L 8 KR 111/09

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 42/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 111/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 2/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Personen, die bis zum 1. April 2007 einen alleinigen Anspruch auf Gewährung von Krankenhilfe nach § 48 SGB XII hatten und keine laufenden Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII bezogen, sind in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig.
2. Bei alleiniger Gewährung von Krankenhilfe nach § 48 SGB XII liegt kein anderweitiger Krankenversicherungsschutz im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vor. Reine Krankenhilfefälle gehen seit dem 1. April 2007 in die Zuständigkeit der Krankenkasse über, wenn zuvor ein versicherungfreier Zustand oder eine frühere Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand.
3. § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V nimmt alleinige Empfänger von Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII von der Rechtsfolge, dass keine Versicherungspflicht eintritt, aus.
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. März 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 17. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Februar 2008 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 1. April 2007 pflichtversichertes Mitglied der Beklagten ist.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Durchführung der Pflichtversicherung bei der Beklagten ab 1. April 2007.

Die im Jahr 1939 geborene Klägerin ist afghanische Staatsangehörige und hält sich seit Oktober 1989 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf. Bis zum Ablauf des 30. Juni 2001 bezog die Klägerin Leistungen für den laufenden Lebensunterhalt sowie anteilige Miet- und Heizkosten. Nachdem der Sohn der Klägerin, B. A., erklärt hatte, ihr Unterhalt zum täglichen Leben gewähren zu können (Erklärung ohne Datum, Bl. 127 der Akte der Ausländerbehörde der Beigeladenen), wurden diese Leistungen zum 1. Juli 2001 eingestellt. Da der Sohn jedoch aus seinem Einkommen die medizinische Versorgung der Klägerin nicht finanzieren konnte, wurde der Klägerin auf ihren Antrag Leistungen laufende Krankenhilfe nach § 37 BSHG (Bescheid vom 6. November 2002) bewilligt.

Das Sozialamt der Beigeladenen meldete die Klägerin ab 1. Januar 2005 gemäß § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bei der Beklagten an.

Zuletzt war die Klägerin seit 23. November 2005 in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) mit Gültigkeit bis zum 16. August 2007, deren Gültigkeit bis zur Entscheidung über die Verlängerung (mit Wirkung vom 26. März 2008 bis zum 25. März 2010) in regelmäßigen Abständen für 3 Monate verlängert wurde.

Am 21. Juni 2007 beantragte die Klägerin bei dem Sozialamt der Beigeladenen die Gewährung von Grundsicherung im Alter bzw. wegen Erwerbsminderung und legte dazu eine Erklärung ihres Sohnes B. A. vor, nach der er seine Mutter seit Mai 2007 nicht mehr unterstützen könne. Das Sozialamt der Beigeladenen bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 5. Oktober 2007 für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis zum 31. Mai 2008 Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB Xll) sowie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 bis 43 SGB XII.

Das Sozialamt meldete die Klägerin zum 1. Juli 2007 von der Versorgung nach § 264 SGB V ab und am 11. Juli 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Pflichtmitgliedschaft mit Wirkung zum 1. April 2007 nach § 5 Abs. 13 SGB V.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2008 den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, liege ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall vor, so bestehe kein Anspruch auf Durchführung der Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Da die Klägerin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 AufenthG sei, habe sie Anspruch auf Leistungen nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt. Dieser Anspruch schließe die Durchführung einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13, Abs. 11 Satz 3 SGB V aus.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. März 2008 Klage bei dem Sozialgericht Marburg erhoben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes seien in ihrem Fall nicht einschlägig, da sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis mit einer Gesamtgültigkeit von mehr als 6 Monaten sei. Sie habe die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG im Rahmen einer Altfallregelung für afghanische Staatsangehörige erhalten. Aufgrund der zum 18. März 2005 in Kraft getretenen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AsylbLG erhalte sie Leistungen nach dem SGB XII und nicht nach dem AsylbLG.

Die Beklagte hat ergänzend die Auffassung vertreten, auch die Versorgung im Krankheitsfalle nach § 264 SGB V schließe einen Anspruch auf Durchführung einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus, und insoweit auf die Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 755/06, S 264) verwiesen. Darüber hinaus sei § 5 Abs. 11 SGB V zu beachten. Danach scheide eine Pflichtversicherung aus, wenn die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts voraussetze.

Die Beigeladene hat die Auffassung vertreten, auf den Antrag der Klägerin habe die Beklagte die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin durchzuführen. Eine Versorgung nach § 264 SGB V im Krankheitsfall ohne weiteren Leistungsbezug führe weder zu einer anderen Versorgung i. S v. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V noch stehe dies nach § 5 Abs. 11 SGB V einer Pflichtversicherung entgegen. Weiter hat die Beigeladene die Auffassung vertreten, die Erklärung des Sohnes gegenüber ihrer Ausländerbehörde stelle keine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG dar. Auch ihr Fachdienst habe diese Erklärung nicht in diesem Sinne verstanden. Vielmehr sei man davon ausgegangen, dass für die Klägerin keine Erklärung nach § 68 AufenthG abgegeben worden sei.

Das Sozialgericht hat die Akte der Ausländerbehörde der Beigeladenen und den Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 27. Juni 2005 "Bleiberechtsregelung für afghanische Staatsangehörige sowie Rückführung afghanischer Staatsangehöriger" sowie die Akte der Beklagten beigezogen.

Mit Urteil vom 11. März 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Dazu hat das Sozialgericht ausgeführt, Streitgegenstand sei allein die Frage der Pflichtversicherung der Klägerin bei der Beklagten. Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe rechtmäßig festgestellt, dass die Klägerin nicht Pflichtmitglied der Beklagten sei. Zwar erfülle die Klägerin die Voraussetzungen der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, jedoch stehe der Pflichtversicherung der Klägerin die Regelung des § 5 Abs. 11 SGB V entgegen. Diese Regelung sei zum 1. April 2007 in Kraft getreten und regele explizit die Versicherungspflicht ausländischer Staatsangehöriger. Danach seien Ausländer, die nicht einem EU- oder EWG-Staat oder der Schweiz angehörten, von der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder Aufenthaltserlaubnis für mehr als 12 Monaten besitzen und keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestehe. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin jedoch nicht, auch wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis von länger als 12 Monate besitze. Für eine solche werde jedoch nach § 5 Abs. 1 AufenthG eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts vorausgesetzt. Zur Überzeugung des Gerichts ergebe sich dies aus den einschlägigen Bleiberechtsregelungen und nach Auswertung der Akte der Ausländerbehörde der Beigeladenen. Nach dem Erlass vom 17. Mai 2005 erhielten Afghanen, die das 65 Lebensjahr – wie die Klägerin - überschritten hätten, eine Aufenthaltserlaubnis, wenn sie in Afghanistan keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige mit dauerhaftem Aufenthalt hätten und sichergestellt sei, dass keine Leistungen mit Ausnahme der Versorgung im Krankheitsfall und bei Pflegebedürftigkeit in Anspruch genommen würden. Nach diesem Erlass könne von einer Sicherstellung des Unterhalts ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen ausgegangen werden, wenn sichergestellt sei, dass unterhaltspflichtige Familienangehörige in Anspruch genommen werden könnten. Der Nachweis sei mit einer Erklärung nach § 68 AufenthG zu erbringen. Da die vier Kinder der Klägerin ebenfalls im Bundesgebiet lebten, sei die Sicherstellung ihres Unterhalts Voraussetzung für die weitere Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Dementsprechend sei die Ausländerbehörde der Beigeladenen auch verfahren. Aus der Ausländerakte sei auch ausweislich Bl. 127 und 129 erkennbar, dass ein Sohn der Klägerin sie unterstützt habe. Auch sei seitens der Ausländerbehörde der Beigeladenen dokumentiert, dass es insoweit nie zu Problemen gekommen sei. Die Erklärungen des Sohnes seien als Verpflichtungserklärungen nach § 68 Aufenthaltsgesetz zu verstehen. Eine einseitige Lösung von einer solchen Verpflichtung sei gesetzlich nicht vorgesehen.

Gegen das ihr am 23. März 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. April 2009 Berufung eingelegt.

Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, sie sei seit dem 1. April 2007 Pflichtmitglied der Beklagten. Weder ihre Versorgung im Krankheitsfalle nach § 264 SGB V noch nach § 48 SGB Xll stelle eine anderweitige Versorgung i. S. von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V dar, die einer Pflichtversicherung nach dieser Regelung entgegenstehen könnte. Auch könne ihr die früheren Erklärungen ihres Sohnes, ihren täglichen Lebensunterhalt zu sichern, nicht entgegengehalten werden, da dies ihrem Sohn durch die Gründung einer eigenen Familie nicht mehr möglich sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. März 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 17. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2008 aufzuheben und festzustellen, dass sie seit dem 1. April 2007 bei der Beklagten pflichtversichert ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Sozialgericht habe zutreffend entschieden.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie vertritt die Auffassung, der Pflichtversicherung der Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V stehe weder die Regelung des § 5 Abs. 8a SGB V noch die Regelung des § 5 Abs. 11 Satz 3 SGB V entgegen. Ergänzend führt die Beigeladene aus, zwar erfordere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel, dass der Lebensunterhalt gesichert sei. Dies sei jedoch keine zwingende Vorraussetzung und gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG könne von dieser Regel abgewichen werden. Dies entspreche auch dem Erlass vom 17. Mai 2005. Zudem sei fraglich, ob die vorliegenden Erklärungen des Sohnes der Klägerin, den Voraussetzungen des § 68 AufenthG und den Vorgaben der Richtlinien des Bundesinnenministeriums entsprechen. Weiter führt sie aus, die Klägerin habe ab 12. Februar 2002 laufende Krankenhilfe nach dem 3. Abschnitt des BSHG bzw. Kapitel 5 des SGB Xll bezogen ohne weiteren Leistungsbezug nach dem BSHG. Erst ab dem 1. Juni 2007 beziehe die Klägerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB Xll.

Der Senat hat die Akte der Beklagten, die Akte der Ausländerbehörde und des Sozialamtes beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben. Denn die Klägerin ist seit dem 1. April 2007 Pflichtmitglied der Beklagten. Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil und die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden verkannt.

Die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin beruht auf der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in der durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchstabe cc Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung – Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG vom 26. März 2007 mit Wirkung zum 1. April 2007 geltenden Fassung. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen im Fall der Klägerin erfüllt. Der Senat verweist insoweit gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil.

Der Umstand, dass der Klägerin im Zeitpunkt des in Krafttretens des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zum 1. April 2007 einen alleinigen Anspruch auf Gewährung von Krankenhilfe nach § 48 SGB Xll und damit nur auf Hilfe zur Gesundheit im Sinne des Fünften Kapitels des SGB Xll hatte, steht dem nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 11. Februar 2008, Az.: L 8 KR 244/07 ER) folgt aus dem Umkehrschluss der Regelung des § 5 Abs. 8a SGB V (i. d. F. Art. 1 Nr. 2 Buchst. c GKV-WSG v. 26. März 2007 m. W. v. 1. April 2007), dass bei alleiniger Gewährung von Krankenhilfe nach § 48 SGB Xll kein anderweitiger Krankenversicherungsschutz im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht. Reine Krankenhilfefälle gehen somit seit dem 1. April 2007 in die Zuständigkeit der Krankenkasse über, wenn zuvor ein versicherungsfreier Zustand oder eine frühere Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand (so auch SG Speyer, Beschluss vom 19. April 2007 - S 11 ER 164/07 KR; vgl. weiter Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26. April 2007, Az.: 222-44031-3/6). Abs. 8a Satz 2 des § 5 SGB V, der ausdrücklich die Nachrangigkeit der Versicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 13 dieser Norm regelt und konkretisiert, nimmt gerade alleinige Empfänger von Leistungen nach dem Fünften Kapitel des SGB Xll von der angeordneten Rechtsfolge, dass keine Versicherungspflicht eintritt, aus. Dies ist kein Redaktionsversehen und kann nicht durch Rückgriff auf einen allgemeinen Grundsatz der Vorrangigkeit von Krankenbehandlungsleistungen im Verfahren nach § 264 SGB V überspielt werden.

Dem kann - entgegen der Auffassung der Beklagten - die Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drs. 16/3100 S. 94) nicht entgegengehalten werden: Zwar heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für das GKV-WSG "( ) ohne Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall sind insbesondere die nicht gesetzlich oder privat krankenversicherten Personen, die einen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 40 SGB VIII, § 48 SGB XII, § 264 SGB V, auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzuggesetz oder auf sonstige Gesundheitsfürsorge haben (BT-Drucks. 16/3100, Seite 94 – zu Doppelbuchstabe bb und cc). Die zitierte Gesetzesbegründung bezog sich jedoch auf einen Gesetzesvorschlag in dem § 5 Abs. 8 a SGB V Satz 2 noch lautete: "Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger von Leistungen nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes". Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde dann Satz 2 des § 5 Abs. 8 a SGB V dahin verändert, dass es an Stelle von "Empfänger von Leistungen" "Empfänger laufender Leistungen" hieß und in der Bestimmung der Leistungen die Formulierung nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches in nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches umgewandelt wurde. Dies weist die der Ausschussempfehlung des 14. Ausschusses beigegebene Gegenüberstellung von Entwurf und veränderter Entwurfsfassung nach den Beschlüssen des 14. Ausschusses eindeutig aus, wobei die Worte "laufender" und "Vierten, Sechsten und Siebten" (Kapitel des Zwölften Buches) fettgedruckt sind (vgl. Ausschussempfehlung GKV-WSG, abgedruckt bei Hauck/Noftz, SGB XII, Sozialhilfekommentar Band III Materialien M 110 a). Die Ausschussempfehlung ist dann auch im Gesetzgebungsverfahren übernommen worden. Der für die Bestimmung der Nachrangigkeit einschlägige Abs. 8a des § 5 SGB V besagt somit in seinem Satz 2 ganz eindeutig, dass nur beim Bezug laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes der Träger dieser Leistungen für die Absicherung im Krankheitsfall verantwortlich bzw. kostenpflichtig bleibt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei alleiniger Gewährung von Krankenhilfe nach § 48 SGB XII kein anderweitiger Krankenversicherungsschutz im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht. Reine Krankenhilfefälle gehen somit seit dem 1. April 2007 in die Zuständigkeit der Krankenkasse über, wenn zuvor ein versicherungsfreier Zustand oder eine frühere Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung bestand (so auch SG Speyer, Beschluss vom 19. April 2007 – S 11 ER 164/07 KR; vgl. weiter Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26. April 2007, Az.: 222-44031-3/6; vgl. auch Wille in jurisPK-SGB V § 264 Rdnr. 67). Damit bleibt es dabei, dass Empfänger bloßer Leistungen nach dem Fünften Kapitel der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unterstellt werden. Eine vorher erfolgte Betreuung gemäß § 264 SGB V steht dem nicht entgegen. Sie ist eine Leistung zur Umsetzung des Leistungsanspruches nach dem Fünften Kapitel des SGB XII, auch wenn Leistungen nach dem SGB V von einem Krankenversicherungsträger erbracht werden. Die Ansprüche leiten sich nämlich aus § 48 SGB XII ab und sind ohne diese Bezugsvorschrift im SGB XII nicht denkbar.

Soweit die Beklagte einwendet, der – zuletzt im Ausland ausgeübte – Beruf der Klägerin als Religionslehrerin stehe der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gemäß dessen Buchstabe b 2. Halbsatz entgegen, weil die Klägerin zu den in § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6 oder 7 SGB V genannten Personen gehört hätte, wenn sie ihre Tätigkeit im Inland ausgeübt hätte, folgt dem der Senat nicht. Unabhängig davon, dass der Senat die Anwendbarkeit der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe b 2. Halbsatz SGB V für Personen wie die Klägerin, die bereits seit vielen Jahren ohne Krankenversicherungsschutz und ohne erwerbstätig zu sein sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, im Hinblick auf den Regelungszweck der Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs. 13 SGB V, nur möglichst wenige Menschen ohne Absicherung im Krankheitsfall zu lassen (vgl. hierzu BT-Drs 16/3100 S. 94 zu den Doppelbuchstaben bb und cc) anzweifelt, hat der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei Ausübung einer Berufstätigkeit als Religionslehrerin im Inland versicherungsfrei nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V gewesen wäre. Denn zwar stehen Lehrerinnen und Lehrer in der Bundesrepublik vielfach im Beamtenverhältnis oder einem beamtenähnlichen Verhältnis mit Anspruch auf Beihilfe. Zwingend ist dies jedoch nicht, vielmehr ist eine Tätigkeit in einem Beschäftigungsverhältnis, das Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V auslöst, jedenfalls nicht unüblich. Dass die Klägerin bei einer Berufstätigkeit als Religionslehrerin nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V dabei regelmäßig die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstiegen hätte oder nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB V als satzungsmäßiges Mitglied einer geistlichen Genossenschaft oder ähnliche Person aus überwiegend religiösen Gründen nur gegen freien Unterhalt oder geringes Entgelt gearbeitet hätte, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Klägerin erfüllt als afghanische Staatsangehörige weiterhin die zusätzlichen Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, die sich aus der Regelung des hier einschlägigen § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V (i. d. F. Art. 1 Nr. 2 Buchst. d GKV-WSG v. 26. März 2007 m. W. v. 1. April 2007) ergeben.

Nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V werden Ausländer von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 erfasst, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht. Die Klägerin war zum 1. April 2007 in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, deren Gültigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses mehr als zwölf Monate umfasste.

Die Klägerin unterliegt auch nicht der Verpflichtung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann von der Anwendung des Abs. 1 in den Fällen der Erteilung eines Aufenthalts nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, der im Abschnitt 5 des zweiten Kapitels steht, kann die Anordnung unter der Maßgabe erfolgen, dass eine Verpflichtungserklärung nach § 68 abgegeben wird. Nach § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bedarf die Anordnung zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern. Nach der Beschlussniederschrift über die 178. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder unter Beteiligung des Bundesministeriums am 23./24. März 2005 kann die Anordnung der Länder vorsehen, dass eine Aufenthaltsgewährung in Zweifels- und Härtefällen nur erfolgt, wenn eine Verpflichtungserklärung nach § 23 Abs. 1 Satz 2, 68 AufenthG vorliegt (siehe S. 3 der Niederschrift). Auf dieser Grundlage hat das Hessische Ministerium des Innern und für Sport mit Erlass vom 27. Juli 2005 geregelt, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abhängig gemacht werden könne. Bei Personen, die - wie die Klägerin - am 24. Juni 2005 das 65. Lebensjahr vollendet haben, ist eine entsprechende Verpflichtungserklärung lediglich von nicht unterhaltspflichtigen Angehörigen zu verlangen. Bei unterhaltspflichtigen Familienangehörigen sei - ohne die Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG - von einer Sicherung des Lebensunterhalts dieses Personenkreises auszugehen. Die Ausländerbehörde der Beigeladenen ist entsprechend bei der Erteilung Aufenthaltserlaubnis der Klägerin vom 23. November 2005 vorgegangen. Denn sie erteilte der Klägerin die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, obwohl sie davon ausging, dass die ihr vorgelegte Erklärung des Sohnes der Klägerin nicht den Regelungen der Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG entspricht.

Auch steht der Pflichtmitgliedschaft der Klägerin die Regelung des § 5 Abs. 11 Satz 3 SGB V nicht entgegen. Danach liegt bei einem Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eine Absicherung im Krankheitsfall bereits dann vor, wenn ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes dem Grunde nach besteht. Die Klägerin fällt jedoch gemäß § 1 Abs. 2 AsylbLG nicht unter den Geltungsbereich dieses Gesetzes, da sie einen Aufenthaltstitel von mehr als 6 Monaten besitzt.

Schließlich war die Klägerin nicht bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt am 1. April 2007 "Empfängerin laufender Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des SGB XII" im Sinne des § 5 Abs. 8 a S. 2 SGB V; ausweislich des Bescheides der Beigeladenen vom 5. Oktober 2007 wurden der Klägerin neben den Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII erst ab 1. Juni 2007 laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 bis 43 SGB XII gewährt.

Der Senat kann vorliegend deshalb im Ergebnis offen lassen, ob bei der Auslegung des Begriffs "Empfänger laufender Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des SGB XII" im Sinne des § 5 Abs. 8 a S. 2 SGB V rein formal darauf abzustellen ist, ob der Betroffene zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits solche Leistungen empfangen hat. Hierfür spricht, dass nur dies eine einfache und zügige Feststellung der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gewährleistet. Der eindeutige Gesetzeswortlaut in § 5 Abs. 8 a S. 2 SGB V verlangt es überdies, auf die Tatsache des Empfangs laufender Leistungen nach den entsprechenden Kapiteln des SGB Xll abzustellen und nicht etwa darauf, ob ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht (so aber SG Karlsruhe, Urteil vom 15. April 2008, S 7 KR 5508/07). Hätte der Gesetzgeber eine andere Anknüpfung gewünscht, so hätte er nicht auf den Begriff "Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe" abstellen dürfen, sondern hätte ohne weiteres auf den Begriff "Inhaber eines Anspruchs auf Sozialhilfe" abstellen müssen. Der Senat neigt deshalb dazu (siehe auch SG Wiesbaden, Beschluss vom 25. Oktober 2007, S 17 KR 248/07 ER) auf den tatsächlichen Empfang von Leistungen nach den entsprechenden Kapiteln des SGB Xll abzustellen. Eine nachträgliche rechtliche Zurechnung von rückwirkend gewährten Sozialhilfeleistungen (vorliegend ab 1. Juni 2007) entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Auffangregelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Denn sozialhilferechtlich wäre eine rückwirkende Krankenhilfegewährung nicht möglich, und es entstünde in Fällen der rückwirkenden Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach § 44 Abs. 1 S. 2 SGB Xll eine Versorgungslücke, wenn nicht die Versicherungspflicht kraft Gesetzes nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V eingreifen würde.

Die Klägerin ist somit zum 1. April 2007 Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung geworden. Nach § 186 Abs. 11 SGB V beginnt die Mitgliedschaft der nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Durch die Wahl der Klägerin ist sie Pflichtmitglied zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits im Hinblick auf die Auslegung der Regelung des § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V zuzulassen, § 160 Abs. 2 SGG. Der erkennende Senat weicht demgegenüber nicht vom Urteil des BSG vom 6. Oktober 2010 (B 12 KR 25/09 R – vgl. Terminbericht des BSG Nr. 54/10 vom 7. Oktober 2010) ab. Das BSG hat ausgeführt, dass Empfänger laufender Leistungen nach dem SGB XII auch solche Personen sind, denen solche Leistungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V noch nicht bewilligt und ausgezahlt waren, weil nach dem Regelungszusammenhang des § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V, in den diese Vorschrift gestellt ist, und dem Zweck des § 5 Abs. 1 Nr 13 SGB V als sog. Auffang-Versicherungspflicht es darauf ankomme, dass diese Leistungen für diesen Zeitpunkt beansprucht werden konnten. Mit der Einführung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V habe die Leistungsverantwortung für den Krankheitsfall nicht von den Sozialhilfeträgern auf die gesetzliche Krankenversicherung "verschoben" werden sollen. Zu einer solchen Verschiebung komme es aber, wenn über den Eintritt bzw. Ausschluss der Versicherungspflicht entscheide, ob Leistungen der Grundsicherung im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt tatsächlich bezogen würden. Es komme infolgedessen weder darauf an, wann der Sozialhilfeträger solche Leistungen durch Verwaltungsakt zuerkennt, noch darauf, wann er sie erbringt. Dem vom BSG entschiedenen Verfahren lag jedoch ein vom vorliegenden Fall abweichender Sachverhalt zugrunde, denn dort waren durch Bescheid des Trägers der Leistungen der Grundsicherung rückwirkend Leistungen ab dem Zeitpunkt bewilligt worden, der für die Beurteilung der Versicherungspflicht nach dem SGB V maßgeblich war. Vorliegend hat die Klägerin jedoch Leistungen der Grundsicherung erst – zwar rückwirkend mit Bescheid vom 5. Oktober 2007 – ab 1. Juni 2007 erhalten, wohingegen Streitgegenstand ihre Versicherungspflicht nach dem SGB V zum 1. April 2007 ist.
Rechtskraft
Aus
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