil-GdB 20 für eine Schwerhörigkeit beidseits, Teil-GdB 20 für eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Gebrauchseinschränkung beider Füße und eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke sowie Teil-GdB 20 für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke; Gesamt-GdB 100) ein. Mit Bescheid vom 23.10.2008 stellte das Landratsamt die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF fest und lehnte die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B ab. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, er habe diesen Bescheid nicht erhalten, erließ das Landratsamt unter dem 10.12.2008 einen inhaltsgleichen Bescheid. Den hiergegen am 10.12.2008 eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium St. nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. Sch. vom 02.02.2009 mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2009 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.03.2009 Klage zum Sozialgericht Reutlingen.
Das Sozialgericht hörte den Facharzt für Allgemeinmedizin K. unter dem 15.05.2009 (die Behinderung durch das Wirbelsäulen- und Knieleiden sei nicht mit derjenigen eines Querschnittsgelähmten gleichzusetzen; der Kläger benötige keine Gehhilfen und könne sich auf kurzen Strecken zufriedenstellend bewegen; es treffe nicht zu, dass sich der Kläger nur mit fremder Hilfe oder nur unter ebenso großen Anstrengungen wie beispielsweise Querschnittsgelähmte fortbewegen könne; dem Kläger gehe es lediglich um die Benutzung von Behindertenparkplätzen in unmittelbarer Nähe ärztlicher Einrichtungen, ohne sich ansteckungsgefährdend durch Menschenmengen hindurch bewegen zu müssen; eine ständige Begleitung sei nicht in jedem Fall notwendig; die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem Kläger nicht möglich) und Dr. A., Chefarzt an der Medizinischen Klinik I des Krankenhauses F., unter dem 26.08.2009 (ob der Kläger die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B erfülle, könne von hämatologisch-onkologischer Seite nicht beantwortet werden) schriftlich als sachverständige Zeugen.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien nicht erfüllt. Außergewöhnlich gehbehindert sei, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen könne. Hierzu zählten Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande seien, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen könnten oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert seien sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen seien. Ein Betroffener sei gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sei und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die beispielhaft aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen könne. Erforderlich sei, dass diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeuges erfüllt werde. Der Kläger gehöre nicht zu dem insoweit berechtigten Personenkreis. Soweit argumentiert werde, dem Kläger gehe es um die Benutzung von Behindertenparkplätzen in unmittelbarer Nähe ärztlicher Einrichtungen, ohne sich ansteckungsgefährdend durch Menschenmengen hindurch bewegen zu müssen, rechtfertige dies nicht das Merkzeichen aG. Für die Zuerkennung des Merkzeichens aG müsse vielmehr eine dauernde und nicht nur örtlich bedingte Einschränkung vorliegen. Eine spezielle Parkberechtigung in der Nähe von ärztlichen Einrichtungen zur Vermeidung beziehungsweise Verringerung von Kontakten mit anderen Menschen, kenne das Gesetz nicht. Die Annahme des Merkzeichens aG könne ausdrücklich nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen B seien nicht erfüllt. Voraussetzung sei die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung. Eine ständige Begleitung sei bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in Folge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen seien. Dies sei bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden sowie Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig Behinderten und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt sei, stets anzunehmen. Voraussetzung sei, dass der Behinderte bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf fremde Hilfe beim Ein- oder Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels angewiesen sei oder dass Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen erforderlich seien. Der Behinderte müsse also nicht immer und nicht bei jedem öffentlichen Verkehrsmittel auf fremde Hilfe angewiesen sein. Die fremde Hilfe müsse allerdings bei der Benutzung der weit überwiegenden Zahl öffentlicher Verkehrsmittel und bei dem größten Teil der zurückgelegten Fahrten erforderlich sein. Es reiche demnach nicht aus, wenn bestimmte öffentliche Verkehrsmittel behinderungsbedingt nur in Begleitung benutzt werden könnten. Unter Beachtung dieser Grundsätze erfülle der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen B nicht. Dass bei ärztlichen Besprechungen oder Therapieänderungen eine Bezugsperson erforderlich sei, stehe in keinerlei Zusammenhang mit den Voraussetzungen des Merkzeichens B. Letztlich sei unklar geblieben, aus welchen Gründen der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens B begehre, da nach dem Vortrag des Klägers wegen der bestehenden Infektanfälligkeit eine Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht möglich sei. Sinn und Zweck des Merkzeichens B sei jedoch die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr. Es sei daher bereits grundsätzlich kein Nachteil ersichtlich, der mit der Zuerkennung des Merkzeichens B auszugleichen wäre.
Hiergegen hat der Kläger am 23.11.2009 Berufung eingelegt. Er benötige die Parkerleichterungen im Straßenverkehr dringend, da er ansonsten auf Grund seiner körperlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sei, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dies betreffe ihn ganz besonders hart, weil er im Rahmen seiner Erkrankung häufig ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müsse und durch die nicht genehmigten Parkerleichterungen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sei, noch schlimmer zu erkranken. Sein Immunsystem sei derart geschwächt, dass jede Erkrankung, die er sich in Folge eines Infektes zuziehe, das Ende seines Lebens darstellen könne. Er wolle daher die Wege kurz halten, um einem Infektionsrisiko zu entgehen. Dies sei nur dann möglich, wenn er Behindertenparkplätze in Anspruch nehmen könne, die nahe an seinen Zielen lägen. Die Beeinträchtigung der Menschen, die zu bevorzugen seien, dürften sich nicht allein auf Mängel in der Fortbewegungsfähigkeit erstrecken. Er sei derart schwer beeinträchtigt, dass hier eine Ausnahmeregelung nicht gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer verstoße. Auch stehe ihm das Merkzeichen B zu. In Folge seines hochgradig empfindlichen Immunsystems müsse er auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln jeglichen Fremdkontakt vermeiden. Dies lasse sich bereits dann nicht tun, wenn er bei dem Führer des öffentlichen Verkehrsmittels vorsprechen müsse, um gegebenenfalls eine Fahrkarte zu kaufen oder einen Mitreisenden bitten müsse, ihm einen Sitzplatz einzuräumen. Er müsse sich daher begleiten lassen, um diese Angelegenheiten von der Begleitung regeln zu lassen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.11.2009 und den Bescheid des Landratsamts F. vom 02.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums St. vom 18.02.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Voraussetzungen für die Merkzeichen aG und B festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus der Berufungsbegründung ergäben sich gegenüber dem zutreffenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts keine neuen Gesichtspunkte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen aG und B. Der dieses Begehren ablehnende Bescheid vom 02.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2009 ist daher ebenso wie der Gerichtsbescheid vom 05.11.2009 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Bezug auf das Merkzeichen aG beziehungsweise §§ 145 und 146 SGB IX in Bezug auf das Merkzeichen B. Dass und weshalb die Voraussetzungen für die begehrten Merkzeichen nicht vorliegen, hat das Sozialgericht unter zutreffender Einbeziehung der Maßstäbe des Teils D Nrn. 2 und 3, S. 140 bis 142 der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" [VG] zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz [BVG]) sowie in Bezug auf das Merkzeichen aG der Maßstäbe des Abschnitts II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) dargelegt. Zwar hat das Sozialgericht in Bezug auf das Merkzeichen B unzutreffend ausgeführt, es sei bereits, da der Kläger keine öffentlichen Verkehrsmittel nutze, kein Nachteil ersichtlich. Diese im Widerspruch zu Teil D Nr. 2 a Satz 4, S. 140 und 141 VG stehende Erwägung war aber für die Entscheidung nicht tragend. Im Übrigen schließt sich der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG den Ausführungen des Sozialgerichts nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den in Teil D Nrn. 2 und 3, S. 140 bis 142 VG und im Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personenkreis. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) stützen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nur, den begünstigten Personenkreis nach sachgemäßen Erwägungen zu bestimmen. Diese Verfassungsnorm ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt wird, obgleich zwischen beiden kein Unterschied nach Art und Gewicht besteht, der dies rechtfertigen könnte. Verschiedenartige Regelungen sind bis hin zur Grenze der Willkür verfassungsrechtlich vertretbar (BSG, Urteil vom 08.10.1987 - 9a RVs 6/87 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG). Verfassungsrechtlich keinesfalls zu beanstanden ist die Ungleichbehandlung der außergewöhnlich Gehbehinderten gemäß Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einerseits und am lymphatischen System Erkrankter wie der Kläger andererseits. Eine Regelung, die außergewöhnlich Gehbehinderte gegenüber anderen Behinderten privilegiert, ist nicht willkürlich (Bayerisches LSG, Urteil vom 01.12.2009 - L 15 SB 45/06). Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG stützen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebietet nämlich nur, Behinderte gegenüber Nichtbehinderten nicht zu benachteiligen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
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